Künstlichen Mineralfasern auf der Spur - aufspüren, charakterisieren, bewerten -
Dipl. Phys. Owen Gräfe
Landesamt für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt
Fachbereich Arbeitsschutz
owen.graefe@lav.ms.sachsen-anhalt.de
Die Un ter tei lun g de r K MF Irrgarte n de r Kü nstli che n Min era lfase rn
ca. 5 % ca. 95 %
Das Aussehen v on KMF Glas w ol le St e in w oll e Ba sa ltw ol le Al -Si -W oll e
Die E D X -Spe ktr en von KMF
B2O3 4,13
Na2O 3,83
MgO 16,76
Al2O3 14,45
SiO2 39,53
K2O 0,93
CaO 10,99
BaO 0,49
TiO2 1,99
MnO 0,33
Fe2O3 6,56
B2O3 8,60
Na2O 5,18
MgO 17,86
Al2O3 11,26
SiO2 39,11
K2O 1,27
CaO 8,44
BaO 0,27
TiO2 0,98
MnO 0,26
Fe2O3 6,77
Steinwolle „alt“
KI = 8,2
Steinwolle „neu“
KI = 19,1
Oxid M-%
Die Z usamme nse tz ung
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20
Glaswolle
63,3
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20
Basaltwolle
52,3
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20
Steinwolle
41,6
0 10 20 30 40 50 60 70
Al-Si-Wolle
Die E ins tufungs -His torie
Jahr 2000
1990
1980
1970
Vermutung einer Gesundheitsgefährdung durch Glasfaserstäube Pott et al. „bestimmte Arten von Glasfasern können Krebs auslösen“
MAK-Kommission: Vorschlag zur Einstufung als krebsverdächtig MAK-Kommission: Einstufung als krebserzeugend III B
WHO/IARK: Einstufung als krebserzeugend
EU: Möglichkeit der Freizeichnung durch Tierexperimentergebnisse MAK-Kommission Einstufung: „als ob krebserzeugend Kategorie III A2“
TRGS 905: Einführung des Kanzerogenitätsindex als Einstufungskriterium MAK-Kommission: „im Tierversuch erwiesener Maßen krebserzeugend“
Richtlinie 97/69EG: Einstufung als krebserzeugend ist nicht zwingend TRGS 905: Weitere Kriterien zum Biolöslichkeitsnachweis im Tierexperiment
Verwirrung um die Einstufung der Faserstäube von
Mineralwollen als krebserzeugend
Die E U -Eins tufung
2008VERORDNUNG (EG) Nr. 790/2009 DER KOMMISSION vom 10. August 2009
2008
Die gegenwärtige EU-Einstufung der künstlichen Mineralfasern.
Zuordnung nach der Zusammensetzung
KBN ≤ 18 % Keramikfasern: Carc. Cat. 1B H350i - kann beim Einatmen Krebs erzeugen
KBN > 18 % Mineralwolle: Carc. Cat. 2 H351 - kann vermutlich Krebs erzeugen
Die E U- Fr eispruc h -K rit er ien
Anmerkung Q
wenn tierexperimentelle Untersuchungen ergeben:
• Kurzzeit-Inhalations-Biopersistenz-Test
Halbwertszeit < 10 Tage für Fasern mit L > 20 µm
• Kurzzeit-Intratracheal-Biopersistenz-Test
Halbwertszeit < 40 Tage für Fasern mit L > 20 µm
• geeigneter Intraperitoneal-Test
keine Belege für übermäßige Karzinogenität
• geeigneter Langzeit-Inhalationstest
keine relevante Pathogenität oder neoplastische Veränderungen
Anmerkung R
wenn der mittlere längengewichtete Durchmesser der Fasern minus der zweifachen geometrischen Standardabweichung (min. 300
Fasern)
LWGMD – 2SD > 6 µm
Die Einstufung als karzinogen ist nicht zwingend
Die de utsche Eins tufung Freizeichnungskriterien nach GefStoffV/ChemVerbotsV
1. Ein geeigneter Intraperitoneal-Test zeigt keine übermäßige Kanzerogenität 2. Die Halbwertszeit nach intratrachealer Instillation von 2 mg einer
WHO-Fasersuspension ist < 40 Tage 3. Der Kanzerogenitätsindex ist > 40
Die Einstufung in Deutschland erfolgt nach
A) dem Kanzerogenitätsindex
KI = C
B2O3+ C
Na2O+ C
K2O+ C
MgO+ C
CaO+ C
BaO– 2*C
Al2O3B) und/oder tierexperimentell für ein WHO-Faserkollektiv mit D < 3 µm, L > 5 µm, L : D > 3 : 1
Einstufung/Freizeichnungskriterien nach TRGS 905 (WHO-Faser-Kollektiv) A)
B) Kriterien zur Einstufung nach Biobeständigkeit sind in Vorbereitung
KI Einst. nach KI Applikation kanz. Wirkung ja kanz. Wirkung nein
≤ 30 Canc. Cat 1B (K2) 1 * 109 Fasern Canc. Cat. 1B Canc. Cat. 2
< 30 und < 40 Canc. Cat. 2 (K3) 1 * 109 Fasern Canc. Cat. 1B Canc. Cat. 2
5 * 109 Fasern Canc. Cat. 2 keine
≥ 40 keine 5 * 109 Fasern Canc. Cat. 2 keine
Das RAL -Güt ez eic hen
Gütegemeinschaft Mineralwolle e.V. (GGM)
Vergabe der ersten RAL Gütezeichen „Erzeugnisse aus Mineralwolle“ seit 1999 Bedingungen für die Verleihung des RAL Gütezeichens "Erzeugnisse aus
Mineralwolle"
• Erfüllung der Anforderungen der einschlägigen technischen Normen des Wärme-, Kälte-, Schall- und Brandschutzes
• Erfüllung eines der Freizeichnungskriterien der GefStoffV
• Erfüllung einer Freizeichnungsanforderung der EG-Richtlinie
• Konformitätsnachweis für die Produkte an jedem Produktionsstandort
• Eigenüberwachung der ständigen Einhaltung der Konformität
• Überwachungsvertrag mit einem von der GGM anerkannten Institut
• Nach positiver Prüfung durch den GGM-Güteausschuss erfolgt die Verleihung
des RAL Gütezeichens „Erzeugnisse aus Mineralwolle“
Risik o ber uf sbeding ter Ex pos ition
Expositionsszenarien im Berufsleben
(Quelle: fmi)
Die Pr oduk tions meng en
Die industrielle Produktion von Mineralwollen begann vor 150 Jahren
Schlackenwolle George Perry 1864 Hochofenschlacke
Glaswolle Friedrich Rosengarth 1931 Glas, Schlacke Steinwolle Grünzweig & Hartmann 1939 Mergel und Kalk
Über 5 Mill. Tonnen Mineralwolle-Produkte wurden bisher verbaut.
0 100 200 300 400 500 600 700
1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015
Tausend Tonnen
Jahresproduktion von Glas- und Steinwolle in Deutschland
Aus 1 m³ - Rohstoff werden 150 m³ Mineralwolle-Dämmstoff hergestellt.
Die Mine ralw olle -Pr oduk te
FMI
Filze und Matten Flocken Lose Mineralwolle
Platten und Formteile mehr als 1000 Produkte
(Quelle: fmi)
Die Mine ralw olle -Pr oduk te
Endlosfasern aus Basalt oder Glas dienen als Armierung in vielen Verbundwerkstoffen
(Quelle: fmi)
Anwendung künstlicher Mineralfasern zur Wärmedämmung
Vorteile
• Wärmeschutz im Winter und im Sommer
• Behaglichkeit und Wohnkomfort
• Ruhe und Wohlgefühl durch Schallschutz
• Sicherheit durch höchsten Brandschutz
• Klimaschutz durch weniger CO
2in der Umwelt
• Wirtschaftlichkeit durch weniger Heizkosten
• Anwendungsvielfalt vom Keller bis zum Dach
• Langlebiger Dämmstoff
(Quelle: fmi)Nachteile
• Hoher Primärenergiebedarf bei der Herstellung
• Verlust der Dämmeigenschaften durch Feuchtigkeit
• Gefahr von Schimmelbildung
• Hohe Kosten gegenüber Heizkostenersparnis
• Spätere Entsorgungskosten erheblich
• Kunstvolle Fassadengestaltung geht verloren
• Meist höhere Raumtemperaturen als nötig
Der Einbau in der W er bung
Trotz angegebener Sicherheitshinweise der Hersteller wird beim Einbau
meist auf Schutzmaßnahmen verzichtet.
(Quelle: fmi)Fehle r beim Einbau
Feuchtwerden vermeiden – Gefahr der Schimmelbildung. Dampfsperre zur
Innenseite hin anbringen. Durchführungen verkleben. Die Dampfsperre muss
überall dicht sein. Bei Eindringen von Regenwasser schnell reparieren.
(Quelle: fmi)Fehle r beim T rock enba u
Risse in den Ecken von Trockenbauwänden
Mangelhafte oder fehlende Verklebung von Eckfugen. Es entstehen Risse.
Aus den Rissen werden durch Pumpwirkung Mineralwolle-Fasern
herausgeblasen und verteilen sich im gesamten Raum.
(Quelle: fmi)Di e rec hlic he B asis Emissionsquelle Ak us tik dec ke
offenporige Akustikdecken-Elemente/Platten
Die bei der Herstellung der Deckenplatten verwendete Mineralwolle besitzt eine hohe Biolöslichkeit und sind frei vom Krebsverdacht. Durch gröbere Fasern kann es zu mechanischen Einwirkungen auf Haut, Bindehaut oder Schleimhaut kommen, die vorübergehende, von selbst abklingende
Erscheinungen (z. B. Jucken) verursachen können.
Emissionsquelle Ele ktr oins talla tion
Im Trockenbau werden häufig keine luftdichten Hohlwanddosen verwendet
Glaswolle
falsch
richtig
Für Trockenbauwände gibt es eine Vielzahl von
luftdichten Installations-Produkten, die aber
aus Kostengründen nicht eingesetzt werden
Pr axisbe ispiel
• REM-Probenträger mit C-Tab
• 3 x Tür zuschlagen
• Ergebnis der REM- Untersuchung:
Herausblasen von Mineralwolle-Fasern
Die Ergebnisse der REM-Untersuchungen waren so überzeugend, dass alle
2430 Hohlwanddosen durch die luftdichte Bauform ersetzt wurden.
W eit er e Emissionsquellen
Bei Arbeiten mit/an
alter Mineralwolle
immer Schutzkleidung
tragen.
Die F olg en v on B aumä ng eln
Die R ec h tsgrundlag en
• ausreichend gesundheitlich zuträgliche Atemluft
• in der Regel entspricht dies der Außenluftqualität
• Vermeidung von Stofflasten u.a. durch Fasern
• Verwendung emissionsfreier oder emissionsarmer, überprüfter, auf einander abgestimmter, richtig verarbeiteter Bauprodukte
Arbeitsstättenrecht / Arbeitsstättenverordnung
• Mensch und Umwelt vor stoffbedingten Schädigungen schützen
• Beschränkungen für das Verwenden bestimmter gefährlicher Erzeugnisse
Gefahrstoffrecht / Gefahrstoffverordnung
Wieviel Mineralwolle-Fasern dürfen in gesundheitlich
zuträglicher Atemluft sein ?
Pr axisbe ispiel – Der Be ginn
Probleme in einer Kindertagesstätte
Einige Kinder klagen über
• Juckreiz an den Armen
• Kribbeln in der Nase
• Reizhusten
• Augenbrennen
Anfragen der beunruhigten Eltern Keine Probleme bei den Erzieherinnen
Quelle: Volksstimme
Pr axisbe ispiel – V er anlassung en
• Anfang 2015 Begehung durch das zuständige Gesundheitsamt
• Ende März 2015 Einbeziehung des LAV, Kommunalhygiene
• Sperrung der feuchten Kellerräume, Verdacht auf Ausbreitung von Schimmelpilzsporen in die Atemluft der Kinder
• Keine Pilzsporen in den Aufenthaltsräumen feststellbar
• Einsendung von Staubflusen an unser REM Labor zur Untersuchung
• Ergebnis der REM-Untersuchung: 3 verschiedene KMF-Sorten !!!
Steinwolle KI = 6,9
Glaswolle 1 KI = 23,7
Glaswolle 2 KI = 35,8
GW2
GW1 StW
Pr axisbe ispiel – Der V er lauf
• Staubabdruckproben wurden in allen Räumen der KiTa genommen
• Auf allen Proben werden die Mineralwolle-Fasern nachgewiesen
• 08. April – Das Gesundheitsamt schließt die KiTa bis zur Klärung
• Die Untersuchungsergebnisse geraten ungewollt an die Öffentlichkeit
• 13. April – offener Brief an den Bürgermeister
• 13. April – Sondersitzung des Gemeinderates
• 16. April – Bürgerversammlung und Elternkuratorium
09.04.2015
Quelle: Volksstimme
Pr axisbe ispiel – Die Erm it tlung en 1 1. Die Steinwolle-Fasern StW stammen aus den offenporigen Akustik-Deckenplatten
• Die Unterhang-Akustikdecke wurde 1997 eingebaut
• Die Deckenelemente haben kein RAL-Gütezeichen
• Aus den Poren können auch WHO-Fasern freigesetzt werden
• Die Steinwolle-Fasern der Deckenplatten werden anhand des Kanzerogenitätsindex als krebserzeugend Kategorie 1B eingestuft
Die Ergebnisse der Ermittlungen
B2O3 4,05 4,05 Na2O 3,72 3,72 MgO 16,76 16,76 Al2O3 14,48 -28,96 SiO2 39,54
K2O 1,04 1,04
CaO 10,02 10,02
BaO 0,49 0,49
TiO2 1,96 MnO 0,33 Fe2O3 7,61
KI 100 7,12
Pr axisbe ispiel – Die Erm it tlung en 2
2. Die Glaswolle-Fasern GW1 stammen aus den Glaswolle-Matten, die auf den Elementen der Unterhangdecke liegen
• Einbau erfolgte 1997
• RAL-Gütezeichen war nicht vorhanden
• Kein KI-40-Produkt
• WHO-Fasern vorhanden
• Als krebserzeugend Kategorie 1B eingestuft
B2O3 5,90 5,90
Na2O 10,98 10,98
MgO 2,25 2,25
Al2O3 3,48 -6,96 SiO2 63,25
K2O 1,23 1,23
CaO 10,13 10,13
BaO 0,77 0,77
TiO2 0,17
MnO 0,60
Fe2O3 1,24
KI 100,00 24,30
Pr axisbe ispiel – Die Erm it tlung en 3
3. Die Glaswolle-Fasern GW2 stammen aus der Glaswolle-Isolierung der Lüftungs- und Wärmetauscher-Zentrale unter dem Dach.
• Einbau 2011
• Glasfaserdämmung
• RAL-Gütezeichen
• Mangelhafte und
unzureichende Kaschierung
B2O3 9,10 9,10
Na2O 11,17 11,17
MgO 2,06 2,06
Al2O3 1,28 -2,56 SiO2 59,21
K2O 4,27 4,27
CaO 10,27 10,27
BaO 0,83 0,83
TiO2 0,13 MnO 0,65 Fe2O3 1,03
KI 100,00 35,14
Pr axisbe ispiel - Die Maßnahme n • Nachweis von Künstlichen Mineralfasern in allen Räumen
• Beräumung aller Aufenthalts-, Schlaf- und Sanitärräume
• Reinigung aller Möbel, Spielgeräte und anderer Einrichtungen
• Ausbau der Unterhangdeckenelemente und deren Entsorgung
• Entnahme der Glaswolle-Dämmmatten und deren Entsorgung
• Reinigung aller Raumflächen, Absaugen, feucht Abwischen
• Montage neuer Akustikdeckenelemente
• Maler- und Tapezierarbeiten
• Einräumen der gereinigten Möbel, Spielgeräte und Einrichtungen
• Freimessung durch akkreditiertes Messinstitut < 250 F/m³
• Freigabe der Kindertagesstätte und Wiedereinzug der Kindergruppen
o Fortlaufende Entnahme von Staubabdruckproben und REM-Untersuchung o Weiterhin wurden Fasern in den Staubablagerungen festgestellt
o Abbau der aller Heizkörper und Deckenleuchten und Reinigung o Instandsetzung der RLT-Anlage, Abdichtung defekter Kaschierung o Reinigung und Einhausung von Lagerflächen auf dem Dachboden o Seit Dezember 2015 keine KMF-Fasern im Liegestaub nachgewiesen o Bisher auch keine Beschwerden bei den Kindern und Erzieherinnen
Die durchgeführten Maßnahmen
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Pr axisbe ispiel – v orläufig es Ende
Ende gut alles gut ?
Diese neue Kindertagesstätte soll in naher Zukunft gebaut werden.
Quelle: Volksstimme