Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 7|
14. Februar 2014 A 241Dem TÜV Rheinland als Prüfbehörde hätte der Betrug der Firma PIP auffallen müs-
sen, meint die AOK Bayern.
Foto: dpa
RANDNOTIZ
Michael Schmedt
Der Rheinländer gilt als munterer und vor allem kommunikativer Zeit- genosse. Ein Plausch beim Bäcker oder beim Kölsch in der Kneipe?
Kein Problem. Fährt man mit öffent- lichen Verkehrsmitteln, so sieht man allerdings die Zukunft der Kommuni- kation, die auch vor dem rheinländi- schen Nachwuchs nicht haltmacht:
den mobilen Datenaustausch.
Es herrscht Stille in der Straßen- bahn: Fast alle Köpfe schauen auf
ihre Smartphones und tippen zirkus- reif auf ihnen herum. Persönliche Kommunikation mit dem Mitfahrer?
Fehlanzeige. Vor gesundheitlichen Folgen wird schon gewarnt: Der Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte befürchtet „eine zuneh- mende Zahl von Menschen mit Kopf- und Nackenschmerzen“. Die Zahl der Handynutzer, die verunglü- cken, weil sie beim Gehen nicht nach vorn schauen, hat sich laut ei- ner Studie der Ohio State University seit 2005 versechsfacht, und der SMS-Daumen ist zwar noch kein anerkanntes, aber bereits beschrie- benes Krankheitsbild.
Die Entwicklung unserer Kinder ist auch schon betroffen: Die „Frank- furter Allgemeine Zeitung“ berichtet über eine Umfrage unter 6 000 Müt- tern aus zehn Ländern mit signifi- kanten Ergebnissen: Für ein Drittel der Kinder im Alter zwischen drei und fünf Jahren liegt die Bedienung des Smartphones im Bereich des Möglichen. Schuhe binden oder schwimmen können aber nur 14 be- ziehungsweise 13 Prozent der Kin- der. Ist die Zukunft der „digital na - tives“ in Gefahr? Müssen wir eine Generation fürchten, die einsam mit Arthrose in Daumen und Nacken lebt? Wie immer macht es die Men- ge, und ich ertappe mich dabei, wie ich bei diesem Gedanken meine Spiegel-online-App öffne . . .
Vorsicht, Smartphone!
Im Europäischen Parlament in Straßburg hat ein Bündnis aus Pa- tientenvertretern, Entscheidungsträ- gern des Gesundheitswesens und der Initiative „Mitglieder des Euro- päischen Parlaments gegen Krebs“
den Europäischen Rechtekatalog für Krebspatienten („The European Cancer Patient’s Bill of Rights“) verabschiedet. Innerhalb Europas gibt es den Experten zufolge im Zu- gang zu optimalen Krebstherapien signifikante Unterschiede bei der Häufigkeit von Krebserkrankungen und den Sterberaten zwischen den Gesundheitssystemen. Der Rechte- katalog soll diesen Unterschieden entgegenwirken. Er basiert auf drei patientenzentrierten Prinzipien:
Artikel 1: Jeder europäische Bür- ger hat das Recht darauf, fehlerfrei und sorgfältig informiert sowie pro- EUROPÄISCHE INITIATIVE
Rechtekatalog für Krebspatienten beschlossen
aktiv in seine Behandlung invol- viert zu werden.
Artikel 2: Jeder europäische Bür- ger hat das Recht auf uneinge- schränkten und frühzeitigen Zu- gang zu einer angemessenen Spezi- altherapie, die auf dem aktuellen Stand der Forschung aufbaut.
Artikel 3: Jeder europäische Bür- ger hat das Recht darauf, dass die einzelnen Gesundheitssysteme eine bezahlbare Therapie ermöglichen, die bestmögliche Behandlungser- gebnisse, Rehabilitation und Le- bensqualität sichert.
Im Jahr 2012 wurde bei 3,45 Millionen Menschen in Europa Krebs diagnostiziert. In 28 von 53 europäischen Staaten hat Krebs Herz- und Gefäßkrankheiten als Ur- sache Nummer eins für vorzeitige Todesfälle abgelöst. KBr
Vor dem Landgericht Nürnberg- Fürth hat am 3. Februar ein Prozess gegen den TÜV Rheinland begon- nen. Geklagt hat die AOK Bayern.
Die Krankenkasse verlangt 50 000 Euro für Behandlungskosten, die bei
der Explantation von Brustimplanta- ten der französischen Firma Poly Implant Prothèse (PIP) entstanden sind. Die Forderung bezieht sich auf Eingriffe bei 26 Patientinnen, für die die AOK die Kosten ganz oder teil- weise übernommen hat.
Das Unternehmen PIP hatte Im- plantate mit Industriesilikon befüllt.
Der TÜV Rheinland fungierte als MINDERWERTIGE BRUSTIMPLANTATE
AOK Bayern will Schadensersatz vom TÜV
Zertifizierer, sieht sich aber selbst als Opfer des Betrugs. Man habe seine Aufgaben verantwortungsvoll und im Rahmen der geltenden Ge- setze wahrgenommen.
Die AOK hingegen ist der Mei- nung, der TÜV habe seine Prüf- pflichten verletzt. „Der Betrug war mehr als offenkundig“, betonte der Anwalt der Krankenkasse im Vor- feld des Prozesses. Die AOK sieht sich durch ein Gerichtsurteil aus Frankreich bestätigt, in dem der TÜV zu Schadensersatzzahlungen verurteilt wurde. Das Verfahren be- findet sich derzeit in Berufung. In Deutschland hat es unterdessen Ur- teile zugunsten des TÜV gegeben.
Nach einem Bericht der „Süd- deutschen Zeitung“ hat die Richte- rin beim Prozessauftakt in Nürn- berg bereits angedeutet, dass sie die Erfolgsaussichten der Klage als ge- ring einstuft. Viele der bisher vor- gebrachten Vorwürfe seien unge- nau. Der TÜV sei keine Marktüber- wachungsbehörde, sagte die Rich- terin. Die AOK überschätze offen- bar die Funktion des TÜV. BH