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Archiv "Testosteron, Anabolika und aggressives Verhalten bei Männern" (11.09.1992)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

DIE ÜBERSICHT

Testosteron, Anabolika und aggressives Verhalten

bei Männern

Eberhard Nieschlag

Was ist Aggression?

Beim Tier sind Aggression und Aggressivität klar umschrieben als instrumentelles Verhalten: erstens zur Verteidigung des Territoriums, zweitens zur Verteidigung der Nach- kommen, drittens zur Etablierung des sozialen Status und viertens um Zugang zu Sexualpartnern zu erhal- ten. Bestimmende Faktoren des ag- gressiven Verhaltens sind: geneti- sche Faktoren, hormonelle Fakto- ren, Schlüsselreize und soziales Ler- nen. Hormonelle Faktoren können ihre Effekte entweder direkt auf das ZNS (Aggressionszentrum, sexuelle Motivation, exploratorisches Verhal- ten) oder indirekt über körperliche Größe und Kraft, psychische Energie und sexuelle Appetenz entfalten.

Beim Menschen beinhaltet der Begriff Aggression/Aggressivität ei- nen Zustand der Emotionalität und ein auf Angriff und Zerstörung zie- lendes Verhalten, ohne daß die Ur- sachen und Ziele so klar zu erkennen sind wie beim Tier. Während bis vor wenigen Jahren versucht wurde, auch beim Menschen Aggressionen vorwiegend biologisch zu erklären, stehen heute wieder soziale Fakto- ren als Erklärungen im Vorder- grund.

Methodenkritik

Schwierigkeiten bestehen nach wie vor bei der Messung von Aggres- sivität beim Menschen, wenn auch psychologische Testverfahren erar- beitet wurden, die entweder auf dem beobachteten Verhalten oder einer Selbsteinschätzung der Versuchsper- sonen beruhen (1).

Obwohl Hormone im Blut und anderen Körperflüssigkeiten (zum

Mitteilungen in der Laien- und Fachpresse über aggressives Verhalten unter der Einnahme von Testosteron und anderen Anaboli- ka werfen die Frage auf, ob ein zu- fälliger oder ein kausaler Zusam- menhang besteht. Langjährige kli- nische Erfahrungen mit Testoste- ron und experimenteller Einsatz in Studien zur männlichen Kontra- zeption sprechen für eine zufällige Koinzidenz. Bei der Häufigkeit des Anabolika-Mißbrauchs muß da- von ausgegangen werden, daß alle in einer großen Population möglichen abnormen Verhaltens- weisen auch beim Anabolika-An- wender ohne kausalen Zusam- menhang auftreten können.

Beispiel Speichel) gemessen werden können, bestehen nach wie vor große methodische Probleme bei der Eta- blierung von Korrelationen zwischen den Meßergebnissen und den Ver- haltensformen. Meistens werden nur punktförmige Messungen der Hor- mone ohne Berücksichtigung von zirkadianen oder längerfristigen Schwankungen vorgenommen Te- stosteron im Blut (und im Speichel) ist von vielen anderen Faktoren ab- hängig, wie etwa körperlicher Aktivi- tät, dem allgemeinen Gesundheits- zustand, dem Alter.

Die Messung eines Hormones im Blut sagt nur indirekt etwas über die Produktion, die Metabolisie- Institut für Reproduktionsmedizin

(Direktor: Prof. Dr. med. Eberhard Nieschlag) der Westfälischen Wilhelms- Universität Münster

rungsrate und die möglichen Effekte im Zielorgang aus. Das Zielorgan ist kein passiver Rezipient, wie früher angenommen wurde, sondern kann aktiv zum Beispiel durch Rezeptor- regulation Hormoneffekte modulie- ren. Darüber hinaus spielen nicht nur aktuelle Hormonkonzentratio- nen eine Rolle. Der prägende Ein- fluß von Hormonen in früheren Le- bensphasen auf gegenwärtige Ereig- nisse kann nicht geleugnet werden, ist aber nur sehr schwer zu erfassen.

All dies wird bei Messungen von Te- stosteron im Blut und im Speichel oft nicht berücksichtigt. Dies sei als Warnung vor einer Uberinterpretati- on von gemessenen Hormonwerten und vor einer übereifrigen Extrapo- lation auf psychische Ereignisse und Verhaltensmuster konstatiert. Letzt- endlich muß darauf hingewiesen werden, daß Testosteron und Sexu- alhormone nur einen Faktor der das aggressive Verhalten beeinflussen- den Faktoren darstellen und daß an- dere endokrine Systeme, wie das adrenerge, serotonerge und cholin- erge von ähnlicher Bedeutung sein können.

Testosteron in Körperflüssig- keiten und Aggressivität unter physiologischen Bedingungen Daß Zusammenhänge zwischen Androgenen und Aggresivität beste- hen, wird immer wieder versucht, mit dem Beispiel der Kastration von ju- venilen Hengsten und Stieren plausi- bel zu machen, die seit alters her zur Verminderung der Aggressivität die- ser Haustiere benutzt wird. Bei Af- fen konnte zunächst eine klare Kor- relation zwischen Testosteron und aggressivem Verhalten etabliert wer- den. Diese Korrelation wurde später Dt. Ärztebl. 89, Heft 37, 11. September 1992 (63) A1-2967

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jedoch wieder in Frage gestellt, da die Aggressivität prä- und peripuber- tal kastrierter Affen nicht unbedingt geringer war als die intakter Kon- trolltiere.

Bei Jungen in der Pubertät und erwachsenen Männern wurde in ver- schiedenen Studien Testosteron im Serum gemessen und mit der Ag- gressivität verglichen, die in auf einer Selbstbeurteilung beruhenden psy- chologischen Tests gemessen wur- den. In zwölf Studien wurde keine Korrelation, und in sechs Studien wurde eine positive Korrelation ge- funden (Übersicht in 4). Keine die- ser Studien zeichnet sich durch ein besonders elaboriertes Design aus der Sicht des Endokrinologen aus.

Um ein objektiveres Maß für die Aggressivität zu erhalten, wurden ei- nige Untersuchungen bei Populatio- nen mit auffälligem Verhaltensmu- ster vorgenommen. Sportler sind hier eine einleuchtende Zielgruppe.

Bei Gewinnern von Ringkämpfen und Tennisspielen wurden höhere Testosteronwerte gemessen als bei Verlierern. Diese Befunde konnten für Judo-Kämpfer allerdings nicht bestätigt werden (in 4).

Auch Untersuchungen von Kri- minellen haben kein eindeutiges Muster ergeben. Einige Untersucher fanden höhere Testosteronwerte bei Gewalttätern und Vergewaltigern.

Bei aggressiven Gefängnisinsassen wurden auch höhere Testosteron- werte als bei nicht aggressiven gefun- den. Eine neuere Studie fand aber auch niedrigere Testosteronwerte bei Sexualverbrechern als bei norma- len Kontrollen (in 4).

Kastration oder Antiandrogen- behandlung führt bei Sexualverbre- chern zu einer Unterdrückung des kriminellen Potentials. Diese Erfah- rung führte in der Bundesrepublik Deutschland zur Verabschiedung des Kastrationsgesetzes (1969), das derartigen Delinquenten Freiheits- strafen erläßt, wenn sie sich kastrie- ren oder mit Antiandrogenen behan- deln lassen. Aus diesem Tatbestand zu schließen, daß eine Erhöhung der Testosteronwerte über das normale Maß hinaus zu einer Erhöhung der Aggression oder sogar zur Kriminali- tät führen könnte, ist wissenschaft- lich nicht nachvollziehbar.

Einen indirekten Beitrag zu die- ser Frage liefern Patienten mit Kli- nefelter-Syndrom. Die Kriminalitäts- häufigkeit ist unter Patienten mit Klinefelter-Syndrom höher als bei normalen Männern. Die Patienten fallen vor allem durch Eigentums- und Sexualdelikte auf. Die Testoste- ronwerte dieser Patienten liegen im untersten Normbereich oder sind pa- thologisch niedrig. Wenn auch der Androgenmangel nur eine Kompo- nente beim Zustandekommen dieses multifaktoriellen Syndroms ist, wi- derspricht diese Konstellation denje- nigen Untersuchern, die eine positi- ve Korrelation zwischen Serumtesto- steron und krimineller Aggressivität finden. Als therapeutische Konse- quenz aus diesen Befunden wird da- her von einigen Forschern postuliert, daß Klinefelter-Patienten möglichst frühzeitig mit Testosteron substitu- iert werden sollten, um kriminelles und sozial auffälliges Verhalten zu verhindern (8). Die eigene Erfah- rung mit Klinefelter-Patienten und im begrenzten Umfange auch mit solchen, die sich im Strafvollzug be- finden, bestätigen die Richtigkeit dieses Vorgehens.

Die biologischen Grundlagen des Kastrationsgesetzes, die ein Aus- schalten des Testosterons zur Ver- hinderung von Straftaten nahelegen, und die Empfehlung, Klinefelter-Pa- tienten möglichst frühzeitig mit Te- stosteron zu substituieren, um krimi- nelles Verhalten zu verhindern, er- scheinen wie ein Widerspruch. Beim einen wird jedoch Testosteron entzo- gen, um die Verwirklichung einer grundsätzlich vorhandenen Neigung zu verhindern, während beim ande- ren Testosteron gegeben wird, um durch eine möglichst frühzeitige Ad- aptierung an die Gleichaltrigen die Entwicklung sozial auffälligen Ver- haltens zu vermeiden.

Therapeutische Anwendung von Testosteron bei

hypogonadalen Patienten Seit mehr als 50 Jahren wird Te- stosteron zur Substitution des männ- lichen Hypogonadismus eingesetzt (Ubersicht bei 6). Berichte über un- gewöhnliches, aggressives Verhalten bei derartigen Patienten unter The-

rapie sind nicht bekannt geworden.

Auch in der eigenen über 20jährigen klinischen Erfahrung mit hypogona- dalen Patienten fehlen Berichte über ungewöhnliche Aggressivität unter Testosteron-Substitution. In einer kontrollierten doppelblinden Studie erhielten zwölf hypogonadale Män- ner 160 mg Testosteron-Undecanoat täglich oder Placebo für zwei Mona- te. In dieser Studie ergaben sich kei- ne Unterschiede im Hinblick auf Ag- gressivität zwischen der Verum- und der Placebogruppe (10).

Androgene in Studien

zur männlichen Kontrazeption Umfangreiche experimentelle Erfahrungen liegen bei der Anwen- dung von Androgenpräparaten zur Induktion einer Azoospermie und damit zur Kontrazeption vor (Uber- sicht in 7).

In der ersten großen Effektivi- tätsstudie zur hormonellen männli- chen Kontrazeption, die von der WHO durchgeführt wurde (12), er- hielten 271 gesunde Männer teilwei- se bis zu eineinhalb Jahren 200 mg Testosteron-Önanthat wöchentlich.

Diese Dosierung liegt etwa um das Doppelte bis Dreifache über der durchschnittlichen therapeutischen Dosis bei Hypogonadismus. Sieben- undzwanzig Männer schieden aus der Studie wegen medizinischer Gründe aus, drei von 27 wegen „in- creased aggressiveness and libido", ohne daß hier genauer differenziert wurde. Wenn die Studie auch keine Kontrollgruppe beinhaltet, so liegt doch der Verdacht nahe, daß sich ähnliche Ereignisse auch bei drei von 271 nicht behandelten Männern in einem Zeitraum von mehr als einem Jahr hätten beobachten lassen.

In eigenen Studien zur männli- chen Kontrazeption wurden gesunde junge Männer mit 19-Nortestoste- ron-Hexoxyphenylpropionat behan- delt. In zwei dieser Studien mit ins- gesamt 36 Teilnehmern wurden auch psychologische Tests begleitend durchgeführt, nämlich der Freibur- ger Persönlichkeitsinventar (FPI).

Unter der Therapie wurden für die Kategorie „Aggressivität und Domi- nanzstreben" keine signifikanten Änderungen beobachtet. Dies gilt A1-2968 (64) Dt. Ärztebl. 89, Heft 37, 11. September 1992

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auch für andere psychische Parame- ter. Darüber hinaus wurden etwa 1500 Männer im Laufe der letzten 30 Jahre in verschiedenen Studien zur männli- chen Kontrazeption, basierend auf der Applikation von Androgenen, un- tersucht (Ubersicht in 7). Wenn auch meist keine systematischen psycholo- gischen Tests durchgeführt wurden, so kann doch festgehalten werden, daß keine außergewöhnlichen psychi- schen Reaktionen bei diesen Studien festgestellt wurden. Die Androgen- Dosierungen lagen dabei meist bis zu zweifach über der normalen thera- peutischen Dosierung.

Mißbrauch von Androgenen bei Bodybuildern

und im Leistungssport

In den letzten Jahren sind gele- gentlich Berichte, insbesondere in der Laienpresse, aufgetaucht, die ei- nen Zusammenhang zwischen ag- gressivem Verhalten und der Ein- nahme von anabolen Steroiden ver- muteten oder postulierten.

So hat ein Mörder in den USA auf „nicht schuldig" plädiert, da er den Mord unter der Einnahme von Anabolika getätigt habe. Ohne ein- deutige Stellung zu diesem eventuel- len Zusammenhang zu nehmen, er- kannte das Gericht jedoch dieses Ar- gument nicht an, da auch für andere Drogenkonsumenten (zum Beispiel von Kokain) Unwissenheit über die Möglichkeit psychischer Dopingfol- gen nicht vor der Strafe schützt. Ein ähnlicher Fall wurde in England be- kannt. John Steed vergewaltigte ein zehnjähriges Mädchen, rammte da- nach das Auto einer 40jährigen Frau und vergewaltigte sie, bevor er eine Prostituierte mit einer abgesägten Schrotflinte erschoß. In den Ge- richtsverhandlungen machte er aus Zwecken des Bodybuildings injizier- tes Testosteron für diese Handlungs- weise verantwortlich.

In der WELT wurde am 7. No- vember 1987 in einem Artikel über

„Die unbekannte Seite der Medail- le" mitgeteilt, daß neuere Untersu- chungen darauf hinweisen, daß An- drogene in zehn Prozent der Fälle zu Aggressivität und Nervosität führten.

Diese Untersuchungen wurden aller- dings nicht mit einer Quelle belegt.

In einem immer wieder zitierten

„Letter to the LANCET" sprechen Pope und Katz (1987) (9) sogar von einer „Bodybuilder-Psychose". Sie hatten zunächst bei zwei Männern unter Anabolika Depressionen und Halluzinationen festgestellt, die nach Absetzen der Anabolika ver- schwanden. Sie interviewten dann 31 weitere Anabolika-Anwender und stellten bei drei psychotische Sym- ptome fest. Einer davon fuhr mit 60 km/h in seinem Auto gegen einen Baum und ließ sich dabei von einem Freund videographieren. Ein ande- rer, als er von einem überholenden Fahrzeug geschnitten wurde, verfolg- te dies, griff den Fahrer an und schlug die Windschutzscheibe mit ei- ner Eisenstange ein. Vor der Ein- nahme von Anabolika hätten sie ein vergleichsweise aggressives Verhal- ten nicht an den Tag gelegt.

Angeregt von dieser Mitteilung berichteten Conacker und Workman (1989) (3) von einem kanadischen Bodybuilder, der seine Frau bei de- ren Enthüllungen über ihre eheliche Untreue so verprügelt habe, daß sie an den Folgen eines subduralen Hä- matoms gestorben sei. Allerdings konzidieren die Autoren, daß die Tat unter hohem Alkoholkonsum ge- schehen und es schon früher zu Ge- walttätigkeiten unter Alkohol ge- kommen sei.

In allen diesen Fällen handelt es sich um Einzelbeobachtungen, die einen Hinweis auf mögliche Zusam- menhänge geben, aber keinerlei be- weisenden Charakter haben. In einer amerikanischen Studie wurden 32 Bodybuilder psychologisch unter- sucht (11). Die Studie kam zu dem Schluß, daß sich über die Hälfte der Anabolika verwendenden Bodybuil- der als vermehrt aggressiv und kamp- feslustig bezeichneten. Hierbei aber handelt es sich um Selbsteinschät- zungen ohne Anspruch auf Objekti- vität. Andere Untersucher konnten bei einer psychologischen Untersu- chung von 53 Anabolika-Anwendern im Vergleich zu 40 Bodybuildern, die keine Anabolika einnahmen, keine Unterschiede zwischen den Gruppen feststellen (2).

In diesem Zusammenhang muß die Frage nach der Persönlichkeit des Anabolika-Anwenders gestellt

werden. Man könnte vermuten, daß die hochdosierte und wiederholte Einnahme oder Injektion von Ana- bolika eine Persönlichkeit mit über- durchschnittlicher Aggressivität vor- aussetzt und daß die Anabolikaan- wendung als solche bereits ein psy- chopathisches Verhalten dokumen- tiert. Es handelt sich um Personen, die körperliche Bestleistungen voll- bringen wollen und hierfür über- durchschnittliche Risiken einzuge- hen bereit sind. Ist es also nicht die Persönlichkeit, die zur sozialen Auf- fälligkeit und zum straffälligen Ver- halten führt, und werden die Anabo- lika nicht als Ausrede und Alibi hin- gestellt? Demgegenüber zeigen die jüngsten Enthüllungen über die Pra- xis der Anabolika-Anwendung in der ehemaligen DDR, daß sozialer Druck und verantwortungsloses Handeln von Vorgesetzten und Be- treuern bereits Jugendliche, die zu- nächst nur Spaß am sportlichen Spiel haben mögen, zum Anabolika-Miß- brauch verführen können. Dies wür- de die These von der primär höheren Aggressivität des Anabolika-Anwen- ders wieder in Frage stellen.

Angewandte Dosen und Präparate

Bevor aus den oben aufgeführ- ten Beispielen Schlüsse gezogen wer- den, sollte man sich Gedanken zu den Dimensionen des Anabolika- Mißbrauches machen. Im Leistungs- sport und beim Bodybuilding werden die unterschiedlichsten Präparate in den verschiedensten Kombinationen und Dosierungen angewandt. Wir konnten in einer Umfrage unter Bo- dybuildern 40 verschiedene Anaboli- kapräparate identifizieren, die von diesem Kollektiv eingenommen wur- de (5). Das Spektrum reicht von in der Therapie eingesetzten Testoste- ronpräparaten bis hin zu solchen, die nur in der Tierzucht verwandt wer- den, zum Beipiel Trenbolon. Häufig kommen Präparate zur Anwendung, die hierzulande überhaupt nicht zu- gelassen und nur auf dem Schwarz- markt erhältlich sind.

Einzelne Präparate werden bis zur 40fachen Dosierung dessen ein- gesetzt, was in der Therapie üblich ist. Darüber hinaus werden verschie- Dt. Ärztebl. 89, Heft 37, 11. September 1992 (67) A1-2971

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dene Präparate kombiniert und in stetig steigenden Dosen eingenom- men - sogenanntes „Stacking". Ob- wohl bei diesen ungeprüften Dosie- rungen und Kombinationen die aus- gefallensten Nebenwirkungen auf- treten können, bleiben die Neben- wirkungen insgesamt gering; denn die Anwender sind ja gleichzeitig zu höchsten körperlichen Leistungen befähigt. Allerdings scheinen die Ne- benwirkungen jedweder Art bei der Anwendung von 17a-alkylierten An- drogenen häufiger vorzukommen als bei den 17ß-Estern. (Es sei hier be- tont, daß die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie bereits 1981 die Verwendung von 17a-alkylierten Androgenen generell für obsolet er- klärt hat.)

Wie allgemein bekannt ist, ist der Anabolika-Mißbrauch im Lei- stungssport weit verbreitet. Die Kunst der Sportler besteht darin, die Anwendung zu verschleiern. Body- builder sind weit weniger zurückhal- tend, da in dieser Disziplin Anaboli- ka bis in die jüngste Vergangenheit nicht verpönt waren. Kaum ein Ath- let dieser Disziplin wird sich der Versuchung entziehen können, frü- her oder später Anabolika anzuwen- den, wenn er die Ziele dieses Sportes ernst nimmt

Weniger bekannt ist das Aus- maß des Anabolika-Mißbrauches in der breitensportlich aktiven Bevölke- rung. Hier besteht eine hohe Dun- kelziffer. Eine 1988 im JAMA veröf- fentlichte Studie fand jedoch unter 3400 18jährigen US-amerikanischen High-School-Schülern 224 entspre- chend 6,6 Prozent, die Anabolika an- wandten. Viele hatten schon vor dem 16. Lebensjahr damit begonnen.

Vergleichbare Daten aus Europa sind nicht bekannt. Es gibt allerdings keine Hinweise dafür, daß das Pro- blem in Europa bereits ähnliche Di- mensionen erreicht hat wie in den USA.

Zusammenfassung und Schlußfolgerung

Eindeutige und belegbare Zu- sammenhänge zwischen der Anwen- dung von Testosteron/Anabolika und aggressivem Verhalten bestehen nicht. Klinische Erfahrungen und ge-

zielte Studien bei Patienten mit Hy- pogonadismus und unter Testoste- ron-Therapie geben keinen Hinweis für eine gesteigerte Aggressivität bei diesen Patienten. Auch experimen- telle Studien mit Androgenen zur männlichen Kontrazeption geben keinen Hinweis auf eine gesteigerte Aggressivität.

Beim gegenwärtigen Wissens- stand und unter Berücksichtigung der Häufigkeit des Anabolika-Miß- brauches muß davon ausgegangen werden, daß alle in einer großen Po- pulation möglichen abnormen Ver- haltensweisen auch bei Anabolika- Anwendern ohne kausalen Zusam- menhang auftreten können. Derarti- ge zufällige Koinzidenzen sind durchaus möglich (2). Fundierte Stu- dien, an denen es bisher mangelt, mögen in Zukunft zu neuen Er- kenntnissen führen.

Nach unserem Wissensstand be- steht für Patienten, die Testosteron in therapeutischen Dosen erhalten, keine Gefahr eines abnormen ag- gressiven Verhaltens. Bei den übri- gen Beobachtungen handelt es sich um anekdotenhafte Mitteilungen oh- ne bewiesenen Zusammenhang. Die Kommission Hormontoxikologie der Deutschen Gesellschaft für Endokri- nologie sollte sich lediglich dazu ver- anlaßt sehen, erneut den Anabolika- Einsatz im Sport als medizinisch nicht begründbare Maßnahme zu brandmarken, wie sie es bereits 1977 und 1988 getan hat. Die Warnung vor dem Mißbrauch des Testosterons sollte mit der Klarstellung verbun- den sein, daß der Einsatz von Testo- steron bei Patienten mit Hypogona- dismus eine risikoarme Substituti- onstherapie bietet, die für Wieder- herstellung oder Erhalt von Gesund- heit und Lebensqualität dieser Pa- tienten unabdingbar ist.

Der vorliegende Bericht wurde zur Information der Kommission Hormontoxikologie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie zu- sammengestellt.

Dt. Ärztebl. 89 (1992) A 1 -2967-2972 [Heft 37]

Literatur

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3. Conacker. G. N.; Workman, D. G.: Violent crime possibly associated with anabolic ste- roid use. Am.J. Psychiatry 146: (1989) 679 4. Hubert, W.: Psychotropic effects of testoste- rone. In: Nieschlag, E.; Behre, H. M. (eds):

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6. Nieschlag, E.; Behre, H. M.: Pharmacology and clinical use of testosterone. In: Nie- schlag, E., Behre, H. M. (eds): Testoste- rone: Action, Deficiency, Substitution, Springer Verlag, Berlin, Heidelberg, New York (1990) pp 92-114

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12. World Health Organization Task Force on Methods for the Regulation of Male Fertili- ty: Contraceptive efficacy of testosterone-in- duced azoospermia in normal men: Lancet II (1990) 955-959

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Eberhard Nieschlag Direktor des Institutes für

Reproduktionsmedizin der

Westfälischen Wilhelms-Universität Steinfurter Straße 107

W-4400 Münster A1-2972 (68) Dt. Ärztebl. 89, Heft 37, 11. September 1992

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