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Kirchhof oder Hollande: Wie hoch soll der Spitzensteuersatz in Deutschland sein?

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Wie hoch soll der Spitzensteuersatz in Deutschland sein?

Stefan Bach*

stefan Bach, DIW Berlin – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, E-Mail: sbach@diw.de

zusammenfassung: In Optimalsteuerlehre und Steuerpolitik werden Steuern auf höhere Einkommen und Vermögen kontrovers diskutiert. In Modellen, die auf wenigen empirisch zu bestimmenden Parametern beruhen, hängen die optimalen Spitzensteuersätze von den Anpassungsreaktionen der Steuerpflichtigen und von der Einkommenskonzentration ab. Je nach Stärke der Ausweichreaktionen reichen die optimalen Spitzensteuer sätze von 25 Prozent („Kirchhof“) bis 75 Prozent („Hollande“). Viele Steuervermeidungsmöglich- keiten beruhen auf unzureichenden steuerrechtlichen und technischen Regelungen. Diese sind unter wohl- fahrts- und steuerpolitischen Gesichtspunkten anders zu beurteilen als realwirtschaftliche Verhaltensanpas- sungen und können zumindest längerfristig eingeschränkt werden.

Summary: Taxes on high income and wealth are controversial in optimal taxation theory and tax policy. In models that are based on few estimable parameters, optimal top tax rates hinge on taxpayers’ behavioral responses and top income concentration. Depending on the magnitude of the responses optimal top tax rates span from 25 percent (“Kirchhof“) to 75 percent (“Hollande“). Tax avoidance often stems from insufficient regulations of tax law and tax administration. In terms of economic efficiency and tax policy tax avoidance adjustments are different from changes in real economic behavior since tax policy could reduce the former, at least in the long run.

→ JEL Classification: H24, H21, D31, H23

→ Keywords: Top income tax rate, optimal income taxation, tax progression

* Der Autor dankt Margit Schratzenstaller, Hermann Buslei, Peter Haan, Viktor Steiner und Giacomo Corneo für hilfreiche Kommentare und Anregungen.

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1 einleitung

„What this country really needs is a good 5 percent income tax“, so witzelte einst US-Comedy- Altmeister Julius „Groucho“ Marx (1963) über den seinerzeit oft zitierten Ausspruch eines Po- litikers, das Land brauche eine gute Fünf-Cent-Zigarre. Seit dem Zweiten Weltkrieg bis Anfang der 1960er Jahre hatten die USA Einkommensteuer-Spitzensätze von über 90 Prozent, bis 1980 betrug der Spitzensteuersatz für Vermögenseinkommen 70 Prozent. Auch in Deutschland setzte das Wirtschaftswunder bei einem Spitzensteuersatz von 80 Prozent ein, 1954 wurde er auf 70 Prozent und ab 1958 auf 53 Prozent gesenkt. Allerdings galten diese Spitzenbelastungen erst ab einem sehr hohen Einkommen, und es gab vielfältige Steuervergünstigungen und Steuergestal- tungsmöglichkeiten.

In den 1980er Jahren setzte dann der Siegeszug von „Angebotsökonomik“ und „Neoliberalis- mus“ ein. Deren steuerpolitisches Credo gipfelte in der berühmten Laffer-Kurve. Danach sind hohe Steuersätze leistungsfeindlich und setzen starke Anreize für Steuergestaltungen. Die In- ternationalisierung der Wirtschaft, die Liberalisierung des Kapitalverkehrs, die zunehmende Fi- nanzmarktorientierung und der mit diesen Entwicklungen einhergehende Steuerwettbewerb er- höhten den Druck auf die „Reichenbesteuerung“. Wurden früher Vermögenseinkünfte zumeist höher besteuert als Erwerbseinkommen, entweder mit höheren Kapitaleinkommensteuern oder mit gesonderten Vermögensteuern, unterliegen sie seitdem in den meisten Ländern abgelten- den Kapitalertragsteuern, die deutlich niedriger sind als die Spitzensteuersätze für die anderen Einkunftsarten. Allgemeine Vermögensteuern wurden in den meisten Ländern abgeschafft und die Unternehmensteuern gesenkt. Zugleich ist in diesem Zeitraum die Einkommensverteilung spürbar ungleicher geworden.

In den letzten Jahren zeichnet sich eine Trendumkehr bei der Besteuerung hoher Einkommen oder Vermögen ab. Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise hat der Konsolidierungsdruck auf die öffentlichen Haushalte zugenommen. Vor diesem Hintergrund stehen „Reichensteuern“ wieder auf der politischen Tagesordnung, also Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen. Dabei geht es primär um den Einkommensteuer-Spitzensatz, aber auch um Unternehmen- und Kapi- taleinkommensteuern, die Erbschaftsteuer, die allgemeine Vermögensteuer oder eine einmalige Vermögensabgabe.

Auch in der akademischen optimalsteuerlichen Literatur werden Steuern auf hohe Einkommen und auf Vermögen wieder stärker diskutiert. Empirische Studien zeigen, dass es bei den Steuer- pflichtigen mit höheren Einkommen zwar spürbare Anpassungsreaktionen geben kann (Saez, Slemrod und Giertz 2012). Diese sind aber nicht so hoch wie häufig in der öffentlichen Diskussi- on unterstellt. Ferner beruhen viele Steuervermeidungsmöglichkeiten auf unzureichenden steu- errechtlichen und technischen Regelungen. Diese können zumindest längerfristig eingeschränkt werden.

Aus der umfangreichen Literatur zur optimalen Einkommensteuer lassen sich unter vereinfa- chenden Annahmen Formeln für den optimalen Spitzensteuersatz ableiten, die auf wenigen empirisch zu bestimmenden Parametern beruhen und in der Politikberatung eingesetzt werden können (Saez 2001, Saez, Slemrod und Giertz 2012). Bach, Corneo und Steiner (2012) haben diese Modelle an die deutsche Einkommensteuer angenähert, die Konsumbesteuerung integriert und die relevanten Parameter für Deutschland ermittelt.

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Auf dieser Grundlage werden in diesem Beitrag Szenarien für den optimalen Spitzensteuersatz in Deutschland abgeleitet. Dessen Höhe hängt neben der sozialen Wohlfahrtsgewichtung hoher Einkommen vor allem von der Einkommenskonzentration sowie von den Anpassungsreaktionen der Steuerpflichtigen ab. Stellt man bei den Ausweichreaktionen auf die relativ niedrigen An- passungswirkungen beim Arbeitsangebot ab, ergeben sich Steuersätze von bis zu 75 Prozent ab einem Jahreseinkommen von 350 000 Euro. Das ist der Spitzensteuersatz, der 2013 und 2014 in Frankreich unter dem neuen Präsidenten Hollande ab einer Million Euro gilt. Allerdings können Steuerpflichtige mit hohen Einkommen häufig Steuergestaltungsmöglichkeiten nutzen. Sofern dies auch längerfristig zu stärkeren Ausweichreaktionen führt, sollte der Spitzensteuersatz bis auf 25 Prozent sinken, wie dies etwa der Heidelberger Steuer- und Verfassungsjurist Paul Kirch- hof empfohlen hat.

Kapitel 2 dieses Beitrags zeichnet zunächst den klassischen Zielkonflikt zwischen Verteilung und Effizienz anhand der ideologischen Traditionen und der Entwicklungslinien bei der Besteuerung hoher Einkommen nach. Kapitel 3 behandelt die optimalsteuerlichen Grundlagen und die Ent- wicklung von vereinfachten Modellen für den optimalen Spitzensteuersatz. Szenarien für den optimalen Spitzensteuersatz in Deutschland werden in Kapitel 4 dargestellt. Kapitel 5 diskutiert die steuerpolitischen Implikationen. Kapitel 6 schließt mit einem Fazit.

2 Steuerprogression: Verteilung versus effizienz

„Equality and Efficiency: The Big Tradeoff”, so lautete der Titel einer einflussreichen Studie der 1970er Jahre (Okun 1975). Dieser zentrale wirtschaftspolitische Zielkonflikt tritt offen zutage in den Debatten zum Ausmaß der Steuerprogression und zur Höhe des Spitzensteuersatzes. Häu- fig sind diese Diskussionen ideologisch und emotional aufgeladen. Unterschiedliche Vorstellun- gen zum Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, Privateigentum und kollektivem Bedarf sowie Markt und Staat treffen aufeinander. In linksliberalen, sozialdemokratischen und sozia- listischen Milieus präferiert man ein stärker progressives Steuersystem, um ein hohes Angebot an öffentlichen Gütern zu finanzieren und um die ungleiche Einkommens- und Vermögensver- teilung zu korrigieren. Bürgerliche und konservative Kreise stehen dagegen stark progressiven Steuersystemen mit hohen Spitzensteuersätzen kritisch gegenüber, da sie die bürgerliche Wirt- schafts- und Eigentumsordnung gefährden und destruktiven Sozialneid schüren können.

2.1 Steuerprogression und Steuergerechtigkeit

Eine moderat progressive Besteuerung von Einkommen oder von Vermögen und Erbschaften wird in vielen entwickelten Volkswirtschaften der „westlichen“ Welt seit Jahrzehnten praktiziert.

Die meisten Bürger in Deutschland akzeptieren dies (Schupp und Wagner 2005, Liebig und Mau 2005, Liebig und Schupp 2007, Heinemann und Hennighausen 2010, IfD Allensbach 2013).

Bis weit in bürgerlich-liberale und konservative Kreise gibt es keine grundsätzliche Kritik an der Steuerprogression, sieht man von radikal individualistischen Positionen ab. Die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit knüpft an vielfältige Traditionen der christlich- abend ländischen Kultur an (vergleiche EKD 2009). Teilweise sind solche Besteuerungsziele auch in den Verfassungen verankert. So hat in Deutschland das Leistungsfähigkeitsprinzip als Leitbild der Einkommensteuer verfassungsrechtlichen Rang (Birk 2009: Tz. 188 ff.). Im Zusam- menwirken mit dem Sozialstaatsziel werden damit auch progressive Belastungen begründet. Die

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Vorstellung eines abnehmenden individuellen und gesellschaftlichen „Grenznutzens“ höherer Einkommen ist weit verbreitet und hat eine gewisse Plausibilität (vergleiche unten, Kapitel 2).

Ferner sollen progressiv wirkende Einkommensteuern die Regressionswirkung von indirekten Steuern ausgleichen. Letztere machen in vielen Ländern den überwiegenden Teil des Steuer- aufkommens aus, in Deutschland sind es etwa 50 Prozent. Nimmt man noch die Sozialbeiträge hinzu, die auch in Deutschland zumindest teilweise den Charakter von Steuern haben (insoweit keine „äquivalenten“ Leistungsansprüche für die Beitragszahler entstehen), so ist der Anteil der Einkommensbesteuerung am gesamten Steueraufkommen noch geringer.

Deutlich progressive Einkommensteuern wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts in vielen Län- dern eingeführt, als der öffentliche Bedarf stieg und der moderne Sozial- und Wohlfahrtsstaat seinen Siegeszug antrat. Finanzpolitische Krisenzeiten, zumeist im Zusammenhang mit den großen Kriegen, brachten den Durchbruch für sehr hohe Steuerbelastungen. In Deutschland wurden im Zuge der Erzbergerschen Finanzreformen nach dem Ersten Weltkrieg Einkommen- steuersätze von über 60 Prozent eingeführt. Im Zweiten Weltkrieg erhoben viele Länder noch höhere Spitzensteuersätze. Diese wurden in der Nachkriegszeit nur moderat wieder zurückge- führt. So galten in den USA bis Anfang der 1960er Jahre Einkommensteuer-Spitzensätze von über 90 Prozent auf Einkommen über 200 000 Dollar (Tax Foundation 2011, Saez, Slemrod und Giertz 2012: 44). Bis 1980 betrug der Spitzensteuersatz für Vermögenseinkommen 70 Prozent, für Erwerbseinkommen galt ab 1972 ein Spitzensteuersatz von 50 Prozent. In Großbritanni- en lag der Spitzensteuersatz für Erwerbseinkommen noch bis Ende der 1970er Jahre über 80 Prozent und für Vermögenseinkommen bis knapp unter 100 Prozent (Clark und Dilnot 2002).

Auch in Deutschland wurden im Zweiten Weltkrieg sehr hohe Einkommensteuer-Spitzensätze erhoben, die in der Nachkriegszeit zunächst weitergeführt wurden. Anfang der 1950er Jahre be- trug der Spitzensteuersatz 80 Prozent, 1954 wurde er auf 70 Prozent und ab 1958 auf 53 Prozent gesenkt. Von 1975 bis 1989 lag der Spitzensteuersatz in Deutschland 56 Prozent, ab 1990 sank er wieder leicht auf 53 Prozent.

Allerdings setzten die Spitzenbelastungen in früheren Jahrzehnten erst ab sehr hohen Einkom- men ein, und es gab vielfältige Steuervergünstigungen. In Deutschland galt der Spitzensteuer- satz von 1958 bis 1974 ab einem steuerpflichtigen Jahreseinkommen von 110 000 DM. Im Jahr 1958 entsprach dies dem 21-fachen des rentenversicherungspflichtigen Durchschnittseinkom- mens. Durch die hohen Einkommenszuwächse bis Mitte der 1970er Jahre sank diese Relation auf das 5,5-fache im Jahr 1974. Von 1975 bis 1989 galt der Spitzensteuersatz von 56 Prozent ab einem steuerpflichtigen Einkommen von 130 000 Deutsche Mark, was 1989 dem 3,2-fachen des rentenversicherungspflichtigen Durchschnittseinkommens entsprach. Der Spitzensteuer- satz von 53 Prozent wurde bis 1998 ab einem Einkommen von 120 000 Deutsche Mark erho- ben, was zuletzt dem 2,3-fachen des rentenversicherungspflichtigen Durchschnittseinkommens gleichkam. Gleichzeitig wuchsen immer mehr Steuerpflichtige mit mittleren Einkommen in die Progressionszone des Steuertarifs hinein, die Belastungen der mittleren und höheren Einkom- men stiegen spürbar an (Corneo 2005). Entsprechend erhöhte sich die Progressionswirkung der Einkommensteuer bei diesen Einkommensgruppen.

2.2 Steuerprogression und Effizienz

Seit den 1970er Jahren wurden Effizienzaspekte der Besteuerung intensiver diskutiert. Hin- tergrund war die Entwicklung der Optimalsteuertheorie sowie die breite Renaissance neoklas- sischer Ansätze in der Makroökonomie. Die daraus abgeleitete Heuristik dominierte ab den

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1980er Jahren unter den Etiketten „Angebotsökonomik“ und „Neoliberalismus“ die Wirtschafts- und Finanzpolitik bis zum Ausbruch der Finanzkrise 2008. Das steuerpolitische Credo gipfelte in der berühmten Laffer-Kurve. Danach sind hohe Steuersätze leistungsfeindlich und machen Steuergestaltungen besonders attraktiv (Laffer 2004). Auch vor dem Hintergrund der Internati- onalisierung der Wirtschaft, der Liberalisierung des Kapitalverkehrs, der zunehmenden Finanz- marktorientierung und des mit diesen Entwicklungen einhergehenden Steuerwettbewerbs wur- den seitdem in den meisten OECD-Ländern die Steuern auf höhere Einkommen und Vermögen gesenkt. Viele mittel- und osteuropäische Transformationsländer haben bis heute keine direkt- progressiven Steuertarife eingeführt oder diese inzwischen wieder abgeschafft. Sie erheben eine

„flat rate“ in Höhe von zumeist zehn bis 20 Prozent auf Einkommen jenseits von Abzugsbeträ- gen und Grundfreibeträgen.

In den USA sank während der Reagan-Regierung der Spitzensteuersatz der Bundeseinkommen- steuer auf 28 Prozent (1988). In den 1990er Jahren wurde er schrittweise auf 39,6 Prozent angehoben, seit 2003 dann auf 35 Prozent gesenkt. In Großbritannien reduzierte die Thatcher- Regierung den Einkommensteuer-Spitzensatz auf 40 Prozent (1988). In Deutschland schwächte die schwarz-gelbe Regierung ab 1986 zunächst den steilen Anstieg der Grenzsteuersätze bei den unteren und mittleren Einkommen ab. Ab 1990 wurde dann ein linear-progressiver Einkom- mensteuertarif eingeführt und der Spitzensteuersatz auf 53 Prozent gesenkt. Deutlich reduziert wurde der Spitzensteuersatz erst unter der rot-grünen Regierung auf 42 Prozent ab 2005. Seit 2007 wird ein Spitzensteuersatz von 45 Prozent ab Einkommen über 250 000 Euro erhoben.

Auch in anderen OECD-Ländern wurden die Spitzensteuersätze spürbar gesenkt (Mankiw, Wein- zierl und Yagan 2009: 151, OECD Tax Database 2013 sowie der Beitrag von Margit Schratzenstal- ler in diesem Band). Erst in den in den letzten Jahren haben eine Reihe von Ländern ihre Spit- zensteuersätze wieder erhöht, um die Haushaltsdefizite abzubauen, die im Zuge der jüngsten Krise aufgelaufen sind.

Ferner wurden die Unternehmens- und Vermögenseinkommen im Verlauf der letzten Jahrzehn- te steuerlich entlastet und aus der „synthetischen“ Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer herausgenommen („Duale Einkommensteuer“). Die Unternehmensteuersätze wurden deutlich gesenkt. Die früher in vielen Ländern praktizierten Anrechnungsverfahren für die Körperschaft- steuer, die deren weitgehende Integration in die Einkommensteuer bewirkten, wurden fast aus- nahmslos abgeschafft (in Deutschland ab 2002). In fast allen OECD- und EU-Ländern müssen inzwischen hohe Kapitaleinkommen nicht mehr bei der Einkommensteuer-Veranlagung ange- geben werden, da sie abgeltenden proportionalen Kapitalertragsteuern unterliegen, die deutlich niedriger sind als die Spitzensteuersätze (in Deutschland ab 2009). Allgemeine Vermögensteu- ern wurden in den meisten Ländern abgeschafft (in Deutschland ab 1997). Zwar wurden die Bemessungsgrundlagen verbreitert und Steuervergünstigungen abgeschafft, insgesamt gingen die effektiven Belastungen von Unternehmens- und Vermögenseinkommen aber zurück.

Zugleich hat in den letzten Jahrzehnten die Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensver- teilung in vielen Ländern zugenommen (OECD 2008, 2011a). Die Unternehmens- und Vermö- genseinkommen legten im Trend kräftig zu. Nennenswerte reale Einkommenszuwächse gab es in Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre nur noch für Wohlhabende, während die Massen- einkommen stagnierten und die niedrigen Erwerbseinkommen gesunken sind (Bach, Corneo und Steiner 2009). Erst in den letzten Jahren hat sich diese Entwicklung nicht mehr fortgesetzt (Grabka, Goebel und Schupp 2012). Die Steuerentlastungen für hohe Einkommen und Vermö- gen haben mit dazu beigetragen, dass die Verteilung der verfügbaren Einkommen ungleicher

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geworden ist und die Umverteilungswirkung des Steuer- und Transfersystems abgenommen hat (Biewen und Juhasz 2012).

Angesichts dieser Entwicklungen sowie angesichts der Notwendigkeiten der Haushaltskonso- lidierung durch Finanzkrise und Schuldenbremse werden in den letzten Jahren höhere „Rei- chensteuern“ vorgeschlagen. Dabei geht es vor allem um den Einkommensteuer-Spitzensatz, aber auch um die Unternehmen- und Kapitaleinkommensbesteuerung, die Erbschaftsteuer, eine Wiederbelebung der Vermögensteuer oder die der Erhebung einer einmaligen Vermögensab- gabe. In einer Reihe von Ländern ist der Einkommensteuer-Spitzensatz erhöht worden, so in Großbritannien, Frankreich und den südeuropäischen Krisenländern. Ferner wurden Vermö- gensteuern angehoben oder neu eingeführt. Kritiker befürchten Ausweichreaktionen, die das Mehraufkommen begrenzen und nachteilige wirtschaftliche Wirkungen auslösen.

3 Modelle für den optimalen Spitzensteuersatz

„Niemand ist verpflichtet, sein Vermögen so zu verwalten oder seine Ertragsquellen so zu be- wirtschaften, dass dem Staat darauf hohe Steuern zufließen“, so urteilte das Preußische Ober- verwaltungsgericht im Jahre 1906. Dass hohe Steuersätze Ausweichreaktionen der Belasteten auslösen können, ist eine der ältesten Erkenntnisse der Steuerwirkungslehre. Daher ist auch das Phänomen der Laffer-Kurve bekannt, seitdem es Steuern gibt (Scheer 1998).1 Die zentrale Frage ist, in welchem Umfang Steuerbelastungen wirtschaftliche Wirkungen auslösen und wie diese Wirkungen im Vergleich zu den Einnahmen- und Umverteilungszielen der Steuerpolitik zu bewerten sind.

Die aktuelle „Reichensteuer“-Diskussion ist auch durch die Erfahrungen mit den Steuersen- kungen der letzten Jahrzehnte und den Analysen der dadurch ausgelösten Steuerwirkungen beeinflusst. Die empirischen Studien zeigen, dass es zwar spürbare Anpassungsreaktionen ge- ben kann, die einen gewissen „Selbstfinanzierungseffekt“ bei Steuersenkungen mit sich brin- gen oder das Mehraufkommen bei Steuererhöhungen begrenzen können (vergleiche unten).

Allerdings sind die Effekte bei größeren Steuersatzänderungen längerfristig zumeist begrenzt und können die Erstrunden-Wirkungen auf das Steueraufkommen nur zum geringeren Teil kompensieren. Das gilt auch für die Steuerpflichtigen mit höheren Einkommen. Ferner beruhen viele Steuervermeidungsmöglichkeiten auf unzureichenden steuerrechtlichen und -technischen Regelungen. Diese können zumindest längerfristig eingeschränkt werden, woran die Steuerpo- litik in den letzten Jahren gearbeitet hat.

3.1 Optimale Einkommensteuer

Die neuere optimalsteuerliche Diskussion einer nichtlinearen Einkommensteuer wurde durch die einflussreiche Studie von Mirrlees (1971) begründet und danach in viele Richtungen erwei- tert (Tuomala 1990). Bei den Modellierungen werden individuelle Nutzenfunktionen unterstellt, die vom Konsum und der Freizeit abhängen. Der Staat maximiert die soziale Wohlfahrt unter

1 So mokierte sich der englische Schriftsteller Jonathan Swift 1728 darüber, dass bei der hohen Steuerbelastung zweimal zwei selten mehr als eins ergebe. In der älteren deutschsprachigen finanzwissenschaftlichen Literatur nannte man das „Swiftsches Steuer-Einmaleins“.

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Beachtung der Budgetbedingung, indem er den individuellen Nutzen im Rahmen einer sozialen Wohlfahrtsfunktion gewichtet und bei Ungleichheitsaversion einen abnehmenden gesellschaft- lichen Grenznutzen des Einkommens unterstellt. Bei der Einkommensbesteuerung entsteht der klassische Konflikt zwischen Verteilungszielen und Effizienz, da sich nur die realisierten Einkommen beobachten lassen, nicht aber die Fähigkeiten zum Einkommenserwerb, also die potentielle Leistungsfähigkeit, und der tatsächliche Arbeitseinsatz. Die Individuen haben also bei höheren Grenzsteuerbelastungen einen Anreiz, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, weniger intensiv zu arbeiten oder auch Steuergestaltungsmöglichkeiten zu nutzen. Diese Ausweichreaktionen begrenzen die Grenzsteuer sätze im Optimum.

Ein bekanntes Ergebnis dieser Literatur ist, dass bei plausiblen Parametrisierungen die opti- malen Grenzsteuersätze zwar mit zunehmendem Einkommen steigen, bei hohen Einkommen aber wieder reduziert werden sollten. Sofern die Einkommensverteilung bis zu den höchsten Einkommen bekannt ist, sinkt der optimale Grenzsteuersatz für den reichsten Steuerzahler auf null. Die Intuition dabei ist, dass für die Umverteilung höhere Steuerbelastungen und somit Durchschnittsteuersätze wünschenswert sind, höhere Grenzsteuersätze jedoch Effizienzverlus- te bedeuten (Mankiw, Weinzierl und Yagan 2009: 151). Erhebt der Staat bei einem bestimmten Einkommensniveau oder -intervall einen höheren Grenzsteuersatz, entsteht ein Effizienzverlust durch die Ausweichreaktionen der Steuerpflichtigen mit diesen Einkommen. Allerdings zahlen auch alle Steuerpflichtigen mit höheren Einkommen mehr Steuern. Deren Durchschnittssteu- ersätze steigen, ohne dass ihre Grenzsteuersätze steigen. Dieses Steuermehraufkommen steht dem Effizienzverlust gegenüber. Bei den Steuerpflichtigen mit den sehr hohen Einkommen do- minieren zunehmend die Effizienzverluste, und beim reichsten Steuerpflichtigen gibt es nie- manden mehr mit höheren Einkommen.

Allerdings werden diese Zusammenhänge in der neueren Literatur als wenig politikrelevant ein- gestuft (Diamond 1998, Saez 2001, Diamond und Saez 2011). Der Grenzsteuersatz von null gilt nur für den Reichsten. Wenn die Einkommensabstände zu den nächstplatzierten Einkommen hoch sind, können deren Grenzsteuersätze größer sein. Vor allem sind die Top-Einkommen ex ante nicht genau bekannt und schwanken stark, da sie zumeist auf Unternehmensgewinnen beruhen. Im Übrigen gilt für den aufgezeigten Zusammenhang, dass die optimalen Grenzsteu- ersätze im oberen Einkommensbereich umso höher sein können, je stärker die Einkommens- verteilung nach oben konzentriert ist.

3.2 Optimaler Spitzensteuersatz

Unterstellt man eine unbegrenzte („unbounded“) Verteilung der Fähigkeiten und der Einkom- men, so ist der optimale Grenzsteuersatz unter plausiblen Annahmen positiv. Unter vereinfa- chenden Annahmen lassen sich Formeln für den optimalen Spitzensteuersatz ableiten, die auf wenigen empirisch zu bestimmenden Parametern beruhen und in der Politikberatung eingesetzt werden können (vergleiche Saez 2001, Diamond und Saez 2011, Saez, Slemrod und Giertz 2012 sowie den Beitrag von Tony Atkinson in diesem Band).2 Nimmt man für die Topverdiener an, dass deren Fähigkeiten und Einkommen der Pareto-Verteilung folgen, was für den Bereich der sehr hohen Einkommen für viele Länder der westlichen Welt empirisch gut bestätigt ist, sowie einheitliche Substitutions- und Einkommenselastizitäten der Besteuerungsgrundlage, dann er-

2 Mankiw, Weinzierl und Yagan (2009: 152) diskutieren diese Annahmen kritisch.

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gibt sich für den Top-Einkom mens bereich ein einheitlicher optimaler Spitzensteuersatz τ. Die- ser hängt ab vom durchschnittlichen marginalen Gewicht g, das die soziale Wohlfahrtsfunktion den Spitzeneinkommen zumisst, den durchschnittlichen unkompensierten und kompensierten Elastizitäten der Besteuerungsgrundlage bezogen auf das Nettoeinkommen eu und ec, sowie dem Parameter a, der die Konzentration der Pareto-Verteilung beschreibt (1).

1 .

1 ( 1)

τ a

= −

− + u+ cg

g e e (1)

Der optimale Spitzensteuersatz ist umso höher, je geringer das marginale soziale Wohlfahrts- gewicht der Topverdiener angesetzt wird, je geringer die kompensierte Besteuerungsgrundla- genelastizität ist (Substitutionseffekt), je höher der absolute Einkommenseffekt3 in Relation zum Substitutionseffekt ausfällt und je stärker die Einkommen im Topbereich konzentriert sind (stei- gende Konzentration bedeutet sinkendes a).

Bei stärkerer Ungleichheitsaversion verringert sich das marginale soziale Wohlfahrtsgewicht g für hohe Einkommen zunehmend und konvergiert gegen null. Unterstellt man zum Beispiel eine logarithmische Funktion bezogen auf den Konsum oder das Einkommen, wofür es aus der neueren Glücksforschung einige Anhaltspunkte gibt (vergleiche Diener et al. 2010, Kahneman und Deaton 2010, für Deutschland vergleiche Keuschnigg und Wolbring 2012), so sind die mar- ginalen sozialen Wohlfahrtsgewichte umgekehrt proportional zum Konsum beziehungsweise zum Einkommen.4 Nach der Lohn- und Einkommensteuerstatistik (2007) haben die Ledigen mit steuerpflichtigen Einkommen über 250 000 Euro ein Durchschnittseinkommen von 793 000 Euro und die Verheirateten mit Einkommen über 500 000 Euro ein Durchschnittseinkommen von 1,35 Millionen Euro. Bezogen auf die Durchschnittseinkommen aller Steuerpflichtigen von 28 000 Euro (Singles) oder 54 000 Euro (Verheiratete) ergeben sich für die Hocheinkommens- bezieher durchschnittliche marginale Wohlfahrtsgewichte von etwa vier Prozent in Relation zu den Durchschnittseinkommen. Entsprechend gering ist dann der Einfluss auf den optimalen Spitzensteuersatz gemäß (1). Unterstellt man eine Rawlssche Wohlfahrtsfunktion, bei der sich die Politik am Nutzen des am schlechtesten gestellten Individuums orientiert („Maximin-Kriteri- um“), so sind die marginalen Wohlfahrtsgewichte der höheren Einkommen generell null.

Wenn der Staat den Marginalkonsum beziehungsweise das Marginaleinkommen der Topverdie- ner nicht mehr positiv gewichtet (g = 0) und keine Einkommenseffekte der Besteuerung auftre- ten (ec = eu ≡ e), dann vereinfacht sich (1) zu

1 1 .

τ= +ea (2)

Das heißt, der Staat wählt bei den Topverdienern den aufkommensmaximierenden Steuersatz, so wie es auch die Laffer-Kurve unterstellt.5 Ein höherer Steuersatz ist nicht sinnvoll, da dann

3 Sofern die Freizeit oder andere Möglichkeiten der Steuergestaltung kein „inferiores Gut“ sind, also mit steigendem Einkommen zunehmen, wirkt der Einkommenseffekt negativ auf die Besteuerungsgrundlage.

4 Die erste Ableitung der Funktion logb |x| ergibt 1/(x ln b). Für ln |x| lautet die erste Ableitung 1/x.

5 Bei einer einheitlichen proportionalen Steuer auf alle Einkommen (ohne Abzugsbeträge und Grundfreibetrag), wie bei der klassi- schen Laffer-Kurve unterstellt, gilt a = 1 und somit für den aufkommensmaximierenden Steuersatz τ = 1/(1+e), vgl. dazu etwa Browning (1989).

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sowohl das Steueraufkommen zurückgeht als auch der individuelle Nutzen der Steuerzahler verringert wird. Zugleich ist der optimale Spitzensteuersatz unabhängig vom gesamten Steuer- aufkommen, das für die Finanzierung der öffentlichen Güter erforderlich ist. Insoweit dient das Aufkommen aus der Besteuerung der Spitzenverdiener letztlich dazu, die Steuerbelastung der niedrigeren Einkommen zu verringern (Diamond und Saez 2011).

Bach, Corneo und Steiner (2012) haben diese Modelle an die deutsche Einkommensteuer an- genähert, bei der Ehepaare gemeinsam veranlagt und nach dem Splittingverfahren besteuert werden. Entsprechend wird bei den Elastizitäten und der Top-Einkommens verteilung zwischen Ledigen und Ehepaaren unterschieden. Sofern identische Elastizitäten für Ledige und Verhei- ratete unterstellt werden, ergibt sich ein optimaler Spitzensteuersatz entsprechend (1) oder (2), wobei der Parameter a als eine Art gewichteter Durchschnitt zwischen den Parametern der Ver- teilungen für Ledige und Verheiratete ermittelt werden kann.

Ferner berücksichtigen Bach, Corneo und Steiner (2012) die Wirkung der Konsumbesteuerung genauer. Sofern neben der Einkommensteuer auch Konsumsteuern erhoben werden, muss dies bei der Ableitung des optimalen Spitzensteuersatzes für die reine Einkommensteuer τy berück- sichtigt werden. Im Falle einer indirekten Konsumsteuer mit dem Steuersatz tc gilt dann

1 , τ τ +

= +

y c

c

t

t (3)

wobei als Konsumsteuer eine Wertsteuer auf die Verkaufspreise vor Konsumsteuer angenom- men wird („tax exclusive base“, wie bei der Mehrwertsteuer). Umstellungen von (3) ergeben

(1 ) .

τy = − −τ τ tc (4)

Bei einer Erhebung von Konsumsteuern fällt der optimale Einkommensteuersatz also niedriger aus.

4 Szenarien für den optimalen Spitzensteuersatz in deutschland

In Tabelle 1 sind die Ergebnisse für den optimalen Spitzensteuersatz der Einkommensteuer τy nach Berücksichtigung von Konsumsteuern in Deutschland für relevante Parameterkonstellati- onen angegeben (vergleiche dazu Bach, Corneo und Steiner 2012). Unterschieden werden ver- schiedene Einkommensabgrenzungen bei den Lohn- und Unternehmenseinkommen. Die Ver- mögenseinkommen bleiben unberücksichtigt, da sich die Analyse auf die Erwerbseinkommen konzentrieren soll und implizit Lebenseinkommen analysiert werden. Aspekte der Kapitalein- kommensbesteuerung werden im folgenden Kapitel 5 aufgegriffen. Es werden verschiedene An- passungsmöglichkeiten berücksichtigt, zum einen die kurz- bis mittelfristigen Arbeitsangebots- reaktionen, zum anderen erweiterte Elastizitäten der Besteuerungsgrundlage, die auch mögliche Steuergestaltungen einbeziehen. Soziale Wohlfahrtsgewichte für hohe Einkommen werden nicht berücksichtigt. Die damit verbundenen Annahmen werden im folgenden Kapitel 5 diskutiert.

Zur Messung der Top-Einkommenskonzentration haben Bach, Corneo und Steiner (2012) die Wellen der Einkommensteuerstatistik 2004 und 2005 herangezogen. Analysiert wurden die Lohneinkommen aus nichtselbständiger Arbeit sowie die Unternehmenseinkommen (aus Ge-

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werbebetrieb, Landwirtschaft und sonstiger selbständiger Arbeit). Für 2005 konvergiert die Top- Einkommensverteilung der Ledigen ab einem Jahreseinkommen von 350 000 Euro auf einen Parameter a von 1,9 bei den Lohneinkommen und auf 1,46 bei den Lohn- und Unternehmens- einkommen. Bei den Ehepaaren konvergiert die Einkommensverteilung ab einem gemeinsamen Einkommen von 600 000 Euro auf einen Parameter von 2,1 bei den Lohneinkommen und auf 1,5 bei den Lohn- und Unternehmenseinkommen.

Neuere Daten der Einkommensteuerstatistik liegen derzeit bis 2008 vor, sind bisher aber nicht als Einzeldaten für wissenschaftliche Analysen verfügbar. Vergleichsrechnungen mit veröffent- lichten Tabelleninformationen der Lohn- und Einkommensteuerstatistik (2007) zeigen ähnliche Verteilungsparameter. Schwer einzuschätzen ist, wie sich die Top-Einkommensverteilung seit- dem entwickelt hat. Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise dürfte die Konzentration zunächst abgenommen haben. Durch die schnelle Erholung und die günstige wirtschaftliche Entwicklung bei weiterhin nur moderat steigenden Masseneinkommen, wachsendem Niedriglohnsektor so- wie zunehmender Teilzeitarbeit dürfte sich keine Trendumkehr bei der zunehmenden Top-Ein- kommenskonzentration ergeben haben, wie sie für das vorangehende Jahrzehnt zu beobachten war (Bach, Corneo und Steiner 2009). Daher dürften die für 2005 ermittelten Verteilungspara- meter auch für die aktuelle Situation einen guten Anhaltspunkt bieten.

Der Konsumsteuersatz für die Top-Einkommensbezieher wird auf 20 Prozent geschätzt. Dieser fällt mit 15 Prozentpunkten auf die Mehrwertsteuer und zu 2,5 Prozentpunkten auf die Ener- giesteuern. Der Rest entfällt auf Grundsteuer6, Versicherungsteuer, Kfz-Steuer und sonstige Sonderverbrauchsteuern. Da implizit Lebenseinkommen betrachtet werden, können temporäre

6 Unterstellt wird, dass die Grundsteuer die Wohnkosten belastet und nicht von den Vermietungseinkommen getragen wird.

Tabelle 1

Optimaler einkommensteuersatz für hohe einkommen bei einem Konsumsteuersatz von 20 Prozent

einkommenskonzept pareto-parameter a

arbeitsangebotselastizitäten elastizitäten der Besteuerungsgrundlage ledige Verheiratete alle steuerpflichtigen

eu 0,14 0,18

e 0,30 0,40 0,80

ledige Verheiratete ec 0,20 0,20

lohneinkommen

a = 1,90 a = 2,10 68 % 55 % 47 % 26 %

lohn- und unternehmens- einkommen

a = 1,46 a = 1,50 75 % 63 % 55 % 35 %

Elastizitäten jeweils bezogen auf das Nettoeinkommen („net-of-tax rate“).

eu: Unkompensierte Arbeitsangebotselastizität, ec: Kompensierte Arbeitsangebotselastizität.

e: Elastizität der Besteuerungsgrundlage.

Quelle: Berechnungen auf Grundlage von Bach, Corneo und Steiner (2012).

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Ersparnisse bei der Belastungsanalyse vernachlässigt werden.7 In Tabelle 1 sind die Einkommen- steuersätze τy unter Berücksichtigung dieses Konsumsteuerniveaus angegeben.

4.1 Arbeitsangebotswirkungen

Die kurz- bis mittelfristigen Arbeitsangebotselastizitäten wurden mit einem Mikrosimulations- modell auf Grundlage des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) geschätzt (Steiner und Wrohlich 2008). Sie umfassen sowohl die Partizipationsentscheidung, also den Ein- und Austritt in den Arbeitsmarkt („extensive margin“), als auch den Umfang der geleisteten Arbeitszeit („intensive margin“). Dabei wird für Ehepaare unterstellt, dass beide Partner gemeinsam über ihr Arbeitsan- gebot entscheiden. Geschätzt wurden Arbeitsangebotselastizitäten von Ledigen mit mindestens 50 000 Euro Jahreseinkommen und von Ehepaaren mit einem gemeinsamen Jahreseinkommen von mindestens 100 000 Euro. Dabei ergeben sich relativ geringe Arbeitsangebotselastizitäten bezogen auf das Nettoeinkommen in Höhe von 0,14 bei den Ledigen und 0,18 bei den Ehepaa- ren. Das relative Gewicht des (absoluten) Einkommenseffekts ist bei den Ledigen höher. Für bei- de Gruppen ergibt sich eine kompensierte Elastizität von 0,2, die die reinen Substitutionseffekte repräsentiert.

Angesichts der moderaten Arbeitsangebotswirkungen fallen die Optimalsteuersätze für die Top- Einkommen recht hoch aus (Tabelle 1). Sie liegen deutlich über dem aktuellen Spitzensteuer- satz von 45 Prozent beziehungsweise 47,5 Prozent einschließlich Solidaritätszuschlag. Für die Lohneinkommen ergibt sich ein optimaler Spitzensteuersatz von 68 Prozent. Für die gesamten Erwerbseinkommen resultiert aufgrund der deutlich konzentrierteren Einkommensverteilung sogar ein optimaler Spitzensteuersatz von 75 Prozent. Das ist der Spitzensteuersatz, der in Frank- reich nach dem Wahlsieg von Präsident Hollande auf Einkommen über einer Millionen Euro für die Jahre 2013 und 2014 eingeführt wurde.

Allerdings können Einkommensteuern nicht nur unmittelbare Arbeitsmarktwirkungen auslö- sen. Zum einen können die Steuerpflichtigen längerfristig mit ihrem qualitativen Arbeitsangebot reagieren, etwa bei Bildungs- und Karriereentscheidungen (Bach, Corneo und Steiner 2012).

Über diese Reaktionen gibt es kaum empirische Evidenz (vergleiche dazu OECD 2011b, Meghir und Phillips 2010). Vermutlich sind die Reaktionen nicht viel stärker, da für diese grundlegenden Entscheidungen viele andere Einflussfaktoren eine Rolle spielen und bei längeren Planungshori- zonten die Unsicherheit steigt.

4.2 Steuergestaltung

Zum anderen sind Ausweichreaktionen durch Steuergestaltung wahrscheinlich, für die Hoch- verdiener viele Möglichkeiten haben. Dies gilt schon für Arbeitseinkommen von hochbezahlten Fachkräften oder Managern. Diese können zum Beispiel den Zeitpunkt von erfolgsabhängigen Lohnbestandteilen beeinflussen (bei Bonuszahlungen oder stock options) oder geldwerte Vorteile nutzen. Erst recht gilt dies bei Selbständigen, die bei der Unternehmensbesteuerung viele Ge- staltungsspielräume haben, etwa bei der Bilanzierung, bei der Rechtsform- oder Finanzierungs- wahl, durch Gestaltungen von Investitionen und Anlageportfolios oder durch die Nutzung von expliziten Steuervergünstigungen.

7 Sofern Topverdiener Vermögen verschenken oder hinterlassen, fällt Erbschaft- oder Schenkungsteuer an.

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Maßgeblich ausgelöst durch die einflussreiche Studie von Feldstein (1995) zu den Wirkungen der US-Einkommensteuerreform 1986 sind in den letzten Jahrzehnten viele empirische Unter- suchungen entstanden, bei denen Wirkungen von Steuerreformen auf die steuerlichen Bemes- sungsgrundlagen gemessen werden. Dabei werden zumeist keine strukturellen Modelle ein- gesetzt, sondern konkrete Steuerreformen evaluiert. In einer aktuellen Surveystudie schätzen Saez, Slemrod und Giertz (2012) die längerfristigen Elastizitäten bei den höherverdienenden Steuerpflichtigen in den USA in einem Bereich von 0,12 bis 0,4, wobei die Einkommenseffekte sehr klein ausfallen. Für Deutschland gibt es leider erst für die letzten zehn Jahre zuverlässige Panel-Daten der Einkommensteuerstatistik. In einer aktuellen Studie ermitteln Schmidt und Müller (2012) auf Grundlage der Einkommensteuerstatistik 2001 bis 2006 für die rot-grünen Steuerreformen bis 2005 Elastizitäten für das zu versteuernde Einkommen in Höhe von 0,3 bis 0,4 und für die Summe der Einkünfte von 0,2 bis 0,4. Die gemessenen Reaktionen fallen in der oberen Hälfte der Steuerzahler höher aus, während die Top-Einkommensbezieher nicht deutlich stärker reagieren. Ferner reagieren Ehepaare stärker als Ledige und Männer stärker als Frauen.

Allerdings haben die angewendeten empirischen Methoden ihre Schwierigkeiten und können zumeist nicht die langfristigen Wirkungen identifizieren (Saez, Slemrod und Giertz 2012). Auf- fällig und plausibel ist, dass die kurzfristigen Elastizitäten meist höher sind als die längerfris- tigen, da im Umfeld von Steuerreformen häufig steuerpflichtige Einkünfte auf der Zeitachse verschoben werden können. Eine Rolle für die wirtschaftspolitische Bewertung spielen auch

„fiskalische Externalitäten“ von Steuervermeidungsaktivitäten, zum Beispiel bei Wirkungen auf andere Steuern oder der Nutzung von expliziten Steuervergünstigungen (dazu unten, Kapitel 5).

Nicht zuletzt ist bei der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen, dass in den empiri- schen Studien in aller Regel die Wirkungen von konkreten Steuerreformen der Vergangenheit evaluiert werden. Daher können die Ergebnisse nicht unmittelbar auf die verschiedenen Anpas- sungsreaktionen aufgeteilt werden, etwa auf Verhaltensänderungen beim Arbeitseinsatz oder auf diverse Steuervermeidungsaktivitäten. Ferner können die Ergebnisse nicht ohne weiteres auf andere geplante Steuerreformen übertragen und generalisiert werden, sofern sich relevante Verhältnisse verändert haben, etwa die Möglichkeiten zur Steuergestaltung und -vermeidung.8 Um auch die Wirkung von möglichen stärkeren Ausweichreaktionen durch Steuergestaltungen zu analysieren, sind in Tabelle 1 die Wirkungen für Elastizitäten der Besteuerungsgrundlagen in Höhe von 0,3, 0,4 und 0,8 berechnet. Dabei werden die Einkommenseffekte vernachlässigt und für Ledige und Verheiratete dieselben Elastizitäten verwendet. Nach den vorliegenden em- pirischen Studien könnte die mittlere Schätzung für die längerfristigen Anpassungsreaktionen über alle Einkommensgruppen bei 0,3 liegen. Für dieses Niveau ergeben sich Spitzensteuersätze in Höhe von 55 Prozent für Lohneinkommen oder 63 Prozent für Lohn- und Unternehmensein- kommen, die immer noch deutlich höher als der aktuelle Spitzensteuersatz ausfallen. Für eine Elastizität von 0,4, die nach den empirischen Studien als mittlere Schätzung für die längerfristi- gen Anpassungsreaktionen im oberen Einkommensbereich angenommen werden könnte, resul- tieren optimale Spitzensteuersätze von um die 50 Prozent. Dieses Niveau entspricht den aktuel- len Vorschlägen der rot-grünen Opposition für den Spitzensteuersatz, der allerdings bereits bei niedrigeren Einkommen von 80 000 bis 100 000 Euro erreicht werden soll (iwd 2003). Bei einer Elastizität von 0,8, die kurz- und mittelfristig bei starken Ausweichreaktionen entstehen könnte,

8 Vgl. hierzu die Diskussion in Großbritannien im Jahr 2010 zur Erhöhung des Einkommensteuer-Spitzen steuersatzes von 40 auf 50 Prozent („50p“) , dazu Brewer, Browne und Johnson (2012) sowie der Beitrag von Tony Atkinson in diesem Band.

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müsste hingegen der Spitzensteuersatz auf 35 Prozent für Lohn- und Unternehmenseinkommen oder auf 26 Prozent bei Lohneinkommen sinken. Derart niedrige Spitzenbelastungen wurden in der Steuerreformdiskussion Mitte der 2000er Jahre empfohlen, allen voran der Vorschlag des Heidelberger Steuer- und Verfassungsjuristen Paul Kirchhof (2011).

5 Steuerpolitische diskussion

Die Szenarien für den optimalen Spitzensteuersatz in Deutschland ergeben für die verschiede- nen Parameterkonstellationen ein breites Spektrum von Ergebnissen (Tabelle 1). Es reicht von 25 Prozent („Kirchhof“) bis 75 Prozent („Hollande“). Wesentliche Einflussfaktoren sind neben der sozialen Wohlfahrtsgewichtung hoher Einkommen die Einkommenskonzentration und die Anpassungsreaktionen auf die Besteuerung. Während die Einkommenskonzentration in der Steuerstatistik gut zu beobachten ist, sind Schätzungen der längerfristigen Anpassungsreaktion schwierig und unsicher. Es spricht aber vieles dafür, dass die reinen realwirtschaftlichen Ar- beitsangebotselastizitäten bei den Steuerpflichtigen mit den höheren Einkommen eher gering ausfallen, während die Möglichkeiten zur Steuergestaltung eine größere Rolle spielen. Je nach- dem, wie stark man die längerfristige Relevanz der Steuergestaltung einschätzt, kommt man zu Optimalsteuersätzen, die deutlich über oder unter dem gegenwärtigen Spitzensteuersatz der Ein- kommensteuer liegen. Diese Zusammenhänge sollen im Folgenden näher beleuchtet und mit Blick auf ihre steuerpolitische Relevanz bewertet werden. Abschließend werden die fiskalischen Wirkungen höherer Spitzensteuersätze dargestellt.

5.1 Realwirtschaftliche Anpassungen versus Steuergestaltungen

Unter wohlfahrtsökonomischen und steuerpolitischen Gesichtspunkten ist die Unterscheidung zwischen realwirtschaftlichen Anpassungen und Steuergestaltungen zentral (Saez, Slemrod und Giertz 2012, Bach, Corneo und Steiner 2012). Die realwirtschaftlichen Reaktionen beim Arbeitsangebot umfassen die grundlegenden wirtschaftlichen Entscheidungen, also Erwerbsbe- teiligung und -umfang einschließlich von Bildungs- und Karriereentscheidungen sowie der Wahl zwischen abhängiger und selbständiger Arbeit und des Arbeitsortes. Diese Zusammenhänge stellen den Kern des optimalsteuerlichen Equity-Efficiency-Tradeoffs dar, der im Rahmen der bestehenden Besteuerungssysteme nicht zu vermeiden ist, soweit aus rechtlichen oder administ- rativ-technischen Gründen keine weiteren persönlichen Charakteristika genutzt werden können, die die tatsächlichen Fähigkeiten indirekt messen („tagging“).9

Die meisten Steuergestaltungsmöglichkeiten sind dagegen nicht naturgegeben. Sie entstehen durch Unzulänglichkeiten bei der Einkommensermittlung und beim Vollzug der Besteuerung, expliziten Steuervergünstigungen oder Steuerarbitrage zwischen Gebietskörperschaften. Die zugrundeliegenden Regelungen können zumindest längerfristig begrenzt werden, politischer Wille und steuertechnische Möglichkeiten vorausgesetzt. So haben die meisten Länder in den letzten beiden Jahrzehnten Steuervergünstigungen und begünstigende Regelungen bei der steu-

9 Vgl. Mankiw, Weinzierl und Yagan (2009: 161). Viele Einkommensteuersysteme differenzieren die Steuerbelastung nach Alter, Behinderung, Familienstand oder Vorhandensein von unterhaltsberechtigten Kindern und anderen Personen. Eine Differenzierung der Steuerbelastungen nach Geschlecht, Körpergröße, Bildungsstand, sozioökonomischem Hintergrund oder Migrationshintergrund gibt es dagegen nicht.

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erlichen Gewinn- und Einkünfteermittlung abgebaut. Steueroasen und unfaire Steuerpraktiken werden auf internationaler Ebene zunehmend bekämpft. Auch der internationale Steuersen- kungswettlauf bei den Steuersätzen ist ins Stocken geraten angesichts der Notwendigkeit zur Haushaltskonsolidierung nach der Finanz- und Wirtschaftskrise. Einige Länder haben ihre Spit- zensteuersätze inzwischen wieder angehoben, zumindest zeitweise. Angesichts einer latenten Tendenz zur Renationalisierung der Kapitalmärkte sowie der guten Wirtschaftsaussichten und Standortbedingungen dürfte sich der Spielraum für höhere Steuern auf hohe Einkommen oder Vermögen in Deutschland wieder erhöht haben (Bach und Haan 2011).

Die genaue Abgrenzung zwischen realwirtschaftlichen Anpassungen und Steuergestaltungen ist nicht immer eindeutig zu ziehen. Und die Einschränkung von Steuergestaltungsmöglichkeiten ist auch nicht kostenlos zu haben. Es entstehen höherer Verwaltungs- und Befolgungsaufwand oder auch politische Kosten einer zunehmenden internationalen Steuerharmonisierung (ver- gleiche dazu den Beitrag von Thomas Rixen in diesem Band). Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft eröffnen laufend neue Steuergestaltungsmöglichkeiten, denen Steuerpolitik und -verwaltung folgen müssen. Wichtig aber bleibt festzuhalten, dass die wohlfahrts- und steuerpo- litische Dimension von höheren Ausweichreaktionen durch Steuergestaltungen anders einzu- schätzen ist als bei realwirtschaftlichen Anpassungen.

5.2 Fiskalische Externalitäten

Steuervergünstigungen lösen vielfach auch positive fiskalische Externalitäten aus (Saez, Slemrod und Giertz 2012, Bach, Corneo und Steiner 2012). Bei expliziten Steuervergünstigungen, wie zum Beispiel dem Spendenabzug oder erhöhten Abschreibungen für Investitionen, fördert der Staat bewusst bestimmte Ausgaben, die dem Gemeinwohl dienen sollen. Der darin enthaltene Subventionseffekt ist von den Effizienzkosten der Steuervermeidung abzuziehen. Bei Steuerge- staltungen entstehen häufig Mehreinnahmen bei anderen Steuern oder in späteren Perioden.

Dies ist der Fall, wenn Besteuerungsgrundlagen in andere rechtliche Formen (zum Beispiel zwi- schen Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften oder zwischen Vermietungseinkünften oder Kapitaleinkünften) oder auf der Zeitachse verschoben werden. Geldstrafen bei aufgedeck- ter Steuerhinterziehung erzielen zusätzliche Einnahmen für den Fiskus. Sofern Besteuerungs- grundlagen ins Ausland verlagert werden, entstehen dort Mehreinnahmen. Zugleich können Steuervergünstigungen vielfältige „Zusatzlasten“ auslösen, also Effizienzminderungen durch Fehllenkungen bei wirtschaftlichen Entscheidungen oder durch erhöhten Verwaltungs- und Be- folgungsaufwand der Besteuerung. Auch diese Aspekte sind bei der wohlfahrts- und steuerpoli- tischen Bewertung zu berücksichtigen.

5.3 Soziale und politische Externalitäten

Bei einer starken Ungleichverteilung von Einkommen oder Vermögen werden häufig negative soziale oder politische Externalitäten vermutet. Reiche Personen können starken Einfluss auf die politische Willensbildung haben. Bei erfolgsabhängigen Entlohnungen von Managern entstehen die viel diskutierten „Agency“-Probleme zulasten der langfristigen Interessen von Eigentümern, Mitarbeitern oder Kapitalanlegern (Bebchuk und Fried 2003). Auf den Finanzmärkten hat unzu- reichende Regulierung im Zusammenwirken mit großen Gewinnmöglichkeiten zur Finanzkrise geführt, die erhebliche gesamtwirtschaftliche Kosten ausgelöst hat. Zur Lösung dieser Probleme sind zunächst strengere Regulierungen und verbesserte Anreizmechanismen die bevorzugten Instrumente. Diese sind aber häufig nur schwer zielgenau zu gestalten und können hohe Kos-

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ten auslösen. Insoweit höhere Steuern auf Top-Einkommen deren negative Externalitäten min- dern, können sie höhere Steuerbelastungen rechtfertigen (vergleiche dazu auch Piketty, Saez und Stantcheva 2011 sowie den Beitrag von Tony Atkinson in diesem Band).

Zugleich sind hohe Einkommen und Vermögen auch mit positiven sozialen Externalitäten ver- bunden. Unternehmer und Fachkräfte gehen erhebliche Risiken ein, indem sie in ihr (Human-) Kapital investieren und Verantwortung für wirtschaftliche und soziale Prozesse übernehmen.

„Pionierunternehmer“ setzen Innovationen um und bringen so das Wirtschaftswachstum voran.

Die Frage ist allerdings, inwieweit diese Funktionen von der Steuerbelastung beeinflusst werden.

Ähnlich wie bei den langfristigen Arbeitsangebotselastizitäten gibt es hierzu keine eindeutigen theoretischen Erkenntnisse oder empirische Evidenz. Die sozialwissenschaftliche Eliteforschung zeigt, dass solche Rollen stark durch soziale Herkunft und Gruppenzugehörigkeit geprägt sind.

Insoweit ist der Einfluss der Besteuerung vermutlich eher gering.

Generell bedeutet eine progressive Besteuerung kombiniert mit sozialen Sicherungssystemen (negative Einkommensteuer) eine implizite Versicherung von allgemeinen wirtschaftlichen Ri- siken, für die es keine funktionierenden Versicherungsmärkte gibt. Insoweit dieser Effekt län- gerfristige ökonomische Aktivitäten und wirtschaftlich sinnvolle Risikoübernahmen fördert, löst eine progressive Einkommensbesteuerung für sich genommen positive wirtschaftliche Wirkun- gen aus (vergleiche dazu Diamond und Saez 2011: 20, Bach, Corneo und Steiner 2012: 1065).

5.4 Migration

Steuerflucht von Hochverdienern durch Wohnsitzverlagerungen ins Ausland ist ein häufig disku- tiertes Phänomen bei höheren Spitzensteuersätzen (OECD 2011b). Dies ist im zusammenwach- senden Europa zunehmend einfacher, wie auch die Diskussion um die 75-Prozent-Reichensteuer in Frankreich zeigt. In der Regel besteht diese Möglichkeit aber nur für vermögende Anleger und nicht für Arbeitnehmer oder Selbständige, wenn man von Berufssportlern (dazu Kleven, Lan- dais und Saez 2010) oder Kunst- und Medienschaffenden absieht. Bei letzteren wird die höhere Steuerbelastung tendenziell auf die Nachfrager oder auf die nicht mobilen Faktoreinkommen überwälzt, soweit sie nicht durch inländische Personen mit weniger hohen Entgeltforderungen ersetzt werden können. Soweit hohe Einkommen mit negativen externen Effekten einhergehen können, etwa bei Managern oder Investmentbankern (vergleiche oben), sind die Kosten der Steu- erflucht allerdings geringer (Bach, Corneo und Steiner 2012: 1064).

Längerfristig gilt auch bei diesen Ausweichreaktionen, dass sie durch steuerrechtliche Abwehr- regelungen unattraktiver gemacht werden können. Möglichkeiten hierzu sind höhere Quellen- steuern auf Inlandseinkünfte, eine Besteuerung nach der Staatsbürgerschaft (wie in den USA praktiziert) oder eine stärkere internationale Harmonisierung durch Mindeststeuersätze auf hohe Einkommen. Auch kulturelle und soziale Normen und Traditionen spielen eine Rolle. So ist es in den angelsächsischen Ländern oder Skandinavien gesellschaftlich wesentlich stärker geächtet, wenn bekannte Sportler, Unterhaltungskünstler oder Unternehmerfamilien aus steuer- lichen Gründen ihren Wohnsitz im Ausland nehmen, obgleich sie vor allem auf dem heimischen

„Markt“ präsent sind. Durch die zunehmende Verbreitung von internationalisierten angelsäch- sisch geprägten Sozial- und Kommunikationsnormen scheint hier auch in Deutschland ein Wer- tewandel einzutreten.

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5.5 Bezüge zur Kapitaleinkommensbesteuerung

Die hier dargestellten Analysen zum optimalen Spitzensteuersatz beziehen sich auf Erwerbs- einkommen, also Einkünfte aus unselbständiger und selbständiger Arbeit. Unter die Selbstän- digeneinkommen fallen auch Unternehmergewinne, die über die Standardverzinsung von Kapitalanlagen hinausgehen. Auch die Einkünfte aus Kapitalvermögen, die bei den Analysen vernachlässigt wurden, enthalten solche Übergewinne im Rahmen der Gewinnausschüttungen der Kapitalgesellschaften. Soweit diese Übergewinne ein zufälliges Moment enthalten und somit Renteneinkommen darstellen, kann man sie hoch besteuern. Soweit sie eine Entlohnung für be- sondere Risikoübernahmen und Innovationsfreude darstellen, stellen sie Faktoreinkommen dar und enthalten auch positive Externalitäten, die insoweit gegebenenfalls niedrigere Steuersätze begründen können (vergleiche oben).

Die Besteuerung der „reinen“ Kapitaleinkommen ist eine der ältesten und am meisten diskutier- ten Fragen der Optimalsteuerlehre. Die Standardmodelle aus den 1970er Jahren legen tenden- ziell eine Nichtbesteuerung nahe. Unklar ist aber Politikrelevanz dieser Ergebnisse (vergleiche zum Folgenden Mankiw, Weinzierl und Yagan 2009, Diamond und Saez 2011). Relevant sind vor allem die Länge des Planungshorizonts bei Kapitalanlagen in die Zukunft sowie der Zugang zum Kapitalmarkt. Hier zeichnet sich ein gewisser Konsens ab für die Empfehlung, längerfristiges Vorsorgesparen steuerlich freizustellen („sparbereinigte Einkommensteuer“, „nachgelagerte Be- steuerung“) sowie einkommensschwachen und liquiditätsbeschränkten Personen entsprechende Vorsorge zu ermöglichen, zum Beispiel über eine Sozialversicherung. Ein Sparerfreibetrag, wie er in Deutschland gewährt wird, kann darüber hinaus Kapitalerträge aus ergänzendem Vorsor- gesparen freistellen („zinsbereinigte Einkommensteuer“).

Zur Besteuerung von hohen Kapitaleinkommen gibt es keine klare theoretische oder empiri- sche Evidenz. Diamond und Saez (2011) nennen eine Reihe von Argumenten für eine positi- ve Besteuerung. Zum ersten besteht das Problem der praktischen Unterscheidung zwischen Erwerbseinkommen und Kapitaleinkommen, das auch bei der Dualisierung der Einkommen- steuersysteme eine Rolle spielt. Zweitens muss man berücksichtigen, dass Kapitalbildung und Einkommensreichtum eng korreliert sind. Eine steuerliche Entlastung von Kapitaleinkommen reduziert die Umverteilung. Zum dritten können Kapitaleinkommensteuern die Steuerlast von liquiditätsbeschränkten Personen mit niedrigerem Einkommen reduzieren. Schließlich kann es bei Unsicherheit sinnvoll sein, Anreize für möglichst lange Erwerbstätigkeit zu setzen und insoweit die Vorsorge mit Ersparnissen zu verteuern.

Steuerpolitisch relevant ist vor allem das Verteilungsargument. Vermögen und Vermögensein- kommen sind stark konzentriert. So zeigen Analysen auf Grundlage des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) einschließlich einer Zuschätzung für die sehr wohlhabenden Personen, dass vom gesamten Nettovermögen der privaten Haushalte (Grundvermögen, Geld- und Finanzvermögen, Unternehmensbeteiligungen, abzüglich Schulden auf die Vermögenswerte und ohne Altersvor- sorgevermögen und Hausrat) zwei Drittel auf die reichsten zehn Prozent entfallen, 36 Prozent auf die reichsten ein Prozent und noch 23 Prozent auf die reichsten 0,1 Prozent (Bach, Beznoska und Steiner 2011: 11). Die Vermögenseinkommen dürften noch stärker konzentriert sein, da die Topvermögen vor allem aus Unternehmensbeteiligungen bestehen, deren Renditen höher liegen.

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Während früher Vermögeneinkünfte höher besteuert wurden als Erwerbseinkünfte, sei es durch höhere Steuersätze auf „investment income“ wie in den USA und Großbritannien oder durch eine zusätzliche allgemeine Vermögensteuer wie in Deutschland und vielen weiteren Ländern, hat sich dies durch die Dualisierung der Einkommensteuersysteme vollständig umgekehrt. So unterliegen inzwischen Gewinne und Vermögenseinkommen, die in der Unternehmenssphäre thesauriert werden, nur noch etwa 30 Prozent Tarifbelastung durch die Ertragsteuern. Die Effek- tivbelastungen können noch deutlich darunter liegen, insoweit Steuervergünstigungen genutzt werden. Erst bei Ausschüttungen in die Privatsphäre fällt zusätzlich 25 Prozent Abgeltungsteuer plus Solidaritätszuschlag an. Der maßgebliche Hintergrund für die Entlastung der Unterneh- mens- und Vermögenseinkommen ist der Steuersenkungswettlauf um mobile Investitionen und Kapitalanlagen zwischen den Ländern. Hier gilt allerdings ebenfalls, dass diese Entwicklung kein Naturgesetz darstellt, sondern durch internationale Steuerkoordinierung zumindest längerfristig eingeschränkt werden kann (vergleiche oben). Hierfür gibt es bereits erste Anzeichen (siehe den Beitrag von Rixen in diesem Heft).

5.6 Wohlfahrtsökonomik versus Ordnungspolitik

Die Höhe des optimalen Spitzensteuersatzes hängt auch von der sozialen Bewertung hoher Ein- kommen ab. Bei den Analysen in Kapitel 3 ist eine starke Ungleichheitsaversion der politischen Entscheidungsträger unterstellt worden, wie es auch in der neueren Literatur vorgeschlagen wird (Saez, Slemrod and Giertz 2012). Die Begründung dafür ist, dass die marginalen sozialen Wohlfahrtsgewichte bei hohen Einkommen nur noch gering ausfallen und gegen null konver- gieren. Unterstellt man eine Rawlssche Wohlfahrtsfunktion, bei der sich die Politik am Nutzen des am schlechtesten gestellten Individuums orientiert („Maximin-Kriterium“), so sind die mar- ginalen Wohlfahrtsgewichte der höheren Einkommen generell null. Berücksichtigt man bei der Berechnung der optimalen Spitzensteuersätze entsprechend Gleichung (1) die oben (vergleiche Kapitel 3) angegebenen Gewichte in Höhe von vier Prozent, die eine logarithmische Nutzungs- funktion unterstellen und sich auf die Durchschnittseinkommen der Steuerpflichtigen mit Ein- kommen über 250 000 Euro beziehen (Verheiratete das Doppelte), so sinken die in Tabelle 1 angegebenen Optimalsteuersätze nur um etwa einen Prozentpunkt. Verwendet man dagegen eine weniger konkave Nutzenfunktion und setzt das marginale Wohlfahrtsgewicht der Top-Ein- kommen auf 20 Prozent, so sinken die Optimalsteuersätze um etwa fünf Prozentpunkte. Bei einem Gewicht von 50 Prozent müssen die Optimalsteuersätze schon um etwa 18 Prozentpunkte sinken.

Bei Ungleichheitsaversion und Umverteilungspräferenz handelt es sich letztlich um Werturteile, die nicht wissenschaftlich entschieden werden können. Wer eine stärkere Umverteilung im Top- Einkommensbereich ablehnt, der sollte angesichts möglicher Steuerausweichung für niedrigere Spitzensteuersätze plädieren, sieht man von negativen Externalitäten hoher Einkommen einmal ab. Ordnungspolitische Ansätze betonen die Bedeutung von Institutionen und Eigentumsrech- ten für die Wirtschaftsordnung. Freiheit wird häufig als Wert an sich eingestuft und Subsidiarität hochgehalten. Daher wird Solidarität und Umverteilung außerhalb persönlicher Gemeinschaften zurückhaltend beurteilt. Entsprechend skeptisch steht man stark progressiven Steuersystemen mit hohen Spitzensteuersätzen gegenüber, denn Steuern bedeuten immer eine gewisse Enteig- nung. Diese wird nur als unvermeidbarer Preis der Freiheit akzeptiert, nicht aber als wirtschafts- und sozialpolitisches Gestaltungsinstrument (Kirchhof 2011).

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Man sollte das nicht als reine Ideologie abtun. Denn angesichts der zahlreichen methodischen Schwierigkeiten und impliziten Annahmen des hier skizzierten wohlfahrtsökonomischen An- satzes bedeuten solche ordnungspolitischen Vorstellungen immer auch eine gewisse Risikover- meidung, indem man sich auf bewährte Regelungen zurückzieht. Politikökonomische Ansätze thematisieren zudem die Probleme kollektiver Entscheidungsfindung und deren Anfälligkeit gegenüber Gruppeninteressen. So werden konstitutionelle Regelungen im Sinne einer „Steu- erbremse“ vorgeschlagen, mit denen die Steuerbelastung nach oben hin begrenzt werden soll, zum Beispiel auf 50 Prozent („Halbteilungsgrundsatz“, vergleiche dazu auch die Vorschläge von Hermann-Otto Solms für eine „Steuerbremse“ in diesem Band). Das kann allerdings zu einer ineffizient niedrigen Besteuerung von hohen Einkommen führen, während Normal- und Gering- verdiener zu hoch besteuert werden.

5.7 Fiskalische Wirkungen

Die Aufkommenswirkungen einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes in Deutschland werden hier mit fortgeschriebenen Informationen aus der Lohn- und Einkommensteuerstatistik (2007) berechnet (Tabelle 2). Da bisher keine Einzeldaten dieser Statistik für wissenschaftliche Analy- sen verfügbar sind, werden die veröffentlichten Tabellen verwendet. Soweit erforderlich, werden kubische Spline-Interpolationen zur Verteilung der Einkommen innerhalb der Tabellenklassen durchgeführt. Die steuerpflichtigen Einkommen werden mit einem gewichteten Index fortge- schrieben, der aus der Entwicklung der einzelnen Einkommensgrößen gebildet wird (Arbeits- einkommen, Unternehmenseinkommen, Vermögenseinkommen). Die Einführung der Abgel- tungsteuer ab 2009 ist grob berücksichtigt.

Analysiert wird die Aufkommenswirkung einer Erhöhung des derzeitigen Einkommensteuer- Spitzensatzes um vier Prozentpunkte auf 49 Prozent ab einem zu versteuernden Einkommen von 250 000 Euro. Neben dem Erstrunden-Aufkommenseffekt vor Verhaltensanpassungen wer- den die Wirkungen verschiedener Elastizitäten der Besteuerungsgrundlagen analysiert, entspre- chend den Berechnungen für die optimalen Spitzensteuersätze (vergleiche oben, Tabelle 1).10 Einkommenseffekte sind dabei vernachlässigt.

Das Erstrunden-Mehraufkommen von 1,9 Milliarden Euro wird durch die Anpassungsreakti- onen spürbar gemindert (Tabelle 2). Bei einer Elastizität von 0,4, die nach den empirischen Studien als mittlere Schätzung für die längerfristigen Anpassungsreaktionen im oberen Einkom- mensbereich angenommen werden könnte (vergleiche oben, Kapitel 4), geht das Mehraufkom- men auf weniger als die Hälfte zurück. Bei einer Elastizität von 0,8, die mittelfristig bei starken Ausweichreaktionen möglich sein kann, geht das Steueraufkommen insgesamt zurück. Hier ist der aufkommensmaximierende Steuersatz überschritten, so dass eine Steuererhöhung zu einem Minderaufkommen und eine Steuersenkung zu einem Mehraufkommen führen würden.

10 Vgl. dazu auch die Analyse von Brewer, Browne und Johnson (2012) für Großbritannien.

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6 fazit

„Reichensteuern“ werden in Deutschland und in vielen Ländern zunehmend diskutiert. Dabei geht es vor allem um höhere Spitzensätze der Einkommensteuer, aber auch um Unternehmen- und Kapitaleinkommensteuern, die Erbschaftsteuer, die allgemeine Vermögensteuer oder eine einmalige Vermögensabgabe. Hintergrund sind die Steuersenkungen der vergangenen Jahr- zehnte in diesem Bereich, die zunehmende Einkommens- und Vermögenskonzentration und der Konsolidierungsdruck auf die öffentlichen Haushalte im Zuge der Finanz- und Wirtschafts- krise. Einige Länder haben bereits Steuererhöhungen in diesen Bereichen vorgenommen.

Eine moderat progressive Besteuerung von Einkommen oder von Vermögen und Erbschaften wird in vielen entwickelten Volkswirtschaften der „westlichen“ Welt seit Jahrzehnten praktiziert.

Bis in die 1980er Jahre galten in den meisten Ländern deutlich höhere Spitzensteuersätze als heute, die allerdings erst ab einem sehr hohen Einkommen erhoben wurden. Die Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen kamen dann zunehmend unter Druck, zum einen durch die Rezeption von „angebotsökonomischen“ und „neoliberalen“ Leitbildern der Steuerpolitik, zum anderen durch die Internationalisierung der Wirtschaft, die Liberalisierung des Kapitalverkehrs und dem Steuerwettbewerb, der mit diesen Entwicklungen einherging. Die Spitzensteuersätze wurden gesenkt und die Unternehmens- und Vermögenseinkommen steuerlich entlastet. Erst in den letzten Jahren zeichnet sich wieder eine Trendumkehr ab.

Auch in der akademischen optimalsteuerlichen Literatur werden Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen wieder stärker diskutiert. Unter vereinfachenden Annahmen lassen sich For- meln für den optimalen Spitzensteuersatz ableiten, die auf wenigen empirisch zu bestimmen- den Parametern beruhen und in der Politikberatung eingesetzt werden können. Vernachlässigt man die soziale Wohlfahrtsgewichtung hoher Einkommen, dann hängt die Höhe des optimalen Spitzensteuersatzes vor allem von den Anpassungsreaktionen der Steuerpflichtigen und von der Einkommenskonzentration ab. Vergleichsweise niedrig fallen bei den wohlhabenden Steu- erpflichtigen die realwirtschaftlichen Anpassungsreaktionen aus, also bei Art und Umfang der Erwerbstätigkeit. Dann ergeben sich Steuersätze von bis zu 75 Prozent, also dem Spitzensteuer- satz, der 2013 und 2014 in Frankreich unter dem neuen Präsidenten Hollande gilt. Allerdings können Steuerpflichtige mit hohen Einkommen häufig Steuergestaltungsmöglichkeiten nutzen.

Sofern auch längerfristig stärkere Ausweichreaktionen der Steuerpflichtigen entstehen, sind die

Tabelle 2

aufkommenswirkung einer erhöhung des einkommensteuer-Spitzensatzes auf 49 Prozent ab einem zu versteuernden einkommen von 250 000 euro In Milliarden Euro

Vor anpassung elastizitäten der Besteuerungsgrundlage

e 0,20 0,30 0,40 0,80

+1,9 +1,3 +1,1 +0,8 –0,2

e: Elastizität der Besteuerungsgrundlage bezogen auf das Nettoeinkommen („net-of-tax rate“).

Quelle: Berechnungen mit fortgeschriebenen Informationen der Lohn- und Einkommensteuerstatistik 2007.

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derzeitigen Steuersätze zu hoch. Dann sollte der Spitzensteuersatz bis auf 25 Prozent sinken, wie dies etwa der Heidelberger Steuer- und Verfassungsjurist Paul Kirchhof empfohlen hat.

Unter wohlfahrtsökonomischen und steuerpolitischen Gesichtspunkten sind realwirtschaftliche Verhaltensanpassungen und Steuergestaltungen unterschiedlich zu beurteilen. Erstere machen den Kern des optimalsteuerlichen Equity-Efficiency-Tradeoffs aus und sind im Rahmen der beste- henden Besteuerungssysteme nicht zu vermeiden. Die meisten Steuergestaltungsmöglichkeiten sind dagegen nicht naturgegeben. Sie beruhen auf Unzulänglichkeiten bei der Einkommenser- mittlung und beim Vollzug der Besteuerung, expliziten Steuervergünstigungen oder Steuerarbit- rage zwischen Gebietskörperschaften. Diese Unzulänglichkeiten können zumindest längerfristig begrenzt werden, politischer Wille und steuertechnische Möglichkeiten vorausgesetzt. Ferner sind Steuervergünstigungen häufig mit positiven fiskalischen Externalitäten verbunden, die bei der Bewertung berücksichtigt werden sollten. Dabei sollten auch soziale oder politische Externa- litäten hoher Einkommen und Vermögen beachtet werden.

Schließlich hängt die Höhe des optimalen Spitzensteuersatzes von der sozialen Bewertung hoher Einkommen ab. Bei Ungleichheitsaversion und Umverteilungspräferenz handelt es sich letztlich um Werturteile, die nicht wissenschaftlich entschieden werden können. Wenn eine stärkere Um- verteilung bei hohen Einkommen abgelehnt wird, müssen die Spitzensteuersätze entsprechend niedriger ausfallen.

literaturverzeichnis

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