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KONTINUITÄT IM ÜBERGANG

EIN BEITRAG ZUM PROBLEMBEREICH

„PHARAONISCHES" VS. „CHRISTLICHES" ÄGYPTEN

Von Jürgen Horn, Göttingen

0. Vorbemerkung

Die folgenden Überlegungen gehen in ihrem Kern auf Diskussionen zurück,

die in der Endphase des Göttinger Sonderforschungsbereichs 13 (Orientali¬

stik mit besonderer Berücksichtigung der Religions- und Kulturgeschichte

des Vorderen und Mittleren Orients) in dessen sog. Zentralunternehmen^

geführt wurden. Ursprünglich ging es dabei um einen Beitrag zur „Synkre-

tismus"-Problematik in Ägjrpten zwischen pharaonischer Religion und

Christentum, die allerdings mehr unter den Gesichtspunkten soziokiJturel-

1er und sozioreligiöser Prozesse als unter solchen behaupteter „Synkretis¬

men" gesehen wm-den: In den Vordergrund rückte der historische Prozeß in

der Phase des Übergangs Ägyptens von der pharaonischen Religion zum

Christentum, in dessen Verlauf sich neben Phänomenen grundlegenden

Wandels auch solche (struktureller und funkionaler) Kontinuität angeben

lassen. Der Fortgang der Diskussion bekam immer mehr die Funktion, die

Basis lür ein Forschungsprogramm zu legen, das für die Beteiligten unter

dem Schlagwort „Kontinuität im Übergang" stand und eine konsequente

und sinnvolle Fortsetzung der in der letzten Phase des SFB 13 geleisteten

Ärbeiten gewährleisten sollte. Dieses Programm gewann die Gestalt eines

Antrages an die DFG', aus dem sich die Richtung der geplanten Forschun¬

gen erheben läßt". Trotz des Scheiterns dieser größerangelegten Planungen

arbeiten nunmehr einige kleinere Projekte mit DFG-Förderung an Teil¬

aspekten dieses Programmes, die ebenso wie dieser Vortrag aus dem Dis-

' Das Thema auch als „Synkretismusforschung" abgekürzt. Zur Arbeit des SFB

13 vgl. numnehr Friedrich Junge: Ein Jahrzehnt Erforschung orientalischer Reli¬

gionen. Möglichkeiten, Leistungen und Probleme einer fachübergreifenden Zusammenar¬

beit im Spannungsfeld von Förderung und Forderungen (Abschlußbericht des Sonderfor¬

schungsbereiches 13). Göttingen 1982.

^ Zu Aufgabenstellung, Arbeit und Ergebnissen des Zentralunternehmens des

SFB 13 s. Junge: op. eil., S. 37-44.

' Antrag auf Förderung als sog. Schwerpunktprogramm unter dem Thema „Kon¬

tinuität im Übergang. Zur Konstanz religiöser Ausdrucksformen zwischen Heiden¬

tum und Christentum"; den Text des Antrages s. bei Junge: op. cit., S. 46-55.

" Aus dem Antrag ergibt sich auch die Begründung der Wahl von Ägypten als

Paradigma (Junge: a.a.O., S. 49 0 und die Vielzahl der Aspekte des Themas, deren Bearbeitung vorgesehen war (Junge: a.a.O., S. 50-55). Die von mir vorgelegten

Überlegungen stellen vorläufige oder mögliche Ergebnisse im Bhck auf einen Teil

der im Antrag genannten Aspekte dar, sind also nicht etwa als eine „Zusammenfas¬

sung" des geplanten Schwerpunktprogrammes zu interpretieren.

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54 J. Horn

kussionszusammenhang „Kontinuität im Übergang" sozusagen geboren

wurden'.

An dieser Stelle möchte ich allen Mitdiskutanten aus dem ehemaligen

SFB 13 danken; vieles von ihren Am-egungen und ihrer Kritik ist in dieses

Papier eingegangen. Doch trage ich die Verantwortung für die Endgestalt

der Gedanken alleine. Verantwortung trage ich auch für die Übernahme

von Überlegungen und Begrifflichkeiten, die Friedrich Junge im glei¬

chen Diskussionsrahmen unter dem Thema „Die Endsituation der ägypti¬

schen Religion" vorgestellt hat*. Die Jungeschen Überlegungen stellen fak¬

tisch die Voraussetzungen der hier vorgetragenen Gedanken vor. Im hier

gesteckten Rahmen köimen sie aber nicht im einzelnen dargelegt werden.

Der Leser sei um Nachsicht gebeten, falls einige der Rückgriffe auf die

Beschreibung der „Endsituation der ägyptischen Religion" zu kurz aus¬

gefallen sein sollten. Meinem Kollegen Friedrich Junge aber sei für die

freundschaftliche Bereitstellung seiner Vorarbeiten im Blick auf das

„pharaonische" Ägypten noch einmal besonders gedankt.

1. Vorüberlegungen

1.1. Die Durchsetzung des Christentums in Ägypten'

Der Zertrümmerungsprozeß, dem die tradierten Strukturen der gesell¬

schaftlichen Sphäre Ägyptens in römischer Zeit ausgesetzt sind, bedeutet

^ Projekte an den Universitäten Göttingen, Heidelberg, Köln und Marburg. Im

Göttinger Projekt arbeiten zwei Mitarbeiter unter dem Thema „Vorstudien zum Ver¬

hältnis von spätägjrptischer und koptischer Religion" (Projektleiter: Prof W.

Westendorf); einen Bericht über Ziele, Arbeitsbereiche und vorläufige Ergebnisse

dieses Projektes s. Informationen der Georg-August-Universität Göttingen, Aus¬

gabe Jan./Febr. 1983, S. 22-25 (JtJROEN Horn: Kontinuität im Übergang. Tradition und Wandel in der religiösen Vorstellungswelt Ägyptens zwischen pharaonischer und christlicher Religion).

* Friedrich Junge (unter Zusammenarbeit mit E. Henfling, J. Horn, D.

Kurth und U. Rössler-Köhler) : Die Endsituation der ägyptischen Religion. The¬

senpapier für das Zentraluntemehmen des SFB 13. Göttingen Dez. 1980 (unpubl.).

' Die folgenden Bemerkungen sind als Hinweise auf Tatbestände zu verstehen,

die flir den Durchsetzungsprozeß des Christentums in Ägypten bezeichnend sind.

Es soll nicht etwa ein „historischer Abriß" dieses Prozesses gegeben werden. Ein

solcher Abriß kann auch heute noch nicht geschrieben werden, da noch immer die

Feststellung A. v. Harnacks gilt: „Die empfindlichste Lücke in unserem Wissen

von der ältesten Kirchengeschichte ist unsere fast vollständige Unkenntnis der

Geschichte des Christentums in Alexandrien und Ägypten ... bis zum Jahre c. 180

(Episkopat des Demetrius)." (Adolf von Harnack: Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten. Vierte verb, und verm. Aufl. Leip¬

zig 1924. Bd. II, S. 706).

Zur heutigen Forschungssituation (jeweUs mit Literaturangaben) s. C. Detlef,

G. Müller: Geschichte der orientalischen Nationalkirchen. Göttingen 1981 (Die

Kirche in ihrer Geschichte. Bd. 1. Lfg. D2), S. D 320-D 323, und Martin Krause:

Das christliche Alexandrien und seine Beziehungen zum koptischen Ägypten. In: Alex-

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gleichzeitig die Zerstörung des differenzierten Netzes von Korrelationen

zwischen dogmatischem, kultischem und gesellschaftlichem Bereich der

ägyptischen Religion, das fiir die altägyptische Kultur kennzeichnend

war . Die „Welt im Chaos", die die Eingriffe der römischen Herrschaft aus

ägyptischer Sicht hervorgerufen hatten, machte die Mitglieder der ägypti¬

schen Gesellschaft empfänglich für neue religiöse Interpretationsangebote,

die von einer Vielfalt von religiösen Bewegungen gemacht wurden. Eine

besondere Bedeutung haben hier die verschiedenen (ägyptischen) gnosti¬

schen Gruppen, die großenteils sehr gut als Zerfallsprodukte des dogmati¬

schen Bereichs der ägyptischen Religion aufgefaßt werden können'. In der

Zeit des Blühens dieser Sekten ist in Ägypten auch das Christentum auf

den Plan getreten - anfangs sicher als eine Gruppe unter vielen, aber im

Laufe der ersten drei Jahrhunderte allmählich zur stärksten Gruppe wer¬

dend. Nach dem Vordringen aus dem Stützpunkt Alexandria in die ägyp¬

tische Chora'" löst es die Religion des pharaonischen Ägypten und ihre

andrien. Kulturhegegnungen dreier Jahrtausende im Schmelztiegel einer mediterranen Großstadt. Mainz 1981 (Aegyptiaca Treverensia. Trierer Studien zum griechisch- römischen Ägypten. 1.), S. 53-62, bes. S. 53 f Auf die Arbeit von Krause ist an die¬

ser Stelle auch deshalb besonders hinzuweisen, weU sie eine Reihe von Gedanken¬

gängen enthält, die in der Richtung der in diesem Beitrag angestellten Überlegun¬

gen liegen.

Einen Versuch des Überblicks über die Früiizeit des Christentums in Ägypten

trotz der schwierigen Materiallage hat Helmut Köster vorgelegt: Einführung in

das Neue Testament im Rahmen der Religionsgeschichte und Kulturgeschichte der helle¬

nistischen und römischen Zeit. Berlin-New York 1980, S. 658-676 (= § 11: Ägypten).

' Diese Betrachtung der ägyptischen Religion unter drei „Ansichten" bzw. in drei aufeinander bezogenen Bereichen nehme ich im Anschluß an F. Junge vor, s. o.

Arun. 6. Zu unterscheiden (aber nicht zu separieren) sind die folgenden Bereiche („Sinnbezirke") von ägyptischer Religion nach der Ramessidenzeit:

a) der „dogmatische" Sinnbezirk, der sich auch als kosmisch/überweltlicher Bereich bestimmen läßt (Stichwort „Götterwelt"); er ist der Gegenstandsbereich des theologischen Denkens und gleichzeitig der Glaubensinhalt für den Gläubi¬

gen.

b) der „kultische" Sinnbezirk; der dogmatische Sinnbezirk der ägyptischen Reli¬

gion, die Götterwelt, wird im Kult für den Gläubigen manifest, im Bereich der sinnlichen Wahrnehmung symbolisiert.

c) der „gesellschaftliche" Sinnbezirk; in der Alltagswelt der Ägjrpter bestätigt sich die Gültigkeit des dogmatisch/theologischen und die Richtigkeit des kultischen Sinnbezirkes.

Die drei Sinnbezirke der Religion sind untrennbar miteinander verbunden; sie

bedingen sich gegenseitig und stellen erst insgesamt d i e ägyptische Religion dar.

' Auch hier mache ich mir eine historische Äbleitung zueigen, die F. Junge (s. o.

Anm. 6) unter dem Stichwort „Die 'Explosion' des 'dogmatischen' Sinnbezirks" auf¬

gezeigt hat.

Zum Vorgang der Missionierung Ägyptens von Alexandria aus s. die o. Anm. 7

zitierte Arbeit M. Krauses, bes. S. 54-56. Krause arbeitet schön die Differenzen und Spannungen heraus, die zwischen „alexandrinischem" und „ägyptischem" Chri-

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56 J. Horn

Zerfallsprodukte bei weiten Kreisen der Bevölkerung ab, insbesondere bei

den unteren sozialen Schichten (Bauem und Handwerkern), und zwar

gerade dort, wo Zweisprachigkeit nicht verbreitet ist; Ägypter koptischer

Sprache sind sehr bald die stärkste Trägergruppe des Christentums in

Ägypten.

Die Durchsetzung des Christentums erfolgt ohne staatliche Förderang,

aber wohl auch nicht in dem Sinne subversiv, daß gegen den expliziten

Widerstand der staatlichen Autoritäten „im Untergrund" missioniert wird;

die Mission läuft eher an den Institutionen staatlich geförderter Religiosi¬

tät vorbei. Die weitgehende Christianisiemng des Landes vor Konstantin

und trotz der Verfolgungen' ' läßt daraufschließen, daß die christliche Ver¬

kündigung eine besondere Attraktion bei insbesondere der koptisch-ägyp¬

tischen Bevölkemng ausübte.

1.2 Zur Attraktivität von Religionen

Die Attraktionskraft, die das Christentum im Rahmen seiner Durchset¬

zung bei der ägyptischen Bevölkemng besaß, kann ihren Wurzeln nach auf

verschiedenen Ebenen gesucht werden - wobei diese Ebenen nicht auf das

Christentiun allein zutreffen, sondern auch auf andere, konkurrierende

Religionssysteme, nach deren Attraktionskraft ebenso gefragt werden

karm. Die Attraktivität von (christlicher) Religion in einer bestimmten

historischen Situation (wie der Ägyptens in den ersten drei nachchristli¬

chen Jahrhunderten) läßt sich suchen

a) auf der Ebene der spezifi schen Inhalte der christlichen Botschaft (im

Vergleich zu Inhalten anderer Religionssysteme)

b) auf der Ebene der bei den Ägyptern vorhandenen Prädispositionen

(= durch jahrtausendelanges kulturelles Lernen erworbene Voreinstel¬

lungen bzw. Erwartungshaltungen)

c) und, ebenfalls auf dem kulturellen Traditionshintergmnd basierend, auf

der Ebene struktureller Kompatibilitäten zwischen altem und

neuem Religionssystem

d) auf der Ebene der funktionellen Verwandtschaft von Elementen

der tradierten bzw. der neuen Religion.

Alle diese Ebenen sind für die Attraktivitätsfrage relevant; es käme

darauf an, die Frage nicht vorschnell auf ein oder zwei Ebenen zu reduzie¬

ren. Am treffendsten läßt sich der Attraktivitätsgrad einer Religion im

Wechselspiel der genannten Ebenen bestimmen' . Ich möchte folgende

Formuliemng dazu vorschlagen: Eine Religion ist daim besonders attrak-

stentum bestehen, aber auch Übernahmevorgänge in der einen oder anderen Rich¬

tung (Zusammenfassung ebd. S. 58 f).

'' Am Ende der vorkonstantinischen Zeit erschien dem Kirchenhistoriker Euse¬

bius Ägypten als das christliche Land xat' E$oxf|v; vgl. den Nachweis einschlägiger Aussagen dieses Autors bei A. v. Harnack: Mission {a.o. Anm. 7) II, S. 706 Anm. 2.

Es ist natürlich erst dann sinnvoll, nach der Attraktivität einer (neuen) Reli¬

gion zu fragen, wenn ein soziales Bedürfnis nach neuer religiöser Orientierung besteht. Das ist in Ägypten der Fall, s.u. Abschn. 1.3.

(5)

tiv, wenn ihre spezifischen Inhalte Elemente enthalten, die mit Elementen

einer durch Tradition „eingeübten" Religion strukturell kompatibel sind

und bei den angesprochenen Individuen eine kollektive Prädisposition vor¬

liegt, deren Befriedigung durch die traditionelle Religion nicht mehr gelei¬

stet wird, aber durch (strukturkompatible oder funktionsverwandte) Ele¬

mente der neuen Religion geleistet werden kann.

Das Zusammenspiel der Ebenen scheint mir dabei sehr vdchtig zu

sein. Es genügt nicht, auf Elemente zu verweisen, die sich in der „alten"

und der „neuen" Religion entsprechen, z.B. weil sie strukturkompatibel

sind. Das allein vermag noch nicht, die Attraktivität der neuen Religion zu

begründen. Vielmehr muß das betreffende Element in den kollektiven Prä¬

dispositionen der Gruppe verankert sein, die von der neuen Religion ange¬

sprochen wird. Um ein Abgrenzungsbeispiel zu geben: Die Theologumena

„Pharao als Gottessohn" und „Jesus als Gottessohn" - Elemente der ägyp¬

tischen bzw. der christlichen Religion scheinen mir zwar strukturell

kompatibel, aber nicht als solche Teil der kollektiven Prädispositionen zu

sein. Denn nicht alle Aussageformen im Bereich der religiösen Dogmatik

entsprechen religiösen Prädispositionen; hier ist im Rahmen theologischer

Arbeit sogar manches denkbar, was diesen zuwiderläuft. Theologische

Arbeit geht zwar durchaus von grundlegenden Denkmustern aus, die auch

für den Gläubigen (das religiöse Subjekt) bedeutsam sind. Sie kaim sich

aber im Prozeß der gedanklichen Arbeit, der Elaborierung der Grundmu¬

ster, von diesen entfernen: Auch in Ägypten wäre zwischen den elaborier-

ten Aussageformen theologischer Dogmatik und deren Korrelaten in den

Glaubensinhalten der religiösen Subjekte (als Kollektiv verstanden) zu

unterscheiden. Theologische Aussageformen köimen erst dann als Ele¬

mente, die Attraktivität begründen, angesehen werden, wenn sie

a) zentrale Bedeutung im religiösen System haben; damit scheiden ephe¬

mere Aussageformen, so interessant sie im einzelnen sein mögen, für

die Betrachtung aus (z. B. die Bezeichnung des Skarabäus als Sinnbild

der Auferstehung, Epiphanius v. Salamis, Ancoratus 84,2'").

Die Theologumena werden in ihrem gegenseitigen Verhältnis untersucht von

Emma Brunner-Traut: Pharao und Jesus als Söhne Gottes. In: Antaios 2 (1961), S.

266-284 (wieder abgedruckt in: dies.: Gelehte Mythen. Beiträge zum altägyptischen

Mythos. Darmstadt 1981, S. 34-54). Frau Brunner-Traut interpretiert das Ver¬

hältnis der beiden Theologumena (bei ihr: Mythologumena) im Blick auf die

Geburtsgeschichte Jesu in den Evangelien als „Ergreifen der ägyptogenen Sprach¬

gebärde" durch die Urheber der christlichen Geburtgeschichte.

'" Zu Ausgaben des „Ancoratus" s. Berthold Altaner — Alfred Stuiber:

Patrologie. Leben, Schriften und Lehre der Kirchenväter. 8., durchges. und erw. Aufl.

Freiburg u.a. 1978, S. 316f (maßgeblich nunmehr die Ausgabe von K. Holl). Die

zitierte Stelle am bequemsten zugänglich bei Theodor Hoffner: FontesJiiMoriae religionis Aegytiacae. Pars 1-V. Bonnae 1922-1925 (= Fontes historiae religionum ex auetoribus Graecis et Latinis collectos. Fasc. II), S. 604. Zur christlichen Skara- bäussymbolik vgl. Jean Doresse: Des hieroglyphes ä la croix. Ce que lepassipha¬

raonique a ligui au Christianisme. Istanbul 1960 (Uitgaven van het Nederiands Historiseh-Arehaeologisch Instituut te Istanbul. 7.), S. 39.

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58 J. Horn

b) auf ihren Aussagekern reduziert werden, d.h. hinter das in der elabo-

rierten Aussageform wirksame Aussageinteresse zurückgefragt wird

(Reduzierung der Theologendogmatik auf eine „Grundtatsachen"-Dog- matik).

Diese Ausführungen verneinen nicht etwa, daß auch relativ nebensäch¬

liche, strukturell kompatible Elemente in einem Ablösungsverhältiüs ste¬

hen körmen - nur sollten solche Elemente rücht fiir die Frage der Attrakti¬

vität herangezogen werden.

1.3. Zur Vorfrage der Attraktivität: Soziales Bedürfiüs nach religiöser

Orientierung

Daß mit der Zerstörung des Siimzusammerüianges der altägyptischen

Religion - besonders in der Beziehung der Bereiche Dogmatik/Kult/

Gesellschaft aufeinander - in der römischen Zeit eine Mangelsituation ein¬

trat, scheint mir evident zu sein'^. Die tradierte Religion konnte unter den

historischen Bedingungen der römischen Herrschaft für die religiösen Sub¬

jekte rücht mehr das leisten, was sie über Jahrtausende erfolgreich gelei¬

stet hatte - wenn auch nicht ohne Umformungen in geschichtlichen Krisen¬

situationen: die im Glauben nachvollziehbare umfassende Deutung von

Welt" als siimvolles Beziehungsgefüge. Eine solche religiöse Deutung der

eigenen - individuellen und kollektiven - Situation konnte für den Ägypter,

bedingt durch den Prozeß jahrtausendelangen kulturellen Lernens, nicht

einfach wegfallen. Es setzte numnehr die Suche nach neuen symbolischen

Sinnwelten ein; diese nimmt in Ägypten geradezu pathologische Züge an

(gnostische Gemeinschaften, Manichäismus, Philosophiereligionen) - das

chaotische Wirrwarr verschiedenster Systeme entspricht in gewisser

Weise der chaotisch gewordenen gesellschaftlichen Welt. Eine der religiö¬

sen Orientierungsmöglichkeiten unter den vielen anderen bildet das Chri¬

stentum - und dieses scheint, wie seine Diu-chsetzungsgeschichte zeigt, die

höchste Überzeugungskraft als symbolische Sinnwelt einer Gemeinschaft

zu haben. Im Folgenden ist daher nach den in Ägypten wirksamen Prädis¬

positionen kollektiver Art zu fragen, die durch strukturkompatible (oder

fuid?;tionsverwandte) Elemente des Christentums befriedigt werden.

" Zum Untergang der ägyptischen Religion in der Römerzeit und dessen unmit¬

telbaren Folgen ftir die religiöse Situation in Ägypten s. den Abschnitt 3 des Papie¬

res von F. Junge (s.o. Amn. 6).

Dabei bezeichnet „Welt" hier einerseits ein weitgefaßtes Beziehungsgefüge, das nicht etwa auf die Alltagswelt der Ägypter beschränkt ist, sondern deren Ein¬

bettung in Gesellschaft, Staat und kosmische Beziehungen einbegreift; andererseits erfährt „Welt" für den Ägypter insofern eine Einschränkung, als sein Weltbegriff zentral auf das Land und politische Gebhde „Ägypten" bezogen ist.

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2. Die Durchsetzung des Christentums als Prozeß der Befriedigung religiöser Prädispositionen"

2.1. Angebot einer neuen Zentralfigur: Jesus Christus und Pharao

Die religiöse Größe, die im Zentrum christlicher Verkündigung steht,

nämlich Jesus Christus, enthält Strukturmerkmale, die gerade einen Ägyp¬

ter ansprechen mußten. Mit Jesus Christus wird eine Person geboten, die

ganz Gott und ganz Mensch ist, in der göttliche und menschliche Natur eine

unlösliche Verbindung eingegangen sind'*, die an einer Schaltstelle zwi¬

schen diesseitig-realer und jenseitig-göttlicher Welt agiert: Wie Pharao in

der älteren Religion gehört Jesus dem menschlichen und dem göttlichen

Bereich („Götterwelt") an; wie im Falle Pharao läuft die Vermittlung des

Heiles, das die Götterwelt bzw. Gott der Welt zusprechen, nur über ihn. Die

Wirksamkeit für das Heil des Einzelnen ist in ihni als Person - und grund¬

sätzlich nur in ihm - konzentriert; damit fungiert er an strukturell gleicher

Stelle des religiösen Systems wie Pharao innerhalb der ägyptischen Reli¬

gion. Das Christentum hatte also den Vorteil, eine religiöse Zentralfigur zu

bieten, deren Strukturmerkmale denen der traditionellen zentralen Größe,

nämlich Pharao, entsprachen. Ein Vorteil war die Zentralfigur Jesus Chri¬

stus deshalb, weil die religiösen Erwartungen derÄgypter einerseits tradi¬

tionell auf Pharao und sein Agieren, nämlich die Ausübung der religiösen

Königsrolle, zentriert waren, es aber andererseits durch die Trennung von

Königsrolle und tatsächlichem Machthaber in der Römerzeit zur absoluten

Aporie kommt: Der kosmologische Garant der Weltordnung und des Wohl¬

ergehens „König" ist es selbst, in dessen Namen und Auftrag Unterdrük-

kung, soziales und wirtschaftliches Elend über Ägypten gebracht wird. Die

" M. Krause weist in seiner oben zitierten Arbeit (Anm. 7) auf eine Reihe von Phänomenbeständen hin, die er als „Übereinstimmung christlich-theologischer Vor¬

stellungen mit dem (seit altägyptischer Zeit geläufigen) Glaubensdenken der Ägyp¬

ter" klassifiziert, etwa S. 56 f (ungeteilte Wesenheit der Trinität) und 57 (Präexi¬

stenz des Sohnes; Bezeichnung und Ikonographie der Gottesmutter). Obwohl ich im

folgenden in gewisser Weise auch von „Übereinstimmung" spreche, würde ich doch die von Krause angesprochenen Vorstellungskomplexe im Sinne einer Differenzie¬

rung der verschiedenartigen Übereinstimmungen zwischen altägyptischer Religion

und Christentum dem unten folgenden Abschnitt 3 zuordnen.

'' Ich bin mir bewußt, daß ich hier in gewissem Sinne eine theologiegeschichtliche

Verkürzung vornehme: üas Verhältnis der Naturen in Christus wurde erst nach der

Durchsetzung des Christentums im Rahmen des sog. christologischen Streites

„geklärt". Worum es mir hier geht, ist nicht so sehr die Darstellung des ägyptischen Standpunktes in diesem Streit. Dieser Standpunkt aber geht - ebenso wie andere

christologische Standpunkte - davon aus, daß in Jesus Christus Menschliches und

Göttliches vorhanden ist. Nur hat in der Frühzeit des Christentums die Frage der

Verhältnisbestimmung von göttlichen und menschlichen Anteilen in der Person

Christi keine besondere Rolle gespielt. In den ersten Jahrhunderten genügte

anscheinend das „Irgendwie" der gemeinsamen Existenz von Menschlichem und

Göttlichem - und dieses Irgendwie reichte für die Durchsetzung des Christentums in Ägypten aus.

(8)

60 J. Hom

ägyptische Rehgion ist nun nicht mehr in der Lage, Prädispositionen der

Ägypter gerecht zu werden, die sie selbst in einem Jahrtausende währen¬

den Prozeß geschaffen hatte. Dagegen bietet das Christentum eine Zentral¬

figur, durch die der alte Zustand zwar nicht wieder hergestellt wird", die

aber den Ägypter unter den gegebenen Bedingungen die erfahrene Wirk¬

lichkeit in Ägypten und ihre Beziehungen zur göttlichen Welt als solche

erleben läßt, die mit neuem Sirm erfüllt sind.

Diese Äspekte der Armahme von Jesus Christus als neuer Zentralfigur

sind entscheidend für die weitere Entwicklung der theologischen Aussagen

über Christus in Ägypten^". Das Insistieren der ägyptischen Kirche aufder

„monophysitischen" Lehre gegen die Distinktionen des Konzils von Chal¬

kedon hängt eng mit diesen Entwicklungslinien zusammen: Wie Pharao als

Gott und als Mensch handelt und in einer Person zwei Sphären angehört,

so lassen sich für den Ägypter göttliche und menschliche Natur in Jesus

Christus nicht trennen: Christus ist der Gottmensch, besitzt eine gott¬

menschliche Natur. Jeder, der versucht, hier gedankliche Differenzierun¬

gen einzufiihren, macht sich verdächtig. Denn es besteht aus ägyptischer

Sicht die Gefahr, durch eine Treimung oder Aufspaltung die zentrale Rolle

des Christus im Heilsplan für die Welt zu zerstören. Daher gewinnt das

koptische Wort ncopx „spalten, trennen" eine besondere Bedeutung in den

literarischen Bildern, in denen sich die koptisch-ägyptische Einstellung zur

dyophysitischen Lehre niederschlägt; es wird zum Reizwort im kirchlichen

Kampf: Die Gegner sind die „Spalter", die die Gottheit in vier (!) Personen zerlegen^'.

" D.h., daß wir es nicht etwa mit einer bloßen Ersetzung der ägyptischen reli¬

giösen Ideologie durch eine christliche zu tun haben, oder daß numnehr die altägyp¬

tischen sozioreligiösen Verhältnisse nur christlich „eingekleidet" werden. Das christliche Ägj^ten setzt zwar Traditionslinien aus älterer Zeit fort, aber durchaus nicht insgesamt und nicht immer ohne historische Brechungen: Es entwickelt sich

zu einer eigenständigen historischen Gestalt der geschichtlichen Größe „Ägyp¬

ten".

^° Zu den „ägyptischen" Positionen im Streit um die Christologie s. als neueste

Darstellungen: Friedhelm Winkelmann: Die östlichen Kirchen in der Epoche der

christologischen Auseinandersetzungen (5. bis 7. Jahrhundert), Berlin 1980 (Kirchen¬

geschichte in Einzeldarstellungen. 1/6), bes. Kap. 2; Adolf Martin Ritter:

Dogma und Lehre in der Alten Kirche. Kap. IV: Der christologische Streit und das Dogma von Calkedon (451). In: Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte. Hrsg.

v. Carl Andresen. Bd. 1. Göttingen 1982, S. 222-283.

" Als Beispiel s. das Bild in dem Dioskur von Alexandrien zugeschriebenen Enkomion auf Bischof Makarios von Tkow: Christus teilt in einer nächtlichen Vision

dem Abt Schenute im Blick auf das Konzil von Chalkedon mit, daß es durch die

Bemühungen des Arius und Nestorius soweit gekommen ist, „daß sie mich von mei¬

nem Vater und dem Heiligen Geist trennen (nopx) und (die Gottheit) in vier Perso¬

nen aufspalten". (D. W. Johnson (ed.): A Panegyric on Macarius, Bishop of Tköw, Attributed to Dioscorus of Alexandria. Louvain 1980 (CSCO 415 [Scriptores Coptici 41]), S. 28, 20-22). Die durch die Spaltung in der Gottheit entstehenden vier Perso¬

nen sind: Gott Vater - Christus (als Gott) - Christus (als Mensch) - Hl. Geist; dabei ist die Zerspaltung des Christus das zentral Anstößige.

(9)

2.2. Beziehungsgefüge von „Götterwelt" und Gesellschaft:

Deckungsgleichheit von religiösem und sozialem System

Der unlösbare Zusammenhang zwischen politisch-ökonomischer Ord¬

nung und religiöser Ordnung, der so bezeichnend fiir das pharaonische

Ägypten ist, besteht für das frühe Christentum nicht: Die christliche Bot¬

schaft will ja anfänglich auch gar nicht eine societas Christiana, in der poli¬

tische und religiöse Ordnung aufeinander bezogen sind, ja identisch wer¬

den; Jesus tritt nicht - wie Pharao - als realer Regent der Welt auf, kann

insoweit auch gar nicht auftreten, da seine Äuferstehung den Übergang aus

der diesseitigen in die göttliche Welt bezeichnet. Und doch wird das ägyp¬

tische Christentum durch den in Ägypten traditionellen Konnex zwischen

Religion und Gesellschaft in seiner Geschichte bestimmt. Die christliche

Verkündigung war zwar nicht darauf angelegt, eine christliche Gesellschaft

zu schaffen, sie schloß aber eine christliche Interpretation des Geschehens

in der Welt nicht aus. Und zwar ermöglichte sie eine Interpretation, in der

die „Welt im Chaos" eine Sinngebung nicht nur negativer Ärt erhielt, wie es

weithin in den gnostischen Sekten der Fall war. Die Übernahme des Chri¬

stentums konnte zwar nicht das „Leiden an der Welt" beseitigen (wie es die

pharaonische Religion in ihrer idealen Gestalt tat), aber es bot, anders als

die meisten Konkurrenten, einen positiven Sinnzusammenhang, in dem die

tägliche Arbeit und die Mängel der Welt erfahren werden konnten. Kurzge¬

faßt: Mit Hilfe des Christentums gelingt es dem Ägypter, die Welt wieder

„in den GrifT' zu bekommen, die Welt wird wieder in das kosmologische

System integriert (Gottes Weltschöpfung und Welterhaltung). Das aus¬

gewogene Verhältnis zwischen der Organisation der religiösen Lehre, der

des Kultus und der des politisch-sozialen Systems, das sich ehemals im

König symbolisierte, wirkt dann aber auch insoweit nach, als sich die Lei¬

ter der ägyptischen Kirche nicht auf die Leitung der religiösen Lehre und

des Kultus beschränken, sondern immer wieder versuchen, ihre Leitungs¬

gewalt auch auf den politisch-sozialen Bereich auszudehnen: König wollen

sie zwar nicht werden, aber den Machtkampf mit den römischen Präfekten

führen sie allemal (wobei es wahrscheinlich ist, daß das intendierte Ineins

von religiösem und politisch-sozialem System eine unbewußte Leitlinie

ihres Handeln ist)^^

Die Tendenz zur Deckungsgleichheit von religiösem und sozialem (und

damit auch dem ökonomischen) Bereich kommt aber nicht nur auf der

^■^ Diese (unbewußte) Tendenz wurde besonders außerhalb Ägyptens bemerkt

und brachte die Etikettierung bestimmter alexandrinischer Patriarchen als „Pha¬

rao" hervor. So werden Theophilus I. (Palladius; Isidor von Pelusium), Kyrill (Sokrates Scholastikos) und Dioskur (Leo der Große) als Pharao gebrandmarkt;

Nachweise s. bei Edward Rochie Habdy: Christian Egypt: Church and People.

Christianity and Nationalism in the Patriarchate of Alexandria. New York 1952, S. 86

und 101 (zu Theophilus); Jean Maspero: Histoire des patriarches d'Alexandrie

depuis la mort de l'empereur Anastase jusqu'ä la reconciliation des eglises jacobites.

Paris 1923 (Bibliotheque de l'ßcole des Hautes Stüdes. Sciences historiques et phi¬

lologiques. 237.), S. 63 Anm. 6 (zu Kyrill und Dioskur).

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62 J. Horn

Ebene der ägyptischen Gesamtkirche zum Zuge, sie ist auch auf unterer

Ebene wirksam : Das Kloster bzw. der Klosterverband des könobitischen

Mönchstums ist nicht nur eine Größe, die das religiöse Leben seiner Mit¬

glieder regelt, sondern auch das ökonomische und Alltagsleben^'. Das Klo¬

ster regelt nicht nur, sondern bietet dem Mitglied die ökonomische Subsi¬

stenzbasis, die zentral mit den religiösen Pflichten verknüpft ist^". Insofern

könnte man sagen, daß das anachoretische Mönchtum eine religiöse

Lebensform ist, die nicht so „typisch" für die ägyptische religiös-kulturelle

Tradition ist; ihre Entstehung köimte mit dem noch nicht so weit fortge¬

schrittenen Christianisierungsgrad des Landes zusammenhängen: Wo

christliche Gemeinschaften noch nicht so stark sind, daß eine funktionie¬

rende „christliche Ökonomie" aufgebaut werden kann, bleiben für den, der

eine besondere religiöse Leistung erbringen will, nur individuelle Lösun¬

gen.

2.3. Verankerung der gesellschaftlichen Tätigkeit im religiösen System:

Arbeit als religiöse Pflicht

Aber auch das Anachoretentum beinhaltet eine altägyptische Tradi¬

tionslinie, die sich auf die Formel bringen läßt: Anachorese (= besondere

religiöse Leistung) entbindet nicht von der Arbeit (= Mittel zur Sicherung

der eigenen Subsistenz). Der Anachoret muß durch eigene Leistung

" Man werfe nur einen Blick in die frühen Pachomianer-Texte, insbesondere die Regeln, um das gleichberechtigte Nebeneinander von Regulierungen des religiösen Lebens, des „Alltagslebens" und der Ökonomie der Klostergemeinschaft festzu¬

stellen. Es sei hier nur auf die von L. Th. Lefort vorgelegte Sammlung der kopti¬

schen Texte Pachoms und seiner Schüler verwiesen: Oeuvres de S. Pachöme et de ses disciples. Louvain 1956 (CSCO 159 [Scriptores Coptici 23]); französische Überset¬

zung unter demselben Titel, ebd. 1956 (CSCO 160 [Scriptores Coptici 24]).

Daß das ägyptische Kloster bzw. der Klosterverband als ökonomische Einheit die Subsistenz seiner Mitglieder sichert, ist zwar eine allgemein anerkannte Tat¬

sache; aber der hier angesprochene Doppelcharakter des Klosters (religiöse und

zugleich soziale Größe) scheint mir bisher nicht genügend berücksichtigt zu sein.

Überhaupt fehlt eine zusammenfassende Darstellung der Frühgeschichte des Klo¬

sters als einer unter religiösen Leitlinien wirtschaftenden Einheit. Wichtige Hin¬

weise bei Bernward Büchler : Die Armut der Armen. Üher den ursprünglichen Sinn

der mönchischen Armut. München 1980, bes. S. 82-84 (Lebensstandard der Pacho¬

mianer) und 133-138 (Wirtschaftliche und soziale Hintergründe des pachomiani¬

schen Mönchtums) . Ein interessantes griechisches Dokument zum Wirtschaften der

Pachomianer aus dem vierten Jahrhundert hat Ewa Wipszycka publiziert und

besprochen: Les terres de la congregation pachömienne dans une liste de payements pour les Apora. In: Le monde grec: pensie - littirature ~ histoire - documents. Homma¬

ges d Claire Priaux. Bruxelles 1975 (University Libre de Bruxelles. Faculty de Philo¬

sophie et Lettres. 62), S. 625-636; dazu Korrekturen von Jean Gascou in: BIFAO 76 (1976), S. 183f (Post-scriptum zu seinem Aufsatz „P. Fouad 87: Les monast&res pachömiens et l'etat byzantin", ebd. 157-183). Frau Wipszycka hat in ihrem Auf¬

satz eine detaillierte Studie über die Wirtschaft der pachomianischen Klöster des 4.

Jahrhunderts angekündigt (op. cit., S. 635 Aiun. 3).

(11)

(typiscii: Seilflechten, Korbflechten) seinen Lebensunterhalt sichem, nicht

etwa durch mildtätige Gaben bewundernder Besucher. Die Arbeit ist nicht

etwa bedeutungslose Nebensache (Adiaphoron), sondern religiös geboten.

Das läßt sich am besten mit einem Ausspruch aus der Sammlung der

Apophthegmata Patrum illustrieren, der diese ägyptische Auffassung auf

eine knappe und treffende Formel bringt. Abbas Achilas sagt: „Doch ich

habe Sorge, Gott möchte mit mir unzufrieden sein und mir vorwerfen: Du

konntest arbeiten - wamm hast du es nicht getan^'?" Bezeichnend scheint

mir auch zu sein, daß das eröffnende Stück der alphabetischen Sanunlung

der Apophthegmata gleich das Thema „Arbeit in der Praxis des Mönchs"

anschlägt^*; das kann fast als eine Art Programm verstanden werden^'.

Dieser Einbau der Arbeit in das religiöse Denken und die religiöse Pra¬

xis der ägyptischen Mönche entspricht in auffälliger Weise dem Einbau der

Arbeit in das altägyptische kultiu-ell-religiöse System: Die Arbeit des ägyp¬

tischen Bauern und ihre Organisation ist die Subsistenzgmndlage der

ägyptischen Zivilisation (und damit auch der Religion) ; sie ist eingebunden

in die symbolischen Deutungen, die allen Lebensäußerungen im Rahmen

der Religion zuteil werden. Diese legitimiert die Arbeit der Menschen am

Fuße der ägyptischen Sozialpyramide nicht nur, sondern erfiillt sie (und

ihre Ausbeutung durch die in der Pyramide Höherstehenden) mit Sinn auch

und gerade für die Betroffenen, weil sie im Rahmen eines umgreifenden

Systems - sofern es einigermaßen funktioniert - nicht nur glauben können,

sondern geradezu körperlich erfahren, daß für sie gesorgt wird (= durch

Handeln des Königs und seiner Beamten realisiert sich die Fürsorge der

Götter). Kommt es zu Stömngen im sozioökonomischen System, so sind zu

unterscheiden:

" Apophthegmata Patrum Alphabetikon 128 (Achilas 5). In der Zählung folge ich

dem Vorschlag von Karl Heussi, die Apophthegmen der alphabetischen Samm¬

lung durchgehend zu numerieren, s. dens.: Der Ursprung des Mönchtums. Tübingen 1936, S. IX-XII; dort auch die Fundstehen des griechischen Textes bei Cotelier bzw. Migne. Für die Übersetzung habe ich benutzt: Weisung der Väter. Apophtheg¬

mata Patrum, auch Gerontilcon oder Alphaheticum genannt. Eingeleitet und übersetzt von Bonifaz Miller. Freiburg i. B. 1965 (Sophia. Quellen östhcher Theologie. 6) - übrigens eine handliche Ausgabe der Apophthegmenüberlieferung, die eine hervor¬

ragende erste Orientierung im verwickelten Material ermöglicht (erste vollständige deutsche Übersetzung des Alphabetikon, dazu Auswahl aus der lat. Überlieferung;

inzwischen liegt das Werk in 2. Aufl. Trier 1980 vor: Der Haupttext ist unverändert,

nur wurde die Einleitung von Miller durch eine solche von Wilhelm Nyssen

ersetzt).

Apophthegmata Patrum Mphahetikon 1 (= Antonios 1); für dieses Apophthega ist eine koptische (bohairische) Fassung vorhanden: ed. E. Amelineau in: Annales

du Mus6e Guimet 25 (1894), S. 30f

" Zum Thema „Arbeit" vgl. weiter Apophthegmata Patrum Alphabetikon 149, 252, 317, 334, 446, 457, 513. Weitere Hinweise zur Rolle der Arbeit im ägyptischen

Mönchtum bei Henneke Gülzow: Art. Arbeit IV (Alte Kirche). In: Theologische

Realenzyklopädie 3. Berlin 1978, S. 624-626 (625); dort auch weitere Literatur (be¬

sonders wichtig der Aufsatz von Hermann Dörries).

(12)

64 J. Horn

a) Störungen, die das religiöse System verkraften kann (die altägypti¬

schen Krisenzeiten - 1., 2. und 3. Zwischenzeit -, nach deren Ende kein

prinzipiell anderes Religionssystem als vorher auftritt - abgesehen von

Umbauten im System)

b) Störungen, die den Geltungsanspruch des Systems (Legitimationswir¬

kung für die Gesamtheit des sozialen und religiösen Handelns und Sinn-

haftigkeitserfahrung aller am System Beteiligten) erschüttern; solche

Störungen sind insbesondere aufgrund des Eingreifens der Römer in

das ägyptische Verwaltungs- und Verteilungssystem zu beobachten

(wichtiger Gesichtspunkt: Rom beseitigt zu einem großen Teil die für

Ägypten reinvestive Wirkung der Abschöpfung der Überschußproduk¬

tion).

Än der (religiösen) Bewertung der Arbeit läßt sich ein weiterer Aspekt

der religiösen Prädisposition der Ägypter, die das Christentum übernah¬

men, aufzeigen: Die Einbindung der Arbeit in das religiöse Denk- und Wer¬

tesystem führt dazu, das ägyptische Christen in besonderer Weise ihre

eigene Arbeit als religiös geboten ansehen, jetzt mit christlichem Interpre¬

tationshintergrund. Man könnte so formulieren: Der Leitgedanke des Ora

et labora^*, der als typisch für das westhche Mönchtum benediktinischer

Prägung gilt, ist ägjrptisches Erbe des Abendlandes". Vermittelt wmrde

dieses Erbe auf dem Wege literarischer Paradigmata: Die Viten und Aus¬

sprüche der ägyptischen Mönchsväter (s. Vita Antonii, Apophthegmata

Patrum) sind Leitbilder für das westliche Mönchtum, die durch Lesen und

Vorlesen in den Klöstem immer wieder aktualisiert werden'**.

Zu beachten ist, daß sich diese Formel in der Regel des Benedikt von Nursia nicht fmdet. Die als Wahlspruch des benediktinischen Mönchtums geltende Formel entsteht so erst im späten Mittelalter. Zur Formung der Devise s. Jean Lecleecq:

Etudes sur le vocabulaire monastique du moyen äge. Roma 1961 (Studia Anselmiana.

48), S. 140-144 (Excursus IX: „Ora et labora").

^' Zur Bedeutung des frühen europäischen Mönchtums für die Ausbildung eines

abendländischen Arbeitsethos s. Friedrich Prinz : Askese und Kultur. Vor- und

frühbenediktinisches Mönchtum an der Wiege Europas. München 1980 (Edition Beck),

S. 68-74 (Abschnitt 6: Mönchtum und Arbeitsethos). Die Verbindungslinien, die

gerade in diesem Bereich zwischen frühem europäischen und ägyptischem Mönch¬

tum bestehen, werden von Prinz nicht behandelt.

Vgl. dazu Jean Gribomont: Art. Askese IV(Neues Testament und Alte Kirche).

In: Theologische Realenzyklopädie 4. Berlin 1979, S. 204-225, bes. 221 f (Der Einfluß

des Ostens). Hinzuweisen ist z.B. darauf, daß sich Johannes Cassianus ständig

auf das Vorbild der ägyptischen Väter beruft; vgl. etwa die im Index zur Ausgabe von „De institutis coewoftioram"durch Jean-Claude Guy s.v. „Aegyptii (monachi)"

und „Patres" verzeichneten Stellen (Jean Cassien: Institutions cEnobitiques. Texte latin revu, introduction, traduction et notes par Jean-Claude Guy S. J. Paris 1965

(Sources Chretiennes. 109)). Zum Rückgriff auf das ägyptische Vorbild und zur

Nachwirkung dieses Autors s. jetzt Owen Chadwick: Art. Cassianus, Johannes. In:

Theologische Realenzyklopädie 7. Berlin 1981, S. 650-657.

(13)

3. Altägyptische Momente im Übernahmeprozeß des Christentums

Von den grundlegenden Strukturelementen des Christentums, die mit in

Ägypten vorhandenen religiösen Prädispositionen korrelieren, möchte ich

die altägyptischen Momente unterscheiden, die sich im übrigen im ägypti¬

schen Christentum beobachten lassen. Hier läßt sich eine Vielzahl von

Phänomenen feststellen, die teilweise unter dem Stichwort der „survivals"

klassifiziert werden, deren Wertigkeit im einzelnen aber teilweise (noch)

nicht recht klar ist". Im folgenden soll kein Katalog aller oder der meisten

solcher Momente aufgestellt werden. Es vidrd vielmehr eine Auswahl gebo¬

ten, und zwar solche Momente, die an in Ägypten vorhandene Prädisposi¬

tionen anknüpfen'^. Unter diesen stehen wiederum die im Vordergrund, die

bisher kaum oder nicht genügende Beachtung gefunden haben. Das Feld

der Kontinuitätsforschung ist jedenfalls weiter, als es die Ausführungen

dieses Abschnittes skizzieren.

3.1. Zur Königsdogmatik

3.1.1. Die Abwesenheit des Herrschers der Welt

Die grundlegende Erschütterung des ägyptischen Religions- und Sozial¬

systems gerade in römischer Zeit war verknüpft mit der räumlichen Abwe¬

senheit des Pharao. Vielleicht ist hier die Vorbedingung zu sehen, daß nun¬

mehr eine Religion eine Durchsetzungschance hat, die keine dem Pharao in

seiner realen Präsenz in der Menschenwelt entsprechende Person anbietet:

Die Jenseitigkeit der Zentralfigur Jesus Christus war unter der Bedingung

der Abwesenheit (= Nichtbeteiligung am Ablauf des ägyptischen religiös¬

sozialen Prozesses) Pharaos kein Hindernis für die Aufnahme des Christen¬

tums. Trotzdem lassen sich deutliche Spuren der eigenlich zu wünschenden

Anwesenheit der Zentralfigur aufweisen: Das Interesse der Ägypter an der

Flucht nach Ägypten, die überall gezeigten Aufenthaltsstätten der heiligen

" Einen Überblick bietet Siegfried Morenz: Fortwirken altägyptischer Ele¬

mente in christlicher Zeit. In: Koptische Kunst. Christentum am Nil (Katalog zur Aus¬

stellung in der Villa Hügel, Essen, 3. Mai bis 15. August 1963). Essen 1963, S. 54- 59; vgl. auch die o. Anm. 14 genannte Arbeit von J. Doresse.

Zu altägyptischen Momenten im koptischen Totenwesen s. jetzt den Aufsatz von

Martin Krause: Das Weiterleben ägyptischer Vorstellungen und Bräuche im kopti¬

schen Totenwesen. In: Das römisch-byzantinische Ägypten. Akten des intemationalen Symposiums 26.-30. September 1-978 in Trier. Mainz 1983 (Aegyptiaca Treverensia.

Trierer Studien zum griechisch-römischen Ägypten. 2), S. 85-92; dort viele weiter¬

führende Hinweise.

D.h. solche Momente, die sich um die grundlegenden erlernten kulturellen

Traditionsmuster gruppieren lassen, die aber als solche keine Prädisposition im

skizzierten Sinne bilden. Es ist denkbar, daß einige Momente bei weiterer Klärung

sich doch dem Bereich der Prädispositionen zuordnen lassen - nur kann das beim

augenblicklichen Stand der Forschung nicht bestimmt werden. In jedem Fall

scheint es mir wichtig zu sein, Differenzierungen im Komplex „Fortwirken altägyp¬

tischer Elemente im Christentum" vorzunehmen.

(14)

66 J. Horn

Familie, die bis heute mit besonderer Liebe verehrt werden, bezeugen den

Wunsch nach der realen Anwesenheit Jesu: Er ist zwar nicht mehr hier,

aber er war hier - und die Wunder, die an den Aufenthaltsstätten gesche¬

hen, zeugen von der Macht dieser Anwesenheit bis heute, so in der Sicht

der christlichen Ägypter".

3.1.2. Christus als Pharao

Zwar werden die römischen und byzantinischen Kaiser in Ägypten als

Pharao (rippo) bezeichnet, aber keinesfalls in ihrer Funktion als die die

heilswirksame Ordnung der Dinge garantierende Person. In dieser Funk¬

tion kommt allein Jesus Christus der Titel iTppo zu; im Grunde ist nur er der

wahre König. Die Märtyrerlegenden bringen in ihrem Motivschatz dieses

Thema immer wieder und bezeugen, daß der irdische König in ägyptischer

Sicht seine religiöse Rolle ausgespielt hat. Der Offizier Viktor zu Diokle¬

tian: „Ich diene nicht mehr als Soldat unter einem König, der doch zu ster¬

ben pflegt; vielmehr stehe ich im Dienst des Königs, der im Himmel ist'"."

Oder das immer wiederkehrende Motiv im Gespräch zwischen Märtyrer

und Peiniger: Der Hegemon: „Opfere den Göttern des Königs!" Der Märty¬

rer: „Nein, ich opfere nicht, deim ich gehöre zu Jesus Christus'^" Diese

Übertragung der eigentlichen Königsherrschaft auf Christus enthält eine

grundlegende Relativierung der irdischen Ordnung der Dinge: Das Chri¬

stentum ermöglicht zum ersten Male in der ägyptischen Geschichte, aus

religiösen Gründen in prinzipielle Distanz, ja in Äblehnung der konkreten

Ordnung der Welt zu treten (ohne eine geordnete Welt prinzipiell abzuleh¬

nen)'*. Diese Distanz manifestiert sich handfest in Aufständen gegen die

" Zum Ägypten-Aufenthalt der Heiligen FamUie (aus ägyptischer Sicht) und zu den Aufenthaltsstätten, an die sich fromme Verehrung knüpft, s. die Bestandsauf¬

nahme von Otto F. A. Meinardus: The Itinerary of the Holy Family in Egypt. In:

Studia Orientalia Christiana. Collectanea 7 (1962), S. 1-44. Dieser Aufsatz fmdet sich in veränderter Form auch bei Otto F. A. Meinaedus: Christian Egypt, Ancient and Modem. 2. rev. ed. Cairo 1977, S. 601-649 (Chapter XXXI: Traditional Sites associated with the Flight of the Holy Family to Egypt).

Martyrium des Viktor, Sohnes des Romanos, ed. E. A. W. Budoe : Coptie Mar¬

tyrdoms etc. in the Dialeet of Upper Egypt. London 1914 (Coptie Texts. Vol. IV), S. 11 Z. 22-24.

'' Ich habe hier die Gesprächssituation, die sich um das stereotype Stichwort

„opfern" (eyclxze) gruppiert, auf ein vereinfachendes Grundmuster gebracht. Als konkretes Beispiel vgl. etwa Martyrium Schenufe und Brüder fol. 111 r II 25-v I 2:

„Da sagte der Statthalter zu ihnen: Gehorcht mir, opfert (eyciAze) und sterbt nicht eines schrecklichen Todes! Sie antworteten: Wir werden nichl opfern (eyciikZe), sondern wir gehören vielmehr zu Jesus Christus! Und sie verfluchten üin und seine Götzen und seine Könige." (E. A. E. Reymond und J. W. B. Barns (edd.): Four

Martyrdoms from the Pierpont Morgan Coptic Codices. Oxford 1973, S. 93).

■"■ Die kritisch messende Distanz zur konkreten Ordnung der Welt und ihrem zentralen Repräsentanten, dem König, bahnt sich allerdings schon in der ägypti¬

schen Spätzeit an. Sie hängt mit einer Trennung von traditioneller Königsrolle und

tatsächlichem Inhaber des Königtums zusammen, vgl. o. Abschnitt 2.1. Diesem

(15)

staatliche Gewalt, in der Unbotmäßigkeit gegen die kaiserliche Politik zur

Dm-chsetzung von Chalkedon und in der Unterstüzung, die dem Patriar¬

chen von Alexandria bei seiner Politik geboten wird .

3.1.3. Die Rolle des realen Königs

Aber auch in der Distanzierung finden sich noch Elemente, die sich der

ägyptischen Tradition verdanken: Das Zerrbild des Kaisers Diokletian,

wie es sich in den Märtyrerlegenden - insbesondere in denen, die die Dio¬

kletianlegende'* bieten - findet, erklärt sich am besten aus der Trauer, ja

fast Wut, über die verlorene Einheit zwischen religiösem und politisch¬

sozialem System. Man weiß unbewußt noch etwas davon, welche Rolle der

irdische König „eigentlich" spielen sollte und ninunt daher die Rollenver¬

fehlung der römisch-byzantinischen Kaiser besonders übel. Legitimitäts¬

kriterium ist fiir den Ägypter das Verhältnis des Königs zur wahren Reli¬

gion - und da schneiden die Kaiser fast diu-chweg schlecht ab; relativ unbe¬

deutende Kaiser können bei Anlegung dieses Maßstabes geradezu zum

Vorbild des christlichen Königs werden, wie Theodosios II. , d. h. der Herr¬

scher, in dessen Regierungszeit (408-450) die „große Zeit" Ägyptens (=

das Übergewicht des Patriarchats Alexandria im Osten des Reiches) fällt".

Fragenkomplex ist die Arbeit meiner Kollegin Ursula Rössler-Köhler im Rah¬

men des Göttinger Forschungsprojektes gewidmet, s.o. Anm. 5.

" Zur Zeit nach dem Konzil von Chalkedon (451) s. C. D. G. MtJLLER: op. cit. (s.

Anm. 7), S. D 327-D 330 (dort weitere Lit.) und F. Winkelmann: op. cit. (s. Anm.

20), bes. S. 114-121 (Kap. 4A: Die Entwicklung des Patriarchats Alexandreia vom

5. bis 7. Jahrhundert).

'* Kurz gefaßt handelt es sich dabei um folgendes: Diokletian, eigentlich der aus

Ägypten stammende Ziegenhirte Aggripida, gelangt durch glückliche Umstände

nach Antiochia und usurpiert dort den Königsthron der legitimen FamUie. Er fällt

vom Christentum ab, verfolgt die Christen und wird dann fiir die Verfolgung

bestraft; die legitime Königsfamilie wird martyrisiert (Martyrien des sog. BasUides- Zyklus).

Zur Diokletian-Sage. s. Theofried Baumbister: Martyr Invictus. Der Märtyrer als Sinnbild der Erlösung in der Legende und im KuU der frühen /coptischen Kirche. Zur Kontinuität des ägyptischen Denkens. Münster 1972 (Forschungen zur Volkskunde.

46.), S. 93f; Jacques Schwartz: Diocl&ien dans la littirature copte. In: Bulletin de la Soci6t6 d'Archeologie Copte 15 (1958-1960), S. 151-166.

" Zu dieser Wertschätzung des Kaisers Theodosios II. (in der koptischen Über¬

lieferung „der Kleine" = „der Jüngere") s. die Episoden rund um das KonzU von

Ephesus (431) in der dem Kyrill von Alexandria zugeschriebenen HomUie „De

hora mortis", ed. E. Amelineau, in: Memoires pubhös par les membres de la Mis¬

sion archeologique fran9aise au Caire IV. Fasc. 1. Paris 1888, S. 165-195 (Konstan- tinopel-Ephesus: S. 173-184); ein fiir unsere Zwecke bequemer Auszug aus diesem Text bei Alexis Mallon: Grammaire copte. Bibliographie, Chrestomathie et vocabu¬

laire. 4. ed., revue par Michel Malinine. Beyrouth 1956, Chrestomathie S. 60-62.

S. auch die Nestorios Andragathes-Episode im Enkomion auf Bischof Makarios von

(16)

68 J. Horn

3.2. Zum Sinnbereich des Kultischen

3.2.1. Zur Kultorganisation

Bezeichnend für die kirchliche Einteilung Ägyptens ist es, daß man sich

nicht an die politische Einteilung des Landes anschließt, sondern die

Bischofssitze dort errichtet, wo sich die Hauptorte der altägyptischen Gaue

befinden. Diese Gaueinteilung deckt sich bereits in der ptolemäischen Zeit

rücht mehr mit der politischen Gaueinteilung („Strategien"); die Strategie

faßt häiüig mehrere Gaue zu einer politischen Eiiüieit zusammen oder ver¬

waltet Gebiete eines Nachbargaues mit'"'. Die alte Gaueinteilung des Lan¬

des wird aber gerade in ptolemäisch-römischer Zeit durch die Tempeltexte

weitertradiert; sie wird damit zu einer rein religiös-kultischen'". Än diese

religiös-kultische Gliederung schließt sich nun das Christentum .an - so

stark, daß sich noch die Anwesenheitsliste der Bischofssynode von 1086

(in arabischer Sprache!)''^ als altägyptische Gauliste lesen läßt, obwohl in

dieser Zeit bereits andere Verwaltungs sitze als in ptolemäisch-römischer

Zeit zu blühen beginnen'". Neben einer unbewußten Traditionslinie ist hier

auch eine bewußte zu sehen: Das Christentum will konkurrierend überall

dort präsent sein, wo eine kultische Repräsentanz der altägyptischen Reli¬

gion besteht, so daß nach dem Sieg des Christentums überall dort, wo (min¬

destens theoretisch) ein Gauhauptheiligtum vorhanden war, (formelhaft

verkürzt) ein Bischof an die Stelle des Oberpriesters trat.

Auf dieser Linie ist es auch zu sehen, daß das christliche Ägypten keine

Ausbildung von Metropolitanverbänden'*'' kennt: Alle Bischöfe

Tkow des Dioskur von Alexandria, ed. D. W. Johnson (s.o. Anm. 21), S. 78,4-

84, 2.

Die Wertschätzung der koptischen Literatur fur Theodosios II. setzt sich in der (christlich-arabischen) „Patriarchengeschichte" des Bischofs Severus von ASmü- nain fort, 8. eine Passage in der Biographie {sira) des Kyrill von Alexandria:

History of the Patriarchs of the Coptic Church of Alexandria. U. Peter I to Benjamin I.

Ed. by B. Evetts. Paris 1905 (Patrologia Orientahs. I. Fasc. 4), S. 166f

Zusammenfassend zur ägyptischen Gliederung des Landes in Gaue (auch in

griechisch-römischer Zeit) s. Wolfgang Helck: Die altägyptisehen Gave. Wies¬

baden 1974 (Beihefte zum Tübinger Atlas des Vorderen Orients. Reihe B (Geistes¬

wissenschaften). Nr. 5).

Als exemplarische Untersuchung zur Bedeutung der auf die Gaue bezüglichen Tempeltexte („Geographische Inschriften") für eine bestimmte Region Oberägyp¬

tens s. Horst Beinlich: Studien zu den „Geographischen Inschriften" (10.-14. o. äg.

Gau). Bonn 1976 (Tübinger Ägyptologische Beiträge. 2.).

■"^ Ed. Henri Munier: Recueil des listes ipiscopales de l'Eglise copte. Le Caire

1943 (Publications de la Soci6t6 d'Archeologie Copte. Textes et Documents), 8.

27-29. Dieses Dokument werde ich unter dem Kontinuitätsaspekt in meinem Bei¬

trag für die Festschrift zum fiinfzigjährigen Bestehen der Soci6t6 d'Archeologie Copte, Kairo 1984 besprechen.

"•^ Etwa islamische Verwaltungszentren wie Al-Minya oder Manfalüt, in denen erst später Bischofssitze entstehen.

"'' D.h. eine kirchliche Gliederung des Landes, die eine Dreistufigkeit der Hierar¬

chie in Ägypten herbeiführt: Obermetropolit (Patriarch von Alexandria) - Metropo-

(17)

stehen im uimiittelbaren Verhältnis zum einzigen Metropoliten, dem Erzbi¬

schof und „Papst" (ni^nx) von Alexandria''^ Dabei bietet gerade Äypten

historisch gesehen gute Voraussetzungen für die Bildung von Metropolien:

Schon in ptolemäischer Zeit konunt es zur Errichtung der „EpiStrategie"

als Zwischenstufe der Verwaltung zwischen Strategien und Zentralge-

walf*; diese verwaltungsmäßige Einteilung des Landes wird in römischer

Zeit beibehalten und ausgebaut (Epistrategien Delta, Heptanomia, The¬

bais)"'. Sie wird weiter verstärkt, als im Zuge der diokletianischen Reichs- liten (Erzbischöfe?) - Bischöfe; jeweils mehrere Bistümer bilden einen Metropoli-

tanbezrrk, und die Geamtheit der (ägjrptisehen) Metropolitanbezirke bildet das

Patriarchat Alexandrien. Vgl. das Schema bei Cyrille Vogel: Circomcriptiom

ecclisiastiques et ressorts administratifs civils durant la premiire moitii du IV siecle (du concile de Nicie (325) au concile d'Antioche (341)). In: La giographie administrative et politique d'Alexandre ä Mahomet. Actes du Colloque de Strasbourg, 14-16 juin 1979.

Leiden 1981 (Travaux du Centre de Recherche sur le Proche-Orient et la Gröce Anti¬

ques. 6.), S. 273-291 (285). Bei Vogel fmdet man den neuesten Forschungsstand (einschl. Lit.) zu einer kirchenhistorischen communis opinio (Metropolitanverbände auch in Ägjrpten, und zwar in Anpassung an die politisch-administrative Gliederung des Landes). Eine knappe Darstellung der communis opinio bei A. Scheuermann:

Art. Diözese (Dioikesis) C I. In: RAC 3 (1957), Sp. 1056-1059.

"' Zur Entstehung der alexandrinischen Metropolitenstellung vgl. die Schilde¬

rung bei Hans Lietzmann: Geschichte der Alten Kirche. Band II. IJerlin 1936 (4./5.

Aufl. - unv. - Berlin-New York 1975), S. 54-56. Eine richtige Darstellung der ägjrp¬

tisehen Verhältnisse fmdet sich bei C. Detlef, G. Müller: Art. Ägypten IV(Kir- chengeschichtlich, bis zum 7. Jh.). In: Theologische Realemyklopädie. 1. Berlin 1977, S.

512-533 (517); bei Müller auch mit Landkarten versehener umfangreicher Über¬

blick über die ägjrptisehen Bistümer, s. die Paltkarten ebd. nach S. 512. Leider ist Müllers Überblick insoweit mit Vorsicht zu benutzen, als er auf einer zu unkriti¬

schen Auswertung der Bistümerlisten bei Munier: Recueil (s.o. Anm. 42) beruht.

Ich begnüge mich mit diesen Nachweisen, da die gängige Behauptung, auch in

Ägjfpten sei der dreistufige Aufbau der kirchlichen Organisation durchgeführt wor¬

den, bis heute des Beweises ermangelt. Das vorliegende ägjrptische Material ergibt durchweg keine Indizien für die Dreistufigkeit. Sie wird m.E. von Kirchenhistori¬

kern für Ägjrpten auf Grund der Analogie zu anderen TeUen des Ostens des römi¬

schen Reiches postuliert - und die Analogie gUt dann schon als Beweis. Eine solche

Argumentationsstruktur s. etwa bei Johannes Neumann: Art. Bistum Ahschn. 2

(Entwicklung der Diözesanverfassung). In: Theologische Realenzyklopädie. 6. Berlin

1980, S. 698-702 (699); Neumann interpretiert den Can. 5 des KonzUs von Nicäa

so, daß nunmehr der Bischof von Alexandrien „über den Metropoliten von Agj^sten/

Oberägjrpten (Thebais) . . . steht" (sie).

Zur Epistrategie s. das grundlegende Werk von J. David Thomas: TTie epi¬

strategos in Ptolemaic and Roman Egypt. Part 1: The Ptolemaic epistrategos. Opladen 1975; Part 2: The Roman epistrategos. Opladen 1982 (Papjrologica Coloniensia. 6.

TeU 1 und 2).

"' Die Ansetzung von drei Epistrategien lur die römische Zeit ist zwar die gän¬

gige Meinung, aber für einige Zeiträume nicht unproblematisch. Das hat J. David

Thomas: op. cit. Part 2, S. 15-29 (Chapter 2: The Administrative Divisions of

Egjrpt) ausführlich dargelegt; dort werden die Möglichkeiten zwei-, drei- oder vier- teUiger Gliederung des Landes gründlich diskutiert.

(18)

70 J. Horn

reform Ägypten als ganzes den Status einer Provinz verliert, welcher nun¬

mehr auf die ehemaligen Epistrategien übergeht (Provinzen Aegyptus

lovia, Aegyptus Herculia, Thebais)"*. Trotz dieser Zwischeninstanzen blei¬

ben die Bischöfe im direkten Loyalitätsverhältnis zum Patriarchen; die

Zweistufigkeit der Hierarchie bleibt in der ägyptisch-koptischen Kirche

maßgeblich. Der Angleichungsprozeß der kirchlichen Organisation an die

politische Gliederung des Reiches, den Carl Andresen so konzis

beschreibt"', findet also in Ägypten nicht statt. Hier zeigt sich das Behar¬

rungsvermögen älterer, religiös bedingter Strukturen deutlich: Die reli¬

giös-kultische Einteilung des Landes in „Gaue" lebt in den christlichen Bistümern fort; so wie die altägyptische Kulteinheit „Gau" in einem direk¬

ten Verhältnis zu Pharao als Spitze des Kultes steht, stehen auch die Bistü¬

mer bzw. Bischöfe in einem direkten Verhältrüs zum Patriarchen'".

3.2.2. Zum Kultbetrieb

3.2.2.1. Örtliche Kulte und Märtyrerkult

Das vierte Jahrhundert ist in Ägypten - zwar nicht nur dort - durch die

Ausbreitung des Märtyrerkultes gekennzeichnet und, in seinem Gefolge,

durch die Entstehung der Märtyrerlegende", die dann kiuz nach 400 schon

in sehr stark ausgebauten Formen vorliegt, wie Äußerungen des Abtes

Schenute von Atripe beweisen'^. Interessant scheint mir dabei zu sein, daß

"* Namen und Einteilung der Provinzen Ägyptens in römisch-byzantinischer Zeit

wechseln. Einzelheiten dazu bei Jacqueline Lallemand: L'administration civile

de l'Egypte de I'avenement de DiocUtien d la creation du diocise (284-382). Contribu¬

tion d l'etude des rapports entre l'ßgypte et l'Empire ä la fin du lit et au IV siicle. Bru¬

xelles 1964 (M6moires de TAcadömie Royale de Belgique. Classe des Lettres . . .

Collection in-8". 2° Serie. 57. Fasc. 2) und bei Germaine Rouillard: L'admini¬

stration civile de l'Egypte byzantine. 2. Aufl. Paris 1928. Vgl. auch die Tabellen bei Vogel: op. cü. (s.o. Anm. 44), S. 286-291.

Carl Andresen: Die Kirchen der alten Christenheit. Stuttgart u.a. 1971 (Die Religionen der Menschheit. 29, 1/2), S. 372-377.

Übrigens übernimmt nach 451 die chalkedonensisch-orthodoxe Minderheits¬

kirche Ägyptens, die - hauptsächlich griechischsprachigen - „Melkiten", die Drei¬

stufigkeit der Hierarchie. Ein spätes Zeugnis ihrer kirchlichen Gliederung des Lan¬

des (mehr Anspruch als Wirklichkeit) stellt die Liste dar, die Munier : op. cit. (s. o.

Anm. 42), S. 58-62 publiziert hat; zu dieser Liste s. Ernest Honigmann: Trois

memoires posthumes d'histoire et de giographie de l'Orient chretien. Prepares pour l'im¬

pression par Paul Devos (Extratit des „Memoü-es" de l'Academie Royale de Belgi¬

que). Bruxelles 1961 (Subsidia Hagiographica. 35), darin Abhandlung III: La valeur historique du „Thronos Alexandrinos".

" Zu Märtyrerkult und Märtyrerlegende in Ägypten s. die grundlegende Studie von Baumeister: Martyr Invictus (s.o. Anm. 38); zur Entstehung der ägyptischen Form der Märtyrerverehrung vgl. ebd. S. 51-86 (Kap. II: Die Martyrerverehrung in Ägypten).

" Schenute gibt wichtige Auskünfte über die Form der Märtjrerakten, die er gelesen hat, aus Anlaß einer Erörterung über die strikte Geltung von königlichen

(19)

bestimmte Märtyrer mit bestimmten Orten fest verknüpft werden, und zwar über das ganze Land hin". Man köimte versucht sein, hier Parallelen

zu den älteren ägyptischen Verhältnissen zu ziehen: So wie das Handeln

des „Einen" sichtbar wird durch die vielfältigen Götter, so manifestiert sich

das Handeln des christlichen Gottes in den Märtyrern. So wie jene zur Göt¬

terwelt gehören, gehören diese - schon vor dem endzeitlichen Gericht Got¬

tes - zum Reich Gottes, in das ihnen ihr Märtyrertod unmittelbar Zugang

gewährt, wie die Legenden nicht müde werden zu betonen. In der Konkreti¬

sierung der an einem bestimmten Ort verehrten, unterscheidbaren Einzel¬

gottheit findet die Frömmigkeit des Ägypters einen faßbaren Anhalts¬

punkt, an dem „Verehrung der Gottheit" sich realisieren kann. So kann

sich auch der christliche Ägypter dem individuell bestimmten, hier gestor¬

benen bzw. begrabenen Märtyrer zuwenden, an dem die Gnade Gottes, die

uns in Christus zuteilgeworden ist, „sichtbar" (durch Vergegenwärtigung

des Martyriumsgeschehens und durch posthume Wunder) erfahren werden

kann'".

3.2.2.2. Ätiologiezwang als altägyptische Kontinuität

Die Traditionslinie vom altägyptischen örtlich praktizierten Kult zum

christlichen Märtyrerkult vnrd durch ein Element noch wahrscheinlicher:

Edikten bzw. Erlassen und die Strenge, mit der diese durchgeführt werden. Zur

Erläuterung benutzt er das Beispiel der Christenverfolgungen („. . . wie wir solches auch aus den Akten (NZynOMNHMX) der heiligen Märtyrer erfahren haben"). Die Stehe ist in einem Fragment der Bodleian Library in Oxford enthalten (Clarendon Press Mss. Fragm. 44), das E. Amelineau publiziert hat: Oeuvres de Schenoudi.

Texte copte et traduction frangaise. II. Fasc. 3. Paris 1914, S. 536-550 (= Stück XXXI des Bandes II der Ausgabe); unsere Stelle ebd. 543 f Zu diesem Text gibt es einen nicht so umfangreichen Paralleltext in Wien (PapjTTissammlung der Osterreichi¬

schen Nationalbibliothek K 9299-9301), den Carl Wessely ediert hat: Griechische und koptische Texte theologischen Inhalts I. Leipzig 1909 (Studien zur Palaeographie und Papyruskunde. 9), S. 159-161 (= Nr. 48). Die Parahele bei Amelineau reicht von S. 543,9 bis 548,2. Diesen Schenutetext werde ich unter dem Gesichtspunkt der Märtyrerverehrung an anderer Stelle behandeln. Der genannte Schenute-Text wird in meiner Arbeit „Studien zu den Märtyrern des nördlichen Oberägypten I: Märtyrerver¬

ehrung und Märtyrerlegende im Werk des Schenute" auslührlich behandelt (erscheint in: Göttinger Orientforschungen. Reihe IV: Ägypten; im Druck).

Zur örtlichen Bindung des ägyptischen Märtyrers s. Baumeister: op. cit.

(s. o. Anm. 38), S. 172-174 (s. auch das Sachregister s. v. Koptische Märtyrerlegen¬

den: Topographisches Interesse). Als Selbstaussage ägyptischer Frömmigkeit vgl.

eine Passage in der dem Bischof Makarios von Tkow zugeschriebenen Rede über

den Erzengel Michael, ed. Guy Lafontaine: Une üoge copte de Saint Michel, attri- buiäMacaire de Tkow. In: Le Mus6on 92 (1979), S. 301-320 (304f = I §§ 6-7 nach

Zählung Lafontaine). Dort wird der Märtyrer - im Gegensatz zu Michael - als

Größe charakterisiert, die an einen bestimmten Ort und seine Umgebung gebunden

und damit in ihrer Wirksamkeit beschränkt ist.

Zur HeUserwartung des christlichen Ägypters an den Märtyrer und seine

Begräbnisstätte (den Märtyrertopos) s. Baumeister: op. cit, S. 173-177.

(20)

72 J. Horn

durch das Element der Ätiologie. Christlicher Kult als Gottesdienst bedarf

im Grund keiner Ätiologie. Die ägyptischen Legenden ägyptischer Märty¬

rer zwecken aber auf die Begründung der Verehrung eines bestimmten

Märtyrers an einem bestimmten Ort (zu bestimmter Zeit) ab, kurzum sie

sind Kultätiologien". Dieses Moment der Begründung einer individuellen,

örtlich gebundenen Form von Kult fmdet sich gehäuft in den Tempeltexten

der ägyptischen Spätzeit: Die sog. Monographien, eine umfangreiche Text¬

gruppe innerhalb dieser Texte, sind durchweg durch ätiologisch abge¬

zweckte Aussagen bestinunt, die eine konkrete kultische Praxis begründen

sollen, d. h. es wird danach gefragt, wanun gerade hier diese oder jene Kult¬

handlung ausgefiihrt bzw. dieser oder jener Kultgegenstand benutzt wird'*.

Versuchsweise ließe sich formulieren: Ätiologiezwang für örtlich gebun¬

dene Formen von Kult ist im christlichen Ägypten als altägyptische Konti¬

nuität anzusehen. In diesem Rahmen des Anschlusses an altägyptische

Traditionen wäre auch die Transformation des Doppelsiegmythos in die

ägyptische Märtyrerlegende zu beurteilen".

4. Schlußbemerkung

Viele Momente altägyptischer Tradition im ägyptischen Christentum

ließen sich hier noch aufzählen; eirüge Bereiche wurden überhaupt nicht

angesprochen'*. Hier sei nur kurz auf den interessanten Bereich der Über-

" Deutlich herausgearbeitet von Baumeister: op. cit., S. 172 f „Die Legenden

des koptischen Konsenses sind Kultätiologien, die dazu dienten, einem Ort den

Martyrerkult zu sichern" (aaO 172).

Zu den mythischen Texten mit ätiologischen Elementen in den Tempeln von

Kom Ombo, Edfu und Esna s. die Tübinger Dissertation von Heike Sternberg:

Mythische Motive und Mythenbddung in den ägyptischen Tempeln und Papyri der grie¬

chisch-römischen Zeit. Tübingen 1983 (demnächst in: Göttinger Orientforschungen.

IV. Reihe: Ägypten).

" Zu dieser Transformation s. Wolfgang Schenkel: Kultmythos und Märty¬

rerlegende. Zur Kontinuität des ägyptischen Denkens. Wiesbaden 1977 (Göttinger Orientforschungen. IV. Reihe: Ägypten. 5), insbes. S. 121-132 (Kap. III: Die Trans¬

formation des Kultmythos in die Märtyrerlegende). Die Bedenken, die C. D. G.

Müller in seiner Rezension zu diesem Buch (OC 63 (1979), S. 221-224) geäußert

hat, werden dann hinfällig, wenn man Schenkels Überlegungen in den hier vor¬

gelegten historischen Rahmen einordnet.

So. z.B. der Bereich der Ikonographie; dazu s. letzthin Edda Bresciani:

Dall'Egitto ellenistico aU'Egitto cristiano: l'ereditd faraonica (Riassunto). In: Corsi di

Cultura sull'Arte Ravennate e Bizantina 28 (1981), S. 21-30. Zum Bereich des

ägyptischen Totenwesens s. den wichtigen Aufsatz von M. Krause, der o. Anm. 31

genannt wurde. Bewußt ausgespart wurde der Bereich der Beeinflussung gnosti¬

scher Gruppen und Systeme durch ägyptische Traditionen, da hier von der Durch¬

setzung des „orthodoxen" Christentiuns (und seiner Fortsetzung im koptischen Christentum) die Rede war; Gedanken zu diesem Bereich bei Gertrud Thausing:

AÜägyptische Gedanken in der Gnosis. In: Kairos N.F. 15 (1973), S. 116-122. Zur

möglichen Beeinflussung gnostischer Gruppen und Systeme durch ägyptische Tra¬

ditionen, aber auch allgemein zur hier behandelten Thematik ist nunmehr auf einen

(21)

nähme weisheithcher Traditionen des alten Ägypten hingewiesen". Das

Ziel meines Beitrages war allerdings nicht ein Katalog oder eine Phänome¬

nologie altägyptischer Elemente im ägyptischen Christentum, sondern

vielmehr eine differenzierende Strukturierung von Übernahme- und Konti¬

nuitätsphänomenen - eine Strukturierung, die sich in der weiteren For¬

schung zur „Kontinuität im Übergang" bewähren muß. Der vorliegende

Versuch wird, so hoffe ich, zu einem genaueren und besseren Verständnis

des Traditionszusammenhanges pharaonisches/christliches Ägypten bei¬

tragen und die Ablösung der pharaonischen Religion gerade durch das

Christentum plausibler machen.

Mit den hier vorgelegten Ausführungen soll aber nicht etwa der Gedanke

verfolgt werden, daß in Ägypten alles beim alten geblieben wäre: Die

Diu"chsetzung des Christentums in Ägypten in Verbindung mit der Einglie¬

derung des Landes in das römisch-byzantinische Imperium bringt eine

neue Gestalt Ägyptens hervor, deren richtige historische Erfassung aller¬

dings nicht nur von der exakten Beschreibung des Neuen, Änderen

abhängt, sondern ganz entscheidend auch von der Erkenntnis des Älten,

das im Neuen aufgehoben ist.

Beitrag zu verweisen, der mir bei der Ausarbeitung dieser Ausfiihrungen noch nicht

zur Hand war, nämlich auf Torgny Säve-Söderbergh: The Pagan Elements in

Early Christianity and Gnosticism. In: Colloque intemational sur les textes de Nag Hammadi (Quebec, 22-25 aoüt 1978). Quebec und Louvain 1981 {Bibliotheque Copte

de Nag Hammadi. Section „Etudes". 1), S. 71-85. Säve-Söderbergh begegnet

der Möglichkeit von Beeinflussungen mit großer Zurückhaltung. Seine Skepsis

gegenüber bisher vorgetragenen Ableitungen zu diesem Thema ist zwar teilweise berechtigt, erscheint mir aber auf dem Hintergrund des hier vorgestellten Interpre¬

tationsrahmens als zu prinzipiell.

Zum Bereich der Weisheitstraditionen s. Theofried Baumeister: DieMen-

talität des frühen ägyptischen Mönchtums. Zur Frage der Ursprünge des christlichen Mönchtums. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 88 (1977), S. 145-160 (159f; dort

weitere Lit.). Ergänzend ist auf den Beitrag zum Thema von Emma Brunner-

Teaut hinzuweisen: Weiterleben der ägyptischen Lebenslehren in den koptischen Apophthegmata am Beispiel des Schweigens. In: Studien zu altägyptischen Lebensleh¬

ren. Hrsg. V. Erik Hornung und Othmar Keel. Freiburg (Schweiz) - Göttingen

1979 (Orbis Bibhcus et Orientalis. 28.), S. 173-216.

Das Weiterleben weisheitlicher Traditionen in der christlich-ägyptischen

(Mönchs-) Ethik ist das Thema von Untersuchungen im o. Anm. 5 genannten Hei¬

delberger Projekt.

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