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Archiv "Kosten-Nutzen-Bewertung: Feigenblatt für die Rationierung" (08.05.2009)

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A912 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 19⏐⏐8. Mai 2009

P O L I T I K

A

ngenommen, für Krankheit X stehen vier Therapiemöglich- keiten zur Auswahl. Jetzt kommt ein neues Präparat auf den Markt, das zwar teurer ist als die bisherigen Methoden, aber auch besser wirkt.

Soll die gesetzliche Krankenversi- cherung die Kosten für das neue Medikament erstatten? Und wenn ja, in welcher Höhe? Wie groß muss der zusätzliche Nutzen sein, um die höheren Kosten zu rechtfertigen?

Der Gesetzgeber hat die Beantwor- tung dieser Fragen an das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) dele- giert, in der Hoffnung, die Wissen- schaft könne den Weg aus diesem ethischen Dilemma weisen.

„Man kann nicht den Wert des Lebens messen“

Am 20. April lief nun die Frist für das Stellungnahmeverfahren zum zwei- ten Methodenentwurf des IQWiG zur Bewertung von Kosten-Nutzen- Verhältnissen bei Arzneimitteln ab.

Im Sommer soll die erste Arbeitsver- sion zur Kosten-Nutzen-Bewertung vorliegen, auf deren Basis das IQWiG die Aufträge des Gemeinsa- men Bundesausschusses von Ärzten und Krankenkassen bearbeiten wird.

Doch das Konzept der Kosten- Nutzen-Bewertung stößt nicht nur bei der Pharmaindustrie auf Skepsis.

Auch der Leiter des IQWiG, Prof.

Dr. med. Peter Sawicki, äußerte of- fen seine Zweifel. „Man sollte erst einmal Sinnloses abbauen, bevor man Patienten Notwendiges vor- enthält und sagt, es ist zu teuer“, er- klärte Sawicki bei einer Veranstal- tung des Instituts am 24. April in Köln. Er ist zwar überzeugt davon, dass das IQWiG dem Gemeinsamen Bundesausschuss und den Kranken- kassen auf der Basis der jetzt vorge- legten Methode der „Analyse der Ef-

fizienzgrenze“ eine nachvollziehba- re Entscheidungshilfe geben kann.

Man könne sich so mit ein bisschen mehr Vernunft der Preisbildung nähern. Eine wissenschaftliche Me- thode, mit der man Erstattungsgren- zen festlegen könne, gebe es aber nicht. „Man kann nicht den Wert des Lebens messen“, sagte Sawicki. Das seien Werteentscheidungen, die die Gesellschaft treffen müsse.

Das Verfahren der Kosten-Nutzen- Bewertung sieht mehrere Schritte vor. Zunächst überprüft das IQWiG, ob es für Präparat X, das es zu bewer- ten gilt, bereits wirksame Behand- lungsalternativen gibt. Ist dies der Fall, muss sich X anhand der Metho- den der evidenzbasierten Medizin ei- ner vergleichenden Bewertung seines Zusatznutzens stellen (siehe Kasten).

Nur wenn X bei der Bewertung bes- ser abschneidet als die vorhandenen Methoden, schließt sich an die Nut- zen- eine Kosten-Nutzen-Bewertung an. Dabei muss der therapeutische Vorteil wirtschaftlich bewertet wer- den. Die Methode, die das IQWiG dafür gewählt hat, ist die „Analyse der Effizienzgrenze“. Danach gilt ei-

ne Therapie als effizient, wenn sie im Vergleich zu anderen bei gleichen Kosten mehr Nutzen bringt oder bei gleichem Nutzen kostengünstiger ist.

Die Effizienzgrenze entsteht da- durch, dass man Therapien in einem Koordinatensystem miteinander ver- gleicht. Die vertikale Achse be- schreibt dabei den Nutzen, die hori- zontale die Kosten. Der Gesamtweg vom Ursprungspunkt „keine Thera- pie“ bis zur bislang effizientesten Therapie stellt die Effizienzgrenze dar. Die Therapieoptionen unterhalb dieser Linie sind weniger effizient – ein Ergebnis, das die Krankenkassen dazu veranlassen könnte, deren Kos- ten nicht länger zu erstatten. Thera- pieoptionen, die oberhalb der Linie liegen, sind effizienter. Deren Lage im Koordinatensystem kann den Kassen helfen, einen angemessenen Erstattungbetrag festzusetzen.

Das Besondere an der „Analyse der Effizienzgrenze“ ist, dass sie je- de Krankheit für sich bewertet.

Schwellenwerte über Indikationen hinweg zu definieren, wie es die Me- thode der „Quality Adjusted Life Years“ (QALYs) tut, hält IQWiG- KOSTEN-NUTZEN-BEWERTUNG

Feigenblatt für die Rationierung

Die Krankenkassen dürfen künftig für bestimmte neue Arzneimittel

Erstattungshöchstbeträge festlegen, die ihrem Nutzenzuwachs angemessen sind.

Die Methodendiskussion ist jedoch noch in vollem Gange.

SO STEHT ES IM GESETZ: §§ 31 UND 35 SGB V

Der Gemeinsame Bundesausschuss kann das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Ge- sundheitswesen (IQWiG) beauftragen, den Nutzen oder das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Arzneimit- teln zu bewerten. Dabei werden die Präparate mit anderen Arzneimitteln und Behandlungsformen verglichen. Maßstab ist der Zusatznutzen für die Patienten im Verhältnis zu den Kosten.

Beim Nutzen für die Patienten sollen die Verbesserung des Gesundheitszustands eine Verkürzung der Krankheitsdauer eine Verlängerung der Lebensdauer eine Verringerung der Nebenwirkungen und eine Verbesserung der Lebensqualität

berücksichtigt werden. Bei der wirtschaftlichen Bewertung muss die Angemessenheit und Zu- mutbarkeit einer Kostenübernahme durch die Versichertengemeinschaft einfließen.

Das IQWiG entscheidet über die Methoden, die es anwendet, auf der Grundlage der anerkannten internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin und der Gesundheitsökonomie. Die Be- wertungen des Instituts sind Empfehlungen, auf deren Grundlage der Gemeinsame Bundesaus- schuss seine Entscheidungen trifft. Arzneimittel, für die es keine zweckmäßige Therapiealternative gibt, sind von der Festsetzung eines Höchstbe- trags ausgenommen.

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A914 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 19⏐⏐8. Mai 2009

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Leiter Sawicki für „nicht gerecht“.

Ein Vergleich über Krankheitsgren- zen hinweg würde unweigerlich eine Entscheidung erzwingen, ob es eine Krankheit im Vergleich zu einer an- deren „wert“ ist, dass für betroffene Patienten eine Innovation eingesetzt wird, und wenn ja, zu welchen Kos- ten. Die Methode des IQWiG ver- meide solche Werteentscheidungen.

Eben diese indikationsbezogene Betrachtung der Therapien bemän- geln aber andere Experten, insbe- sondere deshalb, weil sich die Ar- beit mit den indikationsübergrei- fenden QALYs in mehreren Län- dern etabliert hat, unter anderem in Großbritannien. QALYs dienen da- zu, die durch eine Behandlung ge- wonnene Verlängerung des Lebens mit der Lebensqualität zu gewich- ten. Unumstritten ist aber auch diese Methode nicht: So kombinieren QALYs mit dem Gewinn an Le- benszeit und Lebensqualität nur zwei Aspekte aus einer Vielzahl möglicher Parameter. Auch hat sich gezeigt, dass QALYs nicht die Wer- te der Mehrheit einer Gesellschaft widerspiegeln und in ihrer Wirkung mitunter ethisch fragwürdig sind.

Dennoch plädierte Prof. Dr. med.

Georg Marckmann, stellvertretender Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Univer- sität Tübingen, bei einer Tagung des Verbands Forschender Arzneimittel- hersteller in Berlin dafür, QALYs auch in Deutschland zu implemen- tieren. Zumindest seien die Mängel des QALY-Konzepts bekannt, was eine Weiterentwicklung erleichtere.

Nach Einschätzung von Marckmann, der auch Mitglied im Wissenschaftli- chen Beirat des IQWIG ist, bietet der Methodenentwurf des Instituts keine hinreichende Rechtfertigung für die Festlegung von Höchstbeträgen. Der Maßstab für die Kosten-Nutzen-Be- wertung sei das aktuelle Preisniveau im jeweiligen Indikationsbereich.

Man könne aber nicht einfach davon ausgehen, dass die geltenden Preise angemessen seien. Damit ziehe man einen unzulässigen Schluss von

„Sein“ auf „Sollen“.

Heike Korzilius, Samir Rabbata

E

in Dauerstreit ist vorerst bei- gelegt: Nach siebenjähriger Kontroverse über schärfere Regeln für Gentests verabschiedete der Bundestag am 24. April 2009 mit den Stimmen von Union und SPD das Gendiagnostikgesetz. Während der Gesetzentwurf im Vorfeld auf reichlich Kritik stieß und am Streit der Koalitionspartner gar zu schei- tern drohte, sprechen diese sowie viele Verbände und Organisationen mittlerweile von einer „längst über- fälligen Regelung“ und einem „gu- ten Ansatz“. Im Großen und Ganzen sei mit dem Gesetz, das noch in die- sem Jahr in Kraft treten soll, eine Balance erreicht worden.

Bei der Abstimmung im Bundes- tag enthielten sich die FDP und die Linksfraktion. Lediglich die Grü- nen, deren eigener Entwurf eines Gendiagnostikgesetzes im Bundes- tag scheiterte, kritisieren das Gesetz heftig. Insbesondere bemängeln sie, dass Regelungen für den Bereich der Forschung fehlen sowie Lücken im Arbeitsrecht bestünden. Im Be- reich Versicherungen biete das Ge- setz nur eine scheinbare Sicherheit.

Klar unterstützt wird von den Grünen jedoch das quasi in letzter Minute ins Gesetz eingebrachte Ver- bot von vorgeburtlichen Untersu- chungen auf Erkrankungen, die erst im Erwachsenenalter auftreten kön- nen. Eine solche Regelung war schon lange Bestandteil des grünen Ge- setzentwurfs. Innerhalb der Großen Koalition sorgte sie jedoch bis zuletzt für Zündstoff. Schließlich lenkten die Sozialdemokraten, die ursprünglich ein Verbot verhindern wollten, ein. An dieser Frage woll- ten sie nicht das gesamte Gesetz scheitern lassen.

Ein weiterer Vorschlag fand auch in letzter Minute Eingang. So sind Untersuchungen, die zwar keine Gentests sind, jedoch ebenfalls Rückschlüsse auf genetische Er- krankungen zulassen, den Gentests gleichgestellt. Erlauben sie eine Voraussage über die Gesundheit des ungeborenen Kindes, ist ebenfalls eine Beratung vorgeschrieben.

Keine Änderung des Entwurfs erfolgte in Bezug auf den „umfas- senden Arztvorbehalt“. Auf den Vorschlag des Bundesrats, diesen Allgemeinverständliches zur IQWiG-

Methode: www.aerzteblatt.de/09912

@

GENDIAGNOSTIKGESETZ

Auf der Zielgeraden

Das neue Gendiagnostikgesetz soll noch dieses Jahr in Kraft treten. Es regelt die Bereiche der medizinischen Versorgung, der Abstammung, des Arbeitslebens und der Versicherungen. Ein Überblick

5 000 Euro Buß- geld müssen dieje- nigen zahlen, die einen heimlichen Vaterschaftstest an- fertigen lassen. Die vergleichweise milde Strafe ist Ausdruck des langen Streits zwischen Gegnern und Befürwortern

heimlicher Tests. Foto:ddp

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