Lärm in Bildungsstätten
Lärm in Bildungsstätten
Dr.GerhartTiesler Dr.MarkusOberdörster
Inhalt
3 0 Vorbemerkung4 1 LärmalsBelastungsfaktorfürLehrenundLernen 6 2 WokommtLärminderSchuleeigentlichher?
8 3 Unterrichtgesternundheute–SchullärmimSpiegelpädagogischerTrends 10 4 DiephysikalischenBesonderheitenvon›Lärm‹inderSchule
12 5 Einekinder- undlernfreundliche›HörumweltSchule‹
14 6 KurzeNachhallzeitenfürausgezeichneteSprachverständlichkeit–diewichtigsten raumakustischenParameterimKlassenzimmer
16 7 ›AkustischeErgonomiederSchule‹–DasZusammenspielvonraumakustischen Faktoren,pädagogischemKonzeptundLehrergesundheit
20 8 Maßnahmenzurakustisch-ergonomischenKlassenraumgestaltung 23 9 KonsequenzenundAusblick
24 10 WeiterführendeLiteratur
0 Vorbemerkung
»Gemeinsamhandeln,jederinseinerVerantwortung«–dieserGrund≤ satzvonINQAhatsichinderPraxisbewährt.UnterdemDachder InitiativehabensichmitdenThematischenInitiativkreisen(TIK)spezi≤
alisierteArbeitsgruppengebildet.DieTIKerarbeitenzielführende AktivitätenzueinzelnenSchwerpunktthemenundsetzensieinEigen≤ regieum.DasgewonneneWissendientdemTransferindiebetrieb≤
lichePraxis.ObalsUnternehmer,ArbeitnehmervertreteroderGesund≤ heitsexperte–jederINQA-InitiativkreisistoffenfürMenschen,die etwasbewegenwollen.
DieseBroschüregibteineEinführungindasProblemfeldder
›akustischenErgonomieinBildungsstätten‹undstelltdenaktuellen Kenntnisstand,dieanvisiertenZieleundbereitsexistierendeAnsätze ausderPraxisvor.EinebesondereGrundlagefürdieArbeitdesTIK bildendabeidieForschungs≤
berichte›BelastungundBean≤ spruchungvonLehrerinnenund Lehrern‹(Fb989),›Lärmin Bildungsstätten–Ursachenund Minderung‹(Fb1030)und
›AkustischeErgonomieder Schule‹(Fb1071)ausder SchriftenreihederBundesanstalt fürArbeitsschutzundArbeits≤ medizin.
DievorliegendeBroschürebeschreibtdieakustisch-ergonomischenRahmen- bedingungenvonBildungsstättenvorallemamBeispieldesSchulunterrichts.
DennochlassensichdievorgestelltenZusammenhängenaufvieleandereBil- dungseinrichtungenübertragen:
– Kindergärten – Schulen – Hochschulen
– RäumederErwachsenenbildung – undvielemehr!
Was sind Bildungsstätten?
1 Lärm als Belastungsfaktor für Lehren und Lernen
AnscheinendsindSchulenindenletztenJahrzehnten immermehrzulautenGebäudengeworden.Jedenfalls nehmenKlagenüber›Schullärm‹seiteinigerZeitverstärkt zu.DieseBeschwerdenübereineauffallendstarkeGe≤ räuschbelastungdesUnterrichtssindinzwischenauch wissenschaftlichuntersucht.Gleichmehrereaktuelle StudienvorallemdurchdasInstitutfürInterdisziplinäre SchulforschungderUniversitätBremen(ISF)beleuchte≤ tenindenvergangenenJahrendiemöglichenUrsachen undFolgendieses›Schullärms‹.
Soergabbereits1999eineBefragung1 vonüber1200 LehrerinnenundLehrernzuBelastungsfaktorenanihrem
1 Schönwälder, H.-G.; Berndt, J.; Ströver, F.; Tiesler, G.: Be ≤ lastung und Beanspruchung vonLehrerinnenundLehrern.
Schriftenreihe der BAuA Fb 989, Dortmund, 2003 2Schönwälder,H.-G.;Berndt,
J.; Ströver, F.; Tiesler, G.:
Lärm in Bildungsstätten – Ursachen und Minderung.
SchriftenreihederBAuA Fb 1030, Dortmund, 2004
ArbeitsplatzeinsehrdeutlichesBild.AufdieFragenach dem›Lärm,denSchülerinnenundSchülermachen‹gaben mehrals80%derBefragtenan,dassdieserLärmsie belastet.Grundgenug,diesemPhänomengenauer nachzugehen.SowurdevonderBAuAimJahre2000ein ForschungsprojektzumThema›LärminBildungsstätten‹
inAuftraggegeben.2BeobachtungenindiesemProjekt zeigtenmiteinemdurchschnittlichgemessenenSchall≤
pegelimUnterrichtvonca.65dB(A)(Median)dennauch durchausWerte,beidenenKommunikationsprozesse deutlicherschwertsind,invielenFällengarunmöglich.
AndererseitslagendiegemessenenPegel–zumindest imRegelschulbetrieb–keineswegsineinerGrößenord≤
nung,beidereszudauerhaftenHörschädenkommen kann(>80dB(A)).
ZudembestehendiegemessenenSchalldruckpegelim Klassenraumselbstverständlichnichtausschließlichaus
›Lärm‹,dabeispielsweisedieLehrerstimmeunddie gewollteSchülerstimmemitindieMessungeinfließen.
DasGesamtgeräuschinderSchuleentstehtalsoim Unterricht,nebendemUnterrichtunddurchdenUnter≤
richt!(Dennoch:SelbstwenndiesePegelausschließlich durchdenLehrerentstandenseinsollten,würdedies zumindestbedeuten,dassdieserdieganzeZeithindurch mitdeutlicherhöhterSprechanstrengunghättereden müssen).
IndiesemZusammenhangwurdeinderjüngsten ArbeitamISF3derSchulunterricht–ähnlicheinemindus≤
triellenArbeitsplatz–alsArbeitsprozessanalysiert.Im ZusammenhangmitderkonkretenpädagogischenVor≤ gehensweisederLehrkraftstandeninderUntersuchung vorallemdieergonomischenRahmenbedingungen,unter denenderUnterrichtstattfindet,imMittelpunktdes Interesses.DieFragenacheiner›AkustischenErgonomie derSchule‹,verknüpftmitdenaktuellenpädagogischen Trends,magaufdenerstenBlicküberraschenderschei≤
nen.DochsielieferterstaunlicheEinblickeindasPhäno≤ men›Schullärm‹,seineUrsachenundWirkungenunddie relevantenraumakustischenParameterwieNachhallzeit undSprachverständlichkeit.Heuteistklar:derpädago≤ gischeProzesswirdmaßgeblichdurchdieArbeitsbedin≤ gungengeprägt–sowohlpositivalsauchnegativ.
Dasistkaumverwunderlich.KeinSchulplanerkäme aufdieIdeeeinenUnterrichtsraumfür30°CBetriebs≤ temperaturundohneTageslichtoderFrischluftzufuhr auszulegen.SoisteseinwesentlichesZieldervorliegen≤ denBroschüre,diesesBewusstseinauchaufdieakusti≤ schenArbeitsbedingungenvonLehrenundSchülern auszudehnen.
DieFragenachdem›Schullärm‹istimKontextUnterrichtdurchauskomplex.
WiewirktsichderallgemeineGeräuschpegelimUnterrichtbeispielsweiseauf diedortstattfindendenKommunikationsprozesseaus?WielassensichStör≤
schallundNutzschallbeieinerwissenschaftlichenAnalysedesUnterrichts unterscheiden?WelcheFolgenhabenSchallpegelundeineschlechtverständ≤
licheKommunikationfürLeistungsvermögenderSchülerinnenundSchüler bzw.fürdieArbeitsbelastungderLehrerinnenundLehrer?
Undnichtzuletzt:WasmeinenLehrerinnenundLehrereigentlich,wennsie überLärmimKlassenraumklagen–beziehensiesichtatsächlichaufdiemess≤
barenSchallpegelodereheraufdieempfundeneStörungdesUnterrichts?
Was ist Schullärm?
»Mich belastet der Lärm, den Schülerinnen und Schüler machen.«
istzu vernach
lässigen Antworten
(%)
50
40
30
20
10
0
stimmt ehernicht
trifft etwaszu
trifft vollzu
3 Oberdörster, M.; Tiesler, G.:
Akustische Ergonomie der Schule.Schriftenreiheder BAuAFb1071,Dortmund, 2006
2 Wo kommt ›Lärm in der Schule‹
eigentlich her?
Überallda,woMenschensind,verursachensieGeräusche –dasistinSchulenundKindergärtennichtanders.Viele Geräuschquellen,diezumGrundgeräuschpegelin unserenKlassenzimmernbeitragen,werdendabeinicht primärdurchdenUnterrichtselbstverursacht.Undauch hiergilt:NichtjedesdieserGeräuschemöchtenwirhören, vielewerdeneinfachalsstörenderLärmempfunden.
DabeisuchensichSchallwellensehrerfolgreichihreWege durchdieLuftunddurchGebäudeteile.
AuchinderUmgebungbefindlicheFabrikenkönnen störendeLärmquellensein.
ÜberBelüftungsanlagenkannsichSchallzwischenden Räumenhinundherbewegen.Ventilations und Klimaanlagenverursachenzudemselbstofteinen störendentieffrequentenLärm.
LärmausWerk undMusikräumen,Speisesälenund anderenlautenUmgebungenwandertunteranderem durchWändeundBalkenindieKlassenzimmer.
ImKlassenzimmerselbstentstehtvielLärmdurchschabendeStuhlbeine,Quietschen,Reden,Lachen, RufenundPoltern–aberauchdurchdenUnterrichtselbst,wennetwaimKontextmodernerArbeits formen,wieoffenemGruppen oderProjektunterricht,mehrereSchülergleichzeitigimRaumreden,sich bewegen,diskutierenetc.NichtzuvergessensindletztlichdieStörungendurchdieKinderselbstwie Tuscheln,FlüsternoderKichern.
FlureundGemeinschaftsbereichesindoftsehrlaut.DerSchallbreitetsichden Flurentlangausundkannvondort,bedingtdurchoftmalsschlechtdämmende AbtrennungenundTüren,inanliegendeKlassenräumeeindringen.Dumpfeund störendeGeräuschekriechendurchdenBodenunddurchtragendeGebäude
elementeindieRäume.
VielbefahreneStraßensowienahegelegeneFlughäfenstellen fürSchulenundandereLerneinrichtungengänzlich ungeeigneteUmgebungendar.SchlechtisolierteTürenund FensterbildenfürdiesenvonaußeneindringendenLärm kaumHindernisse.
InderNähebefindlicheSpiel undSportplätzekönnen störendenLärmmitsichbringen.
Leuchtstoffröhren,dienichtmiteinemelektroni
schenVorschaltgerätversehensind,könneninihrer Halterungzuvibrierenbeginnenundaufdiese WeiseGeräuscheimtieferenFrequenzbereich verursachen.
Computer,Druckerundandere Geräteverursachenstörende Hintergrundgeräusche.
LärmdurchTrittschallkommtzumBeispielbeiHolzböden sehrhäufigvor.BeischlechtisoliertenTragekonstruktionen kannderSchallzudemleichtindarunterliegendeRäume vordringen.
3 Unterricht gestern und heute – Schullärm im Spiegel pädagogischer Trends
Esistnichtzuübersehen:DasBildungssysteminDeutschlandistin Bewegungwieschonlangenichtmehr.UnddasnichterstseitTIMSS oderPISA.InzahlreichenBundesländernstehenBildungsreformenan oderwerdenbereitsdurchgeführt.NebenderäußerenSchulorganisa≤
tionhabensichindenvergangenenJahrenvorallemdieArbeits≤ weisenimUnterrichtverändert–Wissenserwerbfindetheuteauf anderenWegen,mittelsandererArbeitsformenstatt.
InderUnterrichtspraxisfindensichheuteinderRegelMisch≤
formenausfrontalenunddifferenziertenArbeitsweisen(Stichwort:
›frontalesUnterrichtsgespräch‹).EntscheidendsindinderRegeldie persönlichePräferenzderLehrkraftunddergenerellepädagogische StileinerjeweiligenSchule.MitunteristbereitsanderKlassen≤ raumeinrichtungundderAusrichtungderArbeitsplätzezuerkennen, welcheArbeitsformendasGeschehenim
Klassenraumbestimmen.DieAbbildungen rechtsgebeneinenEindruckvonder erstaunlichenVariationsbreitevon›Unter≤
richt‹dersichmomentanindeutschen Schulenfindenlässt .3
3 Oberdörster, M.; Tiesler, G.:
Akustische Ergonomie der Schule.Schriftenreiheder BAuAFb1071,Dortmund, 2006
EinesicherberechtigteFrage,denndieKlagenderLehrerüberLärm taucheninderLiteraturumdenBeginndes20.Jahrhundertsnicht auf.DieFrageistnichtvonderHandzuweisen:›Moderne‹,›differen≤ zierte‹und›nichtlehrerzentrierte‹Arbeitsformen(z. B.Partner-, Gruppen- oderProjektarbeitsphasen),wiesievonderaktuellen Pädagogikgefordertwerden,erzeugenimVergleichzumklassischen FrontalunterrichtvölligveränderteKommunikationsszenarienim Klassenraum.DerLehrertrittalsStoffvermittler,alsDarstellervor≤ gegebenerWissensbeständezurück.DieSchülerhingegensollen verstärktselbstausprobieren,abwägen,miteinanderdiskutieren.
DermoderneUnterrichtsetztdamitaufgemeinschaftlichesLernen undlässtbewusstmehreregleichzeitigsprechendePersonenim Klassenraumzu.SelbstbeieinergutenDiskussionsdisziplin(welche vermutlichauchnichtimmervorauszusetzenist),erzeugensolche SituationenjedochnaturgemäßtendenziellhöhereGeräuschpegel, alsdasbeieinemreinenDozierendesLehrers(insbesondere,wenn diesesmiteinemhohenMaßanDisziplinimKlassenraumeinher≤
ging)üblicherweisederFallwar.
Ist Schullärm ein Problem unserer Zeit? Hat es dies früher nicht gegeben?
DieStudie›AkustischeErgonomiederSchule‹hat175Unterrichts≤
stundenuntersuchtunddiezeitlicheVerteilungderverschiedenen ArbeitsformenundderRedeanteilein›Unterrichts-Grids‹festge≤
halten.DabeikamenindenjeweiligenSchulensehrunterschied≤
lichepädagogischeKonzeptezumVorschein3 .
Akustische Ergonomie der Schule
Frontalunterricht
Lehrerrede
differenzierte Arbeitsformen
›UnterrichtsGrid‹
Schülerrede
4 Die physikalischen Besonderheiten von ›Lärm‹ in der Schule
4McKenzie,D.;Airey,S.:
Classroomacoustics.A research project. Summary report. Edinburgh: Heriot≤
Watt-University(Dept.of BuildingEngineeringand Surveying), 1999 5Klatte,M.;Meis,M.;Nocke,
C.;Schick,A.:Lernumwelt= Lärmumwelt?! Akustische Bedingungen in Schulen und ihreAuswirkungenaufdas Lernen.Grundschule2 (2004), 38 –40
WennimZusammenhangmitBildungundSchulevon
›Lärm‹dieRedeist,soistdiessowohlvonQualitätals auchvonQuantitätetwasanderesalsaneinemgewerb≤ lichenArbeitsplatz,etwainderMetallverarbeitenden IndustrieoderimBüro.WährenddasvonMaschinen ausgehendeGeräuschinallerRegelalsStörgeräusch einzuordnenist,mussderinBildungsstättenanzutref≤ fendeGeräuschpegelalsNutzsignalmiteinemstark schwankendenAnteilStörsignalbezeichnetwerden.Die UnterscheidungundBewertungistdabeiinhohemMaße abhängigvomjeweiligenUnterrichtsprozess.
SchnelleAnalysendesPhänomens,welchedieinden letztenJahrzehntenangestiegeneGeräuschkulisseinder Schuleausschließlichaufsozialeoderpädagogische Entwicklungenzurückführen,sindalsozukurzgedacht.
AuchdieakustischenRahmenbedingungenfürden UnterrichtspielenimKontextmodernerpädagogischer ArbeitsformeneineentscheidendeRolle!
ZumBeispiel:WährendeinmiterhobenerStimmevorgetragenerText miteinemSprechpegelvonetwa65dB(A)sicheralsNutzsignaleinzu≤
stufenist,würdeeinallgemeinesSchülergemurmelineinerStillarbeits≤
phasevonetwa55dB(A)inderRegelwohlalsStörsignalgewertet.Eine reineErhebungderGeräuschpegelimKlassenraumohneBerücksichti≤ gungderkonkretenUnterrichtssituationbeschreibtdasPhänomen
›Schullärm‹somitnursehrbedingt.
EinerstesentscheidendesKriteriumfüreineBeurteilungdes›Schul≤
lärms‹istdamitdasVerhältnisvonNutz- undStörsignalimKlassen≤
raumvordemHintergrundderimUnterrichtstattfindendenKommuni≤
kationsprozesse.FüreinenerwachsenenMenschensolldasNutzsignal inallerRegelumetwa10dBlauterseinalsdasStörgeräusch,damitvon einernahezufehlerfreienVerständigunggesprochenwerdenkann.Da dieStimmeeinesErwachsenenfüreinennormalenSprechpegelvon etwa50bis55dB(A)ausgelegtist,würdedieseinenStörgeräuschpegel vonunter40dB(A)fordern.Selbstinsogenannten›Stillarbeitsphasen‹
liegendieinSchulengemessenenSchallpegeljedochnurseltenunter 50dB(A),d. h.dieLehrkräftemüssenmeistmiterhobenerStimmere≤
den,wennsieihreInformationandieSchülerweitergebenwollen.Zu≤
demweistdieFachliteraturausdrücklichdaraufhin,dassdasSprach≤ verstehenvonKindernimVor- undGrundschulalterdurchStörgeräu≤
schevielstärkerbeeinträchtigtwirdalsdasErwachsener(s.Abschnitt5).
HörerimKindesalterbenötigendeshalbeinenNutzsignalpegel,der etwa15dBlauterist,alsdasumgebendeStörgeräusch(dersog.Signal≤
Rausch-Abstand›SNR‹).DiesgiltinsbesonderefürNicht-Muttersprach≤
lersowiefürdasErlerneneinerFremdsprache.
Erschwerendkommthinzu,dassdasStörgeräuschineinemKlas≤
senraumetwagleichförmigverteiltist,dieStimmederLehrkraftaber voneinerStelleausgesendetwirdund–jenachRaumgrößeundLeh≤
rerposition–biszuSchülerninderletztenReiheunterUmständen einenWegvonbiszu8mzurückzulegenhat.Beiunverändertem GrundgeräuschbedeutetdiesentwedereinedeutlicheMehrbelastung derStimmederLehrkraft,wasaufDauernichtohnegesundheitliche Folgengeschehenkann,odereinengestörtenInformationsflusszu weiterentferntenSchülernunddadurcheingeschränkteLernbedin≤
gungen.
Das Verhältnis von Nutzsignal und Störsignal
Beidenmodernen,differenziertenUnterrichtsformenkommteinwei≤ tererAspekthinzu.Befindensichbeispielsweisemehreregleichzeitig sprechendeArbeitsgruppenimRaum,wirddasSignaldereinenGruppe zumStörgeräuschfürdieanderenGruppen.EsbeginnteineKettenreak≤ tionimKlassenraum:DieParteienwerdendiesobeeinträchtigteSprach≤ verständlichkeitinihrerGruppeebenfallsdurcheineErhöhungder Sprechlautstärkekompensieren,waswiederumzueinemgesteigerten Störgeräuschpegelfürdiejeweilsanderenführt,usw.DerGeräuschpegel imKlassenraumschraubtsomitüberdieZeithinwegimmerweiternach oben,obwohldieAnzahlderkommunizierendenParteiengleichbleibt.
EinPhänomen,dasinderAkustikalsLombard-Effektbezeichnetwird.
IndiesemZusammenhangwirdauchdiebesondereBedeutungder RaumakustikfürdenmodernenUnterrichtdeutlich:sorgenbeispiels≤
weisekurzeNachhallzeitenfüreinpräzisesSprachsignal(vorallemim Konsonantenspektrum,vgl.Kap.6),könnendieeinzelnenParteienmit einemgeringerenSignal-Rausch-Abstandauskommen.DasAufschau≤
kelndesGeräuschpegelsfälltdeutlichgeringerausodertrittnicht mehrauf .5KeinEinzelfall:Bereitsinden90erJahrenwurdenin GroßbritannienderZusammenhangzwischenderraumakustischen ArbeitsumgebungunddemKommunikationsverhaltenunddamitder GeräuschentwicklungimKlassenraumdurcheineStudiederHeriot- WattUniversitybelegt.4
Lombard Effekt
5 Eine kinder- und lernfreundliche
›Hörumwelt Schule‹
MündlicherUnterrichtkannnurgelingen,wenndieKinderaufmerksamzu≤
hören.DieswiederumsetztnebenvielenanderenFaktorenvoraus,dass gesprocheneSpracheüberallimRaumklarundmüheloszuverstehenist.
LärmundHalligkeitimKlassenraumbeeinträchtigenjedochdieSprachqualität erheblich.DasVerstehenvonSpracheuntersolchschwierigenBedingungen erfordert,dassHintergrundgeräuscheausgeblendetundfehlendeInforma≤
tionenkontinuierlichergänztwerden.Erwachsenekönnendiesrelativgut meistern,Kinderjedochnicht.
Sprechen und Sprache verstehen
3 Oberdörster, M.; Tiesler, G.:
Akustische Ergonomie der Schule. Schriftenreihe der BAuAFb1071,Dortmund, 2006
5 Klatte, M.; Meis, M.; Nocke, C.;Schick,A.:Lernumwelt= Lärmumwelt?! Akustische Bedingungen in Schulen und ihre Auswirkungen auf das Lernen.Grundschule2 (2004), 38 –40
Erkenntnisse aus der Psychoakustik
5DiekindlicheSprachverarbeitungistkeineswegssogut trainiertundrobustunddahervielstöranfälligeralsdie Erwachsener.ZahlreicheStudienbelegen,dassbesonders Vor- undGrundschulkinderaufoptimaleHörbedingungen angewiesensind,umsprachlicheInformationenaufneh≤ men,behaltenundverarbeitenzukönnen.Diesgilt besondersfürKindermitHör-,Lern- und/oderAufmerk≤ samkeitsstörungensowiefürKinder,dieinihrerZweit≤ spracheunterrichtetwerden.
AberauchgeistigeProzesse,beidenenesgarnichtum dasHörenundZuhörengeht,werdendurchLärmgestört.
Plötzlicheintretende,lauteund/oderungewohnteGeräu≤
scheziehendieAufmerksamkeitautomatischaufsichund lenkenvonderaktuellenTätigkeitab.Kindersindhiervon inbesonderemMaßebetroffen.Siesindweitwenigerals ErwachseneinderLage,ihreAufmerksamkeitaufeine bestimmteSachezurichtenundirrelevanteHörreizezu ignorieren.AuchdieseProzessewerdendurchdieRaum≤
akustikbeeinflusst.InsehrhalligenRäumenwirkenHinter≤
grundgeräuschewieHusten,Blättern,KramenimRanzen, Füßescharrenetc.solautundprägnant,dasssie–wahr≤ nehmungsmäßig–indenVordergrundtreten.Dannfällt esnatürlichnochschwerer,siezuüberhören.
DarüberhinausistausderGedächtnisforschungbe≤
kannt,dassunregelmäßigeHintergrundschalle(Sprache, Musik,bestimmteVerkehrsgeräusche)schonbeigeringen bismittlerenLautstärkenzueinerStörungdessprachli≤
chenKurzzeitgedächtnissesführen.DiebetroffenenPer≤
sonensindsichdieserStörwirkungoftgarnichtbewusst –trotzeindeutigerLeistungsverschlechterunggebensie an,dasGeräuschhabesiebeimBearbeitenderGedächt≤
nisaufgabenichtbeeinträchtigt!AuchdieseFormder LeistungsstörungdurchLärmbetrifftKinderwesentlich stärkeralsErwachsene.IndiesbezüglichenStudien zeigtenGrundschulkinderLeistungsverschlechterungen umbiszu25Prozent,wenndieGedächtnisaufgabevon Hintergrundgeräuschenbegleitetwar.DieseErkenntnisist fürdasThema›LärminSchulen‹besonderswichtig,da
dassprachlicheKurzzeitgedächtnisbeimLaut- undSchriftsprach≤
erwerbeineherausragendeRollespielt.Deshalbmussvermutet werden,dassdasSprechen-,Lesen- undSchreibenlernendurcheine zu›lärmige‹Umgebungbeeinträchtigtwird.BeiAufgaben,diedas sprachlicheKurzzeitgedächtnisbeanspruchen,solltebesondersauf eineruhigeLernumgebunggeachtetwerden.Hierzugehöreninsbe≤ sondereLese- undRechtschreibübungenimAnfangsunterricht,das KopfrechnenunddasLernenvonVokabeln.
DieseBefundezeigen,dasssowohleineoptimaleRaumakustikals auchunterrichtsgestalterischeMaßnahmennotwendigsind,umeine kinder- undlernfreundliche›HörumweltSchule‹zuerreichen.
GeradedieArbeitsformendes›modernenUnter≤ richts‹,wiez.B.ArbeiteninkleinenGruppen,ist inderRegelmitlebhafterKommunikationver≤ bunden.EinehalligeKlassenraumakustiksetzt dabeieinenKreislaufinGang:ObwohldieZahl dersprechendenPersonengleichbleibt,steigt derGeräuschpegelimKlassenraumimmerweiter an.EineVerbesserungderRaumakustikführt deshalbgeradewährenddieserArbeitsformenzu einemnichtseltendeutlichleiserenUnterricht3.
Bessere Raumakustik für leiseren Unterricht
derallgemeine Geräuschpegel steigt
Halligkeit reduziert Sprachverständlichkeit
Sprachverständlichkeitwird weiter reduziert (S/N) schlechtereSprachverständlichkeit
führt zu lauterem Sprechen
6 Kurze Nachhallzeiten für ausgezeichnete Sprachverständlichkeit –
die wichtigsten raumakustischen Parameter im Klassenzimmer
4McKenzie,D.;Airey,S.:
Classroomacoustics.A research project. Summary report. Edinburgh: Heriot≤
Watt-University(Dept.of BuildingEngineeringand Surveying), 1999 6Pekkarinnen,E.;Viljanen,V.:
Acousticconditionsfor speech communication in classrooms. Scand. Audiol.
20(1991),257 – 263 7 DIN 18041: Hörsamkeit in
kleinen bis mittelgroßen Räumen.Berlin:Beuth Verlag,2004
BetrachtetmandieEignungvonKlassenräumenfürdas, wasinihnenvonstattengehensoll,ausraumakustischer Sicht,stehendemAkustikerfürdieBeschreibungjener HörsamkeiteineganzePalettevonKenngrößenzurVer≤
fügung.
DabeiwirddieHalligkeitdesRaumesimAllgemeinen alsdessenwohlauffälligsteakustischeEigenschaftbe≤
wertet.DasentsprechendeKriteriumNachhallzeit(Rever berationTime,RT)bezeichnetkonkretdieZeitspanne,in derderSchalldruckpegeleinesTesttonesimRaumnach demAbschaltenum60dBabgesunkenist.Undauchin einemKlassenraumistvorallemdieFragezubeantwor≤ ten,wieschnelleralleinaufgrundseinerphysikalischen EigenschafteninderLageist,Schallabzubauen.Dabei bewirkteinekurzeNachhallzeitinderPraxiszweierlei:
ZumeinenträgtsiedurchdieschnelleAbsorptionder SchallenergieimRaumzueinemgeringerenSchallpegel bei,zumanderenerhöhtsiedurchdasklarereSprach≤ signaldiesogenannteSprachverständlichkeitbzw.Hör≤ samkeitimRaum.(FürdieBedeutungderSprachver≤ ständlichkeitfürdieInformationsaufnahmedurchdie Hörenden,insbesonderedurchKindervgl.Kap.5).
AlszeitgemäßesobjektivesVerfahrenzurdirektenmess≤
technischenBestimmungderSprachverständlichkeitdient dieErmittlungdessogenanntenSpeechTransmissionIndex (STI)–miteinerSkalavon0(unbefriedigend)bis1(sehr gut)–unddesArticulationLossofConsonants(Alcons)mit einerAngabein%.DasletztgenannteVerfahrenist deshalbvonInteresse,weilsprachwissenschaftlichdie KonsonantenfürdasinhaltlicheVerstehenvonbesonde≤ rerBedeutungsind.InsbesondereExplosiv- undFrikativ≤
laute(p,t,k,f,ß,z,sch)fungieren,schonalleindurchihre zahlenmäßigeVielfalt,überproportionalhäufigalsbedeu≤
tungstragendeElementeeinerSilbebzw.einesMorphems.
Die Abhängigkeit der Sprachverständlichkeit von der Nachhallzeit
DiebeidenKenngrößenNachhallzeitundSprachverständ≤ lichkeitsinddabeiinhohemMaßevoneinanderabhängig:
IstdieNachhallzeitzulang,bedeutetdasfürdasSprach≤
signal,dassnachfolgendeSilbendurchdenzulangenAb≤
klingvorgangdervorhergehendenverdecktwerden.Mit zunehmendemNachhallsinktalsobeigleichbleibendem StörgeräuschpegeldieSprachverständlichkeit(vgl.Tab.).
Silbenverständlichkeitin%inAbhängigkeit von der Nachhallzeit und dem SignalRausch
AbstandnachFinitzoHeiberundTillman
IndiesemZusammenhangstelltenfinnischeForscher6 bereitsAnfangder90erJahrefest,dassnurKlassenräume mitNachhallzeitenvondeutlichunter0,6seinedurch≤
gängig›sehrgute‹(STI>0,75)Sprachverständlichkeit erreichen.WissenschaftlerderHeriot-Watt-Universityin Edinburghforderten1999alsErgebnisderbisdatowelt≤ weitgrößtenStudie zurSchulakustik4Nachhallzeitenin Klassenräumenvonunter0,5s.AuchdieNeufassungder DIN18041›Hörsamkeitinkleinenbismittelgroßen Räumen‹(2004)7 legtfürKlassenräumeNachhallzeiten vonumdie0,5sfestundgehtdabeiaufwichtigepädago≤ gischeProblemstellungen,etwadenFremdsprachen≤ unterricht,SchülernichtdeutscherMutterspracheoder SchülermitAufmerksamkeits- undKonzentrationsstörun≤ genexplizitein.
AkustischenthaltendiegenanntenZisch- undExplosivlauteinihremSpek≤
trumvorwiegendhochfrequenteSignalanteile(1kHz–8kHz).DieGrund≤
töneundVokale,diederStimmeihreLautstärkegeben,sindhingegen vorwiegendniederfrequent(125Hz–250Hzbzw.250Hz–1kHz).Während letzterefürdenKlangderStimmesorgen,bestimmendieKonsonanten
ihreArtikulation.DieunterschiedlicheWichtigkeitfürdieSprachverständ≤
lichkeitlässtsichdurchFlüsterngutdemonstrieren.Dennobwohldem SprachsignalbeimFlüsterndieVibrationderStimmbänderfehlt,esalso ausschließlichausHauch,Zisch- undExplosivlautenbesteht,istderInhalt gutverständlich,soferndasSignalnurausreichendlautimVerhältnis zumStörgeräuschist.AllerdingsenthaltenauchvieleStörgeräuschestarke hochfrequenteAnteile.EineentsprechendstarkeBedämpfungderhochfre≤
quentenStörgeräuschanteileistdielogischeraumakustischeKonsequenz.
Sprachsignale
RT 0s
Normal hörende SNR
indB(A)
Schwer hörende
Normal hörende
Schwer hörende
Normal hörende
94,5 83,0 92,5 74,0 76,5 45,0
>45
89,2 70,0 82,8 60,2 68,8 41,2
12
79,7 59,5 71,3 47,7 54,2 27,0
6
60,2 39,0 47,7 27,8 29,7 11,2
0
Schwer hörende
RT 0,4 s RT 1,2 s
7 ›Akustische Ergonomie der Schule‹ –
Das Zusammenspiel von raumakustischen Faktoren, pädagogischen Trends und
Lehrergesundheit
UmdiebesondereBedeutungderRaumakustikfürden modernenUnterrichtgenauerzubeleuchten,entstand 2005diebislangjüngsteStudiedesISFderUniversität Bremenzur›AkustischenErgonomiederSchule‹3:Aufder Basisvon175UnterrichtsstundeninverschiedenenGrund≤
schulenwurdenineinemerstenSchrittdieAuswirkungen derverschiedenenArbeitsformen(Frontalunterrichtvs.
differenzierterUnterricht)aufGrund- undArbeitsgeräusch≤
pegelimKlassenraumerforscht.IneinemzweitenSchritt
3 Oberdörster, M.; Tiesler, G.:
Akustische Ergonomie der Schule.Schriftenreiheder BAuAFb1071,Dortmund, 2006
wurdeuntersucht,wiesicheineveränderteRaumakustik aufdiesePegelimKontextderjeweiligenArbeitsform auswirkt.DurcheineerweiterteDatensatzbeschreibung waresdabeierstmalsmöglich,nichtnurStundenmittel≤
werteauszuwerten,sonderndirektinUnterrichtsphasen, dievonbestimmtenpädagogischenMerkmalendominiert werden,hineinzusehen.
AufdieserBasiswurdeschließlichimdrittenSchritt derFragenachgegangen,welcheAuswirkungenderim Schulunterrichtentstehende›Lärm‹alsnatürliches ArbeitsgeräuschaufdieunterrichtendenLehrerinnenund Lehrerhat.WiegroßistderEinflussakustischerBedin≤
gungenaufdiemessbarephysiologischeBeanspruchung derLehrerinnenundLehrerinAbhängigkeitvomkonkre≤
tenUnterrichtsgeschehen?
Einederartige›ergonomische‹Fragestellung,verknüpft mitdenaktuellenpädagogischenTrends,magaufden erstenBlicküberraschenderscheinen.Dochsielieferte erstaunlicheEinblickeindasPhänomen›Schullärm‹, seineUrsachenundWirkungenunddierelevantenraum≤
akustischenParameterNachhallzeitundSprachverständ≤ lichkeit.
InKlassenräumenmitakustischgutenBedingungen
›Leise‹ Unterrichtsabschnitte insgesamt
Nachhallzeit
>0,5sec.
Zeitanteil (%)
80
70
60
50
40
30
20
10
0
Nachhallzeit
<0,5sec.
›Leise‹ Unterrichtsabschnitte differenzierter Unterricht
Nachhallzeit
>0,5sec.
Zeitanteil (%)
80
70
60
50
40
30
20
10
0
Nachhallzeit
<0,5sec.
lagderzeitlicheAnteil›leiser‹Unterrichtseinheitenbei über80%(beivergleichbaremUnterricht),unterakusti≤ scheschlechterenBedingungenbeica.67%(jeweilsbe≤ zogenaufdenmittlerenSprechpegeleinesErwachsenen (ca.62dB(A))alsNormalfalldesUnterrichtsgespräches).
NochdeutlicherwardieVeränderung,wenndieKlassemit differenziertenUnterrichtsformengearbeitethat:Hier verdoppeltesichderAnteilderleisenAbschnitte!
EindeutlicherHinweisaufdenausbleibendenLom≤ bard-EffektbeiPartner-,Gruppen- oderProjektarbeit.Die Pegeldifferenzzwischendenakustischegutenundden akustischschlechtenRäumenbetrugwährenddieser Arbeitsformenüber13dB!
1 2 3 4 5 Lp[dB (A)] 70
65
60
55
50
45
40
35
30
Unterrichtsstunden
Unterrichtsabschnitte mit geringer Arbeitsbeanspruchung
Nachhallzeit
>0,5sec.
Zeitanteil (%)
100
90
80
70
60
50
Nachhallzeit
<0,5sec.
nenwurdeeinweitererwichtigerAspektsichtbar.Derüb≤
licheAnstiegdesGrundgeräuschpegelsüberdenSchultag hinweg(rot)bliebindenKlassenräumenmitkurzen Nachhallzeiten(<0,5s)aus(blau).DashatenormeAus≤ wirkungenaufdenUnterrichtsprozessundlieferteinen erstenHinweisauchaufdiephysiologischeDimension derakustischenArbeitsumgebung.
TatsächlichverringertsichdurchdiepositivenEffekte akustischguterRäumeauchdieArbeitsbelastungder Lehrerin.NacheinerakustischenSanierungfandenz. B.
beieinundderselbenLehrerindeutlichmehrUnterrichts≤
anteileuntereinervergleichsweisegeringenArbeitsbean≤
spruchungenstatt.DabeidientdieHerzfrequenzals objektiverIndikatorfürdiepsychophysischeArbeitsbean≤
spruchung;hierbezogenaufdiedurchschnittlicheHerz≤
frequenzderTestpersonvon90SchlägenproMinute.
WeitereUntersuchungenbelegtenzudemeinegeringere EmpfindlichkeitderLehrerinaufdenStressor›Lärm‹,und damiteindeutlichentspannteresArbeiten.Dieakustische GestaltungvonKlassenräumenhatdemnachzweifelsfrei eineergonomischeDimension.
ImKlassenraumeiner2.KlassewurdeeineNachhallzeitvonRT=0,8sgemessen.Mit einemSprachverständlichkeitsindexSTI=0,7fandderUnterrichtdamitzwarnicht unter›sehrguten‹,aberauchnichtunterkatastrophalenakustischenBedingungen statt.DurcheineraumakustischeIntervention(Decken- undWandverkleidung)wurde dieNachhallzeitaufetwa0,4sdeutlichgesenktunddieSprachverständlichkeitstark verbessert(STI=0,85).DieAuswirkungendieserInterventionaufdenGeräuschpegel imUnterrichtwarenüberraschend–zumaldieSchuledurcheinpädagogischesAnti≤
Lärm-KonzeptunddurchkonsequentesEinübenleiserArbeitsformenbereitsvordem
›Umbau‹eineausgesprochenleiseunddisziplinierteSchulewar.Insgesamtlagder Grundgeräuschpegelschlagartigumca.8dBniedrigeralsvorderIntervention!Allein durchdiephysikalischeAbsorptionderSchallenergievonca.3–4dBistdiesePegel≤
reduzierungjedochnichterklärbar.VielmehrhabendieSchülerinnenundSchüler– obwohlohnehinungewöhnlichleiseunddiszipliniert–inihremVerhaltenunmittelbar aufdieveränderteLernumgebungreagiert,waszueinerweiterendeutlichenPegel≤
minderungumdurchschnittlich4–5dBführte.
Raumakustische Interventionen
DasGeschehenimKlassenraumhatsichinden vergangenen Jahren grundlegend gewandelt.
›Moderne‹,›differenzierte‹und›nichtlehrer
zentrierte‹ Arbeitsformen (z. B. Partner, Gruppen
oderProjektarbeitsphasen),erzeugendabeiim Vergleich zum klassischen Frontalunterricht völligveränderteKommunikationsszenarien:
Der Lehrer tritt als Stoffvermittler, als Darsteller vorgegebenerWissensbeständezurück.Die Schüler hingegen müssen verstärkt selbst aus
probieren,abwägen,miteinanderdiskutieren, sollen sich Wissen und die Fähigkeit Probleme zulösenselberaneignen.DermoderneUnter
richt setzt damit auf gemeinschaftliches Lernen undlässtbewusstmehreregleichzeitigspre
chende Personen im Klassenraum zu.
8 Maßnahmen zur akustisch-ergonomischen Klassenraumgestaltung
2 Schönwälder, H.-G.; Berndt, J.;
Ströver,F.;Tiesler,G.:Lärmin Bildungsstätten–Ursachen und Minderung. Schriftenreihe der BAuA Fb 1030, Dortmund, 2004
7 DIN 18041: Hörsamkeit in kleinen bis mittelgroßen Räu≤
men.Berlin:BeuthVerlag, 2004
1. Höchstabsorbierende Ausstattung der Deckenfläche zur Verringerung der Nachhallzeit
DieaktuellenForschungsarbeitenhabengezeigt:Eineoptimierte RaumakustikverbundenmitexzellenterSprachverständlichkeitführt zudeutlichverringertenSchallpegelnsowieeinemruhigerenSchüler≤
verhaltengeradebeioffenenArbeitsformen.EineVerringerungder NachhallzeitaufeinenWertunter0,5sundeinSTI>0,75sindanzu
streben.DabeisindauchgeringeUnterschiedefürdasHörerleben nichtseltenvongroßerBedeutung!
EineimVergleichzufrüherstärkereDämpfungmaganfänglich ungewohntsein,führtjedochzusignifikantenErgebnissenundwurde imProjekt›LärminBildungsstätten‹2 vondenbeteiligtenLehrerinnen undSchülernalssehrwohltuendbewertetundgutakzeptiert.
InAnlehnungandieNeufassungDIN180417sollteaufeinenaus≤
geglichenenNachhallzeitverlaufimFrequenzbereichzwischen100Hz und5kHzWertgeachtetwerden.
AlsOrientierungswertlassensichdieseVorgabeninKlassenräumen üblicherGrößeundKubaturz. B.durcheinevollflächigeDecken≤
belegungmithöchstabsorbierendenMaterialienderAbsorptions≤ klasseAgem.DINENISO11654erreichen.UnternormalenUmstän≤ denlassensichaufdieseArtdieo. g.Werteweitgehendunabhängig vonderweiterenRaumausstattungundderRaumbesetzungsicher≤
stellen.
2. Verzicht auf den klassischen Deckenreflektor
DurchdiezunehmenddezentraleKommunikationimKlassenraum unddieAbnahmedesFrontalunterrichtsverliertderklassische ReflektoranderDeckenmitteseineBedeutung.GeradeinGruppen- oderProjektarbeitsphasen,dieohnehindiehöchstenArbeitsgeräusch≤ pegelerzeugen,wirktersicheherstörendaufdieGeräuschentwick≤
lungaus.DerNutzeneinerverstärktenAnfangsreflexionvonder TafelpositionausisthingegeninKlassenräumennormalerGrößenicht vonbesondererWichtigkeitfürdieallgemeineSprachverständlichkeit:
WederdieanderStudie›LärminBildungsstätten‹2 beteiligten LehrerinnenundLehrer,nochdieSchülerinnenundSchülerbeklagten eineunzureichendeSchallversorgungetwaaufdenhinterenPlätzen.
AuchdieMesswertebelegen:KeinerderBeteiligtenerhobseine StimmelauteralsvorderSanierung.OffensichtlichwirddieSignal≤ pegelminderungdurchdieabsorbierendeDeckevondemdrastisch
gesunkenenGrundgeräuschpegelaufgefangen,sodassauchanent≤
ferntenHörerpositioneneinausreichender,zumeistsogarverbesserter Signal-Rausch-AbstandzurVerfügungsteht.
DabeistößteinereflektorfreieRaumgestaltungmitwachsender RaumgrößeanihreGrenzen.ErinnertseiindiesemZusammenhang andieAnmerkungeninderDIN18041,nachwelchervollflächige AbsorberverkleidungennurbiszueinerRaumgrößevonetwa250m3 empfehlenswertsind.BewährtistalsRichtwertaucheineRaumlänge vonbisetwa9m.InkürzerenRäumensindvollflächigabsorbierende DeckenverkleidungenaufgrundderdannausreichendenDirektschall≤
versorgungimAllgemeinenunproblematisch.
Beilängerenbzw.größerenRäumensollteunbedingteinekonkrete BerechnungdurcheinAkustik-Ingenieurbürodurchgeführtwerden!
L < 9 m V <250 m3
L > 9 m V > 250 m3
DiestarkeDämpfungeinesRaumesannureinerFlächekannvor allembeiwenigdiffusenRäumenauchunerwünschteFolgenhaben:
a) ZurVermeidunghörbarerFlatterechosistdeshalbgeradeinden üblicherweisespärlichmöbliertenKlassenräumendringendeine absorbierendeGestaltungwenigstenseinerWandfläche(z. B.durch offeneMöblierung,absorbierendePinnwändeetc.)zuempfehlen.
sichfürdenLehrer/dieLehrerinerleichtern,wennmanübereiner definiertenSprecherposition(z. B.imTafelbereich)einenkleinen Reflektoranordnet,derdemSprechereineakustischeRückmeldung überdieeigeneStimmeundLautstärkezurVerfügungstellt(ohne sichüberdieSchülerarbeitsplätzeauszudehnen;vgl.2.).Diese MaßnahmeistallerdingsnurbeiüberwiegendfrontalemUnterricht sinnvollunderfordert,dassbereitsinderPlanungsphaseeinesolche Positiondauerhaftbenanntwerdenkann.
EsistalsomitüberschaubaremAufwandmöglich,Klassenräumesozu gestalten,dasssiedenErfordernisseneinesmodernenUnterrichtsmit seinerganzenmethodischenVielfaltRechnungtragen.Dieinder neuerenLiteraturdokumentiertenEffekteimUnterrichtsgeschehen sindverblüffendundrechtfertigenerneutdenHinweis,dasseine optimaleKlassenraumakustikeinezentraleergonomischeRessource fürdenLehr undLernerfolginunserenSchulendarstellt.
9 Konsequenzen und Ausblick
EineverändertePädagogik,verbundenmiteinersteten ZunahmedifferenzierterArbeitsformenundeinerentspre≤
chendenAbnahmedesFrontalunterrichts,kannbedeuten, dassSchulgebäude,dieseitvielenJahrzehntengut›funk≤ tioniert‹haben,einerNeubewertungbedürfen.Neue UnterrichtsformenstellenebenauchandereAnforderun≤ genandieergonomischenRahmenbedingungen.
Selbstredendwäreesdabeivölligabsurdzubehaup≤
ten,LehrerinnenundLehrerhättenkeinenEinflussaufdie GeräuschentwicklunginihrenKlassenzimmern.Natürlich habensieihn–undsiemüssenihnnutzen.ImForschungs≤
berichtzurStudie›LärminBildungsstätten‹2werden dieseEinflussmöglichkeiteneingehendbehandelt.Inder UntersuchungwurdegleichzeitigdieGrößenordnung sichtbar,inderPegelminderungendurchpädagogische InterventioneneinzelnerLehrkräfteinnerhalbeinerkürze≤ renZeitzuerwartensind:ca.2dB.Gleichzeitigwaren jedochbeivergleichbarenraumakustischenBedingungen undvergleichbarerSozialstrukturderSchülerschaftver≤ gleichsweisegroßeUnterschiede(5bis6dB)imGeräusch≤
pegelzwischeneinzelnenSchulenfeststellbar.DieZusam≤ menhängewarendabeileichtidentifizierbar:Wirklichleise warennurjeneSchulen,indenendasKollegiumeinein≤ heitlichespädagogischesKonzeptverfolgte.Wennnicht nurinallenKlassenzimmernundwährenddesUnterrichts diegleichenVerhaltensregelngelten,sonderndarüber
hinausinallenBerei≤
chenderSchule,und dieKinder–egal welcherLehrkraftsie auchbegegnen–bei Nichteinhaltendieser Regelnmitderglei≤
chenReaktionzu rechnenhaben,
schlugsichdasindengemessenenGeräuschpegelnnach≤ haltignieder.DasRezeptistalsoebensoeinfachwieErfolg versprechend,bedarfallerdingseinesgemeinschaftlich handelndenundgegenseitigsolidarischenKollegiums.
DieschulorganisatorischenunddiepersönlichenBei≤
trägedereinzelnenLehrkraftsindfüreineeffizienteLärm≤
minderunginderSchuleinjedemFallunverzichtbar.Die ergonomischenBedingungenlieferndabeidennotwendi≤
genRahmenfürdiepädagogischenAktivitätenimSchul≤
alltag.BeideAspektelassensichnichtdurchdenjeweils anderenersetzenundgegeneinanderausspielen–siebe≤ dingensichgegenseitigundmüssenzusammenspielen, damitUnterricht,insbesondereimKontexteinerveränder≤ tenKommunikation,funktionierenkann.
Studie ›Lärm in Bil dungsstätten‹(2004):
Das stolze Team der
›wissenschaftlichen Mitarbeiter‹ nach erfolgreicherVermes
sung ihres Klassen
raums
2Schönwälder,H.-G.;Berndt,J.;
Ströver, F.; Tiesler, G.: Lärm in Bildungsstätten – Ursachen undMinderung.Schriftenreihe derBAuAFb1030,Dortmund, 2004
Literatur und Links
Schönwälder,H.G.;Berndt,J.;Ströver,F.;Tiesler,G.:Be≤ lastungundBeanspruchungvonLehrerinnenundLehrern.
SchriftenreihederBAuAFb989,Dortmund,2003
Schönwälder,H.G.;Berndt,J.;Ströver,F.;Tiesler,G.:
LärminBildungsstätten–UrsachenundMinderung.
SchriftenreihederBAuAFb1030,Dortmund,2004
Oberdörster,M.;Tiesler,G.:AkustischeErgonomieder Schule.SchriftenreihederBAuAFb1071,Dortmund,2006
McKenzie,D.;Airey,S.:Classroomacoustics.Aresearch project.Summaryreport.Edinburgh:Heriot-Watt-Univer≤
sity(Dept.ofBuildingEngineeringandSurveying),1999
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Pekkarinnen,E.;Viljanen,V.:Acousticconditionsfor speechcommunicationinclassrooms.Scand.Audiol.20 (1991),257–263
DIN18041:Hörsamkeitinkleinenbismittelgroßen Räumen.Berlin:BeuthVerlag,2004
www.baua.de www.inqa.de www.bzga.de
www.lernenstattlaermen.de www.schulakustik.de www.stiftungzuhoeren.de www.schuledeshoerens.de www.degaakustik.de www.ufu.de
www.keibel.de
www.schlussmitlaerm.de
LärminBildungsstätten
Autoren:
Dr.GerhartTiesler,InstitutfürInterdisziplinäreSchulforschungderUniversitätBremen Dr.MarkusOberdörster,Konzeptentwicklung,Saint-GobainEcophonGmbH
redaktionelleMitarbeit:
Dr.PeterBecker,BundesanstaltfürArbeitsschutzundArbeitsmedizin Dr.MariaKlatte,UniversitätOldenburg,InstitutfürPsychologie Dr.UlrikeBollmann,BG-InstitutArbeitundGesundheit Dr.RainulfPippig,LandesamtfürArbeitsschutz,Brandenburg
GeschäftsstelleInitiativeNeueQualitätderArbeit c/oBundesanstaltfürArbeitsschutzundArbeitsmedizin Nöldnerstraße40–42 10317Berlin
Telefon+493051548-4000 Fax+493051548-4743 inqa@baua.bund.de www.inqa.de
Herausgeber:
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Gestaltung:GUD–HelmutSchmidt,Braunschweig
Foto:MitfreundlicherGenehmigungentnommen:Ecophon(Hrsg.):MitallenSinnenlernen.
AkustischeErgonomieinBildungsstätten.Lübeck2006
FotosaufdenSeiten4,13,16:FOX-Fotoagentur–UweVölkner,Lindlar Herstellung:DruckverlagKettler,Bönen/Westfalen
Nachdruck,auchauszugsweise,nurmitvorherigerZustimmungderBAuA 2.Auflage,unveränderterNachdruck,August2010
ISBN3-88261-508-7
Fax +493051548-4743Ú E-Mail inqa@baua.bund.deÚ www.inqa.de