5 Maße mit Dichten
Seien (Ω,A, µ) ein Maßraum und f ∈ E∗ = E∗(Ω,A) (also ≥ 0, A-messbar) . Wir betrachten Maße der Form
ν(A) :=
Z
A
f dµ , A∈ A. (5.1)
ν gem¨aß (5.1) definiert f¨ur jedes feste f ∈ E∗ ein neues Maß auf A (s.u.) . Dieses Maß ¨andert sich nicht, wenn man f auf
”Nullmengen“ (messbar) ab¨andert . Daher zun¨achst einige Vorbemerkungen :
Definition 5.1. (Eigenschaften µ-fast ¨uberall) Sei η eine
”Eigenschaft “ auf Ω (d.h. , η(ω) ist f¨ur jedes ω ∈ Ω eine logische Aussage, die
”wahr “ oder
”falsch “ ist). Man sagt: η gilt µ-fast ¨uberall (µ-f.¨u.) auf Ω :⇐⇒ ∃ µ-Nullmenge N ∈ A : η(ω)
”wahr “ ∀ ω ∈Nc. Man beachte , dass nicht gefordert wird :
M := {ω∈Ω|η(ω)
”falsch“ (gilt nicht)} ist µ-Nullmenge, denn m¨oglicherweise : M /∈ A.
Beispiel 5.1. Seien f, g: Ω →R (numerische) Funktionen.
a) f =g µ-f.¨u. ⇐⇒ ∃ N ∈ A, µ(N) = 0 : {f 6=g} ⊂N; Falls f, g messbar : µ({f 6=g}) = 0.
b) f µ-f.¨u. endlich ⇐⇒ ∃ N ∈ A, µ(N) = 0 : { |f| =∞} ⊂N; Falls f messbar : µ({ |f| =∞}) = 0.
Die obige Begriffsbildung ist f¨ur die Integrationstheorie von Bedeutung : Satz 5.1. Seien f, g : Ω→[0,∞], A-messbar . Dann gilt:
a) Z
f dµ= 0 ⇐⇒ f = 0 µ-f.¨u.; b)
Z
f dµ <∞ =⇒ f < ∞ µ-f.¨u.; c) f =g µ-f.¨u. =⇒
Z
f dµ= Z
gdµ;
d) f ≤g µ-f.¨u., g µ-integrierbar =⇒ f µ-integrierbar und Z
f dµ≤ Z
g dµ.
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F¨ur festes f ∈E∗ (≥0, A-messbar ) sei nun ν wie in (5.1) definiert , also ν(A) =
Z
A
f dµ , A∈ A.
Satz 5.2. ν ist ein Maß auf A.
Definition 5.2. ν aus Satz 5.2 heißt Maß mit der Dichte f bez¨uglich µ; Schreibweise: ν=f µ .
Uber die Beziehung zwischen¨ ν- und µ-Integralen gilt :
Satz 5.3. Sei ν =f µ mit f ∈E∗. Dann gilt: a) ϕ∈E∗ =⇒
Z
ϕ dν = Z
(ϕf)dµ;
b) ϕ: Ω→R ν-integrierbar ⇐⇒ ϕ messbar, ϕf µ-integrierbar . Dann ebenfalls:
Z
ϕ d(f µ) = Z
(ϕf)dµ .
Bemerkung 5.1. Seien ν =f µ , λ=gν mit f, g ∈E∗
=⇒ λ= (gf)µ , d.h. g(f µ) = (gf)µ .
Satz 5.4. (Eindeutigkeit der Dichte) Seien f, g ∈E∗. Dann gilt:
a) f = g µ−f.¨u. =⇒ f µ = gµ;
b) f µ = gµ, f µ-integrierbar =⇒ f = g µ-f.¨u.; c) f µ = gµ, µ σ-endlich =⇒ f = g µ-f.¨u.
Schreibweise : Falls ν =f µ und f µ-f.¨u. eindeutig : f = dν
dµ ( Radon-Nikodym-Ableitung ) . Bemerkung 5.2.
a) µ σ-endlich
⇐⇒ ∃ µ-integrierbare Funktion h: 0 < h(ω)<∞ ∀ω ∈Ω. b) Sei ν =f µ , f ∈E∗, µ σ-endich . Dann gilt :
ν σ-endlich ⇐⇒ f µ-f.¨u. endlich . 34
F¨ur zwei Maße µ , ν auf einer σ-Algebra A soll nun untersucht werden, unter welchen Bedingungen ν eine Dichte f bez¨uglich µ besitzt. Notwendig ist , dass jede µ-Null- menge auch ν-Nullmenge ist , denn
ν =f µ , µ(A) = 0 =⇒ ν(A) = Z
f IAdµ= 0, da f IA= 0 µ-f.¨u.
Definition 5.3. Seien µ , ν Maße auf A. Dann heißt ν stetig bez¨uglich µ (dominiert durch µ; kurz: µ-stetig), wenn aus µ(A) = 0 (A ∈ A) stets ν(A) = 0 folgt .
Schreibweise: ν≪µ .
Bemerkung 5.3. Die Stetigkeitseigenschaft wird besonders deutlich , wenn ν ein endliches Maß ist (z.B. W-Maß). Dann gilt n¨amlich :
ν ≪µ ⇐⇒ ∀ ε >0 ∃ δ >0 : µ(A)≤δ, A∈ A =⇒ ν(A)≤ε .
Zum Beweis der Bemerkung 5.3 benutzen wir das Lemma von Fatou , das unmittelbar aus dem Satz von der monotonen Konvergenz (B. Levi) folgt und auch f¨ur sp¨atere Konvergenzs¨atze von Bedeutung sein wird :
Lemma 5.1. (Fatou) F¨ur jede Folge {fn}n=1,2,... ⊂E∗ (also fn ≥0, A-messbar) gilt:
Z
lim inf
n→∞ fndµ ≤ lim inf
n→∞
Z
fndµ .
Zur Existenz von Dichten ( von ν bez¨uglich µ) :
Die Bedingung ν ≪µ ist notwendig , aber i.A. nicht hinreichend .
Beispiel 5.2. Seien Ω ¨uberabz¨ahlbar , A = {A ⊂ Ω|A oder Ac abz¨ahlbar}, µ(A) = |A| (Z¨ahlmaß) , ν(A) = 0 (A abz¨ahlbar) ,ν(A) = ∞ (Ac abz¨ahlbar) . Dann gilt :
ν ≪µ , aber ν besitzt keine Dichte bzgl. µ .
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Es gilt jedoch der folgende Satz :
Satz 5.5. (Radon-Nikodym) Seien (Ω,A) ein Messraum , µ , ν Maße auf A, µ σ-endlich . Dann sind folgende Aussagen ¨aquivalent:
a) ν ≪µ;
b) ∃ f ∈E∗ : ν =f µ .
Lemma 5.2. Seien τ , σ endliche Maße auf A mit τ(Ω)> σ(Ω)
=⇒ ∃ Ω0 ∈ A: (i) τ(Ω0) > σ(Ω0) ;
(ii) τ(A) ≥ σ(A) ∀ A∈Ω0∩ A.
Definition 5.4. Die (wegen Satz 5.4 c) ) µ-f.¨u. eindeutig bestimmte Dichte f aus Satz 5.5 heißt Radon-Nikodym-Dichte (-Ableitung) von ν bez¨uglich µ; Schreibweise: f = dν
dµ µ-f.¨u.
Beispiel 5.3. Sei ν ein W-Maß auf B1 mit VF. F und µ = λ1. Ist F stetig differenzierbar , so gilt :
dν
dµ = f := F′ µ-f.¨u.
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