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Archiv "Masern: Vermeintlich harmlose Viruserkrankung" (09.06.2006)

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ie weit verbreitete Vorstellung, Masern seien eine harmlose Kinderkrankheit, ist falsch.

Nach einer aktuellen Statistik der Weltgesundheitsorganisation (WHO) starben 2004 weltweit 454 000 Men- schen an den Folgen der Viruser- krankung, die meisten von ihnen Kinder aus der Dritten Welt. Obwohl Todesfälle in Deutschland selten sind, beobachtet man hierzulande aber ei- ne deutliche Zunahme der Erkran- kungsfälle (2004: 121, 2005: 778). In diesem Jahr sind bereits über 1 400 Meldungen eingegangen, was auf eine epidemieartige Häufung von Masernerkrankungen in Nordrhein- Westfalen zurückzuführen ist. Infek- tiologen gehen jedoch von einer ho- hen Dunkelziffer aus.

Vor diesem Hintergrund votierte der Deutsche Ärztetag in Magde- burg erstmals für eine verpflichten- de Impfung gegen Masern. Weiter- hin forderten die Delegierten, dass nur solche Kinder in staatlich finan- zierten oder geförderten Krippen, Kindergärten und Schulen aufge- nommen werden dürften, die einen vollständigen Impfstatus gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkom- mission haben. Darüber hinaus sollen die Ärztekammern ermächtigt werden, be- rufsrechtliche Schritte gegen Kollegen einleiten zu können, die sich „wieder- holt gegen empfohlene Schutzimpfun- gen aussprechen“. (DÄ, Heft 22/2006, Tätigkeitsbericht)

Bereits 1984 hatte sich die WHO zum Ziel gesetzt, neben Kinderlähmung und Diphtherie auch die Masern bis zum Jahr 2000 auszurotten. Dazu hätten je- doch mindestens 95 Prozent aller Kin-

der und Jugendlichen eines Landes ge- gen Masern geimpft sein müssen. We- gen divergierender Vakzinierungsraten musste die WHO ihr ehrgeiziges Ziel in Europa um zehn Jahre verschieben.

Während Finnland, Schweden, die Nie- derlande und Großbritannien sehr ho- hen Masernimpfraten (und eine ent- sprechend niedrige Krankheitshäufig- keit) aufweisen, gehören Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, die Schweiz und die GUS zu den Ländern mit ungenügenden Impfraten.

Nach Einführung der Masern- impfung 1967 in der DDR und 1973 in den alten Bundesländern sind die Masernerkrankungen in Deutschland zwar zurückgegegan- gen, wegen der nur suboptimalen Impfraten konnten die Viren jedoch weiter zirkulieren. Zurzeit erhalten bundesweit 93,5 Prozent aller Klein- kinder die empfohlene Kombinati- onsimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR). Die Beteili- gung an der notwendigen zweiten MMR-Impfung, die etwa vier Wo- chen nach der ersten erfolgen sollte, liegt jedoch erst bei 65,7 Prozent – wobei Kinder in den neuen Bundes- ländern deutlich besser geimpft sind als im Westen.

So ist es nicht verwunderlich, dass es regional immer wieder zu unge- wöhnlichen Häufungen von Ma- sernfällen kommt – wie derzeit in Nordrhein-Westfalen, wo von Jah- resbeginn bis zum 31. Mai 1 350 Neuerkrankungen gemeldet wor- den sind. „Die tatsächliche Zahl wird jedoch höher liegen, da vielen Kollegen und Krankenhäusern nicht bekannt ist, dass die Masern zu den meldepflichtigen Erkrankungen gehö- ren“, sagt der Leiter der Zentralstelle für Meldepflichtige Infektionskrankheiten in NRW (Münster), Priv.-Doz. Dr. med.

Matthias Schröter, gegenüber dem Deut- schen Ärzteblatt.

206 der Betroffenen mussten auf- grund der Schwere der Erkrankung sta- tionär behandelt werden, davon drei Pa- tienten wegen Enzephalitis und einer wegen Meningitis.. Auffallend sei auch, dass die Masern nicht mehr nur als Kin- derkrankheit erachtet werden können.

M E D I Z I N R E P O R T

A

A1586 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 23⏐⏐9. Juni 2006

Masern

Vermeintlich harmlose Viruserkrankung

Der Entschluss des Deutschen Ärztetages, die Masernimpfung verpflichtend einzuführen, unterstützt das WHO-Ziel, die Viruserkrankung in Europa zu eradizieren.

Maserviren attackieren eine Wirtszelle. Die Inkubati- onszeit beträgt acht bis zwölf Tage.

Foto:NIBSC/SCIENCE PHOTO LIBRARY

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Während vor 100 Jahren die meisten Kinder zwischen ein und zwei Jahren an Masern erkrankten, sind heute gut ein Viertel der Masernkranken über 15 Jah- re alt. Auch bei der aktuellen Epidemie in NRW sind hauptsächlich Heranwach- sende zwischen zwölf und 19 Jahren er- krankt. „Dies verdeutlicht, dass die Impflücken nicht erst jetzt, sondern be- reits vor zehn bis fünfzehn entstanden sind“, so Schröter.

Steckbrief des Paramyxovirus

Die Masernerkrankung wird durch ein ausschließlich humanpathogenes RNA- Virus hervorgerufen; es gehört zum Ge- nus Morbillivirus in der Familie der Pa- ramyxoviren. Die Viren werden durch das Einatmen infektiöser Exspirations- tröpfchen (Sprechen) beziehungsweise Tröpfchenkerne (Husten, Niesen) sowie durch Kontakt mit infektiösen Sekreten aus Nase oder Rachen übertragen. Das Masernvirus führt bereits bei kurzer Ex- position zu einer Infektion (Kontagions- index nahe 100 Prozent) und löst bei über 95 Prozent der ungeschützten Infizierten klinische Erscheinungen aus. Die Inku- bationszeit beträgt acht bis zwölf Tage.

Masern sind eine systemische, sich selbst begrenzende Virusinfektion mit zweiphasigem Verlauf. Sie beginnen mit Fieber, Konjunktivitis, Schnupfen, Hu- sten und einem Enanthem am Gaumen.

Pathognomonisch sind die oft nachweis- baren Koplik-Flecken (kalkspritzerarti- ge weiße Flecken an der Mundschleim- haut). Das charakteristische makulopa- pulöse Masernexanthem (bräunlich-ro- safarbene konfluierende Hautflecken) entsteht am dritten bis siebten Tag nach Auftreten der initialen Symptome. Es beginnt im Gesicht und hinter den Oh- ren und bleibt vier bis sieben Tage be- stehen. Beim Abklingen ist oft eine klei- eartige Schuppung zu beobachten. Am fünften bis siebten Krankheitstag kommt es zum Temperaturabfall.

Infektiös sind die Erkrankten be- reits, wenn die ersten erkältungsähnli- chen Symptome auftreten und das Fie- ber ansteigt. Die Ansteckungsgefahr hält höchstens eine Woche an.Wenn der Ausschlag abgeblasst oder in Pigment- flecke übergegangen ist, besteht keine Infektionsgefahr mehr.

Da die Virusinfektion eine transitori- sche Immunschwäche von etwa sechs Wochen Dauer bedingt, können bakteri- elle Superinfektionen folgen – am häu- figsten Otitis media, Bronchitis, Pneumo- nie und Diarrhö. Eine besonders ge- fürchtete Komplikation ist die akute postinfektiöse Enzephalitis, die sich in 0,1 Prozent der Fälle einige Tage nach Auftreten des Exanthems entwickelt und mit Kopfschmerzen,Fieber und Bewusst- seinsstörungen bis zum Koma in Erschei- nung tritt. Bei etwa zehn bis zwanzig Pro- zent der Betroffenen endet sie tödlich.

Etwa ein Drittel der Überlebenden muss mit Residualschäden am ZNS rechnen.

Eine sehr seltene Spätkomplikation stellt die subakute sklerosierende Panen- zephalitis (SSPE) dar (sieben bis elf Fälle pro 100 000 Erkrankungen), die sich nach durchschnittlich sechs bis acht Jahren manifestiert. Beginnend mit psychischen und intellektuellen Veränderungen, ent- wickelt sich ein progredienter Verlauf mit neurologischen Störungen und Aus- fällen bis zum Verlust zerebraler Funk- tionen. Die Prognose ist stets infaust.

Die von Kinder- und Jugendärzten or- ganisierte „Erhebung Seltener Pädiatri- scher Erkrankungen in Deutschland“ re- gistrierte von Januar 2003 bis Februar 2006 in Deutschland 14 Fälle. Acht der Kinder waren im ersten Lebensjahr an Masern erkrankt – also zu einem Zeit- punkt, an dem sie noch nicht gegen Ma- sern geimpft sein konnten.

Schutz durch Herdimmunität

Nach Angaben von Dr. med. Stephan Arenz vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit unterstützen diese Daten die Bedeutung einer hohen Durchimpfungsrate in der Bevölkerung: „Dadurch wird einerseits ein direkter Schutz vor einer Masernin- fektion – und gegebenenfalls einer späte- ren SSPE – gewährleistet. Andererseits werden Säuglinge und Kleinkinder, die noch nicht geimpft werden konnten, durch Herdimmunität indirekt ge- schützt.“ Doch nach wie vor gibt es in der Bevölkerung – und unter den Ärzten – zahlreiche Impfgegner.

Manche Eltern, die der Masernimp- fung gegenüber eine skeptische Haltung einnehmen, bevorzugen es daher, ihr

Kind auf „Masern-Partys“ bewusst an- stecken zu lassen, damit es eine natürli- che Immunität erwirbt. „Angesichts der möglichen Komplikationen ist dies ein verantwortungsloses Spiel mit der Ge- sundheit des eigenen Kindes“, warnt Prof. Dr. med. Berthold Koletzko von der Stiftung Kindergesundheit. Die Weiter- verbreitung von Krankheitserregern könne nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) sogar mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren be- straft werden.

Schröter erachtet die Masernimpfung sogar als „gesellschaftliche Verpflich- tung“. Da die bisherige Freiwilligkeit der Entscheidung für oder gegen die Vakzi- nation zu erheblichen Impflücken ge- führt habe, begrüßt er das positive Votum des Ärztetages für die Einführung einer Masern-Pflichtimpfung

Bei der Masern-Vakzine handelt es sich um einen Lebendvirusimpfstoff, her- gestellt aus abgeschwächten Viren, die auf Hühnerfibroblasten vermehrt werden.

Die Präparate werden als Monovakzine und in Kombination mit Mumps- sowie Rötelnvirus angeboten. Diese MMR- Vakzine gilt als Impfstoff der Wahl.

Die Erstimpfung sollte im Alter von vollendetem 11. bis zum 14. Monat, also nach dem Verschwinden der maternalen Antikörper, erfolgen. Die in Deutsch- land zugelassenen Impfstoffe bewirken bei über 90 Prozent der einmal Geimpf- ten eine Serokonversion. Bis zu fünf Pro- zent der Impflinge entwickeln (meist in der zweiten Woche nach der Impfung) so genannte Impfmasern mit mäßigem Fie- ber, flüchtigem Exanthem und respirato- rischen Symptomen. Die durch die Imp- fung bewirkte Immunantwort ist nach vier bis sechs Wochen nachweisbar, wo- bei die mittleren Antikörpertiter niedri- ger liegen als nach natürlicher Infektion.

Die empfohlene Zweitimpfung (sie ist keine Auffrischimpfung) soll den Kin- dern, die – aus unterschiedlichen Grün- den – nach der Erstimpfung keine Impf- immunität entwickelt haben, eine zweite Chance geben. Dies sichert erfahrungs- gemäß ein Maximum an Immunität der zu impfenden Jahrgänge. Seit Juli 2001 wird die Zweitimpfung bereits im Alter von 15 bis 23 Monaten empfohlen. Die zweite MMR-Impfung kann vier Wo- chen nach der ersten MMR-Impfung erfolgen. Dr. med. Vera Zylka-Menhorn M E D I Z I N R E P O R T

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A1588 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 23⏐⏐9. Juni 2006

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