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Archiv "Moderne Anfallsdiagnostik und Therapieüberwachung" (02.10.1980)

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Aktuelle Medizin

ÜBERSICHTSAUFSATZ

Moderne Anfallsdiagnostik und Therapieüberwachung

Hermann Stefan*)

Aus der Universitäts-Nervenklinik Bonn, Epileptologie (Direktor: Professor Dr. med. Heinz Penin)

Die Simultane Doppelbildaufzeichnung (SDA) und die mobile 24- Stunden-EEG-Überwachung erhöhen die diagnostische Sicherheit bei Anfällen zerebraler und extrazerebraler Genese. Diese Untersu- chungsmethoden liefern eine verbesserte Basis für die Wahl geeigne- ter Medikamente und schaffen durch die Verlaufsbeobachtung der Anfallsaktivität neue Möglichkeiten für eine individuell angepaßte Dosierung von Antiepileptika. Der vorliegende Beitrag vermittelt einen aktuellen Überblick über die biotechnischen Möglichkeiten der modernen Epilepsiediagnostik.

ständen eine Therapieresistenz ein- treten. Liegt diese vor, so muß erst einmal gefragt werden, ob es sich nicht um eine scheinbare Resistenz handelt. Eine scheinbare Therapie- resistenz kann dadurch entstehen, daß ein falscher Anfallstyp diagno- stiziert und daraufhin ein ungeeig- netes Medikament angewendet wur- de. Da eine Langzeitmedikation er- forderlich ist, ist der Patient dann unnötigen Gefahren von Medika- mentenwirkungen ausgesetzt.

Einleitung

Die Früherkennung zerebraler Anfäl- le bestimmt die Prognose eines Pa- tienten mit Epilepsie wesentlich mit.

Auch erfahrene Nervenärzte haben oft nur begrenzte Möglichkeiten, An- fälle in der Frühphase der Erkran- kung zu beobachten. Werden zum

Beispiel Absencen übersehen und

treten Grand-mal-Anfälle zusätzlich auf, so verschlechtert sich die Pro- gnose. Nach Sato et al. wurden zum Beispiel 78 Prozent der Patienten anfallsfrei, die nur an Absencen lit- ten. Traten jedoch zu Absencen auch Grand-mal-Anfälle hinzu, so wurden nur noch 32 Prozent der Pa- tienten anfallsfrei. Eine früh einset- zende Therapie kann jedoch das Auftreten von Grand-mal-Anfällen verhindern. Die Früherkennung stellt somit einen wichtigen Ansatz zur Verbesserung der Prognose von Epilepsie dar. Sie wird jedoch ebenso wie eine exakte typologische Zuordnung zu einer bestimmten An- fallsform durch verschiedene Fakto- ren erschwert.

Erste Schwierigkeiten ergeben sich durch den raschen Ablauf der flüch- tigen Anfallssymptome. Der Beob- achter ist allein schon dadurch häu- fig überfordert, daß zahlreiche ein- zelne Symptome in kurzer Zeit gleichzeitig oder in kurzen Zeitinter- vallen gestaffelt - hintereinander ab- laufen. Infolge einer niedrigen An- fallsfrequenz

kann eine objektive

Beobachtung sogar ganz unmöglich werden. Dann muß ausschließlich auf die Angaben des Patienten zu- rückgegriffen werden. Viele Patien- ten erleben jedoch ihre Anfälle sub- jektiv entweder nicht oder nur bruchstückhaft und können daher zu einer Diagnose nicht beitragen.

Das Routine-EEG allein erlaubt ebenfalls bei einer nicht unbeträcht- lichen Zahl von Patienten keine si- chere Hilfe zur Unterscheidung epi- leptischer Anfälle. Dies gilt auch für die differentialdiagnostisch schwie- rig abgrenzbaren, nichtepilepti- schen Anfälle.

Selbst wenn Anfälle rechtzeitig dia- gnostiziert wurden, kann unter Um-

Nur durch eine sorgfältige Routine- diagnostik lassen sich die zahlrei- chen möglichen Fehlerquellen ver- meiden, die zu einer scheinbaren Therapieresistenz führen können.

Der Weg zur Diagnose von Anfalls- krankheiten erfolgt daher am sicher- sten Schritt für Schritt in mindestens vier Stufen. Als erstes ist zu klären, ob epileptische oder andersartige Anfälle vorliegen. Sind zerebrale An- fälle gesichert, so -muß zweitens ent- schieden werden, ob es sich um Ge- legenheitsanfälle oder Anfälle bei chronischer Epilepsie handelt. Bei epileptischen Anfällen ist zwischen fokalen und generalisierten Anfällen zu unterscheiden. Außerdem muß in einem letzten Schritt eine Zuord- nung zu einem Anfallstyp und zur Verlaufsform versucht werden.

Tritt trotz dieses Vorgehens eine Therapieresistenz auf, so erlauben seit einigen Jahren neuere techni-

* Für die Mitarbeit bei der photographischen Dokumentation sei Herrn Th. van Rossum gedankt.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 40 vom 2. Oktober 1980 2357

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und Therapieüberwachung solche Patienten besser zu erfassen, bei de- nen eine nur scheinbare Therapiere- sistenz vorliegt und für die daher eine optimale Diagnostik und Thera- pieüberwachung hilfreich sein kann.

Der folgende Überblick über die heutigen Möglichkeiten der Anfalls- diagnostik und Therapieüberwa- chung soll dazu beitragen.

f)

Diagnostische Methoden

..,... Routinediagnostik

in der Routinediagnostik von An- fallspatienten kommt der Erhebung der Eigen- und Fremdanamnese nach wie vor eine entscheidende diagnostische Bedeutung zu. Das Fundament für die Diagnose eines Anfallsleidens stützt sich in erster Linie hierauf. Außerdem ist eine ein-

SDA

neurologisch-psychologische Unter- suchung wesentlicher Bestandteil der Diagnostik. Die körperliche Un- tersuchung sollte in jedem · Fall durch eine EEG-Ableitung und ein laborchemisches Screening ergänzt werden, ebenso wie eine Röntgen- aufnahme des Schädels und die Computer-Tomographie bei der Erstmanifestation eines Anfallslei- dens nicht ausgelassen werden soll- ten. Durch dieses Vorgehen lassen sich bereits die meisten Anfälle ätio- logisch und typologisch klassifizie- ren und einer Epilepsieverlaufsform zuordnen.

Bei schwer zu diagnostizierenden Anfällen hilft häufig eine erweiterte Diagnostik. Werden kreislaufbeding- te Anfälle vermutet (zum Beispiel va-

gale, kardiale oder postpressarische

[Hustenschlag] Synkopen), so kön- nen ein Schellong-Test, eine EKG-

Videodokumentation (Intensive Monitoring)

Provokation

Routinediagnostik

Anamnese - Katamnese

Abbildung 1: Untersuchungsebenen in der Anfallsdiagnostik

2358 Heft 40 vom 2. Oktober 1980

DEUTSCHES ARZTEBLATT

druckversuch oder ein Valsalva-Ver- such (gegebenenfalls in Hockstel- lung) bereits ätiologische Hinweise liefern. Außerdem empfiehlt es sich, nach starken psychischen oder ve- getativen Belastungen unmittelbar vor Anfällen zu fragen, da Synkopen auf diese Weise ausgelöst werden können. Eine reflektorische Auslö- sung zerebraler Anfälle kann sowohl durch unterschiedliche einfache sensorische Reize (optisch, aku- stisch usw.) als auch durch komple- xe Reize (Lesen, Mustersehen, Mu- sik) und sogar durch psychische oder Schreckreize erfolgen. Wir sprechen dann von Schreckanfällen (Startle-Anfälle) oder Reflexepi- lepsie.

Da die anfallsprovozierenden Schreckreize unter Umständen nur diskret sind, werden sie oft überse- hen, und die Startle-Anfälle werden dann leicht als "hysterisch" ver- kannt. Die Erkennung von Startle- Anfällen ist außerdem dadurch er- schwert, daß Oberflächen-EEG-Ver- änderungen selbst im Anfall fehlen können. Zur Diagnose ist daher un- ter Umständen eine aufwendige ap- parative Anfallsdiagnostik erforder- lich. Ähnlich schwierig kann der Nachweis hypothalamischer Anfälle mit vegetativen Symptomen werden.

Bleiben anfallsartige Zustände un- geklärt, so sollten schließlich auch Stoffwechselerkrankungen wie zum Beispiel Hypoglykämie und Elektro- lytstörungen ausgeschlossen und eine Liquoruntersuchung veranlaßt werden.

Solange die Anfälle nicht objektiv eingehend beobachtet werden kÖn- nen, gibt es nicht selten Schwierig- keiten in der definitiven Zuordnung der Anfälle. in diesem Zusammen- hang ist besonders auf "maskierte"

kleine epileptische Anfälle mit Pseu- dospontanbewegungen hinzuwei-

sen. Sie können sowohl mit als auch

ohne simultane paroxysmale EEG- Veränderungen (zum Beispiel Spike- wave-Komplexe) einhergehen und werden besonders leicht als Verle- genheitsbewegung oder Tics ver- kannt. Sie können auch als kurze,

(3)

00 00

f=t‚

t*

.

00 00

P= Patient

1 = Kamera Vorderansicht (Totale)

2= Kamera Vorderansicht (Detail)

3= EEG-Kamera

4= Kamera Seitenansicht

Abbildung 2: Schematische Darstellung des Versuchsaufbaus zur gleichzeiti- gen Wiedergabe von EEG-Kurve und Fernsehbild

Kamerapositionen (SDA)

EEG

3

leg

Aktuelle Medizin Epilepsiediagnostik

unbemerkte subklinische Anfälle Ur- sache von ungeklärten Schul- schwierigkeiten sein.

Aber auch epileptische Anfälle wer- den nicht selten durch hysterische Anfälle vorgetäuscht. In Zweifelsfäl- len müssen für Epilepsie typische EEG-Veränderungen oder unter Um- ständen ein Anfall aktiviert werden, um eine eindeutige Diagnose zu si- chern.

Als Aktivationsmaßnahmen werden Hyperventilation, intermittierende Photostimulation, Schlafentzug, Schlafableitung und Pitressin-Was- serstoß angewandt. In einigen Klini- ken wird darüber hinaus auch eine medikamentöse Aktivation in Form einer Eukraton-(Bemegrid-)Applika- tion durchgeführt. Diese, Anfallsakti- vierung wird gezielt — je nach An- falls-Verlaufstyp — sukzessiv einge- setzt, bis die Diagnose gesichert werden kann.

Gibt der Patient selbst anfallsauslö- sende Faktoren an, dann kann dies als erster Hinweis für das weitere diagnostische Vorgehen genutzt werden.

In Abbildung 1 sind die wichtigsten Untersuchungsebenen in der An- fallsdiagnostik schematisch darge- stellt.

Sind die Untersuchungsbereiche der Routinediagnostik und Aktiva- tionsmaßnahmen ausgeschöpft, oh- ne eine typologische oder diagnosti- sche Zuordnung der Anfälle zu er- lauben, so muß häufig auf eine

„Querschnittsdiagnose" verzichtet werden. In einigen Fällen können Verlaufsbeobachtungen dann noch in „Längsschnittsuntersuchungen"

zur Diagnose beitragen. Schwer zu diagnostizierende Anfälle bleiben je- doch manchmal auch dann noch un- geklärt. Dies gilt insbesondere auch für nichtorganische Anfälle im Ver- lauf chronischer Epilepsien, die Ra- be als simulierte Anfälle, hyperventi- lationstetanische Anfälle, Ohnmach- ten, Primitivreaktionen sowie hyste- rische Anfälle beschrieb. Für sie ist eine diagnostische Sicherung durch eine Filmdokumentation oft unent- behrlich. Für die Gruppe dieser und

Abbildung 3: Analyseraum mit 2-Zoll-Magnetaufzeichnungsmaschinen und 1-Zoll-VPR-Zeitlupenrekorder

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 40 vom 2. Oktober 1980 2359

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anderer schwer zu diagnostizieren- der Anfälle hat sich in den letzten Jahren eine neue Untersuchungs- methode bewährt, nämlich die Si- multane Doppelbildaufzeichnung (SDA) mit Fernsehen.

Die Intensivierung der Diagnostik läßt sich hierdurch auf zwei Wegen erreichen:

Q) durch eine qualitativ und quanti- tativ verfeinerte Merkmalserfassung von Anfallsphänomenen und Bio- signalen und

@ durch Langzeitableitungen. Von den Methoden der verfeinerten Merkmalserfassung wird als erste die SDA besprochen.

..,. Simultane

Doppelbildaufzeichnung (SDA) Bei der SDA werden gleichzeitig das klinische Anfallsverhalten des Pa- tienten und die EEG-Kurve auf ei- nem Fernsehschirm wiedergegeben. Die Aufzeichnungen erfolgen in ei- nem speziellen Studio. Abbildung 2 gibt den Versuchsaufbau schema- tisch wieder. Zwei Kameras sind gleichzeitig von vorne auf den Pa- tienten, eine weitere Kamera ist auf das EEG gerichtet. Eine vierte Kame- ra nimmt den Patienten von der Sei- te auf. Die Signale dieser Kameras werden elektronisch - über eine Mischeinheit - zu einem "Doppel- bild" auf dem Fernsehmonitor zu- sammengesetzt. Auf dem Bildschirm werden links die EEG-Kurve und

rechts der Patient in der "Totalen"

und gegebenenfalls in einem Ge- sichtsausschnitt abgebildet. Diese von Penin 1968 zur Anfallsdokumen- tation eingeführte Methode konnte in den zurückliegenden Jahren in zunehmendem Maße zur klinischen Untersuchung schwer zu diagnosti- zierender Anfälle ausgebaut werden (Stefan und Penin 1979). Abbildung 3 gibt den Analyseraum mit 2-Zoii-

Magnetaufzeichnungsmaschinen und den 1-Zoii-VPR-Zeitlupenrekor- der wieder.

..,. Telemetrie

Eine wesentliche Erleichterung der Diagnostik ergab sich durch den Einsatz einer drahtlosen Funküber-

Beitrag zur Diagnose Beitrag zur Therapie

Gezielte Therapie

Syndromatische Klassifikation

Nosclogische und syndromatische Diagnose

~

= Verfeinerte Merkmalserfassung

- -= Langzeitableitung

1 11\J \ !IIIIIliliillll l

=

nicht epileptisch

Intensive Monitaring während der Therapie Dokumentation zur Analyse iktaler Phänomene

Abbildung 4: Videodokumentation von epileptischen Anfällen mit Hilfe der Simultanen Doppelbildaufzeichnung (SDA)

2360 Heft 40 vom 2. Oktober 1980

DEUTSCHES ARZTEBLATT

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tragung von Biosignalen: die Tele- metrie. Hierbei trägt der Patient ei- nen kleinen Sender mit sich. Je nach der Reichweite werden Nahfeldsy- steme (Reichweite bis zu 20 Meter) und weitreichende Systeme mit ei- ner Sendeleistung von über 100 Me- ter unterschieden. Durch diese Art der Ableitung bekommt der Patient wesentlich mehr Bewegungsfreiheit.

Die Radiotelemetrie erlaubt eine ar- tefaktarme Ableitung. Selbst bei stärkeren motorischen Entäußerun-

gen, wie zum Beispiel bei einem psy-

chomotorischen Erregungszustand und sogar bei Sturzanfällen werden Ableitungen möglich. Außerdem kann sich der Patient viel ungezwun- gener und natürlicher als bei kon- ventioneller Ableitetechnik ver- halten.

..,. Polygraphie

Eine verfeinerte Erfassung der An- fallsmerkmale wird durch simultane Ableitungen von EEG, EMG, EKG, Atmung und Bewegungsmessern (Aktogramm) erreicht. Diese poly- graphischen Ableitungen erlauben dort noch Aussagen, wo die visuelle

Aktuelle Medizin Epilepsiediagnostik

Abbildung 5 (links): Probandin mit mobilem 24-Stunden-Überwachungssystem Abbildung 6 (oben): Analyse eines 24-Stunden-Befundes auf dem Fernsehschirm

Beobachtung ihre Grenzen bereits erreicht hat. Dies gilt vor allem für subklinische, das heißt, visuell nicht sichtbare Anfallsphänomene, wie milde Myoklonien, leichte Tonuszu- nahmen, diskrete Bewußtseinstrü- bungen oder vegetative Anfallssym- ptome (Atmung, Herzrhythmus), aber auch für exakte zeitliche Korre- lationen zwischen sehr rasch ablau- fenden Symptomen und dem EEG. Die SDA-Untersuchungen haben uns in den letzten Jahren deutlich gezeigt, daß kleine epileptische An- fälle nicht selten auch ohne anfalls-

typische EEG-Veränderungen auf-

treten. Die Diagnose solcher Anfälle stützt sich dann besonders auf das Patientenverhalten, und zwar auf charakteristische Bewegungsscha- blonen der Krampfmotorik.

..,. Videometrie

Die Auswertung dieser Aufzeichnun- gen von Patientenverhalten und si- multanen polygraphischen Biosi- gnalen geschieht mit Hilfe der Vi- deometrie. Die flüchtigen Anfalls- phänomene können zuerst mit Nor- malgeschwindigkeit, dann aber

auch mit stufenlos variabler Zeitlu- pengeschwindigkeit oder sogar mit fest eingestelltem Einzelbildabstand - Bild für Bild - analysiert werden. Das Anfallsgeschehen kann auch zu jedem gewünschten Zeitpunkt als

"Standbild" fixiert werden. Diese vi- deometrische Zeitlupenanalyse ist erst seit kurzer Zeit möglich, näm- lich seitdem die Bildschärfe dieses Verfahrens auch die Wiedergabe fei- ner polygraphischer Ausschläge zu- läßt.

..,. Langzeitableitungen

Während die verfeinerte Merkmals- erfassung mit Hilfe der SDA vor- wiegend diagnostischen Zwecken dient, unterstützten Langzeitablei- tungen mehr die Therapieüberwa- chung. Abbildung 4 zeigt schema- tisch den Beitrag der Videodoku- mentation zur Diagnose und Ver- laufsbeobachtungwährend der The- rapie. Ein Anfallspatient kann auf verschiedenen Ebenen Kontakt mit der SDA bekommen. Dies geschieht einmal bei der Diagnose, die zum Zweck einer syndromatisch orien- tierten Klassifikation und hieraus ab-

DEUTSCHES ARZTEBLATT

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40

vom 2. Oktober

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zuleitenden - möglichst gezielten Therapie- angestrebt wird; dies ge- schieht zum anderen aber auch in zunehmendem Maße bei der Thera- pieüberwachung. Als SDA-Langzeit- ableitungen bezeichnen wir Unter- suchungen, die länger als zwei Stun- den dauern. Sie sind im Wach- oder Schlafzustand möglich. Bei Schlaf- ableitungen werden durch die Schlafprovokation vor allem nächtli- che Anfälle besser erfaßt als früher (Boenigk et al. 1979). Wir haben mit SDA-Ableitungen nach Schlafentzug und nach Mereprine-Prämedikation gute Erfahrungen gemacht, da der Patient auch tagsüber einschläft und Anfälle bei kürzeren Ableitezei- ten bereits provoziert werden (siehe Kasuistik).

8

Methoden zur Therapieüberwachung

~ Mobiles Monitaring

Einen wesentlichen Fortschritt in der Anfallserfassung ermöglichen neuerdings mobile 24-Stunden- Überwachungssysteme. Hiermit las- sen sich insgesamt 4 Kanäle EEG oder eine Polygraphie anderer Bio- signale ableiten. Die 24-Stunden-

100' ..

i

kont. Status

I

diskont. Status

I

! 30

20

10

Bandaufzeichnung erfolgt kontinu- ierlich auf einem Kassettenrecorder.

Die Ableitung kann in einem Aufent- haltsraum erfolgen, in dem gleich- zeitig eine Fernsehaufzeichnung vorgenommen wird. Meistens wird aber auf die visuelle Anfallsdoku- mentation im Rahmen dieser 24- Stunden-Ableitung verzichtet, damit das EEG des Patienten unter häusli- chen Bedingungen oder auch wäh- ren der Arbeit und in der Schule aufgezeichnet werden kann. Die Ge- räte sind in den letzten vier Jahren (lves et al. 1975, Sato et al. 1977) soweit fortentwickelt worden, daß sie bequem und unauffällig am Pa- tienten angebracht werden können. Die Verwendung von Klebeelektro- den und elektrodennahen Vorver- stärkern garantiert einen festen Sitz der Elektroden und artefaktarme Ab- leitungen. Die EEG-Signale werden auf einen Miniaturkassettenrecorder aufgezeichnet, den der Patient in ei- ner kleinen Tasche bei sich trägt.

Abbildung 5 zeigt ein solches Gerät bei einer Versuchsperson. Mit Hilfe eines Bildschirmdisplay können die in 24 Stunden aufgezeichneten Be- funde innerhalb einer Stunde auf dem Fernsehschirm (Abbildung 6) analysiert werden. Der Patient kann

während eines von ihm bemerkten Anfalls auf eine Taste des Recorders drücken. Dadurch markiert er den Zeitpunkt des selbst erlebten Anfal- les auf dem Aufzeichnungsband, und der Untersucher kann später das EEG selektiv zu diesem Zeit- punkt analysieren. Auf diese Weise läßt sich besonders bei selten auftre- tenden und unklaren anfallsartigen Zuständen eine Lücke in der Anfalls- diagnostik schließen. Kardiale Syn- kopen können durch simultane EEG- und EKG-Ableitung erfaßt wer- den.

~ Serumspiegel

Einen weiteren Schritt auf dem We- ge zu einer optimierten Therapie stellen häufige Serumspiegelkon- trollen der verabreichten Antiepilep- tika dar (Porter at al. 1977, Fräseher 1977, Meinardi et al. 1977, Schmidt 1977 und Penin 1978).

8

Anwendungsbeispiele Fall 1: Nach Angaben des 18jähri- gen Patienten bestanden seit dem 14. Lebensjahr therapieresistente Anfälle 'mit plötzlichem ruckartigem

12 1 5 18 21 24 3 6 9

pro 3,5-min-Zeitintervall gemessene Dauer von S-W-Aktivität

Gesamtzahl einzelner Paroxysmen (ausgenommen kont. u. diskont. Staten) N = 368

Abbildung 7: Spike-wave-Aktivität im Verlauf einer 24-Stunden-EEG-Ableitung (Fall 2)

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Sleep Stage Awake — I — II — III IV — REM — Undefined —

30 Phenobarbital

20

mg/m1 Primidone

10

1 1 1

191

1 1

'I

1 1

1200 1600 2000

t 125 mg P 125 mg P 125 mg P

10 mg D 10 mg D 10 mg D I S T

2400

500 mg P 10 mg D 0

Clock Time

Epilepsiediagnostik

r

0400 0800

125 mg P 10 mg D

::1 No. of discrete discharges (DD) 16

No. of seconds mixed paroxysmal activity 12 (MPA)

8

Number 4

0

P = Primidone D = Diazepam

Abbildung 8: Schematische Darstellung von Anfallsaktivität und Blutspiegel-Konzentration (Primidon, Diazepam) im Tagesverlauf. Aus: Seizure Activity and Anticonvulsant Drug Concentration, A. J. Rowan, MD; C. E. Pippenger, PhD;

P. A. Mc Gregor; J. H. French, MD. Arch. Neurol./Vol. 32, May 1975, 281-288 (Copyright American Medical Assoc. 1975)

Hochreißen der Arme und Streck- zuckungen der Beine. Während die- ser Anfälle wurde von dem Patienten keine Bewußtseinstrübung festge- stellt. Trotzdem stürzte er gelegent- lich im Anfall zu Boden. Aufgrund dieser Anfallsschilderung und der genannten Befunde konnte der am- bulant behandelnde Arzt keine si- chere Diagnose stellen. Die Ver- dachtsdiagnose lautete zunächst myoklonisch-astatisches Petit mal.

Wegen Therapieresistenz wurde der Patient schließlich zur SDA über- wiesen.

Die neurologische Untersuchung er- gab eine leichte Schädelasymmetrie rechts mit linksbetonten Arm- und Beineigenreflexen. Das Routine- EEG war unauffällig. Es wurde eine SDA-Schlafableitung durchgeführt.

Die SDA zeigte psychomotorische Anfälle. Diese Anfälle begannen mit einem heftigen ruckartigen Hochrei- ßen der Arme in eine Fechterstel- lung. Der Kopf wurde dabei nach links gewendet, der linke Arm ge- streckt, der rechte Arm im Ellenbo-

gengelenk gebeugt und im Schulter- gelenk abduziert und die Füße ge- streckt. Diese Anfallsphase der toni- schen Verkrampfung hielt 38 Sekun- den an, dann folgte eine Umdämme- rung mit Vokalisation, rhythmischen Schüttelbewegungen der rechten Hand und Schluck- sowie Leckauto- matismen. Der gesamte Anfall dau- erte 145 Sekunden.

Das EEG zeigte initial eine Abfla- chung und dann eine gruppierte Dysrhythmie; schließlich nach der ersten Anfallsminute Theta- und Del- ta-Wellen beidseits mit Betonung präzentro-temporo-basal.

Die SDA-Diagnose lautete also: Psy- chomotorische Anfälle mit initial to- nischer adversiver Komponente. Die Anfallsschilderung des Patienten führte zunächst zu der falschen Dia- gnose (myoklonisch-astatisches Pe- tit mal), da er nur Bruchteile des raschen motorischen Anfallsbe- ginns erlebte und die anschließende Bewußtseinstrübung selbst nicht wahrnahm. Daher schilderte er nur

ein kurzes Zucken im Sinne von bila- teralen Myoklonien.

Ein später durchgeführtes Compu- ter-Tomogramm ließ eine hypoden- se Zone temporo-basal rechts erken- nen. Die Anfälle wurden unter der Therapie mit Carbamazepin, Pheny- toin und Phenobarbital in ihrer Häu- figkeit und Schwere vermindert.

Fall 2: Bei der 14jährigen Patientin stellte die Mutter wiederholt einige Tage vor der Menstruation eine psy- chische Veränderung fest. Die Toch- ter wirkte verlangsamt und unkon- zentriert. Ambulante neurologische Untersuchungen waren ebenso wie die Routine-EEG-Ableitung (Dauer 20 Minuten) — bis auf vereinzelt ein- gestreute hypersynchrone rhythmi- sche Delta-Wellen — unauffällig. Zur diagnostischen Klärung wurde eine 24-Stunden-EEG-Ableitung durch- geführt. Abbildung 7 zeigt das Er- gebnis. Es ließen sich zahlreiche An- fälle mit Spike-wave-Komplexen nachweisen. Dieser Befund über- raschte zunächst, da die Anfälle

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 40 vom 2. Oktober 1980 2363

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kunden subklinisch verliefen und nur bei statusartiger Häufung psy- chopathologisch als Verlangsa- mung in Erscheinung traten. Die SDA ließ jedoch später eindeutig komplexe Absencen mit diskreten tonischen Adversivbewegungen und Automatismen erkennen.

Diskussion und Ausblick Die zwei beschriebenen Fälle veran- schaulichen die Vorteile der Unter- suchungsmethoden beim Einsatz in Diagnostik und Therapie. Die Über- wachung subklinischer oder „mas- kierter" kleiner Anfälle war bis zur Entwicklung dieser Methoden be- sonders problematisch. Die Anfälle wurden weder vom Patienten noch vom Untersucher wahrgenommen.

Mit Hilfe der SDA und psychopatho- metrischer Untersuchungen ließ sich nachweisen, daß auch solche Spike-wave-Paroxysmen mit subkli- nischen Symptomen einhergehen können, die bei routinemäßiger kli- nischer Untersuchung symptomlos erscheinen.

Wasterlain (1979) wies im Tierexpe- riment nach, daß auch bei EEG-Par- oxysmen, die klinisch ohne Konvul- sionen einhergehen, die zerebrale Proteinsynthese inhibiert werden kann. Obwohl die Relevanz dieser Untersuchung beim Menschen noch nicht geklärt ist, wird man sich in Zukunft auch von klinischer Seite vermehrt solchen Spike-wave-Par- oxysmen zuwenden müssen.

Wenn mit Hilfe der SDA während solcher Spike-wave-Paroxysmen je- doch Symptome nachgewiesen wer- den, besteht eine Indikation zur Be- handlung. Dann erlauben die konti- nuierlichen Aufzeichnungen des EEGs über 24 Stunden selbst bei subklinischen Anfällen objektive Aussagen über die paroxysmale EEG-Aktivität und die Medikamen- tenwirkung.

Die oben beschriebene Dokumenta- tion phänomenologischer und bio- elektrischer Anfallssymptome er-

überstellung von Anfallsdaten und Blutspiegelkonzentrationen verab- reichter Antiepileptika.

Penry und Porter (1977) erprobten das „Intensive Monitoring" bei schwer einstellbaren Patienten.

Durch dieses Vorgehen lassen sich zwar weder alle Fälle diagnostisch klären, noch therapieresistente Pa- tienten stets heilen, aber selbst die diagnostische Klärung weniger Fälle rechtfertigt diese aufwendigen Un- tersuchungen. Die Überwachung der Anfallsaktivität während der Therapie läßt sich objektiver durch- führen.

Liegt noch keine absolute Therapie- resistenz vor, so besteht neuerdings die Chance, den diagnostischen (zum Beispiel Anfallstyp), den pa- tientenbedingten (zum Beispiel un- regelmäßige Medikamenteneinnah- me, schlechte Medikamentenresorp- tion, schnelle Elimination) und me- dikamentös bedingten (therapeuti- scher Bereich, Plasmahalbwertzeit) Anteil der therapeutischen Resi- stenz individuell zu erfassen.

Wenn Langzeitableitungen den Arzt in die Lage versetzen, die individuel- len tageszeitlichen Anfallshäufun- gen von therapieresistenten Patien- ten genau zu bestimmen, können auch die tageszeitlichen Verabrei- chungen von Antiepileptika indivi- duell erfolgen, so daß eine gezielte Minimaldosierung und damit eine Reduzierung von Nebenwirkungen erhofft werden kann.

Die Abbildung 8 zeigt eine schemati- sche Darstellung von Anfallsaktivität und Blutspiegelkonzentrationen im Tagesverlauf (Rowan et al. 1975).

Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt uns immer mehr, daß bei Problem- patienten von einem interiktualen EEG allein oft keine ausreichenden Informationen für die Epilepsiedia- gnose und Therapie abzuleiten sind.

Die beschriebenen Methoden stellen gerade in diesem Bereich objektive Kriterien zur Verfügung, die eine so- lidere Basis für einen Behandlungs- versuch schaffen. Die hierfür not- wendigen Untersuchungen sind

satz ist daher zur Zeit noch auf be- sondere Problemfälle beschränkt.

Mit Hilfe der aufgeführten biotechni- schen Möglichkeiten sollen relevan- te individuelle Faktoren der Anfalls- aktivität erfaßt werden. Dieses auf- wendige wissenschaftliche Vorge- hen ist auf Spezialabteilungen für Epilepsieforschung beschränkt. Für die praktische Diagnostik wird eine

„vereinfachte Routine-SDA" (Pa- tient und EEG) bereits in einigen Kli- niken eingesetzt. Für diesen Zweck stehen heute kleine Fernsehanlagen zur Verfügung.

Da die Anfallsdokumentationen ständig reproduzierbar sind, infor- mieren sie aktuell das Stationsteam und dienen außerdem später hervor- ragend zur Ausbildung von Studen- ten, Pflegepersonal, Sozialarbeitern usw. und zur Fort- und Weiterbil- dung von Ärzten.

Literatur

(1) Wes, J. R., and Woods, J. F.: 4 channel 24 hour cassette recorder for long-term EEG mo- nitoring of ambulatory patients. Electroen- ceph., Clin. Neurophysiol. 39 (1975) 88-92 — (2) Penin, H.: Neuartige Diagnostik und For- schungsanlagen in der Universitäts-Nervenkli- ni k Bonn, Acta medio. techn. 16 (1968) 76-78 — (3) Penry, J. K., and Porter, R. J.: Intensive monitoring of patients with intractable seizu- res, Epilepsy, The Eighth International Sympo- sium, edited by J. K. Penry, Raven Press, New York (1977) 95-101 — (4) Rabe, F.: Die Kombi- nation hysterischer epileptischer Anfälle, Springer Verlag Berlin/Heidelberg/New-York, Schriftenreihe Neurologie Bd. 5 (1970) — (5) Stefan, H., und Penin, H.: Methoden der verfei- nerten Merkmalserfassung bei Anfallspatien- ten, in: Epilepsie 1978, Georg Thieme Verlag Stuttgart, Hrsg. H. Doose und G. Groß-Selbeck (1979) — Weitere Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Hermann Stefan Universitäts-Nervenklinik und Poliklinik/Epileptologie Sigmund-Freud-Straße 25 5300 Bonn-Venusberg

2364 Heft 40 vom 2. Oktober

1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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