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Archiv "Orthopädie der Säuglingsbauchlage" (04.03.1976)

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MOP

Argumente gegen die prinzipielle Bauchlagerung

In der modernen Kinderheilkunde wird die Bauchlagerung als fort- schrittliche Pflegemaßnahme zur optimalen Förderung der geistigen und körperlichen Gesamtentwick- lung des Säuglings konsequent durchgeführt und auch bei der Mütterberatung allgemein empfoh- len: Durch den bäuchlings ermög- lichten freien „Horizont-Rundblick"

ist die optische Erlebniswelt aus- geweitet und intensiviert — durch die erzwungene „Kopfhebung und Oberkörperabstützung" wird das Stadium des aktiven Aufstehens und des Laufbeginns wesentlich früher erreicht. Diese erhebliche Akzeleration der „orthostati- schen Funktionsleistung" um meh- rere Monate gilt als wichtigstes Ar- gument für den prinzipiellen Vorteil der Bauchlage gegenüber der Rük- kenlage.

Dabei ist auch ein unterschiedli- cher Aufrichtungsprozeß nachzu- weisen: Von Rückenlage über Sitz- haltung zur Stehaufrichtung — da- gegen aus Bauchlage über Krie- chen, Krabbeln und Liegestütz zum freien Aufstehen, ohne ein Zwi- schenstadium der Sitzhaltung.

Aber auch noch mancherlei andere

Vorteile der Säuglingsbauchlage- rung werden von den Pädiatern an- geführt: Schleimfreiheit der Atem- wege durch den Abfluß von Spei- chel und Bronchialsekret, Luftent- leerung der Magenblase durch Er- leichterung des Aufstoßens nach den Mahlzeiten, günstigere funktio- nelle Situation für die Skelettent- wicklung: Schädelform, Wirbelsäu- lenstabilität, Schultergürtelkräfti- gung, Brustkorberweiterung, Hüft- gelenksicherung und Beinbewe- gung.

Die kompromißlose Bauchlage- rungsmethode wird jedoch neuer- dings als „allein seligmachende Patentlösung" wieder angezweifelt und aufgrund typischer orthopä- discher Wachstumsdeformitäten bei

„Nur-Bauchlage-Kindern" mit ge- wichtigen biomechanischen Argu- menten kritisiert. Nach vereinzelten Hinweisen auf offenbar „bauchla- gerungsbedingte" entwicklungsme- chanische Formanomalien und De- formitäten häufen sich jetzt bereits derartige „Massenbeobachtungen"

und „Bauchlagewarnungen".

Die abdominale „Zwangslage" sei Ursache vermehrter Hohlkreuzbil-

dung durch lumbo-sakrale Über- streckung und Inaktivität der Bauchmuskulatur, zuweilen auch mit deutlicher Rektusdiastase vor- kommend. Insbesondere aber wer- den einige spezielle Fußdeformi- täten der Bauchlagekinder als nachteilige Folgezustände dieser modernen Lagerungstechnik ange- sehen.

Solche zunächst nur recht vagen Vermutungen eines direkten Kau- salzusammenhanges der zuneh- menden Häufigkeit des Vorkom- mens von typischen Haltungsfeh- lern und Fußanomalien bei Säug- lingen und Kleinkindern mit der modernen pädiatrischen Lage- rungstechnik veranlaßten uns be- reits vor fünf Jahren zu einer geziel- ten diesbezüglichen Untersuchung.

Aus diesem relativ großen Erfah- rungsbereich als Landesarzt der Körperbehindertenfürsorge in Hamburg und Chefarzt einer ortho- pädischen Klinik seien hier die wichtigsten Beobchtungen und Erkenntnisse einmal aufgezeigt und zur Diskussion gestellt:

Folgen der Bauchlagerung.

Kopf: Die Konfiguration des Schä- dels im Hinterhauptbereich ist bei ausschließlicher Säuglingsbauchla- ge fast immer wesentlich stärker

*) Herrn Professor Dr. Exner, meinem einstigen Konassistenten an der Münchener Orthopädischen Klinik bei Professor Dr. Georg Hoffmann, zum 60. Geburtstag am 27. Dezember 1975 gewidmet.

Orthopädie

der Säuglingsbauchlage

Rupprecht Bernbeck*)

Die „prinzipielle" Säuglingsbauchlage der modernen Kinderheilkun- de hat sich als orthopädisch problematisch erwiesen: Frühzeitige

Kopfhebung und Oberkörperaufrichtung zum „Liegestütz-Rund- blick" bedingen eine Aktivierung der psychosomatischen Gesamt- entwicklung. Jedoch stehen den funktionellen Vorteilen, Muskeltrai- ning des Erector trunci, des Schultergürtels und der Arme, einige bedenkliche Nachteile gegenüber, wie Bauchmuskelschwäche, Hohlkreuzbildung, Hüftstreckung, Beinachsentorsion und Fußver- biegungen. Bei „schiefem" Säugling oder Säuglingsskoliose, Hüft-

gelenkinsuffizienz oder spastischer Zerebralparese ist jeweils or- thopädische Speziallagerung erforderlich.

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Abbildung 2:

Innenrotations- Kippung der Beine mit Adduktions- Supinations- Füßen

Abbildung 4:

Unterschenkel- Keilkissen zur „Fußfreiheit"

bei Bauchlage- Kindern Abbildung 1:

Außenrotations- Kippung der Beine mit Abduktions- Knick-Plattfüßen

Abbildung 3:

Spitzfuß- Kontraktur durch Plantar- Streckung

Abbildung 5:

Knöchel- Ringpolster zur „Fußfreiheit"

bei Bauchlage- Kindern Aktuelle Medizin

Säuglingsbauchlage

ausladend und meistens auch ganz bilateral-symmetrisch — im Gegen- satz zur hinten flacheren und recht häufig einseitig schiefen Kopfform der Rückenlagekinder. Dieses for- male Kriterium der mechanischen Plastizität des „knöchernen Schä- dels", altbekannt von den künstlich produzierten Azteken-Turmschä- deln, hat sich als ziemlich sicheres

„Befunddokument" der jeweiligen Lagerungsmethode im Säuglingsal- ter erwiesen. Offenbar aber ver- wischt sich der äußerlich induzier- te Unterschied des Säuglingshin- terkopfes alsbald schon im Kindes- alter — entsprechend einer anla- gebedingten Brachy- oder Dolicho- kephalie.

Der Gesichtsschädel zeigt bei Bauchlagekindern nicht selten — infolge ständig einseitiger Auflage

— erhebliche asymmetrische Ab- flachung der „plattgedrückten" Ge- sichtshälfte und entsprechende

„Gesichtsskoliose". Eine solche Gewohnheitshaltung ist meistens bedingt durch einseitigen Lichtein- fall zum Kinderbettchen (positiver

„Heliotropismus").

Hals: Bei den Bauchliegern findet sich ungleich viel häufiger als sonst eine deutliche „Torsions- asymmetrie" der Halsregion, zwar überwiegend nur „habituell" und passiv korrigierbar, aber zuweilen auch allmählich „fixiert", zu einer spontan irreversiblen Schiefhals- kontraktur (Tortikollis. -Deformität).

Während das Komplexphänomen des „schiefen Säuglings" sonst bei Rücken- und Seitenliegern öfter vorkommt und dann sogar durch Bauchlagerung kompensiert wird, ist die Gefahr der Entstehung eines Fehlhaltungs-Schiefhalses bei Bauchlagekindern sehr viel größer, weil die Seitwärtsdrehung zur Ge- sichtsfreiheit bis „endgradig" und bevorzugt „einseitig" erfolgt — we- gen des örtlich bedingten Licht- einfalls zum Kinderbettchen.

Schultergürtel: Die frühzeitige akti- ve Stützfunktion zur Aufrichtung des Oberkörpers bedingt eine kräf- tige muskuläre Entwicklung des

Pektoralisfächers, der Trapeziusfa-

640 Heft 10 vom 4. März 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Abbildung 6: Typische Körperhaltung bei Bauchlage: Oberkörper-Aufrich- tung durch Hochstemmen des Schultergürtels — Hohlkreuz — Hüft-Knie-Strek- kung — Vorfuß-Stauchung mit Hallux-valgus-Deformierung und Digitus-se- cundus-superductus

sern und der anderen Skapulazü- gel — bei teils aktiver und teils passiver „Retraktion" der Schulter- blätter. Auch der Deltamuskel- wulst ist gut trainiert und formiert deshalb eine wohlgerundete Schul- terkontur. Die unschönen vorderen

„Hängeschultern" entstehen zwei- fellos häufiger bei Rückenliegern im Säuglingsalter.

Oberextremität: Die bei Rückenla- gesäuglingen bereits „menschen- typisch" freie obere Extremität be- hält noch über längere Zeit beim Bauchlieger die mechanische Stützfunktion. Dabei „ist also diese menschenspezifische Entwicklung verzögert, er ist lange Zeit Vierfüß- ler ... Die freie Korrespondenz der Hände miteinander und mit den Augen beim Greifen fehlt dem Bauchlieger lange Zeit" (Nickel).

Die grobe Stützkraft des Armes wird allerdings wesentlich stärker entwickelt.

Brustkorb: Bei ventral flachauflie- gendem Thorax ist zwar die Atem- exkursion relativ gering und er- schwert, aber bei hochgestütztem Oberkörper weitet sich der Brust- korb schon passiv maximal, und für die aktive Ventilation entstehen op- timale Funktionsbedingungen. Of- fenbar resultiert bei Bauchlage- säuglingen eine etwas mehr quer- ovale Thoraxform als bei Rückenlie- gern, und Hühnerbrustdeformität scheint auch seltener vorzukom- men.

Rücken: Bauchlagekinder haben immer besonders kräftige Rücken- muskulatur (Erector-trunci-Sy- stem). Der Brustwirbelsäule fehlt zuweilen die physiologische Ky- phose, oder es besteht eine teil- weise Abflachung der Kurvatur.

Dagegen findet sich stets eine Hy- perlordose im Halsbereich und häufig sogar extrem im präsakra- len Lendenwirbelsäulenteil als

„Hohlkreuz".

Das pathologische Phänomen ei- nes thorakalen oder lumbalen

„Sitzbuckels" kommt bei Bauchla- gekindern nicht vor, weil ein Sitz- stadium ja fehlt. Gleichermaßen

bedeutungsvoll und vorteilhaft ist die Bauchlage zur Verhütung und Behandlung einer Säuglingssko- liose, „weil durch die damit ver- bundene Extension der Wirbelsäule nicht nur die Torsion verringert wird, sondern auch die Abschluß- platten der Wirbelkörper bei der Reklination dekomprimiert wer- den ..., während die Rückenlage einer Kompression entspricht" (H.

Mau).

Die infolge dauernder Bauchlage- rung des Säuglings entstandene übermäßige Lendenlordose verrin- gert sich zwar meistens schon als- bald im Aufstehalter, jedoch ver- bleibt relativ häufig auch als kaum orthopädisch korrigierbarer „Dauer- schaden" ein deutlich versteiftes unschönes Hohlkreuz. Diese sta- tisch insuffiziente Wirbelsäulende- formität resultiert einerseits durch das funktionsbedingte Übergewicht des maximal beanspruchten Rük- kenstreckapparates gegenüber der minimal gespannten Bauchmusku- latur und andererseits durch die physiologische Beugestellung des Hüftgelenkes mit elastisch federn- der „Streckhemmung" der Ober- schenkel-Hebelarme.

Beckenskelett: Bei Bauchlagekin- dern entsteht mit dem verstärkten Hohlkreuz zugleich auch eine ent-

sprechend vermehrte Beckenkip- pung ventralwärts. Aber auch die Querspannung des Beckenringes dürfte sich — nach der Kenntnis des anterio-posterior abgeplatteten

„Liegebeckens" der kindlichen Langzeitpatienten — durch die

„gespannte Bauchlagesituation"

etwas vergrößern. Jedoch fehlt zu diesem besonders geburtshilflich interessanten Problem der biome- chanischen Beckenkonfiguration durch unterschiedliche Lagerungs- technik im Kleinkindesalter noch diesbezügliche Spezialerfahrung, weil bisher keine Bauchlieger ins Generationsalter herangewachsen sind.

Hüftgelenke: Im Gegensatz zu frü- her ganz optimistischen Behaup- tungen der Bauchlagepioniere hat sich leider die Hoffnung bezüglich einer günstigen „Stabilisierungs- wirkung" auf hypoplastisch insuffi- ziente Hüftgelenke (E. G. Huber, E.

Reisetbauer) nicht nur nicht erfüllt, sondern diese als unberechtigt er- wiesene Zuversicht hat sogar man- che bittere Enttäuschung und un- glückliche Überraschung mit Luxa- tionshüften bei konsequenter Säug- lingsbauchlagerung verschuldet (K. Chiari).

Der verhängnisvolle Trugschluß ei- ner „Verhütung von Hüftluxation

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Abbildungen 7 a (oben) und 7 b (unten): lnnenrotations-Fußdeformität als kontrakt-fixierter Bauchlageschaden: a) Vorfuß-Adduktion bei Einwärtsdre- hung der Beinachsen in Bauchlage-Gewohnheitshaltung — b) Innenrota- tions-Deformität der Beinachsen mit extremer Vorfuß-Adduktion im Stehen und beim Gehen — Stolpergang mit Vorfußverhaken — Digitus quintus sub- ductus

Aktuelle Medizin Säuglingsbauchlage

durch Bauchlage" (Reisetbauer- Czermak) mag daraus resultiert sein, daß selbstverständlich gleich- zeitig auch eine Breitwickelung zur Erzwingung kombinierter abdomi- naler „Spreiz-Beuge-Stellung" der Beine als obligat vorausgesetzt wurde. Denn einfache Bauchlage- rung des Säuglings mit adduzierten Oberschenkeln bedingt ja für das physiologisch noch semiflektierte Hüftgelenk durch nachteilige

„Streckspannung" eine permanen- te kranialwärts gerichtete Disloka- tions-Schubwirkung mit progre-

dienter Luxationstendenz! Hinzu kommt, als bisher unbeachtete, aber bedeutsame Gefahr eine Außenro- tationslockerung der Hüftgelenke durch die „Torsionsspannung" der Beinlängsachse infolge des „Fuß- hebeldreheffektes" (siehe Fuß-

kippung in Bauchlage!).

Darum sei hier die alarmierende Warnung von E. G. Huber noch- mals zitiert: „Die Orthopädische Abteilung des Landeskrankenhau- ses Salzburg (Vorstand: Primarius Dr. H Hofer) hat zwei Fälle beob-

achtet, die erschreckend spät mit Hüftgelenksluxationen eingewiesen worden waren. Der Grund für die so späte Einweisung war der Um- stand gewesen, daß Eltern und auch Ärzte der Ansicht waren, bei Bauchlagekindern könne keine Lu- xation auftreten, und daher die or- thopädische Untersuchung ver- säumt hatten."

Unterextremität: Die Bauchlage hemmt das Bewegungsspiel der Oberschenkel im Hüftgelenk, wäh- rend die Rückenlage Beugung wie Spreizung und Rotation ungehin- dert freigibt. Allerdings ist die Beugefunktion der Kniegelenke in Bauch- und Rückenlage kaum un- terschiedlich möglich. Doch be- wirkt beim Bauchlagekind die kon- tinuierlich induzierte Drehspan- nung der Beinlängsachse infolge seitlicher Verkippung der Fußplatte nach außen oder nach innen eine Rotation der Ober-Unterschenkel- Gelenkverbindung zum typischen

„kneeing in" oder entgegengesetzt zu einem „kneeing out" — im Sinne einer progredienten Wachstumsde- formität. Die früher „erzwungene"

Streckung der physiologischen

„Säuglings-Kniebeugekontraktur"

durch Bauchlagerung scheint ohne nachteilige Folgen zu sein.

Der Unterschenkel wird in Bauch- lage mehr zur Dorsalhebung trai- niert (Knieflexoren, besonders Wa- denmuskulatur), während in Rük- kenlage die Vorhebung überwiegt (Quadrizeps und Peronäusgruppe).

Seit der Einführung des Bauchla- gerns der Säuglinge durch die Päd- iater und Mütterberatungsstellen erscheinen in unserer orthopädi- schen Kinderambulanz immer häu- figer kleine Patienten mit ganz spe- ziellen „Fußverbiegungen": Vorfuß- abduktion, Sohlenkonvexität und Valgusferse — also Abduktions-

Knick-Plattfüße. Aber auch die ge- gensätzliche „Fußverdrehung" ein- wärts wird zunehmend häufig ge- funden: Vorfußadduktion und In- nenrotation, zuweilen auch mit deutlicher Varusferse — also Klet- terfüße, Sichelfüße oder sogar Klumpfußhaltung. Außerdem kom-

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Abbildung 8:

Deutliche Vor- fuß-Adduktion in diesem Fall mit Digitus quintus super- ductus, als verbleibender Innenrotations- Bauchlage- schaden men jetzt öfter Bauchlagesäuglin-

ge mit einer „Spitzfußkontraktur"

zur Behandlung — ohne zerebral- spastischen Befund — also Plan- tarflexionshaltung, die weder aktiv noch passiv bis zur rechtwinkeli- gen Mittelstellung korrigierbar ist

— bei Kniestreckung noch ver- stärkte Spitzfußstellung! In einzel- nen Fällen wurden diese verschie- denen Fußdeformitäten auch bei Kleinkindern seitendifferent neben- einander vorgefunden, und zwar in - allen Kombinationen: Abduktions- Knick-Plattfuß gepaart mit Innen- rotationssichelfuß, Spitzfuß ei- nerseits und Abduktions-Knick- Plattfuß andererseits oder aber Ad- duktions-lnnenrotationsfuß neben einem Spitzfuß.

Bei mehreren besonders schweren Außenrotationsfüßen bestand eine erhebliche Hallux-valgus-Deformi- tät, auch mit Hammerzehen-Super- ductus-Komponente II und sogar einem entzündlichen Unguis incar- natus medialis der Großzehe. Sol- che außergewöhnlichen orthopädi- schen Fußbefunde bei Säuglingen wurden bereits vom Hamburger Kinderarzt Dr. Nickel festgestellt und publiziert.

Angesichts dieser recht verschie- denartigen pathologischen Zu- standsbilder gab es zunächst keine plausible Erklärung für einen ur- sächlichen Zusammenhang zwi- schen Bauchlagerung und Fußde- formität. Erst durch spezielle anamnestische Nachforschungen und funktionelle Situationsanalysen konnte die jeweilige Pathogenese aufgeklärt werden: Die Befragung der begleitenden Mütter nach ihrer Lagerungstechnik ergab bei sol- chen Fußdeformationen ihrer Kin- der fast immer eine besonders konsequente Bauchlagerung wäh- rend des ganzen Säuglingsalters.

Aber weitere Klarheit über den Wirkungsmechanismus der abdo- minalen „Beinlage" für die Entste- hung von „Fußverbiegungen" wur- de erst dadurch gewonnen, daß je- weils bei der Untersuchung eine genaue „Rekonstruktion" der indi- viduellen Bauchlageposition des Kindes vorgenommen wurde.

Das Kernproblem ist dabei offen- bar der normalerweise etwa recht-winkelige „Fußhebel" — quer zur Beinlängsachse — mit media- lem oder lateralem Kippeffekt oder aber plantarer Winkelstreckung.

Bei Bauchlage erfolgt in Rotations- mittelstellung der Beine eine unan- genehme „Stauchung" der Ze- hen.

Deshalb wird das Bein „schmerzre- flektori3ch" seitlich verdreht — entweder nach außen oder nach innen —, bis der mediale oder late- rale Fußrand der Unterlage flach aufliegt. Dadurch aber entsteht eine elastische „Drehspannung"

gegen den Fußhebel, welcher — je nach Rotationsrichtung — ent- weder im Sinne der Vorfußabduk- tion mit sekundärer Knick-Plattfuß- Deformität oder der Vorfußadduk- tion mit Supination und nachfol- gender Innenrotation der Beine verformt wird.

Diese laterale oder mediale

„Fußverbiegung" erfolgt am stärk- sten im unteren Sprunggelenk so- wie im Chopart- und Lisfranc-Ge- lenk — zur Abduktionsvalgität oder gegensätzlich zur Adduktionssu- pination.

Die im Zehenbereich aufliegende Fußplatte kann aber auch durch Plantarflexion dem vorderen

„Stauchungsdruck" ausweichen, wodurch sich eine Spitzfußstellung entwickelt — mit zunehmender Plantarflexionskontraktur im obe- ren Sprunggelenk.

Von den beschriebenen drei ty- pischen „Säuglingsfuß-Deformitä- ten" waren jedoch nach dem Laufbeginn der Kinder nur noch zwei Anomalieformen festzustellen:

Am häufigsten wurden Knick-Platt- füße — mit oder ohne Vorfußab- duktion —, wesentlich seltener Ad- duktionsfüße — mit oder ohne In- nenrotationsgang — gefunden. Da- gegen fehlten Spitzfuß-Deformitä- ten bei den Kindern im Laufalter vollkommen.

Dieses Phänomen ist nach unseren diesbezüglichen Kontrolluntersu- chungen durch zwei verschiedene funktionelle Vorgänge zu erklären:

Leichtere Grade von Spitzfußstel- lung werden durch passiv-mecha- nische ,,Dorsalstreckung" des obe- ren Sprunggelenkes — unter der Stehbelastung und Abrollfunktion

— „spontan korrigiert". Schwere Spitzfußanomalien dagegen „ver- kippen" — bei statischer Bela- stung zu sekundären Abduktions- Knick-Plattfüßen — im Sinne des orthopädischen Begriffes einer

„larvierten Spitzfußdeformität".

Spezielle Lagerungsindikation bei pathologischen Zuständen Neben diesem allgemeinen, funk- tionell kombinierten aktiven und passiven Wirkungsmechanismus der Säuglingsbauchlage auf die nachgeburtliche Skelettentwick- lung organisch gesunder und nor- mal gestalteter Kinder ergeben sich spezielle orthopädische Ge-

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Abildung 9: Bauchlage-Säugling mit Vierfüßler-Knie-Handstand-Aufrichtung

— rechter Fuß außenrotiert-abduziert mit medialer Zehenstauchung, Hallux-valgus-Deviation und Digitus-secundus-superductus-Verdrängung — links Plantarflexion mit Spitzfußkontraktur und ebenfalls Digitus-secundus- superductus-Deformierung

Abbildung 10: Schwere Hallux-valgus-superductus-Deformität mit akuter Na- gelbettvereiterung bei Unguis-incarnatus-Zustand als kombinierter Außenro- tations-Abduktions-Bauchlageschaden!

Aktuelle Medizin Säuglingsbauchlage

sichtspunkte für die Lagerungs- technik bei primär pathologischen

— formalen oder motorischen — Körperzuständen:

Bei Säuglingsskoliose hat sich Bauchlagerung als ideale aktive

Funktionsbehandlung erwiesen.

Auch bei Rhachischisiskindern nach Resektionsplastik der Menin- gomyelozele ist Bauchlagerung vorteilhaft zur Verhütung von Nar- bendekubitus oder Hüftbeugekon- traktur.

Bei Zerebralspastikern besteht jeweils eine spezielle Lagerungs- indikation, abhängig vom individu- ellen Schweregrad eines Opistho- tonus, einer skoliotischen oder lordotischen Wirbelsäulenkontrak- tur sowie einer spastischen Fehl- haltung oder bereits entstandenen Fehlstellung der Becken-Bein- Gelenke. Auch ist die Intensität eines häufig vermehrten Speichel- flusses zu berücksichtigen — bei Rückenlage Aspirationsgefahr des Sekretes und bei Bauchlage Er- stickungsgefahr reflexgestörter Säuglinge im Salivationsschleim.

Bei Luxationshüften hat sich die Säuglingsbauchlagerung weder als prophylaktisch wirksame noch als therapeutisch effektive Behand- lungsmaßnahme erwiesen. Aller- dings sollten „hüftschwache" Kin- der mit Spreizwindelhose etwa gleichmäßig zeitlich verteilt ab- wechselnd auf dem Rücken und Bauch gelagert werden, insbeson- dere um die aufliegenden, mei- stens schweißfeuchten oder einge- näßten Hautflächen zu schonen, ebenso wie bei den kleinen ortho- pädischen Patienten mit Becken- Bein-Gipsverbänden oder zirkulä- ren Skoliosen-Gipskorrekturen.

Für die frischoperierten Kleinkin- der mit Narkose-Nachwirkung oder mit sonstigem Schwächezustand ergeben sich verschiedene Lage- rungsgesichtspunkte (siehe oben

— Spastikerlagerung!): In Rük- kenlage Aspirationsgefahr von erbrochenem Mageninhalt und bäuchlings Erstickungsgefahr, wenn infolge Kraftlosigkeit der Kopf nicht zur Seite gedreht werden kann — dann bleibt das Gesicht mit Nase und Mund im Speichelsee oder Mageninhalt liegen. Deshalb sollten alle solchen Risikopatienten in Seitenlage, abwechselnd links und rechts, gepflegt werden — mit geeigneten Lagerungskissen vorne und hinten abgestützt.

Die Tatsache, daß keineswegs bei allen Bauchlagesäuglingen derar- tige Fußdeformitäten entstehen,

konnte ebenfalls durch unsere ge- naueren Nachforschungen zur spe-

644 Heft 10 vom 4. März 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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zielten Lagerungstechnik geklärt werden: Besonders schwere „Fuß- lageschäden" waren immer bei Kindern aufgetreten, deren Mütter die Bettdecke sorgfältig unter das Matratzenfußende umgeschlagen hatten, um ein „Wegdrehen aus der Bauchlage" möglichst sicher zu verhüten. Andererseits entstan- den keine oder nur geringe Fuß- anomalien bei bewußt lockerem Zudecken mit leichtem Daunenkis- sen oder einer modernen Schaf- wollauflage — niemals auch, wenn außerhalb des Deckbettes die frei strampelnden Füßchen mit warmen Strickschuhen versorgt waren. Die- se scheinbar „kleinen Unterschie- de" der Lagerungsmethode erwie- sen sich als „schicksalentschei- dend" für die Formbildung des Säuglingsfußes.

Zusammenfassung

Die wichtigsten orthopädischen Gesichtspunkte zum „Lagerungs- problem" im Säuglingsalter sind:

Bauchlage hat zweifellos gegen- über der Rückenlage erhebliche bio- mechanische und entwicklungs- physiologische Vorteile, insbeson- dere für die Wirbelsäulenfunktion und Erector-trunci-Kräftigung.

Jedoch ist die ausschließliche Säuglingsbauchlagerung mit vor- zeitig erzwungener Beinstreckung nachteilig für die „funktionelle Hüftentwicklung" — speziell also bei „gefährdeten Hypoplasie-Gelen- ken."

Durch permanente „abdominale Zwangslagerung" entstehen pro- grediente Torsionsfehler des Bein- skelettes und typische Fußdefor- mitäten.

Deshalb sollte die vorteilhafte Säuglingsbauchlage durch syste-

matische Abwechslung mit Rük- kenlage oder Seitenlage gegen nachteilige Nebenwirkungen pro- phylaktisch abgesichert werden.

Als bedeutungsvoll hat sich auch die Matratzenqualität erwiesen:

Harte Unterlagen sind mechanisch ungünstig, dagegen optimal be- währt die zu „Großmutters Zeiten"

allgemein üblichen modellierbaren Spreusäckchen-Polstermatratzen.

Zur sicheren Verhütung von Fuß- anomalien durch ständige Bauchla- gerung werden „fußfreie" Unter- schenkel-Keilkissen (Abbildung 4) oder Knöchel-Ringpolster (Abbil- dung 5) empfohlen.

Die typischen bauchlagebedingten Fußschäden und Gangstörungen bedürfen orthopädischer Behand- lung: Fußgymnastik, Versorgung mit korrigierenden Einlagen, re- dressierenden Nachtschalen oder tagsüber Derotationsschienen.

Prädispositionen der Beindrehung auswärts oder einwärts sind be- reits angeboren. Deshalb ist eine laufende orthopädische Überwa- chung und spezielle Fußkontrolle bei Bauchlagekindern erforder- lich. Für Säuglinge mit angebore- nen Skelettdeformitäten oder neu- romotorischen Funktionsstörun- gen besteht jeweils eine spezielle Lagerungsindikation zur optimal korrigierenden Wuchslenkung oder als vitale Sicherheitsmaßnahme.

Für alle Kinder mit „Rückenschwä- che", drohendem Sitzschaden oder sonstigem Haltungsverfall erweist sich die Bauchlageentspannung auf dem Teppich oder Liegesofa zum Spielen, Lesen oder Fernsehen als orthopädisch günstige Wirbelsäu- lenstreckung und Erektormuskel- stärkung — dabei wechselnde Bein-Fuß-Haltung mit Unterschen- kel-Hochpendeln und verschiedener Hüftspreizung.

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Dr. phil.

Dr. rer. nat. Rupprecht Bernbeck Krankenhaus Barmbek

I. Orthopädische Abteilung 2000 Hamburg 33

Therapie

Peptische Ösophagusstenosen sind bei Kindern weit häufiger zu beob- achten als bei Erwachsenen. Es handelt sich dabei um die massiv- ste Komplikation der Refluxöso- phagitis. Stets muß chirurgisch in- terveniert werden, wenn man eine Kardiainsuffizienz zwei bis drei Mo- nate lang ohne Erfolg konservativ behandelt hat. Nur durch einen frühzeitigen Eingriff gelingt es, eine peptische Ösophagusstenose zu verhindern. Das dominierende Ver- fahren ist die konsequente Bougie- rung in Kombination mit einer Anti- refluxplastik. Bei beginnenden Ste- nosen kann man es bei der alleini- gen Fundoplikation belassen. Nur selten sind operative Maßnahmen mit dem Ziel der Stenoseerweiterung erforderlich; das gilt auch für die Stenoseresektion. cb (Burkhardt, K.; Bahners, W.: Chir- urg 46 [1975] 507-512)

SupramaIleoläre Frakturen heilen unter konservativer Therapie nicht immer zufriedenstellend aus. Eine günstigere Prognose wird erreicht, wenn man operativ vorgeht. Die geeignete Methode beruht im Prin- zip darauf, daß die Frakturen bei- der Unterschenkelknochen in ei- nen einzigen Bruch umgewandelt werden. Mittels Markschienung des Schienbeins stellt man den Außen- knöchel in seiner anatomischen In- tegrität wieder her und erzielt da- mit günstige Bedingungen für das obere Sprunggelenk. Bei nicht frakturiertem Wadenbein sind die Bruchstücke an ihrer Stelle zu be- lassen; die Heilung geschieht ohne Stufenbildung der Gelenkfläche.

Vorteilhaft ist, daß das Wadenbein ohne umfassenden Eingriff freige- legt werden kann. Oft kommt die Trümmerfraktur der Tibia in die richtige Achsenstellung. Das Ver- fahren wurde an 17 Patienten mit überraschend gutem Erfolg er- probt. cb (Töth, S.; Pernyi, A.: Chirurg 46 [1975] 170-173)

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