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«MAN GEHT HEUTE NICHT MEHR MIT SO VIEL RISIKO IN EIN SCHAUSPIELSTUDIUM.»

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Unabhängige Monatszeitschrift für die Zentralschweiz mit Kulturkalender N

O

7/8 Juli /August 2 01 7 CHF 8.– www .null 41.ch

«MAN GEHT HEUTE NICHT MEHR MIT SO VIEL RISIKO IN EIN SCHAUSPIELSTUDIUM.»

Alina Vimbai Strähler, Schauspielerin

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Ein Film von Sally PottEr

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Do, 24. August 2017 um 18.30 Uhr Ort: Steinengraben 22, 4051 Basel www.kulturmanagement.unibas.ch

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40 JAHRE AUSTAUSCH, VERNETZUNG UND BERATUNG 40 JAHRE AUSTAUSCH, VERNETZUNG UND BERATUNG

Die IG Kultur Luzern feiert ihr 40-jähriges Jubiläum.

Aus diesem Anlass lancieren wir mit den Bildenden Künstlern der Zentralschweiz eine Verkaufsaktion.

Die Erträge werden zwischen den Künstlern und der IG Kultur geteilt.

Wir freuen uns, wenn ihr uns ein Kunstwerk zur Verfügung stellt und mit uns feiert.

Bei Interesse und für nähere Infos meldet euch direkt bei der IG Kultur: 041 410 31 00 oder laniado@kulturluzern.ch

Kunstwerke gesucht

Die IG Kultur Luzern feiert ihr 40-jähriges Jubiläum.

Aus diesem Anlass verlosen wir 20x2 Tickets für das Konzert von Lucerne Festival:

23. August 2017

19.30 Uhr, KKL Luzern, Konzertsaal Mahler Chamber Orchestra François-Xavier Roth, Leitung Patricia Kopatchinskaja, Violine

Werke von Joseph Haydn und Béla Bartók

Um an der Verlosung teilzunehmen, senden Sie eine Email mit dem Stichwort «Jubiläum IG Kultur & Lucerne Festival» an laniado@kulturluzern.ch

Ticketverlosung

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FÜNF KULTURSCHAFFENDE IM GENERATIONENGESPRÄCH

Ab Seite 10

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4 G U T E N TAG

GUTEN TAG, VERSICHERUNGEN

In Zeiten allgemeiner Verunsicherung will man sich absichern. Dafür wärt ihr ja eigentlich da. Aber statt ein sicherer Hafen in stürmischer See zu sein, taucht ihr ein in den Morast von Zwängerei und Querelen. Etwa du, CSS.

Hast du doch Ende 2015 das Gewerbegebäude gekauft und die Mieterinnen und Mieter kurzerhand rausgeschmissen. Abreissen wolltest du den Bau von 1933. Nun haben wir ein weiteres leer stehendes Gebäude an bester Lage, von dem die städtische Denkmalpflege sagt, es sei schützenswert. Kurz:

kein Abriss. Nun beginnt also das Täubelen. Wenn dein Wille der Stadt nicht Befehl sei, drohtest du, würdest du keine zusätzlichen 500 Arbeits- plätze in der Tribschenstadt ansiedeln. Während du, Zürich Versicherung, die an der Neustadtstrasse 6 und 8 ebenfalls alle Mieter rauswarf, bauen darfst. Nicht ohne Nebentöne und Ungemach: Zu laut, zu umständlich, zu unökologisch, nicht zeitgemäss, sagen Kritiker. Wenn sich der Lärm gelegt hat, werden sich die Anwohner freuen – und du dich über sauteuer vermietbare Wohnungen!

Bei euch ist Beton und Mörtel verloren, 041 – Das Kulturmagazin

GUTEN TAG, ZENTRALPLUS

Wir wissen nie, wo wir bei euch zuerst hinklicken sollen: auf den Exit- Button oder auf die Satireabteilung. Na ja, letztere ist zwar keine Abteilung, da ihr nirgends vermerkt, was Satire ist und was nicht. Schön aber, dass ihr euch den Satiregrundsatz schlechthin zu Herzen genommen habt: Satire darf alles. So titelt ihr knackig: «Altstadt-Parkhaus entwickelt sich zum Suizid-Hotspot» und schreibt im Artikel, dass «Freitode von Parkhäusern selten» seien. In der Tat: Parkhäuser sind meistens Frohnaturen. Sie hal- ten das Schweigen der Blechlämmer jahrelang aus, bis sie irgendwann der Abrissbirne zum Opfer fallen. Weshalb wir uns amigs auch fast totlachen:

Ihr weibelt wie verrückt, damit eure Community communiziert. Und wenn plötzlich mal ein Kommentar geschrieben wird, dann löscht ihr ihn.

Geschwärzter Humor vom Feinsten! Beim Crowdfunding-Aufruf für die gerichtliche Anfechtung einer bedingten Geldstrafe wegen Hausfriedens- bruch («Gundula»-Besetzung) waren wir uns nicht gaaanz sicher: Ist das Satire oder ist das euer Ernst? Die Journalistin war tatsächlich vor Ort?!

Hauptrecherchequelle war diesmal nicht Facebook? Jetzt verstehen wir auch, was ihr mit den versprochenen Hintergrundgeschichten gemeint habt: Die sind dermassen hintergründig, die sieht man gar nicht. Ihr ge- witzten Sprachsatiriker, ihr. Hach, weil wir’s zusammen gerade so lustig haben, kennt ihr den schon: Was sagt euer Redaktionsleiter zu eurem Ver- lagsleiter? Na: «Sali, ech!»

Die Lustige Zeitung (LZ) ist selten so lustig wie ihr, 041 – Das Humormagazin 48 Stattkino / Romerohaus

50 Neubad / Südpol 52 LSO

60 Kunstmuseum Luzern / Haus für Kunst Uri 62 Nidwaldner Museum

64 Historisches Museum / Natur Museum 67 Kunsthalle Luzern / Museum Bellpark 22 DEFTIGES HAPPENING

«One Burning Man» in Schötz 26 SINNLICHE ERFAHRUNG

Das Visionsgedenkspiel «Vo innä uisä»

37 WER SIND WIR?

Das Lucerne Festival spürt Identität nach KOLUMNEN

6 Doppelter Fokus: Riviera Latina Festival Weggis

8 Rolla am Rand: Nach dem Vorhang 9 Lechts und Rinks: Her mit den normalen Menschen!

INHALT

18 LUSTVOLL, NEU, BOOMEND Die Neue Volksmusik im Überblick

20 «SINGT DER BERG?»

Hintergründe eines Göschener Kunstwerks

28 Gefundenes Fressen: Zuger Chriesiwurst 46 041 – Das Freundebuch: Niklaus «Knox»

Troxler

70 Käptn Steffis Rätsel

71 Stille Post: Geheimnis Nr. 68 SERVICE

29 Architektur. Stadtflaneur 30 Kunst. Madörin trifft auf Zünd 35 Kino. David-Lynch-Doku 39 Musik. Debüt auf Kassettli 45 Wort. Luzernerin in London 68 Kultursplitter. Tipps aus der ganzen Schweiz

69 Ausschreibungen, Namen, Preise

KULTURKALENDER 47 Kinderkulturkalender 49 Veranstaltungen 61 Ausstellungen Titelbild: Daniela Kienzler

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E DI T OR I A L

Gottfried Keller meint: «Besser ist’s, man hat in der Jugend zu kämpfen als im Alter.» Kulturschaffende jedoch haben in jedem Lebensalter zu kämpfen. Sie ringen um Inspiration – und kratzen immer wieder in der Beiz das letzte Münz zusammen. Eine Studie von Suisseculture Sociale kam 2016 zum Ergebnis, dass Kultur- schaffende im Jahr durchschnittlich 40 000 Franken verdienen, auf dreizehn Gehälter heruntergerechnet sind das gerade mal knapp über 3000 Franken im Monat. Geld ist auch ein Thema unseres Generationengesprächs: Wir versammelten fünf Kulturschaffende aus verschiedenen Sparten an einem Tisch, der jüngste, Julian Blum, 22 Jahre, der älteste, Anton Egloff, 84 Jahre. Was sie einander zu sagen haben und was sie am Gegenüber interessiert, lesen Sie ab Seite 10.

Das Lucerne Festival widmet sich heuer dem Thema «Identi- tät». Das Motto ist gleichermassen musikalisch, wie existenziell zu verstehen: «Die Solisten unter ihnen (den Musikern, Anm.

d. Red.) sind als Nomaden unterwegs und müssen ihre eigenen Strategien entwickeln, um sich in den vielen Hotelzimmern nicht selbst abhanden zu kommen», schreibt Susanne Kübler in ihrer Festivalvorschau.

Als Teil unserer Schweizer Identität gilt die Volksmusik. Dass diese mehr ist als Hudigäggeler und Heimatdümmelei zu miesem Hintergrundgedöns, zeigen heute Sängerinnen wie etwa Nadja Räss, Erika Stucky oder Christine Lauterburg. Auch Gruppen wie Pflanzplätz, das Albin Brun Alpin Ensemble oder die aktuell noch von Markus Flückiger geleitete Alpini Vernähmlassig demonstrieren die Vielfalt und Andockfähigkeit der Neuen Volksmusik. Obschon mit letzterem Begriff niemand so recht glücklich scheint, wie Stoph Ruckli in seinem Szene-Augenschein berichtet: «Auch weil er relativ jung und schwammig ist. Doch fehlen die Alternativen. Ohnehin verlassen sich Musizierende nie gerne auf Stilschubladen.»

Ausserhalb aller Schubladen bewegte sich unser Kolumnist Christov Rolla, der exakt vor zwei Jahren seinen Einstand hatte.

Zuerst rapportierte er von Veranstaltungen, die in keinem Kultur- kalender aufgeführt sind, etwa vom «alljährlichen Wasserballett der Kirchenorganisten», später stellte er sich an den Rand und schrieb von seinen Erlebnissen mit kuriosen Figuren und Themen als Zaungast. Nun erhält er bald den städtischen Anerkennungspreis und ist zu reich (und zu arriviert), um Kolumnen zu schreiben.

Wir verabschieden uns dankbar und mit einem Knicks ... oder Knacks? ... Egal! Verzichten müssen Sie jedenfalls auch zukünftig nicht auf Christov Rolla, für die September-Nummer machen wir mit ihm ein Rigireisli. Wie, warum und was das alles mit Kultur zu tun hat, lesen Sie nach dem Sommer.

Und jetzt Arschboooombeee! Platsch!

Schubladen und Ränder

Ivan Schnyder

schnyder@kulturmagazin.ch

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6 D O P P E LT E R F O K U S

Die beiden Luzerner Fotografen Patrick Blank und Mischa Christen zeigen zwei Blicke auf einen Zentralschweizer Anlass, den «041 – Das Kulturmagazin» nicht besuchen würde.

Riviera Latina Festival Weggis, 2.–4. Juni 2017 Bild oben Mischa Christen, rechte Seite Patrick Blank

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8

Christov Rolla berichtete an dieser Stelle jeden Monat vom Rand einer kulturellen Veranstaltung.

Oder von einer Veranstaltung, die am Rand mit Kultur zu tun hatte. Manches davon war wahr.

Das Mannschaftseinradfahren der Katechetinnen allerdings war erstunken und erlogen. Leider.

R O L L A A M R A N D

Nach dem Vorhang

Ich bin ein bisschen melancholisch. Denn dies ist meine letzte Kolumne. Ich habe Abschiede nicht gern. Aber nach zwei Jahren ist die Altersguillotine gekommen. Und auch wenn diese Kolumne viel zu jung zum Sterben ist – den feinen Damen und Herren von der Redaktion ist das egal. Sie sagen: «Du hast es von Anfang an gewusst!» Und ich sage: «Ja, aber ich bin ein Meister der Verdrängung!» Und dann sagen sie: «Tja.»

Ein Melancholiker wie ich gerät bei Abschieden sofort in eine eklatante Rührseligkeit. Sie kennen das vielleicht von einer in die Brüche gegangenen Beziehung, wenn man sich plötzlich fragt, was wohl die Jugendliebe heute so macht. – So geht es nun auch mir. In den letzten zwei Jahren habe ich von allerlei Anlässen berichtet und dabei viele Leute getroffen. Ein paar davon schloss ich ins Herz, und so möchte ich diese zum Abschied Revue passieren lassen. Ganz im Sinne der beliebten Textgattung «Was-macht-eigentlich-XY?».

Viele meiner Gesprächspartner sind in ihrem Beruf geblieben. Sei es der literarische Baumkundler Clemens Steffen (er kümmert sich neu um den Topos «Busch»); sei es die Applausforscherin Edith Odermatt (die ihr Gebiet mittlerweile auf Zugaben-Erkennungsjuchzer ausgedehnt hat); sei es Herr Petrovic – auch er verschiebt immer noch die Klaviere älterer Damen, denen etwas hinters Klavier geflutscht ist. (Allerdings ist gerade Flaute, weil viele seiner Kundinnen dieser Tage in Cademario oder Crans-Montana am Kuren sind.)

Andere hadern. Etwa Luzia Abgottspon: Die vegane Kommunikationsberaterin leidet immer noch daran, dass die Fleischindustrie viel witzigere Kampagnen hat als die Kulturszene. Die Kunst-für-Kinder-Galeristin Gaby Kirchmeier ist nach Dänemark ausgewandert. Ihre damaligen Künstler haben unterschiedliche Wege eingeschlagen: Die Julia ist in Berlin und macht erfolgreich Siebdruck für Start-ups, der Ramon hat an die Pädagogische Hochschule gewechselt. (Die Perspektiven dünken ihn vielversprechender.) Hedy Lamprecht schliesslich, die Ausdrucksmalkurse für Journalistinnen und Journalisten gibt, ist völlig überarbeitet, seit man Artikel liken oder disliken kann.

Roli, der Dream Pianist, und Sabine Ihr-Sternenhauch-für-jeden-Anlass, die sich am Speed Dating für Alleinunterhalter kennenlernten, gründeten ein Unterhaltungsduo, heirateten und haben im Januar ein Kind bekommen. Roli arbeitet jetzt wieder Vollzeit als Stromer.

Der Abwart, der in aller Seelenruhe die in die Gitarre gefluppte Buchse des Junggitarristen in letzter Minute mit einer Ventilschraube vom Töff des Regisseurs flickte, wurde im Rahmen der kantonalen Sparmassnahmen ent- lassen; dies zugunsten eines externen Reinigungsdienstes, der billiger ist, aber für Reparaturen nicht zur Verfügung steht. Herr Bättig hat sich in der Folge bei jedem Unternehmen beworben, das aufgrund der tiefen Unternehmenssteuern nach Luzern gezogen ist, und ist dementsprechend noch immer arbeitslos.

Auch das Morgenturnen der Erwin-Koch-Verehrerinnen existiert noch.

(Zum Glück haben sich Steffi und Alina ausgesöhnt!) Allerdings hat sich das Grüppchen leicht verändert und nennt sich nun «Morgenturnen der Erwin- Koch-und-Richard-David-Precht-Verehrerinnen».

Und das Wasserballett der Kirchenorganisten? Das zeigt noch immer den

«Gefährlichen Otter» und die «Insel mit zwei Psalmen», alle halbe Jahre im Hallenbad. Gehen Sie hin! Gehen Sie hin, auch wenn der Gründer zwischen- zeitlich leider ertrunken ist. Die Kultur lebt weiter!

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L E C H T S U N D R I N K S

Text: Christine Weber, Illustration: Stefanie Sager

In der Genderdiskussion gibt es abenteuerliche Bezeichnungen, die auch Feministinnen*

und Cis*-Frauen* in ein komplettes Durcheinander stürzen.

Her mit dem normalen Menschen!

Kürzlich machte ein Plakat auf einen «femi- nistischen Abendspaziergang» aufmerksam.

Bei der Demonstration in Bern sollte ge- gen Rassismus und Sexismus demonstriert werden. Als Zusatz stand auf dem gleichen Plakat: «Cis-Männer unerwünscht!!!». Cis- Männer? Tja: Das sind weder Klarinettisten noch Typen, die eine Klappe locker haben.

Der Cis-Mann gehört wie die Cis-Frau zur Spezies der Cisgender. Bezeichnet werden so Menschen, deren Geschlechtsidentität dem- jenigen Geschlecht entspricht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde – unabhängig von der sexuellen Ausrichtung.

Geprägt wurde der Begriff «Cisgender»

vom Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch analog zu «Transgender», um die vermeint- liche Normalität zu hinterfragen. Denn der grösste Teil der Menschheit gehört zu den Cisgender, es wird gemeinhin als Normalität angeschaut. Und da beginnt eben die Krux:

Wer darf die Normalität für sich reklamieren und wer wird dadurch diskriminiert? Laut Gender Studies gibt es nämlich unterdessen über 50 mögliche Zuordnungen in der kultu- rellen Geschlechterkategorie. Anders als beim biologischen Geschlecht (Sex) zählt dabei mehr oder weniger einzig die Selbstwahr- nehmung. Und die ist bekanntlich vielfältig.

Die Sprache ist zwar ein wichtiges In- strument, um möglichste präzise Ausdrücke zu generieren, Begriffe zu hinterfragen und nach sprachlichen Alternativen zu suchen.

Allerdings ist es unterdessen im Dschungel der oberkorrekten Bezeichnungen bezüglich gendermässiger Ausrichtung sehr kompliziert geworden: Es gibt M2F, T*man, T*woman, Two*person, Polygender, Two-Split Person, Cis-Männer und noch viele mehr (der Stern steht generell für weitere Diversitäten). Nebst dem Durcheinander stellt sich auch die Frage, ob die allzu pedantische Vermeidung von jeder potenziellen Diskriminierung und das Pochen auf die Benennung jedes noch so klei- nen Unterschieds nicht genau das Gegenteil erreicht: Anstatt Toleranz zu schaffen und das Verbindende hervorzuheben, werden Unterschiede betont und neue Schubladi- sierungen geschaffen. So wie es das Beispiel der Organisatorinnen vom «feministischen Abendspaziergang» zeigt: Sie ordnen den Cis- Mann explizit als Heteromann ein und schlies- sen ihn ausgerechnet an einer Demo gegen Rassismus und Sexismus aus. Damit greifen die vermeintlich Oberkorrekten selber krass in die Diskriminierungs-Kiste. Warum soll sich ein Heteromann nicht gegen Rassismus oder Sexismus einsetzen? Und warum wird

überhaupt auf dem Mann herumgehackt, der auf Frauen steht? Diese Feministinnen haben ziemlich sicher etwas falsch verstan- den: Es ginge ja um Gleichberechtigung und Toleranz gegenüber allen Lebensformen und Geschlechterkategorien, und dazu gehören nun mal auch die Cis-Männer – ganz egal ob schwul oder hetero.

PS: Eine simple Lösung für die Geschlechterfrage bietet die Unisex-Toilette: Alle sitzen im gleichen Häuschen. Das ist Ihnen zu einfach? Vermutlich haben Sie recht.

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10 Belia Winnewisser, Musikerin

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«Heutzutage liegt der Fokus mehr auf dem Künstler selber.»

G E N E R AT ION E NG E S PR ÄC H

Fünf Kulturschaffende aus unterschiedlichen Generationen. Was haben sie sich zu sagen?

Inwiefern haben sich die Arbeitsumstände verändert? Was interessiert sie aneinander?

Wir versammelten am runden Tisch: Anton Egloff, bildender Künstler, Walter Sigi Arnold, Schauspieler, Alina Vimbai Strähler, Schau- spielerin am LT, Belia Winnewisser, Musikerin und Julian Blum, Fotograf.

Gespräch: Ivan Schnyder und Heinrich Weingartner, Bilder: Daniela Kienzler

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12 Gibt es etwas, was euch ältere Kulturschaffende an

den jüngeren interessiert?

Walter Sigi Arnold: Ja, warum habt ihr euch entschie- den, in diese Richtung zu gehen?

Julian Blum: Mir macht das Fotografieren Spass. Dann fühle ich mich am besten. Ich fotografiere zurzeit nur analog. Und das ist für mich etwas sehr Meditatives.

Wenn ich in die Dunkelkammer gehe, in diesem roten Licht bin und sehe, wie ich die Welt ästhetisch eingefangen habe: Das ist ein schöner Prozess, das hat einen Anfang und ein Ende für mich. Ich habe sonst viele Interessen, aber das Fotografieren begeistert mich seit eh und je am meisten.

Anton Egloff: Du willst also die Welt mit der Kamera hinterfragen oder deuten? Ich war früher auch gepackt von ästhetischen Dingen, wollte aber zuerst nicht Künstler werden. Und im Gegensatz zu dir habe ich lange keine Kamera gekauft, erst etwa mit 40 Jahren. Und dies auch nur wegen der Schule, weil ich dokumentieren musste. Ich habe immer versucht, anders hinter die Dinge zu gehen: mit den Händen zu denken. Meine Zahntechnikerlehre hat diese Ausrichtung sicher beeinflusst.

Belia Winnewisser: Ich weiss nicht, was mein Beweg- grund war. Es ist einfach immer in diese Richtung gegangen. Ich hatte stets eine Neugier in mir und den Drang, selber etwas zu machen, selber zu produzie- ren, aufzunehmen und zu komponieren. Ich wollte mich nie nur für ein Instrument oder eine Disziplin entscheiden. Ich wollte auch alles Drumherum. Wie macht man es, was sind die Geheimnisse, was kann man alles rausholen … Und dann bin ich auf den Studiengang «Musik & Medienkunst» an der HKB (Hochschule der Künste Bern) gekommen und habe gefunden, doch, das klingt ziemlich nach dem Rich- tigen.

Arnold: Macht ihr auch Kompositionen? Musst du ein Instrument beherrschen, oder …?

Winnewisser: Die ersten beiden Jahre hatten wir Klavierunterricht. Das war schwierig, an die Schule kamen Leute, die das Instrument super beherrschten, und es kamen welche mit einem komplett anderen Hintergrund. Ein Jahr waren wir teilweise an der Jazzschule, aber das war für mich zu umständlich, weil ich mit Notationen nichts am Hut habe. Das verstehe ich auch zu wenig. Die Ästhetik dahinter, gerade des romantischen Zeitalters – Schubert und andere – das hat mich inspiriert, obwohl meine Musik sehr anders klingt.

Egloff: Du komponierst gleich mit den Geräten und schreibst nichts auf? Das ist interessant. Ich höre gerne zeitgenössische Musik. Elektronische Musik kenne ich zu wenig. Aber es gibt so Füller am Radio, etwa vor dem Echo der Zeit, das ich regelmässig höre.

Da ist so ein Synthesizerfüller dabei, der mich effe- ktiv verrückt macht.

Arnold: Auch körperlich?

Egloff: Ja, ich kann das nicht hören. Ich muss sofort wieder abschalten.

Das ist eigentlich der Idealfall von Kunst, dass sie so stark übergriffig wird, dass es einem körperlich zu nahe geht.

Egloff: Genau. Man muss sich zuerst aufregen, und daraus entsteht die Anregung.

Walter Sigi Arnold, Sie haben vorher nach den Beweg- gründen gefragt. Wie sieht das bei Ihnen aus? Wie kommt man zum Schauspiel?

Arnold: Ich komme aus einer Bauernfamilie und hatte gar nichts mit Theater am Hut. Als jüngstes von sechs Kindern habe ich das Lehrerseminar besucht, das war damals die Ausbildung mit dem grössten musischen Bezug. Sehr viele in meinem Alter, die irgendwie künstlerisch tätig sind, haben diese Ausbil- dung gemacht. Dann habe ich ein Jahr Schule gege- ben. Jemand hat dann zu mir gesagt: «Du hast doch auch schon mal an einer Hochzeit den Tafelmajor gemacht, du könntest Schauspieler werden!» Und es hat geklappt. Das war bei mir kein Drang, so als hätte ich mich immer schon für künstlerische Ästhetik interessiert. Ich habe mich dafür entschieden und im Verlauf der vierjährigen Ausbildung sind die Freude und das Interesse immer grösser geworden. Das Inte- ressante beim Schauspiel fand ich immer: Jemand anders erfindet einen Lebensentwurf, du schlüpfst da rein und versuchst, den Funken zu zünden.

Früher waren die künstlerischen Ausbildungsmöglich- keiten rar. Oft musste man ins Ausland oder in eine andere Stadt. Habt ihr das Gefühl, dass der inlän- dische Markt heute von jungen Künstlerinnen und Künstlern überflutet ist?

«Man muss sich zuerst aufregen, und daraus entsteht die Anregung.»

Anton Egloff G E N E R AT ION E NG E S PR ÄC H

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Winnewisser: Ich kann das nicht gut beurteilen, weil ich das nur so kenne. Ich selber habe gemerkt, dass ich viel weniger glücklich wäre, wenn ich den Zugang zu einer künstlerischen Ausbildung nicht gehabt hätte. Natürlich kann ich nicht hundertpro- zentig davon leben, aber für mich ist klar, dass das ein Kompromiss ist, den ich eingehen muss und will. Wie war das denn zu eurer Zeit?

Egloff: Die Möglichkeiten waren viel begrenzter! Man hatte viele Widerstände, aber auch Wege gesucht, diese zu überwinden, damit man sein Ziel erreichen konnte. Und diese Widerständigkeit war schöpferisch:

Man musste den persönlichen Weg richtig suchen.

Das war auch sehr mühsam, aber es hat geklappt.

Eigentlich es ist nicht leichter oder schwieriger gewe- sen früher. Es gibt heute andere Wege und andere Widerstände.

Arnold: Ich glaube, bei der Schauspielerei ist es ein bisschen anders: Als ich 1980 bis 1984 die Schauspiel- schule gemacht habe, da waren die Strukturen ganz klar: Du bist nach dem Abschluss Schauspieler, hast dein Zertifikat und gehst an ein Theater oder zum Film. Wenn du heute eine Schauspielschule machst, dann ist das eine Ausbildung für wahnsinnig vieles.

Alina Vimbai Strähler: Meine Mutter hat es schon sehr beruhigt, dass das Schauspielstudium als Bachelor- und Masterstudiengang aufgebaut ist. Sie meinte, es sei nicht schlechter als ein Germanistikstudium. Man geht heute nicht mehr mit so viel Risiko in ein Schau- spielstudium wie früher. Ich wollte schon immer Theater machen und jetzt merke ich, dass sich dieses

Berufsfeld enorm verbreitert hat: Ich kann Perfor- merin werden oder vielleicht werde ich mal musika- lisch tätig. Diese ganzen Träume und Möglichkeiten können aber auch ablenken. Ich kenne wenig Leute in meinem Umfeld, die sich auf nur eine Sache fokus- sieren. Viele sind überall dabei und manchmal ein bisschen verloren darin.

Was auch mit dem Internet zu tun haben mag. Auf einmal kann man die Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern auf der ganzen Welt sehen. Ist es schwie- riger geworden, seinen künstlerischen Weg zu finden?

Winnewisser: Ich finde nicht. Die Möglichkeiten sind zwar unbegrenzt und das Internet ist ein spannender Raum, aber man darf sich von dem auch nicht zu stark ablenken lassen. Man muss wissen, was man will …

Arnold: Du könntest das ohne Internet also gar nicht machen, oder? Du brauchst diesen Ort für deine Musik?

Winnewisser: Für mich geht sehr viel über verschie- dene Plattformen, auf denen ich meine Musik zeigen, hochladen und weiterschicken kann. Es ist krass, wie sich das in den letzten Jahren entwickelt hat, aber es ist halt einfach so. Mein Fokus liegt aber nicht auf dem Internet, es ist ein Tool, das mir weiterhilft.

Blum: Ich kann von mir selber sagen, dass ich das Internet sehr wertvoll finde. Obwohl ich viele Inter- essen habe, fällt es mir leicht, mich auf eine einzige Sache zu konzentrieren und ein Projekt zu Ende zu bringen. Wenn ich im Internet nach etwas suche, habe ich immer eine Idee, wonach, und vor allem weiss ich, wie ich es finden kann. Trotzdem ist es spannend, wie die extreme Vernetzung von Infor- mationen es zulässt, dass man zufällig und immer wieder auf Neues und Unerwartetes stösst.

Das spürt man vor allem bei Musik. Wie sieht das beim Theater aus?

Arnold: Bei der Werbung und Vermarktung schon, aber für mich als Schauspieler spielt das Internet keine grosse Rolle. Das ist nicht das Format, um zu sehen, was ich mache. Aber zum Gluschtigmachen!

Strähler: Durch das Internet ändern sich die Erwar- tungen, die ich an ein Theaterstück habe. Es gibt so viel auf YouTube, jeden Tag, umsonst; wie also muss ein Live-Erlebnis, für das Leute 80 Franken zahlen, aussehen? Es geht nicht mehr um die Reichweite, das hat das Internet dem Theater voraus. Das Theater muss seine Relevanz unter Beweis stellen.

Arnold: Ja, Theater muss sich vom Internet abhe- ben. Es muss eine andere Qualität und eine gewisse Notwendigkeit haben. Den Live-Moment zum Ereig- nis, zum Erlebnis machen. Machst du auch Live- Sachen, Belia?

Winnewisser: Ja, natürlich! Live oder Kopfhörer ist für mich ein riesiger Unterschied, der die Wichtigkeit des Internets wieder relativiert. Und das ist gut so.

Möchtest du denn ausschliesslich von Musik leben können?

«Das Theater muss seine

Relevanz unter Beweis stellen.»

Alina Vimbai Strähler

G E N E R AT ION E NG E S PR ÄC H

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14 RU BR I K T I T E L

Walter Sigi Arnold, Schauspieler

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RU BR I K T I T E L

Julian Blum, Fotograf

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16 G E N E R AT ION E NG E S PR ÄC H

Winnewisser: Das ist für mich ein Wunsch, aber es wäre naiv, davon auszugehen. Es gibt Zeiten, in denen ich viele Konzerte spiele, aber es gibt auch andere Zeiten. Ich arbeite im Luzerner Theater an der Bar und habe andere «Jöbbli», die mir Spass machen und die ich auf mich nehme.

In der Musik scheint sich die Lebensunterhaltsfrage am meisten geändert zu haben. Im Theater, ob in freier Szene oder beim Luzerner Theater, scheint das besser zu klappen?

Arnold: Ich arbeite zu 100 Prozent als Theaterschaf- fender, sei es als Schauspieler, Sprecher oder auch als Regisseur. Aber Belia: Das ist ja auch ein bisschen verrückt, oder? Man macht ein Studium und weiss, dass man davon wahrscheinlich nicht leben kann!

Winnewisser: In meinem Fall, ja.

Strähler: Ich arbeite nebenbei noch im Piccolino im Bruchquartier. Als ich zu studieren begann, dachte ich, mit diesem Studium hat man schlechte Zukunfts- aussichten. Man wird sowieso nie einen Job am Stadt- theater kriegen ...

Arnold: ... das hiess es bereits bei uns: Was, Schauspie- ler? Und wie verdienst du dein Geld?

Strähler: Deshalb machte ich mir nie grosse Gedanken.

Mir war klar, dass ich immer noch nebenbei arbeiten werde. Ich möchte nie in eine Position kommen, wo ich zu viel ans Geld denke und bequem werde. Ich verdiene lieber im Service Geld, als dass ich schlimme Fernsehserien drehe. Das täte mir weh.

Künstlerinnen und Künstler sind grundsätzlich schlecht sozial abgesichert. Wie sieht das bei euch aus?

Egloff: Alt zu werden ist ein grosses Problem in der bildenden Kunst. Ich wuchs früh in den Lehrerberuf, sah mich jedoch stets als Künstler, nicht als Lehrer.

Max Bill sagte, dass man mit Kunst kein Geld verdie- nen dürfe, weil das unfrei mache. Ich denke, ein Künstler muss im Kopf immer zwei Berufe haben, die einander unterstützen.

Arnold: Obschon ich wusste, dass man als Schauspie- ler nicht viel Geld verdient, kann ich davon heute gut leben. Vor 20 Jahren wurde eine Pensionskasse für freie Theaterschaffende gegründet. Seitdem bin ich dabei und versichere einen Grundlohn. Jetzt regelmä- ssig etwas Kleines abgeben scheint mir einfacher, als wenn dann im Alter wenig bis nichts zurückkommt.

Strähler: Ich habe vor Kurzem gegoogelt, wie viel man im Alter von dreissig Jahren gespart haben sollte.

Das hat mich total demotiviert. Aber dann musste ich laut lachen und dachte: Was solls? Warum nicht jetzt einfach alles auf eine Karte setzen und in zehn Jahren noch mal gucken?

Wie war das für Sie, Julian Blum? Machen Sie sich auch solche Gedanken oder ist es bisher bloss die Freude an der Kunst, die Sie antreibt?

Blum: Nein, das ist schon eine Frage. Ich würde ja gerne als freischaffender Künstler leben. Ich überlegte mir das schon sehr früh, ob es überhaupt Sinn macht, wenn ich ein Studium in diese Richtung beginne. Im Frühjahr 2017 machte ich meine erste Ausstellung, um die Realität des freischaffenden Künstlers zu erle- ben. In dieser muss man rundherum Dinge machen, die einem nur bedingt Spass machen. Das Organisie- ren der Räumlichkeiten, an der Vernissage mit den Leuten sprechen ...

... mit den Leuten sprechen ist das Schlimmste! ...

Blum: Nein, es war schön, aber am Ende war ich fertig. Ich konnte nicht noch feiern gehen. Trotzdem plane ich schon meine nächste Ausstellung, die noch diesen Sommer stattfinden soll.

Egloff: Kam viel Publikum?

Blum: Ja, es kamen sehr viele Leute.

Egloff: Und du hast noch was verkauft?

Blum: Ja, da war ich wirklich überrascht ...

Egloff: Das ist ja ein Supererfolg! An meiner ersten Ausstellung waren drei Personen. Die Vernetzung und der Zusammenhalt unter jungen Künstlern ist heute besser. Man geht gegenseitig an die Vernissa- gen. Früher fühlte ich mich als Einzelkämpfer. Und früher war mehr Neid da. Heute gehört die Vermark- tung zur Ausbildung. In England verteilte der Künst- ler schon vor dreissig Jahren bei der Präsentation der Abschlussarbeit die Visitenkarten. In Deutschland und der Schweiz war man bescheidener. Du musst gute Arbeiten liefern, dann tragen die dich selber, hiess es. Das war eine Illusion.

«Die Vorlaufzeiten sind wahnsinnig lang geworden.»

Walter Sigi Arnold

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Anton Egloff (*1933) wächst in Wettingen auf und besucht nach einer Lehre als Zahntechniker von 1957 bis 1959 die Kunstge- werbeschule Luzern sowie zwei Jahre die Staatliche Kunstakade- mie Düsseldorf. Wird dort Assistent an der Bildhauer-Abteilung.

1963 Rückkehr nach Luzern. 1964–1995 Lehrer an der Schule für Gestaltung Luzern, von 1964 bis 1990 Leiter der Abteilung Freie Kunst. Seit Ende der 1960er-Jahre Einzelausstellungen in Gale- rien und Museen im In- und Ausland. 1984 Kunstpreis der Stadt Luzern, 1991 Londonaufenthalt im Atelier der Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr. Lebt und arbeitet in Luzern.

Walter Sigi Arnold (*1959) ist in Altdorf aufgewachsen. Nach der Schauspielschule folgten Engagements an Theatern in Deutschland und der Schweiz. Mitwirkung in vielen Hörspielen von Radio DRS und Aufführungen mit eigenen Programmen und szenischen Lesungen. Er arbeitet auch als Sprecher und Regis- seur. 2008 erhielt er den Kunst- und Kultur-Anerkennungspreis der Stadt Luzern. Aktuell ist er als Hauptdarsteller im Freilicht- Theaterstück «Stadt der Vögel» von Gisela Widmer, in der Regie von Annette Windlin, auf Tribschen zu sehen und am 13. August im Luzerner Theater in der Schweizer Erstaufführung von «The Book of Disquiet» (Das Buch der Unruhe) von Michel van der Aa nach Fernando Pessoa im Rahmen des Lucerne Festival.

Alina Vimbai Strähler (*1987) ist in Duisburg aufgewachsen.

Sie schloss im Sommer 2015 ihren Master an der Zürcher Hoch- schule der Künste ab. Während des Studiums spielte sie u. a. am Theater der Künste, am Schauspielhaus Zürich sowie zuletzt am Schauspielhaus Frankfurt. Ihr erstes Festengagement trat sie in der Spielzeit 15/16 am Theater Konstanz an. Seit der Spielzeit 16/17 ist sie Ensemblemitglied des Luzerner Theaters.

Belia Winnewisser (*1989) lebt und arbeitet in Luzern. Zurzeit befindet sie sich im Master of Contemporary Arts Practice Studi- engang an der Hochschule der Künste in Bern. Während des Bachelors in Musik und Medienkunst beschäftigte sie sich mit musikalischen Klangsynthesen und dem feinmotorischen, techni- schen Handwerk für Klanginstallationen, Film und auch Live-Elek- tronik. Neben ihren schulischen Arbeiten ist sie mit den Musik- Projekten α=f/m (LU, BE), Silver Firs (BE) oder solo unterwegs.

Julian Blum (*1995), kanadisch-schweizerischer Doppelbürger, wuchs in Luzern auf und setzte sich schon jung mit Kunst ausein- ander. Im Frühjahr 2017 konzipierte und organisierte er seine erste Fotoausstellung «Agonie», die vom FUKA-Fonds der Stadt Luzern unterstützt wurde.

Wie ist das mit der Förderung? Wurde es kompli- zierter, an Kulturgelder zu kommen? War es früher einfacher, ein Gesuch einzureichen?

Egloff: Heute gibt es in der bildenden Kunst mehr Möglichkeiten, an Geld zu kommen, aber auch mehr Künstler, die etwas wollen.

Arnold: Im Theaterbereich empfinde ich das eben- falls so. In einem Zeitraum von 20 Jahren sind die Projekte, die am Fördertopf teilhaben wollen, mehr geworden. Von dem her wurde es komplizierter, obwohl die Strukturen transparenter sind und exakt ausgeschrieben ist, was man tun muss, um an diese Gelder zu kommen.

Wird in den Gesuchen mehr verlangt als früher?

Arnold: Eindeutig. Wenn ich eine Idee habe und diese mit Schauspielern und Musikern verwirklichen will, muss ich bereits wissen, an welchen fünf, sechs Orten ich spiele, wer mitmacht, was herauskommt – und das alles bereits anderthalb Jahre im Voraus. Dann existiert wahrscheinlich noch nicht einmal das ganze Stück. Die Vorlaufzeiten sind wahnsinnig lang gewor- den.

Zwingt einen denn die Wirtschaft dazu, als Künstlerin oder Künstler auch Vermarkter zu sein?

Blum: Es stellt sich die Frage, ob man als Künstler auch ein Kunstwerk ist oder ob man alles, was man selber schafft, als Kunstwerk sieht, die eigene Person aber davon lösen will. Heutzutage liegt der Fokus mehr auf dem Künstler selber. Instagram ist die einzige Plattform, die ich noch benutze. Eher zwangs- läufig machte ich noch eine Homepage zur Ausstel- lung. Mit Instagram begann ich, bevor ich analog fotografierte. Es gab unmittelbar Rückmeldung, Leute schauten sich meine Bilder an und ich sah, dass sie Anklang fanden. Das gab mir einen Antrieb, obschon ich den heute nicht mehr so oft brauche.

Stand früher die Person weniger im Zentrum?

Egloff: Das Schaffen war wichtiger. Aber die sozialen Strukturen darf man nicht vergessen. Es geht darum, dass Sachen gesehen werden, dass ein Austausch stattfindet. Und letztlich geht es um die Redlich- keit. Bringe ich Arbeiten, die authentisch sind, neue Bezüge schaffen?

Strähler: Die Biografie ist auch im Theater wichtiger geworden. Früher machte man beim Vorsprechen seine drei Monologe, das Lied und noch ein Gedicht – dann hatte man den Job oder nicht. Heute ist viel wichtiger: Wer ist das eigentlich und wo kommt der oder die her?

G E N E R AT ION E NG E S PR ÄC H

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Die Zukunft der Tradition

Im August klingt’s wieder in Altdorf.

Das Alpentöne Festival findet statt und glänzt durch seine Vielseitigkeit im Zeichen der Neuen Volksmusik. Doch was ist überhaupt Neue Volksmusik?

Ein Überblick zu einem unendlichen Universum.

Von Stoph Ruckli

Im Uhrzeigersinn, beginnend oben links: Pflanzplätz, Nadja Räss &

Markus Flückiger, Adrian Würsch, Alpini Vernähmlassig, Erika Stucky, Albin Brun, Corin Curschellas mit Band. Bilder: zvg

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N E U E VOL K SM U S I K

Schweizer Volksmusik: uninteressant. Was hat sie denn auch den südlichen Rhythmen oder amerikanischen Sounds entgegenzusetzen, diese Musik mit ihren stets fröhlichen Dreiklängen und dem lüpfigen Hudigäggeler-Spiritus? Die Antwort ist simpel: einiges! Es hat durchaus Gründe, dass beispielsweise die Hochschule Luzern als erste und bis- her einzige Schweizer Bildungsinstitution einen eigenen Volksmusik-Studiengang eingerichtet hat. Oder dass Musi- zierende wie Markus Flückiger, Marcel Oetiker, Nadja Räss, Albin Brun und Töbi Tobler für den Schweizer Musikpreis nominiert wurden. Sie alle werden der sogenannten Neuen Volksmusik zugeordnet. Und in jener liegt der Schlüssel zu einem Musikgut, das in seiner Vielseitigkeit nahezu uner- schöpfliche Ressourcen bietet. Doch was ist Neue Volksmusik überhaupt? «Neue Volksmusik ist weder ein einheitlicher Stil noch eine geschlossene Szene, sondern eine neue Hal- tung gegenüber der Volksmu-

sik. Es geht nicht mehr darum, die Volksmusik unverändert zu bewahren, sondern sich lustvoll damit auseinanderzusetzen und Neues zu Schaffen oder auch ganz Altes und Vergessenes wieder hörbar zu machen», sagt Dieter Ringli. Ringli ist Musikethnologe, Dozent, Musiker und einer der wichtigsten Experten für Schwei-

zer Volksmusik – seine Bücher «Schweizer Volksmusik» und

«Die neue Volksmusik» (in Zusammenarbeit mit Johannes Rühl, dem künstlerischen Leiter des Alpentöne Festival) gelten als Standardwerke.

Volksmusik fürs Musikvolk

Lustvoll, neu, wiederentdeckend: So wirkt sie, die Neue Volksmusik. Hackbrett meets House, Schwyzerörgeli meets Ska, Alphorn meets Afro? Alles ist möglich – ausprobieren ist angesagt! Die Sängerinnen Erika Stucky und Corin Curschellas, der Pianist Christoph Baumann oder der Bläser Hans Kennel packen beispielsweise einzelne Elemente aus der Volksmusik in ihre eigene Musik, Multiinstrumentalist Albin Brun bringt mit Marc Unternährer an der Tuba oder Patricia Draeger am Akkordeon das improvisatorische Ele- ment rein und integriert Klänge aus allen Teilen der Welt in sein Klangspektrum. Traditioneller orientiert sind Nadja Räss (Jodel), Markus Flückiger (Schwyzerörgeli) und Dani Häusler (Klarinette): Alle drei arbeiten mit Stücken im Detail, nutzen unterschiedliche Skalen, reharmonisieren. Zudem sind letztere beide zentraler Bestandteil des Studienganges an der Hochschule Luzern und überhaupt in der Szene.

Auch werden alte Stücke wieder interpretiert, was bisweilen bizarre Formen annehmen kann: «Wenn Dide Marfurt auf der Emmentaler Halszither einen alten Schottisch vom Anfang des 20. Jahrhunderts spielt, erkennt das ein tradi- tionelles Ländlerpublikum nicht mal als Schweizer Volks- musik, sondern denkt, das sei irisch oder skandinavisch»,

so Ringli. Weitere Namen wie Pflanzpläz, Hujässler oder Pareglish prägten diese Neue Volksmusik weiter, durchaus im Gegenwind der traditionellen Volksmusik, deren Ver- treterschaft mit all ihren Dogmen und Regeln Mühe hatte mit den Revolutionären.

Nischen-Boom

So richtig glücklich ist aber niemand mit dem Begriff Neue Volksmusik, auch weil er relativ jung und schwammig ist.

Doch fehlen die Alternativen. Ohnehin verlassen sich Mu- sizierende nie gerne auf Stilschubladen. Lieber wird Musik gemacht, und das reichlich sowie innovativ. Was ankommt, gemessen an der Vielzahl an Auftritten und den eingangs erwähnten Aspekten. Kann hierbei von einem Trend gespro- chen werden? Ringli verneint: «Der grosse Boom ist sie noch nicht, die Neue Volksmusik. Aber es ist nach wie vor immer viel Bewegung drin in der Szene und ich kann mir vorstellen, dass da junge Leute wieder eine ganz andere Richtung einschlagen und damit Erfolg haben.» Und fährt fort: «Es gab aber immer schon Phasen, in denen sich die Städte für die ländliche Musik begeis- tert haben und andere, wo sie sie belächelt haben. Im Moment sind wir wohl eher in der ersten.»

Zudem ist Neue Volksmusik nach wie vor eine Nische mit- samt übersichtlicher Szene. Viele dieser Musizierenden sind hierbei über einen familiären Hintergrund zu dieser Musik gekommen, andere wie Albin Brun oder Christoph Pfändler (Hackbrett) fanden aus persönlichem Interesse zu ihr.

Weltweit Schweiz

Der Mut zur Offenheit, die Lust am Ausprobieren, das Er- forschen von Alt und Neu: Diese Faktoren lassen nicht nur das verknorzte Image von der politisch rechts-annektierten Volksmusik verblassen. Dogmen und Regeln sind zum Brechen da. Kein Festival in der Zentralschweiz zeigt diesen Fokus, diese Neue-Volksmusik-Kultur besser auf als das Alt- dorfer Alpentöne Festival. Premieren und Uraufführungen finden hier statt, ein reichhaltiger Austausch mit der Welt ist gewährleistet. Wie diese Zusammenarbeit nur schon in der kleinen Schweiz funktionieren kann, zeigen nicht zuletzt Volksmusik-Studierende an der Hochschule Luzern, wo Projekte wie beispielsweise die Alpini Vernähmlassig und der Austausch unter den Jazz-, Klassik- und Volksmusik-Musi- zierenden spannende, neue Synergien für eine interessante Zukunft entstehen lassen. Und Begriff hin oder her, Zitat Dieter Ringli: «Die Neue Volksmusik hat immerhin dafür gesorgt, dass Hackbrett und Schwyzerörgeli, Schottisch und Polka nicht mehr peinlich, sondern selbstverständlich sind.»

Alpentöne: Internationales Musikfestival, FR 18. bis SO 20. August, Altdorf www.alpentoene.ch

«Die Neue Volksmusik hat immerhin dafür gesorgt, dass Hackbrett und Schwyzerörgeli, Schottisch und Polka nicht mehr peinlich, sondern selbst- verständlich sind. »

Musikethnologe Dieter Ringli

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K U LT U R I N G Ö SC H E N E N

Nicht zu übersehen ist der markante, helle Kubus mitten im Bahnhofge- lände. In grossen roten Buchstaben stehen darauf sechs Fragen in Deutsch und Italienisch: Flüstert der Berg? Dorme? Hört der Berg? Piange? Singt der Berg? Sogna?

Sonne, Regen und Schnee haben die Schrift ausgebleicht und das Weiss des Untergrunds abblättern lassen. Auf dem Kubus, dem stillgelegten Lift- haus bei der ehemaligen Verladerampe der Autozüge, stehen weder Name noch Titel des Werks. Im Internet sind ein paar Fotografien der Arbeit in Göschenen zu finden und ein Buchumschlag von Sara Sidler (Studio Nomad). In Altdorf, im Haus für Kunst Uri, zeigt mir die Kuratorin Barbara Zürcher die Dokumentation der Künstlervereinigung Arturi. Auf Seite 161 zwei Abbildungen: «Durchwegs» – 125 Jahre Gotthard-Eisenbahntunnel, 2007, Göschenen. Sonja Kreis: «Träumt der Berg? Sogna la Montagna?», Lifthaus-Verladerampe, Bahnhof Göschenen.

Melancholie der Berge

450 Menschen leben in Göschenen, die Abwanderung ist gross, junge Familien ziehen ins Urner Unterland oder ganz aus dem Kanton weg. Das noble Bahnhofbuffet, wo einst der Heimatdichter Ernst Zahn von 1900 bis 1916 wirtete, ist längst geschlossen. Es ist still im Bahnhof Göschenen.

Bis zur Eröffnung des Basistunnels im Dezember 2016 fuhren hier täglich 250 Züge durch, heute noch 50.

Seit 2007 steht ein Gedicht auf dem Lifthaus im Bahnhof Göschenen. Zehntausende sind im Zug am Kunstwerk vorbeigefahren, viele gleichgültig, andere berührt. Kaum jemand erinnert sich, wer diese Arbeit geschaffen hat.

Höchste Zeit, dies zu ändern.

Text und Bild von Christof Hirtler

Poesie

für Reisende

«Anfang 2007 war ich an einer Begehung in Gösche- nen für eine Gemeinschaftsausstellung zur 125-Jahr-Feier des Gotthard-Eisenbahntunnels, angestossen von der Interessengemeinschaft Urner Kunstschaffenden Arturi», erinnert sich Sonja Kreis. «Beim Rundgang berührte mich das Traurige und Melancholische des historischen Ortes, der sich in einem Übergang befindet.» Der grosse Kubus im Bahnhofgelände sei ihr sofort aufgefallen, dort habe sie ihre Arbeit realisieren wollen: «Der Klotz hat etwas Ruhiges, Bestimmtes und Rätselhaftes.»

Berge beschäftigen die Künstlerin aus Zürich seit Jahren. Mehrere Sommer war sie im Wallis und im Engadin mit einer analogen Mittelformatkamera un- terwegs, fotografierte für ihre Serie «Bergsommer»

die Tourismusinfrastruktur: Lifte, Sesselbahnen, Seil- bahnstationen, Skipisten. Ohne moralischen Aspekt:

«Ich fahre auch gerne Ski, ich brauche die Berge wie alle anderen. Wir leben in der Schweiz in den Bergen, verdienen Geld mit dem Tourismus. Der Wintertou- rismus hinterlässt viele Spuren. Im Bild der Schweizer Berge existieren die Transportanlagen nicht, die wollte ich ins Bild holen. Sie prägen meine Eindrücke mit, wenn ich in den Bergen unterwegs bin.» Durch ihre Freunde Andreas Grosz und Beatrice Maritz (Edition Pudelundpinscher), die damals in Unterschächen lebten und arbeiteten, unternahm sie viele Wanderungen im Schächental, wurde mit der Innerschweiz vertraut und für die Arbeit in Göschenen sensibilisiert.

Berge respektieren und achten

«Für mich sind Berge etwas Wesenhaftes. Sie sind nicht einfach Gegebenheiten, sondern Wesen, die man achten muss, die einen Charakter haben, die gefährlich und schön sind, die heimtückisch sind, die man res- pektieren muss», sagt Sonja Kreis. Tunnel sind für sie etwas Seltsames: «Ich verstehe, dass die Menschen 1882 den Durchbruch des Gotthards gefeiert haben. Seither wurden immer mehr Löcher in den Gotthard gebohrt.

Wird sich der Berg irgendwann rächen?»

Im Frühling 2007 schrieb Sonja Kreis das Gedicht

«Flüstert der Berg»: «Ich schreibe, wie ich meine Bilder male. Schicht um Schicht wird aufgetragen und über- arbeitet.» So benötigte sie mehrere «Schlaufen», bis der endgültige Text stand. Mittels Schablonen haben

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Andreas Grosz, Beatrice Maritz und Sonja Kreis das Gedicht auf die Wand des Lifthauses aufgemalt. Das Gerüst war abenteuerlich, die Arbeit in nur einem Tag abgeschlossen. Sonja Kreis betont, wie zentral für sie das Malen des Textes war: Das Gedicht «Flüstert der Berg?» wurde so mit Energie aufgeladen, ein wichtiger Aspekt ihrer Arbeit.

Sonja Kreis will nichts erklären, sie gibt keine Antworten, sie kon- frontiert die Durchreisenden mit sechs Fragen nach der Befindlichkeit des Gotthards: Flüstert der Berg? Schläft er? Hört der Berg? Weint er?

Singt der Berg? Träumt er? «Im Gegensatz zu Antworten lassen Fragen alles offen. Auch Menschen, die hier oft vorbeifahren, können so etwas mitnehmen. Es freut mich, wenn Interaktion passiert, wenn Menschen aktiv Teil des Kunstwerks werden.»

Die Poesie und Schönheit dieser Arbeit liegt in ihrer Schlichtheit und Konsequenz. Da ist nichts zu viel und nichts zu wenig. Der Text ist zweisprachig: Deutsch für Reisende aus dem Norden, Italienisch für Reisende aus dem Süden und aus Distanz gut lesbar. Als Schrift wählte sie Helvetica, eine ruhige, klare Schrift, die auch die SBB verwenden, als Farbe das leuchtende SBB-Rot.

«125 Jahre Gotthardbahn, Durchwegs – Ausstellung, Lesungen, Sound-Performances – Arbeiten von 18 Kunstschaffenden, verschiedene Standorte, 7.7. – 1.9.2007», stand auf dem Ausstellungsflyer von Arturi, der Interessengemeinschaft Urner Kunstschaffenden. «Die Kunstwerke sind

Kulturanlässe in Göschenen im Juli/August

Performance «Timeline» von Victorine Müller, FR 28. und SA 29.

Juli, jeweils 17 bis 23 Uhr, Kunstdepot Göschenen (Sammlung Christoph Hürlimann)

Führungen Tunneldorf Göschenen / Kunsthaus Vera Staub: SA 1., SA 8., SA 15. und SA 22. Juli, jeweils 16 Uhr (siehe auch Seite 61, Anmeldung spätestens am Vortag bis 12 Uhr bei der Tourist Info Andermatt, info@andermatt.ch oder unter 041 888 71 00) Bilderausstellung Louis Lussmann, SA 1. Juli bis DI 31. Oktober, FR ab 17 Uhr, SA und SO ab 14 Uhr, Alte Kirche Göschenen Freilichtspiele Göschenen, FR 30. Juni bis SA 19. August, jeweils 20.30 Uhr, Areal der Heizwerk Gotthard AG, Umfahrungsstrasse, Göschenen

allesamt Eingriffe, die mit poetischer Überzeugungskraft das Sehen schärfen», schrieb der Luzerner Kulturkritiker Urs Bugmann in der Luzerner Zeitung. Am 30. August 2007 erhielt das Kraftwerk Göschenen AG das Werk von Sonja Kreis als Schenkung und verpflichtete sich zum Unterhalt. Bis heute tat sich nichts, das Werk droht zu zerfallen. «Der Text muss dringend neu gemalt werden», sagt Sonja Kreis.

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Die Organisatorinnen und Organisatoren des

«One Burning Man»: Mitglieder des Träff Schötz.

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BU R N I NG M A N F E S T I VA L

Burning Man mit trashigem One-Man-Rock

Ein Happening, an dem deftig musiziert und zu später Stunde eine sechs Meter hohe Holzfigur abgefackelt wird: Der Kulturverein Träff Schötz inszeniert mal wieder eine besondere Fuhr.

Von Pirmin Bossart, Bild: Marco Sieber Das Burning Man Festival, das jedes Jahr in der Black-Rock-Wüste von Nevada/USA stattfindet (heuer von SO 27. August bis MO 4.

September), ist wohl der verrückteste Kunst- und Musikevent der Welt. Damit wollen und können sich die Träff-Enthusiasten aus Schötz nicht messen. Die Gemeinsamkeit besteht lediglich darin, dass auch am Schötzer Happening viel Sorgfalt und Kreativität für die Gestaltung des ganzen Ambientes auf- gewendet werden und zum Höhepunkt des Spektakels eine grosse Holzfigur verbrannt wird.

«Wir wollten wieder mal eine Fuhr ma- chen. Etwas, das echli chlöpft», sagt Edith Bühler-Hunkeler vom Träff Schötz. Der Kul- turverein, der seit 1984 Dutzende von Kon- zerten, Lesungen und spartenübergreifenden Anlässen mit über 300 Künstlerinnen und Künstlern veranstaltet hat, ist bekannt für aussergewöhnliche Projekte. «Da wir nie ein eigenes Lokal hatten, suchten wir von Anfang an besondere Orte und Plätze, um dort etwas buchstäblich Einmaliges anzurichten.»

Dieses Mal ist es das brachliegende Ge- lände des ehemaligen Zivilschutzzentrums Schötz, das bespielt werden soll. Dort wurde während Jahren zwischen Bunkern, Beton- teilen und Bauschutt der atomare Ernstfall geübt. Auch ein altes Flugzeug stand herum.

Inzwischen wurde das Areal etwas aufge- räumt und «verschönert» – «zu unserem Leidwesen», wie Bühler-Hunkeler schmun- zelt. «Aber es ist immer noch rau und öde genug, um dort einen entsprechenden Anlass zu inszenieren.»

Mit diesem Areal vor Augen sei die Idee mit den One-Man-Bands entstanden, sagt Fa-

bio Kühnis vom Träff Schötz. «Dieser bluesig- trashige und urwüchsige Rock-Sound passt an diesen Ort.» Als an einer der Sitzungen jemand die Idee ins Spiel brachte, wie beim Burning Man eine Holzfigur abzufackeln, zündete der Funke endgültig. Jetzt gingen die Träff-Schötzer mit ihrer Leidenschaft daran, an der Umsetzung von «One Burning Man» zu arbeiten.

Gebaut wird die Holzskulptur von Ler- nenden der einheimischen Holzbauunter- nehmung Renggli AG. Vorlage ist die Figur des Burning Man, wie sie der Luzerner Il- lustrator und Comiczeichner Andreas Kiener für das Plakat kreiert hat. Für das Abfackeln ist Feuerspucker und Pyrotechniker Eisbär zuständig. Die Träff-Schötzer werden es nicht versäumen, auch auf diesem Areal ein stim- mungsvolles Happening mit viel Atmosphäre hinzuzaubern, wie sie das schon mehrmals bewiesen haben. Für die Eingabe dieses Projekts sind sie letztes Jahr vom Kanton Lu- zern mit einem 15 000-Franken-Werkbeitrag ausgezeichnet worden. Es war der fünfte Kulturpreis in 33 Jahren Vereinsgeschichte.

Beat-Man & DJs

Auf zwei Bühnen treten sieben One-Man- Bands auf. «Leider hat es nicht geklappt, für das Programm zumindest eine oder zwei One-Woman-Bands zu finden», bedauert Kühnis. Früh gesetzt war Tongue Tied Twin, der schon 2013 mit seinem dirty Sound auf selbst gebauten Gitarren an einem Träff- Anlass in Schötz zu Gast war: «Er ist extrem gut angekommen.»

Freude herrscht, dass mit Reverend Beat- Man aus Bern ein Musiker und Experte

gewonnen wurde, der mit seinem Label Voodoo Rhythm Records das Markenzeichen schlechthin ist für den schön-primitiven Rock’n’Roll. Auch mit Urban Junior konnte ein weiterer klingender Name angeheuert werden, der mit Dance- und Discobeats dem Garage-Rock eine deftige Elektro-Note ver- passt.

Schön archaisch wird es mit dem Lu- zerner Cello Inferno und seinem bluesig- bluegrassigen Trash-Rock inklusive feu- erspuckender Kaffeemaschine. Mit Mr.

Marcaille (Heavy Hardcore Punk), King Automatic (Rock, Electro Trash) und Zero Absolu (Metal, Elektro) treten gleich mehrere internationale Acts auf.

Und wenn die Live-Bands verklungen sind, wird mit DJ Wicked Wiggler weiter- gerockt: Der Luzerner Konzertveranstalter (Memphisto Productions) und Rock-Maniac ist die perfekte Wahl. Für DJ-Sounds der Abteilung Elektro ist David Koch (Mitglied der Electro-Pop-Band Vsitor) zuständig.

In einem der Bunker haben Jugendliche aus dem Dorf während des Jahres einen Treffpunkt eingerichtet. Auch sie werden in das Happening einbezogen, was Edith Bühler-Hunkeler besonders freut. «Das kann vielleicht ein Türöffner sein, um ein junges Publikum wieder vermehrt an unsere An- lässe zu holen, wie das mit dem kürzlich veranstalteten Konzert von Faber der Fall war: Da waren auch die jungen Besuche- rinnen und Besucher hellauf begeistert.»

One Burning Man, SA 26. August, ehemaliges Zivilschutzareal, Schötz www.oneburningman.ch

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24 A K T U E L L

Das Löwendenkmal in Luzern ist eine der meistbesuchten Sehens- würdigkeiten der Schweiz. «Trotzdem wissen die meisten nicht so recht, für was es steht», weiss Kunsthalle-Kurator Michael Sutter. Es gebe keine Homepage dazu, die bewirtschaftet werde, und – ganz im Gegensatz etwa zum Wasserturm – werde das Löwendenkmal kaum souvenirmässig vermarktet. Deshalb – und aufs 200-Jahre-Jubiläum 2021 hin – lanciert die Kunsthalle ein Projekt zur künstlerischen Befragung des Monuments und startet dieses mit dem «Lion Call», einer Ausschreibung für Künstlerinnen und Künstler. Gesucht werden Ideen oder bereits realisierte Werke, Aktionen und Projekte

Immer mehr Zentralschweizer Kulturschaffende crowdfunden auf Funders, der Plattform der Luzerner Kantonalbank. So etwa in Ver- gangenheit erfolgreich das There-Are-Worse-Bands-Festival, Dada Ante Portas oder der Kulturhof Hinter Musegg. Seit Mai sind als Partner der Plattform auch die Nid- und Obwaldner Kantonalbanken dabei. Ein spannendes Projekt, bei dem das Funding momentan noch läuft, ist das Artists-in-Residence-Kunst-Förderprogramm von Art-St.-Urban. Ziel sei es, «jungen Künstlern eine neue Perspektive zu vermitteln, was neue Techniken, neue Materialien, neue Um- gebung, Kultur und Lebensweise anbelangt. Das soll helfen, sie zu befähigen, eigenständige, unabhängige Künstler zu werden. Wir sehen uns als Türöffner und Sprungbrett», sagt Managerin Gertrud Aeschlimann, die zusammen mit ihrem Mann, dem Künstler und «Unternehmer des Jahres 2004» (Ernst & Young), Heinz Aeschlimann, die über 800-jährige Geschichte des ehemaligen Zisterzienserklosters und später als Psychiatrische Klinik genutzten

«Männerpavillon E» weiterführt. Auf private Initiative hin ist hier ein Ort gewachsen, an dem die Kunst gedeihen kann. Bereits seit 13 Jahren widmet sich das Ehepaar Aeschlimann der Förderung junger Nachwuchskünstlerinnen und -künstler. Insgesamt 57 Kul-

Der Löwe ruft!

Kreative Förderwege

Performance «Der unbekannte Löwe – Abschied von einem Krieger- denkmal» von Max Christian Graeff, FR 30. Juni, 18.30 Uhr, Löwen- denkmal, Luzern

Eingabetermin der Ausschreibung «Lion Call», MO 18. September www.loewendenkmal21.ch

www.art-st-urban.com, www.funders.ch

in beliebigen Medien und Umsetzungsformen. Geleitet wird das Projekt vom ehemaligen Direktor des Kunstmuseums Luzern, Peter Fischer. «Die Auseinandersetzung muss nicht bloss positiv, sondern kann durchaus auch kritisch sein», erklärt Sutter. Der «Lion Call»

wird am 30. Juni buchstäblich ausgerufen: Max Christian Graeff erzählt die «gesamte» Wahrheit über Vergangenheit und Zukunft des Denkmals – live und direkt vor diesem schlafenden Löwen, den Mark Twain zum «traurigsten und bewegendsten Stück Stein der Welt» erklärte und Patti Smith vor ihrem Auftritt am Woerdz- Festival 2014 kaum zu bestaunen aufhören konnte. Bereits konkret angedacht sind jährliche kuratierte Ausstellungen in der Kunsthalle (erstmals 8. Mai bis 1. Juli 2018) mit zusätzlichen performativen Programmen. Daneben werden sich in den kommenden vier Jahren auch weitere Luzerner Kulturveranstalter und -institutionen Luzerns des berühmten Löwen annehmen. Übrigens: Das Löwendenkmal erinnert an die fast 800 Schweizer Gardisten, die im Höhepunkt der Französischen Revolution am 10. August 1792 bei der Verteidigung und dem anschliessenden Sturm des von der Königsfamilie bereits verlassenen Tuilerienpalasts durch die Revolutionäre das Leben liessen. Hätten Sie’s gewusst? Eben! (is)

turschaffende konnten bisher von diesem Programm profitieren, schwerpunktmässig im Bereich der Skulptur arbeitende, aber auch Musikerinnen und Musiker kamen in die Kränze. Die Idee dazu entstand an der Art Chicago 2002, als das Paar den jungen Künstler Drew Goeerlitz traf. «Er erzählte uns von seinem Frust, dass er, wenn er eine neue Skulptur erstellen möchte, eine vorherige wieder demontieren muss, da er kein Geld für neuen Stahl, neues Eisen hätte», so Gertrud Aeschlimann. So begannen sie, junge, talentierte Künstler in das Atelier von Heinz Aeschlimann einzuladen, und das Projekt lief an. Das Atelier befand sich damals noch in der Firma Aeschlimann AG, Zofingen, die der Künstler und Unternehmer vor einigen Jahren verkaufte. Seit 2006 ist St. Urban das Zentrum für das Residency-Programm. «Seither laden wir jeweils zwei jurierte Jungkünstler aus der ganzen Welt gemeinsam ein. Sie wohnen in den Unterkünften im Museum-art-pavillon, der ehemaligen Klinik für renitente Männer, die wir 2005 vom Kanton übernommen haben und in ein spezielles, funktionellen Kunstzentrum umgewandelt haben, und arbeiten im Grossatelier Roggliswil.» (is)

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A K T U E L L

Das letzte Kino in Nidwalden schloss seine Pforten 2012 nach 65 Jahren Betriebszeit. Dem Kino Buochs wurden die nötigen Investitionen für den Umstieg von analoger auf digitale Projektionstechnik zum Verhängnis.

Lange Zeit gab es im Kanton Nidwalden nur noch das Open-Air-Kinospektakel Buochs-Ennetbürgen in den Sommermonaten. Dies soll sich

nun ändern.

Die Frage scheint aber berech- tigt, wieso man in Zeiten, in de- nen immer mehr kleinere Kinos verschwinden, Besucherzahlen rückläufig sind und sich das Kon- sumverhalten allgemein durch Video-on-Demand-Diensten wie

Netflix und Co. verändert haben soll, ein neues Land- kino eröffnet. Geschäftsführer Bruno Arnold gibt sich ab diesem düsteren Bild jedoch unbeeindruckt und glaubt weiterhin an das Kino: «Im Gegensatz zu ande- ren Branchen hat das Kino die Digitalisierung bereits hinter sich. Passiert ist wenig.» Der Vorteil von kleineren Kinos ist zudem, dass Besucherrückgänge weniger ins Gewicht fallen als bei den grossen und sie so einfacher querfinanziert werden können.

Betrieben wird das neue Landkino von der Bildhaus GmbH, die bereits in Sarnen und Sins zwei ähnlich grosse Kinos erfolgreich subventionslos führt. An diese gewonnenen Erfahrungen soll das neue Stanser Kino anknüpfen, auch wenn der Geschmack der Nidwaldner zuerst noch etwas ausgelotet werden müsse, so Arnold.

Auch der neue Standort Stans soll sich eher an ein Ü30- Publikum richten, das lieber in der Region bleibt und nicht extra für einen Film in die Nachbarkantone fährt.

Neben dem riesigen Multiplex Pathé Kino in der Mall of Switzer- land eröffnet in der Zentralschweiz ein weiteres Kino seine Pforten,

jedoch etwas kleiner dimensioniert: In Stans, vis-à-vis vom Länderpark, werden ab Juli in zwei neuen Sälen im Kanton

Nidwalden endlich wieder Filme auf Leinwand gezeigt.

Von Jonas Petermann

Neues Landkino in Stans:

«Das Missionieren werden wir schön sein lassen»

Arnold: «Da sind Gemütlichkeit, Freundlichkeit, weniger Lärmpegel und die Erreichbarkeit stärkere Faktoren als Dolby Athmos, XXL-Popcorn und Fussballstadion- Feeling.» Der Betreiber sieht deshalb in den Multiplexen wie dem Maxx in Emmenbrücke oder dem Pathé in Ebikon wenig Konkurrenz.

Die Filmauswahl soll sich ganz demokratisch nach den Besucher- zahlen richten, jedoch immer für al- le Alterskategorien etwas zu bieten haben. Die Kunst sei dabei, für jede Besucherkategorie ihr bevorzugtes Zeitfenster zu finden: «Es macht zum Beispiel keinen Sinn, in der Vorwoche im Abendprogramm auf das jugendliche Publikum zu schielen, wenn diese am nächsten Tag zur Schule oder zur Arbeit müssen», so Arnold. Wenn man sich das Programm der anderen beiden Bildhaus-Kinos anschaut, dann dürften auch in Stans hauptsächlich Blockbuster-Filme gespielt werden.

Man versucht sich also nicht durch besondere Filme abzuheben, sondern durch eine Nähe zum Publikum.

Originalfassungen werden in Stans auch selten zu hören sein, da man damit in den anderen beiden Kinos schlechte Erfahrungen gemacht hat: «Wenn gerade mal 10 Prozent des Landkino-Publikums die Originalfassung vorzieht, ist das kein Geschäftsmodell. auf das man sich konzentrieren sollte.» Der Trend zu immer mehr Syn- chronisationen liegt also nicht bei den Kinobetreibern, sondern beim Zuschauer. Auch wenn der Kinoliebhaber Arnold selber diese Entwicklung bedauert, ist es ihm wichtig. «das Missionieren» sein zu lassen und sich an den Bedürfnissen der Besucher zu orientieren.

«Nicht die Kinos haben die Originalfassungen abgeschossen, sondern das Publikum.»

Geschäftsführer Bruno Arnold

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26 VON F LÜ E

«Im Zeitalter von Fake News, Korruption und Intrigen können wir uns fast nicht mehr vorstellen, welch ungeheure Ausstrahlung, Glaubwürdigkeit und Integrität Bruder Klaus gehabt hat», sagt Geri Dillier (68). Er ist der Regisseur des Sachsler Visionsgedenkspiels

«Vo innä uisä». Ein einzigartiges Spiel soll es werden, an dem, vor und hinter der Bühne, zahllose einheimische Laienspieler, Sänger, Künstler und Helfer beteiligt sind. Tausende Besucher sollen zum Pavillon aus rohem Holz in die Sachsler Landschaft kommen. Doch Geri Dillier betont auch, dass ein solcher Zulauf nicht neu sei: «Schon zu Lebzeiten des Mystikers sind Pilger und Gelehrte aus der ganzen Eidgenossenschaft, ja aus halb Europa in den Ranft gekommen.» Und sein jüngster Sohn, Jul Dillier (27) – er ist Kom- ponist, Klangkünstler und Verantwortlicher für die Musik im Visionsgedenkspiel – fügt hinzu: «Im Gedenkjahr ist Bruder Klaus hier wieder äusserst präsent, die Leute werden mit Informationen über ihn fast überfüttert.» Da habe man sich schon fragen müssen, was man der Gesellschaft mit einem Spiel zusätzlich noch bieten könne.

Eigentlich gab es nur eine Antwort auf diese Fra- ge. Und die war Vater und Sohn Dillier – aber auch dem Autor Paul Steinmann, der Videokünstlerin Judith Albert und all den andern Beteiligten – von Anfang an klar: Es konnte nicht Ziel sein, der ohnehin schon bes-

tens dokumentierten Gesellschaft weitere Informationen zu Niklaus von Flüe zu liefern.

Indessen: Was nur Theater bieten kann, ist eine sinnliche Erfahrung des Mystikers. «Wir nähern uns Klaus auf emotionale Weise, in- dem wir seine Innenwelt, seine Visionen mit den Augen und Ohren erfahrbar machen», sagt Musiker Jul Dillier. «Nicht intellektuelle Antworten liefern wir der Gesellschaft. Viel mehr respektieren wir das grosse Geheimnis um Bruder Klaus. Gerade dadurch kommen wir ihm näher.»

Starke Ruhe statt Geschwätzigkeit

«Im Theater geht es immer um Menschen», sagt Regisseur Geri Dillier. Auch in diesem Visionsgedenkspiel. Da seien 18 Spielerinnen und Spieler: Frauen, Männer, Nachbarn, der Beichtvater, Freunde, Politiker, Richter

und Skeptiker. Alle hätten sie den grossen Mann, der in Obwalden lebte, zehn Kinder hatte, Landwirt und Politiker war, bevor er in die Einsamkeit ging, mehr oder weniger gut gekannt. Und jetzt – Bruder Klaus sei eben gestorben – würden sie sich über ihn unterhalten. «So machen wir in Dialogen, Monologen und szenischen Bildern die Aus- senwelt von Bruder Klaus erlebbar», sagt Geri Dillier. «Die grösste Herausforderung für uns ist es, im Pavillon, einem schlichten, geschlossenen Spielraum, Konzentration, Aufmerksamkeit und Intensität aufkom- men zu lassen.» Und der Theatermann weiss nur zu genau: «Visionen sind derart grosse Geheimnisse, dass man sie weder illustrie- ren noch erklären kann.» Was aber Theater vermöge: «Einen Raum für den Zuschauer schaffen, in dem er bereit ist, sich darauf einzulassen.» Im Mittelpunkt des Stücks steht die bild- und tonstarke Pilgervision. Sie erzählt, wie ein unbekannter Pilger plötzlich vor Bruder Klaus steht und nur dieses eine Wort «Alleluja» singt. Wörtlich überliefert ist:

«Als er anfing zu singen, füllte die Stimme die Gegend und das Erdreich und alles, das zwischen Him- mel und Erde war, füllte die Stimme, wie es die kleinen Orgeln den grossen tun.»

«Wir wollen mit unserem Spiel keinesfalls etwas zer- schwatzen», hebt Geri Dillier hervor. Vielmehr gelte es, andere Räume zu öffnen. Mit bewegten Bildwelten: Judith Albert hat kunstvolle Videos geschaffen. Und mit Klangbildern: Jul Dillier hat sie im Ranft mit dem Mikrofon gesammelt. «Mit diesen Mitteln versuchen wir, immer wieder Stille zwischen Dialoge und Monologe zu bringen», sagt Geri Dillier. «Ja, wir arbeiten ganz stark mit der Ruhe, um Leute zum Nachdenken zu bringen.» Man wolle, wenn auch nicht zum Verschweigen, so doch zum Schweigen kommen. Sohn Jul Dillier ergänzt: «All die Leute, die mit Worten zu beschreiben versuchen, wie Bruder Klaus war, wie er an- kam, verstummen irgendwann.» In solchen Momenten aber würden Judith Albert mit Bild- und er mit Klangwelten (vom Rauschen des Bachs über Glocken bis zu Stimmen geht es) die Zuschauer und Zuhörer in eine andere Ebene führen. Eine wichtige Rolle spielen auch die von Paul Steinmann getexteten

Chorlieder. Über diese Bild- und Tonwelt –

«Vo innä uisä» – versuche das Gedenkspiel erfahrbar zu machen, wie Visionen Bruder Klaus geprägt haben, sagt Jul Dillier. Anders gesagt: Das Innenleben des Mystikers soll sinnlich erlebbar werden.

«Ein Visionsgedenkspiel ist nicht Theater im üblichen Sinn», gibt Geri Dillier zu beden- ken. Das grosse Geheimnis um diesen Mann könne man nicht als Drama mit Anfang und Ende abtun. «Wir schliessen bewusst nichts ab, bieten viel mehr Einstiegs- und Annäherungsmöglichkeiten», sagt Regisseur Geri Dillier. Am Ende des Stücks verlässt der Zuschauer den Pavillon. Hat die Landschaft mit den Kapellen vor sich, in der Bruder Klaus gelebt hatte. Da solle nach wie vor Platz für Leere bleiben. Auch für das Rätsel um diesen geheimnisvollen, heiligmässigen Menschen.

Visionsgedenkspiel 600 Jahre Niklaus von Flüe: Vo innä uisä, FR 18. August bis SA 30. September, Shuttlebus ab Sachseln Bahnhof

www.mehr-ranft.ch/visionsgedenkspiel

Vater Geri Dillier (Regie) und Sohn Jul Dillier (Musik) vor dem grossen Pavillon mitten in der Sachsler Landschaft, in dem das Visionsgedenkspiel stattfinden wird. Bild: Romano Cuonz

«Ja, wir arbeiten ganz stark mit der Ruhe, um Leute zum Nachdenken zu bringen.»

Regisseur Geri Dillier

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VON F LÜ E

Das Visionsgedenkspiel «Vo innä uisä» beschäftigt sich in der Sachsler Landschaft unter der Regie von Geri Dillier multimedial mit der Welt von Bruder Klaus und seinen Visionen.

Dabei wird auf die Vermittlung der sinnlichen Erfahrung des Mystikers gesetzt.

Von Romano Cuonz

Fürs grosse

Rätsel muss Platz bleiben

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Die Kirschtorte der Grilladen

G E F U N D E N E S F R E S S E N

Das mit dem Gut-Kirschen-Essen ist in diesem Jahr so eine Sache. Ein heftiger Frost hat in den letzten Nächten des Aprils in gewissen Regionen die gesamte Ernte vernichtet. Die Kälte erwischte die Bäume mitten in der Blüte. Vor allem Bauern, die alte Sorten kul- tivieren, die meist weitläufig verteilt auf den Wiesen an Hochstammbäumen wachsen und so schlechter geschützt werden können, hat es besonders stark getroffen. Auch Liebhaber der Innerschweizer Kirschen müssen sich daher in diesem Jahr auf ein schlechtes Jahr gefasst machen, die Beute am alljährlich stattfindenden Zuger Chriesimarkt dürfte gering ausfallen. Die Ernte der Kirschen läutete da früher die Zuger Chriesigloggä ein. Ihr Bimmeln war das hochoffizielle Signal, auf das die Bevölkerung die Zuger Allmend stürmte, um an den volkseigenen

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Bäumen die Kirschen zu ernten, der Zuger Chriesisturm. Heute geht es ein bisschen gesitteter vonstatten. Auf der Allmend steht ein Eishockeystadion, die Landwirte pflücken die Kirschen selber und bringen ihre Ware an den Chriesimarkt. Erstmals urkundlich erwähnt wurde der wunderschöne Markt im Jahr 1627. Am Landsgemeindeplatz beim See bieten Händler unzählige Kirschensor- ten in den verschiedensten Farben, Formen und Grössen an. Vor allem am traditionellen Chriesitag, der immer am letzten Samstag vor den Sommerferien stattfindet. Aber eben, der Frost... Ein Kirschen-Produkt dürfte aber auch in diesem Jahr gut verfügbar sein und reissenden Absatz finden: die Zuger Chriesi- wurst. Sie profitiert noch von der Ernte vom Vorjahr. In die Wurst, deren Grundmasse aus gehacktem Rinds-, Schweinefleisch und

etwas Halsspeck besteht, werden getrocknete, schwarze Kirschen beigemengt. Es gibt sie in zwei Versionen: eine etwas hellere, kleinere Variante zum Sieden und eine grössere, dunk- lere, etwas stärker geräucherte Wurst zum Grillieren. Beide schmecken hervorragend und sind bei der Metzgerei Rogenmoser in Zug und Baar erhältlich. Metzger Rogenmoser benötigt für die Wurst pro Jahr etwa 150 Kilo entsteinte und getrocknete Kirschen.

Trotz der eher kleinen Menge kann sich Christian Rogenmoser vorstellen, dass die geringe diesjährige Ernte im nächsten Jahr einen Einfluss auf den Preis haben wird. Ein weiterer Grund, jetzt zuzuschlagen.

Text und Bild: Sylvan Müller

Infos: www.metzgerei-rogenmoser.ch

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