Deutsches Ärzteblatt
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13. September 2013 A 1663 ÜBERPRÜFUNG DER LEBERTRANSPLANTATIONSZENTRENDeutliche Verstöße in vier Zentren
Endlich gibt es Klarheit: Während 2010/11 in 20 Transplantationszentren nur vereinzelt und unsystematisch Fehler bei der Meldung von Patienten auftraten, fanden die Prüfungs- und die Überwachungskommission in vier Zentren schwere Verstöße.
M
ontag, kurz vor 14 Uhr: Wie immer um diese Zeit füllt sich der Raum 02.6.081.1 in der 2. Etage des Neuen Klinikums auf dem Campus des Universitätsklini- kums Hamburg-Eppendorf (UKE).Es ist Lebertransplantationskonfe- renz in der Klinik für Hepatobiliäre Chirurgie und Transplantationsme- dizin, geleitet von Prof. Dr. med.
Martina Sterneck. Die Internistin ist seit dem Aufbau des Hamburger Transplantationsprogramms vor et-
wa 25 Jahren am UKE tätig. „Zu in- terdisziplinären Transplantations- konferenzen treffen wir uns hier schon seit 20 Jahren“, berichtet sie dem Deutschen Ärzteblatt. „Sogar immer schon montags 14 Uhr.“
Ein Schritt voran:
Transplantationskonferenzen
Diese Vorgehensweise hat sich of- fensichtlich bewährt. Denn am UKE fanden die Prüfungs- und die Überwachungskommission (PÜK) der Bundesärztekammer (BÄK), der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversiche- rung (GKV) bei den Lebertrans- plantationen in den Jahren 2010/11keinerlei Richtlinienverstöße. Doch derart strukturierte Abläufe waren in der Vergangenheit nicht in al- len Transplantationszentren die Re- gel. Dass es auf diese Weise leicht zu Unregelmäßigkeiten bei der Ver- gabe von Spenderorganen und zu Verstößen gegen die Transplantati- onsrichtlinien gekommen ist, wurde spätestens nach dem Transplantati- onsskandal im vergangenen Som- mer vermutet. Wie groß das Aus- maß der Manipulationen tatsäch-
lich war, weiß man jedoch erst jetzt nach Abschluss der Vor-Ort- Prüfungen aller 24 Lebertransplan - tationsprogramme in Deutschland genau: In vier Zentren – an den Universitätskliniken Göttingen und Leipzig sowie in zahlenmäßig gerin- gerem Ausmaß in München rechts der Isar und in Münster – hat es 2010/11 systematische Manipulatio- nen bei Lebertrans plantationen ge- geben. Das teilten die PÜK am 4. September in Berlin bei der Vor- stellung eines ersten umfassenden Prüfberichts mit.
Eigentlich wollten die Kommis- sionen die Ergebnisse ihrer nicht an- lassbezogenen Kontrollen bereits im Juni präsentieren. Auffälligkei-
ten, unter anderem am Universitäts- klinikum in Münster, führten jedoch zu Nachprüfungen. „Wir erhielten eine anonyme Anzeige, die sich auf einen Teilbereich der Prüfung be- zog“, erläuterte Anne-Gret Rinder, Vorsitzende der Prüfungskommissi- on und Vorsitzende Richterin am Kammergericht i. R., bei der Vorstel- lung des Berichts. Zuvor habe es aber auch schon Auffälligkeiten be- züglich der Dialysepflichtigkeit von einigen Patienten in Münster gege-
ben, die zu einem Nachprü- fungstermin geführt hatten.
Nachprüfung in Münster
Dabei stellten die Kommis- sionen systematische Richt- linienverstöße fest: Bei den 30 Patienten, die 2010/11 gegenüber Eurotransplant als dialysepflichtig gemeldet worden waren, hatte in fünf Fällen gar keine Dialyse stattgefunden, in neun weite- ren Fällen fehlte nach An- sicht der Prüfer die Indikati- on zur Dialyse. Zudem hiel- ten die Kommissionen Mel- dungen zur Transplantation von eini- gen Patienten mit einem hepatozellu- lären Karzinom sowie von Patienten mit zu geringer Alkoholkarenzzeit nicht für gerechtfertigt. Münster er- kennt einen Teil der Verstöße an, ver- weist jedoch bei einem anderen Teil der Probleme auch auf unklare For- mulierungen in den Richtlinien der BÄK, aus denen unterschiedliche In- terpretationen resultierten.
Keine Richtlinienverstöße hat es im untersuchten Zeitraum in den Lebertransplantationszentren in Ber- lin, Hamburg, Hannover, Magde- burg und Würzburg gegeben. In den übrigen 15 der untersuchten 24 Zentren habe man nur solche Richt- linienverstöße gefunden, bei denen Vorstellung des
ersten umfassen- den Prüfberichts durch Hans Lippert (3. von links), Frank Ulrich Montgomery (2. von rechts) und Anne-Gret Rinder (ganz rechts)
Foto: Georg J. Lopata
P O L I T I K
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13. September 2013 sich kein Verdacht auf systemati-sche oder bewusste Falschangaben zur Bevor zugung bestimmter Pa- tienten er gab, erklärte Prof. Dr.
Hans Lippert, Vorsitzender der Überwachungskommission. Dabei sei es in einigen Zentren um grenz- wertige oder nicht mehr ganz richt- linienkonforme Indikationen ge- gangen. Auffällig seien beispiels- weise Angaben zu möglichen Ein- schränkungen der Aufnahme in die Warteliste, einzelne Angaben von Laborwerten zur Berechnung des MELD-Scores, Angaben im Zu- sammenhang mit der Beantragung des beschleunigten Vermittlungs- verfahrens sowie Angaben zu Dia- lysepatienten gewesen.
Verbesserte Abläufe: Künftig weniger Richtlinienverstöße
Für die Jahre 2012 und 2013 rech- nen die Kommissionsvorsitzenden jedoch mit einer deutlich geringe- ren Anzahl dieser unsystematischen Richtlinienverstöße. „Ein positiver Effekt der Vor-Ort-Prüfungen ist im Zusammenhang mit den neu einge- führten interdisziplinären Trans- plantationskonferenzen bereits jetzt eine Verbesserung der formalen Ab- läufe sowie der Dokumentationen“, sagte Lippert.Pflicht sind die interdisziplinären Konferenzen als Reaktion auf den Transplantationsskandal seit De- zember 2012. Die Konferenz muss, neben den direkt beteiligten operati- ven und konservativen Disziplinen, mindestens einen Vertreter einer vom ärztlichen Direktor benannten Disziplin ohne unmittelbare Verbin- dung zur Transplantationsmedizin aufweisen. Alle Entscheidungen zur Führung der Wartelisten der Trans- plantationszentren müssen gemein- sam getroffen werden. Bei Leber- transplantationen müssen von der Konferenz zudem die allokationsre- levanten Befunde einschließlich der vom Laborarzt bestätigten Labor- werte auf Plausibilität geprüft und bestätigt werden. „Wir in Hamburg dokumentieren alles in einer elek- tronischen Patientenakte“, erläutert Sterneck. So seien alle Daten für die zehn bis 15 Teilnehmer der Konfe- renz, darunter Anästhesisten, Chir - urgen, Internisten, Pädiater, Trans-
plantationsbeauftragte, Vertreter der Pflege und das Qualitätsmanage- ment, transparent.
Veränderungen oder gar Beein- trächtigungen der internen Abläufe gebe es durch die Fallbesprechun- gen in dieser großen Runde nicht, erklärte Prof. Dr. med. Björn Nas- han, Direktor der Klinik für Hepa- tobiliäre Chirurgie und Transplanta- tionsmedizin am UKE, auf Nach- frage dem Deutschen Ärzteblatt.
Sie trügen vielmehr zur Transpa- renz und zur interdisziplinären Zu- sammenarbeit bei. „Das System muss pluralistisch angelegt sein.
Die Kontrolle Vieler schützt vor Fehlern Einzelner.“
Organtransplantationen sollten nach Nashans Ansicht jedoch nicht an jeder Klinik stattfinden. „Wir brauchen strenge Qualitätssiche- rungsmaßnahmen“, fordert er. Dazu gehörten die Qualifikation zum Transplantationsmediziner nach ei- nem festen Curriculum, attraktive Jobangebote durch die Arbeitgeber sowie ein Transplantations- und Dialyseregister beziehungsweise ein Register über Herzunterstüt- zungssysteme.
Auf strukturelle Veränderungen drängt auch der Spitzenverband der GKV: „Deutschland hat zu viele Transplantationszentren bei zu we- nigen Spenderorganen“, betonte der stellvertretende Vorstandsvorsitzen- de Johann-Magnus Freiherr von Stackelberg. Acht der 24 überprüf- ten Leberzentren lägen unterhalb der vorgegebenen Mindestmenge an Lebertransplantationen.
Kommissionen fanden keine materiellen Motive
Ein Augenmerk auch auf die positi- ven Ergebnisse der Überprüfung legte Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery. Die Analyse habe ge- zeigt, dass es nicht materielle Moti- ve waren, die zu Verstößen gegen die Transplantationsrichtlinien führ- ten, betonte der Präsident der Bun- desärztekammer. „Es war nicht eine Bevorzugung von Privatpatienten oder Eurotransplant ,Non Resi- dents‘, Einzelne haben sich nicht bereichert“, sagte er. „Vielmehr gab es strukturelle Anreize aus der Krankenhausfinanzierung, aus dem
Wettbewerbsstreben der Kranken- häuser und ein vermeintliches Stre- ben nach Ruhm und Ehre.“
Zusammenhänge zwischen der Vergütung der Krankenhäuser und der Krankenhausärzte und dem festgestellten Fehlverhalten sieht Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der DKG, hingegen nicht. Gleich- wohl habe die DKG die Musterver- träge für die leitenden Ärzte dahin- gehend überarbeitet, dass Bonus- verträge keine einzelnen Transplan- tationsleistungen mehr zum Gegen- stand hätten, betonte er. Auch für eine Finanzierung der Transplanta- tionsmedizin über Jahresbudgets statt wie bisher über Fallpauschalen seien die Krankenhäuser offen.
Positiv bewertete Bundesgesund- heitsminister Daniel Bahr (FDP) den vorgelegten Bericht. Er sei eine Art „Vergan genheitsbewältigung“
und führe zu mehr Transparenz.
„Wir können heute dadurch die Be- völkerung guten Gewissens auffor- dern, sich mit dem sensiblen Thema Organspende zu beschäftigen und diese zu befürworten“, sagte er.
Zwei große Sorgen seien nun ausge- räumt: Es habe keine Manipulatio- nen aus finanziellen Gründen gege- ben, und es seien auch keine Privat - patienten bevorzugt worden. „Das wird das Vertrauen wieder stärken.“
In der Tat sollen die erfolgten nicht anlassbezogenen Kontrollen in den Lebertransplantationszen- tren, die erst seit der Novelle des Transplantationsgesetzes im ver- gangenen August möglich sind, erst der Anfang sein. Künftig sollen alle 46 Zentren mit ihren gut 140 Trans- plantationsprogrammen mindestens einmal in einem Zeitraum von 36 Monaten vor Ort geprüft werden.
Die Ergebnisse der Prüfungen sollen in der Ständigen Kommissi- on Organtrans plantation der BÄK ausgewertet werden, um sie für die Richtlinien für die Organtransplan- tation zu nutzen. „Diese Richtlinien sind nichts Statisches – vielmehr werden sie laufend dynamisch an den Stand der Wissenschaft ange- passt“, erklärte Montgomery. Durch die Prüfungen könne man noch in- tensiver Transplantationsergebnisse
diskutieren.
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Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann