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Für und Wider die Librettologie : Zu Geschichte und Kritik einer Librettoforschung des Gesangstheaters

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Academic year: 2022

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Für und Wider die Librettologie

Zu Geschichte und Kritik

einer Librettoforschung des Gesangstheaters

Inauguraldissertation

zur Erlangung der Doktorwürde (Dr. phil.) der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Fakultät

der Universität Bayreuth

Lehrstuhl für Theaterwissenschaft

unter besonderer Berücksichtigung des Musiktheaters

vorgelegt von Alexander Rudolph

aus Würzburg

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Erstgutachter: Prof. Dr. Sieghart Döhring (Thurnau) Zweitgutachter: Prof. Dr. Arnold Jacobshagen (Köln) Tag der Disputation: 4. Februar 2015

Vorsitz: Prodekan Prof. Dr. Matthias Christen (Bayreuth)

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Inhaltsverzeichnis

1. Auf der Suche nach minimalen Standards ... 1 !

2. Das Libretto als Komponente eines unmöglichen Kunstwerks ... 11 !

3. Eine diskussionswürdige Kategorie: Die Literaturoper ... 53 !

3.1 Die Problematik ... 53 !

3.2 Zur Definition von Petersen und Winter ... 59 !

3.3 Fazit ... 76 !

4. Das Libretto und seine Erforschung ... 81 !

4.1 Librettoforschung, Librettologie oder Librettistik? ... 81 !

4.2 Frühphase: Exposition grundlegender Themen ... 91 !

4.3 Konsolidierungsphase – Stagnation (1960er Jahre) ... 112 !

4.4 Fokus I: Einfluss der Komparatistik ... 122 !

4.5 Differenzierungsphase I: Wort und Ton (1970er Jahre) ... 130 !

4.6 Fokus II: Beiträge in Nachschlagewerken ... 164 !

4.7 Neue Perspektiven: Semiotik (1980er Jahre) ... 177 !

4.8 Fokus III: Literaturtheorie in der Musikwissenschaft ... 215 !

4.9 Differenzierungsphase II: Intermedialität (1990er Jahre) ... 219 !

4.10 Primat der Librettologie (2000er Jahre)? ... 279 !

4.11 Fokus IV: Institutionelle Verankerung ... 376 !

5. Grundsätzliches zur Librettoforschung ... 383 !

5.1 Wissenschaftliche Auseinandersetzung ... 383 !

5.2 Diversität des Libretto-Begriffs ... 389 !

5.3 Perspektiven der Analyse ... 400 !

5.4 Für und Wider die Librettologie ... 429 !

6. Anhang ... 433 !

6.1 Auswahl-Bibliographie »Librettotheorie – Librettologie« ... 433 !

6.2 Literaturverzeichnis ... 457 !

6.3 Namensregister ... 491 !

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»Der Streit um das Primat des Wortes über die Musik oder umgekehrt war immer trügerisch, es war ein Spiel, das Intellektuelle spielten, um sich zu amüsieren.

Worte und Musik sind voneinander abhängig.«

Robert Tear

(in: Prinzbach, Cécile (Hg.): »Gehorsame Tochter der Musik«

Das Libretto: Dichter und Dichtung der Oper. München 2003, hintere innere Umschlagseite)

(6)

!

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Danksagung

Die vorliegende, im Oktober 2014 eingereichte Untersuchung wurde im Januar 2015 von der Promo- tionskommission der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth als Dissertationsschrift angenommen.

Mein herzlichster Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Sieghart Döhring, der es wie kein anderer verstanden hat, zwischen dem Fördern eigenständigen Arbeitens und dem Setzen wesentlicher und wichtiger Impulse zu vermitteln – ein Ansatz, der im kontemporären universitären Betrieb bedauer- licherweise seinesgleichen sucht.

Ebenso möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Arnold Jacobshagen danken, der die aufwendige Aufgabe einer Zweitbegutachtung übernommen hat und durch hohen Einsatz eine zügige Durchführung des Verfahrens ermöglichte.

Nicht vergessen werden soll an dieser Stelle auch die bereitwillige Übersendung von weiterführenden und anregenden Materialien durch Herrn Prof. Dr. Klaus Zerinschek.

In gleicher Weise gilt mein Dank auch meiner Familie und meinen Freunden; sie alle mussten – in unterschiedlicher Weise – die Entstehung der Arbeit sowie die damit verbundenen Auswirkungen ertragen (und taten dies jeweils in ganz wundervoller Weise). Dabei kann vor allem die Unterstüt- zung durch alle meine Großeltern, meine Schwiegereltern und meine Eltern nicht genug hervorgeho- ben werden, die mir und meiner Frau während unseres Studiums und der Promotionsphase immer geholfen haben.

Erwähnt werden müssen ebenso die zahlreichen von meiner Schwester übernommenen elementaren bibliothekarischen Dienstleistungen, deren Umfang deutlich größer als ursprünglich beabsichtigt geriet.

Besonders möchte ich allerdings meiner Frau danken, die – obwohl zeitgleich mit ihrer eigenen Dis-

sertation beschäftigt – stets und unter allen Umständen ein wichtiger Gesprächs-, Motivations- und

Inspirationspartner war: Ohne Dich wäre es nicht möglich gewesen.

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1. A UF DER S UCHE NACH MINIMALEN S TANDARDS

»Erschöpfendes über das Libretto zu schreiben, das hieße, ein Buch schreiben.«

1

Die wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit Operntexten befindet sich im Allgemeinen nicht unbedingt im Kernbereich geistes- und/oder kulturwissenschaftlicher Studien. Dennoch scheint das Opernlibretto zunehmend in den Fokus unterschiedlicher Fachdisziplinen zu rücken: So interessiert sich etwa die Literaturwissenschaft für die Rezeption literarischer Texte in der Oper – ein Gegenstand, der zugleich auch die Theaterwissenschaft betrifft (übrigens nicht nur dann, wenn es sich um konkrete Inszenierungen oder Aufführungen handelt); gleichzeitig blickt die Musikwissen- schaft auf das Libretto, während die Medienwissenschaft Aus- und Einwirkungen zwischen den Me- dien (und damit Text und Musik) fokussiert; im Fall von übersetzten Textbüchern wird die Transla- tologie aktiv (und nimmt zudem kulturelle Austauschprozesse ins Visier), die Linguistik zielt auf sprachwissenschaftliche Aspekte, die Editionsphilologie setzt sich mit literarischen und musikali- schen Textfragen und -stadien auseinander etc. Diese Aufzählung ließe sich, besonders die Herange- hensweisen und Zielstellungen betreffend, noch weiter fortsetzen.

Ist man im wissenschaftlichen Rahmen mit der Analyse von Operntexten konfrontiert, so wird – unabhängig der jeweiligen Fachrichtung oder zugrundeliegenden Fragestellung – rasch deutlich, dass innerhalb der relevanten Forschungsliteratur zwar immer wieder eine bestimmte »Strömung«

genannt wird, die als Librettoforschung oder auch Librettologie auf Theorie und Analyse von Opern- texten zielt; allerdings wird aber ebenso rasch deutlich, dass dieses Forschungsstreben – trotz an- derslautender Kolportagen – selbst kontemporär noch derart amorph ist, dass es gewagt scheint, auf der Basis des tatsächlichen Forschungsstandes von einer eigenen Forschungsrichtung oder gar Dis- ziplin zu sprechen: Im Verlauf der hier durchgeführten Untersuchungen wird erkennbar werden, dass eine valide Theorie bis jetzt ebenso wenig existiert wie adäquate Analysemethoden.

Die Gründe für diese signifikante Heterogenität der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Operntext sind vielfältig: So führt beispielsweise alleine die Anzahl der daran beteiligten For- schungsdisziplinen zu einer mannigfaltigen Interessenslage und demzufolge auch differierenden Zielstellungen; gleichzeitig scheinen der Debatte um die Librettoforschung diskursive Ordnungskräf- te zu fehlen, weshalb die einzelnen Beiträge zu selten aufeinander aufbauen. Zudem erweist sich der Librettobegriff selbst als derart unscharf, dass eine fachübergreifende Konkretisierung mehr als er- forderlich ist. Besonders heikel erweist sich – über sämtliche Disziplinen hinweg – eine wachsende Begeisterung für das Erstellen neuer Ansätze und Theorien zum Libretto, die zwar vielfach eine kom- plexe Systematik anbieten, aber dabei oft mit historischen Gegebenheiten kollidieren: Wenn eine Librettotheorie jedoch nicht mit einer Sachgeschichte des Librettos korreliert, wird deren Nutzen fragwürdig.

Im Verlauf der folgenden Untersuchung wird sichtbar werden, dass eine grundsätzliche Proble- matik der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Libretto darin besteht, dass sich die Lib- rettoforschung mehrheitlich kaum trennscharf von einer ihr übergeordneten Opernforschung unter- scheiden lässt. Vielfach wird die Annahme vertreten, dass sich das »Wesen« des Librettos nur unter Berücksichtigung der es umgebenen Strukturen vollständig und wissenschaftlich befriedigend er-

1 Schultze 1973, S. 358.

(10)

schließen lässt, wodurch bei den folgenden Überlegungen zwar das Libretto als Gegenstand zentralen Raum fordert, die dabei eingenommenen Perspektiven jedoch stets auch das Verbundsystem Oper (und damit Aspekte wie das Ineinandergreifen von Text, Musik und Szene) integrieren. Hierbei gilt allerdings noch immer Friedrich Schultzes Feststellung von 1973: »So ganz genau wissen wir noch immer nicht, was eine Oper ist – wie sollten wir also wissen, was ein Libretto ist.«

2

Die Perspektive der vorliegenden Arbeit versteht sich dabei unabhängig der fachspezifischen Hin- tergründe ihrer Entstehung explizit als »über«-disziplinärer (der – beinahe inflationäre – Begriff interdisziplinär soll hier bewusst vermieden werden) Ansatz, der nicht – wie häufig anzutreffen – den Weg einer bestimmten Fachdisziplin zum Gegenstand Libretto verfestigen will, sondern dieses vielfach widersprüchlich scheinende Objekt in seiner angespannten und widersprüchlichen Position zwischen den wissenschaftlichen Fachdisziplinen (und damit analog zu seiner angespannten und widersprüchlichen Position innerhalb der Oper) greifbar machen möchte.

Ein Herantreten an die problematischen Aspekte der Librettoforschung kann von verschiedenen Seiten erfolgen; in der Praxis wird meist aus einer beliebigen Fachdisziplin oder Fragestellung heraus das Libretto zum Gegenstand näherer Auseinandersetzung gemacht und dann festgestellt, dass nicht im erforderlichen Umfang auf validierte Ergebnisse einer kohärenten oder zumindest konturierten Fachdisziplin Librettoforschung zurückgegriffen werden kann – die erneute Auseinandersetzung mit grundlegenden Fragen ist die unvermeidbare Folge. Mit welcher konkreten Zielsetzung dabei im Einzelnen an das Libretto herangetreten wird, erweist sich insofern als sekundär, als dass – auch dies zeigt sich bei Einsichtnahme in die relevante Forschungsliteratur deutlich – letztlich stets derselbe (Kern-)Bereich relevanter Fragen und Aspekte tangiert (oder auch ignoriert) wird. Aus diesem Grund ist es für Untersuchungen zu einer fachübergreifenden Librettoforschung zunächst unerheblich, ob die Annäherung nun beispielsweise seitens der Literaturwissenschaft erfolgt, die Literaturadaptionen fokussiert, oder der Medienwissenschaft, die auf der Suche intermedialer Austauschprozesse zwi- schen Text und Musik ist (wobei sich diese Austauschprozesse wiederum als ebenso relevant für die Theaterwissenschaft erweisen) – oder aber der Komparatistik oder bestimmten Richtungen der Mu- sikwissenschaft; in gleicher Weise betrifft dies auch die Übersetzungswissenschaft, wenn sie sich die Frage stellt, inwieweit verbindliche Kopplungen des Wortes an den Ton bestehen, während die Editi- onswissenschaft Status und Bedeutung differierender Textstadien untersucht etc.; bereits hier wird deutlich, wie sehr die beteiligten Disziplinen über den gemeinsamen Gegenstand Libretto miteinan- der verknüpft sind, wenn auch das jeweilige Forschungsinteresse oftmals erheblich zu divergieren scheint. Die Problematik und Brisanz der Librettoforschung soll daher an einer exemplarischen Konstellation, die zugleich als Ausgangspunkt der Untersuchungen dienen kann, dargelegt werden.

Wie in Kapitel 4.2 dieser Untersuchung sichtbar werden wird, sind für das erstarkende wissen- schaftlich-universitäre Interesse am Libretto seit Beginn des 20. Jahrhunderts im Wesentlichen zwei Faktoren ausschlaggebend – einerseits das Phänomen Richard Wagner und andererseits die soge- nannte Literaturoper: Dieses Prinzip der Adaption von Literatur durch die Oper ist aus unterschied- lichen Gründen von nachhaltiger Bedeutung und eignet sich daher als Ausgangspunkt, um einfüh- rend einige grundlegende Schwierigkeiten der Librettoforschung zu beleuchten. Die folgenden Über- legungen kreisen somit um die auf den ersten Blick möglicherweise simpel anmutende Fragestellung

2 Schultze 1973, S. 358.

(11)

nach sach- und zweckdienlichen Analysekriterien für Adaptionen von Texten für die Oper.

3

Eine solche Transformation beschreibt Oscar Bie 1913 folgendermaßen:

Sobald sich ein Literaturstoff genügend abgesetzt hat, um Zitat werden zu können, greift die Musik nach ihm und knechtet ihn. Ein Fischfang sondergleichen von einer Kunst in der anderen, keine Umsetzung wie in der Malerei, sondern ein Fischfang mit Zubereitung und Sauce. Ist es künstlerisch hoch zu schätzen?4

Der weit verbreitete – nicht nur durch dieses Zitat gestärkte – Eindruck, es würde sich bei diesem Untersuchungsgegenstand um kein komplexes Thema handeln, mag einerseits daher rühren, dass man zunächst geneigt ist, es auf das Phänomen Literaturoper zu limitieren:

5

Es wird im weiteren Verlauf jedoch deutlich werden, weshalb eine solche Eingrenzung nicht ohne Weiteres vorgenommen werden kann. Außerdem fehlen – mindestens innerhalb der Theaterwissenschaft, aber ebenso in der Literatur- und auch der Medienwissenschaft sowie in der Musikwissenschaft – befriedigende, vor allem jedoch anwendbare Analysekriterien (oder eigentlich: eine funktionierende Methodik), um die Relation von Vorlage und korrespondierendem Libretto aussagekräftig taxieren zu können: Allzu oft laufen solche Ermittlungen Gefahr, lediglich Analogien und Differenzen von Ausgangs- und Zieltext aufzulisten. Dass hierbei nicht nur auf die literarische Komponente alleine abgezielt werden sollte, überlegt etwa Nassim Winnie Balestrini:

The study of the relationship between literary texts and their creative offspring will remain one-dimensional if it limits itself to comparative lists of plot features. More complex inquiries require an understanding of the constituent parts and the characteristics of each artistic medium.6

Die fatale Konsequenz aus eindimensionalen Analysen resultiert meist in einem apodiktischen Ver- dikt über das Libretto als defizitärem Derivat einer – was die künstlerische Qualität anbetrifft – hö- herwertigen Vorlage. Von einem fundierten wissenschaftlichen Procedere muss allerdings mehr ver- langt werden, etwa, ob das Libretto als künstlerische Artikulationsform sui generis zu verstehen sein könnte und damit, sobald es in Bezug zu einem anderen Kunstwerk (seiner literarischen Vorlage etwa) gesehen wird, auch hinsichtlich seiner spezifischen Strukturen zu behandeln wäre; dies wo- möglich unter der Prämisse, dem Libretto einen emanzipierten Status zuzugestehen, welcher über den reiner Gebrauchsliteratur hinausgeht:

Bevor indes begonnen werden kann, erhebt sich eine nicht wenig peinliche Frage: die, ob das Libretto überhaupt ein Genre sei. Sicher, irgendwas ist es. Es ist eine Menge von Worten und geht gelegentlich bei Reclam zu kaufen. Dar- über hinaus sind kaum Bestimmungen dieses Dings unternommen worden.7

3 Über mögliche und exakte Begriffsvorstellungen von Termini wie Text und Oper wird zu gegebener Stelle noch ausführlich zu diskutieren sein. Für einführende Überlegungen mag zunächst eine noch nicht näher eingeschränkte, diffuse und somit bewusst unscharfe Begriffsverwendung genügen.

4 Bie 1923, S. 26.

5 Ein Blick in die Operngeschichte offenbart jedoch, dass diese Limitierung insofern unbegründet ist, als nur eine geringe Anzahl Originallibretti (dieser Terminus hat sich für die Bezeichnung eigens für das Musiktheater konzi- pierter Vorlagen etabliert) existiert: Die überwiegende Mehrheit aller Libretti besteht aus Bearbeitungen bereits existierender Vorlagen. Ausnahmen, also Originallibretti, »[…] sind z.B. die Libretti zu Mozarts Così fan tutte, zu Wagners Meistersingern oder zu Strauss’ Rosenkavalier.« (Plachta 2003, S. 17). Der Librettist Claus H. Henneberg nennt noch Elegy for Young Lovers (Hans Werner Henze und W. A. Auden/Chester Kallman) sowie Palestrina (Hans Pfitzner) (vgl. Henneberg 1985, S. 261).

Allerdings wird – vereinzelt – eine abweichende Begriffsauffassung vertreten: Gabriele Buschmeier etwa ver- steht unter dem Terminus »Originallibretto« nicht eigens für das Musiktheater konzipierte Texte, sondern speziell für einen bestimmten Komponisten angefertigte Libretti – nach ihrer Definition wäre das Libretto Iphigénie en Au- lide, vom Librettisten du Roullet nach der Tragödie von Jean Racine für Christoph Willibald Gluck geschaffen (UA 1774), ein Originallibretto, während es dagegen aus der Sicht der Mehrheit (nur) eine Adaption darstellt (siehe dazu Buschmeier 1998, S. 159ff.).

6 Balestrini 2005, S. 15.

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Peter Hacks formuliert hier zwar eingängig, jedoch nicht präzise: Die Auseinandersetzung mit dem Libretto war stets Gegenstand der Beschäftigung mit der musikdramatischen Gattung Oper – seit deren Entstehung. Allerdings erfolgte diese Auseinandersetzung vielmals latent, etwa wenn über das Verhältnis von Wort und Ton verhandelt wurde. Eigentlich kritisiert Hacks in seiner Erörterung aus dem Jahr 1976 damit das bis dato schwach ausgeprägte wissenschaftliche Verantwortungsbewusst- sein diesem Ding gegenüber, welches sich erst ab dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts vermehrt artikuliert, wie beispielsweise Carl Dahlhaus 1986 diagnostiziert:

Die Librettoforschung – jahrzehntelang von der Literaturwissenschaft vernachlässigt und der Musikwissenschaft überlassen, für die sie aber gleichfalls eine Verlegenheit bedeutete – ist eine noch unsichere, ihren Weg suchende Disziplin oder Teildisziplin, deren Ziele einstweilen ebenso wenig feststehen wie die Methoden, mit denen sie er- reicht werden sollen.8

Noch im Jahr 2003 stimmt Bodo Plachta

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in die von Klaus Günther Just 1975 formulierte Klage vom Libretto als unbekannte literarische Größe

10

ein. Offenbar wird, neben den bereits von Dahlhaus erwähnten Zielen und Methoden, auch heute noch die Positionierung und Behandlung des Gegen- standes der Librettoforschung als vakant oder einseitig empfunden; so beschreibt etwa Christoph Nieder im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft 2000 eine gewisse Schieflastigkeit:

In den 1950er Jahren begann unter komparatistischen, aber auch unter sozialgeschichtlichen Aspekten eine über- greifende Librettoforschung, gestützt eher auf musik- und theater- als auf literaturwissenschaftliche Forschung: Das Libretto wurde als Gebrauchsform erkannt […] Quantitativ dominiert bis heute die exklusive Beschäftigung mit an- erkannten Dichtern […]11

Wenn also die Erkenntnisleistungen über das Libretto selbst derart dünn sind, dann scheint die wis- senschaftliche Greifbarkeit von Literaturadaptionen durch die Oper ebenfalls kaum möglich, wie etwa der südafrikanische Sänger und an der Universität von Sydney lehrende Musikwissenschaftler Michael Halliwell formuliert: »Indeed, the attempt to construct an all-embracing theory of the oper- atic adaption of fiction would, in my opinion, be doomed to failure, such is the multiplicity of the operatic response.«

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Dazu tritt noch die in zunehmendem Maße virulente Frage nach der Zuständig- keit, die inzwischen neben Literatur- und Musikwissenschaft auch Theater- und Medienwissenschaft betrifft: Gerade für eine an intermedialen Prozessen orientierte Perspektive der Medienwissenschaft rücken adaptive Vorgänge, wie sie in der Veroperung

13

literarischer Texte erkennbar sind, als Medi- enwechsel in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses, worauf allerdings eine sich keineswegs auf die Wirkungsästhetik beschränkende Theaterwissenschaft ebenso wissbegierig blickt. Das Libretto als Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung bewegt sich somit zweifelsohne im Nexus

7 Hacks 1976, S. 209.

8 Dahlhaus 1986, S. 95.

9 Plachta 2003, S. 15.

10 Vgl. Just 1975, S. 203.

11 Nieder 2000, S. 419f.

12 Halliwell 2005, S. 1.

13 Es ist einleuchtend, dass dieser Begriff, dessen Überwindung z. B. Giselher Klebe postuliert, partielle Verstimmun- gen hervorrufen mag: Ziel sei es, die Einheit von Text und Musik als Ausdrucksform sui generis zu verstehen, »[…]

dann entfällt der Begriff ‚Veroperung’ als lächerliche Hilfskonstruktion, so, wie der Begriff ‚Literaturoper’ allenfalls eine Klassifizierung für ein Schubkastensystem wird. Stil und Technik einer Oper oder eines Musikdramas werden dann deutlichere Kriterien gewinnen.« (Klebe 1982, S. 178). Dennoch wird dieser Begriff hier verwendet, um in nuce einen Vorgang beschreiben zu können, für welchen sonst nur längere und weniger konkrete Termini in Frage kom- men würden.

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mindestens dieser vier Disziplinen – ob auch die Librettoforschung exakt dort zu verorten ist, bleibt zu späterer Stelle zu diskutieren.

Damit ist zugleich die Frage nach Art und Umfang der Analyse gestellt: Folgt man etwa den Aus- führungen von Albert Gier, »[…] neben Dieter Borchmeyer Doyen der Librettoforschung […]«

14

, der das Libretto in derartiger Konsequenz als rein literarisches Phänomen

15

begreift, dass er die Wech- selwirkungen von Text und Musik für die Sinnebene schlichtweg ausklammert,

16

dann lägen Interde- pendenzen von Text und Musik a priori nicht im Zielbereich der Librettoforschung,

17

die sich damit als Appendix der Literaturwissenschaft erweisen würde (übrigens eine Forschungstendenz, die teil- weise unter der eigenen Bezeichnung Librettologie firmiert)

18

. Andere Ansätze, wie etwa der des amerikanischen Germanisten Ulrich Weisstein, beziehen zwar durchaus mehrere der oben genann- ten Disziplinen ein, verweisen jedoch kategorisch die Theaterwissenschaft vom Platz:

Als wahrhaft literarische Komponenten des Dramas bleiben also mythos, ethe, dianoia und lexis übrig. Auf sie müß- te die Librettologie ihr Hauptaugenmerk richten, während die Befassung mit opsis (szenische Gestaltung und Konfi- guration, Bühnenbild, Kostüme und Beleuchtung) dem Theaterwissenschaftler – eventuell in Zusammenarbeit mit dem Kunsthistoriker – zu überlassen wäre. Die melopoeia nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als sie im Grenz- land zwischen Musik und Dichtung angesiedelt ist und somit in Gemeinschaftsarbeit von Literatur- und Musikwis- senschaft erfaßt werden muß. Im griechischen Drama war bekanntlich der Anteil der rein instrumentalen Stellen äußerst gering, weil Text und Ton miteinander verschwistert waren und es weder Ouvertüren noch Zwischenaktmu- siken gab. Da bei modernen Opern die Bandbreite der möglichen Beziehungen zwischen den beiden Künsten weit- aus größer ist und die Übergänge fließend sind, wird bei opernkundlichen Studien eine Arbeitsteilung erfolgen müs- sen, wobei sinngemäß einmal (bei der Befassung mit gesprochenen Dialogen und Rezitativen) die Literaturwissen- schaft, das andere Mal (bei der Befassung mit Arien und Ensembles) die Musikwissenschaft zum Zuge kommen wird.19

Weissteins Postulat nach strikter Arbeitsteilung von Theater-, Literatur- und Musikwissenschaft, durch welches sich eine zeitgemäße Theaterwissenschaft durchaus diskreditiert fühlen könnte, ver- deutlicht allerdings ein prekäres Merkmal des vorliegenden Problembereichs: Die Analyse von Korre- lationen und Interdependenzen im Bereich Text und Musik setzt Kompetenzen in beiden Disziplinen voraus. Um Fehlurteile zu vermeiden, klammert Weisstein somit den musikalischen Bereich aus und kann damit auf dem für ihn sicheren Terrain der Literaturwissenschaft bleiben – ebenso wie Gier.

Auf der anderen Seite ist beispielsweise eine Theaterwissenschaft, die sich explizit nicht als auf den Bereich der Opsis reduziert verstanden werden möchte, wiederum auf Ergebnisse der Literatur- und Musikwissenschaft gleichermaßen angewiesen, wenn sie ihren Gegenstand wissenschaftlich befriedi- gend ansprechen möchte: Sämtliche die Opsis betreffenden Vorgänge können eine adäquate Behand- lung nur dann erfahren, wenn Herkunft bzw. Genese bekannt sind. Da das Libretto und seine Stoff- wechselvorgänge aber von der Librettoforschung respektive Literatur- und Musikwissenschaft nicht ausreichend erfasst scheinen, kann aus Sicht der Theaterwissenschaft nicht auf eine breite Basis bereits vorhandener und befriedigender Analysen zurückgegriffen werden.

14 Engel/Schoner 2006b, S. 10.

15 Gier 1998a, S. VII.

16 »Die Musik mag diese Geschichte modifizieren, indem sie z. B. die Empfindungen der Figuren präzisiert oder um- deutet; ein Regisseur mag weitere Änderungen vornehmen (z. B. Striche). Der Sinn des Textes verändert sich dadurch nicht.« (ibd., S. 16).

17 Man versteht übrigens Gier schon recht, wenn man seine Aussagen in dieser Weise deutet, denn er konstatiert:

»Libretti, so haben wir gesagt, sind literarische Texte; als solche sind sie Gegenstand der Literaturwissenschaft, die unter Umständen genötigt (und berechtigt) ist, den Aspekt der Vertonbarkeit zu vernachlässigen.« (ibd., S. 19).

18 Siehe dazu Kapitel 4.1.

19 Weisstein 1986, S. 155.

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Damit wird bereits eine Gretchenfrage librettologischer Auseinandersetzungen (und somit auch der vorliegenden Arbeit) tangiert: Kann das Phänomen Libretto aus einer einzelnen Fachperspektive überhaupt zufriedenstellend betrachtet werden oder ist nicht stets die Integration weiterer Diszipli- nen erforderlich? Umgehen lässt sich die Problematik zweifellos auf die Weise, den Gegenstand ent- sprechend der eigenen Fachrichtung zu verorten bzw. definieren, um dann – theoretisch abgesichert – die jeweils reziproke Disziplin nicht in Anspruch nehmen zu müssen: Ein Beispiel für die Präferenz der Literaturwissenschaft findet sich in oben zitierter Aussage von Gier, eine Gegenposition etwa bei Anna Amalie Abert, die 1960 in ihrer Beschreibung des Librettos in der ersten Auflage von Musik in Geschichte und Gegenwart äußert: »[…] es erweckt den Eindruck einer literarischen Gestaltung, ist aber mit literarischen Maßstäben nicht zu messen […]«

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Zwar können weder die vorliegende Arbeit noch ihr Autor ihren fachlichen Background verleugnen oder sich anmaßen, Kompetenzen in frem- den Bereichen zu besitzen; andererseits schiene es jedoch ebenso dubios, die Theoriebildung dahin- gehend zu präferieren (oder gar zu manipulieren), um einer fachfremden Analyse entgehen zu kön- nen.

Es gilt ferner zu klären, ob und in welchem Umfang die Librettoforschung bzw. Librettologie für die Analyse von Wort-Ton-Relationen verantwortlich zeichnen kann (oder muss) und ob sie gegebe- nenfalls in der Lage ist, ein analytisches Instrumentarium bereitzustellen; in diesen Zusammenhang fällt auch eine exakt formulierte Abgrenzung gegenüber der Opernforschung. Grundlegende Hürden bestehen aufgrund der Tatsache, dass sich der Begriff Oper bzw. Musiktheater aus einer Fülle teil- weise hochgradig differierender Subgattungen konstituiert, welche sich zudem in ihrem historischen Verlauf als überwiegend inhomogen erweisen. Damit scheint eine einheitliche und diachronisch an- wendbare Theoriebildung prinzipiell fragwürdig; unter Umständen ist eine »solide« Libretto-Theorie daher nur individuell auf der Folie der jeweiligen Gattung denk- bzw. konstruierbar. Nicht nur vor dem Hintergrund, den Transfer bestimmter Inhalte von der Literatur in das Musiktheater als Medi- enwechsel zu begreifen, sondern auch das Zusammenspiel von Text und Musik innerhalb des Medi- enverbundes Oper betreffend, könnte ein Heranziehen (inter-)medialer Ansätze indiziert scheinen – und wird in jüngerer Zeit auch mehrfach vollzogen. Dabei ist jedoch stets genau zu prüfen, ob sich damit ein genuiner wissenschaftlicher Mehrwert generieren lässt oder sich nicht hinter einer En- Vogue-Nomenklatur doch nur die üblichen Verdächtigen verbergen. Besonders die Frage nach der Bedeutungsfähigkeit der Musik rekurriert (übrigens wie die Ansätze der Intermedialitätsforschung) mehr oder weniger direkt auf semiotische Prozesse; in nuce betrifft dies etwa die Frage danach, ob Musik als ein System aus Zeichen begriffen werden kann oder nicht: Es geht damit auch um (Musik- )Semiotik, verbunden mit der Erörterung, ob musikalische Bedeutung im Zusammenhang mit einer textlichen Ebene nur forciert durch Erinnerungs- bzw. Leitmotive evoziert werden kann.

Somit sind einige grundlegende problematische Aspekte der Librettoforschung kurz genannt;

deutlich wird dabei, welch weites und komplexes Feld sich auf der Suche nach der Positionierung und dem Wirkungskreis der Librettoforschung öffnet. Bisher wurden keine Versuche unternommen, es in seiner ganzen Komplexität zu erfassen und beschreiben.

Bei genauerer Betrachtung der formulierten Problemstellungen, die allesamt nur der ersten groben Annäherung und Verdeutlichung dienen, wird rasch sichtbar, dass sich die vielen allein bis hier auf-

20 Abert 1960, Sp. 711.

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geworfenen Fragen dieser Untersuchung kaum befriedigend beantworten lassen, da dies die Existenz einer fundierten wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Libretto voraussetzen würde. Auch wenn vereinzelt Anderes kolportiert wird: Es fehlt auch heute noch eine interdisziplinäre Librettofor- schung – oder zumindest anerkannte minimale Standards für den wissenschaftlich-analytischen Umgang mit Libretti. Daher verschiebt sich die Fragestellung des Beispiels des vorangegangenen Abschnitts von der Suche nach validen Analysekriterien für Adaptionen von Texten für die Oper hin zur Suche nach einem (zumindest rudimentären) Korpus der Librettoforschung: Es gilt daher, die amorphe Masse der bisher zu diesem Thema erfolgten Beiträge kritisch zu sichten und daraufhin zu prüfen, ob sich zumindest marginale Konturen einer Form der Librettoforschung (sowie unter be- stimmten Bedingungen der Librettologie) erkennen lassen – oder ob sich die Idee einer einheitli- chen, diskursiv institutionalisierten Erforschung des Librettos doch nur als Phantasma erweist. Da- mit wird zugleich deutlich, dass sich der Untersuchungsraum auf Aspekte der Librettotheorie kon- zentrieren muss. Da diese nicht in einheitlicher Form vorliegt, ist die vertiefte Einsichtnahme in die Entwicklung der Librettoforschung erforderlich, um deren Konturen aus diesem riesigen, aber zu- gleich stark diffusen Materialberg destillieren zu können. Erst auf einer solchen Grundlage scheinen Überlegungen über Sinn und Unsinn einer umfassenden Librettotheorie, deren Reichweite und den daraus resultierenden Ableitungen zur Analyse fundiert und erkenntnisbringend möglich. Damit sind zugleich Forschungsdesiderat und Ziel dieser Untersuchung benannt: Sämtliche auf das Libretto als wissenschaftlichen Untersuchungsgegenstand rekurrierenden Ansätze sind ab einem gewissen Punkt mit der Vakanz einer einheitlichen Librettoforschung konfrontiert, die sich als Resultat einer fehlen- den Librettotheorie ergibt. Allerdings stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob eine einheit- liche und universale Librettotheorie einerseits überhaupt konstruierbar ist und andererseits, ob sich dadurch ein wissenschaftlicher Mehrwert generieren ließe. Ziel ist somit die diskursive Ordnung der Librettoforschung, um daran Existenzberechtigung und Möglichkeiten einer Librettotheorie erhalten zu können.

Aufgrund der Beobachtung, dass aus unterschiedlichen Gründen in der relevanten Literatur oft- mals die historische Sachgeschichte des Librettos einseitig rezipiert wird und damit manche Ergeb- nisse entweder korrumpiert oder stark tendenziös sind, scheint eine knappe Vergegenwärtigung der historisch relevanten Positionen des literarischen Umgangs mit dem Libretto unvermeidbar (Kapitel 2). Zweifelsohne kann diese kurze Darlegung keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erheben (was nicht nur unter den hier geltenden Umständen ein vermessener Ansatz wäre) und mag für bereits tiefer mit dem Gegenstand Vertraute gar redundant scheinen;

21

allerdings zeigt sich an einer Vielzahl der in der Fachliteratur vorgebrachten Argumentationen, dass dieses Wissen nicht pauschal voraus- gesetzt werden kann, aber für valide Begründungen obligatorisch ist: Gerade für ein Herantreten aus der Literatur- oder Medienwissenschaft, aber auch der Theaterwissenschaft ist die Verständigung über grundlegende historische Gegebenheiten unabdingbare Voraussetzung. Besonders im Falle der eingangs beschriebenen Literaturadaptionen befindet sich der Ausgangspunkt (Wie verändert sich ein in die Oper hinein getragener Text?) zudem gerade außerhalb des Musiktheaters.

21 Es ist dabei zu betonen, dass dieser Abschnitt nicht an Fachleute oder Kenner der Operngeschichte adressiert ist (und daher auch keinerlei Anspruch einer Vollständigkeit oder Abbildung neuester Forschungsergebnisse erheben kann), sondern als minimale Vorüberlegung einer »über«-disziplinären, nicht fachlich gebundenen Librettofor- schung gedacht (und erforderlich) ist.

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Diese historisch orientierte und bestenfalls kursorische Vergegenwärtigung wesentlicher Statio- nen und Phasen des Librettos wechselt für das 20. Jahrhundert in eine systematische Perspektive über: Da der Komplex Literaturoper ein dominierendes Prinzip des Musiktheaters dieser Periode darstellt, ist es indiziert, diesen umstrittenen Terminus an dieser Position (Kapitel 3) ausführlicher zu diskutieren. Eine Klärung einer Ausnahme bzw. eines bestimmten Feldes, so wie es der Begriff Literaturoper meist repräsentiert, setzt die Bestimmung des Regelfalles voraus, denn für eine struk- turelle Beobachtung der Relation von Text und Musik einer Oper scheint es zunächst irrelevant, ob die textliche Komponente aus einem Original oder Derivat besteht. Erst wenn auf allgemeiner Ebene das Verhältnis zwischen Libretto und Partitur greifbar ist, wird es sinnvoll, nach potentiellen spezifi- schen Eigenschaften dessen zu fragen, was unter Literaturoper verstanden wird oder werden kann.

Dennoch ist es im Rahmen der vorgenommenen Argumentation angebracht, bereits vor der Bespre- chung des Librettos »an sich« und seiner Behandlung auf allgemein-theoretischer Ebene dieses Prin- zip grundlegend in einem eigenen Kapitel zu beleuchten: Einerseits, weil sich die überwiegende Pro- duktion musiktheatraler Werke im 20. Jahrhundert mit diesem Begriff auseinandersetzen muss und andererseits, weil die Erörterung allgemeiner Perspektiven auf das Libretto sowie des bisherigen Forschungsstandes der Librettoforschung bzw. Librettologie (auch diese Termini werden im Übrigen geklärt werden müssen) wesentlich differenzierter verlaufen kann, wenn bereits wesentliche Aspekte dieser Thematik bekannt sind.

Damit widmet sich der darauf folgende Abschnitt (Kapitel 4) einer Vorstellung und Diskussion des aktuellen Torsos der Librettoforschung. Die Auseinandersetzung mit der relevanten Literatur erweist sich dabei als deutlich amplifiziert: Während in aller Regel nur einige einschlägige Publikati- onen gelistet und wenige kommentiert werden, erfolgt hier eine Besprechung beinahe aller als rele- vant erachteten Beiträge. Dafür existieren mehrere stichhaltige Gründe: Zunächst ist die signifikante Heterogenität der einzelnen Richtungen, aus denen eine Beschäftigung mit dem Libretto erwächst, zu nennen: Neben der Musikwissenschaft erfolgen Beiträge seitens der Literaturwissenschaft und dort im speziellen der Komparatistik oder Linguistik; daneben finden sich ebenso Publikationen aus anderen Disziplinen wie etwa der Translatologie, aber auch der Theater- sowie der Medienwissen- schaft und der Editionsphilologie. Dass sich dadurch eine immense Fülle an Beiträgen ergibt, ist einleuchtend – ebenso deutlich wird aber auch, dass nicht alle Beiträge identische Relevanz bean- spruchen können. Auch deswegen erfolgt eine detaillierte Besprechung der zur Verfügung stehenden Literatur, damit deren divergierende Wichtigkeit für die Diskussion ersichtlich wird (und somit auch eine – für dieses Stadium der Disziplinbildung erforderliche – »Klassifizierung« erfolgen kann, da- mit nicht Texte von geringer oder nicht vorhandener Relevanz immer wieder als vermeintlich wichti- ge Literatur mitgeführt oder gar »wiederentdeckt« werden). In diesem Zusammenhang – und dies kann ebenfalls nur durch diese Art der Darstellung vermittelt werden – wird sichtbar, dass interes- santerweise eine große Anzahl als wesentlich einzustufender Beiträge beinahe kontaktlos nebenei- nander herläuft: Bereits erfolgte Beobachtungen werden entweder ignoriert oder Jahre später als vermeintlich »neue« Entdeckung vorgestellt; selbst innerhalb der gleichen Forschungsrichtung blei- ben die Untersuchungen oftmals erstaunlich (und damit zugleich erschreckend) isoliert. Es fehlt bis heute eine Zusammenfassung des Diskurses, auf deren Basis sich eine einheitliche Librettoforschung überhaupt erst entwickeln kann, da die bisher erfolgten Beiträge zu disparat sind.

Aus diesem Forschungsdesiderat resultiert auch das Angebot einer (Auswahl-)Bibliographie zur

Theorie der Librettoforschung (Kapitel 6.1), damit an zentraler Stelle die für eine Theoriebildung

relevanten Schriften erfasst sind; während anderweitig oftmals sämtliche Beiträge zum Libretto gelis-

(17)

tet werden, finden hier ausschließlich diejenigen Publikationen Berücksichtigung, die entweder selbst einen signifikanten Schwerpunkt auf die Theoriebildung der Librettoforschung legen oder aber von der Mehrzahl der Forschenden als relevante Literatur verstanden werden. Dass die damit in Frage kommenden Schriften nicht immer trennscharf unterteilt werden können, liegt zweifelsohne auf der Hand. Und da die Beobachtungen zum Libretto aus höchst unterschiedlichen Perspektiven erfolgen, werden einzelne Publikationen immer wieder in Winkeln ihrer jeweiligen Disziplin »vergessen« wer- den und so einer breiten Rezeption entgehen. In dieser Untersuchung (und somit auch in der biblio- graphischen Übersicht) werden im Übrigen deutsch- und englischsprachige Beiträge fokussiert. Dies sollte dabei weniger als konzeptionelle Schwäche verstanden werden: Wie spätestens nach Ende der Besprechung der relevanten Literatur der Librettoforschung deutlich wird, zeigt sich an diesem Kor- pus eine gewisse Kluft innerhalb der Geistes- und Kulturwissenschaft zwischen germanischen und romanischen Sprachkreisen: So scheinen sich Schnittmengen zwischen englisch- und deutschspra- chiger Forschung auf der einen Seite und zwischen französischen und italienischen Publikationen auf der anderen Seite zu ergeben, während jedoch der Austausch zwischen diesen beiden Blöcken eher als gering einzustufen ist. Damit stand diese Untersuchung zur Librettoforschung auch vor der Ent- scheidung, sich tendenziell einer der beiden Linien zuwenden zu müssen (die in diesem Fall aufgrund der Positionierung der Arbeit sowie der nicht in allen Sprachen gleich ausgeprägten und daher einge- schränkten Kompetenz des Verfassers auf den deutsch- und englischsprachigen Bereich fiel). Zumin- dest wurde versucht, wesentliche Publikationen aus dem romanischen Bereich mindestens in der Bibliographie zu nennen und somit zu integrieren.

In Kapitel 5 erfolgt neben einer grundsätzlichen Bilanzierung der Befunde aus dem vorhergehen- den Abschnitt eine Ableitung dieser Einsichten für eine (zukünftige) Auseinandersetzung mit dem Libretto, die sich besonders mit der Diversität der Librettobegriffs auseinandersetzen müsste (Kapi- tel 5.2); daneben scheinen funktionsfähige Zugänge zu seiner Analyse nur möglich, wenn eine Kon- zentration auf die grundsätzliche Kernaspekte der Oper erfolgt (wie sie etwa in einer kontinuierlichen Spannung zwischen Textualität und Performativität sichtbar werden sowie in ihrer spezifischen Konfiguration, die sie in erster Linie als Gesangstheater erscheinen lässt und weniger als Musikthea- ter (Kapitel 5.3)). Ein abschließendes Fazit über Sinn und Unsinn der Librettologie wird in Kapitel 5.4 vorgestellt.

Soweit es jeweils für die Argumentation erforderlich schien, wurden Referenzstellen der For- schungsliteratur nicht paraphrasiert, sondern nach Möglichkeit stets im Originallaut wiedergege- ben.

22

Mag dieses Procedere auch aus mancher Perspektive hypertroph scheinen, so gleicht sich dies allerdings wiederum durch den unbestreitbaren Vorteil aus, dass in einer Art intertextuellem Netz gleichsam alle relevanten Zitate mitgeführt werden, was sich besonders im Falle nicht unmittelbar zugänglicher Literatur als nicht unkomfortabel erweisen dürfte. Gleichzeitig lassen sich damit die diskutierten Positionen vom Leser selbst unmittelbar in Relation zu den vorgebrachten Thesen dieser Arbeit beurteilen.

22 Zugleich wurde den Regeln wissenschaftlichen Zitierens entsprechend bis auf wenige gekennzeichnete Ausnahmen eine strenge Orientierung an der ursprünglichen Orthographie und Typographie eingehalten sowie für den Kernbe- reich der unmittelbar relevanten Literatur zur Librettoforschung – soweit möglich – stets in die Erstpublikation Einsicht genommen (dies ist etwa besonders bei Aufsätzen relevant, die teilweise Jahre später erneut Eingang in Sammelbände fanden). Die Fußnoten wurden entsprechend DIN 5008 über alle Seiten hinweg fortlaufend mit ara- bischen Ziffern nummeriert.

(18)
(19)

2. D AS L IBRETTO ALS K OMPONENTE EINES UNMÖGLICHEN

K UNSTWERKS

23

Wenn Albert Gier sagt »Ehe das Libretto als Text wahrgenommen wird, ist es Buch.«

24

, bezieht er sich damit auf den historischen Vorgang des Namenstransfers von der Form auf den Inhalt: Als Aus- prägung des Programmheftes avant la lettre bezeichnet der Terminus libretto im Italien des 17. Jahr- hunderts eine meist kleinformatige (ca. 10 x 15 cm) gedruckte Fassung der Bühnendichtung:

Es wird am Abend im Theater verkauft, außer dem Personenverzeichnis (meist mit Angabe der Besetzung) enthält es u.a. eine kurze Inhaltsangabe der Oper. Wer es genau wissen will, kann freilich auch den vollständigen Text mit- lesen: Da der Zuschauerraum bis weit ins 19. Jahrhundert hinein hell erleuchtet blieb, war dies ohne Weiteres mög- lich.25

Mit Beginn des 18. Jahrhunderts wurde erstmals mit dem vom Format des Druckerzeugnisses abge- leiteten Diminutiv (vom italienischen Begriff libro = Buch)

26

auch der Inhalt der Bühnendichtung bezeichnet; eine Verbreitung erfolgte rasch im europäischen Sprachraum

27

, als etabliert kann der Begriff jedoch erst im Verlauf des späteren 19. Jahrhunderts betrachtet werden.

28

Eine der wesentlichen Folgerungen aus diesem Sachverhalt formuliert Hermann Dechant: »Der [sic!] libretto belegt mit seiner Erscheinungsform, daß auch die frühere Opernpraxis mit dem Prob- lem der Textverständlichkeit rang.«

29

Selbst für italienische native speaker des 17. Jahrhunderts war also ein barrierefreier Zugang zu den durch Sprache vermittelten Inhalten einer Oper nicht ohne Hilfestellung möglich; dass ein Interesse des Publikums an der textlichen Komponente auch heute virulent ist, zeigt sich in den projizierten oder digital erzeugten Übertiteln,

30

welche bei kaum einer Opernaufführung mehr fehlen. Es besteht demnach der Bedarf einer Informationstiefe, welche über den einer bloßen Zusammenfassung, wie sie etwa ein Opernführer bieten könnte, hinausreicht. In diesem Sinne vermerkt Benedetto Marcello im Jahr 1720 in seiner polemisch-satirischen Schrift Il Teatro allo moda:

Bemerkt der moderne [Hervorhebungen im Original; Anm. d. Verf.] Librettist die undeutliche Diktion eines Sän- gers, versuche er diese niemals zu korrigieren. Sieht der Sänger seinen Mangel nämlich ein und deklamiert fortan deutlicher, könnte dies den Absatz der Textbücher erheblich mindern.31

23 Vgl. Bie 1923, S. 9.

24 Gier 1998a, S. 3.

25 Ibd.

26 Arthur Groos weist unter Berufung auf Ulderico Rolandi (Rolandi 1951, S. 14-20) darauf hin, dass anfänglich neben dem Terminus libretto noch die Varianten libricciuolo und libriccino zirkulierten (Groos 1988, S. 2).

27 Gier erklärt: »Im Englischen ist libretto nach Ausweis der historischen Wörterbücher seit 1742 belegt, im Französi- schen seit 1817 – etwa gleichzeitig findet sich auch die Lehnprägung livret –, im Deutschen ist es seit den dreißiger, im Russischen seit den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts nachweisbar, im Spanischen seit 1884.« (Gier 1998a, S. 3). Nach den Ausführungen von Christoph Nieder erscheint der Terminus im Deutschen wohl erstmals konkret 1837 (und zwar in der Autobiographie des Theaterintendanten und Schriftstellers August Lewald; siehe Nieder 2000, S. 417).

28 Borchmeyer 1996, Sp. 1117.

29 Dechant 1993, S. 10.

30 Busse 2002, S. 411f. oder auch Bernicke 2006.

31 Marcello 2001, S. 9f. (Übersetzung von Sabine Radermacher). Die Originalstelle lautet: »In caso si accorgesse il Poeta moderno, che il Musico pronuncia male non dovrà però mai correggerlo, imperciocchè ravvedendosi il Virtu- oso, e parlando schietto potrebbe minorarsi l’esito de Libretti.« (Marcello 1730, S. 11).

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Das Interesse am Text bleibt übrigens auch bei Übersetzungen bestehen. Gier erklärt: »Bei Auffüh- rungen italienischer Opern im Ausland (England, Deutschland etc.) wird das Libretto gewöhnlich zweisprachig gedruckt – offenbar galten Inhalt und Wortlaut als gleichermaßen wichtig.«

32

Dabei dürfen divergierende Stadien innerhalb der Entwicklung des Librettodrucks nicht vernachlässigt werden: So gilt etwa für die ersten Druckeinrichtungen, dass die Libretti mit detaillierten Angaben zu einer bestimmten Inszenierung versehen waren (etwa Ort, Datum, Schöpfer, Mitwirkende etc. betref- fend; aber auch teilweise mit Textübersetzungen), wodurch sie in dieser Phase eher den am Abend im Theater angebotenen kontemporären Programmheften vergleichbar scheinen; im Laufe der Zeit variiert dies jedoch:

Diese Tradition des Textdruckes stammt aus der italienischen Oper und galt zunächst auch für deutschsprachige Stücke, änderte sich hier aber schon um 1800 [...] Die Änderungen betreffen alle aktuellen, auf die konkrete Auffüh- rung bezogenen Elemente, so daß aus dem Libretto nach und nach ein neutraler Textdruck wird, der ganz andere Funktion hat. [...] Als erste der aktuellen Angaben fallen die Namen der Ausführenden fort. [...] Nach den Sängern bleibt immer häufiger auch die Datierung fort. Die Libretti können dadurch weiterverwandt werden, wenn das Stück mehrere Jahre gespielt, die Besetzung längst gewechselt hatte und sogar, wenn es nach längerer Pause wieder auf- genommen wurde. Darüber hinaus konnten solche Textbücher aber auch vertrieben werden, wenn das Stück gar nicht mehr auf dem Theater gespielt, wohl aber z. B. als Klavierauszug zum eigenen Gesang zur Verfügung stand.

[...] Solche Publikationen übernehmen andere, ganz neue, nämlich konservierende Funktionen und unterscheiden sich vor allem dadurch von den zu wechselnden Theateraufführungen gehörenden Libretti.33

Die scheinbare etymologische Linearität der Bezeichnung libretto sollte dabei keinesfalls den Ein- druck der Absenz einer umfangreichen und heterogenen Nomenklatur erwecken:

Vorher und auch noch daneben aber bezeichnete man den Text einer Oper, eines Oratoriums oder verwandter Gat- tungen im allgemeinen als Poesie, Dichtung, Gedicht oder als Drama, Tragödie, Komödie usw., in Italien als poesia, versi oder favola, melodramma, tragedia, commedia usw. und in anderen Ländern entsprechend.34

Diese begriffliche Vielfalt ist einerseits Resultat unterschiedlicher Perspektiven auf den Gegenstand, andererseits aber gleichfalls Konsequenz einer ebensolchen terminologischen Uneinheitlichkeit der das Libretto beinhaltenden Kunstform Oper, wie z. B. Klaus-Dieter Link erläutert:

Auch M. Kunath [Kunath 1925; Anm. D. Verf.] gibt an, daß bis zum Ende des 17. Jahrhunderts nur folgende Gat- tungsbegriffe Verwendung fanden: ‚melodramma‘, ‚dramma in (per) musica‘, ‚comedia harmonica‘, ‚favola in musi- ca‘ und ‚tragedia per musica‘. In der folgenden Zeit scheinen sich die Begriffe zu überlagern, d.h. Zusammensetzun- gen mit ‚opera‘ setzen sich durch. Hierzu zählen die schon erwähnten ‚opera seria‘, ‚opera buffa‘ und ‚opera semise- ria‘, die französischen Entsprechungen ‚grand’ opéra‘, ‚opéra comique‘ und die deutschen Termini ‚Große Oper‘,

‚Komische Oper‘, ‚Romantische Oper‘, schließlich die ‚Spieloper‘. Darüber hinaus laufen die ursprünglichen Be- zeichnungen, teilweise auch in Anlehnung, weiter: ‚tragedia lirica‘ (Bellini: Norma), ‚drame lyrique‘ (Méhul: Jo- seph), ‚dramma tragico‘ (Donizetti: Lucia di Lammermoor), ‚drame giocosi‘ (Mozart: Die Hochzeit des Figaro), ‚co- media‘ (Rossini: Der Barbier von Sevilla), ‚dramma‘ (Verdi: Der Troubadour), ‚scénes‘ (Puccini: Bohème), ferner

‚tragédy lyrique‘, ‚lyric drama‘ und nicht zuletzt ‚Musikdrama‘.35

32 Gier 1998a, S. 3.

33 Lühning 1998, S. 171f.

34 Abert 1960, Sp. 708.

35 Link 1975, S. 35. In seiner Aufzählung fehlt offenbar die Tragédie en musique. Als Formen jüngerer Zeit nennt Linkt an gleicher Stelle: »‚Szenisches Oratorium‘, ‚Szenische Kantate‘, ‚Oper für Schauspieler‘, ‚Kammeroper‘, ‚Funkoper‘

(die meist auch auf die Bühne gebracht wird), ‚Ballettkomödie‘, ‚Ballett mit Gesang‘ (auch ‚Ballet chanté‘),

‚Schuloper‘, ‚Musikalisches Drama‘, ‚Musikalische Komödie‘, ‚Lyrische Szenen‘, ‚Dramatische Szenen‘, ‚Lyrisches Musikdrama‘, ‚Musikalisch-phantastische Komödie‘, ‚Konversationsstück für Musik‘, ‚Volksoper‘, ‚Melodram‘, ‚Mo- nodrama‘, ‚Musikalische Legende‘, ‚Märchenspiel‘, ‚Ein Spiel‘, ‚Ein Prolog und ein Akt‘, ‚Opéra minute‘, ‚Drame Saty- rique‘, ‚Marionetten-Oper‘, ‚Sacra rappresentatione‘, ‚Geschichte…, gelesen, gespielt und getanzt‘. Damit wird der Bogen zur Renaissance-‚favola‘ wieder geschlossen.«

(21)

Auf der anderen Seite jedoch sind die Termini wiederum nicht beliebig wechselseitig substituierbar, da sie sich auch auf divergierende Konzepte zu beziehen scheinen.

36

Der Begriff libretto wird zwar überwiegend mit Werken des Musiktheaters assoziiert, ist aber keineswegs auf die Oper beschränkt:

Das Libretto ist die Textvorlage einer Oper, eines Oratoriums und überhaupt eines größeren Vokalwerkes in Dialog- form. Gelegentlich werden auch Szenarien zu Balletten und Pantomimen als Libretti bezeichnet, doch hat sich die Bezeichnung seit Ende des 19. Jh. im deutschen Sprachraum vor allem für den Operntext durchgesetzt.37

Dennoch erweisen sich die meisten wissenschaftlichen Beiträge, die sich mit dem Phänomen libretto auseinandersetzen, de facto als Studien zum Opernlibretto.

38

Im weiteren Verlauf dieser Untersu- chung wird die Librettoforschung noch auf ihre Haltung demgegenüber befragt werden müssen;

scheint es doch zunächst naheliegend, den Bereichen Operette, Oratorium, Musical, Ballett und Pan- tomime etc. ähnliche mediale Austauschprozesse zu unterstellen wie dem Opernlibretto. Giers Ar- gumentation lässt sich durchaus auch in dieser Hinsicht verstehen:

Jakob Michael Reinhold Lenz hat seine Soldaten nicht für die Opernbühne geschrieben, dennoch erweist sich der Text in der Einrichtung von Bernd Alois Zimmermann als durchaus brauchbares Libretto. Hier zeigt sich bereits, daß eine scharfe Trennung zwischen dem ‘Musikdramatischen’ und dem ‘Dramatischen’ tout court nicht ohne weite- res möglich ist. Noch deutlicher wird das an jenen Subgattungen, in denen sich Gesang mit gesprochener Sprache verbindet: Vom Text her läßt sich kaum begründen, warum wir Nestroys Possen mit Gesang dem Sprechtheater, Of- fenbachs Einakter, die ebensoviel gesprochenen Dialog enthalten, dagegen der musikalischen Gattung Operette zu- zurechnen pflegen. Hier sind Merkmale der Komposition bzw. institutionelle Gründe ausschlagggebend [sic!]: Sind die Partien für Sänger oder für singende Schauspieler geschrieben? Hat das Werk demnach seinen Platz im Reper- toire eines Operettentheaters oder im Schauspielhaus?39

Bereits an dieser Stelle lässt sich erahnen, in welch undurchsichtigem Terrain die Suche nach fassba- ren Kriterien des Phänomens Libretto beheimatet ist. Dabei hilft definitorische Artistik, die im Rah- men dieser Debatte gelegentlich anzutreffen ist, aber kaum weiter: Link etwa versucht, diese Schwie- rigkeiten zu umschiffen, indem er strukturelle Relationen fokussiert: »Zwar besteht das Libretto nur in der Zuordnung zu Formen des Musiktheaters, trotzdem kann es unabhängig von den einzelnen Formen definiert werden.«

40

Es bleibt jedoch damit die Frage offen, ob auf diese Weise Libretti von Werken wie Chi soffre speri (1637 bzw. 1639) von Giulio Rospigliosi (alias Papst Clemens IX.) oder Andrew Lloyd Webbers The Phantom of the Opera (1986), welche sich beide unzweifelhaft und ein- deutig auf literarische Vorlagen zurückführen lassen,

41

vollständig und zufriedenstellend erfasst wer- den können.

Dazu tritt die zu berücksichtigende Existenz unterschiedlicher Tradierungslinien: So finden sich einerseits die oben beschriebenen Librettodrucke, die für das Mitlesen im Theater konzipiert waren,

36 Kurt Ringger etwa erklärt am Beispiel von verschiedenen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts verwendeten Bezeichnungen: »‘Favola in musica’, ‘tragedia’, ‘opera scenica’ – die drei Ausdrücke signalisieren offensichtlich nicht nur je eine geschichtliche Situation und ein philologisches Problem; sie beinhalten auch unterschiedliche dramatur- gische Auffassungen.« (Ringger 1978, S. 150).

37 Borchmeyer 1996, Sp. 1116.

38 Siehe dazu Gier 1998a, S. 5: »Im Übrigen wird man unter der Rubrik ‚Libretti‘ sinnvollerweise Texte von Opern, Operetten und Musicals zusammenfassen […]«; diese opernzentrierte Perspektive beklagt etwa Cäcilie Kowald für das von ihr untersuchte Oratorienlibretto (vgl. Kowald 2007, S. 38f.).

39 Gier 1999a, S. 5.

40 Link 1975, S. 36.

41 Im Falle Rospigliosis ist dies Boccaccios Decamerone (um genau zu sein, die bekannte Falkennovelle (Decamerone V, 9)) und bei Letztgenanntem Le Fantôme de l’opéra von Gaston Leroux. Chi soffre speri wird zwar gelegentlich als erste Opera buffa der Operngeschichte verstanden (vgl. Gier 1998a, S. 91); allerdings scheint dies nur unter sehr be- stimmten und eingeschränkten Gesichtspunkten möglich (dazu später mehr).

(22)

aber demgegenüber auch Fassungen, die von Librettisten im Rahmen ihrer Werkausgaben publiziert wurden. Patrick J. Smith führt aus:

The published librettos fall into two distinct species. The first, or cereni librettos (librettos meant to be read by can- dlelight) [ital. cero = Kerze; Anm. d. Verf.], were intended for use during the performance and were usually on sale outside the theatre. They were printed on cheap paper against the deadline of the performance, and abounded in ty- pographical errors, misspellings, mislabelings (Act II as Act I), so that not a few of them included a table of correc- tions inserted at the last moment or for the second printing. Although the format of the librettos changed somewhat with the centuries, the poor quality of the cereni works lasted until well into the nineteenth century. The second cat- egory encompasses the collected editions of certain librettists, published usually at the author’s expense and invari- ably a more professional job. One of the finest of these editions is that of the works of Giovann’ Andrea Moniglia, published in Florence 1689–90.42

Karl Leich gibt dazu an:

Diese Wendung allein weist bereits auf die auch literarische Anteilnahme eines Opernpublikums hin, das die jewei- ligen Operntexte ja nicht nur während der Vorstellung mit dem 'cerino', einer Wachskerze, in der Hand verfolgte, sondern diese auch unabhängig von ihrer theatralisch-musikalischen Dichtung aufnahm. Daher konnten gesammel- te Libretti eines Autors späterhin auch unabhängig von ihren Aufführungen als 'Opere drammatiche' im Druck er- scheinen, während der Einzeldruck eines Operntextes jeweils mit einer bestimmten Inszenierung verbunden war.43

In einem Gespräch mit Friedrich Lippmann diskutiert er diesen Aspekt:

LEICH: Die Kerzenspuren in den Libretti der venezianischen Oper um 1700 zeigen, wie wichtig das Publikum das Libretto nahm, auch und eben bei der Aufführung. Ab wann las man nicht mehr mit der Kerze in der Hand mit?

LIPPMANN: Wohl schon von der Mitte des 18. Jahrhunderts an. Die Libretti der von mir behandelten Epoche [die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts; Anm. d. Verf.] zeigen niemals Kerzenspuren.44

Zusätzlich erweist sich die Überlieferungssituation (besonders älterer Werke) als überaus heterogen, da der Librettodruck keineswegs einheitlich organisiert war, auch wenn es Ausnahmen gibt: »Da in Frankreich alle Opern, die an der Academie [sic!] Royale aufgeführt wurden, aufgrund eines Dekrets von Louis XIV. gedruckt werden mußten, hatte man für diese Reihe optimale Vorlagen.«

45

Es darf außerdem keinesfalls vergessen werden, dass nicht nur Partitur und Text den Weg in den Druck fan- den, wie beispielsweise Sieghart Döhring anmerkt:

Die Emanzipation des Szenischen in der Oper seit dem späten 18. Jahrhundert zeitigte über die Zunahme von Spiel- und Regieanweisungen in den Libretti hinaus bald auch eigenständige Formen der Verschriftlichung; wegen der Vorreiterrolle der französischen Oper zunächst in französischer Sprache als ,livrets de mise en scène‘, später in Ita- lien als ,disposizioni sceniche‘, in Deutschland als ,Regiebücher‘. Anfänglich kursierten sie handschriftlich, bald auch in Drucken. Am bekanntesten wurde die ca. 200 Titel umfassende ,Collection de mise en scène de Grand Opé- ras et d’Opéras-Comiques (...)‘ von Louis Paliani. Gehandelt wurden sie als Dokumentationen von Inszenierungen der führenden Pariser Theater, die für die Einstudierungen an kleineren Bühnen als Vorlagen dienen sollten. 46

Wie Heinz Becker konstatiert, ergibt sich daraus ein Geäst verschiedener Tradierungslinien:

42 Smith 1970, S. 17. Die Entwicklung des Librettodrucks fällt je nach Region und Zeitpunkt unterschiedlich aus; so divergieren beispielsweise die jeweiligen Druckformate der Libretti (seit Beginn des 17. Jahrhunderts in einem klei- nen Quartformat (ca. 21-26 cm hoch), im 18. Jahrhundert setzt sich vielfach das Oktavformat (ungefähr 18-20 cm) durch etc.; siehe dazu vor allem Macnutt 1992, S. 1185-1191. Arthur Groos spricht demgegenüber vom Duodezfor- mat, welches sich im Bereich von 13-17 cm abspielt und damit der Wortbedeutung kleines Buch wohl näher kommt (siehe dazu Groos 1988, S. 2).

43 Leich 1972, S. 18f.

44 »Diskussion«. In: Dahlhaus et al. 1971, S. 168.

45 Becker 1974, S. 155.

46 Döhring 2011, S. 45f. Er erläutert: »Nicht zuletzt waren es aber auch Verlagsinteressen, denen die Regiebücher ihre Verbreitung verdankten. Als Teil der Aufführungsmaterialien und zusammen mit diesen an die Bühnen verliehen (im Bereich des unterhaltenden Musiktheaters bis heute eine verbreitete Praxis), erhöhten sie die Attraktivität des Verlagsangebots, was natürlich auch den Komponisten nicht unwillkommen sein konnte. Mithin vollzog sich die Verfestigung des Werkbegriffs im Musiktheater in enger Wechselwirkung von künstlerischen und juristischen (vor allem urheberrechtlichen) Sachverhalten und Problemstellungen.« (ibd., S. 47).

(23)

Bereits in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden die Bühnenarrangements, Szenarien, separat neben Partitur und Libretto gedruckt. Zwangsläufig trieb diese Praxis zur Nivellierung, da nunmehr einzelne Inszenierungen mo- dellhaft von zahlreichen Bühnen, nicht nur Provinzbühnen, übernommen wurden und sich somit eine verhängnis- volle Sucht des Nachahmens einstellte. Da auf diese Weise aber auch Inszenierungen etwa der Pariser Oper auf deutsche Bühnen gelangte, so sind Untersuchungen auf diesem Gebiet wichtig, um Traditionslinien nachweisen zu können. Diesen Szenarien nachzuspüren, das Material zu sichten und auszuwerten, muß als eine weitere dringliche Aufgabe der Opernforschung gelten.47

Damit verdeutlicht sich zugleich die Notwendigkeit einer Positionierung der Librettoforschung als noch zu definierende Teilmenge der Opernforschung.

Unabhängig von allen terminologischen und definitorischen Diskussionen ist das Libretto jedenfalls Teil jenes musiktheatralen bzw. -dramatischen Nukleus dessen, was gemeinhin unter der Bezeich- nung Oper subsumiert wird. Wenn sich auch bei näherer Betrachtung die Oper mit den Worten von Irina O. Rajewsky durchaus als termine ombrellone

48

verstehen lässt, der eine Vielzahl teilweise hochgradig differierender Formen musiktheatralischer Darbietungen beschirmt und somit zwar als heuristische Konstruktion gerechtfertigt, aber eben aufgrund seiner Allgemeinheit oftmals unan- wendbar (weil nicht aussagekräftig) ist, scheint es dennoch erforderlich und auch durchführbar zu sein, einige Fluchtpunkte ausmachen, an welchen eine gewisse Greifbarkeit gegeben scheint. Gier etwa erkennt wesentliche Konturen des Gegenstandes im Beginn der Gattung: »Die wohl wichtigste musikdramatische Gattung (zumindest in der europäischen Theatertradition) ist das Libretto: Seine Geschichte hat (noch) kein Ende, aber mit der Aufführung von Iacopo Peris Dafne (1598) immerhin einen Anfang.«

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Demgegenüber konstatiert jedoch Dahlhaus mit deutlicher Skepsis:

Von Anfängen zu sprechen, ist in der Historiographie immer verfänglich, und der Begriff der Vorgeschichte ist we- niger ein Terminus, der empirisch einlösbar wäre, als der Ausdruck der Verlegenheit, daß man, wenn Geschichte er- zählbar sein soll, einen Beginn ‚setzen‘ muß, von dem man dann behauptet, ihn ‚gefunden‘ zu haben. Ist – um zur Oper zurückzukehren –‚ die Technik der Monodie ein genügendes Kriterium, um die Werke von Peri und Caccini aus dem ursprünglichen Kontext der vielfältigen musikalisch-theatralischen Spektakel, mit denen um 1600 prunk- volle Hoffeste bestritten wurden, als besondere, fest umrissene Gattung herauszulösen? Oder ist es gerechtfertigt, Monteverdi, der aus esoterischen Experimenten, die einem skeptischen Zeitgenossen als Sackgasse erscheinen konnten, eine Gattung hervorgehen ließ, deren Entwicklung zu den längsten der Musikgeschichte gehört, als eigent- lichen Begründer der Oper rühmen? Oder begann die wirkliche Operngeschichte erst mit dem geglückten kommer- ziellen Wagnis öffentlicher Opernhäuser in Venedig 1637: einer Einrichtung, durch die eine geschichtliche Kontinui- tät verbürgt wurde, die dann jahrhundertelang nicht abbrach?50

Ginge man nicht von der Oper, sondern vom weit umfassenderen Begriff Musiktheater aus, würden darüber hinaus identische Fragen beispielsweise für das Ballett aufgeworfen, etwa inwieweit die Ur- aufführung des Ballet comique de la reine vom 15. Oktober 1581 als Geburtsstunde der Gattung zu betrachten sei oder eher das Ballet aux ambassadeurs polonais von 1573, möglicherweise aber doch eher altsteinzeitliche Maskentänze

51

; ganz abgesehen von der Frage, welche zahlreichen weiteren

47 Becker 1974, S. 161.

48 Vgl. Rajewsky 2002, S. 6. Rajewsky greift Umberto Ecos Begriff termine ombrello auf (aus dessen Publikation Apo- calittici e integrati. Communicazioni di massa e teoria di massa (Mailand 1964)) und modifiziert ihn zu termine ombrellone, also einem noch weiter spannenden Schirm-Begriff.

49 Gier 1998a, S. 5. Link datiert die Uraufführung übrigens auf 1594 (siehe Link 1975, S. 26), Dechant auf 1595 (De- chant 1993, S. 26) und Silke Leopold auf 1598 (Leopold 1996, Sp. 1124); an anderer Stelle beruft sie sich dagegen si- cherheitshalber nur auf schriftliche Zeugnisse: »Als Kunstform erblickte die Oper im Jahre 1600 das Licht der Welt, als kurz nacheinander Emilio de’ Cavalieris Rappresentatione di anima, et di corpo (September), Jacopo Peris L’Euridice (Oktober) und Giulio Caccinis L’Euridice (Dezember) im Druck erschienen.« (Leopold 2004, S. 7).

50 Dahlhaus 1983b, S. 5.

51 Krautscheid 2004, S. 8f.

(24)

Arten von Spektakeln zusätzlich mit einzubeziehen wären. Für den Bereich der Librettoforschung könnten zudem stoffliche Transfers, wie sie in dieser Kategorie des Musiktheaters ebenso geläufig sind, keinesfalls a priori ausgeklammert werden – zu denken wäre etwa an das Ballett Coppélia ou La Fille aux yeux d'émail

52

, dessen Gene unmittelbar auf die erste Erzählung (Der Sandmann) aus dem Nachtstücke-Zyklus (1817) von E.T.A. Hoffmann zurückführen –; ist doch damit der Tatbestand Adaption einer literarischen Vorlage für das Musiktheater vollkommen erfüllt.

Ausgangspunkt oben ausgeführter Gedanken war im Übrigen Dahlhaus’ erste Kategorie des Mu- siktheaters, derer er in seiner Deskription der Verwendung des Terminus’ in der wissenschaftlichen Praxis insgesamt drei aufstellt:

Erstens ist Musiktheater ein Oberbegriff, der außer der Oper noch die Operette, das Musical und das Ballett sowie einige außereuropäische Gattungen (wie die Peking-Oper, die keine Oper ist) umfaßt. Zweitens dient Musiktheater als Sammelname für Gattungen von Bühnenwerken, die seit den zwanziger Jahren mit dem Anspruch hervortraten, die traditionelle Oper abzulösen. […] Drittens verbindet sich mit dem Begriff des Musiktheaters die Vorstellung ei- nes Regiekonzepts, das weniger die musikalischen als theatralischen Momente in den Vordergrund rückt […]53

Diese Trias wird mehrheitlich übernommen.

54

Während eine Betrachtung der dritten Kategorie bei Gattungsfragen, wie sie die hier durchgeführten Überlegungen betreffen, weitgehend unberücksich- tigt bleiben kann, scheint zunächst nur die Verwendung der ersten Kategorie sinnvoll, obwohl Dahl- haus an anderer Stelle deren Sinnhaftigkeit scharf anzweifelt:

Der Begriff des Musiktheaters ist eine durch Negation, durch die Differenz zur Oper, bestimmte Kategorie, die dadurch diffus wurde, daß sie für heterogene, untereinander beziehungslose Phänomene gebraucht worden ist, de- ren gemeinsames Merkmal in nichts anderem besteht, als daß sie sämtlich aus irgendeinem Grunde nicht zu den Opern gezählt werden sollten.55

Läge man daran – ohne vorgreifen zu wollen – eine medienwissenschaftliche Perspektive interme- dialer Austauschprozesse an, so schienen die Gemeinsamkeiten der oben angeführten Beispiele Chi soffre speri, The Phantom of the Opera und Coppélia ou La Fille aux yeux d’émail größer als deren Differenzen: In allen drei Fällen wird eine literarische Vorlage in eine musiktheatrale Form umge- wandelt. Allerdings schließt dies nicht aus, dass dennoch erhebliche Unterschiede der jeweiligen medialen Konfiguration der Zielmedien anzutreffen sind. Problematisch bleibt, dass nicht nur Dahl- haus allein den Begriff Musiktheater gegen den der Oper positioniert, ohne aber eine Definition von Oper selbst zu liefern; Thomas Beck beispielsweise gibt an:

Im Sinne einer Präzisierung der Terminologie werde ich in den folgenden Ausführungen vorwiegend den Begriff der

‚Oper‘ verwenden. Dies ermöglicht vor allem bei der Betrachtung der Wirkstrukturen eine Differenzierung zwischen traditionellen, ‚illusionistischen‘, und modernen, ‚antiillusionistischen‘, Bestrebungen der Oper.56

Beck orientiert sich dabei an den Ergebnissen von Sebastian Kämmerer

57

und spaltet den Musikthea- terbegriff in die beiden Antithesen illusionistisch und antiillusionistisch, »[…] wobei Oper und Mu-

52 Ballett von Léo Delibes (Musik), Arthur Saint-Léon und Charles Nuitter (Libretto), UA 1870.

53 Dahlhaus 1982b, S. 58. Ausführlicher äußert er sich etwa in: Dahlhaus 1992, S. 85ff.

54 So formuliert etwa Thomas Steiert unter Berufung auf den Lexikon-Artikel Musiktheater im MGG2 (Zweite Auflage Die Musik in Geschichte und Gegenwart) von Wulf Konold (Konold 1997) und Wolfgang Ruf (Ruf 1997):

»,Musiktheater’ wird demnach in drei grundsätzlich verschiedenen Zusammenhängen verwendet: erstens gilt der Begriff als ,Dachbegriff’ für alle musikbezogenen Gattungen und Genres, zweitens als ,Sammelbegriff’ für die Werk- konzepte eines avancierten Musiktheaters, die sich dezidiert von der Oper unterscheiden, und drittens spricht man von Musiktheater, wenn eine traditionelle Oper in einer Inszenierung erscheint, die sich durch eine ,aktuelle Deu- tung’ von einer konventionellen Regie abhebt.« (Steiert 2011, S. 27).

55 Dahlhaus 1981a, S. 174.

56 Beck 1997, S. 21.

Referenzen

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