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Im Schweizer Rebberg basiert die Bekämpfung der Kirschessigfliege mehrheitlich auf vorbeugenden Massnahmen und Kaolin, einem Gesteinsmehl auf Basis von Aluminiumsilikat. In 23 Wirkungsversuchen besass Kaolin eine durch- schnittliche Wirksamkeit von 56 %. Kaolinbehandlungen beeinflussten in einem kontrollierten Vinifikationsversuch weder die Fermentation noch die Weinsensorik. Zudem verblieb die Aluminiumkonzentration in den behandelten Weinen weit unter dem tolerierten Schwellenwert.
Seit 2014 verursacht die Kirschessigfliege (Drosophila suzukii, Abb. 1) Schäden im Schweizer Rebberg. Auch wenn herkömmliche Insektizide zugelassen sind, basiert die Schädlingsbekämpfung heute weitgehend auf vorbeugenden Massnahmen und insbeson- dere einer guten Entlaubung der Traubenzone. Falls nötig präferie- ren die Winzer als zusätzliche Massnahme den Einsatz von Kaolin.
Kaolin ist ein inertes weisses Gesteinsmehl auf Basis von Alumini- umsilikat. Kaolinpartikel haften an der Oberfläche von Trauben und bilden dadurch eine physikalische Barriere, die die Eiablage der Kirschessigfliege (KEF) verringert. Darüber hinaus ist Kaolin ein na- türliches Produkt, das auch im Biolandbau angewendet werden darf und dessen Nebenwirkungen auf Nützlinge wie Raubmilben und Parasitoide vernachlässigbar sind. Der Einfluss mehrfacher Ka- olinanwendungen unmittelbar vor der Lese auf die chemische Zu- sammensetzung und die Sensorik der Weine ist hingegen nur un- zureichend dokumentiert. Kaolin wird zwar als Schönungsmittel im Keller verwendet, enthält jedoch Aluminium. Dessen Vorhanden- sein wirft viele Fragen über die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit auf (z. B. Stahl et al. 2017). Der vorliegende Beitrag ba- siert auf einer kürzlich erschienenen wissenschaftlichen Veröffent- lichung von Linder et al. (2020) und enthält eine Synthese der neusten Ergebnisse zur Wirksamkeit von Kaolin gegen die KEF so- wie zu den chemischen und sensorischen Eigenschaften von Wei- nen, die aus kaolinbehandelten Trauben gekeltert wurden.
Hohe Wirksamkeit
Im Herbst 2016 wurde Kaolin (Surround WP®) in 23 Wirkungsver- suchen auf verschiedenen Rebsorten in mehreren Schweizer Reb- baugebieten angewendet (Tab.). Dabei wurde die Traubenzone auf der Basis eines theoretischen Wasservolumens von 1200 L / ha mit jeweils 1 oder 2 % Kaolin behandelt. Die Behandlungen fanden un- ter Verwendung verschiedener Sprühgeräte jeweils einmal kurz vor (präventiv) oder nach (kurativ) der ersten Eiablage von D. suzukii statt. Bei der Ernte wurde die Eiablagerate in den behandelten Va- rianten wie auch in den unbehandelten Kontrollen erhoben, um die Wirkung von Kaolin auf die Eiablage zu berechnen.
Auch wenn die Versuche in Rebbergen mit empfindlichen Reb- sorten oder von hohem Befallsrisiko durchgeführt wurden, variier- te die Eiablage von D. suzukii in den unbehandelten Kontrollen zwi- schen 0 % und 69 % (Tab.). Kaolin besass eine durchschnittliche Wirksamkeit von 56 %, wobei die Wirkung zwischen 0 und 100 % schwankte. Trotz dieser enormen Schwankungen reduzierte eine einmalige Anwendung von Kaolin statistisch gesichert die Eiabla-
ge im Vergleich zur unbehandelten Kontrolle (W = 5.5, P <0.001).
Mit 56.8 % Wirksamkeit für 1 % Kaolin gegenüber von 57.1 % für die 2% Variante konnte zwischen den beiden Konzentrationen kein si- gnifikanter Unterschied beobachtet werden (U = 55, P = 0.97). Die präventive Bekämpfungsstrategie war tendenziell wirksamer als die kurative (69.4 % gegenüber 34.5 %, U = 32.5, P = 0.054), doch der Wirkungsunterschied zwischen den beiden Behandlungszeit- punkten verringerte sich, wenn nur die Versuche mit 2 % Kaolin be- rücksichtigt wurden (67.4 % präventiv gegenüber 50.3 % kurativ, U
= 21.5, P = 0.31, Tab. 1). Trotz ähnlicher Wirksamkeit empfehlen wir für die erste Behandlung eine Dosis von 2 % Kaolin, da sie bei Re- Abb. 1: Männliche Kirschessigfliege auf einer Traubenbeere.
Abb. 2: Abnahme der Eiablagen in den Kaolinversuchen 2016. Die hori- zontale Linie repräsentiert den Wirksamkeitsdurchschnitt.
K AOLIN IM REBBAU
100
80
60
40
20
0
% Abnahme Eiablage
Kaolin 1 % präventiv
Kaolin 1 % kurativ
Kaolin 2 % präventiv
Kaolin 2 % kurativ
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gen eine längere Haftung an den Trauben gewährleistet (Abb. 3).
Ausserdem halten wir es für angebracht, mit der ersten Behand- lung bis zur Beobachtung einer Eiablage auf einer Rebsorte von ähnlicher Empfindlichkeit in der Region zuzuwarten. Aus Kosten- gründen und auch für das Image des Schweizer Weinbaus gilt, ei- ne systematische Anwendung von Kaolin nach dem Farbumschlag zu vermeiden. Insgesamt zeigte eine einmalige Anwendung von Ka- olin einen hohen Wirkungsgrad, der mindestens so zufriedenstel- lend ist wie eine mehrmalige Applikation von herkömmlichen In- sektiziden.
Unbedenkliche Aluminiumkonzentration
Um die Auswirkungen von Kaolin auf die Zusammensetzung und Qualität der Weine zu untersuchen, führten wir 2015 einen Vinifi- kationsversuch in Nyon durch. In einer Parzelle der roten Rebsor- te Mara wurde am 11., 18. und 26. August Surround WP® in einer
Konzentration von 1 oder 2 % ausgebracht und mit einer unbehan- delten Kontrolle verglichen. Die Applikation erfolgte mittels Rü- ckensprühgerät und bei einem Volumen von 1200 L/ha in die Traubenzone. Die Trauben der drei verschiedenen Verfahren wur- den am 8. September gelesen und danach separat und standardi- siert vinifiziert.
Die drei Anwendungen von 1 oder 2 % Kaolin beeinflussten weder die Fermentation noch den pH, die Säure- und den Alko- holgehalt der kaolinbehandelten Weine im Vergleich zur unbe- handelten Kontrolle. Der Aluminiumgehalt stieg mit der ange- wendeten Kaolindosis jedoch leicht an. Während in der unbehan- delten Kontrolle ein Aluminiumgehalt von 0.083 mg / L gemessen wurde, besassen die Varianten mit 1 und 2 % Kaolin 0.184 mg resp.
0.211 mg Aluminium pro Liter Wein. Damit lagen die drei Weine aber immer noch mindestens 37-mal unter der in Deutschland maximal zulässigen Aluminiumkonzentration von 8 mg / L (WeinV 1995).
Ort (Kanton) Rebsorte Dosis Strategie % Eiablage % Wirkung
Kontrolle Kaolin
Salenstein (TG) Regent 1 % präventiv 6 0 100
Aesch (BL) Garanoir 1 % " 2 0 100
Aesch (BL) Dunkelfelder 1 % " 64 26 59.4
Muttenz (BL) Dunkelfelder 1 % " 69 23 66.7
Wintersingen (BL) Cab. Dorsa 1 % " 14 4 71.4
31.0 ± 32.7* 10.6 ± 12.8* 65.8
Malans (GR) Pinot noir 1 % kurativ 10 10 0
Fläsch (GR) Pinot noir 1 % " 8 8 0
9.0 ± 1.4* 9.0 ± 1.4* 0
Neunforn (TG) Garanoir 2 % präventiv 7 3 57.1
Salenstein (TG) Regent 2 % " 6 0 100
Schlattingen (TG) Marechal Foch 2 % " 18 2 88.9
Frümsen (SG) Pinot noir 2 % " 2 2 0
Frümsen (SG) Cab. Jura 2 % " 15 2 86.7
Frümsen (SG) Gamaret 2 % " 3 0 100
La Tour-de-Peilz (VD) Divico 2 % " 8 0 100
La Tour-de-Peilz (VD) Cab. Jura 2 % " 24 14 41.7
La Tour-de-Peilz (VD) Galotta 2 % " 0 4 0
9.2 ± 8.1* 3.0 ± 4.4* 67.4
Gordola (TI) Merlot 2 % kurativ 2 0 100
Giornico (TI) Merlot 2 % " 2 2 0
La Neuveville (BE) Regent 2 % " 2 2 0
Villeneuve (VD) Dunkelfelder 2 % " 18 12 33.3
Ollon (VD) Cab. Jura 2 % " 22 4 81.8
Malans (GR) Pinot noir 2 % " 10 3 70
Fläsch (GR) Dunkelfelder 2 % " 8 6 25
9.1 ± 8.2* 4.1 ± 3.9* 50.3
Eiablage und Wirksamkeit in den 23 Wirkungsversuchen 2016. (*Mittelwert ± Standardabweichung)
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Keine sensorische Beeinträchtigung
Zwei Monate nach ihrer Abfüllung wurden die Weine von zwei un- abhängigen Panels degustiert. Dabei waren die 12 Juroren des Changins-Panels in einem 2-aus-5-Diskriminanztest organolep- tisch nicht in der Lage, die Variante mit der höchsten Konzentrati- on von 2 % Kaolin von der unbehandelten Kontrolle zu unterschei- den (keine richtige Antwort, P > 0.99). Ebenso unterschieden sich die vom Agroscope-Degustationpanel erstellten sensorischen Pro-
file der drei Weine nur unwesentlich (Abb. 4). Wir können also da- von ausgehen, dass die chemischen und sensorischen Eigenschaf- ten der Weine durch das Spritzen der Trauben mit Kaolin kurz vor der Ernte nicht beeinträchtigt werden, und dass dieses inerte Alu- miniumsilikat kein Risiko für die Gesundheit der Konsumenten dar- stellt.
Fazit
Kaolin ist im biologischen Landbau zugelassen und schützt die Trauben wirkungsvoll gegen die Kirschessigfliege. Daneben ist es mindestens ebenso wirksam wie herkömmliche Insektizide, ohne dabei Nützlinge zu gefährden oder zu Rückstandsproblemen in den Weinen zu führen. Zudem beeinträchtigte Kaolin weder die chemi- schen noch sensorischen Eigenschaften der gekelterten Weine. Wir schliessen daraus, dass Kaolinbehandlungen nicht nur gegen die KEF wirksam sind, sondern auch kein wesentliches Risiko für Um- welt, Weinqualität und die menschliche Gesundheit darstellen.
PATRIK KEHRLI Agroscope, Changins
patrik.kehrli@agroscope.admin.ch
In Zusammenarbeit mit
Johannes Rösti Fabrice Lorenzini René Badertscher, alle Agroscope Pascale Deneulin Changins – Haute école de viticulture et œnologie, HES-SO, Nyon
CHRISTIAN LINDER Agroscope, Changins
christian.linder@agroscope.admin.ch
LITERATUR
Linder C., Rösti J., Lorenzini F., Deneulin P., Badertscher R. and Kehrli P.: Efficacy of kaolin treatments against Drosophila suzukii and their impact on the compositi- on and taste of processed wines. Vitis 59 (2), 49-52, 2020.
Stahl T., Falk S., Rohrbeck A., Georgii S., Herzog C., Wiegand A., Hotz S., Boschek B., Zorn and Brunn H.: Migration of aluminum from food contact materials to food – a health risk for consumers? Part I of III: exposure to aluminum, release of aluminum, tolerable weekly intake (TWI), toxicological effects of aluminum, study design, and methods. Environmental Sciences Europe 29, 19, 2017.
Weinverordnung, (WeinV), 1995. https://www.gesetze-im-internet.de/weinv_1995/
Abb. 3: Kaolinbehandelte Traube.
Abb. 4: Sensorische Eigenschaften der Mara-Wein im Vinifikations- versuch 2015 (P-Wert der ANOVA für den jeweiligen Deskriptor).
DANK
Wir möchten uns bei allen Winzern und den kantonalen Fachstellen für die Zusammenarbeit bedanken sowie bei Laurent Amiet für die Vinifikation der Weine.
Gesamteindruck
(P=0.74) Farbintensität (P=0.99) Struktur
(P=0.98)
Fruchtig (P=0.26) Bitterkeit
(P=0.95)
Würzig (P=0.86) Trockenheit/
Herbe (P=0.60)
Finesse (P=0.59) Tanninqualität
(P=0.75)
Geschmeidigkeit (P=0.82) Tanninintensität
(P=0.69)
Kontrolle 3 × Kaolin 1 % 3 × Kaolin 2 % Säure
(P=0.99)