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Archiv "Filmgenie Fassbinder: Kreativität durch Drogen?" (10.06.1983)

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Doppelt so viele Ärzte wie 1960

[1983

_„/A8 720

74 486

davon:

Freie Praxis

Kranken- häuser

Behörden u.ä. —93/4

Berufstätige Ärzte in der Bundesrepublik Deutschland (jeweils Jahres- anfang)

1960

92 773

61% 42%

Die ärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland hat sich seit 1960 entscheidend ver- bessert. Innerhalb von 23 Jahren verdoppelte sich die Zahl der be- rufstätigen Ärzte. Auch die Be- völkerungszahl ist gewachsen, aber bei weitem nicht so schnell.

Ein Arzt besorgt heute die medi- zinische Betreuung von durch- schnittlich 415 Einwohnern; vor 23 Jahren hatte er noch 740 zu versorgen Globus Spektrum der Woche

Aufsätze • Notizen Nachwuchsprobleme

der Ärzteschaft als Körperschaften und freie Verbände weiter vertre- ten können. Wir werden damit Ar- beitslosigkeit unter Ärzten auch in besorgniserregendem Umfange nicht verhindern. Darüber sollten wir keine Illusionen aufkommen lassen. In diesem Sinne darf ich, nachdem ich mit einem Adenauer- Zitat begonnen habe, auch mit ei- nem Adenauer-Zitat enden, wel- ches auf Jahre hinaus jedes Jahr unvermindert gültig bleiben wird, weil der ständige Komparativ ein- gebaut ist: „Die Lage war noch nie so ernst wie jetzt."

(Referat beim 86. Deutschen Ärz- tetag in Kassel, 11. Mai 1983)

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe Max-Planck-Straße 2

5160 Düren 4

FEUILLETON

Wenn Rainer Werner Fassbinder hier als depressive Persönlichkeit mit einer Suchtentwicklung cha- rakterisiert wurde, dann ist die Beleuchtung entwicklungsbe- stimmender Umweltfaktoren wich- tig.

Seine familiäre Umwelt in der Kindheit ist vom Verlust des Vaters gekennzeichnet: 1951, als Fass- binder fünf Jahre alt war (Einzel- kind übrigens), trennten sich seine Eltern. Sein Vater, Arzt von Beruf, zog weg. Fassbinder blieb bei sei- ner Mutter, die angeblich kurz nach der Trennung einen jugendli- chen Freund hatte. Seine Groß- mutter und eine Frau Anita vervoll- ständigten die nun überwiegend weibliche familiäre Umwelt Fass- binders.

Der Vaterverlust stellte also für Fassbinder ein erstes wesentli- ches Trauma dar, das seine grund- legende Neigung zu depressiven Verstimmungen wie auch seine Suchtentwicklung besser verste- hen lassen. Auch wären hier die Grundlagen seiner Homosexuali- tät zu beleuchten. Das aber soll Psychoanalytikern überlassen sein.

In der Pubertät, einem weiteren wichtigen Entwicklungsabschnitt, war Fassbinder viel allein, besuch- te sehr oft Kinovorstellungen und versuchte, Freunde um sich zu versammeln, die oft aus niedrige- ren sozialen Schichten stammten als er. Es blieb aber nicht beim passiven Filmbetrachten, sondern

„Ich würde mal sagen, ich bin manisch depressiv." Fassbinder starb mit 36

Fassbinder versuchte vielmehr, di- rekte Kontakte zur Theater- und Filmwelt zu bekommen.

Mit etwa 19 Jahren bekam er schließlich Anschluß an Theater- gruppen und indirekt auch zur

„Kollektivbewegung" der 60er Jahre, die seinem Wunsch nach einer „Ersatzfamilie" in Form von Arbeits- und Wohngemeinschaf- ten entgegenkam.

Daß Fassbinder, der „romantische Anarchist" (24), dabei immer wie- der schnell „Primus inter pares"

war, entspricht wohl seiner impul- siven, exzentrischen Persönlich- keit: Ein Einzelgänger, der die Ein- samkeit fürchtet. Die Gruppe brauchte ihn, und er brauchte die

*) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf die biographischen Daten und das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks.

Filmgenie Fassbinder:

Kreativität durch Drogen?

Felix Tretter

Fortsetzung von Heft 22/1983 und Schluß

Fassbinders soziale Umwelt

74 Heft 23 vom 10. Juni 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A

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e — Fassbinder bei Dreharbeiten zu „Der Händler der vier Jahreszeiten"

Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen

Rainer Werner Fassbinder

Gruppe. Tiefere Beziehungen brachte er aber nur selten zustan- de und brach sie ebenso abrupt ab, wie er sie begonnen hatte.

Auch seine Ehe mit Ingrid Caven war nur von kurzer Dauer. Um die Besonderheiten der Welt des Films, die ihn privat und bei der Arbeit umgab, genauer kennenzu- lernen, sei hier die Lektüre der Biographen über Fassbinder emp- fohlen ... (4, 9, 11, 17, 23, 31).

Allgemeiner betrachtet ist ein Filmregisseur in seiner Arbeitsum- welt enormen Anforderungen aus- gesetzt: Der Filmproduzent fordert maximale ökonomische Effizienz bei maximaler künstlerischer Qua- lität, der Redakteur erwartet die Einhaltung der verbalen Abma- chungen auch im visuellen Be- reich, der Drehbuchautor befürch- tet die Entfremdung seiner Vorla- ge, die Regieassistenz erwartet Führung und Arbeitsanleitung, der Kameramann benötigt Direktiven, ebenso wie Tonmeister und Re- quisiteure; besondere Aufmerk- samkeit benötigen Schauspieler, in der Endphase der Filmherstel- lung gibt es oft Konflikte mit Cut- tern zu wesentlichen Fragen der Filmästhetik usw.

Somit erfordert die überaus hete- rogene Arbeitsumwelt des Filmre- gisseurs ausgeprägte multimedial- künstlerische, juristische psycho- logische, organisatorische, tech- nische und ökonomische Fähig- keiten. Dabei besteht bei jeder Filmproduktion ein erhebliches fi- nanzielles Risiko bzw. eine enor- me soziale Verantwortung. Das al- les läuft unter starkem Zeitdruck und ohne nachhaltige Erfolgser- fahrungen ab, und wirkt damit als starker psychischer Stressor.

Warum wollte dann Fassbinder Regisseur werden? Konnte er nicht bereits als „filmsüchtiger"

jugendlicher Kinobesucher aus seiner enttäuschenden Wirklich- keitserfahrung in die Welt des Fik- tionalen entfliehen, einer Welt, die vielleicht zusehends seine Erleb- niswelt bestimmte? War es dann nicht folgerichtig für ihn, der sich nicht passiv seinem Schicksal un- terwarf, als Regisseur die trauri- gen Aspekte gesellschaftlicher Realität im Film herauszuarbeiten, also von einer idealen Welt heraus die reale Welt zu kritisieren?

Fehlte ihm aber dann als Regis- seur nicht Anerkennung, die er sehnsüchtig erwartete, und die er

durch immer hektischere Produk- tionen endlich bekommen wollte, obgleich er sich selbst dabei im- mer mehr verbrauchte? Und dann immer stärkere Drogen konsu- mierte, um die Spannung zwi- schen Wunsch und Wirklichkeit zu bewältigen?

Wir sehen: Der Versuch, Fassbin- der zu verstehen, wirft eher Fra- gen auf, als daß es gegenwärtig möglich wäre, definitive Antwor- ten zu finden. Filme von und mit Fassbinder zu sehen vermittelt vermutlich mehr von ihm als die- ser Versuch einer medizinisch- psychologischen Analyse: Ursa- che und Wirkung, Phänomen und Kontext sind nicht gut zu trennen, sie isoliert zu betrachten und wie- der aufeinander zu beziehen könnte vielleicht am besten durch Filme gelingen.

Keine Abwertung des Künstlers Retrospektiven zu Personen des öffentlichen Lebens werfen immer Fragen zur psychologischen Di- mension der Verstorbenen auf.

Dabei finden sich bei Künstlern oft sehr ausgeprägte Momente von psychischem Leid. Leiden läßt schnell eine Krankheit vermuten.

Dadurch wird die „Psychogra- phie" eines Künstlers leicht zur

„Psychopathographie". Psychi- sche Krankheit oder Störung eines Künstlers wiederum scheint dann unmittelbar seine Werke ins Krankhafte, Abnorme zu rücken,

„entartete Kunst" scheint so von der Wissenschaft festgestellt zu werden. Dieser Kurzschluß kann jedenfalls in der Diskussion mit Künstlern und Kunstfreunden be- obachtet werden, wenn sie mit Er- gebnissen der Wissenschaft kon- frontiert werden, die Künstler und ihre Kunstwerke analysiert hat.

Vor allem medizinisch-psychologi- sche Betrachtungen stoßen dabei auf große Ablehnung.

Das ist ein bedauerlicher Effekt von Analysen wie der hier vorge- legten. Daß es dabei darum geht, ein Künstlerschicksal etwas ver-

76 Heft 23 vom 10. Juni 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Rainer Werner Fassbinder PERSONALIA

stehbarer zu machen und nicht abzuwerten, wird vor allem im be- sagten Personenkreis kaum zur Kenntnis genommen. Es wird viel- mehr meist ablehnend kommen- tiert, daß gerade solche Analysen das Nichtverstehen dessen, was Kunst ist, dokumentieren.

Sicherlich sind die Kunstpsycho- logie, die Psychopathologie des Ausdrucks und andere For- schungszweige noch keine reifen Wissenschaften, und selbstver- ständlich wird eine Analyse eines Künstlers und seiner Werke aus solchen Perspektiven weder die Würdigung der Gesamtperson er- möglichen noch den kulturge- schichtlichen Wert seiner Werke bestimmen lassen.

Dennoch ist es legitim, bei Perso- nen, die wie prominente Künstler im öffentlichen Interesse stehen, psychosoziale Besonderheiten zu beleuchten.

Dies geschieht hier allerdings nicht mit dem Anspruch, letzte Wahrheiten aufzuzeigen, sondern mit dem Ziel, den Dialog mit viel- leicht Andersempfindenden zu su- chen.

Fassbinder war eine bestimmt nicht beliebte, aber international renommierte Persönlichkeit der Filmkunst Deutschlands, so daß sein früher Tod von großer öffent- licher Bedeutung ist. Wenn nun Fassbinder hier hypothetisch und vorläufig als Suchtentwicklung bei einer depressiven Persönlichkeit rekonstruiert wird und ein Zusam- menhang mit seinem vorzeitigen Tod hergestellt wird, dann sollte damit nicht die gesamte Person Fassbinder und ihr Werk abgewer- tet werden. Es sollten vielmehr nur Aspekte seines Lebens beleuchtet werden, die bisher von seinen Bio- graphen zwar angesprochen, aber nicht zusammenhängend analy- siert worden sind.

Es kann hier auch nicht Ziel gewe- sen sein, eine Wertung der sicher- lich hervorragenden Filmkunst Fassbinders vorzunehmen; es

ging vielmehr darum, eine psycho- logisch orientierte, retrospektive Verlaufsstudie seiner künstleri- schen Aktivitäten anzuregen.

Vor allem sollte hier jedoch ge- zeigt werden, wie unzutreffend (und letal) die von Fassbinder ver- tretene Ideologie war, daß Drogen die künstlerische Kreativität stei- gern. Angesichts dieser fatalen Mythisierung von Drogen sind wir Ärzte aufgerufen, solchen Irrleh- ren vehement, aber wissenschaft- lich begründet entgegenzutreten.

Wir müßten uns aber auch für die spezifischen Probleme offensicht- lich besonders suchtgefährdeter Berufsgruppen, wie es Künstler zu sein scheinen, interessieren und geeignete Hilfsmöglichkeiten überlegen.

Schließlich stellt sich auch noch die Aufgabe, Filme von medizi- nisch-psychologischer Relevanz — wie beispielsweise Filme zum The- ma „Sucht" — kritisch zu diskutie- ren, wobei die Schwierigkeit be- steht, nicht zu sehr fachgebunden in der Kritik zu werden, sondern auch dem Phänomen „Film" ge- recht zu werden.

Dennoch: Es ist zu befürchten, daß Spielfilme über harte Drogen Suchtgefährdete zum Drogenkon- sum verleiten. Wir können daher froh sein, daß uns der potentielle Kultfilm „Kokain" makabererwei- se durch den Tod Fassbinders er- spart geblieben ist. Die Romanvor- lage erscheint schon bedenklich (21). Es bleibt dann nur zu hoffen, daß nicht andere dieses langge- plante Filmprojekt Fassbinders verwirklichen. Vor allem nicht in der Form, in der immer wie- der „informative" Berichte zur

„Schickeria-Droge Kokain" er- scheinen ... (6).

Anschrift des Verfassers:

Dr. Dr. med. Felix Tretter Bezirkskrankenhaus 8013 Haar

Ehrengabe der KBV für Hans Katzbach

Vor der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung, die am 9. Mai in Kassel tag- te, hat der KBV-Vorsitzende Dr.

Hans Wolf Muschallik mit großer Herzlichkeit Hans Katzbach be- grüßt, der 22 Jahre lang als Vorsit- zender des Verbandes der Ange- stellten-Krankenkassen richtung- weisend für die allgemeine Ent- wicklung der vertraglichen Bezie- hungen zwischen der Ärzteschaft und den Trägern der Krankenver- sicherung tätig war. Vor der Über- reichung der Ehrengabe der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung an Katzbach würdigte Muschallik dessen große Verdienste:

Hans Katzbach hat zu seiner Zeit die gesellschaftspolitische Her- ausforderung, den Kampf gegen die allgemeinen Nivellierungsbe- strebungen an vielen Fronten an- genommen. Er hat sich stets mit allen Kräften dafür eingesetzt, menschlichen Freiraum für Initiati- ven und Selbstverantwortung zu verteidigen. Dabei hat er einem all- umfassenden Staatspatriarchat, das den Bürger entmündigt, den Willen zur demokratischen Frei- heit und verantwortlichen Selbst- bestimmung entgegengesetzt.

Mit Genugtuung stellte Muschallik fest, daß viele der vertraglichen Regelungen und sozialpolitischen Absprachen, die in den 22 Jahren zwischen KBV und VdAK getroffen wurden, richtungweisend für die allgemeine Entwicklung der Ver- tragsbeziehungen zwischen der Ärzteschaft und den Trägern der sozialen Krankenversicherung ge- wesen sind.

Katzbach hat sich im Ersatzkas- senbereich stets für eine freiheitli- che Vertragsgestaltung einge- setzt, die sich am Wohl unserer gemeinsamen Zielgruppe orien- tierte: dem Versicherten, dem Pa- tienten. Ihm sollte eine Versor- gung geboten werden, die den

medizinisch-wissenschaftlichen Ausgabe A DEUTSCHES ARZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 23 vom 10. Juni 1983 79

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