und sexuelle Verhaltensabweichun- gen. Fraglich ist, wie psychiatrische Störungsbilder in diesem frühen Alter Gegenstand einer entsprechenden In- dikationsstellung sein können.
Eine erste gesundheitspolitische Konsequenz ist die Forderung nach einer Modernisierung der Bedarfspla- nung auf dem Gebiet der stationären Versorgung. Als künftiger Basisindi- kator des Versorgungsbedarfs wird die Einführung eines stationären Ver- sorgungsgrades vorgeschlagen: Defi- niert als prozentualer Anteil der Kin- der und Jugendlichen der Kranken- hausstatistik mit einer psychiatrischen Hauptdiagnose, die ausschließlich in fachspezifischen stationären Einrich- tungen behandelt werden. Im Länder- vergleich hatte Brandenburg mit 63 Prozent den höchsten, Bayern mit 27 Prozent den niedrigsten stationären Versorgungsgrad.
Welche Plätze, wenn nicht sol- che in fachspezifischen Einrichtun- gen, belegen denn nun die zahlreichen Minderjährigen mit psychiatrischer Hauptdiagnose? Hinweise auf die Zu- nahme tagesklinischer oder ambulan- ter Behandlungsangebote, etwa durch ambulant tätige Kinder- und Jugendli- chenpsychotherapeuten oder die Ju- gendhilfe, gehen grundsätzlich an der Fragestellung vorbei, denn es handelt sich um Fälle von vollstationärer Krankenhausbehandlung. Die Erklä- rung für diese eklatante stationäre Unterversorgung muss in einer kom- plexen Wechselwirkung gesucht wer- den: Zwischen einer – historisch be- dingten – Hemmung der Eltern, Plät- ze für ihre Kinder in Anspruch zu neh- men einerseits und einer systemati- schen Fehlplatzierung im Gesund- heitssystem andererseits. Um Kinder und Jugendliche mit psychischen Er- krankungen nicht mehr wie Stiefkin- der des Gesundheitssystems zu be- handeln, sollten – etwa auf dem Hin- tergrund des Psychotherapeutenge- setzes – neben dem monopolistischen Angebot zusätzliche ambulante und stationäre Modelleinrichtungen ge- schaffen werden.
Dr. phil. Peter Pohl Dipl.-Psych.
Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeut St.-Martin-Straße 10
82467 Garmisch-Partenkirchen
A-1046
P O L I T I K AKTUELL
Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 16, 21. April 2000
Die Biotechnologie-Richtlinie und das Schutzzertifikat für Arznei- stoffe der Europäischen Union samt seiner Auswirkungen auf die Verord- nungspraxis der Vertragsärzte standen im Mittelpunkt einer Tagung des „Fo- rum Institut für Management GmbH“
in München. Nach der Biotechnolo- gie-Richtlinie, die am 30. Juli in Kraft tritt, ist lebende Materie wie Tier oder Pflanze grundsätzlich patentierbar (siehe dazu „Genpatentierung – eine abstruse Idee?“ in diesem Heft). Da- nach ist das individuell erzeugte Tier patentierbar, nicht aber seine Nach- kommen. Dasselbe gilt für Pflanzen.
Gert Kolle, Direktor des Eu- ropäischen Patentamtes (EPA), ver- wies auf Regel 23d und Artikel 53a des Europäischen Patentübereinkom- mens, wonach Verfahren zum Klonen menschlicher Lebewesen von der Pa- tentierung ausgeschlossen sind. Dane- ben stehen Strafgesetzbuch, Embryo- nenschutz- und Gentechnikgesetz der Anwendung eines derartigen Patents in Deutschland entgegen. Es könnte auf Antrag vor dem Bundespatent- gericht für nichtig erklärt werden (Pa- tentgesetz §§ 22 und 81).
Hohe Kosten
Einzelne Bausteine des menschli- chen Körpers wie Gene und deren Einweißbausteine unterliegen hinge- gen dem Patentschutz. Ein Patent kann aber nur erteilt werden, wenn deren Struktur und Funktion charak- terisiert und die gewerbliche Nutzung angegeben werden. Diese Regelung ist für den Anmelder mit einem finan- ziellen Aufwand in Millionenhöhe verbunden und schiebt der kommerzi- ellen Entschlüsselung des menschli- chen Genoms einen Riegel vor. Seit 1980 hat das EPA 600 Patente auf
transgene Tiere und 2 000 Patente auf DNA-Se- quenzen erteilt. Der Pa- tentschutz gilt ab dem Tag der Anmeldung für 20 Jahre. In diesem Zeitraum muss der Arzneimittel- hersteller einen Wirkstoff über die klinische Prüfung bis zur arzneimittelrecht- lichen Zulassung führen, was Kosten von rund 400 Millionen DM verursacht. Refinan- zieren kann er diese nur in der Rest- nutzzeit ab der Zulassung, etwa für zehn Jahre. Um die Restnutzzeit teu- rer Innovationen zu verlängern, hat die EU 1992 das Schutzzertifikat für Arzneistoffe (1768/92 EWG) einge- führt. Dem Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof, Rüdiger Rogge, zufolge kann danach ein nicht zuge- lassener Wirkstoff einen Patentschutz bis zu 25 Jahren erlangen. Diese Re- gelung galt bislang für einzelne – aller- dings arzneimittelrechtlich zugelasse- ne – Stoffe, jedoch nicht für Stoffgrup- pen oder deren Salze oder Ester. Die- se mussten nach EU-Recht ebenfalls als Arzneimittel zugelassen sein, um in den Vorzug der zusätzlichen Fünf- Jahres-Schutz-Regelung zu kommen.
Innovation belohnen
Der Europäische Gerichtshof hat am 16. September 1999 (Rechtssache C-392-97) entschieden, dass die zu- sätzliche Fünf-Jahres-Regelung auch greift, wenn für die Salze und Ester ei- nes Arzneistoffs keine arzneimittel- rechtliche Zulassung vorliegt. Damit soll die kostenintensive Entwicklung innovativer Arzneistoffe für die Sozi- algemeinschaft belohnt werden. Frag- lich ist, ob hier nicht zugunsten der fi- nanziellen Interessen der Industrie und zum Nachteil des Arzneimittel- budgets der Ärzte entschieden wurde, denn die Veresterung eines Arznei- stoffs kann zu völlig anderen pharma- kokinetischen Eigenschaften führen.
Dies wurde auch im Grundgedanken des Arzneimittel-Schutzzertifikates (1768/92 EWG, Artikel 3b) ausdrück- lich berücksichtigt. Damit werden den Ärzten nun kostengünstigere Arznei- stoffe für weitere fünf Jahre vorent- halten. Dr. med. Otto Zierer