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Grundprobleme der Wissenschaftsphilosophie ( ¨Uberblick 20. Jahrhundert) Der raffinierte Falsifikationismus von I. Lakatos 1 Imre Lakatos

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Universit¨at Dortmund, Sommersemester 2007 Institut f¨ur Philosophie

C. Beisbart

Grundprobleme der Wissenschaftsphilosophie ( ¨Uberblick 20.

Jahrhundert)

Der raffinierte Falsifikationismus von I. Lakatos

1 Imre Lakatos

1. 1922 – 1974. Aus Ungarn, w¨ahrend des Zweiten Weltkrieges im kommunistischen Wi- derstand, nach dem Krieg Flucht nach Wien, dann England, dort 1958 Promotion und sp¨ater Forschung an der LSE. Lakatos ist stark durch Popper beeinflußt.

2. Wichtige Werke:

”Proofs and Refutations“ (1976), Lakatos (1974), engl. Original 1970.

2 Grundz¨uge von Lakatos’ Wissenschaftsphilosophie

1. Aufgabe, die sich Lakatos stellt: Finde ein Modell wissenschaftlicher Entwicklung und Rationalit¨atsstandards, so daß die Wissenschaft einerseits rational ist. Andererseits soll das Modell aber auch in Einklang mit der Wissenschaftsgeschichte stehen (Kuhn)!

2. Idee:

”rational reconstructions“ von Episoden in der Wissenschaftsentwicklung. Lakatos:

Rationalit¨at oft nur im Nachhinein zu beurteilen. Gegen

”instant rationality“

3. Ausgangspunkt von Lakatos: Falsifikationismus von Popper: Demarkationskriterium: Wis- senschaftliche Theorien sind falsifizierbar. Rationalit¨at: Wissenschaft ist insofern ratio- nal, als falsifizierte Theorien aufgegeben werden.

4. Probleme mit diesem

”dogmatischen“ Falsifikationismus:

(a) Er beruht auf der Voraussetzung, daß man klar zwischen Beobachtungss¨atzen und theoretischen S¨atzen unterscheiden kann. Diese Annahme ist aber falsch (95 ff.; Bei- spiel Galilei schaut ins Fernrohr und sagt, er sehe Flecken auf dem Mond. Handelt es sich dabei noch um einen Beobachtungssatz oder um einen theoretischen Satz?, 97 f.).

(b) Er basiert auf der Annahme, daß eine Tatsachenaussage durch Erfahrung zweifelsfrei validiert werden kann. Auch diese Voraussetzung ist aber falsch (nach Lakatos:

Kategorienfehler).

(c) Viele allgemein als solche anerkannte Theorien lassen sich nicht auf die beschriebene Weise falsifizieren (Quine-Duhem-Problem, Adjustieren von Hilfshypothesen, 98 f.).

5. Versuch, die Probleme zu l¨osen: Methodologischer Falsifikationismus. Idee: Theorien brauchen weiterhin eine empirische Basis, aber diese Basis ist nicht durch reine Be- obachtungen gegeben, sondern basiert auch auf Entscheidungen der Wissenschaftler, bestimmte Hilfstheorien als Hintergrundwissen zu akzeptieren. Eine wissenschaftliche Gemeinschaft ist sich zu einem bestimmten Zeitpunkt dar¨uber einig, daß etwas beobach- tet wurde. Dadurch konventionalistisches Element. Aber immerhin noch

”revolution¨arer Konventionalismus“, da die Konventionen letztlich Beobachtungen betreffen. Dadurch

’Falsifikation‘ von Theorien m¨oglich (101–113).

6. Probleme f¨ur den methodologischen Falsifikationismus: Er paßt nicht mit der Wissen- schaftsgeschichte zusammen (112 f.): 1. Realistische Konstellation: ein Experiment und

1

(2)

mehrere Theorien (anstatt einer). 2. Experimente dienen nicht nur der Falsifikation, sondern k¨onnen eine Theorie st¨utzen.

7. Versuch, die Probleme zu l¨osen: Raffinierter Falsifikationismus (113 f.).

1. Eine Theorie T ist wissenschaftlich, wenn sie gegen¨uber der Vorg¨angertheorie einen Uberschuß an empirischem Gehalt hat, d. h. a. sie sagt Tatsachen voraus, die im Licht der¨ Vorg¨angertheorie unwahrscheinlich sind; b. ein Teil des empirischen Gehalts¨uberschusses trifft empirisch zu.

2. Eine Theorie T ist falsifiziert, wenn es eine Theorie T’ gibt, die folgende Eigenschaf- ten hat: a. T’ hat einen ¨Uberschuß an empirischem Gehalt gegen¨uber T. b. T’ erkl¨art, warum T sich insofern dort empirisch bew¨ahrt, wo es sich bew¨ahrt. c. Der ¨Uberschuß an empirischem Gehalt von T’ trifft zum Teil empirisch zu.

Bemerkung: In diesen Bestimmungen treten noch die Ausdr¨ucke

”bew¨ahren“ oder

”vor- hersagen“ auf, und man k¨onnte einwenden, daß eine Theorie allein sich nicht bew¨ahren oder nichts vorhersagen kann. Idee: Bew¨ahrung und Vorhersage sind hier in dem schwa- chen Sinne von

”Bew¨ahrung/Vorhersage unter Annahme der allgemein akzeptierten Theorien“ zu verstehen, aber Lakatos’ Rationalit¨atskriterien f¨uhren insgesamt dazu, daß dieses konventionelle Element keine negativen Folgen hat. Beispiel: Ein einfaches Adju- stieren von Hilfstheorien wird ausgeschlossen, weil die neuen Theorien einen empirischen Gehalts¨uberschuß haben m¨ussen (vgl. 115 f.; 122 f., 180 f.).

Damit Historisierung des Falsifkationsbegriffes: Falsifikation nur in Hinblick auf die Vor- g¨angertheorie zu beurteilen.

Lakatos: Progressive Forschungsprogramme: theoretisch progressiv: Die Theorie besitzt einen ¨Uberschuß an empirischem Gehalt gegen¨uber Vorg¨angertheorie. Empirisch progres- siv: Dieser ¨Uberschuß ist zum Teil empirisch validiert. Gegenteil von progressiv: degressiv.

Lakatos’ Methode: Arbeite in progressiven Forschungsprogrammen.

Beispiel einer progressiven Problemverschiebung: Einsteins Relativit¨atstheorie ersetzt die Newtonsche Mechanik.

Im allgemeinen ist progressiven Forschungsprogrammen der Vorzug zu geben, Lakatos weigert sich aber, genau zu spezifizieren, wann ein degressives Forschungsprogramm auf- zugeben ist.

8. Wesentlich f¨ur Lakatos: Begriff des Forschungsprogramms (

”research programme“). Me- thodologische Regeln, die einer Theorienentwicklung einen Rahmen vorgeben. Forschungs- programm: Zwei Teile: harter Kern (

”hard core“) und Schutzg¨urtel (

”protective belt“).

Idee: Durch Ver¨anderungen im Schutzg¨urtel versucht man, den harten Kern zu sch¨utzen.

Negative Heuristik: Vermeide, daß der harte Kern mit Beobachtungen in einen Wider- streit ger¨at. Positive Heuristik: Programm, mit dem man die Probleme f¨ur ein Programm abarbeiten kann.

Beispiel: Die Newtonsche Mechanik selbst-gravitierender Systeme.

Der Begriff des Forschungsprogramms ersetzt Kuhns Begriff des Paradigmas. Lakatos:

Mehrere konkurrierende Forschungsprogramme k¨onnen zu einer Zeit konkurrieren (Kuhn dagegen: ganze Wissenschaft durch ein Paradigma definiert, daher außer bei Revolutio- nen immer nur ein Paradigma).

Literaturverzeichnis

Cohen, R. S., Feyerabend, P., & Wartofsky, M.,Essays in Memory of Imre Lakatos, Reidel, Dordrecht, 1976.

Lakatos, I.,Falsifikation und die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme, in:Kritik und Erkenntnisfortschritt (Lakatos, I. & Musgrave, A., eds.), Vieweg, Braunschweig, 1974, pp. 89–189.

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Matheson, C.,Historicist Theories of Rationality, in:The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Zalta, E. N., ed.), Fall 1997.

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Referenzen

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