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Archiv "Psychotherapie älterer Menschen: Vorbehalte in den Köpfen" (29.06.2012)

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PSYCHOTHERAPIE ÄLTERER MENSCHEN

Vorbehalte in den Köpfen

Psychotherapie im höheren Lebensalter wird immer noch unterschätzt und zu wenig in Anspruch genommen.

Ein Symposium der Deutschen Psychotherapeuten- vereinigung ging den Ursachen hierfür nach.

S

igmund Freud äußerte sich zur Wirksamkeit von Psycho- therapie bei älteren Menschen sehr pessimistisch: „Bei Personen nahe an oder über 50 Jahre pflegt einer- seits die Plastizität der seelischen Vorgänge zu fehlen, auf welche die Therapie rechnet – alte Leute sind nicht mehr erziehbar –, und ande- rerseits das Material, welches durchzuarbeiten ist, die Behand- lung ins Unabsehbare verlängert.“

Inzwischen ist man eines Besseren belehrt und weiß, dass auch ältere Menschen von einer Psychothera- pie profitieren und dass man dafür nicht gleich das ganze Leben durch- arbeiten muss.

Doch Freuds Vorurteil hielt sich lange: „Erst im 21. Jahrhundert hat die Psychotherapie im Alter richtig Fuß gefasst“, erklärte Prof. Dr.

Ursula Lehr, Vorsitzende der Bun- desarbeitsgemeinschaft der Senio- ren-Organisationen e.V. In ihrem Vortrag beim Symposium der Deut- schen Psychotherapeutenvereini- gung (DPtV) „Psychotherapie in einer älter werdenden Gesellschaft“, Ende Mai in Berlin, wies die 1930 geborene Gerontologin auf die vielfältigen Belastungen hin, mit denen alte Menschen zurechtkom- men müssen: der mögliche Verlust des Partners, von Freunden oder Verwandten durch Tod, eigene Er- krankungen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen, traumatische Erlebnisse aus Kriegszeiten, die re- aktiviert werden, sowie Mobilitäts- einschränkungen.

Nach Angaben von Prof. Dr.

med. Dr. phil. Andreas Maercker, Lehrstuhl Psychopathologie und Klinische Intervention der Univer- sität Zürich, liegt die psychische Altersmorbidität bei 24 bis 40 Pro- zent. Die häufigsten Diagnosen aus

dem Bereich psychischer Erkran- kungen bei alten Menschen sind:

depressive Störungen und Schlaf- störungen mit jeweils 20 Prozent, gefolgt von Suizidalität vor allem bei Männern (zehn Prozent), soma- toforme Störungen (zehn Prozent), Angststörungen (fünf Prozent) so- wie Sucht- und Abhängigkeits - erkrankungen (drei Prozent plus Dunkelziffer). Trotz des hohen Bedarfs würden in Deutschland nur 1,5 Prozent der über 60-Jährigen psychotherapeutisch behandelt, er- klärte die Gerontologin Lehr.

„Wir wollen mit diesem Sym - posium auf die Möglichkeit der Psychotherapie bei älteren Men- schen aufmerksam machen, die noch viel zu wenig genutzt wird“, betonte der DPtV-Bundesvorsitzen- de, Dipl.-Psych. Dieter Best. Die langen Wartezeiten in der Psycho- therapie spielen bei der mangelnden Inanspruchnahme auch eine Rolle, aber die Hindernisse beginnen be- reits in den Arztpraxen: Sehe der Hausarzt psychische Symptome, beispielsweise einer Depression, als altersangemessene Reaktion an, werde er dem älteren Menschen keine Psychotherapie empfehlen, sagte Best, „dabei haben Hausärzte eine wichtige Rolle bei der Erken- nung psychischer Störungen, die sich hinter somatischen Beschwer- den verbergen können. Sie sind oft die entscheidende Anlaufstelle“.

Auf den kleinen Zusammenhang zwischen Erreichbarkeit und Inan- spruchnahme wies Maerckert mit Blick auf die „Zürcher Altersstu- die“ (Maercker et al. 2005) hin.

„Obwohl Zürich eine höhere Psy- chotherapeutendichte als Freiburg im Breisgau hat, nutzen dort nur zwei Prozent der über 65-Jährigen Psychotherapie.“ 3,7 Prozent dieser

Nur sehr wenige Männer höheren Alters begeben sich in eine Psycho - therapie.

Foto: picture alliance

Altersgruppe erhielten aber Psy- chopharmaka. In Zürich gehen äl - tere Menschen mit Somatisierungs- störungen oder depressiven Stö - rungen von sich aus zuerst zum Hausarzt, dann zum Psychiater und zuletzt zum Psychotherapeuten.

Neben der veralteten Auffas- sung einiger Ärzte von der Un - therapierbarkeit älterer Menschen, sieht die 82-jährige Lehr die Ursa- chen für die Unterversorgung auch in den Vorurteilen vieler älterer Menschen selbst gegenüber Psy- chotherapie. Die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen sei bei älteren Menschen deutlich höher als bei Jüngeren. Auf beiden Seiten mit Vorurteilen verbunden sei auch das häufige Altersgefälle zwischen dem (jungen) Therapeuten und dem (alten) Patienten.

Erhalten ältere Menschen aber beispielsweise eine spezifische De- pressionstherapie, so sind die Er - folge gut: Maercker stellte einen Cochrane-Report von 2009 heraus, wonach sowohl kognitive Verhal- tenstherapie als auch psychodyna- mische Therapie bei einer durch-

A 1360 Deutsches Ärzteblatt

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Deutsches Ärzteblatt

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29. Juni 2012 A 1361 schnittlichen Therapielänge von

zwölf Stunden „sehr gute Effekt- stärken“ aufwiesen.

Der Psychoanalytiker und Al- ternsforscher Prof. em. Dr. med.

Hartmut Radebold, Kassel, hat in der Therapie mit älteren Menschen erlebt, dass manche 60 bis 80 Stun- den brauchen, ein Großteil aber auch mit Kurzzeittherapie zurechtkommt.

„Ältere Patienten denken oft selbst, dass sie gar nicht so viel in Anspruch nehmen dürfen“, sagte der 77-Jähri- ge. Den Gründen dafür müsse man offen nachgehen. Radebold hat 1998 das Lehrinstitut für Alternspsycho- therapie in Kassel gegründet, wo die Besonderheiten einer Psychothera- pie mit alten Menschen vermittelt werden. Er rät Therapeuten, alte Menschen auf ihr Geburtsjahr anzu- sprechen, um einen Zugang zu ihrer individuellen Geschichte zu bekom- men. „Die Kriegskinder, also die Jahrgänge 1929 bis 1947, erzählen meist nicht von selbst.“

Die Therapieziele sollten nicht zu hoch angesetzt werden: Fördern von Selbstständigkeit, Verbesse- rung der sozialen Fähigkeiten, Um- gang mit Sterben und Tod, der acht- same Umgang mit dem eigenen Körper, riet der Alternsforscher.

Psychologischen Psychotherapeu- ten, die ältere Menschen behandeln, empfahl Radebold, eine gute Vernetzung zu Ärzten aufzubauen.

Die Abklärung von körperlichen Erkrankungen oder Demenz müsse immer erfolgen: „Die Kooperation mit Gerontopsychiatern halte ich für sehr wichtig.“ In eine Psycho- therapie begeben sich im höheren Alter überwiegend Frauen, sagte Radebold. „Unklar ist bisher, wie man auch die Männer besser errei- chen kann.“

„Es bedarf einer gewissen fachli- chen Qualifikation, um Ältere zu behandeln“, erklärte der stellver - tretende DPtV-Bundesvorsitzende, Dipl.-Psych. Hans Jochen Weid- haas, abschließend. In der Ausbil- dung würden die Besonderheiten kaum vermittelt. Dass der Bedarf an spezifischem Wissen groß ist, zeigte allein schon das Symposium, das bis auf den letzten Platz aus -

gebucht war.

Petra Bühring

PATIENTEN MIT CHRONISCHEN SCHMERZEN

Vier Jahre warten

Der Berufsverband der Ärzte und Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin macht auf die Unterversorgung von Schmerzpatienten aufmerksam.

B

is zum Beginn einer quali fi - zierten schmerztherapeutischen Behandlung vergehen im Bundes- durchschnitt vier Jahre. Am längs ten warten Patienten mit chronischen Schmerzen in Sachsen-Anhalt, und zwar acht Jahre. Das ist ein Ergeb- nis der Online-Umfrage unter Ärz- ten, die der Berufsverband der Ärz- te und Psychologischen Psycho - therapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V.

(BVSD) zur Versorgungssituation von Patienten mit chronischen Schmer- zen durchgeführt hat. Die Ergeb- nisse wurden jetzt im „Weißbuch Schmerzmedizin“ veröffentlicht.

„Wir haben eine ganz klare Unter- versorgung von Schmerzpatienten“, erklärte der Vorsitzende des BVSD, Prof. Dr. med. Joachim Nadstawek, Klinik für Anästhesiologie der Uni- versität Bonn, bei einer Pressekonfe- renz. „Dabei gibt es in Deutschland mehr Schmerzpatienten als Diabeti- ker.“ Die Prävalenz von Menschen mit chronischen Schmerzen schätzt der Anästhesist auf drei bis fünf Mil- lionen. Eine Studie von Breivik et al.

(2006) ergab für Deutschland sogar eine Prävalenz von 17 Prozent. In dieser Befragung geben nur zwei Prozent aller Betroffenen an, spezia- lisierte schmerztherapeutische Ver- sorgung erlebt zu haben.

Bundesweit nur 1 027 Schmerztherapeuten

Seit 2006 hat sich die Situation für Schmerzpatienten nicht verbessert.

Den Grund dafür sieht Dr. med. Bern- hard Arnold, BVSD und Abteilung für Schmerztherapie am Klinikum Dachau, in der zu geringen Anzahl an qualifizierten Schmerztherapeuten.

Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung erfüllten 2010 bun - desweit 1 027 niedergelassene Fach- ärzte die Anforderungen der Qualitäts - sicherungsvereinbarung zur schmerz -

therapeutischen Versorgung chro- nisch schmerzkranker Patienten nach

§ 135 Absatz 2 Sozialgesetzbuch V.

Ausschließlich schmerztherapeu- tisch behandeln davon 381 Ärzte.

Die meisten Schmerztherapeuten sind Anästhesisten (62 Prozent), gefolgt von Allgemeinmedizinern (zehn Prozent), Orthopäden, Neu- rologen und anderen Disziplinen.

Regional unterschiedliche Honorierung

„Wir brauchen sehr viel mehr Schmerztherapeuten“, erklärte Nads- tawek, „stellen aber fest, dass Kolle- gen die Teilnahme an der Schmerz- therapie-Vereinbarung eher wieder aufgeben.“ Beispielsweise habe es 2008 in Baden-Württemberg 148 Schmerztherapeuten gegeben; 2010 waren es nur noch 102. Der BVSD- Vorsitzende führt das unter anderem auf die „regional willkürliche“ Hono- rierung schmerztherapeutischer Leis- tungen zurück, die seit 2008 entwe- der gleich geblieben oder gesunken sei. „Warum ein Schmerztherapeut in Rheinland-Pfalz 156 Euro pro Quar- tal und Patient erhält, in Berlin dage- gen nur 93 Euro (Musterpatient im zweiten Quartal 2010 nach BVSD- Berechnung) ist mir unverständlich“, sagte Nadstawek und forderte bun- deseinheitlich angemessene Hono - rare. Ohne gezielte Nachwuchsför - derung werde sich zudem, aufgrund der Altersstruktur der Schmerzthe - rapeuten, die Unterversorgung von Schmerzpatienten weiter verschärfen.

Begrüßt hat der Berufsverband, dass die Schmerzmedizin zum Pflicht- fach im Medizinstudium wird. Der Bundesrat hatte Anfang Mai einer ent- sprechenden Änderung der ärztlichen Approbationsordnung zugestimmt.

Petra Bühring

@

Das Weißbuch Schmerzmedizin zum download unter www.bv-schmerz.de

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