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Archiv "Die Existenzangst überwinden" (10.09.1981)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Heft 37 vom 10. September 1981

Die Existenzangst überwinden

Unsere Jugend braucht Vorbilder

Gerhard Krampe

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Wir sind überzeugt und können es täglich in der Praxis erfahren, daß viele Zeitgenossen infolge eines unzureichend besetzten

„Über-Ichs" krank sind; so er- kennen wir auch Mängel und Krankheiten in unserer Gesell- schaft als Folge eines unzurei- chend besetzten „kollektiven Über-Ichs". Das zeigt sich na- mentlich an Fehlentwicklungen- unter Jugendlichen, wie Alko- holmißbrauch und Drogensucht.

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Für das „kollektive Über-Ich" stehen vor allem die Religionen und kon- kurrierend die Weltanschauungen zur Verfügung. Dargestellt und re- präsentiert wird es heute in den Kir-

chentagen, im politischen Raum durch den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler und das Parlament, so daß vor allem die Politiker einen großen und verantwortungsvollen Anteil an der Gestaltung des „kollek- tiven Über-Ichs" haben, auch inso- fern weil Grundgesetz und Strafge- setzbuch Ausdruck des für ein Volk so wichtigen „Über-Ichs" sind. So wie jeder Mensch im Laufe seiner eigenen Lebensgeschichte ständig um ein lebendiges „Über-Ich" rin- gen muß, um es auf Grund eigener Erfahrungen ändern zu können, so ist auch ein ständiges Ringen eines Volkes um ein zeitgerechtes „Über- ich" erforderlich. Wir sind überzeugt und können es täglich in der Praxis erfahren, daß viele Zeitgenossen in- folge eines unzureichend besetzten

„Über-Ichs" krank sind; so erkennen wir auch Mängel und Krankheiten in unserer Gesellschaft als Folge eines unzureichend besetzten „kollekti- ven Über-Ichs", das zeigt sich na- mentlich an Fehlentwicklungen un- ter Jugendlichen, wie Alkoholmiß- brauch und Drogensucht.

II. Störung des Gleichgewichts führt zur Krankheit des Kollektivs Wir wissen seit Freud, daß die Stö- rung des Gleichgewichtes zwischen

„Ich", „Über-Ich" und „Es", insbe- sondere ein schwaches „Über-Ich", zu Krankheiten führt. Unser „kollek- I. Das schwach besetzte

kollektive „Über-Ich"

Wir kennen alle den „psychischen Apparat", wie ihn Sigmund Freud aufgefunden und beschrieben hat, also die Aufteilung in ein „Es", ein

„Ich" und ein „Über-Ich". Die Stö- rung des Gleichgewichtes oder ei- nes optimalen Verhältnisses zwi- schen den drei Größen („Es", „Ich",

„Über-Ich") kann zu Krankheiten führen und ist insbesondere Ursa- che der Neurosen.

Es gibt eine sinnvolle Einteilung auch in einer größeren Lebensge- meinschaft, zum Beispiel in einem Volk. Wir sprechen hier insbesonde- re von dem kollektiven Unterbe- wußtsein, worüber schon viel ge- schrieben worden ist, aber es gibt sicher auch ein kollektives „Über- Ich". So wie bei jedem Menschen mit der Geburt gewissermaßen nur der leere Raum für ein „Über-Ich"

mitgegeben ist, der erst im Laufe des Lebens ausgefüllt werden muß (im Gegensatz zum „Es", das mit der Erbanlage bei der Geburt schon mit- gegeben ist), so muß auch das „kol- lektive Über-Ich" in jedem Volk ge- sucht und aufgebaut werden.

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Jugend braucht Vorbilder

tives Über-Ich" ist so schwach ent- wickelt (es gibt Politiker, die es nicht schwach genug haben können), daß Krankheiten im gesamten Volkskör- per unvermeidlich sind. Die Macht, die ein Staat verkörpern muß, hat neben dem Polizeiknüppel vor allem eine geistige, sittliche und ordnende Dimension. Nach dem Mißbrauch der Macht im Dritten Reich und nach dem Mißbrauch des (an sich berech- tigten) Führungsanspruches haben nicht nur die Väter unseres Grund- gesetzes den Fehler gemacht, allei- ne den Mißbrauch dieser lebenser- haltenden Funktion (Macht und Füh- rung) zu sehen und nicht mehr die positiven und unerläßlichen Funk- tionen. Da der Mensch gewisserma- ßen als leeres Blatt bzw. als unge- speister Computer zur Welt kommt, braucht er für seine Entwicklung Vorbilder echter und begründeter Autorität und Führung.

Seit der Vertreibung aus dem Para- dies, das heißt aus dem Stadium der ursprünglichen Einheit mit der Na- tur, hat der Mensch sicher schon immer aus den verschiedensten Gründen in Ängsten gelebt und im- mer in Sehnsucht nach dem verlore- nen Paradies. Ein Kind lebt norma- lerweise in den ersten Jahren seines Lebens in einem ähnlichen paradie- sischen Zustand in der Geborgen- heit der mütterlichen Liebe und un- ter dem Schutz des für alles sorgen- den Vaters. So hat der Mensch in seiner Not und Angst nicht nur die Sehnsucht nach dem verlorenen Pa- radies, der Einheit mit der Natur, sondern auch nach dem Paradies der Kindheit. Es ist wie ein Lebens- gesetz, daß sich für die Sehnsüchte der Menschen auch immer Angebo- te bilden, und so kommt insbeson- dere die katholische Kirche dieser Sehnsucht der Menschen vollstän- dig entgegen. Sie bietet in der Jung- frau Maria die mütterliche und in dem liebenden Gottvater die väterli- che Geborgenheit. Es gibt konkur- rierende Angebote für ein glückli- ches Leben, zum Beispiel ein Leben ganz im Dienst der Wissenschaft oder im Glauben an den stetigen wissenschaftlich begründeten Fort- schritt. Gerade hier zeigt sich aber ein Bruch:

Der Glaube an die erlebbare Evolu- tion des Menschen wurde durch den technischen Fortschritt des letzten Jahrhunderts derart überhöht, daß unsere Generation nun mit der Er- kenntnis ernüchternder Realitäten gewissermaßen eine erneute Vertrei- bung aus paradiesischen Möglich- keiten erlebte. Mit dem Versagen der menschlichen Vernunft, das sich auf dem Gebiet der Politik am deutlich- sten zeigt, wurde die marxistische Ideologie mit ihrem Glauben an den machbaren Fortschritt besonders betroffen.

Aus alldem wird verständlich, daß gerade unsere Jugend nach dem Verlust illusionärer Leitbilder und nach einer antiautoritären Erzie- hung ohne jede Hilfe der Existenz- angst besonders ausgesetzt ist.

So haben außer uns auch andere, insbesondere Prof. Hans Schäfer, Heidelberg, auf die tiefe seelische Verzweiflung Jugendlicher als Folge einer antiautoritären Erziehung hin- gewiesen, so daß sie in ihrer Not zu Drogen aller Art gedrängt werden.

Die beängstigende Zunahme der Suchtanfälligkeit unserer Jugend veranlaßte schon seit Jahren die Po- litiker, dagegen etwas zu tun. Aber wie können die Politiker als Verursa- cher dieser Entwicklung gleichzeitig dagegen etwas tun, da ein Krank- heitserreger doch nicht gleichzeitig zur Therapie dieses Leidens benutzt werden kann.

III. Verlust der Leitbilder — Existenzangst der Jugend

Besonders die Existenzphilosophie wendet sich dem einzelnen Men- schen zu und versucht ihn in seiner konkreten Situation zu verstehen.

Allen Existenzphilosophen ist seit Kierkegaard die Lehre von der Angst als Grundtatbestand des Daseins, von der Einsamkeit des Menschen und von der unaufhebbaren Tragik des Menschen bekannt. Der Mensch lebt nach Sartre in einer „schwarzen Welt", in der er nirgends „Heil" fin- det. Der Mensch lebt heute ohne Bindung an objektive Systeme über- lieferter Ordnungen oder Ideologien

in einer absurden Welt ohne Sinn und Gnade, auf sich selbst zurück- geworfen, „zur Freiheit verurteilt".

Hier liegen die letzten Ursachen der Anfälligkeit unserer Jugend für Dro- gen aller Art, und jeder Versuch ei- ner Therapie muß scheitern (wie sich ja bereits erwiesen hat), der sol- che Erkenntnisse nicht mit berück- sichtigt.

IV. Fluchtwege

Jugendliche und Kinder, die durch mangelhafte Führung und Leitung sich selbst überlassen sind und da- mit in Not und Unsicherheit gesto- ßen sind, helfen sich selbst durch Hordenbildung, das heißt, durch ei- nen Rückfall in vorgeschichtliche Verhältnisse.

Der vorgeschichtliche Mensch war den Unsicherheiten und Gefahren der Umwelt, durchaus vergleichbar mit heutigen Jugendlichen, ausge- setzt und durch noch mangelhafte Entwicklung von Leistungen des Verstandes und der Vernunft auf den Schutz in einer Horde oder Rot- te angewiesen. Fragt man jeden ein- zelnen solcher Rotte nach den Grün- den für seine Handlung, so erklärt der einzelne, er habe es nur mitge- macht, weil die anderen es machten.

Bei der Suche nach der Motivation findet man immer wieder die wohl unbewußte Ausschaltung von Ver- nunft und Verstand. Für atavistische Zustände in unserer Zeit ließen sich weitere Beispiele bringen.

Es gibt weitere Wege aus innerer Not und inneren Ängsten, die die Existenzialisten offensichtlich rich- tig erkannt haben, zum Beispiel die

„Flucht in die Krankheit". Sie ist nicht zu verwechseln mit Hysterie oder Drückebergerei, da ursächlich oft echte Konflikte, Nöte und Ängste nachweisbar sind, wenn der Arzt be- reit ist, hinter den angegebenen Be- schwerden wie Kopfschmerzen, Ab- gespanntheit, Unlustgefühlen und Schlaflosigkeit nach den eigentli- chen Ursachen zu fahnden. Es braucht nicht immer eine Blech- trommel zu sein, um sich von den 1734 Heft 37 vom 10. September 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Jugend braucht Vorbilder

Forderungen des Lebens (Leben ist Kampf) zurückziehen zu können.

Wenn ein heute politisch interessier- ter älterer Mensch auf die 20er Jahre zurückblickt, die er schon bewußt und beobachtend miterlebt hat, so erinnert er sich genau, daß in der Not der Zeit (Inflation, Arbeitslosig- keit) die Menschen nach einem kom- menden Heil suchten, das sie als Trost erwarten konnten. So konnte man bei den Älteren immer wieder hören, als das Versagen der Weima- rer Republik immer deutlicher wur- de: „Wir brauchen einen Bismarck;

uns fehlt in der Politik eine Füh- rung!", und die Jugend, insbesonde- re die bündische Jugend, sang Lie- der, die diese Sehnsucht ausspra- chen.

Besonders in Notzeiten hat der Mensch immer auf ein kommendes Heil gewartet und so Trost gesucht.

Die Geschichte der Hebräer und Is- raeliten zeigt in der Bibel zahlreiche Weissagungen von Propheten und in vielen Psalmen Tröstungen durch Hinweise auf das kommende Heil, z. B. Jesaja 7,10 ff.: 9,1-6; 11, 1-10;

52, 13-53, 12; Micha 5, 1-3; Sacharja 9,9-10; Dan. 7,13-14. Es lohnt sich, diese Stellen zu lesen als einen Bei- trag zur Anthropologie. Dieses Ver- fahren ist allgemein menschlich und nach 2500 Jahren heute genauso le- bendig wie damals: Vor zehn Jahren lief unsere Jugend durch die Stra- ßen und rief laut nach ihrem Heil

„Mao Tse-tung" und „Ho Tschi Minh".

Die Sehnsucht nach dem Heil ist aber allgemein auch begründet durch die Lebensangst. Leben ohne Angst gibt es zwar nicht, doch ist die Dosierung sehr entscheidend. Man muß auch hier komplementär sehen:

Angst zur Erhaltung und zur Bele- bung des Lebens und Angst als Zer- störer und Krankheitserreger. Wenn eine „moderne" Mutter heute glaubt, ihre Ängste wären die Folge einer autoritären Erziehung, und ihr Kind ohne Ängste erziehen zu kön- nen glaubt, so kann es bei Fehlen einer gesunden Entwicklung von Angst passieren, daß ihr Kind von der Leiter fällt und sich den Schädel

bricht als Folge einer bewußt auf Vertrauen gestellten Erziehung oder daß es voller Zuversicht aus dem Fenster springt.

V. Ausweg: Ziele setzen

Da der Mensch heute in ein kulturel- les und zivilisiertes Leben geboren wird, das nach langer Entwicklung von mehr als tausend Jahren heute besteht, so kann die Kontinuität un- seres kulturellen sozialen Lebens in Gemeinschaft nur erhalten bleiben, wenn der Jugendliche in dieses Le- ben geführt wird, und dabei sind im- mer wieder andere Unterrichtsziele nötig. Der Mensch muß sich inner- halb der Geschichte begreifen und muß vor allem in der Geschichte un- terrichtet werden. Er muß von den neuesten, aber gesicherten Erkennt- nissen der Psychologie und der Ver- haltensforschung erfahren. Vor al- lem müssen die eigentlichen Aufga- ben der Pädagogik wieder beobach- tet werden: Ermöglichen, was mög- lich ist, durch Führen, Lenken, Hel- fen, Bilden, Ziele aufbauen und An- gebote machen für ein positives, mit Freude erfülltes Leben. Um das zu können, müssen die Nöte, die Äng- ste und die Sehnsüchte eines wer- denden Menschen bekannt sein.

Pädagogen und Politiker müssen von einem realen Menschenbild aus- gehen und nicht ein Theater für Kin- der veranstalten, die es gar nicht gibt.

Als Beispiel für letzteres nennen wir die Bemühungen unserer Politiker im „Jahr des Kindes" (1979), insbe- sondere die große Veranstaltung un- ter Mitwirkung des damaligen Bun- despräsidenten. Die Veranstaltung war getragen durch eine Aufzählung von den Rechten der Kinder, die in sicher nicht selbst gefundenen For- men ihre Ansprüche vortrugen, oh- ne daß von Pflichten überhaupt nur die Rede war. Forderungen an die Kinder und Jugend bei dieser Veran- staltung vermißten wir — ein ernstes Versäumnis.

Was sollen wir statt dessen tun?

Sartres Lehre legt dem Menschen eine außerordentliche Verantwor-

tung auf. Der Mensch kann sich nur in eigenem Aufschwung, gleichsam am eigenen Schopfe aus dem Nichts ziehen und sich dessen fort- währender Drohung erwehren. Er ist sich allein verantwortlich — nieman- dem sonst, insbesondere keinem Gott. Dabei ist der Mensch nicht nur sich und für sich verantwortlich, sondern immer zugleich dem ande- ren und für den anderen. In der un- lösbaren Verflechtung des einen Ichs mit allen anderen, in der Inter- subjektivität wurzelt — wie beson- ders auch seine Dramen zeigen — Sartres Ethik. So ist es folgerichtig, daß sich Sartre von Anfang an um Erkenntnis und Gestaltung des ge- sellschaftlichen, des politischen Le- bens bemüht hat. Hier stimmen wir ganz mit Sartre überein: Unsere Ethik ist der Weg zum Mitmenschen und die Bereitschaft zum politischen Einsatz.

Am konkreten Beispiel: Was können wir angesichts der erschreckenden Zunahme des Jugendalkoholismus und der Drogenszene mit einer be- denklichen Zunahme der Todesop- fer tun?

Wir machen Angebote an unsere Ju- gend: Jugend und Hochseesegeln, Jugend und Wassersport, Jugend am Berg, Jugend und Reiten, Ju- gend und Fliegen, Jugend und Mu- sik (Spielen in einem Quartett oder Orchester), Jugend und Philosophie usw. Es ist unsere Lebenserfahrung, daß Leben unter Angeboten gerade- zu aufsprießt. So kennen wir eine Kunsthistorikerin, die durch ihr An- gebot an der Volkshochschule einen großen Kreis begeisterter „Kunsthi- storiker" geschaffen hat, eine junge Frau, die eine Gymnastikgruppe be- gonnen hat, aus der inzwischen ein Sportverein geworden ist. Die Bei- spiele könnten fortgesetzt werden und sollen vor allem dem Miesma- cher gesagt sein, der meint, mit An- geboten sei bei der heutigen Jugend nichts zu machen.

Zu einer gesunden Entwicklung, zur Heranreifung einer ausreichenden Ich-Stärke zwischen dem „Es" und dem „Über-Ich" sind besonders in jungen Jahren Erfolgserlebnisse un- DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 37 vom 10. September 1981 1735

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Einfluß der Psyche auf die Dynamik Durch die Untersuchungen von Pawlow (1972), von Cannon über die Notfallreaktionen (1975), über die psychogene Ohnmacht (Stumpfe 1974, 1981) und den psychogenen Tod (Stumpfe 1973, 1979) ist aufge- zeigt worden, daß seelische Gefühle organische Funktionsabläufe beein- flussen können. Wenn der Organis- mus als ein dynamisches Fließ- gleichgewicht zu betrachten ist, dann bedeutet dies, daß die Psyche die Dynamik beeinflussen kann, aber nicht den Ablauf selbst. Dies zeigen deutlich die Fälle von mona- te- und jahrelanger Bewußtlosigkeit, wo die lebensnotwendigen Körper- funktionen ohne das Vorhandensein von irgendwelchen Gefühlsregun- gen komplikationslos weiterlaufen, allerdings müssen die äußeren Vor- aussetzungen wie Nahrungs- und Sauerstoffzufuhr usw. gewährleistet sein. Auf der anderen Seite kann die willentliche Zuwendung der Auf- merksamkeit physiologische Abläu- fe, z. B. die Herzfunktion, stören.

Ganz allgemein folgt aus dem Glau- ben, daß ich gesund werde, daß ich mich auf diesen Zeitpunkt einstelle.

Ich treffe Vorbereitungen. Ich wirke aktiv weiter, wenn auch eventuell in verminderter Leistungsfähigkeit. Ich bleibe in Bewegung. Das bedeutet, daß alle organischen Funktionen weiterlaufen, die Funktionen bleiben im Training, die Versorgung aller Zellen mit Sauerstoff und Nährstoff wird voll aufrechterhalten. Die ge- sunden Funktionsbereiche sind ab- wehrbereit und in der Lage, den schädigenden Prozeß zu hemmen, zurückzudrängen oder zu besei- tigen.

Im Gegensatz dazu folgt aus der Hoffnung, daß ich vielleicht gesund werden kann, vielleicht aber auch krank bleiben kann, daß ich mich abwartend und passiv verhalte. Ich weiß nicht, worauf ich mich vorbe-

reiten soll: auf den Zustand der Krankheit oder den der Gesundheit.

Die Aktivität wird gehemmt, ich schone mich, ich warte bis ich ge- sund bin oder nicht. Der Patient ver- bleibt ruhig und passiv im Bett. Die Organfunktionen werden inaktiviert, und das Herzkreislauf- sowie At- mungssystem laufen im Schongang.

Die Versorgung der Körperzellen wird auf Mindestversorgung abge- stellt. Der Krankheitsprozeß kann sich ausdehnen, da die angrenzen- den Bereiche schlecht versorgt und nicht widerstandsfähig sind. Die Krankheit verschlimmert sich. Hier sei auf die Untersuchung von Ricker und Speransky (1947) verwiesen, die die ätiologischen Faktoren der krankhaften Zustände in erster Linie in den neuronalen bzw. vasalen Strukturen des Organismus sehen.

Diese Darlegungen zeigen, daß ein festes und klares Zukunftsbild den Menschen in allen Funktionsberei- chen „beflügelt". Der Körper befin- det sich in einem bestmöglichen Zu- stand. Bei einem ungewissen Zu- kunftsbild sind aber die gesamten Aktionen gehemmt. Der Körper be- findet sich in einem geschwächten Zustand und wird über kurz oder lang das Opfer der Krankheit werden.

In Tabelle 2, Seite 1739, werden die Gefahren des lmmobilisationssyn- droms, das heißt einer Bettlägerig- keit bzw. Passivität, für die verschie- denen Organsysteme zusammenge- Jugend braucht Vorbilder

erläßlich. Die Natur belohnt den Menschen grundsätzlich für Dinge, die zur Erhaltung der Art erforder- lich sind. An die mannigfachen Be- lohnungen der Natur für eine ge- glückte Partnerschaft haben Dichter und Wissenschaftler immer wieder neue Beiträge geliefert, aber es ist noch viel zuwenig bekannt, daß durchaus vergleichbare Glückser- lebnisse durch Leistung, durch sinn- volle Arbeit sich einstellen.

Andererseits führt Tatenlosigkeit, Arbeitslosigkeit, kurzum Mangel an Erfolgserlebnissen zu Depressio- nen, zu Drogenmißbrauch und Alko- holismus, um die Trostlosigkeit zu überwinden. Aus solchem ärztlichen Wissen heraus halten wir eine Zu- nahme der Arbeitslosigkeif mit be- sonderer Zunahme der Jugendar- beitslosigkeit für skandalös.

Bei der Bekämpfung der Drogenab- hängigkeit und der Suchtgefahr sind wir bis jetzt immer zu spät gekom- men. Wir können durch Erstarken und Leistungsforderung der Ju- gend, der gesunden Jugend, die Re- sistenz gegen Verlockungen und Passivität erhöhen. So ist unsere So- zialversicherung dringend reform- bedürftig, da sie den Weg in die fal- sche Richtung zeigt: in die Passivi- tät, zur Krankheit und nicht zur Ge- sundheit. Das hat der letzte Ärztetag in seiner Mehrheit erkannt und un- sere schon vor Jahren aufgestellte Forderung und Begründung einer sinnvollen Selbstbeteiligung der Pa- tienten im Gesundheitswesen be- schlossen, wie übrigens auch der letzte Apothekertag.

Anmerkung: Der Verfasser hat seine Ge- danken ausführlich dargestellt in einem Buch: „Glück ist machbar", erschienen im Forkel-Verlag, 1980

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Gerhard Kampe Schlesienring 7

6368 Bad Vilbel 2

FORUM

Psychosomatische Auswirkungen des Glaubens und der Hoffnung

Fortsetzung von Heft 36/1981, Seite 1685 ff., und Schluß

Klaus-Dietrich Stumpfe

1738 Heft 37 vom 10. September 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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