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Die Bedeutung des extrazellulären Matrixproteins Reelin für kognitive Funktionen der Ratte

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Die Bedeutung des

extrazellulären Matrixproteins Reelin

für kognitive Funktionen der Ratte

Aus dem Institut für Hirnforschung, Abteilung Neuropharmakologie,

Zentrum für Kognitionswissenschaften

DISSERTATION

zur Erlangung des akademischen Grades

eines Doktors der Naturwissenschaften (Dr. rer. nat.)

Vorgelegt dem Fachbereich 2 (Biologie/Chemie) der Universität Bremen

von

Jan Brosda

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1. Gutachter:

Prof. Dr. Michael Koch

2. Gutachter:

Prof. Dr. Ursula Dicke

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Erklärung

Die Untersuchungen, auf denen die hier vorliegende Dissertation beruht, habe ich selbständig durchgeführt und ausgewertet. Das Manuskript habe ich eigenständig verfasst. Es wurden keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt. Wörtlich und inhaltlich entnommene Stellen aus den angegebenen Quellen sind gekennzeichnet.

Jan Brosda

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(9)

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ... 1

1.1 Allgemeine Einführung ... 1

1.2 Reelin – von der reeler-Mausmutante zum Protein ... 3

1.2.1 Das Reelin-Gen und das Reelin-Molekül ... 4

1.2.2 Das Reelin-Signal: Rezeptoren und Signaltransduktion... 7

1.2.3 Das Reelin-Signal im adulten Organismus... 10

1.3 Der präfrontale Cortex...15

1.3.1 Die Anatomie des PFC ...15

1.3.2 Die Konnektivitäten, zelluläre Organisation und Neurotransmitter des PFC...17

1.4 Schizophrenie ... 21

1.4.1 Symptomatik ...21

1.4.2 Ätiologie ... 22

1.4.3 Neuropathologie... 23

1.4.4 Der PFC und die Schizophrenie... 26

1.4.5 Reelin und die Schizophrenie ... 27

1.5 Tiermodelle ... 32

1.5.1 Die Präpulsinhibition der akustisch ausgelösten Schreckreaktion... 32

1.5.2 Bewertung des Kurzzeitgedächtnisses: Der T-Maze- und der Object-Recognition-Test ... 36

1.5.3 Messung der lokomotorischen Aktivität: Der Open-Field-Test... 37

1.5.4 Bewertung des spontanen Angstverhaltens: Der Elevated-Plus- Maze-Test ...40

1.5.5 Bewertung der Motivation: Die Breakpoint-Bestimmung im Progressive-Ratio-Test...40

1.6 Zielsetzung der Arbeit ... 43

2. Material und Methoden... 45

(10)

2.2 Antisense-Oligonukleotide ... 46

2.3 Experimentelles Design ...48

2.4 Stereotaktische Operation ... 50

2.5 Injektionsphase ...51

2.6 Tiermodelle ... 52

2.6.1 Präpulsinhibition der akustisch ausgelösten Schreckreaktion ... 52

2.6.2 T-Maze-Test ... 54

2.6.3 Object-Recognition-Test... 56

2.6.4 Lokomotorische Aktivität ... 56

2.6.5 Elevated-Plus-Maze-Test ... 58

2.6.6 Progressive-Ratio-Test... 59

2.7 Histologische und biochemische Untersuchungen ...60

2.7.1 Präparation der Gehirne – Histologie (Nissl-Färbung) ...61

2.7.2 Nissl-Färbung...61

2.7.3 Histologische Auswertung ...61

2.7.4 Präparation der Gehirne – Biochemie (Western Blot)...61

2.7.5 Proteinbestimmung nach Bradford... 62

2.7.6 SDS-Page... 62

2.7.7 Western Blot... 63

2.8 Statistische Datenanalyse... 64

3. Ergebnisse ... 67

3.1 Histologische und biochemische Auswertung – Pubertäre und adulte Gruppe ... 67

3.1.1 Histologische Auswertung ... 67

3.1.2 Biochemische Auswertung... 70

3.2 Verhaltenstests – Pubertäre Gruppe ... 73

3.2.1 Präpulsinhibition der akustisch ausgelösten Schreckreaktion ... 73

3.2.3 T-Maze-Test ... 75

(11)

3.2.5 Lokomotorische Aktivität ... 79

3.2.6 Elevated-Plus-Maze-Test ...80

3.2.7 Progressive-Ratio-Test...82

3.3 Verhaltenstests – Adulte Gruppe...84

3.3.1 Präpulsinhibition der akustisch ausgelösten Schreckreaktion ...84

3.3.2 T-Maze-Test ...86

3.3.3 Lokomotorische Aktivität ...88

4. Diskussion ... 91

4.1 Histologische und biochemische Auswertung ... 93

4.2 Angewandte Tiermodelle ... 96

4.2.1 Präpulsinhibition der akustisch ausgelösten Schreckreaktion ... 96

4.2.2 Kurzzeitgedächtnis: Der T-Maze- und Object-Recognition-Test... 102

4.2.3 Lokomotorische Aktivität ... 106

4.2.4 Angstverhalten: Der Elevated-Plus-Maze-Test ... 108

4.2.5 Motivation: Der Progressive-Ratio-Test...110

4.3 Zusammenfassung ... 113

5. Literaturverzeichnis... 117

(12)
(13)

Abkürzungsverzeichnis

5-HT 5-Hydroxytryptamin (Serotonin) ACd Anteriorer cingulärer Cortex ACh Acetylcholin

AMPA -Amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazol-Propionsäure ANOVA Analysis of variance

AON Antisense-Oligonukleotid ApoE Apolipoprotein E

Arc Activity regulated cytoskeletal protein AS Reelin-antisense

ASR Akustisch ausgelöste Schreckreaktion BSA Rinder-Serum-Albumin

Ca2+ Calcium

cm Zentimeter

CP Cortikalplatte

CPu Nucleus caudatus, Putamen CR Cajal-Retzius Zellen

CREB Cyclic adenosine monophosphate response element binding protein CRF Continuous reinforcement

DA Dopamin

Dab1 Cytoplamatisches Adapterprotein disabeld 1

dB Dezibel

dlPFC Dorsolateraler präfrontaler Cortex DNA Desoxyribonukleinsäure

Dnmt1 DNA-Methyltransferase 1

DSM IV Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen EGF Epidermal growth factor

EPM Elevated-Plus-Maze

EZM Extrazelluläre Matrix FR Fixed ratio

FR 2 Frontales Areal 2 F-SP F-Spondin g Gramm

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GAD67 Glutamat-Decarboxylase 67kDa Glu Glutamat GSK3 Glykogen-Synthase-Kinase 3 h Stunde i.p. Intraperitoneal IL Infralimbisches Areal ITI Intertrialintervall kb Kilobasen(-paare) kDa Kilodalton kg Kilogramm Lis1K Lissenzephalie-1-Komplex LTP Langzeitpotenzierung M Mol mA Milliampere MDT Mediodorsaler Thalamus mg Milligramm min Minute mm Millimeter

mPFC Medialer präfrontaler Cortex mRNA Messenger Ribonukleinsäure ms Millisekunde

MS Scramble-missense n Anzahl der Tiere MZ Marginalzone NAc Nucleus accumbens

nm Nanometer

NMDA N-Methyl-D-Aspartat

OF Open-Field

OR Object-Recognition PBS Phosphat buffered saline PCP Phencyclidin

pd postnatal Tag PFC Präfrontaler Cortex pH Pondus Hydrogenii PKB Proteinkinase B

(15)

PL Prälimbisches Areal

Pl3K Phosphatidylinositol-3-Kinase PM Pia mater

PnC Nucleus reticularis pontis caudalis PPI Präpulsinhibition

PPTg Pedunculopontiner tegmentaler Nucleus PR Progressive ratio

PSD95 Postsynaptic density protein 95 PTO Phosphothioat-Oligonukleotid PVDF Polyvinylidenfluorid RG Radialgliazellen RM Repeated measure S Signalpeptid SDS-Page Natriumdodecylsulfat-Polyacrylamid-Gelelektrophorese sek Sekunde SP Subplatte

SPL Sound pressure level V Volt

VLDL Very-low-density Lipoprotein VP Ventrales Pallidum

VTA Ventrales tegmentales Areal ZNS Zentrales Nervensystem °C Grad Celsius

31I Alpha-3-beta-1 Integrin μl Mikroliter

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1. Einleitung

1.1 Allgemeine Einführung

Reelin ist ein Glykoprotein der extrazellulären Matrix, das eine wichtige Rolle sowohl während der Embryogenese als auch im adulten Organismus spielt. Einhergehend mit der Entdeckung des Reelin-Gens im Jahr 1995, wurden in verschiedenen Arbeiten interessante und auch überraschende Erkenntnisse über Reelin gewonnen. Trotz dieses Erkenntnisfortschritts sind noch viele Fragen im Bereich der Reelin-Forschung ungeklärt und weitere Studien sind notwendig, um das Protein im Kontext der Cortikogenese aber auch seine Rolle bei der Ätiologie neuropsychiatrischer Erkrankungen besser verstehen und einordnen zu können.

Reelin moduliert während der Embryogenese entscheidende Schritte der neuronalen Entwicklung. Das Protein bindet an verschiedene Rezeptoren, die das Reelin-Signal intrazellulär verarbeiten, und kontrolliert sowohl wichtige Prozesse der Neuronenmigration als auch die Strukturierung der cortikalen Cytoarchitektur. Die schwerwiegenden Konsequenzen einer Dysfunktion dieses zentralen Signalsystems zeigen sich deutlich bei der reeler-Mausmutante, die bereits in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entdeckt und beschrieben wurde. Diese Spontanmutante ist durch spezifische Merkmale wie eine gestörte Reelin-Expression, Anomalien der cortikalen und cerebellären Struktur sowie motorischen Verhaltensdefiziten charakterisiert.

Neben der bereits gut verstandenen Funktion des Proteins während der Embryogenese, weisen verschiedene Studien auf eine entscheidende Rolle von Reelin sowohl bei schizophrenen Störungen als auch bei molekularen Prozessen der Gedächtnisbildung hin. Die Schizophrenie ist eine chronische psychische Erkrankung, die das Leben betroffener Personen sowie ihrer Angehörigen massiv beeinflusst. Nach heutigem Wissensstand sind sowohl Störungen in der Homöostase verschiedener Transmittersysteme als auch hirnmorphologische Anomalien entscheidende Faktoren der Erkrankung. Interessanterweise ergaben verschiedene Studien zu diesem Thema, dass eine cortikale Reduktion der Reelin-Konzentration sowohl die Abnahme des Neuropilvolumens als auch eine Beeinträchtigung der Transmitterbalance verursacht, so dass von einer zentralen Rolle von Reelin in der Pathophysiologie der Schizophrenie ausgegangen werden kann. Ob diese Reelin-Verarmung jedoch primär durch epigenetische bzw. genetische Faktoren oder

(20)

sekundär durch einen allgemeinen zellulären Verlust der Reelin-positiven GABAergen Interneurone verursacht wird, konnte in bisherigen Studien nicht eindeutig geklärt werden. Des Weiteren bildet Reelin im adulten Organismus einen funktionellen Komplex mit dem NMDA-Rezeptor und nimmt so auf physiologischer Ebene Einfluss auf Lern- und Gedächtnisprozesse, was durch verschiedene in vitro Studien nachgewiesen werden konnte. Trotz dieser wichtigen Erkenntnisse auf dem Gebiet der Reelin-Forschung konnten in vivo bisher noch keine aussagekräftigen Ergebnisse zur physiologischen Funktionsweise bzw. Rolle von Reelin im adulten Organismus erzielt werden.

Vor diesem Hintergrund wurde in der vorliegenden Arbeit der Effekt eines temporären Reelin-knockdowns im medialen präfrontalen Cortex auf das Verhalten von Ratten untersucht. Der mediale präfrontale Cortex ist ein Hirnareal, das in verschiedenen Verhaltensleistungen und kognitiven Funktionen von Säugetieren involviert ist. Zudem werden präfrontocortikale Dysfunktionen als Ursache von kognitiven Störungen und Verhaltensauffälligkeiten, wie sie bei bestimmten neuropsychiatrischen Erkrankungen auftreten, angesehen.

Die Hemmung der Reelin-Synthese im Rattenhirn wurde durch eine lokale Mikroinfusion von Reelin-antisense-Oligonukleotiden induziert und erfolgte entweder bei adulten Ratten oder während der Pubertät, einer durch progressiven sowie regressiven neuronalen Wandel charakterisierten kritischen Entwicklungsphase. Die antisense-Technik besitzt gegenüber Untersuchungen an der reeler-Maus den entscheidenden Vorteil, dass ein temporärer und topographisch begrenzter Reelin-knockdown durchgeführt werden kann und dass sowohl die Befunde der biochemischen und histologischen Untersuchungen als auch die Ergebnisse der verschiedenen Verhaltenstests direkt auf das spezifisch induzierte Reelin-Defizit im medialen präfrontalen Cortex der Ratte zurückzuführen sind.

(21)

1.2 Reelin – von der reeler-Mausmutante zum Protein

Im Jahr 1948 trat in einer Versuchstierhaltung in Edinburgh, Schottland, spontan die rezessive reeler-Mausmutante auf, die nach ihrem schwankenden Gang benannt wurde (to reel: wackeln, taumeln). Der britische Genetiker FALKONER beschrieb den

Phänotyp der Mutante erstmalig 1951 und fasste dessen Charakteristika allgemein als eine Störung der Motorik zusammen [FALCONER, 1951; D’ARCANGELO & CURRAN, 1998]. Wie erste anatomische Studien zeigten, wiesen homozygote reeler-Mäuse neuroanatomische cortikale, cerebelläre und hippocampale Anomalien auf und waren daraufhin Gegenstand intensiver Untersuchungen, um Aufschlüsse über die damals noch nicht vollständig verstandene Cortikogenese zu erhalten (Exkurs 1) [HAMBURGH,

1963;D’ARCANGELO & CURRAN, 1998;TISSIR &GOFFINET,2003].

Interessanterweise ist der in Exkurs 1 beschriebene Entwicklungsprozess der sogenannten inside-out Schichtung des Cortex bei homozygoten reeler-Mäusen schwerwiegend gestört. Verglichen mit Wildtyp-Tieren sind sowohl die Anzahl der Neurone und der Zeitpunkt der Neuronendifferenzierung als auch die initiale Neuronenmigration identisch. Jedoch scheint die Steuerung und Modulation der Migrationsterminierung, die unerlässlich für die inside-out Schichtung ist, bei den Mutanten gestört zu sein  es kommt zu einer lockeren und unstrukturierten Cytoarchitektur (Abb. 1.1) [LAMBERT DE ROUVROIT & GOFFINET, 1998; FROTSCHER,

1998]. Die weitere Differenzierung der Neurone ist größtenteils unbeeinflusst, d.h. es bilden sich normale neuronale Populationen, die Dendritenbäume und Axone verästeln sich vergleichbar zum Wildtyp und bilden zum Teil Verbindungen mit ihren physiologischen Zielen aus. Aufgrund der fehlerhaften Neuronenpositionierung sind diese Verbindungen jedoch oft deformiert und fehlgeleitet (Abb. 1.2) [LAMBERT DE

ROUVROIT &GOFFINET,1998].

Durch anatomische Studien an der homozygoten reeler-Maus konnten jedoch keine Erkenntnisse über die molekularen Mechanismen der Mutation gewonnen werden. Erst nachdem 1995 die Klonierung des Gens erfolgte und zeitgleich ein Antikörper (CR-50) entwickelt wurde, der an ein Epitop des Translationsprodukts bindet, erfolgte die Entdeckung und Bezeichnung des Proteins: Reelin [D’ARCANGELO ET AL.,1995;OGAWA ET AL.,1995A].

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Während der frühen Cortikogenese migrieren Pionierneurone aus der Ventrikularzone, in der sie sich aus Vorläuferzellen differenzieren, an Radialgliazellen assoziiert in Richtung Pia mater [BERRY & ROGERS, 1965]. Dort formen sie die Präplatte, bestehend aus zwei transienten Zellpopulationen: Zum einen die Cajal-Retzius Zellen, welche in der Marginalzone verbleiben und Reelin sezernieren und zum anderen die Neurone der Subplatte [MARIN-PADILLA,1971;RICKMANN ET AL., 1977; D’ARCANGELO, 2005]. Cortikale Neurone wandern in folgenden Migrationswellen zwischen die pial gelegene Marginalzone und in die tiefer gelegene Subplatte ein und bilden die Cortikalplatte [KOSTOVIC & RAKIC, 1980;ABOITIZ ET AL.,2005]. Chronologisch früh migrierende Neurone bilden dabei Schicht VI. Später generierte Neurone passieren diesen Bereich in Richtung pialer Oberfläche und bilden Schicht V. Während der Cortikogenese werden die innersten Schichten also zuerst gebildet, so dass sich die charakteristische inside-out-Strukturierung des Cortex bildet (Abb.1.1 A) [ANGEVINE &SIDMAN,1961;PARNAVELAS,2000;RAKIC,2006].

Der Neocortex adulter Säuger ist meist in sechs Schichten unterteilt. Innerhalb jeder Schicht sind Neurone gleicher morphologischer und physiologischer Charakteristika, Innervationsstrukturen und Entwicklungszeitpunkte vorzufinden. Die unterhalb der Pia mater lokalisierte Schichtung, die Marginalzone oder Schicht I, ist arm an neuronalen Somata und enthält verschiedene tangential ziehende axonale Termini aus tiefer gelegenen Schichten sowie apikale Dendriten der Pyramidenzellen. In Schicht II und III sind vornehmlich kleinere Neurone positioniert, die Afferenzen und Efferenzen in andere cortikale Gebiete besitzen, wohingegen größere Pyramidenzellen mit ihren Projektionen in subcortikale Regionen in Schicht V lokalisiert sind. Neurone, die hauptsächlich thalamische Afferenzen erhalten, sind in Schicht IV, solche mit Efferenzen in den Thalamus in Schicht VI positioniert [MARIN-PADILLA, 1978; D’ARCANGELO & CURRAN,1998]. Aufgrund dieses Netzwerkes, bestehend aus diversen verschiedenen cortikalen und subcortikalen Verbindungen, nimmt der Neocortex eine dominante Rolle bei motorischen, sensorischen und perzeptionellen Prozessen ein.

Exkurs 1 : Cortikogenese

1.2.1 Das Reelin-Gen und das Reelin-Molekül

Das extrazelluläre Matrix (EZM) Glykoprotein Reelin zeigt ein breites Expressionsmuster – Reelin-positive Zellen sind im gesamten Neocortex, Hippokampus, Cerebellum, olfaktorischen Bulbus, Striatum, Hypothalamus und Colliculus superior immunhistologisch nachweisbar. Während der Embryogenese finden sich die höchsten Konzentrationen in der Marginalzone, in der Reelin-

(23)

Abb. 1.1 Cortikale Schichtung bei Wildtyp und homozygoten reeler-Mäusen. (A) Im Cortex von

Wildtyp-Mäusen wird die Präplatte durch radial einwandernde Neurone in die Marginalzone und Subplatte geteilt und es entwickelt sich die charakteristische cortikale inside-out-Schichtung. (B) Eine Reelin-Verarmung, wie sie bei homozygoten reeler-Mäusen vorzufinden ist, induziert eine unstrukturierte neuronale Anordnung (outside-in). Abbkürzung: CR, Cajal-Retzius Zellen; PM, Pia mater; MZ, Marginalzone; CP, Cortikalplatte; SP, Subplatte; RG, Radialgliazellen [nach TISSIR & GOFFINET,2003].

Abb. 1.2 Golgi-Färbung cortikaler Pyramidenzellen. (A) Cortikale Pyramidenzellen von

Wildtyp-Mäusen zeigen eine gleichmäßige Ausprägung apikaler Dendriten (Pfeil), welche vom Zellkörper zur Marginalzone verlaufen (cortikale Schicht I). (B) Die normale Orientierung der Dendriten ist bei homozygoten reeler-Mäusen verloren. Eine Ausrichtung erfolgt diffus in verschiedene Richtungen (Pfeil). Maßeinheit 100μm [FROTSCHER ET AL.,2009].

PM PM

CP CP

MZ

SP

(24)

Moleküle von Cajal-Retzius Zellen sezerniert werden. Im adulten Organismus kommt es vornehmlich zu einer topographischen Sekretionsverlagerung auf cortikale GABAerge Interneurone der Schichten II-IV, zum Teil aber auch auf cerebrale Granulazellen und hippocampale Interneurone. Zusätzlich ist das Protein in Geweben wie Retina, Rückenmark, Blut, Leber, Milz und Nieren zu finden [IMPAGNATIELLO ET AL.,1998;PESOLD ET AL.,1998;FATEMI ET AL.,2000;LACOR ET AL., 2000;MARTINEZ-CERDENO ET AL.,2002].

Das Reelin-Gen kann in allen Wirbeltieren gefunden werden und ist bei Mäusen, Ratten und Menschen auf dem jeweiligen Chromosom 5, 4 bzw. 7q22 lokalisiert. Es umfasst bei diesen Spezies ungefähr 450kb und kodiert eine 12kb lange mRNA, die aus 65 Exons besteht. Zwei alternative Splicevarianten sind bekannt: Die Insertation eines sechs Nukleotiden großen Mikroexons in neuronale mRNA sowie eine alternative Form der Polyadenylierung (die funktionelle Bedeutung konnte noch nicht vollständig geklärt werden). Die mRNA kodiert für das aus 3461 Aminosäuren bestehende Reelin-Protein, welches in Abb. 1.3 illustriert ist [DESILVA ET AL., 1997;

ROYAUX ET AL.,1997;LAMBERT DE ROUVROIT ET AL.,1999A]. Dem N-Terminus, der ein

Signalpeptid (27 Aminosäuren) trägt, folgt eine Region, die Ähnlichkeiten zu F-Spondin aufweist. Außerdem schließt sich ein Bereich an, der einzig bei Reelin vorzufinden ist und als Epitop für verschiedene Antikörper (CR-50, G-10, 142) agiert. Der zentrale Teil des Proteins ist aus acht homologen Sequenzen, die jeweils durch ein EGF-Motiv in zwei Wiederholungen unterteilt sind, aufgebaut. Der basische C-Terminus besteht aus 33 Aminosäuren und ist hochgradig konserviert in allen untersuchten Säugern vorgefunden worden [DE BERGEYCK ET AL.,1998].

H-Region

Abb. 1.3 Aufbau des Reelin-Proteins. Die Sequenz beginnt mit einem Signalpeptid (S), gefolgt von

einer Region, die Ähnlichkeit zu F-Spondin aufweist (F-SP) und der sogenannten H-Region (Bindungsstelle für verschiedene Antikörper, z.B. CR-50), gefolgt von acht Wiederholungen, in deren Zentrum ein EGF-Motiv lokalisiert ist. Die Sequenz endet mit einer basischen Region (+). Die Pfeile markieren die Bereiche der in vivo Prozessierung [nach TISSIR &GOFFINET,2003].

S F-SP EGF-Motiv + 3 4 5 6 2 7 8 1

(25)

In vivo wird Reelin proteolytisch prozessiert und zwischen den homologen Sequenzen zwei und drei sowie sechs und sieben gespalten, so dass letztendlich Fragmente verschiedener Länge im extrazellulären Milieu vorliegen. Die beteiligten Enzyme gehören zu der Gruppe der Metallproteinasen, konnten jedoch noch nicht weiter spezifiziert werden [LAMBERT DE ROUVROIT ET AL.,1999B;JOSSIN,2008].Auch

die physiologische Funktion der einzelnen Reelin-Fragmente ist noch nicht vollständig verstanden. So zeigten JOSSIN und Mitarbeiter eine pivotale Rolle des

zentralen Fragments während der Embryogenese [JOSSIN ET AL.,2004;JOSSIN ET AL.,

2007], während weitere Studien die N-terminale Region [UTSUNOMIYA-TATE ET AL.,

2000;KUBO ET AL.,2002], die C-terminale Region [NAKANO ET AL.,2007;KOHNO ET AL.,2009A] bzw. das unprozessierte Molekül [KOHNO ET AL.,2009B] als essentiell in

Bezug auf die Signaltansduktion herausstellten.

1.2.2 Das Reelin-Signal: Rezeptoren und Signaltransduktion

Wie bereits erwähnt ist Reelin bzw. die Reelin-Signalkaskade unerlässlich für die Neuronenpositionierung während der Embryogenese. Neurone migrieren an Radialgliazellen assoziiert aus der Ventrikularzone in Richtung Marginalzone. Das durch die hier lokalisierten Cajal-Retzius Zellen sezernierte Reelin vermittelt über spezifische Rezeptoren (s.u.) Positionierungs- bzw. Stoppsignale bei den einwandernden Zellen und kontrolliert so die finale Cortexlaminierung.

Doch wie steuert und moduliert Reelin diesen Prozess auf molekularer Ebene? Intrazellulär ist das Protein in Golgi-Vesikeln gespeichert und wird über einen konstitutiven Sekretionsweg axonal via Exocytose in die EZM sekretiert [DERER ET AL., 2001]. Dieser Prozess wird demnach nicht durch eine Depolarisation der Zelle reguliert bzw. ist unabhängig von einer Ca2+-vermittelten Exocytose [LACOR ET AL., 2000; MARTINEZ-CERDENO ET AL., 2002]. Im extrazellulären Milieu wird Reelin

anschließend prozessiert und induziert die Signaltransduktion.

Durch ausgiebige Studien in den letzten Jahren ist es mit Hilfe genetischer und biochemischer Methoden gelungen, einen linearen Signaltransduktionsweg zu etablieren, in dem das extrazelluläre Binden von Reelin an den Apolipoprotein E (ApoE)-Rezeptor 2 und very-low-density Lipoprotein (VLDL)-Rezeptor bzw. den alpha-3-beta-1 Integrin (31I)-Rezeptor zu einer Aktivierung des cytoplamatischen Adapterproteins disabled 1 (Dab1) führt. Interessanterweise scheinen

(26)

Reelin-Oligomere ein clustering von ApoE-Rezeptoren 2 bzw. VLDL-Rezeptoren auszulösen, welches wiederum eine Dimerisation/Oligomerisation von Dab1-Molekülen (welche intrazellulär mit NPxY-Motiven der Rezeptoren assoziiert sind) zur Folge hat und im Weiteren zu deren Phosphorylierung an bestimmten Tyrosinresten führt – Reelin-Monomere sind dagegen nicht in der Lage in vitro ein Signal zu induzieren [D’ARCANGELO ET AL., 1999; HIESBERGER ET AL., 1999; DULABON ET AL., 2000; UTSUNOMIYA-TATE ET AL., 2000; STRASSER ET AL., 2004]. Die Phosphorylierung der

Dab1-Oligomere durch die nicht-transmembranen Tyrosinkinasen Scr und Fyn (Mitglieder der Kinasen-Familie SFK) induziert eine positive Rückkoppelungsschleife, die die Phosphorylierung der beteiligten Moleküle – und dadurch das Reelin-Signal – potenziert (Abb. 1.4) [ARNAUD ET AL., 2003; BOCK &

HERZ,2003;FENG &COOPER,2009].

Die hohe lokale Konzentration der phosphorylierten Dab1- und SFK-Moleküle aktiviert verschiedene Signalkaskaden, die mit der Cytoskelett- und Mikrotubuli-Dynamik interagieren und dadurch einen direkten Einfluss auf die neuronale Migration ausüben. So aktivieren phosphorylierte Dab1-Moleküle eine cytoplasmatische Kinase-Kaskade, beginnend mit der Phosphatidylinositol-3-Kinase, resultierend in der Aktivierung der Proteinkinase B und endend mit der Inhibition der Glykogen-Synthase-Kinase 3, welche (aktiviert) das Mikrotubuli-stabilisierende Protein tau phosphoryliert (Abb. 1.4). Der Phosphorylierungsgrad von tau gilt als gut untersuchter Marker für die Stabilität des Cytoskeletts, wobei sich eine tau-Hyperphosphorylierung negativ auf die Stabilität der Mikrotubuli auswirkt [BILLINGSLEY &KINCAID,1997;MERRICK ET AL.,1997;BEFFERT ET AL.,2002].

Ferner aktivieren phosphorylierte Dab1-Moleküle zwei weitere Signalkaskaden. Zum einen interagieren Proteine der CRK-Familie mit Dab1 und induzieren über die Aktivierung einer GTPase die Formation von Rap1-GTP-Molekülen. Zum anderen aktiviert Dab1 den Lissenzephalie-1-Komplex, der wie Rap1, mit seinen -Untereinheiten regulatorisch auf die Mikrotubuli- und Cytoskelett- Dynamik wirkt (Abb. 1.4)[ASSADI ET AL.,2003;BALLIF ET AL.,2004].

Zusammenfassend scheint Reelin über seine Rezeptoren und Dab1 wichtige Komponenten des Signalsystems der Neuronenpositionierung zu koordinieren. Störungen dieses Systems führen zum reeler- bzw. reeler-like-Phänotyp [HOWELL ET AL., 1997; TROMMSDORFF ET AL., 1999]. Die Zellen passieren die zuvor migrierten

Neurone nicht mehr und anstelle der charakteristischen inside-out-Schichtung entsteht eine diffuse outside-in-Positionierung (Abb. 1.1 und 1.2; Exkurs 1).

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- Migrationsstop?

- Strukturelle Plastzität

- Organistation der Mikrotubuli

- Neuronale Migration - Cortikale Laminierung Plasmamembran VLDL- Rezeptor ApoE- Rezeptor 2 SFK Pl3K PKB GSK3  CRK GTPase RAP1 RAP1 GDP GTP Lis1K 1 2 Dab1 31I- Rezeptor 1 2 3 Reelin Reelin

Abb. 1.4 Schematische Darstellung des Reelin-Signaltransduktionsweges. Reelin bindet extrazellulär

mit hoher Affinität an die ApoE-Rezeptoren 2 und VLDL-Rezeptoren. Intrazellulär werden Dab1- und SFK-Moleküle in einer positiven Rückkopplungsschleife phosphoryliert, was in einer Aktivierung verschiedener Signalkaskaden resultiert. (1) Dab1 aktiviert die Phosphatidylinositol-3-Kinase (Pl3K), die wiederum die Proteinkinase B (PKB) aktiviert. PKB inhibiert die Aktivität der Glykogen-Synthase-Kinase 3 (GSK3) und unterstützt, durch eine reduzierte Phosphorylierung des tau-Proteins (), die Mikrotubuli-Stabilität. (2) Dab1 aktiviert Proteine der CRK-Familie, die über eine GTPase die Formation von Rap1-GTP-Molekülen induzieren und (3) den Lissenzephalie-1-Komplex (Lis1K), der wie Rap1, mit seinen -Untereinheiten die Mikrotubuli- und Cytoskelett-Dynamik unterstützt. Die Interaktion zwischen Reelin und Integrinrezeptoren (31I) induziert vermutlich Prozesse der strukturellen Plastizität [nach HERZ &CHEN,2006;QIU &WEEBER,2008].

(28)

Wie bereits in Abschnitt 1.2 erläutert, zeigt sich postnatal ein zellulärer und topographischer Wechsel der Reelin-Expression. Zusätzlich werden essentielle Moleküle des beschriebenen Signalwegs weiterhin im adulten Organismus exprimiert. Es stellt sich die Frage, welche Funktion das Protein nach Beendigung der Embryogenese im heranwachsenden bzw. adulten Organismus erfüllt.

1.2.3 Das Reelin-Signal im adulten Organismus

Im Gegensatz zu der gut untersuchten Funktion von Reelin während der Cortikogenese, ist dessen Rolle im adulten zentralen Nervensystem (ZNS) bisher nur oberflächlich verstanden.

HERZ und Mitarbeiter vermuteten 2002 erstmals, dass Reelin auf

physiologischer Ebene einen modulierenden Einfluss auf kognitive Prozesse ausüben könnte. Anhand hippocampaler Hirnschnitte wurde verdeutlicht, dass das Protein über ApoE-Rezeptoren 2 und VLDL-Rezeptoren verstärkend auf Prozesse der Langzeitpotenzierung (LTP), einem elektrophysiologischen Korrelat zu Lern- und Gedächtnisprozessen, wirkt. Ebenso verschlechterte sich bei ApoE-Rezeptor 2 und VLDL-Rezeptor knockout-Mäusen die Lernleistung bei der Furchtkonditionierung [WEEBER ET AL., 2002]. Weiterführende Studien bestätigten diese Ergebnisse und

offenbarten, dass insbesondere der ApoE-Rezeptor 2 postsynaptisch vermehrt in exzitatorischen Synapsen lokalisiert ist und einen funktionellen Komplex mit N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptoren bildet. Reelin scheint zum einen über NMDA-Rezeptoren den Ca2+-Einstrom in cortikale Neurone zu verstärken und zum anderen die entwicklungsabhängige Veränderung der NMDA-Rezeptoruntereinheiten, nämlich von NR2B zu NR2A, zu kontrollieren [BEFFERT ET AL.,2005;CHEN ET AL.,2005;SINAGRA ET AL.,2005;CAMPO ET AL.,2009].

Darüber hinaus kamen Untersuchungen an Neuronenkulturen zu dem Ergebnis, dass das Reelin-Signal für die normale Entwicklung dendritischer Strukturen benötigt wird. Eine Inhibition von Reelin oder Dab1 induziert ein vermindertes Dendritenwachstum und eine Reduktion dendritischer Fortsätze [NIU ET AL., 2004; QIU & WEEBER, 2008]. Während in den vorausgegangenen Beschreibungen der ApoE-Rezeptor 2 und der VLDL-Rezeptor im Mittelpunkt standen, ist die Funktion des in Abschnitt 1.2.2 erwähnten 31I-Rezeptors noch relativ unbekannt. Allerdings gibt es interessante Studien der COSTA-Gruppe, in

(29)

denen verdeutlicht wurde, dass Reelin über den Integrinrezeptor maßgeblich an der Expression des Proteins Arc (activity regulated cytoskeletal protein) und somit an der Formation des Cytoskeletts beteiligt ist (Abb. 1.4) [GUIDOTTI ET AL.,2000A;DONG ET AL.,2003].

Eine ausgeglichene Reelin-Konzentration scheint somit bedeutend für die Entwicklung dendritischer Strukturen sowie der NMDA-Rezeptorfunktion zu sein und ist deshalb wahrscheinlich von zentraler Bedeutung für die neuronale Informationsverarbeitung. Dieser Gedanke steht im Einklang mit Untersuchungen an heterozygoten reeler-Mäusen, die neben einer reduzierten Dendritendichte Defizite in verschiedenen Verhaltens- und Lernparadigmen aufwiesen [QIU &WEEBER,2008].

Beispielsweise zeigten reeler-Mäuse eine verminderte Präpulsinhibition der akustisch ausgelösten Schreckreaktion [TUETING ET AL., 1999; QIU ET AL., 2006], eine

verschlechterte Furchtkonditionierung [QIU ET AL., 2006], ein erhöhtes

Angstverhalten [TUETING ET AL.,1999] oder Defizite im reversal learning [BRIGMAN ET AL.,2006]. Der Vollständigkeit halber sei jedoch erwähnt, dass einige Studien keine

Verhaltensunterschiede zwischen reeler- und Wildtyp-Mäusen nachweisen konnten [SALINGER ET AL.,2003;PODHORNA &DIDRIKSEN,2004;KRUEGER ET AL.,2006].

Doch wie reguliert Reelin den NMDA-Rezeptor, die Dendritenmorphologie und das Verhalten des adulten Nagers? Der Reelin-Signalkomplex ist intrazellulär über das postsynaptic density protein 95 (PSD95) mit NMDA-Rezeptoren assoziiert. Zusätzlich phosphorylieren Reelin-aktivierte SFKs die NMDA-Rezeptoruntereinheiten NR2A und NR2B und modulieren so einen verstärkten Glutamat (Glu)-ausgelösten, NMDA-Rezeptor vermittelten, Ca2+-Einstrom. Die potenzierte intrazelluläre Ca2+-Konzentration aktiviert Transkriptionsfaktoren (CREB, cyclic AMP-response element binding protein) und dadurch möglicherweise die Expression von Genen, die wichtig für Prozesse der synaptischen Plastizität, der Dendritenentwicklung und Gedächtnisleistung sind (Abb. 1.5) [WEEBER ET AL.,2002;

BEFFERT ET AL.,2005; CHEN ET AL.,2005].

Zusammenfassend lässt sich herausstellen, dass Reelin als transneurales Botenmolekül agiert, das direkt die NMDA-Rezeptorfunktion und -homöostase sowie Abläufe der synaptischen Plastizität reguliert und dadurch auf physiologischer Ebene wesentlich an Lern-, Gedächtnis- und Verhaltensleistungen beteiligt sein könnte. Darüber hinaus sind Störungen dieses Systems an der Pathophysiologie verschiedener neuropsychiatrischer Erkrankungen wie der

(30)

Reelin VLDL-Rezeptor ApoE- Rezeptor 2 Ca2+ NMDA- Plasma-membran Rezeptor PSD95

Abb. 1.5 Model für den funktionellen Komplex des Reelin-Signalsystems mit dem NMDA-Rezeptor. Das Reelin-Signal aktiviert sowohl das intrazelluäre postsynaptic density protein 95 (PSD95) als auch SFK-Moleküle, welche eine Phosphorylierung der NMDA-Rezeptoruntereinheiten NR2A und NR2B vermitteln. Daraus resultiert ein verstärkter Ca2+-Einstrom durch den NMDA-Rezeptor. Ca2+ aktiviert

Transkriptionsfaktoren, die Prozesse der synaptischen Plastizität modulieren.Transparent dargestellt sind die in Abb. 1.4 beschriebenen Signalkaskaden [nach BEFFERT ET AL.,2005;HERZ &CHEN,2006].

SFK CRK Pl3K PKB GSK3  RAP1 GDP GTP 1 Dab1 Lis1K Ca2+ 2 GTPase RAP1 CREB - Synaptische Plastizität

- Modifizierung der NMDA-Rezeptoren

(31)

Schizophrenie, involviert. Dieses soll in Exkurs 2 und Abschnitt 1.4.5 näher erläutert werden.

Neben der Rolle von Reelin bei schizophrenen Erkrankungen scheint das Protein auch am Krankheitsbild des Autismus beteiligt zu sein. Biochemische Untersuchungen stellten eine Reduktion von Reelin in verschiedenen Gehirnarealen [FATEMI ET AL.,2002;FATEMI ET AL.,2005] und eine Abnahme der 410- und 330kDa Reelin-Fragmente in Blutproben von Autisten fest [FATEMI ET AL., 2002; LUGLI ET AL., 2003]. Zusätzlich offenbarten verschiedene Studien eine Verbindung zwischen einem Reelin-Gen-Polymorphismus und der Krankheit [PERSICO ET AL., 2001;ZHANG ET AL.,2002].

Mitarbeiter der COSTA-Gruppe zeigten anhand neuroanatomischer post mortem Studien eine Reelin-Verarmung im Cerebellum, Hippocampus und frontalen Cortex bei Patienten mit schizophrenen, bipolaren oder depressiven Störungen. Sie nahmen an, dass Reelin-Anomalien mögliche Vulnerabilitätsfaktoren für die Pathogenese dieser Erkrankungen darstellen könnten [IMPAGNATIELLO ET AL.,1998; GUIDOTTI ET AL.,2000B]. Die Reduktion der Reelin-Konzentration war zudem mit einer Abnahme der Glu-Decarboxylase 67kDa (GAD67) assoziiert (einem Enzym des

-Aminobuttersäure (GABA)-Metabolismus), was anschließend zu der Theorie einer Reelin-abhängigen GABAergen Dysfunktion führte [FATEMI ET AL., 2005A; GUIDOTTI ET AL., 2005]. In jüngerer Vergangenheit konnte zudem gezeigt werden, dass eine Hypermethylierung des Reelin-Promotors verantwortlich für die Reelin-Verarmung schizophrener Patienten ist [COSTA ET AL., 2003B; ABDOLMALEKY ET AL., 2004]. Demnach könnte eine verstärkte Expression der DNA-Methyltransferase 1 (Dnmt1) in GABAergen Interneuronen präfrontaler Cortizes schizophrener Patienten eine verstärkte Methylierung der Reelin- und GAD67-Promotoren und so eine

Herunterregulierung dieser Gene induzieren [COSTA ET AL.,2003B]. Interessanterweise konnte eine durch L-Methionin ausgelöste Hypermethylierung und Reelin-Verarmung sowie eine Störung der sensomotorischen Informationsverarbeitung im Tiermodell durch das Antiepileptikum Valporat antagonisiert werden [TREMOLIZZO ET AL.,2005;DONG ET AL.,2007].

Viele Proteine des Säugergehirns partizipieren an Wachstums- und Entwicklungsprozessen des CNS. Hierbei übernimmt Reelin wesentliche Aufgaben bei der Neuronenmigration und synaptischen Plastizität. Störungen des Reelin-Signals werden mit verschiedenen neuropsychiatrischen Erkrankungen in Verbindung gebracht, z.B. Schizophrenie [IMPAGNATIELLO ET AL.,1998;FATEMI ET AL.,2000;COSTA ET AL.,2003A], bipolare Störung [IMPAGNATIELLO ET AL., 1998;FATEMI ET AL.,2000;GUIDOTTI ET AL.,2000A], Depression [FATEMI ET AL.,2001;KNABLE ET AL., 2004], Autismus [PERSICO ET AL., 2001; FATEMI ET AL., 2002; ZHANG ET AL., 2002], Lissenzephalie [HONG ET AL.,2000;MIYATA ET AL.,2004] und Alzheimersche Erkrankung [SAEZ -VALERO ET AL.,2003;BOTELLA-LOPEZ ET AL.,2006].

(32)

Letztendlich könnten Dysfunktionen des Reelin-Signalwegs an Entstehung und Verlauf der Alzheimerschen Erkrankung beteiligt sein. SAEZ-VALERO und BOTELLA-LOPEZ maßen eine erhöhte Konzentration des 180kDa-Reelin-Fragments und des unprozessierten Proteins in der Rückenmarksflüssigkeit und im frontalen Cortex betroffener Patienten und führten das Ergebnis auf eine fehlerhafte Protein-Prozessierung zurück [SAEZ-VALERO ET AL.2003;BOTELLA-LOPEZ ET AL. 2006]. Inwiefern ein dadurch gestörtes Reelin-Signal zu einem Anstieg der tau-Phosphorylierung führt und in Folge dessen in einer Cytoskelettinstabilität und Neuronendegeneration resultiert, ist in zukünftigen Studien zu klären. Fraglich ist zudem, ob eine Dysfunktion des Reelin-Signals ein Vulnerabilitätsfaktor der Erkrankung darstellt oder nur Resultat des neurodegenerativen Krankheitsverlaufs ist.

Lissenzephalien sind eine klinisch und genetisch heterogene Gruppe cerebraler Fehlbildungen, die durch embryonale Migrationsstörungen charakterisiert sind [UYANIK ET AL., 2003]. Auch hier scheint Reelin in der Pathogenese involviert zu sein. Arbeiten von HONG und CHANG zeigten zum einen eine Abnahme der Reelin-Konzentration in Seren betroffener Patienten [HONG ET AL.,2000;CHANG ET AL.,2007], und zum anderen, dass Störungen des in der Reelin-Signalkaskade involvierten Proteins LIS1 zu einer charakteristischen Fehlentwicklung des Gehirns beitragen können [ASSADI ET AL.,2003].

(33)

1.3 Der präfrontale Cortex

Der präfrontale Cortex (PFC) steht seit Jahren im Zentrum verschiedener Studien, da Dysfunktionen in diesem Hirngebiet mit verschiedenen kognitiven Störungen und Verhaltensauffälligkeiten, wie sie bei neuropsychiatrischen Erkrankungen auftreten, assoziiert werden. So treten als Folge von präfrontalen Störungen beispielsweise Defizite des Kurzzeitgedächtnisses, der Aufmerksamkeitsleistung oder emotionale Beeinträchtigungen auf [MILLER & MAYFORD, 1999; DALLEY ET AL., 2004; ROBBINS,

2005].

Phylogenetisch und ontogenetisch repräsentiert der PFC eine der am spätesten entwickelten Hirnstrukturen und wird den cortikalen Assoziationsarealen zugeordnet. Diese stellen die höchste Ebene der funktionellen cortikalen Hierarchie dar und sind maßgeblich an kognitiven und emotionalen Prozessen beteiligt [FUSTER,

2001; FUSTER, 2002]. Studien an Menschen, Primaten und Nagern offenbarten

zudem, dass dem PFC eine exekutive Funktionalität zugeordnet wird, die es dem Organismus ermöglicht sowohl zielgerichtetes Verhalten zu generieren und zu steuern als auch adäquate Verhaltensprogramme in verschiedenen Situationen zu aktivieren bzw. unangemessenes Verhalten zu unterdrücken [FUSTER, 2001;DALLEY ET AL.,2004].

1.3.1 Die Anatomie des PFC

Als PFC wird derjenige Teil des cerebralen Cortex bezeichnet, der reziproke Konnektivitäten mit dem mediodorsalen Thalamus (MDT) aufweist. Aufgrund dieses hodologischen Kriteriums zeigt sich, dass der PFC bei allen Säugetieren vorhanden ist, obwohl es deutliche Variationen zwischen den Spezies gibt. So ergaben anatomische Studien sowohl Unterschiede in der Cytoarchitektur und den Konnektivitäten als auch in der Anzahl der Cortexschichten – beispielweise ist die Schicht IV bei Ratten nicht vorhanden. Trotz dieser vielfältigen Variationen geht man von einer starken funktionellen und organisatorischen Äquivalenz der Hirnareale aus [UYLINGS & VAN EDEN,1990;FUSTER,2001;UYLINGS ET AL.,2003].

Aufgrund der Konnektivitäten mit verschiedenen Bereichen des MDT kann der PFC der Ratte in eine mediale und laterale Komponente unterteilt werden, wobei der mediale PFC (mPFC) topographisch in einen dorsalen (frontales Areal 2, anteriore

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IL PL ACd

FR 2

Abb. 1.6 Anatomische Einteilung des medialen präfrontalen Cortex (mPFC) der Ratte

(Coronalansicht, 2.7mm anterior von Bregma). Der mPFC ist in ein dorsales (frontales Areal 2 (FR 2), anteriorer cingulärer Cortex (ACd)) und ventrales (prälimbisches Areal (PL), infralimbisches Areal IL)) Gebiet unterteilt [nach PAXINOS &WATSON,1998].

Dorsolateraler präfrontaler Cortex

Abb. 1.7 Lateralansicht des menschlichen Gehirns. Die Farbmarkierung kennzeichnet das

dorsolaterale Areal des präfrontalen Cortex (dlPFC), entsprechend Brodmann-Areale 9 und 46 [nach BUDSON,2009].

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cinguläre Cortex) und ventralen (prälimbisches Areal, infralimbisches Areal) Bereich gegliedert wird (Abb. 1.6) [DALLEY ET AL.,2004].

Für die vorliegende Arbeit war insbesondere der mPFC der Ratte bedeutend, auf den sich die folgenden Ausführungen hauptsächlich beziehen werden. Weiter wird die Annahme unterstützt, dass der mPFC der Ratte dem dorsolateralen PFC (dlPFC) des Primaten bzw. Menschen äquivalent ist (Abb. 1.7) [MITCHELL & LAIACONA,1998; UYLINGS & VAN EDEN,1990;FUSTER,2001;UYLINGS ET AL.,2003].

1.3.2 Die Konnektivitäten, zelluläre Organisation und Neurotransmitter des PFC

Konnektivitäten

Der PFC ist anatomisch mit verschiedenen Strukturen des Gehirns verbunden, unter anderem mit dem Thalamus, dem limbischen System, dem Hirnstamm, den Basalganglien und weiteren cortikalen Arealen. Speziell die topographisch gut organisierte Verbindung mit dem MDT ist ausgiebig untersucht und als Kriterium genutzt worden, um den PFC verschiedener Spezies zu identifizieren [UYLINGS &

EDEN, 1990; FUSTER, 2001]. Bei dieser thalamo-cortikalen Verbindung ziehen zum

größten Teil glutamaterge Efferenzen aus dem MDT zum PFC, welcher reziprok mit diesem glutamaterg assoziiert ist [KURODA ET AL.,1998;FUSTER,2001].

Cortiko-cortikale Projektionen sind ebenfalls meist reziprok und glutamaterg organisiert und verbinden den PFC sowohl mit somatosensorischen und motorischen Arealen des Cortex als auch mit dem Entorhinalcortex und Hippocampus. Ferner sind die einzelnen Unterregionen des PFC mit ihren homologen Bereichen kontralateral verbunden [FUSTER,2001;MILLER &COHEN,2001].

Wichtige reziproke subcortikale Konnektivitäten sind zwischen dem PFC und den dopaminergen Zellen des ventralen tegmentalen Areals (VTA) oder der Amygdala topographisch angeordnet. Außerdem sind das Striatum und der Nucleus accumbens (NAc) zentrale, reziprok verschaltete Zielgebiete, welche durch die präfrontocortikalen Pyramidenzellen glutamaterg innerviert werden [FUSTER, 2001;

UYLINGS, 2003]. Zusätzlich erhält der PFC noradrenerge und serotonerge Innervationen aus entsprechenden im Hirnstamm lokalisierten Kerngebieten [UYLINGS ET AL.,2003;DALLEY ET AL.,2004].

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Zelluläre Organisation

Auf zellulärer Ebene findet man im PFC im Wesentlichen die exzitatorischen Pyramidenzellen und inhibitorischen GABAergen Interneurone. Letztere bilden ungefähr 20-25% der cortikalen Neurone und lassen sich aufgrund ihrer morphologischen und physiologischen Charakteristika sowie der spezifischen Feuermuster in verschiedene Subtypen unterteilen [KAWAGUCHI & KONDO, 2002; WONDERS &ANDERSON,2006].

Wie in Kapitel 1.2.1 beschrieben, wird die Reelin-mRNA im adulten Organismus durch GABAerge Interneurone exprimiert, die das Protein hauptsächlich in die Umgebung der pyramidalen Dendriten sezernieren [PESOLD ET AL., 1998;

RODRIGUEZ ET AL.,2000;COSTA ET AL.,2001]. Reelin-positive GABAerge Interneurone

sind nahezu in jedem cortikalen Areal vorzufinden, wobei der Anteil dieser Zellen in den einzelnen Cortexschichten variiert. So exprimieren in den oberflächigen Schichten I und II ungefähr 100% der GABAergen Interneurone Reelin-mRNA, wohingegen in den Schichten V und VI nur 30-50% der Zellen Reelin-positiv sind [COSTA ET AL.,2008].

Während die GABAergen Interneurone eine entscheidende Funktion bei der Modulierung des cortikalen outputs und der cortikalen Plastizität übernehmen, spielen die in Cortexschicht V positionierten Pyramidenzellen eine zentrale Rolle in Bezug auf die cortikalen Efferenzen. Die Zellen sind rekurrent mit anderen Pyramidenzellen verschaltet und projizieren in die oben beschriebenen Hirnregionen [DEUCHARS ET AL.,1994;WONDERS &ANDERSON,2006].

Neurotransmission

Die Neurotransmission des PFC wird durch eine ganze Reihe von Transmittern reguliert, dementsprechend sind die neurochemischen Interaktionen innerhalb des PFC vielfältig und komplex. Im Folgenden soll eine Übersicht über diesen komplizierten Transmitterhaushalt gegeben werden.

Die beiden Aminosäuren Glu und GABA sind die wichtigsten exzitatorischen bzw. inhibitorischen Neurotransmitter des PFC. Die glutamatergen Pyramidenzellen bilden reziproke synaptische Verbindungen mit glutamatergen Terminalen anderer Hirnregionen und sind rekurrent mit anderen Pyramidenzellen assoziiert. Glu bindet an die ionotropen NMDA-Rezeptoren und -Amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazol-Propionsäure (AMPA)-Rezeptoren, die sowohl auf den Pyramidenzellen als auch den GABAergen Interneuronen lokalisiert sind. Interessanterweise zeigten verschiedene

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Studien, dass der NMDA-Rezeptor bevorzugt die Aktivität der GABAergen Interneurone reguliert [OLNEY ET AL., 1999; HOMAYOUN & MOGHADDAM, 2007]. Der

Neurotransmitter GABA wird lokal durch die Interneurone des mPFC sezerniert; darüber hinaus projizieren GABAerge Neurone aus dem VTA in das Areal und sind mit den Pyramidenzellen und Interneuronen verschaltet. Der inhibitorische Effekt der GABAergen Aktivität wird über GABAA- und GABAB-Rezeptoren vermittelt. Während die ionotropen GABAA-Rezeptoren im mPFC auf den Pyramidenzellen und Interneuronen lokalisiert sind, ist die Positionierung der metabotropen GABA B-Rezeptoren noch nicht völlig geklärt [PIROT ET AL.,1992;DUNN ET AL.,1996;MARGETA

-MITROVIC ET AL., 1999]. Zusätzlich wird Dopamin (DA) aus Terminalen des VTA in

den mPFC sezerniert und bindet an exzitatorischen DA-D1- und inhibitorischen DA-D2-Rezeptoren, die ebenfalls auf den Pyramidenzellen und Interneuronen zu finden sind. Darüber hinaus agiert DA über D2-Autorezeptoren an Terminalen der VTA-Projektionen [CONDE ET AL.,1995;STEKETEE,2003].

Die Stärke des exzitatorischen Ausgangs des mPFC ist folglich, neben den glutamatergen lokalen Verschaltungen und Afferenzen anderer Hirngebiete, zusätzlich von der modulatorischen Aktivität der GABAergen Neurone und der mesocortikalen dopaminergen Innervation abhängig. Störungen der sensiblen Transmitterbalance oder anderer Neuromodulatoren im PFC nehmen eine Schlüsselrolle in der Pathologie psychiatrischer Erkrankungen ein. In diesem Kontext soll auf die Kapitel 1.4.3 und 1.4.5 verwiesen werden, in denen unter anderem eine Dysfunktion der Reelin-Homöostase besprochen wird, die ein Ungleichgewicht in der GABAergen und glutamatergen Neurotransmission zur Folge hat.

Zusätzlich wird der mPFC durch das größte efferente Transmittersystem des Telencephalons, welches seinen Ursprung in den dorsalen und medianen Raphé-Kernen des Hirnstamms hat, serotonerg innerviert [AZMITIA & WHITAKER-AZMITIA,

1995]. Serotonin (5-HT) scheint im Allgemeinen einen inhibitorischen Einfluss auf den mPFC auszuüben. Hier agiert der Transmitter vornehmlich über 5-HT1 bis 5-HT3-Rezeptoren, die auf den Pyramidenzellen und Interneuronen lokalisiert sind. Innerhalb des mPFC fungiert 5-HT als Modulator der GABAergen, dopaminergen und glutamatergen Neurotransmission [WILLINS ET AL., 1997]. Ferner erhält der mPFC noradrenerge Projektionen aus dem Locus coeruleus. Wie auch bei anderen Hirnregionen, die den mPFC innervieren, empfängt der Locus coeruleus reziproke exzitatorische Eingänge aus dem mPFC. Noradrenalin aktiviert über Subtypen der - und -adrenergen Rezeptoren die Pyramidenzellen. Die adrenergen Rezeptoren sind

(38)

auf glutamatergen Terminalen lokalisiert und fördern hier die Ausschüttung von Glu im mPFC [ROHRER &KOBILKA,1998;MAREK &AGHAJANIAN,1999]. Letztendlich wird

der Neurotransmitter Acetylcholin (ACh) sowohl durch lokale Neurone als auch über Projektionen aus dem Nucleus basalis magnocellularis und dem laterodorsalen tegmentalen Kern in den mPFC sezerniert. Der Transmitter agiert vermutlich über ACh-M1-Rezeptoren und übt einen exzitatorischen Effekt auf die Pyramidenzellen des mPFC aus [CHESSELL ET AL.,1993;DIJK ET AL.,1995].

Wie bereits angedeutet, bedingt ein Ungleichgewicht der Transmitterbalance kognitive Störungen und Verhaltensanomalien, die mit psychiatrischen Erkrankungen wie der Schizophrenie assoziiert werden. Diese Erkrankung wird in den nächsten Kapiteln näher vorgestellt.

(39)

1.4 Schizophrenie

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts berichteten die Psychiater KRAEPELIN und BLEULER

erstmals von einer psychiatrischen Erkrankung, die durch das Auftreten verschiedener Verhaltensstörungen gekennzeichnet war. Aufgrund der Tatsache, dass die von ihnen beobachteten Symptome, wie z.B. Wahnvorstellungen und Halluzinationen, nicht spezifisch der Erkrankung zugeordnet werden konnten, charakterisierten sie die psychiatrische Störung mit einer Verschlechterung der Fähigkeit, klare, flüssige und logische kognitive Prozesse durchzuführen [ANDREASEN,

2000]. KRAEPELIN benannte die Erkrankungen zunächst als Dementia praecox

(geistiger Verfall mit frühem Beginn), bevor BLEULER die Symptomatik erstmals mit

dem Begriff „Schizophrenie“ bezeichnete [ANDREASEN, 1997; BOGERTS, 1999;

ANDREASEN,2000].

Heutzutage gehört die Schizophrenie mit einer Prävalenz von einem Prozent zu den häufigsten geistigen Erkrankungen weltweit und ist noch immer eine der am stärksten erforschten psychiatrischen Störungen [LEWIS &LIEBERMAN, 2000; KOCH,

2006]. Aufgrund der komplexen Symptomatik, zu der kognitive Dysfunktionalitäten und emotionale Störungen gehören, werden verschiedene Subtypen mit Hilfe des DSM IV (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen) diagnostiziert. Beispiele für diese Subtypen sind der katatone Typus, welcher durch psychomotorische Störungen gekennzeichnet ist oder ein durch Wahnvorstellungen oder auditorische Halluzinationen charakterisierter paranoider Typus [KESHAVAN,

1999;ANDREASEN,2000;LIEBERMAN ET AL.,2001].

Allgemein lässt sich herausheben, dass die Erkrankung eines der größten medizinischen Probleme der Gegenwart darstellt und Menschen aus allen sozialen Schichten und Ethnien betrifft. Erste Symptome der Erkrankung können im frühen Erwachsenenalter auftreten und die Lebensqualität dramatisch beeinflussen, was durch eine ca. 10%ige – vergleichsweise hohe – Suizidquote der Betroffenen verdeutlicht wird [BAYER ET AL.,1999;ANDREASEN,2000;LEWIS &LIEBERMAN,2000].

1.4.1 Symptomatik

Die Symptome schizophrener Erkrankungen umfassen den gesamten Bereich menschlicher mentaler Aktivitäten, weshalb es nicht möglich ist, schizophrene Subtypen durch ein einzelnes Symptom zu charakterisieren. Die Betroffenen leiden

(40)

vielmehr unter verschiedenen Symptomen, die individuell variieren [ANDREASEN,

2000].

Im Allgemeinen werden positive (Typ 1-Schizophrenie) und negative (Typ 2-Schizophrenie) Symptome unterschieden [HARRISON, 1999; ANDREASEN, 2000]. Die

Positivsymptomatik wird durch Charakterzüge und Verhaltensweisen definiert, die bei gesunden Menschen nicht beobachtet werden können, aber aus der Krankheit resultieren. Dazu zählen Halluzinationen aller Sinnesbereiche (am häufigsten treten akustische Halluzinationen auf), Wahnvorstellungen, bizarres Verhalten und formale und inhaltliche Denkstörungen (Paranoia). Dagegen beschreibt die Negativsymptomatik den Verlust bestimmter humaner Charakteristika und manifestiert sich durch apathisches und anhedonisches Verhalten sowie Sprachstörungen und Motivationsverlust [WYATT & HENTER, 1997; HARRISON, 1999;

LIEBERMAN ET AL.,2001].

Neben der Positiv- und Negativsymptomatik gehören Defizite der Aufmerksamkeits- und Informationsverarbeitung zu den Hauptsymptomen schizophrener Störungen [GOLDBERG &GOLD,1995; GEYER ET AL.,2001;MEINCKE ET AL., 2001]. Solche kognitiven Störungen verhindern, dass Informationen aus der

Umwelt gezielt aufgenommen und gefiltert werden können und führen zu Reizüberflutung, intrusiven Gedanken sowie zu Defiziten der sensomotorischen Integration. Schizophrene Patienten besitzen demnach nicht mehr die Fähigkeit, adäquat auf verschiedene Umweltreize zu reagieren [VOLZ,2000].

1.4.2 Ätiologie

Die Entstehung schizophrener Erkrankungen und die den Verlauf der Psychose bestimmenden Faktoren sind bis heute weitestgehend ungeklärt. Verschiedene Studien konnten nachweisen, dass es sich bei der Erkrankung um eine Entwicklungsstörung handelt, an der prä- und perinatale, genetische, physiologische und psychologische Faktoren beteiligt sein können [DUNCAN ET AL., 1999; KOCH,

2006].

Familien-, Zwillings- und Adoptionsstudien konnten ferner zeigen, dass eine genetische Prädisposition für eine schizophrene Erkrankung besteht, so dass Verwandte von Patienten mit schizophrenen Störungen ein erhöhtes Risiko tragen, zu erkranken. Die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung bei Verwandten ersten

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Grades liegt bei 6-17%, bei eineiigen Zwillingen bei 40-50%. Im Vergleich zu der Möglichkeit einer Erkrankung von einem Prozent in der Normalbevölkerung, bietet die genetische Komponente einen wichtigen Erklärungsansatz. Sie kann aber das Auftreten der Schizophrenie nicht ausschließlich erklären, da eine Erkrankungswahrscheinlichkeit von nur 45% bei genetischer Identität vorliegt [SCHULTZ &ANDREASEN,1999;ANDREASEN,2000;LEWIS &LIEBERMAN,2000].

Epidemiologische Studien ergaben des Weiteren, dass neben der genetischen Komponente umweltbedingte, frühe Entwicklungsstörungen einen wichtigen epigenetischen Faktor darstellen, der die Vulnerabilität für die Entwicklung einer Schizophrenie begünstigt [LIEBERMAN ET AL., 2001; VAN DEN BUUSE ET AL., 2003;

KOCH, 2006]. Aus dieser Annahme leitet sich die Vulnerabilitäts-Stress-Hypothese

(Two-Hit-Model) der Schizophrenie ab. Diese geht davon aus, dass es mindestens zwei schädigender Ereignisse bedarf, ehe die Erkrankung klinisch manifest wird [BAYERET AL., 1999; KOCH, 2006]. Hierbei bewirken genetische Faktoren und/oder

prä- bzw. perinatal ausgelöste Entwicklungsstörungen des Gehirns (z.B. durch Hypoxie, Virusinfektionen oder Toxine) während des 2. bis 3. Trimesters der Schwangerschaft ein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Diese ersten Noxen führen in den meisten Fällen jedoch noch nicht zum Ausbruch der Krankheit, sondern erhöhen als sogenannter first hit die Vulnerabilität des Gehirns für spätere Störungen, die als second hit bezeichnet werden [LIEBERMAN ET AL., 2001; KOCH,2006]. Als second hit

gelten Einflüsse wie Stress, Geburtskomplikationen, Hormonschwankungen während der Pubertät oder Drogenkonsum. Diese beeinflussen bzw. stören abschließende Entwicklungsprozesse des Gehirns (z.B. die Eliminierung überflüssiger Synapsen bzw. die Myelinisierung) und können letztendlich beim Erwachsenen zum Ausbruch der Krankheit führen [BAYER ET AL.,1999; LEWIS &LIEBERMAN, 2000;KOCH, 2006]. Die meisten Betroffenen erscheinen bis zur späten Pubertät oder dem frühen Erwachsenenalter (Periode des größten Erkrankungsrisikos: 20-30, 25-35 Jahre) unauffällig, so dass zwischen dem first hit und dem Ausbrechen der Krankheit bis zu 20 Jahre liegen können [LEWIS &LIEBERMAN, 2000; KOCH,2006].

1.4.3 Neuropathologie

Eine wichtige Aufgabe der Schizophrenieforschung ist es zu verstehen, warum eine genetisch vermittelte, neuronale Entwicklungskrankheit in den ersten Dekaden des

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Lebens klinisch nicht nachweisbar ist, dann aber zu einer progressiven Behinderung der Betroffenen führt [LEWIS & LIEBERMAN, 2000]. Die Suche nach

neuropathologischen Ursachen zeigte schnell, dass sich die breite Symptomvariabilität auch auf biologischer Ebene widerspiegelt.

Post mortem-Untersuchungen verdeutlichten morphologische Auffälligkeiten in den Gehirnen schizophrener Patienten. So wurden Erkenntnisse über eine Vergrößerung des lateralen und dritten Ventrikels [GOLDBERG & GOLD, 1995;

ANDREASEN, 1997; HARRISON, 1999], eine Veränderung der Cytoarchitektur, der

Zellgröße und der Dichte des Neuropils bei unveränderter Neuronenzahl publiziert [GLANTZ &LEWIS,2001;PIERRI ET AL.,2001]. Diese Veränderungen zeigten ähnliche

topographische Zentren und waren hauptsächlich im frontalen und temporalen Cortex, im Hippocampus und Thalamus nachweisbar. Zudem bestätigten bildgebende in vivo-Verfahren strukturelle Veränderungen im Gehirn schizophrener Patienten [YAMASUE ET AL.,2004;VENKATASUBRAMANIAN ET AL.,2008].

Weiter konnten Studien erhebliche Veränderungen in Gehirnen schizophrener Patienten auf molekularer Ebene nachweisen. So zeigte sich eine verminderte Expression von Reelin und der GAD67, SNAP25, verschiedener Transmitterrezeptoren und zusätzlich eine quantitative Veränderung bei Adhesionsmolekülen, Cytoskelettproteinen oder Neurotrophinen [IMPAGNATIELLO ET AL., 1998;EASTWOOD &HARRISON,2006].

Neben diesen anatomischen Befunden werden funktionelle Störungen beschrieben, in deren Zentrum eine subcortikale Hyper- und cortikale Hypofunktion stehen und mit der Dysfunktionen verschiedener Transmittersysteme physiologisch erklärt werden können. Hierbei wurde in den letzten Jahren dem dopaminergen und glutamatergen Transmittersystem besondere Bedeutung zugeschrieben [CARLSSON ET AL.,1999;OLNEY ET AL.,1999;MELTZER,1999].

Das DA-System ist an Regulationsmechanismen verschiedener Verhaltensweisen wie der sensomotorischen Informationsverarbeitung beteiligt. In Bezug auf die Schizophrenie postuliert die DA-Hypothese eine Überfunktionalität der mesolimbischen Bahn, woraus beispielsweise im NAc eine verstärkte präsynaptische DA-Freisetzung resultiert. Diese wird als Hauptursache für die Positivsymptomatik der Schizophrenie angesehen [CARLSSON ET AL.,1999;JENTSCH &ROTH,1999;MÜLLER,

2002;KOCH,2006]. Die Beteiligung des dopaminergen Systems an der Schizophrenie

beruht auf zwei Tatsachen. Zum einen handelt es sich bei den meisten in der Schizophreniebehandlung klinisch wirksamen, klassischen Antipsychotika wie

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Haloperidol um DA-D2-Rezeptor-Antagonisten. Zum anderen können durch potente DA-Agonisten wie Amphetamin bei gesunden Probanden schizophrenieartige Psychosen ausgelöst sowie bei bereits Erkrankten schizophrene Psychosen verstärkt werden [CARLSSON ET AL,, 1999; LEWIS & LIEBERMAN, 2000; KOCH, 2006]. Diese

Hypothese bietet demnach einen guten Erklärungsansatz für die Positivsymptomatik der Schizophrenie, die Negativsymptomatik kann jedoch durch sie nur unzureichend erklärt werden. In diesem Zusammenhang wird dem Neurotransmitter Glu bzw. dem NMDA-Rezeptor eine entscheidende Rolle zugeschrieben. NMDA-Rezeptoren befinden sich in besonders hoher Dichte im Cortex, im Hippocampus, der Substantia nigra und dem Striatum, wodurch sie an der Regulation verschiedenster zentraler Funktionen beteiligt sind [MICHAELIS, 1998]. Die Glu-Hypothese der Schizophrenie

formuliert primär eine NMDA-Rezeptor-Hypofunktion bzw. eine defizitäre Glu-Neurotransmission sowie -Signalkaskade und wird vor allem dadurch gestützt, dass schizophrenieartige Symptome im gesunden Probanden und Versuchstier durch nicht-kompetitive NMDA-Rezeptorantagonisten wie Phencyclidin (PCP) oder Dizocilpin modelliert werden können [OLNEY ET AL.,1999;KOCH,2006]. Da Glu ganz

wesentlich an der cortikalen Neurotransmission beteiligt ist (s. Kapitel 1.3.2), lässt sich ein Zusammenhang mit den cortikalen Aktivitätsstörungen herstellen. Darüber hinaus üben glutamaterge Projektionen einen inhibitorischen Einfluss auf subcortikale Gebiete aus, so dass eine cortikale Dysfunktionalität bzw. Hypofunktion eine subcortikale dopaminerge Hyperfunktion zur Folge haben könnte. Daraus ergibt sich eine funktionelle Schnittstelle der Glu- und DA-Hypothese, in der erstere vornehmlich einen Erklärungsversuch für die kognitiven Defizite und das Auftreten der Negativsymptomatik bietet, während letztere sekundäre Folgeerscheinungen der Positivsymptomatik erklärt.

Beide pharmakologischen Modelle stellen wichtige heuristische Konzepte der experimentellen Schizophrenieforschung dar. Allerdings deutet das Wirkungsprofil der klinisch oft wirkungsvolleren atypischen Antipsychotika darauf hin, dass an den schizophrenen Störungen mehr als die beiden angesprochenen Transmittersysteme beteiligt sind [CARLSSON ET AL., 1999; KOCH, 2006]. So besitzen Pharmaka wie

Clozapin, Olanzapin oder Risperidon ein geringes Wirkungsprofil an DA-D2 -Rezeptoren, dafür große Affinitäten zu Rezeptoren des serotonergen, noradrenergen und cholinergen Systems [KOCH,2006].

(44)

1.4.4 Der PFC und die Schizophrenie

Dysfunktionen des PFC haben in der Regel eine Vielzahl von kognitiven Defiziten und Verhaltensstörungen zur Folge. So zeigten sich unter anderem Beeinträchtigungen des Kurzzeitgedächtnisses, der Aufmerksamkeitsleistung und Handlungsplanung, der Verhaltensinhibition und des Sozialverhaltens sowie emotionale Störungen. Neben diesen funktionellen Störungen, wird dem Areal eine wichtige Beteiligung an pathophysiologischen Prozessen der Schizophrenie zugeschrieben [WEINBERGER &

LIPSKA,1995;BENES ET AL.,2000;SELEMON,2001;CALLICOTT ET AL.,2003].

Wie bereits beschrieben, ist das Krankheitsbild der Schizophrenie durch eine breite Symptomatik bzw. Komplexität charakterisiert, was die Zuordnung zu einer klar abgrenzbaren Dysfunktion, beispielsweise eines Tranmittersystems oder Gehirnareals, als neuropathologische Ursache, erschwert. Verschiedene Studien verdeutlichten zwar Störungen einzelner Systeme, allerdings konnte keine der ermittelten Ursachen die enorme Heterogenität der Erkrankung hinreichend erklären [HARRISON,1999;SELEMON,2001]. Es gibt jedoch verschiedene Studien, die

dem dlPFC des Menschen (Abb. 1.7) eine zentrale Rolle in der Pathophysiologie der Schizophrenie zuordnen [LEWIS, 1997; SELEMON, 2001]. Meist wird eine erhebliche

Reduktion synaptischer Konnektivitäten, eine unstrukturierte neuronale Architektur und eine Volumenverringerung im humanen dlPFC beobachtet [SHELTON ET AL.1988;

BREIER ET AL.1992;ZIPURSKY ET AL.1992;SCHLAEPFER ET AL.1994]. Interessanterweise

scheint es sich jedoch ausschließlich um eine Abnahme des Neuropils zu handeln, da die Anzahl präfrontaler Neurone bei schizophrenen Patienten nicht beeinflusst wird [AKBARIAN ET AL.,1995; LEWIS,1997; THUNE ET AL.,2001]. Neben diesen anatomischen

Befunden wurden funktionelle Besonderheiten beschrieben, welche durch bildgebende Untersuchungen als eine präfrontale Hypo- oder Hyperfrontalität charakterisiert wurden. Zunächst wurde ausschließlich eine Hypofunktionalitäts-Hypothese des Cortex postuliert. CALLICOTT und Mitarbeiter verdeutlichten später,

dass schizophrene Patienten bei der Durchführung von Arbeitsgedächtnisaufgaben sowohl durch eine cortikale Minderaktivität als auch Hyperfrontalität charakterisiert sind. Diese Aktivitätsbeeinträchtigung trat begleitend zur Arbeitsgedächtnisleistung auf. Patienten, bei denen keine Störung der Gedächtnisleistung vorlag, zeigten eine Hyperfrontalität, wohingegen diejenigen mit verminderten Leistungen durch eine verminderte Aktivität auffielen. Demnach ist beiden Patientengruppen im Vergleich zu den Kontrollpersonen eine funktionelle Störung des dlPFC bzw. eine damit

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einhergehende Strategieänderung zur adäquaten Bearbeitung der geforderten Leistung zu eigen [THUNE ET AL.,2001;CALLICOTT ET AL.,2003]. Weitere funktionelle

Anomalien sind die in Abschnitt 1.4.3 beschriebenen präfrontalen Dysfunktionen des glutamtergen Transmittersystems und eine daraus resultierende Fehlregulation subcortikaler DA-Systeme.

Wie Eingangs erwähnt, ist es nahezu unmöglich, ein klar abgrenzbares neurophysiologisches Korrelat der Schizophrenie zu bestimmen. Die Hypothese einer Fehlentwicklung des PFC als mögliche Basis einer Erkrankung vereint zumindest die pharmakologischen Modelle der DA- und Glu-Hypothese und ist zudem in der Lage die enorme Heterogenität der Schizophrenie zu erfassen. Im Folgenden soll auf ein weiteres neuropathologisches Modell eingegangen werden, in dem der Fokus auf das bereits ausführlich besprochene Glykoprotein Reelin gerichtet wird.

1.4.5 Reelin und die Schizophrenie

Die Funktionalität des Säugercortex hängt von der intakten Formation des neuronalen Netzwerkes ab, in dem Neurone, Interneurone und Neurotransmitter wie Glu und GABA fehlerlos miteinander kommunizieren. Neben morphologischen Anomalien und Dysfunktionen einzelner Tranmittersysteme gehören molekulare Veränderungen zur Neuropathophysiologie der Schizophrenie (s. 1.4.3). Bei einer dieser Störungen handelt es sich um eine präfrontale GABAerge Hypofunktion, die mit einer verminderten Reelin-Expression in die EZM assoziiert ist [AKBARIAN ET AL.,

1995;IMPAGNATIELLO ET AL.,1998;GUIDOTTI ET AL.,2000B;BENES &BERRETTA,2001;

GUIDOTTI ET AL.,2005].

Da die GABAerge Unterfunktion nicht mit einem quantitativen neuronalen Verlust einhergeht, muss man diese Dysfunktion als eine Veränderung des GABAergen Phänotyps interpretieren bzw. als eine Funktionsstörung bestimmter GABAerger Interneurone, wobei die beteiligten molekularen Mechanismen oder die Spezifikation der Interneurone (vermutlich Horizontal- und double-bouquet-Zellen) erst unvollständig verstanden sind [GUIDOTTI ET AL., 2000B; LEWIS ET AL., 2004;

GUIDOTTI,2005;COSTA ET AL.,2008]. Aus der Dysfunktion dieser vornehmlich in den cortikalen Schichten I bis III positionierten Interneurone resultiert eine verminderte inhibitorische GABAerge Neurotransmission und eine Beeinträchtigung der cortikalen Regulation pyramidaler Funktionen durch GABA. Da Reelin vornehmlich

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in GABAergen Neuronen der cortikalen Schichten I und II lokalisiert ist und sich das stärkste Detektionsmuster von extrazellulärem Reelin in den Schichten I bis III zeigt [PESOLD ET AL., 1998; GUIDOTTI ET AL., 2000A; RODRIGUEZ ET AL., 2002], kommt es zusätzlich zu einer erheblichen Reduktion der Reelin-Molekülkonzentration. Wie bereits erwähnt, agiert Reelin im adulten Organismus unter anderem als trophischer Faktor und kontrolliert die Dendritenmorphologie (s.u.). Sezerniertes Reelin bindet an Integrinrezeptoren auf Dendriten benachbarter Pyramidenzellen, aktiviert die Translation der Dendriten-mRNA und reguliert deren Reifungsprozesse [DONG ET AL., 2003]. So zeigt sich neben der pyramidalen Fehlregulierung eine

Neuropilverarmung durch das gestörte Reelin-Signal. Dass diese Reduktion auch wirklich mit der Reelin-Verarmung korreliert, bewiesen Studien an heterozygoten GAD67-Mausmutanten, die ein vermindertes GABAerges Signal und eine normale Reelin-Expression aufwiesen – hier fielen keine Anomalien der neuronalen Strukturen auf [LIU ET AL.,2001;CARBONI ET AL.,2004].

Neben der morphologischen Beeinträchtigung führt das verebbte Reelin-Signal zu funktionellen Störungen des NMDA-Rezeptors. Offenbar induziert Reelin u.a. über den auf GABAergen Interneuronen lokalisierten ApoE-Rezeptor 2 und VLDL-Rezeptor eine intrazelluläre Phosphorylierung des NMDA-Rezeptors und einen dadurch verstärkten Ca2+-Einstrom [WEEBER ET AL.,2002;CHEN ET AL.,2005; CAMPO ET AL., 2009]. Eine reduzierte Reelin-Expression führt demnach zu einer

Unterfunktion von auf GABAergen Interneuronen lokalisierten NMDA-Rezeptoren und resultiert des Weiteren in einer verminderten inhibitorischen GABAergen Neurotransmission [COSTA ET AL.,2008]. Diese zusätzliche cortikale Beeinträchtigung

des inhibitorischen GABAergen Tonus (neben der primären GABAergen Hypofunktion) bedingt eine erhebliche Reduktion der inhibitorischen Kontrolle der glutamatergen Pyramidenzellen bzw. einen Anstieg der exzitatorischen Neurotransmission in cortikalen und subcortikalen Bereichen des Gehirns (Abb. 1.8) [COSTA ET AL.,2001;COSTA ET AL.,2008].

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Reelin GABA GABAerges Interneuron GABAerges Interneuron NMDA-Hypofunktion Reelin GABAerges Interneuron GABAerges Interneuron GABA GLU GLU NMDA-Rezeptor Glutamat GABA-Rezeptor GABA Reelin-Rezeptor Reelin Cortiko-cortikale Axone

Abb. 1.8 Die GABA-Reelin-Hypothese der Schizophrenie. Links: Reelin wird durch Interneurone in den oberflächigen cortikalen Schichten durch einen konstitutiven Sekretionsweg in die EZM sezerniert. Es bindet (1) an Integrinrezeptoren auf apikalen Dendriten der Pyramidenzellen, wo es die Formation von Dendritenfortsätzen induziert, indem es dendritische mRNA aktiviert. Reelin bindet (2) an ApoER2 und VLDLR auf GABAergen Interneuronen, wo es die Wirkung von Glutamat an NMDA-Rezeptoren und dadurch eine verstärkte GABAerge Ausschüttung auf apikale Dendriten, Somata und soma-nahe Axonsegmente der Pyramidenzellen induziert.

Rechts (Schizophrenie): Die Reelin- und GAD67-Expression sowie die Reelin- und GABA-Ausschüttung sind reduziert. Das Reelin-Defizit verursacht (1) eine Integrinrezeptor-vermittelte Abnahme der Dornfortsätze apikaler Dendriten der Pyramidenzellen und (2) eine ApoER2- und VLDLR-vermittelte Hypofunktion der NMDA-Rezeptoren auf GABAergen Interneuronen, die eine weitere Abnahme der GABA-Ausschüttung auf apikale Dendriten, Somata oder soma-nahe Axonsegmente der Pyramidenzellen bewirkt. Die GABAerge Hypofunktion resultiert in einer verstärkten glutamatergen Neurotransmission [nachCOSTA ET AL.,2008].

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Bestätigt wird diese These durch die Befunde tierexperimenteller Studien, in denen heterozygote reeler-Mäuse eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber dem nicht-kompetitiven NMDA-Rezeptorantagonisten Dizocilpin zeigten, welche auf eine verminderte telencephale GABAerge Neurotransmission zurückzuführen ist [CARBONI ET AL.,2004;QIU ET AL.,2006].

Aus diesen neuropathologischen Befunden ergibt sich für die weitreichenden funktionellen Störungen, die die Veränderung des GABAergen Phänotyps bewirken könnte, eine GABA-Reelin-Hypothese der Schizophrenie. Neben der primären Unterfunktion GABAerger Interneurone verursacht ein Reelin-Defizit (1) eine Integrinrezeptor-vermittelte Abnahme der Dornfortsätze apikaler Dendriten der Pyramidenzellen. Außerdem verursacht es (2) eine ApoER2- und VLDLR-vermittelte Hypofunktion der NMDA-Rezeptoren auf GABAergen Interneuronen, die eine weitere Abnahme der GABA-Ausschüttung auf apikale Dendriten, Somata oder soma-nahe Axonsegmente der Pyramidenzellen bewirkt. Die Folge ist ein Wegfall der GABAergen Hemmung und eine Überfunktion cortikaler Pyramidenzellen, da cortikale, limbische und thalamische Afferenzen unmoduliert die Neurone durchlaufen können. Durch die prominenten Projektionen des PFC in weitere cortikale und subcortikale Areale ergeben sich funktionelle Störungen verschiedener neuronaler Schaltkreise, die sowohl an perzeptionellen und emotionalen als auch an Lern- und Gedächtnisprozessen beteiligt sind (Abb. 1.8) [GUIDOTTI ET AL., 2005;

KOCH,2006;COSTA ET AL.,2008].

Eine Disinhibition cortikaler Pyramidenzellen und/oder eine Reduktion des Neuropils stellt demnach ein Modell dar, an dem die klinischen Befunde sensorischer und kognitiver Störungen, welche bei schizophrenen Patienten auftreten, erklärt werden könnten. Ob dieser Phänotyp genetischen oder epigenetischen Faktoren zu Grunde liegt und inwiefern dieser Ansatz ein möglicherweise vielversprechendes Ziel neuer Pharmaka ist, muss in zukünftigen Studien geklärt werden. In diesem Kontext soll auf eine epigenetische Hypothese von ERMINIO COSTA und Mitarbeitern verwiesen werden, die eine aufschlussreiche Erklärung für die Abnahme von Reelin und GABA (ohne zellulären Verlust) bietet. In diesem Modell spielt die Überexpression der Dnmt1 in telencephalen GABAergen Interneuronen schizophrener Patienten und eine damit assoziierte Abnahme der Reelin-Konzentration durch eine Promoter-Hypermethylierung eine Schlüsselrolle. Diese Promoter-Hypermethylierung konnte in post mortem Studien nachgewiesen und im Tierexperiment abgebildet werden. Mäuse, die durch eine Behandlung mit L-Methionin eine Hypermethylierung der Reelin- und

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