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er Beschluss des Bundesarbeits- gerichts (BAG) vom 18. Februar 2003 zur rechtlichen Würdigung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes von Krankenhausärzten ist mehr als ein Pyrrhus-Sieg für die klagenden Kran- kenhausärzte, die permanent Überstun- den und Bereitschaftsdiensteinsätze lei- sten. Zwar bleibt zunächst der Bereit- schaftsdienst bis auf weiteres der Ruhe- zeit zugeordnet, aber die Hinweise des BAG sind unmissverständlich: Das deutsche Arbeitszeitgesetz, das seit 1. Januar 1996 auch in Krankenhäusern gilt, genügt nicht den Anforderungen der Europäischen Arbeitszeitrichtlinie 93/104 vom 23. November 1993.Im Gefolge der Interpretationen des BAG-Urteils zum ärztlichen Bereit- schaftsdienst gab es – je nach Interes- senstandpunkt – unterschiedliche Wer- tungen zum Erfurter Urteil und dessen Tragweite. Es wurde aber auch zu unge- nau differenziert im Hinblick auf die Auswirkungen auf öffentlich-rechtli- che/staatliche Arbeitgeber einerseits und private und frei-gemeinnützige Ar- beitgeber andererseits.
Das Bundesarbeitsgericht hat klar- gestellt, dass das Arbeitszeitgesetz vom 6. Juni 1994 im Hinblick auf die Rege- lungen zum Bereitschaftsdienst im Krankenhaus den Anforderungen der EU-Arbeitszeitrichtlinie vom Novem- ber 1993 nicht genügt. Eine andere eu- roparechtskonforme Auslegung des Arbeitszeitgesetzes sei nicht möglich.
Ausschlaggebend für die Abweisung der beiden Klagen und für die Be- schlüsse vom 18. Februar 2003 (Az.: 1 ABR 2/02 und 1 ABR 17/02), in denen sich Betriebsräte eines Rettungsdien- stes in Rottweil und ein Klinikarzt des Krankenhauses Hamburg-Rissen auf das so genannte SIMAP-Urteil des Eu- ropäischen Gerichtshofs (EuGH) vom
3. Oktober 2000 beriefen, waren aus- schließlich formale Gründe. Die Be- schlüsse des BAG befassen sich nämlich mit der Rechtslage von Krankenhaus- ärzten und Rettungssanitätern, die von frei-gemeinnützigen (DRK) und priva- ten Arbeitgebern (Krankenhaus) be- schäftigt sind, nicht jedoch bei staatli- chen Arbeitgebern.
Demnach gelten die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes von 1994/1996, die den Bereitschaftsdienst von Klinik- personal als Ruhezeit
werten, bis auf weiteres fort. Dies resultiert aus der Tatsache, dass die EG-Arbeitszeitrichtlinie 93/104 vom 23. Novem- ber 1993, die den Ar- beitsschutz regelt, durch privatrechtlich organi- sierte Arbeitgeber erst noch in nationales Recht umgesetzt werden muss.
Dies haben der Bundes- gesetzgeber im Hinblick auf das Arbeitzeitgesetz und die Arbeitgeber im Hinblick auf den Bun-
desangestellten-Tarifvertrag (BAT) und die Sonderregelungen 2c BAT bis- her unterlassen. Wegen dieser formal- rechtlichen Gesichtspunkte konnten die Antragsteller vor dem BAG in den Verfahren mit ihren Klagen nicht durchdringen.
Der Marburger Bund, Landesver- band Schleswig-Holstein, Bad Sege- berg, weist wegen der unterschiedlichen Interpretationen der BAG-Entschei- dung auf Folgendes hin: Anders wäre es bei Klinikärzten gewesen, die bei einem staatlichen Arbeitgeber beschäftigt be- ziehungsweise einem Arbeitgeber des öffentlichen Rechts angestellt sind. Für solche Arbeitgeber würde das Urteil
des Europäischen Gerichtshofs vom 3. Oktober 2000, das den Bereitschafts- dienst spanischer Ärzte voll als Arbeits- zeit anerkannt und gewertet hat, unmit- telbar gelten. Das EuGH-Urteil hat nicht auf nationale oder berufsspezifi- sche Besonderheiten abgestellt. Des- halb ist die EuGH-Entscheidung auch auf andere Berufsgruppen und alle Mit- gliedsstaaten der EU übertragbar, ohne dass es einer erneuten Anrufung des Europäischen Gerichtshofs bedarf.
Beim Luxemburger Ge- richt ist inzwischen eine Klage des Kieler Kran- kenhausarztes Dr. Nor- bert Jaeger anhängig, Mit einer Entscheidung in dieser Parallelsache ist nicht vor Ende des Sommers zu rechnen.
Das Bundesarbeits- gericht hat auf die Wi- dersprüche zwischen der europäischen Rechtsla- ge und dem nationalen Recht (Arbeitszeitge- setz) hingewiesen und an den Gesetzgeber ap- pelliert, die verschiedenen Vorschriften des deutschen Arbeitszeitgesetzes (zum Beispiel § 5 Abs. 3 und § 7 Abs. 2 Nr. 1) zu ändern und entsprechend den EG- Arbeitszeitrichtlinien 93/104 vom 23.
November 1993 zu fassen. Das Bundes- arbeitsgericht kann allerdings wegen fehlender Kompetenz den Gesetzgeber nicht dazu verpflichten, die einschlägi- gen Rechtsbestimmungen zu ändern.
Schließlich ist das BAG auch nicht ein
„Ersatzgesetzgeber“.
Allerdings könnte das Bundesverfas- sungsgericht hier eingreifen und beste- hende, mit dem europäischen Recht nicht in Einklang zu bringende Gesetze für nichtig erklären.Dr. rer. pol. Harald Clade P O L I T I K
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A960 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 1511. April 2003
Krankenhausärzte
Bundesarbeitsgericht: Formale Gründe waren ausschlaggebend
Europäische Arbeitszeitrichtlinie gilt für staatliche Arbeitgeber unmittelbar.
Dr. med. Hannelore Machnik:
„Das Arbeitszeitgesetz ge- nügt der EG-Richtlinie nicht.“
Foto:ÄK Schleswig-Holstein