Eine Dämonengestalt der türkischen Völker
Von Ulla Johansen, Hamburg
Ernest Jones nannte die drei wichtigsten Kennzeichen des typischen
Alptraumes quälende Angst, ein erstickendes Beklemmungsgefühl auf
der Brust und die Überzeugung hilflos gelähmt zu sein.^
Alle Völker haben diese schrecklichen Traumerlebnisse in einem frühen
Stadium ihrer Entwicklung Dämonen zugeschrieben. Auch nach dem
Aberglauben der Türken Anatoliens geht das Alpdrücken von emem
Geisterwesen aus, einer älteren oder jüngeren Frau, die sich im Schlaf
ihren Opfern auf die Brust setzt und ihnen das Atmen schwer macht. Man
sagt, sie trage oft ein rotes Gewand« und habe einen langen Körper,
schwarze, zerzauste Haare, kleine Füße und Hände mit dünnen, krallen¬
artigen Fingern und Brüste, die so lang seien, daß sie sie über die
Schulter werfen köime.^
Obwohl erzählt wird, daß sie eigenthch im Wasser zu Hause sei, trifft
man diese al kyzy, al kary oder al arm, auch albasty genannt, an einsamen
und nicht ganz geheuren Oi'ten an, wo sie Wanderer bedrängt und manch¬
mal mit einer häßlichen Stimme schreit.* Auch soll sie sich gern in großen
Pferdeställen einrüsten, um nachts die Pferde zu Schanden zu jagen.
Morgens sind die Tiere schaumbedeckt und abgemattet, obwohl sie doch
die ganze Nacht im Stall verbracht zu haben scheinen. Dabei flicht sie
aus der Mähne der Tiere Zöpfe, an denen sie sich festhält.*
Am schhmmsten aber wütet die Alpfrau bei den Wöchneriimen. Sie
verursacht das Kindbettfieber, indem sie sich den schlafenden Frauen auf
die Brust setzt, ihnen schwere Träume bringt, sie würgt und ihnen
schheßhch die Lunge aus dem Körper reißt, um sie zu verzehren* oder
nach anderen Berichten ins Wasser zu werfen.' Nach dem Aberglauben
! Der Alptraum. Schriften zur angewandten Seelenkunde, H. 14. Berl.
Lp. 1912. S. 13.
2 Ö. A. Aksoy; Qaziantep a^zi, Bd. III, Istanbul 1946. S. 37.
3 M. §. Ülküta§ir: Logusali fagi I. Halk bilgisi haberleri, YII 3, sayi 29.
Istanbul 1933. S. 159.
* A. Inan, Samanizm. Türk Tarüi Kurumu Yaylnlarmdan, VII Seri,
Nr. 24. Ankara' 1954. S. 171. ^ Ülkuta^ik a. a. O. S. 159.
" A. B. Yalgin, Cenupta Türkmen oymaklari, Bd. II. Ankara 1933. S. 87.
' H. Z. K09AY und I. Refet, Anadilden derlemeler, Bd. I. Ankara 1932.
S. 8; Inan a. a. O. S. 171.
der anatolischen Türken erkennt man die Anwesenheit der für die mei¬
sten Menschen unsichtbaren Alpfrau daran, daß die junge Mutter gelb¬
lich-blaß wird und unter Fieberträumen zu leiden scheint, bis sie all¬
mählich das klare Bewußtsein ganz verhert und stirbt.^
Natürlich hat man verschiedene Mittel ersonnen, um sich gegen die
Alpfrau zu wehren, die ihre Schwächen haben soll wie fast alle bösen
Greister. Man kann ihre abscheuliche Tätigkeit hemmen, indem man bei
einer Geburt alle Wassergefäße im Hause sorgfältig schließt.« Oft ver¬
bietet man der Wöchnerin auch, in den ersten drei, fünf oder sogar sieben
Tagen nach der Geburt Wasser zu trinken.^ Es gehört ferner zu den
Eigenheiten der Alpfrau, daß sie sich nicht nur vor dem Feuer im Herd,
sondern auch vor dem Eisen, und dessen Meistern, den Schmieden, fürch¬
tet.« Deshalb legt man oft einen Degen unter das Bett oder sogar unter
das Kissen der Wöchnerin,* und auch an der Bettdecke des Kindes wird
häufig eine Nadel befestigt.* Kann die Alpfrau nämlich der Mutter nichts
tun, vergreift sie sich gerne an dem Neugeborenen, wenn es noch nicht
40 Tage alt ist. Im Gebiet des Antitaurus, im Stamm der Karaevli,
wurde mir ein Kind gezeigt, das mit fast drei Jahren noch nicht sprechen
konnte. Die Alpfrau, hieß es, hatte das Kind mit diesem Unheil geschla¬
gen, weU die Mutter kurz nach seiner Geburt nicht die nötigen Vorsichts¬
maßregeln getroffen hätte.
Andere vorbeugende Mittel gegen die Übeltaten der Alpfrau sind : die
Wöchnerin nie allein lassen,' ein Gewehr abschießen, rötliche Gold¬
münzen an der Kleidung der jungen Frau befestigen,* ein rotes Band
oder Tuch um den Kopf binden,* einen Spiegel neben das Neugeborene
legen, Pferdeknochen über die Wiege hängen oder die Stube mit einem
Besen ausfegen, den man vorher ins Feuer gehalten hat,'" und damit
auch über die Wöchnerin hinwegfegen.^!
Bemerkt man aber schon che ersten Untaten der Alpfrau, wird eine
Hüfe viel schwieriger. In Südanatolien glaubt man, die Alpfrau halte
eine blaue Perle in der Hand. Gelingt es emer Frau einmal, diese Perle
an sich zu nehmen, wenn der Dämon sie zufällig fallen läßt, so beginnt
dieser, um die Rückgabe zu bitten, und die Frau kann nun die Bedin¬
gung stellen, daß er niemals wiederkehrt.!« In einer anderen Erzählung
1 Ülküta^ib a. a. O. S. 160.
2 Yalgin a. a. O. Bd. V. Adana 1939. S. 97.
3 Ebenda Bd. IV. Adana 1934. S. 45 und Bd. V. S. 97; Ülküta^ib a. a. O.
S. 162. ^ Ebenda Bd. II. S. 87; Inan a. a. O. S. 171.
5 Aksoy a. a. O. S. 37; Yalgin a. a. O. Bd. II. S. 87; Ülküi'a§ib a. a. O.
S. 162. 8 Yalgin a. a. O. Bd. I. S. 46; Ülküta^ir a. a. O. S. 162.
' Aksoy a. a. O. S. 37. ^ ÜLKÜTA^ra a. a. O. S. 161 f.
9 Inan a. a. O. S. 171. ^° Yalgin a. a. O. Bd. V. S. 97.
" ÜLKÜTA9IB a. a. O. S. 160. i- Yalciin a. a. O. Bd. IV. S. 87.
hatte ein Mann die al kary ertappt, als sie gerade eine Lunge ins Wasser
werfen wollte. Er machte sie sich dienstbar, indem er einen anderen
magischen Gegenstand, nämlich einen Kamm, aus ihrem Haar zog.
Daraufhin mußte sie ihm in sein Haus folgen und arbeitete drei Jahre
lang fleißig bei ihm als Magd, ehe sie durch flehentliche Bitten erreichte,
daß der Mann ihr den Kamm zurückgab. Danach verschwand sie spurlos.
Die Familie dieses Bauern besaß seitdem die Fähigkeit, Wöchnerinnen
vom Kindbettfieber zu heilen.^ Die Alpfrau fürchtet alle diejenigen, die
einmal einen Sieg über sie errungen haben, so daß solche Personen und
ihre Familienmitgheder allein durch ihre Gegenwart jede Wöchnerin be¬
schützen. Es genügt jedoch auch, wenn nur eines ihrer Kleidungsstücke
bei der Kranken liegt.« Man nennt sie im Krankenzimmer, also in Gegen¬
wart der Alpfrau mit ihrem Titel algy.^ Oft hält man auch der Wöchnerin einen Spiegel vor das Gesicht. Wenn sie die Augen aufschlägt, den Spiegel erkennt und sich selbst darin erblickt, besteht Hoffnung auf Besserung, ebenso, solange sie noch eine Lunge, die ihr gezeigt wird, von einer Leber unterscheiden kann.*
Wilhelm Radloff hat als erster darauf verwiesen, daß die albasty
unter derselben Bezeichnung mit ähnhchen oder sogar mit den gleichen
Kennzeichen auch bei den anderen türkischen Völkern, die den Islam an¬
genommen haben, vorkommt.* Viel Material zum Volksglauben von der
albasty hat auch Abdülkadie Inan in einem Aufsatz zusammenge¬
stellt.«
Die fiachshaarige albasty, von der E. G. Browne auf seinen Reisen
durch Persien hörte, unterscheidet sich nur dadurch von der anatolischen,
daß sie die Leber statt der Lunge aus der Wöchnerin ausreißt und ver¬
zehrt. Auch hier muß man als Waffe gegen sie ein Schwert in den Bett¬
polstern der jungen Mutter verbergen und möghchst verhindern, daß sie
in den ersten Stunden nach der Entbindung einschläft.'
Bei den Armeniern der Krim, welche die albasty ebenfalls kennen,
wird sie mit einer Leber in der Hand abgebildet.
! M. §. Ülküta§ib, Albasti hastaligl, tekevvümü ve tedavisi. Halk bilgisi haberleri, YU 8, sayi 95. Istanbul 1939. S. 242.
2 Inan a. a. O. S. 171.
3 Yalgin a. a. O. Bd. IV. S. 87.
* K. GÜNGÖB, öenubi Anadolu yürüklerinin eino-antropolojik tetkiki. Dil
ve Tarüi-Cografya Fakültesi Antropoloji ve Etnoloji Enstitüsü nofriyatl
No. 24. Ankara 1941. S. 68.
* W. Radloff, Versuch eines Wörterbuches der Türkdialekte, Bd. I. St.
Petersburg 1893. S. 434.
* AI ruh hakkinda. Türk Tarih, Arkeologya ve Etnografya dergisi, sayi
I. Istanbul 1933. Neudruck eines Teiles in „§amanizm" {s. oben).
' A Year amongst the Persians.'' London 1950. S. 181.
In der 6agataiischen Schriftsprache kommt das Wort albasty auch vor und bezeichnet hier „eine Art peri, ein Schreckgespenst".^
Am deuthchsten sind die Parahelen zu den Vorstellungen der anatol-
Uschen Türken bei denKazachen und Kirgisen zu erkennen. Bei den erst¬
genannten stellt man sich albasty als eine Prau von übernatürhcher Größe,
mit Brüsten, die bis an die Kiüe reichen, und Krallen an den Fingern vor.
Sie versucht auch hier, den Müttern die Lunge auszureißen« imd das
Neugeborene zu töten.^ Es gibt eine große Zahl von albasty in der Vor¬
stellungswelt der Kazachen, und man hat sie nach der Bekehrung zum
Islam in das neue Weltbild eingeordnet als Abkömmlinge allein von Eva,
nicht auch von Adam.* Die Kazachen unterscheiden die schwarze aZöaÄ*«/,
die sich nur vor denen fürchtet, die die Gabe besitzen, sie zu sehen, von
der blonden albasty, einem grün- oder blauäugigen Mädchen, das auch
der hoga vertreiben kaim. Beide fürchten sich vor Gewehrschüssen und
besonders wieder vor dem Schmied, so daß es genügt, dessen Tuch oder
Kopfbedeckung zum Schutz der Wöchnerin in die Jurte zu legen.
Manchmal verwandelt sich die albasty e^hei auch in einen Fuchs oder eme
Ziege, und man sieht sie so an sandigen Stellen oder am Flußufer ent¬
langgehen.
Die Özbeken in Ferghana stellen sich die albasty als eine ärmliche
Frau mit verwirrten Haaren vor, die die Wöchnerinnen würgt, sobald
man sie alleinläßt.
Ähnhch lauten auch die Erzählungen der Baskiren von der albasty.^
In seiner Darstellung der mit der Geburt zusammenhängenden Ge¬
bräuche hat A. Abramzon besonderes ausführlich über den Dämon
bei den Kirgisen des TienSan berichtet.* Auch hier soll es zwei
Q^^->. I Sorten der albarsty'' geben. Die „stinkende albarsty", die sich den Men¬
schen nur im Schlaf zeigt, und die „blonde" oder „gelbe Kleine", die als
ein rotblondes Mädchen, als ein Kind, ein Hund, eine Ziege, ein Schaf
oder als blasse, zerzauste Frau erscheinen kann.
Wie in Anatolien güt es als ratsam, in der Jurte das Herdfeuer nicht
ausgehen zu lassen, wenn ein Kind zur Welt kommen soll. In den Nach-
! Badloff a. a. O. S. 434.
2 U. Haeva, Die religiösen Vorstellungen der aUaischen Völker. FF Com¬
munications No. 125. Porvoo, Helsinki 1938. S. 399; Inan, S amanizm
a. a. O. S. 169.
3 A. A. DivAJEV, Legenda o proisxozdenii albasty, dzina i diva. Izvestija
Arx. Ist. i Etnogr. pri Imperatorskom Kazanskom Universitete, tom 'X.TV,
vyp. 2, Kazan 1897. S. 230.
* Ebenda S. 226ff. * Inan, Samanizm a. a. O. S. 169 f.
' A. A. Abeamzon, Rozdenie i detstvo kirgizskogo rebenka. Sbornik Muzeja Antr. i Etnogr. XII. Lenmgrad 1949. S. 94ff.
' Die Form albarsty hält Frau Prof. Dr. A. v. Gabain für eine Tabuierung des richtigen albasty.
barjurten muß man leise sein, um den bösen Geist nicht aufmerksam zu
machen oder gerade viel Lärm verursachen und in die Luft schießen,^
um albarsty abzuschrecken. Auch kann man ihr mit eisernen Gegenstän¬
den, am besten mit einem Messer, drohen, wenn die Geburt schwer ist,
und man an den grauen, trüben Augen, der gelblichen Gesichtsfarbe und
dem Sch^vulden des klaren Bewßtsems bei der Wöchnerin bemerkt, daß
die Alpfrau ihr schändliches Wesen treibt.
Am besten aber soll auch hier eine Prau helfen, die einmal einen Sieg
über albarsty errungen hat. Es kommt nämhch — wenngleich sehr selten
— vor, daß auch bei den Kirgisen jemand albarsty sieht in einer der Ge¬
stalten, die sie annehmen kann. An den Ort, an dem es geschah, muß der
Mensch, dem dieses zuteil geworden ist, nach einigen Tagen zurückkehren und laut sagen: „ich sah albarsty". Danach berichtet er sein Erlebnis
einem alten Mann mit den Worten: „bir bala kördüvi" — ich sah ein
Kind —, oder er nennt eüi anderes Wesen, in dessen Gestalt er albarsty
erblickt hat. Von nun an fürchtet sie ihn, und die jungen Frauen wenden
sich in ihrer Not an ihn, damit er sie durch seine Gegenwart beschütze.
Erscheint ein solcher Helfer in der Jurte, so darf man seinen Namen nicht
nennen, sonst würde er seine magische Kraft einbüßen. Man redet ihn
nun nicht wie in Anatohen algy an, sondern baatyr — Held —. Kann er
nicht kommen, so schreckt man den bösen Geist, indem man laut „baa¬
tyr l baatyr\" ruft, und die heükundige Person bittet, eines ihrer Klei¬
dungsstücke in die betroffene Jurte zu schicken.
Um den Dämon aus der gequälten Frau herauszujagen, muß man sie
mit kaltem Wasser übergießen und auf ihre Schultern schlagen. Man
bringt sie also zum Erschauern, um ihr den bösen Geist auszutreiben, ein
Mittel, das nicht nur in ganz Sibirien, sondern auch bei den Wolgavölkern
verbreitet war.« Dabei ruft die zauberkräftige Frau laut: „cyk\" oder
„ketl" ■— komm heraus! — oder — geh! —. Oft sieht sie dann, wie die
Alpfrau sich als kleines Wesen davonmacht und zwischen den Zähnen
etwas ausgerissenes trägt. Dann schreit sie laut :, ,taSta !" — wirf es hin ! —.
Danach jagt man den Dämon zum Fluß oder Wassergraben, wo er eüig
verschwindet. Wenn eine Frau schon einmal von der Alpfrau heim¬
gesucht worden ist, kommt sie immer wieder. Deshalb darf sie die
Wöchnerin nun nicht besuchen und wird auch von Schwangeren
gemieden. Man glaubt, die Alpfrau, die sie verfolge, könne sonst auf ihre
Freundin übergehen.
Bei den übrigen türkischen Völkern wird albasty nicht als Quälgeist der
Wöchnerinnen angesehen, sondern sie tritt nur als Alpdruck oder als
Dämon mit weniger deutlichen Charakterzügen auf. So glauben z. B. die
! A. Inan, al. Islam Ansiklopedisi Bd. I. Ankara 19ö0. S. 278.
2 Habva a. a. O. S. 257.
Kazantataren, daß sie in einzelnen Häusern, meist aber in verlassenen
Gebäuden oder im Freien wohnt. Sie kann auch die Gestalt von verschie¬
denen Dingen in Feld und Wald annehmen, um die Menschen durch Atem¬
not und heftige Herzbeklemmungen, also die gewöhnhchen Alpdruckbe¬
schwerden, in Bedrängnis zu bringen. Einsame Wanderer lockt sie vom
Wege und versucht danach, sie zu ersticken.^
Auch die alvasta der Mari und Udmurten soll draußen in der Natur, in
Sümpfen und Schluchten wohnen und nur selten in die Dörfer kommen.
Offensichtlich haben sie diese Vorstellung von den Tataren entlehnt.« Der
Dämon, der bei den Udmurten das Alpdrücken verursacht und die
Frucht im Mutterschoße oder das Herz des Kindes fressen soll, wird
pailpak und bei den Mari ort genannt.*
Von einem anderen nichttürkischen Volk, von den Tagiken im Pamir
berichtet 1.1. Zarubin, wie es einem zauberkundigen Mann gelungen
sei, den bösen Geist almastd aus einer Frau zu treiben und weit fort zu
jagen, der er lange Zeit die Zunge gelähmt hatte, so daß sie völlig stumm gewesen war.«
Nach Ansicht der Tschuwaschen ist die albasty eine Frau mit wirren
Haaren, die außer dem Alpdrücken auch Krankheiten bringt.*
Ebenso bezeichnen die Altaier mit albys nicht nur diesen bösen
Geist, sondem ganz allgemein Krankheitsgeister.*
Auch bei den Teleuten wird ein böser Geist im Dienste des Unter¬
weltherrschers erlik almys genannt.'
Weiter östhch, bei den Tuvinern, ist albys ein weibhcher Krankheits¬
geist. N. F. Katanov berichtet, er habe nach Vorstellungen der Tu-
viner einen Mann und eine Tochter,* während man anderen erzählte,*
es sei der Geist eines verstorbenen Mädchens, das nicht heiraten wollte,
und sich nun, wie es ja auch die albasty der Kazachen häufig tut, an san¬
digen Plätzen aufhält. Die albys lockt besonders gerne Männer ins Unheil.
Manchmal verwandelt sie sich dabei in eine Ziege und verführt die Men-
1 Harva a. a. O. S. 398f.
2 U. Habva (Holmbebg), Die Religion der Tscheremissen. FF Communi¬
cations No. 61. Porvoo, Helsüiki 1926. S. 56.
3 I. Manninen: Die dämonistischen Krankheiten im finnischen Volks-
aberglauben. F.F.C. No 45—46. Helsinki 1922. S. 180.
« Materialy i zametki po etnografii gomy/ tadiikov. Dolina Bartanga.
Sbornik Muzeja Antr. i Etnogr. V. Leningrad 1917—25. S. 142.
^ N. I. ASmabin, Slovar' öuvaSskogo jazyka. Vyp. I. Kazan 1928. S. 164ff.
' A. N. Anoxin, Materialy po Samanstvu Altaicev. Sbornik Muzeja Antr. i
Etnogr. IV, 2. Leningrad 1924. S. 4ff. ' Radloff, a. a. O. S. 439.
* N. F. Katanov, Proben der Volksliteratur der türkischen Stämme, Bd. IX.
St. Petersburg 1907. hg. v. W. Radloff. S. 32f. (Übers. S. 31).
* O. Mänchen-Helfen, Reise ins asiatische Tuwa. Bl. 1931. S. 106;Kata- Nov a.a.O. S. 18 (Übers. S. 16).
schen durch das Schreien einer Ziege dazu, von ihrem Wanderwege ab¬
zuweichen. Wenn sie sich als krankheitbringender Geist in einem Tuviner
festgesetzt hat, kann sie nur ein besonders tüchtiger Schamane heraus-
locken.! Auch hier spricht man mitunter von sechs gelben albys, obwohl
sie anderweitig doch als ein Ehizelwesen beschrieben wird.«
Sieben gelbe Mädchen, die neben anderen Krankheitgeistern auf
der Schamanentrommel abgebildet werden, gibt es nach den Aufzeich¬
nungen Katanovs auch bei den Sagaieren und Beltiren, aber über
ihren Namen erfahren wir nichts.*
Nach der Ansicht Wilhelm Radloffs ist auch der Name albin
mit dem Wort albasty verwandt. So nennen die Mongolen einen Irrhcht-
geist, der auf der Steppe und rings um die Jurten sein Wesen treibt und
die Menschen vom Wege zu locken versucht.*
Während mit almys, albys und albin bei den nichtmohammedanischen
Völkern also nicht nur die Alpfrau sondern in viel allgemeinerem Sinn
Krankheitsgeister bezeichnet werden, fehlt es doch nicht an einzelnen
Dämonen, die ähnlich Züge tragen wie die albasty.
Folgen wir wieder den Berichten Katanovs, so hören wir von einem
weiblichen Geisterwesen der Kaöa, von dem man an der Nordseite der
Jurte ein geschnitztes Abbild aufzustellen pflegt. Es wird stets mit gelben
Zeugstücken bekleidet und soll Kreuzschmerzen und Blasenleiden ver¬
ursachen, wenn man ihm keine Opfer bringt. Gleichzeitig aber \vird von
ihm erzählt, daß es die Frauen während der Geburt quäle. Als Opfer
erhält es eine aus Fischen gekochte Suppe. Ein anderes Opfer bereitet
ihm der Schamane, indem er ein sechsbalkiges Floß baut und es strom¬
abwärts treiben läßt. Es soll nämlich dafür auch die Furten fließender
Gewässer schützen.*
Stirbt eine teleutische Frau, so wäscht man ihre Kleider gründlich,
schüttelt sie dann aus und spült sie im Fluß vielleicht in dem Gedanken,
damit einen unsauberen Geist, der sich noch darin aufhält, ins Wasser zu
schütten. Auch die Dämonen der Masern und Blattern sind weibliche
Geister, die im Wasser wohnen.«
In ganz Südsibirien hat man außerdem die Seelen derjenigen Frauen
besonders gefürchtet, die im Wochenbett oder allzu früh gestorben sind.
Man schrieb ihnen vor allen Dingen eine unheilvolle Gier nach den Seelen
! Katanov a. a. O. S. 48 (Übers. S. 44f.)
2 Mänchen-Helfen, a. a. O. S. 106; Katanov a.a.O. S. 51 (Übers. S. 47).
3 ICatanov a. a. O. S. 564f. und S. 569 (Übers. S. 550iT. und 556).
* Radloff a. a. O. S. 434; D. Banzabov, Gemaja vera ili Hamanstvo u
mongolov. St. Petersburg 1891. S. 30.
5 Katanov a. a. O. S. 582f. und S. 594f. (Übers. S. 566f. u. 575).
8 L. E. Kabunovskaja, Iz altajskix verovanij i obrjadov, svjazannyx s
rebenkom. Sbomik Muzeja Antr. i. Etnogr. VI. Leningrad 1947. S. 33ff.
der kleinen Kinder zu.^ Auch Zöpfe aus Hanf, also von gelblicher Haar¬
farbe galten in Südsibirien als Kennzeichen des übelwollenden weiblichen Geisterwesens.«
Vergleicht man die Vorstellungen von der Alpfrau bei den verschie¬
denen türkischen Völkern miteinander, so kann man feststellen, daß ihre
deuthch profilierte Gtestalt als Alpdruck und Plagegeist der Wöchnerinnen
bei den osmanischen Türken, im Iran, auf der Krim, bei den Kazachen,
Kirgisen, Özbeken und Baskiren besonders klar erscheint. Aber auch hier
trägt die Alpfrau eigenthch die Wesenzüge von zwei Arten der Geister
in sich. Die Kazachen und Kirgisen tragen dem Rechnung, indem sie
sagen, es gäbe zwei Geschlechter dieser Dämonen, deren eines das Kind¬
bettfieber verursache. Das andere besteht aus Alpdruckgeistern, die alle
Menschen anfallen können und draußen in der Natur, in einsamen Gegen¬
den wohnen. Als solche allein treten sie bei den Wolgavölkern auf. Sicher
können wir die albasty, die nach dem anatohschen Aberglauben nachts
die Pferde abhetzt, zu dieser Gruppe rechnen.
Die Alpfrau dieser zuletzt genannten Art hat geradezu erstaunliche
Parallelen in der Mythologie der indogermanischen Völker, bei denen der
Alpdruck nicht nur durch wandernde Seelen lebender und verstorbener
Menschen, sondern auch durch verschiedene Naturgeister verursacht wer¬
den kann. Diese Alpgeister haben häufig eine nahe Beziehung zum Wasser.
Nach eüiigen Aufzeichnungen aus dem germanischen Volksglauben smd
es sogar die Wassergeister selbst, die den Menschen als Alp aufhocken.*
Auch die von Island bis Griechenland und sogar in Indien verbreitete Er¬
zählung von der Grcisterjungfrau,* die einem Manne dienstbar wird oder
ihn heiratet, nachdem er ihr einen magischen Gegenstand fortgenommen
hat, und wieder verschwindet, sobald sie diesen zurückerhält, wird ebenso
von den germanischen Alpgeistern berichtet, die man sich wie im tür¬
kischen Volksglauben meist als weibhch vorstellt.* Der Mann, der die
Alpfrau bezwingt, muß ihr allerdings nicht durch den Raub eines Zauber¬
gegenstandes die RückVerwandlung unmöghch machen, sondern verhin¬
dern, daß sie, nachdem sie ihn als Alp gequält hat, auf dem gleichen Wege
zurückkehren kann, auf dem sie gekommen ist. Der anatolischen Erzäh¬
lung vom Raub des Kammes der albasty liegt offensichtlich dasselbe Motiv
zugrunde. Auch die Vorstellung, daß dieser Wasser- und Alpdämon einen
magischen Kamm besitzt, erinnert an die deutschen Sagen von Wasser-
! Habva, Die religiösen Vorstellungen ... a. a. O. S. 378ff. und S. 399.
2 W. Radloff, Proben der Volksliteratur der türkischen Stämme Süd-
Sibiriens, Bd. n. St. Petersburg 1868. S. 516 f.
3 Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Bd. IX, 1938. S. 159.
* E. H. Meyeb, Mythologie der Germanen. Straßburg 1903. S. 149.
' Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Bd. I, 1927. S. 288.
frauen, die sich kämmen. Nach Berichten der Esten, die die Gestalt dieses
weiblichen Wassergeistes in früher Zeit von den germanischen Völkern
entlehnt haben, besitzt er so große Brüste, daß er sie über die Schulter wer¬
fen kann,! genau so wie es von der albasty erzählt wird. Auch die Frau des
russischen Wassermannes hat riesige Brüste vmd soll häufig dabei beob¬
achtet worden sein, vne sie ihr langes Haar kämmte.«
Die Alpdruckgeister bei den Ostslaven und den germanischen Völkern,
ebenso wie bei den Esten und Letten sollen eine besondere Vorliebe dafür
haben, des Nachts die Pferde abzujagen imd dabei ihre Mähnen zum
„Weichselzopf" zu verflechten, der auf natürlichem Wege nicht
mehr aufzulösen ist. Die Großrussen erzählen sich, daß der domovoi ded
— der Hausvater —, der nachts die Bewohner des Hauses presse, auch
die Bärte der Männer so verwirre.* Die Vorliebe der Alpgeister für das
Reiten soll sogar so weit gehen, daß sie die Menschen in Traume in Pferde verwandeln, aufsitzen und sie abhetzen. Schon ein mittelhochdeutscher
Vers gibt von diesem Aberglauben Zeugnis, in dem es heißt : „Dich zoumet
der aip, dich ritet der mar."« Andere Alpgeister sollen wie der alt-
ariecliische Pan die Menschen vor allem draußen in der Natur überfallen.*
O
Als wirksames Mittel gegen den Alpdruck muß man nach dem deut¬
schen Volksaberglauben ein Messer unter das Bett oder in die Wiege des
Kindes legen.*
Nach vielen Berichten sind diese Alpgeister aus dem Glauben an die
Wiederkehr der Toten und der Angst vor ihnen entstanden. Auch die
Nixen und die anderen Wasserdämonen sollen die Seelen der Ertrunkenen
sein.' Von den Alpdämonen und den Wasserjungfrauen in Skandinavien
und Niederdeutsohland wird häuflg erzählt, daß sie über ein großes Was¬
ser zu den Menschen kämen, und daß ihre Heimat jenseits des Meeres
„in Engelland" läge, das als Totenreich gedeutet werden kann.*
! O. LooiiiTS, Orundzüge des estnischen Volksglaubens, Bd. I. Lund 1949.
S. 267.
2 D. Zelenin, Russische (ostslavische) Volkskunde. Bl. Lp. 1927. S. 389.
3 Meyeb a. a. O. S. 132; Zelenin a. a. O. S. 387; Loobits a. a. O. Bd. II,
S. 424f.; Manninen a. a. O. S. 175 und S. 180.
« Zitiert nach J. Gbimm, Deutsche Mythologie.^ Göttingen 1844. Bd. I.
S. 433.
* W. H. RoscHBB, üher den gegenwärtigen Stand der Forschung auf dem
Gebiete der griechischen Mythologie und die Bedeutung des Pan. Arch. f.
Religionswissenschaft I, Freiburg 1898, S. 78ff.
^ Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. I. S. 298 f.
' Ebenda S. 289; Zelenin a. a. O. S. 389; Manninen a. a. O. S. 179;
Loobits a. a. O. Bd. II. S. 268f.
3 Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. I. S. 289; L. Stbak-
kebjan, Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg. Bd. I. Olden¬
burg 1909, S. 463.
Da die Varianten der Sage von der Alpfrau, die dem Aberglauben der
indogermanischen Völker entsprechen, gerade bei den anatolischen Tür¬
ken, den Kazantataren und ihren Nachbaren, den Mari und Udmurten
verbreitet sind, aber nicht bei anderen türkischen Volksgruppen, die
nicht in der unmittelbaren Nachbarschaft indogermanischer Völker leben,
müssen wir annehmen, daß sie in verhältnismäßig später Zeit entlehnt
wurden.
Für die Gestalt der albasty als böser Geist der jungen Frauen finden
sich mit Ausnahme von zwei ähnlichen Erzählungen finnischer Völker
keine so augenscheinlichen Parallelen im Sagenschatz anderer Völker.
Wahrscheinhch stehen wir hier einer eigenen Schöpfung des türkischen
Stammes gegenüber. Auch bei denjenigen Volksgruppen, die Anhänger
der sog. schamanistischen Rehgion waren, finden sich ja Geisterwesen,
deren Namen mit der Bezeichnung albasty verwandt sind. Während albas¬
ty bei den mohammedanischen Türken als ein Wesen von unverständ-
hcher Grausamkeit erscheinen muß, fügen sich albys, almys oder albin als
einige der vielen bösen Geister leicht in das Gesamtbild der religiösen Vor¬
stellungen der südsibirischen Türken ein.
Wie alle anderen Dämonen, von denen zweifellos ein großer Teil aus
dem Glauben an das Weiterleben der Seelen in dieser Welt nach dem Tode
besonders bedeutender oder böser Menschen zu erklären ist,! haben sie
es darauf abgesehen, ihre Opfer dadurch zu töten, daß sie ihnen die Seele
nehmen. Oft heißt es, daß sie die Seelen der Menschen auffressen.«
Dieser Gedanke läßt sich nur aus den Seelenvorstellungen der älteren
Rehgion erklären. Bekanntlich glauben nicht nur die in Sibirien ansässi¬
gen, sondern auch die finnischen Völker, der Mensch besitze nicht nur eine
Seele, sondern mehrere solcher Lebenselemente, welche die Funktionen
des Körpers, des Verstandes und des Gefühls, aber auch Traum- und
Krankheitszustände leiten, und zum Teil den Menschen in Gestalt eines
kleinen Tieres oder als winziges Abbild ihres Eigentümers verlassen rmd
in Traum und Ohnmacht zeitweise ein eigenes Leben führen können.*
Die eine dieser Seelen, diejenige, die das Wesen des physischen Lebens
im Menschen bildet, äußert ihr Vorhandensein vor aUem im Atem. Bei
den türkischen Völkern wird sie tyn genannt.«
Die Ableitung dieser VorsteUung von der Beobachtung, daß man am
Atem bei Tier und Mensch das Leben erkennen kann, und von den
! Haeva a. a. O. S. 363 und S. 367ff.
2 Ebenda S. 279ff; W. Radloep, Aus Sibirien, Bd. I. Lp. 1893. S. 353;
V. M. Ionov, K voprosu ob izuöenija doxristianskix verovanij jakutov. Sbomik
Muzeja Antr. i. Etnogr. V. Lenkigrad 1917—25. S. 159.
3 Haeva, a. a. O. S. 257.
* Radloff, Versuch eines Wörterbuches ... a. a. O. Bd. III. St. Peters¬
burg 1905. S. 1312.
Erfahrungen der Todesstunde, in der der Atem aufhört, ist einleuch¬
tend. So wird es auch verständlich, daß die Jakuten den Fischen diese
Lebenskraft absprechen, weü sie ja nicht zu atmen scheinen.^
Daher gewinnt die Lunge als Seelensitz eine besondere Bedeutung.
Aber auch die anderen stark durchbluteten Organe, Leber und Herz,
werden oft als Hauptaufenthaltsort einer der Seelen betrachtet, denn
eine andere Erfahrung lehrt ja, daß auch mit dem Auslaufen des Blutes
das Leben aus dem Körper entweicht.« Dabei wird nicht immer deuthch
das Organ von der in ilim wohnenden Seele unterschieden. Genauso wie
man im Deutschen „er hat eüi gutes Herz" sagt, und dabei nicht das
Organ, sondern die darin wohnende Seele meint, sagt man auch im Tür¬
keitürkischen giyerim — mein Liebling — und unterscheidet dabei nicht
einmal, ob die Lunge oder die Leber gemeint ist. Aus einigen Erzäh¬
lungen von der Alpfrau Anatoliens geht ebenfalls nicht klar hervor, ob
sie die Leber oder die Lunge zu rauben pflegt.
Die bösen Geister, die ja selbst immaterielle Wesen sind, wollen niemals
das materielle, das Fleisch an einem Mensch oder Tier essen. Ihre Nah¬
rung muß natüriich genau so immateriell sein, wie sie selbst. Sie fressen
die Seele. Wenn man sich mit einem Opfer von ihren Nachstellungen frei¬
kaufen wül, muß man ihren Hunger mit einer Tierseele stülen. Es genügt
also, ihnen die Seele zu überreichen, während man sich am Fleisch natür¬
lich selber sättigen kann.* Die Jakuten geben den Dämonen Herz und
Leber.* In jedem FaU ist es den Frauen bei allen Völkern Sibiriens ver¬
boten, Herz, Leber oder Blut des Wüdes zu essen. Es könnte sonst ein
fremder Geist in sie eindringen und ihre Kinder schon im Mutterleib
verderben.* Nach dem Tode eines Beltiren essen die Verwandten sieben
Tage lang weder Niere noch Leber der geschlachteten Tiere.* Bei den
Kazachen kann der haksy eine Krankheit aus dem Patienten herausholen,
wenn er diesen dreimal mit der Lunge eines Opfertieres berührt. Dann ist
die Krankheit, das heißt der böse Geist, in diese Lunge übergegangen.
Man wirft sie den Hunden vor und macht damit den Dämon unschäd-
1 1. Paulson, Die primitiven Seelenvorstellungen der nordeurasischen
Völker. The Ethnographical Museum of Sweden, Stockholm. Monograph
Series. Publication No. 5. Stockhohn 1958. S. 166. /
2 Ebenda S. 234; K. F. Karjalainen, Die Religion der Jugravölker I.
F. F. Communications No. 41. Helsinki 1921. S. 40.
3 Das geht z. B. auch aus dera Bericht A. N. Ano;(INS hervor in: DuSa
i ee svojstva po predstavleniju teleutov. Sbornik Muzeja Antr. i Etnogr. VIII.
Lenmgrad 1929. S. 260f.
* N. P. Pripuzov, Svedenija dlja izuöenija samanstva u jakutov Jakutskago
okruga. Izvestija vostoöno-sibirskago otdela Imperatorskago Russkago
Geografideskago Obscestva. Bd. XV, 3—4. Irkutsk 1885. S. 60.
6 Habva a. a. O. S. 417.
« Katanov a. a. O. S. 204fr. und S. 374fif.
lieh.! Eg ist sehr wahrscheinhch, daß die südanatolische Sitte, einer am
albasma erkraniiten Frau eine Lunge vor die Äugen zu halten, auf den
gleichen Brauch zurückgeht.
Vor diesem Hintergrund gesehen, wird die Gestalt unserer Alpfrau
und ihr grausames Tun verständlich. Wenn sie die Lunge der Wöchnerin
herausreißt oder auf der Krim mit der Leber in der Hand abgebildet wird,
so bedeutet das ganz einfach, daß sie das Leben der Wöchnerin fortnimmt.
Das wird aus den Worten, die ein kazachischer baksy an die albasty richtet,
besonders deutlich: „He albasty, du grausame, lege die Lunge auf den
Boden, gib der armen ihre Seele wieder. .. In Anatohen kehrt ja auch
die bereits entwendete Lunge von selbst in den Leib der Wöchnerin zu¬
rück, wenn man sie der Alpfrau wegnimmt, und sei es auch eben vor dem
Hineinschleudern ins Wasser.* Vielleicht bedeutete das Wasser dabei
ursprünghch wie in der germanischen Mythologie den Weg in die Unter¬
welt, der mitunter als Wasserweg dargestellt wird.
Auch in anderen Zügen entspricht die Alpfrau den Geistern Verstor¬
bener in Südsibirien. Sie wird häufig als ein Wesen in winziger Menschen¬
gestalt geschildert, wie die Seelen der Toten.* Oft wird ja direkt
ausgesagt, daß sie die Seele eines dahmgegangenen Menschen ist. Sie kann
durch Erschauern beim Übergießen mit kaltem Wasser ausgetrieben wer¬
den, und sie fürchtet das Feuer und das Eisen, sowie deren Meister, die
Schmiede, che bei den türkischen Völkern auch als Schamanen und Be¬
zwinger böser Geister gegolten haben. Ihnen allein ist es gegeben, die
Dämonen zu sehen. Genau so können nm die Schmiede oder beson¬
ders begabte Menschen in Anatolien die Alpfrau erkennen. Auch das
Alpdrücken ist, wie alle schlechten Träume, eine Übeltat der bösen Gei¬
ster, die derjenigen Seele auflauern, die während des Schlafes den Men¬
schen verlassen und umherwandern kann. Die gelbe Farbe, die man der
albasty bei manchen Völkern nachsagt, läßt sich vieUeicht aus der Er¬
fahrung herleiten, daß Tote oder Sterbende eine gelbhch-blasse Gesichts¬
farbe annehmen. Vielleicht drückt sich aber auch in der immer wieder¬
kehrenden Beschreibung ihres blonden oder fiachsenen Haares die Ab¬
neigung gegen einen fremden Menschenschlag aus.
So kann man sich also nicht der Meinung anschließen, daß die Alpfrau
aus einem wohltätigen Geisterwesen, einer Schutzgottheit, entstanden
sei.* Als Zeugnis wird angeführt, daß Schamanen sie gelegentlich —
zwei FäUe sind bekannt — um Hüfe bitten. Da der Schamane aber häufig
1 Badloff, Am Sibirien a. a. O. Bd. II. S. 61.
2 Inan, Samanizm a. a. O. S. 169.
3 ÜLKÜTA^iB, LogusaK . . . a. a. O. S. 161.
» Abramzon a. a. O. S. 98; Habva a. a. O. S. 346.
* so z. B. Inan, AI ruh . . . a. a. O. S. 163ff und Samanizm a. a. O. S. 173.
auch eüien bösen Geist, der ihm botmäßig ist, zum Beistand auffordert, beweist dieses nicht, daß albasty ursprünglich ein guter Geist gewesen ist.
Auch mit dem Feuerkult kann sie als Schützerin des häuslichen Herdes
lücht verbunden gewesen sein, denn sie fürchtet doch, wie aUe bösen
Wesen, dieses reinigende Element. Die Jakuten sagen zwar cä ot — rotes
Feuer —, was als Stütze dafür geltend gemacht wird, aber dieses ist wohl
nur die Bezeichnung al für hellrot oder bräunlich-rot. Hier soll der
Wortstamm al-rot dem Wort albasty zugrunde gelegt werden. Zwar gibt
es bei den osmanischen Türken offenbar die Volksethjonologie al ruh —
der rote Geist —, von der sich auch Spuren im Iran finden, aber man
SteUt sich nur dort und nicht bei den anderen Völkern, bei denen albasty
vorkommt, sie auch rot bekleidet vor, so daß man wohl mit einiger
Sicherheit annehmen kann, daß die Deutung des Wortes al basma — als
rotes Drücken — aus verhältmsmäßig später Zeit stammt.
Ignäz Goldzihee hat dagegen den altarabischen Namen al für die
Fata Morgana rait albasty in Zusammenhang gebracht. In islamischer
Zeit sollen auch böse Geister so benannt worden sein, weü die Fata
Morgana als Schöpfung der ginn galt.i
A. AsMAEiN erklärt das Wort ara einleuchtendsten, nämhch als aip
basty, als das Drücken eines Riesen. Alp ist gleichzeitig auch das Wort
für Held. Dieselbe Erklärung haben auch K. H. Menges und S. E. Malov
gegeben.^
In diesem Zusamraenhang wäre auch auf die WortparaUele mit dem
germanischen Wort Alp, hinzuweisen. Die Existenz dieses Wortes
bereits in sehr früher Zeit bezeugt Tacitus indirekt, indem er den Vor¬
namen ylZörawa-Alpbezauberin nennt.* Erst zu Ende der mittelhoch¬
deutschen Periode scheint dieses Wort, das genau so wie das türkische
dip Naturgeister und Riesen teüs gutartigen, teüs aber bösartigen Cha¬
rakters bezeichnet hat, auf die Bedeutung des hier behandelten Traura-
wesens eingeengt worden zu sein. Während man in den anderen Dialek¬
ten Worte me Trude, Mar, Doggeli und Schrättli findet, hat sich der
Begriff Alpdrücken nur ira Mitteldeutschen erhalten.
Es zeigt sich also hier die gleiche Entwicklung, die wir auch bei der
albasty beobachten können. Während in der Zeit einer „heidnischen"
Rehgion die bösen Geister noch viel allgemeinere Funktionen besaßen,
deren eine das Verursachen böser Träume gewesen sein mag, wurde ihr
AVirkungsbereich mit der Übernahme einer der Hochreligionen eingeengt.
1 Abhandlungen zur arabischen Philologie I. Leiden 1896. S. 116.
- A§MABiN a. a. O. S. 164; S. E. Malov, Ujgurskij jazyk, xamijskoe narecie.
jNIoskau — Leningrad 1954. S. 136. N. F. Katanov, Volkskundliche Texte aus
Ost-Turkistan, hg. v. K. H. Menges. Bd. I. Berl. 1933. S. 99.
3 Germania. Kap. 8.
21 ZDMG 109/2
Die vielen bösen Geister der alten türkischen Religion haben sich in
dev, peri und gin «erwandelt. Der Grund, weshalb albasty ihren alten
Namen behalten durfte, und warum auch die germanischen Alpdämonen
bis in die jüngste Zeit gefürchtet wurden, liegt zweifeUos darin, daß sie
ihre Existenz immer wieder durch das Auftreten des Alpdrückens bzw.
des Kindbettfiebers zu beweisen schienen.^
! Für die fifeundliche Hilfe bei der Transkription und die Durchsicht des Manuskripts danke ich Frau Prof. v. Gabain imd Herrn Prof. Pritsak.
Von Ludwig Alsdorf, Hamburg
Ein häufiges „Khschee" des Pah-Kanons beschreibt eine Rückfrage
bei Buddha hinsichthch der Richtigkeit und Authentizität einer Lehre
oder Anschauung. DN 1 161 handelt es sich z. B. um Buddhas angebliche
Mißbilligung jeghcher Askese, die den acela Kassapa zu folgender Frage
veranlaßt :
sutam m'etam, bho Gotama: 'samano Gotamo sabban tapam garahati,
sabban tapassim lükhäjivim ekanisena upakkosati upavadatUi' . ye te, bho
Gotama, evam ähamsu: 'samano upavadatUi' , kacci te bhoto^
Gotamassa vutta-vädino, na ca bhagavantarn Gotamarn abhütena abbhäcik-
khanti? dhammassa cdnudhammarn vyäkaronti, na ca koci sahadhammiko
vädänuvädo gärayham thänarn ägacchati ?
R. O. Franke übersetzt dies („Dighanikäya" S. 131): „Verehrter Go¬
tama, ich habe gehört, der Samana Gotama mißbillige alle Askese, er
spreche ausnahmslos abfäUig und mißbilligend über alle Asketen von
rauher Lebensweise. Berichten nun die, die das erzählen, wortgetreu,
was du, verehrter Gotama, selbst gesagt hast, und verleumden sie nicht
etwa den erhabenen Gotama? Geben sie deine Lehrmeinung richtig
"wieder ? Und tut man nicht etwas Tadelnswertes, wenn man bei einer
Diskussion über die Lehre auf solchen Äußerungen fußt ?"
Für wechselnde Anlässe wird dieses Klischee in nahezu identischer
Form — und bei bejahender Antwort jeweils mit bestätigender Wieder¬
holung — noch an 22 weiteren Stellen gebraucht^ ; dazu kommen mehrere
für das Verständnis bedeutsame Abwandlungen, über die unten zu
sprechen sein wird.
Der allgemeine Sinn des Khschees ist natürlich klar, wenn auch in den
bisherigen Übersetzungen (und meist schon in der Interpungierung der
Texte) der kunstvolle symmetrische Aufbau der vierfachen Frage in einer
doppelten positiv-negativen Alternative nicht klar zum Ausdruck
kommt: die beiden na ca müssen als wa tu verstanden werden; nur so
ist die Ersetzung des die beiden Antithesen verknüpfenden dhammassa
* Lies so mit B B (ed. bho).
a Vin. I 234, II 297. DN III 115. MN I 368, 482. II 127. III 139. SN IV 51,
326, 340. V 6f. AN I 161, 190. Mit Umsetzung in den Optativ ( ägac¬
cheyya) SN II 33, 36, 38, 39, 41. III 6, 117. IV 381, 382.
21'