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Einige Thesen zu Poppers wissenschaftstheoretischem Ansatz

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Dr. Christian Thies (Rostock), SS 2004, Theoretische Philosophie 1 (= Wissenschaftstheorie)

Einige Thesen zu Poppers wissenschaftstheoretischem Ansatz

1. Poppers „Logik der Forschung“ ist das wichtigste Werk der Wissenschaftstheorie überhaupt. Alle früheren Ansätze (auch James und Duhem) können in diesem Licht neu bewertet werden, alle späteren (Kuhn, Feyerabend, Lakatos usw.) beziehen sich mehr oder weniger kritisch auf Popper. Alle Einwände, die man gegen Popper formulieren kann, sind bei ihm schon bedacht. In einigen Aspekten hat er selbst deswegen seine Konzeption weiterentwickelt. – Hier möchte ich nur drei Punkte ansprechen, die nicht bloß für die Wissenschaftstheorie wichtig sind.

2. Poppers Kritischer Rationalismus richtet sich in erster Linie gegen empiristische Konzepte, vor allem gegen den Logischen Empirismus des Wiener Kreises (Carnap, Neurath, Schlick u.a.). Carnap sah sich daraufhin zu einigen Revisionen gezwungen, etwa der Präzisierung seiner Vorstellungen von einer induktiven Logik.

Popper bleibt mit seiner Empirismus-Kritik aber im Recht: Es gibt kein „unschuldiges Auge“, jede Beobachtung ist theoriebeladen, in jedem Begriff stecken schon theoretische Annahmen. Popper hat später dafür folgendes Bild geprägt: Die menschliche Erkenntnis gleicht nicht einem Kübel, sondern einem Scheinwerfer (in „Objektive Erkenntnis“, Hamburg 1998, 61ff., 354ff.). Deshalb werden Theorien nicht aus der Erfahrung abgeleitet (das geschieht bestenfalls im „context of discovery“). Allerdings bleibt Erfahrung die Kontrollinstanz, die Falsifikationen herbeiführen kann; die kritische Prüfung von Theorien (im

„context of justification“) erfolgt empirisch.

3. Generell ist gegen Popper einzuwenden, dass sein Bild der Wissenschaften zu

„idealistisch“ ist. Insbesondere darf man sich Falsifikationen nicht zu einfach vorstellen.

(a) Von Duhem kann man lernen, dass immer mehrere Theorien netz-artig miteinander verbunden sind (Holismus). Auch Popper spricht von einem „empirisch- wissenschaftlichen System“. Wenn eine Beobachtung negativ ausfällt, bleibt immer noch die Frage, welcher Teil des ganzen Ensembles aufgegeben werden soll.

(b) Ein einziger schwarzer Schwan widerlegt nicht die ganze „Schwäne-sind-weiß“- Theorie. Es sind immer Erklärungen möglich, wie es zu dieser negativen Beobachtung kommen kann: eine einmalige genetische Mutation, eine absonderliche Krankheit o.ä. Nicht jeder missglückte Versuch im Physikunterricht bringt die moderne Wissenschaft zum Einsturz. Offensichtlich muss über die Annahme oder Ablehnung eines falsifizierenden Basissätze noch entschieden werden.

(c) Dabei spielt eine Rolle, ob bereits eine andere Theorie zur Verfügung steht, die auftauchende „Anomalien“ und alle bisherigen Beobachtungen besser erklären kann.

Man muss die Konkurrenz verschiedener Theorien stärker berücksichtigen.

4. Popper gesteht zu, dass er Voraussetzungen macht, die er nicht begründen kann. Der Kritische Rationalismus beruhe, so folgert er mit Konsequenz, auf einer „moralische(n) Entscheidung“ („Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“, Bd. 2, 24. Kap., Tübingen 71992, S. 271 u. 281). Wenn Popper also behauptet, dass Wissenschaft nach Wahrheit suchen sollte (Wahrheit als regulative Idee), sich die Wahrheit einer Aussage aber niemals ausweisen lasse, so vermag Popper nicht zu begründen, warum Wissenschaft nach Wahrheit suchen sollte (Selbstanwendungsargument). Gemäß seinen eigenen Voraussetzungen kann Poppers Idee von Wissenschaft bloß empirisch besser bewährt sein als eine andere – das ist aber, wie von Kuhn und Feyerabend gezeigt wurde, keineswegs der Fall.

Als einzigen Ausweg aus dieser Situation sehe ich eine transzendentale Erweiterung des Kritischen Rationalismus: Wahrheit ist nicht bloß die regulative Idee wissenschaftlichen Handelns, sondern auch eine unausweichliche Voraussetzung. Zudem gehen in die Wissenschaften weitere apriorische Annahmen ein, deren Geltung man begründen kann.

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