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Phonologie und Morphologie des Umlauts im Deutschen

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Richard Wiese

Phonologie und Morphologie des Umlauts im Deutschen

Der Vokalumlaut im Deutschen ist ein klassisches Problem der Phonologie, weil ein selbst völlig reguläres Phänomen der Vokalalteraation so sehr von morphologischen Bedingun- gen abhängig ist, daß es nach vielen Theorien nicht mehr als Gegenstand der Phonologie zu betrachten ist. Der Umlaut wird in dieser Arbeit als ein autosegmental angeordnetes Merkmal [+ vorn] aufgefaßt, das in allen Stämmen, die am Umlaut beteiligt sind, existiert und mit dem Stammvokal assoziiert werden kann. Diese Konstellation ist das Ergebnis einer Reanalyse des Umlauts im Althochdeutschen, wo der Umlaut eine von finalen /- Lauten dominierte Vokalharmonie bildete. Der Vorteil dieser Analyse gegenüber anderen in der Literatur vorgeschlagenen ist, daß sie sowohl die phonologische Regelhaftigkeit wie die Morphologisierung des Umlauts adäquat erfassen kann. Diakritische Merkmale zur Behandlung der Ausnahmen vom Umlaut erweisen sich als überflüssig, wenn lexikalische Idiosynkrasien als solche im Lexikon notiert werden.1

L Phonologie oder Morphologie des Umlauts?

Die Phonologie als die Theorie der Lautfonn der Sprache hat Antworten auf zwei Grundfragen zu entwickeln: die nach der angemessenen phonologischen Repräsentation und die nach der Stellung der phonologischen Komponente im Gesamtaufbau der Grammatik. Beschreibungen einzelner Sprachen oder Phä- nomene dienen in theoretischer Perspektive vor allem der Validierung von Vor- schlägen, die zu diesen beiden Grundfragen vorgelegt worden sind.

Unter der Frage nach der phonologischen Repräsentation wird in neueren Arbeiten eine Reihe von Ideen diskutiert, die die klassische Auffassung von der phonologischen Repräsentation als einer linearen Kette von Segmenten (Merk- malsbündeln) zugunsten einer multilinearen Struktur erweitern.

Diese Struktur besteht aus einer Vielzahl von Schichten, auf die die phonolo- gische Information verteilt ist. Assoziationslinien zwischen den Schichten si- chern den Zusammenhang der phonologischen Teilinformationen. Beispiele für solche multilinearen Strukturen werden unten geliefert. Die multilineare Reprä- sentation ist besonders am Beispiel der Töne (s. etwa Goldsmith 1976), der Vokalharmonie (van der Hülst 1985), der Silbenstruktur (Clements/Keyser 1983, Wiese 1986b für das Deutsche) und der nichtverkettenden Wortbildung (McCarthy 1981) eingehend ausgearbeitet und begründet worden.

l Ich danke Elke Ronneberger-Sibold, Jörge Hankamer, Sebastian Löbner, Wolf Thümmel und Dieter Wunderlich für wertvolle Hinweise.

Zeitschrift für Sprachwissenschaft 6,2 (1987), 227-248 Vandenhoeck & Ruprecht, 1987

ISSN 0721-9067

(2)

Die zweite Grundfrage der Phonologic betrifft, wie erwähnt, die Einbettung der Phonologic in die Grammatik. Hier ist insbesondere umstritten, ob die Laut- struktur völlig autonom von anderen Komponenten zu beschreiben ist oder ob auch Interaktionen zwischen Syntax und Wortstruktur einerseits und Phonolo- gic andererseits angenommen werden sollen. Im klassischen Strukturalismus und auch in den verschiedenen Varianten der Natürlichen Phonologic (z.B.

Donegan/Stampe 1979, Wurzel 1980, Dressler 1984) wird die Phonologic, teil- weise aufgrund prinzipieller methodologischer Festlegungen, als weitgehend au- tonom von Wortbildung und Syntax aufgefaßt. Phänomene, an denen offen- sichtlich die Wortbildung beteiligt ist, werden dann der Morphophonologie oder Morphologie zugeordnet und von der eigentlichen Phonologie streng getrennt.

In einer anderen Sichtweise, die auch die der generativen Grammatik ist, gehö- ren zur Phonologie sowohl die wortstrukturunabhängigen wie die abhängigen Regularitäten. Eine neuere Variante dieser Auffassung, die sogenannte Lexikali- sche Phonologie (Kiparsky 1982, 1985; Kaisse/Shaw 1985), wird in §5 vorge- stellt.

Die beiden skizzierten Grundpositionen machen unterschiedliche Aussagen dazu, was als Gegenstand der Phonologie zu gelten hat. So wird in der Natürli- chen Phonologie (wie auch im klassischen Strukturalismus) ein phonologischer Prozeß, der nur durch bestimmte Morpheme ausgelöst oder auf bestimmte Mor- pheme beschränkt ist, nicht als phonologisch im eigentlichen Sinne betrachtet.

Für solche Phänomene nimmt man eine eigene Komponente, die Morphopho- nologie, an oder weist sie völlig der Morphologie, d.h. der Wortbildung, zu.

In diesem Papier soll gezeigt werden, daß die Analyse des Umlauts im Deut- schen einiges zu den aufgeworfenen Fragen beitragen kann. Umgekehrt gewinnt auch die Untersuchung des Umlauts durch das Heranziehen neuerer theoreti- scher Konzepte aus der Phonologie (und Morphologie). In bezug auf das Reprä- sentationsproblem gilt, daß Umlaut (wie die verwandten Phänomene der Vokal- harmonie) als ein Merkmal auf einer eigenen Schicht zu repräsentieren ist (s. §3).

Zur Autonomiefrage kann man schon hier sagen, daß der Umlaut im Deutschen eines der Phänomene ist, denen in der Literatur der phonologische Charakter abgesprochen wird. Siehe dazu etwa Wurzel (1980: 936): „Der Umlaut ist trotz seiner partiell (bei den Monophthongen) erhaltenen lautlichen Systematik eine morphologische Erscheinung." (Wurzel 1984:660 nimmt dieses Urteil teilweise zurück.) Diese Loslösung des Umlauts von der Phonologie ist, wie im folgenden gezeigt wird, weder erforderlich noch zweckmäßig. Eine alternative Analyse setzt allerdings voraus, daß die Phonologie sowohl innerhalb wie außerhalb des Lexikons einen Platz erhält.

(3)

Phonologic und Morphologie des Umlauts im Deutschen 229 2. Die Phonologie des Umlauts

Den Umlaut als einen genuin phonologischen Prozeß anzusehen, ist deshalb erstrebenswert, da es sich um einen ganz regulären und einfachen Prozeß han- delt. Umlaut ist immer die Frontierung eines nicht-vorderen Vokals. Diese einfa- che, aber nicht selbstverständliche Feststellung soll im folgenden begründet wer- den. Die im Umlaut alternierenden Vokale sind in Tabelle (1) dargestellt. Für die langen und kurzen Monophthonge ist die Annahme, daß der umgelautete Vokal das vordere Gegenstück zu einem hinteren Vokal ist, relativ unproblematisch.

Einzig im Falle der Alternation von /a/ vs. / / könnte diese Beschreibung bezwei- felt werden. Daß /a/ kein vorderer Vokal ist, zeigen aber auch andere phonologi- sche Regularitäten wie etwa die [x]/[c]-Alternation. /a/ gruppiert sich hier eben- falls mit den hinteren Vokalen /u/ und /o/, auf die [x] folgt, während sonst [9]

erscheint. (Loch - Löcher verhält sich wie Bach - Bäche.) (1) hinten vorn

[u:]/[u] - [y:]/[y] (Buch - Bücher, Hund - Hündin) [o:]/[o] - [0:]/[oe] (Ton - Töne, Tonne - Tönnchen) [a:]/[a] - [ :]/[ ] (Pfahl - Pfähle, Bach - Bäche)

! [au] - [oy] (Baum - Bäume)

Der einzige der drei Diphthonge /ai/, /au/ und /oy/2, der an der Umlautalterna- tion beteiligt ist, ist /au/ wie in Baton - Bäume oder kaufen - käuflich. Die Frage ist, wie sich dieser Diphthong-Umlaut in die oben festgehaltene Regularität

; (Umlaut ist Frontierung) einordnet. Bei einer monosegmentalen Auffassung der . i. Diphthonge (s. etwa Werner 1972) muß eine Beschreibung gewählt werden, die /-.' keine Beziehung zu der Umlautregularität für Monophthonge hat. Nach einer i anderen Auffassung (Wurzel 1970, 1980) werden die beiden Segmente des Di-

| phthongs /au/ getrennt umgelautet. Allerdings ist auffällig, daß die Umlautung . i des zweiten Segments (also des Gleitlauts) völlig regulär ist: /u/ wird zu dem vor- .,,- deren Gegenstück /y/. Wenn man annimmt, daß dies die eigentliche Umlautal- . l ternation bei den Diphthongen ist, erklärt sich sofort, warum die übrigen Di- ._", j phthonge (/ai/ und /oy/) nicht am Umlaut beteiligt sind: Sie besitzen kein zwei-

! tes Segment, das in die Reihe der hinteren Vokale gehört. Zum Wechsel von /a/

' i und /o/ im Paar /au/ vs. /oy/ kann man sich der Auffassung Kloekes (1982:

.; 17) anschließen, der hier eine spezielle Rundungsassimilation sieht. Der erste ''' ! Vokal (/a/) paßt sich hinsichtlich der Rundung an den folgenden an. Die Ablei-

tung verläuft also in den Schritten [au] -» [ay] -* [oy].

2 Die phonetische Form der Diphthonge notiere ich als [ai], [au] und [oy], also mit einem nichtsilbischen zweiten Segment. Aus der Nicht-Silbigkeit ergibt sich auch die nied- rigere Position der Segmente. Für dieses rein phonetische Realisierungsphänomen ist aber keine phonologische Angabe wie /ae/ oder /OB/ erforderlich.

(4)

Damit ist gezeigt, daß die Umlautalternation selbst völlig regulär ist. Sie be- steht immer in der Zuweisung des Merkmals [-f vorn] an hintere Vokale, und zwar an die Vokale, die in ihrem Wortstamm als letzte stehen. Insofern ist Um- laut auch im modernen Standarddeuisch eine reguläre Erscheinung ohne jede Ausnahme. Die von vielen Autoren (s. besonders Wurzel 1980, 1982; Lieber 1981) behauptete Morphologisierung kann sich also nicht auf den Umlautpro- zeß selbst beziehen. Das Merkmal [vorn] (und nicht [hinten]) wird hier verwen- det, weil es dann möglich ist, die „hinteren" Vokale einschließlich /a/ als [— vorn]

zu charakterisieren.

3. Umlaut im Althochdeutschen als Vokalharmonie

Die nächste zu beantwortende Frage ist, wie die Frontierung in der phonologi- schen Repräsentation darzustellen ist. Die Auffassung der „klassischen*4 gene- rativen Phonologic dazu ist, eine Umlautregel anzunehmen, die bestimmten Vokalen das Merkmal [+ vorn] (oder [— hinten], s. unten) zuweist beziehungs- weise den Wert des Merkmals [vorn] verändert (s. die zusammenfassenden Re- geln bei Wurzel 1970:163 und Kloeke 1982:219). Eine andere Perspektive ergibt sich jedoch, wenn man berücksichtigt, daß der Umlaut zumindest historisch gesehen ein Prozeß der Vokalharmonie ist. Die sprachgeschichtliche Quelle des neuhochdeutschen Umlauts ist ein Prozeß der Vokalassimilation im Althoch- deutschen, wonach ein i-Suffix oder ein f-Laut im Stamm (silbisch oder nicht- silbisch) die Frontierung des vorangehenden Vokals bewirkt, wie in (2) darge- stellt. Die althochdeutsche Orthographie verzichtet in der Regel auf die Markie- rung des Umlauts, wie allophonische Alternationen in der Schrift im allgemei- nen vernachlässigt werden. Der Klarheit halber schreibe ich hier die Umlaut- markierungen auch dann, wenn die orthographische Repräsentation davon ab- weicht. Für eine klare Analyse des Zusammenhangs von Phonologisierung des Umlauts und der Änderung in der Orthographie siehe Twaddell 1938. Irrelevant für den gegebenen Zusammenhang ist auch die angemessene Darstellung der übrigen Segmente.

(2) a. gast gesti . b. zahar zeheri, zehiri 'Gast' 'Gäste' Träne' 'Tränen' mäht mehti tag tegelih 'Kraft' 'Kräfte' 'Tag' 'täglich' faran ferit apful epfili 'fahren' 'fährt' 'Apfel' 'Äpfel' holz hölzir nagal negili .IHolz' 'Hölzer' 'Nagel' 'Nägel'

Diese zunächst rein allophonische Alternation ist eine Vokalharmonie, die sich,

(5)

.Phänologie und Morphologie des Umlauts im Deutschen 231 wie die Beispiele in (2 b) zeigen, auch auf mehr als einen Vokal erstrecken kann; s.

Braune (1967:27). In diesen Fällen gibt es auch die Möglichkeit, daß ein unmit- telbar vorangehender Vokal vollständig die Merkmale des finalen /i/ annimmt, siehe zehin und andere in (2b) nach Braune (1967:67 f.). Die Vokalharmonie ist mittels einer autosegmentalen Repräsentation des Harmoniemerkmals [-hvorn]

darzustellen. (Ähnliche Vorschläge für die autosegmentale Darstellung des Um- lauts finden sich bei Wunderlich 1985 und Lodge 1986.) Für die Anwendung des Umlauts im Althochdeutschen ist außerdem noch das Merkmal [+hoch] erfor- derlich, da nur /i/, nicht aber /e/, den Umlaut bewirkt.

Die Begründung für diese Darstellung ist identisch mit der, die für Vokalhar- monie in anderen Sprachen gegeben wird (siehe neben vielen anderen Darstel- lungen für eine explizite Verteidigung van der Hülst 1985): Ein Merkmal (F,) mit einem Skopus über mehrere Segmente (also ein suprasegmentales Merkmal im klassischen Sinne) ist am natürlichsten als eine Einheit auf einer eigenen Schicht zu repräsentieren, wobei es mit allen relevanten Segmenten (hier X) assoziiert wird. In der Regel ist der Skopus eines autosegmentalen Merkmals auf eine bestimmte Domäne, etwa das Wort, beschränkt.

) S

N., l

: Y X Z ;

Wort

Für den Umlaut im Althochdeutschen gilt neben diesen generellen Eigenschaf- ten harmonischer Prozesse, daß es sich um einen gerichteten, rechtsdominanten Prozeß handelt (siehe Halle/Vergnaud 1981 für die Klassifizierung in gerichtete und ungerichtete Vokalharmonien, ebenfalls van der Hülst/Smith 1985). Das Umlautmerkmal innerhalb eines Wortes wird im Althochdeutschen von rechts nach links ausgebreitet, niemals umgekehrt. Daß die althochdeutsche Umlau- tung alle Vokale in ihrer Domäne betrifft, erweist sich auch am Umlaut in Di- phthongen. Da sich uo und üö, ou und öü, in und iü gegenüberstehen, wird deutlich, daß jeder nicht-vordere Vokal von der Umlautung erfaßt werden kann.

Eine kleine Komplikation der Fakten im Althochdeutschen ergibt sich aus der Umlautung von /a/: Es alterniert manchmal mit/ / (im sogenannten Sekundär- umlaut), ansonsten aber mit /e/ (s. Penzl 1949: 226). Ich will annehmen, daß im letzteren Fall neben der Umlautung eine Hebung wirksam ist, die / / zu /e/

macht. Diese Hebung existiert unabhängig vom Umlaut. Die Umlautung ist danach auch im Althochdeutschen immer eine Frontierung. Penzl (1949: 226) scheint ebenfalls dieser Ansicht zu sein. Die hier vorzuschlagende Analyse soll für den Primär- wie den Sekundärumlaut gelten. Unabhängige Faktoren sind dafür verantwortlich, daß Primärumlaut über bestimmte Konsonantencluster (/ht/, /hs/) hinweg nicht oder nicht immer erfolgte, und daß die Hebung von / / zu /e/ beim Sekundärumlaut ausblieb.

Abgleichen wir mit der autosegmentalen Analyse die in (4) dargestellte lineare (aus Wurzel 1982a: 60, s. auch King 1971:20). Diese Regel bringt zwei Probleme

(6)

mit sich, die für die autosegmcntale Behandlung nicht bestehen. Erstens scheint der Umlaut zwar eine Assimilation zu bilden, aber eine über dazwischenst eh en- de Konsonanten hinweg, eine Fernassimilation, die phonetisch nicht motiviert werden kann, obwohl es sich hier nach Wurzels Auffassung um eine Natürliche Phonologische Regel (NPR), also um eine phonetisch motivierte, handelt. Zwei- tens erfaßt die Regel (4) nicht die Wörter mit mehreren umgelauteten Vokalen, siehe die Beispiele in (2b). Auch eine iterative Anwendung der Regel von rechts nach links kann nicht alle diese Fälle erfassen, weil ein /i/ eben nur am Ende der Wörter vorliegt.

-konsl

(4) [H-silb] -> [-hinten] / _ KJ 4-hoch

L+vornJ

Bevor eine genauere Formulierung der Regel für den althochdeutschen Umlaut vorgenommen werden kann, ist die Struktur von Segmenten überhaupt zu dis- kutieren. Die Umlautung liefert in jedem Fall ein Argument dafür, daß Segmen- te (Phoneme) als Merkmalskomplexe aufzufassen sind. Wenn man Segmente als unanalysierbare Einheiten auffaßt, ist der Umlaut eine zufallige Erscheinung, die sich für jeden Vokal unabhängig wiederholt. Daß die umgelauteten Vokale in einer systematischen Beziehung zu ihren Gegenstücken stehen, muß als ein blo- ßer Zufall betrachtet werden. Verwickelter ist die Frage, wie dieses Merkmals- bündel darzustellen ist. Die Theorie des Strukturalismus und der klassischen generativen Phonologic interpretierte das Segment als ein ungeordnetes Merk- malsbündel.

Die oben begründete autosegmentale Repräsentation verläßt diesen Rahmen, beantwortet aber nicht die Frage, wieweit von der klassischen Vorstellung abzu- weichen ist. So könnte entweder nur das Merkmal [+vorn] oder jedes einzelne phonologische Merkmal auf einer eigenen Schicht zu repräsentieren sein. Alle denkbaren Modelle können hier nicht diskutiert werden. Es läßt sich aber beob- achten, daß auch andere segmentale Merkmale in bestimmten Fällen einen Sko- pus über mehr als ein Segment besitzen. So breiten sich in Assimilationsprozes- sen Merkmale des Artikulationsortes (althochdeutscher Umlaut), der Rundung (siehe oben für Diphthonge) oder z.B. der Stimmhaftigkeit auf die Positionen von zwei (oder mehr) Segmenten aus. Eine Situation wie in (3) gilt also prinzi- piell für vielleicht alle phonologischen Merkmale. Diese Fakten sprechen dafür, daß das Segment eine reich strukturierte Kategorie ist. Ein bemerkenswertes Modell dafür ist das von Clements (1985: 229), das in (5) dargestellt ist. Es enthält eine eigene Schicht für jedes Merkmal, unter Umständen mit verschiede- nen Merkmalswerten auf einer Schicht {etwa einer Sequenz [+vorn] [—vorn]).

Darüber hinaus sind die Merkmale baumartig angeordnet, entsprechend der Hypothese, daß bestimmte Merkmale (etwa alle des Artikulationsortes) engere Beziehungen zueinander haben als zu anderen Merkmalen. Sie können auch alle gemeinsam an einem Assimilationsprozeß beteiligt sein. Die Begründung für die

(7)

Phonologic und Morphologie des Umlauts im Deutschen 233 obersten Knoten in dieser Segmentdarstellung, die Klassenknoten, ergibt sich für die C- und V-Knoten (die Segmentpositionen im Gegensatz zu den Segmen- ten) aus phonotaktischen Regularitäten (s. Wiese 1986 b) und für die Knoten auf der sogenannten Wurzelschicht aus der Beobachtung, daß von manchen Prozes- sen das Segment als ganzes betroffen ist. Ein Beispiel dafür wurde oben vorge- stellt, nämlich die Totalassimilation des mittleren Vokals in Wörtern wie epfili.

Merkmale wie [+ vorn] bilden die Einträge auf den terminalen Schichten, (5)

4 e'

Bezeichnungen der Schichten in (5): aa' = Wurzelschicht, bb' = Laryngalschicht (Kehl- kopfmerkmale), cc' = Supralaryngalschicht (Mund- und Rachenraum), dd' = Schicht der Artikulationsart, ee' = Schicht des Artikulationsortes

Diese Darstellung der segmentalen Merkmale erklärt auch direkt, warum an phonologischen Assimilationen nicht beliebige Kombinationen von Merkmalen beteiligt sind (Lenerz 1985). Die Ausbreitung der Assoziationslinien kann im- mer nur ein einzelnes segmentales Merkmal oder einen darüberliegenden Klas- senknoten betreffen. Unter Verwendung dieses Modells ist die althochdeutsche Umlautung mit Regel (6) zu beschreiben. Die Regel besagt, daß sich das Merk- mal [-4-vorn] auf vorangehende Positionen auf der Ortsschicht ausbreiten kann, wenn es im Wort final ist und gleichzeitig das Merkmal [-h hoch] dort existiert.

Die gestrichelten Assoziationslinien sind die durch die Ausbreitung neu einge- führten. Die in (2b) illustrierte totale Assimilation der mittleren Vokale ist die generelle Version der Umlautregel, bei der nicht das eine Merkmal [+vorn], sondern der gesamte Merkmalskomplex des finalen Vokals ausgebreitet wird, wie in (7) dargestellt.

(8)

(6) Althochdeutscher Umlaut Ortsschicht \

" JWort

'" V\ l [+vorn][-phoch]J

v

(7) Allhochdeutsche Vokalassimilation Wurzelschicht Supralaryngalschicht Ortsschicht

•f vorn

JJwort I m Gegensatz zu (6) betrifft (7) nur das unmittelbar benachbarte Segment und ist offenbar eine optionale Regel. Dadurch erklären sich auch Paare wie zehiri - zehcri. Im übrigen gilt die generelle Konvention, daß neu eingefügte Assoziatio- nen die eventuell vorhandenen alten Werte der Merkmale überschreiben. Nach Goldsmith (1985:258) gilt dies für alle autosegmentalen Prozesse, sofern sie wie hier in morphologischen Domänen stattfinden.

4. Von der Vokalharmonie zum Umlaut

Die Umlautalternation bekam in dem Augenblick einen anderen Charakter, als die generelle Tendenz zur Vokalreduktion (etwa beim Übergang vom Althoch- deutschen zum Mittelhochdeutschen) in Endsilben das /i/ bzw. /j/ verschwinden ließ.3 Aus zahari wird Zähren, aus gesii Gäste. In diesem Moment wird auch der Umlaut in vielen Wörtern zum primären und einzigen Träger der morphologi- schen Information. (Wunderlich 1985 nimmt an, daß aus diesem Grund der Umlaut erhalten geblieben ist; die morphologische Markierung ist kongruent zu einem phonologisch markierten Vokal, s. auch Wurzel 1984 für eine Analyse der Markierungsverhältnisse.)

Während im Althochdeutschen das Merkmal [4-vorn] von dem i-Laut gelie- fert wird, ist es in späteren Stadien nur noch durch den Umlaut auf der Oberflä- che sichtbar. Damit erhebt sich die Frage, wie die phonologische Repräsentation nach dem Verschwinden der /-Suffixe und sonstigen finalen /-Laute beschaffen ist.4 Wenn wir davon ausgehen, daß die Vokalreduktion in den Suffixen phono- logisch als ein Abkoppeln der Vokalpositionen von den phonologischen Merk- malen zu beschreiben ist (s. auch Lodge 1986, wie in §8 dargestellt), verändert

3 Wurzel (1982: 60) nimmt an, daß der Ausgangspunkt für die Morphologisierung nicht die Reduktion der finalen /-Laute, sondern ein Formenausgleich ist, wonach in allen Singularformen der Umlaut verschwindet, auch wenn ein /-Suffix vorliegt. Für die Argu- mentation hier ist wohl nicht entscheidend, womit die Morphologisierung begann.

4 iireinigen Wortbildungsprozessen, etwa bei -ig (gläubig) und -lieh (täglich), ist das /i/

erhalten geblieben. Ich gehe davon aus, daß dies keinen Einfluß auf die Analyse hat.

(9)

Phonologic und Morphologie des Umlauts im Deutschen 235 sich gesti in der in (8) illustrierten Weise. (Die im vergangenen Abschnitt einge- führte komplexe Segmentrepräsentation wird im folgenden meistens abge- kürzt.)

(8) [-{-vorn] [+vorn]

[gastV] [gastV]

- /

Damit ist die Grundlage gegeben zu einer Reanalyse der Wortformen: Das Har- moniemerkmal, das bisher zugrundeliegend Teil des Suffixes war, wird jetzt als - i ein Teil des Stammes aufgefaßt. Alle umlautenden Stämme tragen ein autoseg- - l mentales Merkmal [4-vorn], das unter bestimmten Umständen an einen Stamm- - · ( vokal assoziiert wird. Auslöser für die Umlautung ist nach wie vor eine morpho-

- 1 logische Operation wie die Pluralbildung. Die (synchronische!) Ableitung für

• : | Gäste ist etwa die in (9) gezeigte. Der Einfachheit halber nehme ich hier an, daß

• das Schwa-Suffix in Gäste ein leeres V ist. Für eine genauere Analyse vergleiche l Wiese (1986a).

! (9) [H-vorn] [H-vorn] [+vorn]

—» —> / [gast] [[gast] -f V] [gast -h V]

Lexikalischer Pluralaffix Umlautassoziation Eintrag

: ' 5. Umlaut per Assoziation als lexikalische Regel

! Wie die bisher aufgeführten Beispiele verdeutlicht haben, erscheint Umlaut in

> . ! einer Reihe von Fällen, und zwar als Alternation nur in Zusammenhang mit

>.'.·*; ! \Vortbildungsprozessen. Wenn man die Wörter mit nichtalternierendem Um- -·· i lautvokal (Glück, schön, Käse etc.)5 für einen Augenblick vernachlässigt, läßt ..fr ' sich festhalten, daß das Umlautphänomen immer durch einen Wortbildungs- ...·.! prozeß ausgelöst wird. Der Wortbildungsprozeß kann von unterschiedlichster ,f« ' Art sein; es muß sich auch nicht immer um Affigierung handeln ( Vogel - Vögel, ... ; Bruder - Brüder), und es sind zwar viele, aber nicht alle Wortbildungsprozesse

beteiligt.

5 Zum letzten Wort vergleiche aber Kasein. Es ist selbstverständlich möglich, anzuneh- men, daß Käse für manche Sprecher des Deutschen zu den alternierenden Wortstämmen gehört, für andere Sprecher aber nicht. Solche lexikalische Variation ist geradezu zu erwar- ten. Es ist ein Vorteil der vorgelegten Analyse, daß ein großer Teil der auftretenden Varia- tion sich aus unterschiedlichen lexikalischen Einträgen ergibt.

(10)

Wie besonders Wurzel (1970, 1984) herausgearbeitet hat, kann man drei Gruppen von Wortbildungsprozessen unterscheiden: die umlauterzwingenden, die umlautbewirkcndcn und diejenigen, die niemals einen Umlaut hervorrufen.

Zur ersten Gruppe gehört das Plural-Suffix -er wie in Wurm - Würmer, zur umlautbcwirkcndcn alle übrigen bisher aufgeführten Wortbildungsprozesse. Ei- ne dritte Gruppe von Suffixen wie -heil, -bar und der Plural auf-.? löst dagegen nie den Umlaut aus. Die Unterscheidung von umlauterzwingenden und Umlaut- bewirkenden Suffixen ist aber wohl nicht so prinzipiell, wie manchmal angenom- men wird. Um zu entscheiden, ob ein Suffix wirklich umlauterzwingend ist, müssen ja alle Wortbildungen mit diesem Suffix abgefragt werden, was Sprecher einer Sprache nicht tun (s. auch §8). Einige der von Wurzel als umlauterzwin- gend klassifizierten Suffixe gehören dementsprechend gar nicht in diese Gruppe, etwa -chen (Onkelchen, Hündchen, Frauchen, Dummchen) und Ge.. .e (Gedanke, Gelaufe). Wahrscheinlich ist es eher zufällig so, daß für einige Suffixe keine Ausnahmen existieren. Dieser Zustand ist aber leicht veränderbar.

5.1. Die neuhochdeutsche Umlautregel

Die zu beantwortende Frage ist, was die umlautbewirkenden Wortbildungspro- zesse in phonologischer Hinsicht bewirken. Nach der im vorangegangenen Ab- schnitt erarbeiteten Lösung für die Repräsentationen ist die Antwort (fast) of- fensichtlich: Das Merkmal [+ vorn] muß mit den übrigen Merkmalen eines Segments assoziiert und dadurch der Realisierung zugänglich gemacht werden.

Präziser ausgedrückt ist die phonologische Konsequenz der umlautbewirkenden und der umlauterzwingenden Wortbildungsprozesse das Auslösen einer Asso- ziation innerhalb des Wortstammes, die folgendermaßen paraphrasiert werden kann: * Assoziiere [+vorn] von rechts nach links mit dem ersten passenden Seg- ment, wenn das Wort morphologisch komplex ist'.

Etwas formaler ausgedrückt werden kann diese Umlautregel in der Struktur (10), wobei gilt, daß der Knoten auf der Ortsschicht von der rechten Wortgrenze aus der erste geeignete ist. Die durch die Regel eingeführte Assoziation wird gestrichelt gezeichnet. Durch die zwei Klammern in der Regel wird sicherge- stellt, daß die Umlautregel nur im Kontext einer Wortbildungsoperation anzu- wenden ist (siehe zur weiteren Begründung auch die Bemerkungen unten). Falls das Merkmal [vorn] nur für Vokale, nicht aber für Konsonanten gilt, ist die Formulierung (10) hinreichend. Anderenfalls muß in die Regel noch eine Be- schränkung eingebaut werden, derzufolge nur vokalische (oder nicht-konsonan- tische) Merkmale Landeplatz sein können. Da höhere Ebenen der phonologi- schen Repräsentation in dieser Regel nicht berücksichtigt werden, kann der zweite Vokal in einem Diphthong (Baum - Bäume) von der Umlautung ebenso erfaßt werden wie jeder finale Vokal in silbischer Funktion. In (10) ist X eine Variable für die Segmente eines Suffixes; X kann auch leer sein. Dann liegt eine Nullableitung (der Vogel - die Vögel) vor.

(11)

Phonologic und Morphologie des Umlauts im Deutschen 237 (10) Neuhochdeutscher Umlaut Ortsschicht . - -

[+vorn]J

!

Wort JWort

Regel (10) verdeutlicht, daß der Umlaut keine Vokalhannonie mehr ist; es gibt kein Ausbreiten eines Merkmals über mehrere Positionen im Wort wie im Alt- hochdeutschen, sondern nur noch die morphologisch bedingte Alternation in Gestalt der Realisierung eines Merkmals. Wenn diese Assoziation nicht zustan- de kommt (weil kein entsprechender Wortbildungsprozeß vorliegt oder die As- soziation blockiert wird (s. §6), bleibt das Merkmal [-H vorn] freischwebend („floating") und kann, nach einer generellen Konvention, die auch für viele andere Fälle gilt, nicht realisiert werden.

Die Behauptung, daß der Umlaut immer dem letzten Vokal im Wortstamrn zugewiesen wird, läßt sich aufrechterhalten trotz Wörtern wie größer, Bäcker.

. Väter, in denen offensichtlich der Vokal Schwa auf den Umlaut folgt. Da Schwa , aber das Produkt einer Einfügungsregel ist (s. Wiese 1986 a), brauchen wir nur . anzunehmen, daß die Schwa-Einfügung der Umlautung folgt. Damit ist sicher- I gestellt, daß alle (alternierenden!) Umlautvokale tatsächlich am Ende ihrer Do- I mäne stehen. Wörter wie Pokal vs. *Pökale finden sich im Deutschen nicht, i ebensowenig wie Büro vs. * Büros. Die Umlautassoziation (10) ist eine struktur-

bewahrende Operation im Lexikon, da sie keinen Segmenttyp einfuhrt, der nicht schon in den lexikalischen Repräsentationen enthalten ist. Strukturbewahrung ist eine der Grundeigenschaften von phonologischen Regeln und Repräsentatio- nen im Lexikon (Kiparsky 1985: 87 ff.). Sie bedeutet unter anderem auch, daß nur distinktive Eigenschaften im Lexikon existieren. Diese Beschränkung ist für das Merkmal [+vorn] erfüllt, wie die zahlreichen Minimalpaare zeigen: Tür -

• Tour, Tenne — Tanne, denken - dojtken, schön - schon. Die sogenannte Phonemi- sierung des althochdeutschen Umlauts beim Übergang zum Mittelhochdeut- schen besteht nach dieser Konzeption darin, daß [4- vorn] von einem postlexika- lisch zugewiesenen Merkmal zu einem lexikalischen und distinktiven Merkmal wurde.

Daß die „Regel" (10) an bestimmte Wortbildungsprozesse gebunden ist, spricht ebenfalls dafür, daß es sich dabei um einen Prozeß im Lexikon handelt.

' Die hier vertretene Konzeption des Lexikons sieht dieses als die Liste der Mor-

1 pheme und Wörter und als Ort für die Wortbildungsregeln zur Beschreibung der Bildungsgesetze komplexer Wörter. Die Wörter und Wortbildungsregeln haben schließlich auch Zugriff auf phonologische Regeln, die für einzelne Wortklassen

• oder Wortbildungsregeln gelten. Solche phonologischen gehören zur lexikali-

; sehen Phonologic im Gegensatz zur postlexikalischen Phonologie, in der keine aus dem Lexikon stammenden Beschränkungen möglich sind.6 Ein weiteres 6 Postlexikalische phonologische Regeln des Deutschen sind etwa die Auslau t verhär- l tung. die Zuweisung von Aspiration und die Sonorantenvokalisierung (siehe [ze:gj]). In

• allen diesen Fällen gibt es keine lexikalischen Beschränkungen oder Ausnahmen.

(12)

238

Richard Wiese

Element dieses Lcxikonmodells, der sogenannten Lexikalischen Phänologie, ist die Vorstellung, daß die wortbildenden Prozesse im Lexikon geordnete Blöcke bilden, die Ebenen. Zusammengefaßt ergibt sich damit das Modell (11) für das Lexikon im Deutschen, wenn man der in Wiese (l 986a) verteidigten Vorstellung folgt, daß das Deutsche drei Ebenen im Lexikon erfordert. Zur Ebene J gehört die irreguläre Flexion und die sogenannte Derivation der Klasse I (s. etwa Giege- rich 1985), zur Ebene 2 Derivation der Klasse II und die Komposition, zur Ebene 3 schließlich die reguläre Flexion.

Es ist übrigens nicht möglich, den Umlaut nur einer der drei Ebenen im Lexi- kon zuzuweisen. Die verschiedenen Pluralbildungen auf der Ebene l lösen eben- so den Umlaut aus wie -lieh oder -ig auf Ebene 2. Dagegen wird der Umlaut offen- bar niemals auf Ebene 3 ausgelöst. Die Flexion der schwachen Verben, die hier angesiedelt ist, führt nicht zum Umlaut. Dadurch ergibt sich der Kontrast zwi- schen dem starken Verb laufen (läuft) und dem schwachen Verb kaufen (kauftJ.

Lexikon

Ebene 3 Morphologie (

Da Umlaut wie auch andere lexikalische phonologische Regeln nicht direkt mit den einzelnen, morphologisch definierten Ebenen verbunden sind, wird hier

(13)

Phonologic und Morphologie des Umlauts im Deutschen 239 die Annahme (s. Kiparsky 1982) aufgegeben, daß auch die phonologischen Re- geln in Ebenen zu zerlegen sind. Vielmehr bilden diese Regeln eine einheitliche Komponente. Morphologische Prozesse können aber einzelne Regeln auslösen, was im Grenzfall bedeuten kann, daß eine phonologische Regel nur im Zusam- menhang mit einer Ebene auftritt. Konsequenz dieser Auffassung vom Lexikon ist auch, daß die Ebenen ausschließlich morphologisch definiert sind.7

5.2. Umlaut als lokale Regel

Die strikte Interaktion der Wortbildung mit der Umlautregel und die Begrün- dung für die zwei morphologischen Konstituentengrenzen in der Regelformulie-

| rung (l 0) zeigt sich auch an den folgenden Fakten: Es gibt eine Reihe von Wör-

• lern mit finalem Konsonantencluster, von denen der letzte ein /r/ ist: Kloster,

\ Bruder. Vater, Mutter. Im Gegensatz zu vielen anderen Wörtern repräsentiert

; das /r/ hier kein Suffix, sondern gehört zum Stamm. Weiter kann man annehmen : (s. Wiese 1986 b), daß die zugrundeliegende Form dieser Wörter in etwa /kloistr/

i ist und daß darauf eine Schwa-Einfügung wirksam ist. Sofern die Wörter wie die

! genannten Beispiele einen hinteren Vokal besitzen, kann im Plural Umlaut erfol- I gen: Klöster, Brüder etc. Die Umlautregel (10) ermöglicht die Umlautung, wenn .'; als Repräsentation der Pluralformen (12b) angesehen wird. Diese Strukturen erlauben die Anwendung der Regel (10). Schwa-Einfügung erfolgt anschließend auf Ebene 2 des Lexikons. Die Ableitung von Klöster geschieht also nach den Schritten in (12). Entscheidend ist, daß die morphologische Struktur von Klöster genau der Kontextbedingung von Regel (10) entspricht.

H (12) a. [klostr]N zugrundeliegend

| b. [[klostr]N]Nt + PL Pluralbildung (Ebene 1) l c. [[klöstr]N]N' + PL Umlautung (10) (Ebene 1)

d. [[klöster]N]Nf + PL Schwa-Einfügung (Ebene 2)

l Die Umlautung für Pluralformen findet niemals statt im Falle von Fahrer, i Dampfer etc., die auf den ersten Blick parallel gebildet sind. Hier finden wir , niemals *Fährer und Analoges im Plural.8 Offensichtlich ist die morphologische Komplexität für den Unterschied verantwortlich. Fahrer im Plural muß, in Ana- logie zu Klöster die Struktur (l 3 b) besitzen. Wenn eine Regel immer die gesamte

; zur Verfügung stehende Repräsentation betrachtet, sind die Bedingungen für die

: Anwendung der Umlautung nicht mehr erfüllt, da drei (und nicht zwei) Konsti-

7 Diese Auffassung findet sich auch bei Mohanan (1982) und Pulleyblank (1986);

ausschließlich phonologisch werden die Ebenen bei Sproat (1985) aufgefaßt.

8 Das /r/-Sufllx kann zwar den Umlaut auslosen (Bäcker, Türmer), aber dann liegt keine Pluralbildung vor, sondern das agentive /r/-Sufilx.

(14)

tucntcngrcn7.cn vorliegen. Der Stamm/0/ir in (13) ist nicht mehr für die Umlau- lung zugänglich, wenn die Pluralbildung stattgefunden hat. (Das Suffix -r löst immer die Schwa-Einfugung aus; ihre Reihenfolge im Verhältnis zur Pluralbil- dung ist hier nicht von Bedeutung.)9

(13) a. [fahrjv zugrundeliegend

b. [[fahr]vr]N Nomenablcitung (Ebene 2) c. [[fahr]ver]N Schwa-Einfügung (Ebene 2) d. [([fahr]ver]NJN + PL Pluralbildung (Ebene 2) c. nicht anwendbar Umlaut

Umlautung nach Regel (10) erklärt damit den von mehreren Autoren (Lieber 198K Strauss J982) beobachteten Lokali tätseffek t des Umlauts: Nur dereinem Wortbildungsprozeß unmittelbar vorangehende Stamm kann umgelautet wer- den. Umlautung über ein Suffix hinweg wie in (13) ist ebensowenig möglich wie Umlautung durch ein Präfix. Letztere Behauptung läßt sich aufrechterhalten trotz solcher Paare wie unblutig vs. vollblütig, die für Strauss (1981:135) fur die Umlautung durch ein Präfix (IM- vs. voll·) sprechen. Es spricht jedoch einiges dafür, daß in ersterem Fall das Suffix -ig an Blut tritt (hier tritt exzeptionell kein Umlaut auf, s. §6), während in vollblütig das komplexe Wort Vollblut Basis für die Sufllgierung mit -ig ist. Hier tritt Umlaut ganz regulär auf. Die semantische Interpretation solcher Bildungen spricht wohl ebenfalls für die Strukturen [un[blutig]] vs. [[vollblütig]. Die Lokalitätsbeschränkung für die Umlautung verbietet aber, daß spätere Suffixe einen Umlaut auf Stämmen bewirken, die durch einen früheren Wortbildungsprozeß keinen Umlaut erhalten haben. Das Komparativsuffix -er, das sonst ziemlich regulär Umlaut bewirkt, kann in Wör- tern wie blutiger keinen Umlaut auslösen. Diese Fälle zeigen, daß die an Fahrer studierten Einschränkungen generellen Charakter besitzen.

6. Ausnahmen als Markierungen im Lexikon

Nachdem die wesentlichen Elemente der Umlautanalyse eingeführt sind, kön- nen wir die Frage diskutieren, wie die zahlreichen Ausnahmen zu behandeln sind. Zwei Gruppen sind hier zu unterscheiden: Erstens gibt es Wortbildungs- prozesse, die prinzipiell Umlaut bewirken können, es in einigen Wörtern aber nicht tun, obwohl die Wörter in anderen Ableitungen Umlaut aufweisen. Bei- spiele sind Fahr + er (trotz Back + er und/o'/ir + l), Hund + e (trotz Fuß + e und

9 Die Pluralbildung geschieht hier nur indirekt auf Ebene 2. Tatsachlich bringt das Suffix die Information über die Art der Pluralbildung von Ebene l mit.

(15)

Phonologic und Morphologie des Umlauts im Deutschen 241 Hund + in), Dumm -f dien (trotz StüJil + dien und dumm + er). Zweitens gibt es Stämme, deren phonologische Struktur (hinterer Vokal am Wortende) einen Umlaut zuläßt, die aber niemals an der Umlautalternation partizipieren, so rund, stolz, dumpf, Dackel, Astronaut.IQ Was diese zweite Gruppe auszeichnet, ist oben herausgestellt worden: Ihre phonologische Form besitzt nicht das auto- segmentale Merkmal [+vorn]. Daher kann der Umlaut niemals erscheinen. Die- se „Ausnahmen" sind also direkt in die Form der Lexikoneinträge integriert.

Lexikoneinträge sind der prototypische Ort für idiosynkratische Information.

Daß sich die phonologischen Formen der Wortstämme hinsichtlich eines phono- logischen Merkmals unterscheiden können, ist selbstverständlich.

Zur exzeptionellen Nicht-Anwendung des Umlauts in der ersten Gruppe muß ein Mechanismus vorhanden sein, der die Ausführung der Umlautassoziation (10) blockiert. Bestimmte lexikalisch festgelegte Kombinationen von Stämmen und Wortbildungsprozessen lösen diese Blockierung aus. Hier handelt es sich um echte Ausnahmephänomene. Die Kompliziertheit des Umlauts im Neu- hochdeutschen Hegt wesentlich darin, daß für einzelne Kombinationen von Wort oder Stamm und Wortbildungsprozeß spezifiziert werden muß, ob die Umlau- tung (10) erfolgen soll.

Teil des Lexikonkonzepts der Lexikalischen Phonologic ist, daß im Lexikon neben den Morphemen auch die Produkte der Wortbildung, also komplexe Wörter, gespeichert sein können. Im Streit darüber, ob das Lexikon Morpheme (etwa Aronoff 1976) oder Wörter (etwa Jackendoff 1975) enthält, wird also die Position bezogen, daß beide Einheiten lexikalische Einträge sein können. Wenn nun für bestimmte Wörter, etwa Hunde, Fahrer oder blutig, individuell spezifi- ziert werden muß, daß die Umlautung nicht anzuwenden ist, liegt es nahe, gera- de solche exzeptionellen Wörter als ganze Einheiten in das Lexikon aufzuneh- men. Das Lexikon als der Ort für idiosynkratische Information in der Gramma- tik kann auch diese Einheiten enthalten.

Wenn also ein exzeptionelles Wort wie Fahrer im Lexikon enthalten ist, ein regulär gebildetes wie Läufer dagegen nicht, ist zu fragen, warum in ersterem Fall die Umlautregel (10) nicht angewandt wird. Hier greift nun eine wesentliche Bedingung für die Anwendung aller lexikalischen Regeln, die von Kiparsky (1973, 1982) ausgearbeitete „Elsewhere"-Bedingung.

Die „Elsewhere"- oder „Sonst"-Bedingung regelt das Verhältnis der Anwen- dung von speziellen und allgemeinen Regeln. Es besagt, daß eine allgemeinere Regel genau dann zur Anwendung kommt, wenn keine spezifischere Festlegung

10 Das letzte Wort ist nicht einfach deshalb für den Umlaut unzugänglich, weil es ein Fremd- oder Lehnwort ist. Man vergleiche Europäer und viele Ableitungen auf -dien:

Grämmchen, Büschen. Generell gilt aber wohl, daß Wörter nur nach einer gewissen Zeit das Umlaulmerkmal erwerben können. Das Wort Europäer demonstriert außerdem, daß Umlaut tatsachlich nur den letzten Vokal eines Wortes erfassen kann.

(16)

vorliegt. 1st das aber der Fall, läßt sich die allgemeine Regel nicht mehr anwen- den. Eine präzisere Formulierung der Bedingung wird in (14) im Anschluß an Kiparsky (1982: 136f.) wiedergegeben. ; (14) Zwei Regeln A und D in einer Komponente werden disjunktiv auf eine ! Form angewendet genau dann, wenn gilt: l (I) Die Strukturbeschrcibung von A (der speziellen Regel) ist in der Struk- j turbeschreibung von B (der allgemeinen Regel) echt enthalten. } (II) Das Ergebnis der Anwendung von A auf ist distinkt vom Ergebnis j

der Anwendung von B auf .

In einem solchen Fall wird A zuerst angewandt und B nicht mehr. ; . Die „Elsewhere"-Bedingung ist eine ganz allgemeine Bedingung für die Anwen- l düng von Regeln im Lexikon. Sie gilt für morphologische und phonologische ! ; Regeln gleichermaßen und ist deshalb von großer Bedeutung für den Aufbau des Lexikons. Die Bedingung wirkt in folgender Weise auf die Ausnahmen zur Um- lautregel: Der Lexikoneintrag [hunde] ist eine sehr spezielle Regel, nämlich die l Regel über die phonologische Form des Wortes Hunde. Zum Eintrag gehört die j Information, daß der Stammvokal nicht umgelautet ist.11 Dieser spezielle Ein- trag steht in dem in (l 4) spezifizierten Verhältnis zu der generellen Regel (l 0), die damit den „Elsewhere"-Fall bildet. Kurz gesagt, blockieren im Lexikon spezifi- zierte Einträge von komplexen Wörtern durch die Tatsache ihrer Existenz allein die Anwendung allgemeiner Regeln, wenn die „Elsewhere"-Bedingung als gültig | angesehen wird.

In älteren Versionen der Theorie der generativen Grammatik werden Ausnah- men zu einer Regel häufig durch ein diakritisches Merkmal behandelt (s. etwa Zonneveld 1978). So enthält die Umlautregel in Wurzel (1970:163) ein diakriti- sches Merkmal [-humlautbewirkend] und ein weiteres [+umlauterzwingend].

Die Rolle solcher Diakritika in der Phonologie ist umstritten. Eine wichtige Konsequenz der direkten Speicherung exzeptioneller Formen im Lexikon ist die mögliche Eliminierung diakritischer Merkmale. Eine Wortform, die in irgend- einer Weise exzeptionell ist, muß als solche im Lexikon gespeichert sein - an- dernfalls ist die Ausnahme gar nicht gelernt. Wenn sie aber als Ausnahme gelernt ist, wird durch die „Elsewhere*'-Bedingung allein garantiert, daß nicht anstelle der Ausnahmeform durch die Anwendung der generellen Regel übergenerali- siert, also Hunde, blutig u.a. erzeugt wird.

11. Zu klären ist allerdings, wie ein solcher Eintrag genau aussieht, so etwa, ob das Merkmal [-f vorn] hier getilgt ist, oder ob es ausreicht, wenn in dem Eintrag die Assozia- tion nicht vorhanden ist.

(17)

Phonologic und Morphologie des Umlauts im Deutschen ' 243 7. Lexikalisienmg der Umlautassoziation

«it* j Die Annahme, daß das Umlautmerkmal [-l· vorn] als Teil von Wortformen exi-

| stiert und im Lexikon durch eine Regel assoziiert wird, erlaubt auch eine Erklä-

% | rung für ein weiteres Phänomen: Auch die Assoziation selbst kann in einem : j weiteren Schritt lexikalisiert werden. Dann entwickeln sich Dubletten v/k fallen

?

·

;

j und fällen, dampfen und dämpfen. Der lexikalische Eintrag von dampf ist (l 5 a),

| von dämpf (15b). Der minimale Unterschied ist dafür verantwortlich, daß im b l ersten Wort Umlautalternation möglich ist (siehe Dämpfe), im zweiten dagegen

1 nicht. Die vagen Bedeutungsbeziehungen, die in solchen Wortpaaren erkennbar :~^ j sind, deuten gleichfalls daraufhin, daß hier eine Ausdifferenzierung eines einzi-

^ j gen Lexikoneintrags stattgefunden hat.

S[ ,: j (15) a. [+vorn] b. [+vorn]

.··...," · dampf dampf

«"i- j In anderen Fällen entsteht ein minimaler Kontrast dadurch, daß die eine Wort-

'•^ p form das Umlautmerkmal trägt, die andere nicht. Man vergleiche lauten und

-^.' läuten* entstanden aus einem alternierenden lauten. Die dritte mögliche Form .. des Kontrasts, die zwischen alternierendem und nicht umgelautetem Stamm, i existiert ebenfalls; man vergleiche die Pluralformen von Mutter (Elternteil) mit .iJ .· Mutter (Schraube) oder Bank (Sitzgelegenheit) mit Bank (Geldinstitut). In (16) .·.?. .· ji werden die drei M öglichkeiten der lexikalischen Ausdifferenzierung schematisch ex: ji zusammengefaßt. Diese Darstellung impliziert, daß auch in nichtalternierenden

?:r.' i Wörtern das Merkmal [4-vorn] autosegmental dargestellt ist.

,:..1

..·-· !

" l (16) a. [-hvorn] [-h^vorn] (fallen vs. fallen) ' [ial] [fall

. - i b. [H-vprn] (lauten vs. läuten)

r

J [laut] [laut]

.rr.

!

c. [+vorn] (Banken vs. Bänke)

; [bank] [bank]

! Die Existenz solcher Paare erlaubt es auch, den nichtalternierenden Umlautvo- : kal infär, schön etc. ebenso zu behandeln wie in den Wörtern, die sich aus einem i alternierenden Wort historisch entwickelt haben. Synchroniser! gesehen ist es ein Zufall, daß es zu läuten ein verwandtes Wort lauten gibt, zuför aber nur ein

:

i i nichtverwandtes fuhr.

(18)

8. Schluß: Vergleich zu anderen Theorien

Es ist Ziel dieser Untersuchung, sowohl die phonologisch-regulären wie die lexi- kalisch-idiosynkratischcn Züge des Umlauts herauszuarbeiten. Es kann gezeigt werden, daß die Auffassung des Umlauts als eines genuin phonologisehen Phä- ; nomcns auch im gegenwärtigen Standarddcutsch möglich ist. Es erweist sich als unnötig und unangemessen, den phonologischen Charakter des Umlauts zu ; negieren. Gleichzeitig ist es durch die Zuweisung des Umlauts zum Lexikon und durch die Berücksichtigung der Morphologie-Phonologie-Interaktion möglich, ; der Morphologisierung des Umlauts gerecht zu werden. Im wesentlichen existie- j ren zwei Gruppen von Umlautanalysen, die morphologischen und die phonolo- i gischen. Zu den morphologischen gehören besonders Wurzel (1970) und Lieber ; (1981), zu den (modernen) phonologischen Lodge (1986) und Hamans (1985). i

Lieber (1981:181 ff.) schlägt folgende Analyse vor: Die umlauterzwingenden Suffixe tragen ein Merkmal [+U]. Die umlautbewirkenden Suffixe tragen optio- nal [H-U] oder [—U], die übrigen immer [—-U]. Nachdem Stämme und Suffixe j nach Prinzipien der Wortsyntax zusammengefügt sind, löst [4-U] eine Umlaut- regel '[+silbisch] -> [—hinten] / C° [4-U]' aus. Lieber verlangt von einer Theorie des Umlauts nicht, daß sie die Variation von Fällen wie Hunde - Hündin beschreiben kann, da eine solche Theorie nur die potentiellen Wörter charakteri- sieren soll, nicht aber die zufallig vorkommenden. Man beachte aber, daß in | ihrem System keine Möglichkeit besteht, die niemals umlautenden Stämme zu j markieren. Dazu wäre ein weiteres diakritisches Merkmal erforderlich. · Der erste Unterschied zu den morphologischen Analysen besteht in der hier ! vorgelegten Analyse durch die autosegmentale Behandlung des Umlautmerk- mals. Dadurch kann ein diakritisches (d.h. phonetisch arbiträres, inhaltsleeres) Merkmal [+Umlaut] für die umlautenden Stämme vermieden werden. Gleich- zeitig ist es durch die direktionale Assoziation des Merkmals möglich, den Um- laut an der richtigen Stelle zu plazieren. Wegen der Umlautung des Gleitlauts im Diphthong [au] ist die Regel '[+siibisch] -» [-hinten]' bei Wurzel (1970: 163) und Lieber (1981: 182) nicht korrekt bzw. zu eng.

Im Gegensatz zu Liebers Analyse liefert die hier vorgelegte auch eine Lösung für das folgende von Lieber (l 981:187) gestellte Problem: Warum gibt es niemals Umlaut auf einem Suffix, wenn diesem ein umlautbewirkendes Suffix folgt? In gedanken + los + er, glaub + haft + ig, Wissen + schaff + ler ist ein Umlaut auf -los, -haft oder -schüft niemals möglich. Die Analyse Liebers läßt aber umgelau- tete Suffixe erwarten, während sie hier einfach dadurch ausgeschlossen sind, daß es kein Suffix mit einem autosegmentalen [-hvorn] gibt.

Umlaut besitzt aber trotz aller phonologischen Regularität eine morphologi- sche S_eite, der durch mehrere Elemente Rechnung getragen wird. Erstens beruht Umlaut auf einer phonologischen Regel im Lexikon, die durch Wortbildungs- prozesse ausgelöst wird; zweitens sind Morpheme für die Möglichkeit des Um-

(19)

Phonologic und Morphologie des Umlauts im Deutschen 245 lauts markiert; drittens gibt es lexikalisch festgelegte Ausnahmen, die allein durch ihre Existenz die allgemeinere Umlautregel blockieren.

In diesen Punkten unterscheidet sich die vorgelegte Analyse von den Vor- schlägen von Hamans (1985) und Lodge (l 986). Hamans (l 985:387) beschreibt den Umlaut für Pluralnomen folgendermaßen: „These words are specified as receiving a floating segment [^back] in the plural. This feature docks on the syllable immediately to the left.fct Eine solche Analyse kann entweder die lexikali- sche Variation in der Umlaützuweisung (Gast- Gäste, aber Tag - Tage) nicht beschreiben oder muß neben der lexikalischen Spezifizierung der umlautbewir- kenden Endungen auch die Wortstämme dafür markieren, ob sie umgelautet werden, etwa durch ein diakritisches Merkmal [-h Umlaut]. Die oben entwickel- te Theorie des Umlauts ist restriktiver, da keine solche diakritische Information erforderlich ist.

Das gleiche Problem besteht für die Umlautanalyse bei Lodge. Er postuliert ein autosegmentales Merkmal [i] (soviel wie ein einwertiges Merkmal [vorn]), das in althochdeutschen Endungen existiert und sich wie jedes Harmoniernerk- mal ausbreitet (in diesem Fall von rechts nach links). Die Pluralform mehti von mäht 'Kraft' erhält dann die Repräsentation in (l 7 a) (s. Lodge 1986: 6).

(17) a. i b. i iVht mVhtV mVhtV

t Die weitere historische Entwicklung sieht Lodge so, daß die Reduktion der j> finalen Vokale als eine Deassoziation zwischen dem /-Merkmal und der V-Posi- : i tion aufzufassen ist. Der Vokal Schwa ist danach eine V-Position ohne jedes j vokalische Merkmal. Der einzige Unterschied zwischen dem Althochdeutschen :; und dem Neuhochdeutschen besteht darin, daß in letzterem Dialekt das /-Merk- i mal nicht mehr mit der V-Position der Endung assoziiert ist. Es gibt (Lodge

• l 1986:11) umlautformende Endungen der Form /, und die Repräsentation von l Mächte ist danach die in (l 7 b). (Ein V ohne jede Assoziation mit einem segmen- - ! talen Merkmal repräsentiert den Vokal Schwa [9]). Um wenigstens einen Teil der

\ Umlautvariation zu erfassen, analysiert Lodge (1986: 20) die umlautbewirken-

• den Suffixe so, daß ihnen zwei Formen, jeweils mit und ohne ein /-Merkmal, j zugewiesen werden. Auch diese Verdoppelung der Formen ist wohl nicht wün- I sehenswert.

l Der Vorschlag in diesem Papier verlegt demgegenüber das umlautauslösende f Merkmal in den Stamm selber. Nur dadurch ist es möglich, einen Unterschied

; zwischen umlautenden und nichtumlautenden Wörtern direkt zu erfassen.

; : Gleichzeitig kann man sagen, daß die Umlautrepräsentation auf dem Wort- .. stamm die phonologischen Fakten direkter erfaßt, da es (im Neuhochdeutschen) nur der Stamm ist, der alterniert. Lodge (l 986) nimmt demgegenüber an, daß ein

(20)

autosegmentalcs Merkmal als Teil des Suffixes durch die Umlautung mit dem Stammvokal assoziiert wird. In Wunderlich (1985) gibt es eine spezielle Regel, die das Merkmal einführt. In diesem Sinne ist die hier vorgeschlagene Lösung weniger abstrakt als die in anderen autosegmentalen Analysen vorgeschlagenen.

Die wichtigste Konsequenz aus der Umlautanalyse für die Theorie der Lexi- kalischen Phonologic ist viclleich, daß Regeln der Wortbildung individuell mit phonologischen Regeln verknüpft werden müssen. Phonologische Regeln sind nicht so sehr an die Ebenen im Lexikon gebunden als vielmehr an einzelne Wortbildungsprozesse auf diesen Ebenen. Diese Auffassung der Interaktion von Morphologie und Phonologie wird nicht nur durch den Umlaut im Deutschen nahegelegt, sondern auch durch zahlreiche andere Fakten. Aus dem Deutschen kann man hier die Seh wa-Epen these (s. Wiese 1986 a), die t/s-Alternation (etwa in diskutieren vs. Diskussion) und die Assimilationsprozesse im Zusammenhang mit in- (illegitim, irregulär) nennen. Eine Konsequenz der Analyse für die Theo- rie der autosegmentalen Repräsentation ist, daß Assoziationen zwischen Schich- ten auch durch Regeln hergestellt werden können.

Die Frage der restriktiven Verwendung diakritischer Merkmale ist auch unter Lernbarkeitsgesichtspunkten von Bedeutung. Wir haben gesehen, daß einige Analysen (Wurzel 1970, Lieber 1981) die Tatsache, daß einige Suffixe immer Umlaut auslösen, zu einem diakritischen Merkmal emporheben. Um dieses Merkmal aber zuweisen zu können, muß der Sprachbenutzer alle möglichen Vorkommen des Suffixes untersuchen. Mit anderen Worten, er benötigt negative Evidenz der Art, daß ein bestimmter Fall nicht vorkommt. Daß Sprecher diese Suchoperation über das gesamte Lexikon nicht wirklich durchführen, wird auch dadurch plausibel gemacht, daß die meisten genannten Fälle für umlauterzwin- gende Suffixe nicht wirklich solche sind (s. §5). Demgegenüber stützt sich die Verwendung diakritischer Merkmale hier nur auf positive Evidenz. Sobald ein Wort Umlautalternation aufweist, erhält es das Merkmal [+vorn]; sobald es in anderen Kontexten keinen Umlaut zeigt, muß diese Konfiguration als solche gelernt werden, was bedeutet, daß sie in das Lexikon eingetragen wird.

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Eingereicht am 17.3.1987

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