• Keine Ergebnisse gefunden

Präpulsinhibition der akustisch ausgelösten Schreckreaktion

4. Diskussion

4.2 Angewandte Tiermodelle

4.2.1 Präpulsinhibition der akustisch ausgelösten Schreckreaktion

Anstieg der PPI resultiert [REIJMERS &PEETERS, 1994]. Aufgrund dieser Ergebnisse scheint es offensichtlich, dass Reelin als Modulator der EZM die Transmitterhomöostase des neuronalen PPI-Schaltkreises beeinflusst. Im Vergleich zu bereits vorliegenden Studien sind diese Ergebnisse jedoch mit Vorsicht zu interpretieren. TUETING und Mitarbeiter waren kurz nach Entdeckung des Reelin-Moleküls die Ersten, die die phänotypischen Charakteristika der heterozygoten reeler-Maus untersuchten. Unter anderem verdeutlichte diese Studie, dass die Maus-Mutante durch eine altersabhängige Abnahme der PPI charakterisiert ist. Während zu Beginn der Pubertät kein Unterschied zu den Kontrollgruppen herausgestellt werden konnte, manifestierte sich am Ende der Pubertät bzw. bei jung-adulten Mäusen ein deutliches PPI-Defizit. Diese Ergebnisse konnten in späteren Studien nicht reproduziert werden. PODHORNA & DIDRIKSEN sowie SALINGER und Mitarbeiter fanden weder Unterschiede in der PPI noch in der ASR zwischen reeler- und Wildtyp-Mäusen. Die Interpretation dieser Diskrepanzen ist möglicherweise mit Unterschieden in der Versuchsdurchführung erklärbar, da das PPI-Paradigma sensibel auf experimentelle Anpassungen bzw. Variationen reagiert [GEYER ET AL., 2002]. So untersuchten TUETING und Mitarbeiter die PPI von Mäusen im pubertären und jung-adulten Alter zwischen pd40 und pd63 bei einer Präpulsintensität von 80dB. In den späteren Studien hingegen wurde die sensomotorische Integrationsleistung bei jung-adulten und adulten Mäusen (pd70 und pd102) bei (teilweise) geringeren Präpuls-Intensitäten getestet (67-77dB) [TUETING ET AL.,1999;

SALINGER ET AL., 2003; PODHORNA & DIDRIKSEN, 2004; TUETING ET AL., 2008].

Insbesondere der gewählte Testzeitpunkt während unterschiedlicher Entwicklungsphasen bietet eine gute Erklärung für die beschriebenen Abweichungen der Befunde, da die Pubertät u.a. durch zahlreiche Veränderungen der neuronalen Integrität gekennzeichnet ist. So unterliegen Hirnareale wie der mPFC oder limbische Regionen einem progressiven und regressiven neuronalen Wandel, der beispielsweise durch Reifungsprozesse (z.B. Myelinisierung, Differenzierung der Neurotransmittersysteme, Eliminierung von Synapsen) charakterisiert ist [SPEAR, 2000;DE BELLIS ET AL.,2001;SISK &FOSTER,2004;GRAAF-PETERS &HADDERS-ALGRA, 2006].

Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit verdeutlichen ebenfalls ein PPI-Defizit bei jung-adulten Tieren und in der adulten Gruppe. Hier ist (neben dem Gattungs-Unterschied) möglicherweise der Unterschied in der Reelin-Konzentration in dem Sinne ausschlaggebend, als dass die Reelin-Verarmung bei adulten heterozygoten

reeler-Mäusen nicht ausreicht, um eine Störung der sensomotorischen Integrationsleistung auszulösen (die Reduktion der Reelin-Konzentration bei den adulten Ratten der vorliegenden Arbeit betrug im Mittel 75%).

Wie bereits erwähnt, ergaben Untersuchungen der sensomotorischen Integrationsleistung an der heterozygoten reeler-Maus konträre Ergebnisse, verdeutlichten jedoch auch die Funktionalität des Reelin-Moleküls in diesem Paradigma. Diese Interpretation wird zusätzlich durch die folgende Diskussion verschiedener tierexperimenteller Studien unterstützt.

In einer aufschlussreichen Studie aus dem Labor der COSTA-Gruppe konnte die Reelin-Konzentration durch eine chronische Behandlung mit L-Methionin zum einen bei Wildtyp-Mäusen deutlich verringert und zum anderen bei reeler-Mäusen – über die charakteristische 50%ige Reelin-Verarmung hinaus – reduziert werden. Die chronische Methioninehandlung führte hierbei zu einer epigenetischen Hypermethylierung von CpG-Inseln, die auf verschiedenen Gen-Promotoren (einschließlich der Promotoren für Reelin und GAD67) lokalisiert sind und induzierte so eine Reduktion der Expressionsrate dieser Gene. Auch in dieser Studie führte die Reelin-Verarmung bei Wildtyp- und reeler-Mäusen zu einem PPI-Defizit, wobei sich die Störung der sensomotorischen Integrationsleistung ausschließlich bei langen Interstimulusintervallen (400msek) zeigte [TREMOLIZZO ET AL.,2002;TREMOLIZZO ET AL., 2005]. Verstärkt wurde die Annahme, dass Reelin einen modulatorischen Einfluss auf die PPI ausübt, durch eine Studie mit Mäusen, die einen knockout für die in GABAergen Interneurone expressierten Transkriptionsfaktoren NPAS1 und NPAS3 trugen. Diese Tiere waren neben einer deutlichen Reelin-Verarmung durch eine Verschlechterung der sensomotorischen Integrationsleistung charakterisiert [ERBEL-SIELER ET AL.,2004].

In zwei aktuellen Studien konzentrierten sich BARR und Mitarbeiter auf den sensomotorischen Filtermechanismus bei reeler-like Mäusen. Hierbei handelt es sich um knockout-Mäuse, die im Vergleich zu Kontrolltieren durch ein Fehlen der Reelin-Rezeptoren ApoE 2 oder VLDL charakterisiert sind. Interessanterweise konnte bei beiden knockout-Stämmen keine Beeinflussung der PPI festgestellt werden, wobei eine Tendenz zu einer Störung des Filtermechanismus bei VLDL-Rezeptor knockout-Mäusen zu erkennen war. Weiter zeigte sich bei beiden knockout-Mutanten ein deutliches PPI-Defizit sowohl nach pharmakologischer Challenge mit PCP als auch in einem crossmodalen PPI-Paradigma, in dem einem akustischen Präpuls ein taktiler Schreckreiz folgte. Da diesem Paradigma aufgrund des Einflusses von zwei

verschiedenen sensorischen Stimuli möglicherweise zusätzliche neuronale Schaltkreise zu Grunde liegen als solche, die die unimodale akustische PPI modulieren [BULLOCK ET AL.,1997;RALPH ET AL.,2001], ist dieses Ergebnis schwer mit den vorliegenden PPI-Daten zu vergleichen. Offensichtlich scheinen jedoch die Reelin-Rezeptoren an dem neuronalen Schaltkreis der PPI beteiligt zu sein und reeler-like Mutanten durch eine erhöhte Sensibilität auf die NMDA-Rezeptorblokade durch PCP charakterisiert zu ein [BARR ET AL.,2007;BARR ET AL.,2008].

Diese Erkenntnis ist interessant, da sowohl Glu als auch DA eine zentrale Rolle in der Regulation der PPI einnehmen, was durch verschiedene Studien verdeutlicht werden konnte [zusammengefasst in GEYER ET AL.,2001]. Beispielsweise induzierten MANSBACH &GEYER durch systemische Injektionender NMDA-Rezeptorantagonisten PCP oder Dizocilpin ein PPI-Defizit bei Ratten und verdeutlichten so den neuropharmakologischen Einfluss von Glu auf den neuronalen PPI-Schaltkreis.

Insbesondere scheint der mPFC hierbei eine essentielle Funktion einzunehmen. Es wird vermutet, dass NMDA-Rezeptorantagonisten bevorzugt GABAerge Interneurone im mPFC inaktivieren und dadurch eine Disinhibtion der glutamatergen Neurone sowie eine verstärkte glutamaterge Ausschüttung vermitteln [MANSBACH & GEYER, 1989]. MANSBACH &GEYER zeigten in weiteren Studien, dass die Administration der DA-Agonisten Apomorphin oder Amphetamin zu einem PPI-Defizit bei Ratten führt, welches vermutlich durch eine Hyperfunktion des mesolimbischen DA-Systems bedingt ist. Interessanterweise konnte diese Verschlechterung der sensomotorischen Informationsverarbeitung durch die Applikation von Haloperidol, einem DA-D2/D1 -Rezeptorantagonisten und typischem Antipsychotikum, unterdrückt werden [MANSBACH ET AL.,1988;GEYER ET AL.,2001].

Die Erkenntnisse, dass sowohl Reelin als auch der mPFC bzw.

Neurotransmitter wie Glu, DA oder GABA zur Modulation der PPI beitragen sowie die bereits unter 1.4.5 beschriebene Theorie der präfrontalen GABAergen Hypofunktion, die mit einer verminderten Reelin-Expression in der EZM assoziiert ist, bergen verschiedene hypothetische Interpretationsmöglichkeiten in Bezug auf das in dieser Arbeit festgestellte PPI-Defizit. Ein vermindertes Reelin-Signal im mPFC führt möglicherweise zu einer funktionellen Störung der hier lokalisierten GABAergen Interneurone. Wie verschiedene Studien verdeutlichten, bildet Reelin über den ApoE-Rezeptor 2 eine funktionelle Einheit mit dem NMDA-Rezeptor [WEEBER ET AL.,2002;BEFFERT ET AL.,2005;CHEN ET AL.,2005;CAMPO ET AL.,2009], welcher im mPFC vornehmlich die Aktivität GABAerger Interneuronen reguliert

[OLNEY ET AL., 1999; HOMAYOUN & MOGHADDAM, 2007]. Eine reduzierte Reelin-Expression führt demnach zu einer Hypofunktion dieser NMDA-Rezeptoren, indem das verebbte intrazelluläre Reelin-Signal eine verminderte Phosphorylierung des NMDA-Rezeptors bedingt. Dadurch kommt es zu einer Abnahme des Glu-vermittelten Ca2+-Einstroms in die Zelle, was letztendlich zu einer verminderten GABAergen Neurotransmission im mPFC führt. Die Vermutung, dass eine akute Reelin-Verarmung bzw. eine daraus resultierende Veränderung der NMDA-Rezeptoraktivität dem PPI-Defizit zu Grunde liegt, wird durch eine Studie von BAKSHI

& GEYER unterstützt, in der die lokale Gabe des NMDA-Rezeptorantagonisten Dizocilpin in den mPFC zu einem PPI-Defizit führte. Eine cortikale Beeinträchtigung des inhibitorischen GABAergen Tonus löst möglicherweise eine Disinhibtion der glutamatergen Pyramidenzellen bzw. einen Anstieg der exzitatorischen Neurotransmission in verschiedenen Bereichen des Gehirns aus [BAKSHI & GEYER. 1998; COSTA ET AL., 2008]. Diese Vermutung stimmt mit den Erkenntnissen einer Studie von JAPHA & KOCH überein, in der der lokal in den mPFC injizierte GABAA -Rezeptorantagonist Pikrotoxin ein deutliches PPI-Defizit induzierte. Die Autoren postulierten eine Disinhibition der medial präfrontocortikalen glutamatergen Neurone, deren Efferenzen sowohl im NAc präsynaptisch auf dopaminergen Termini als auch in das VTA projizieren, das seinerseits prominente dopaminerge Projektionen in den NAc besitzt. Sowohl die indirekten als auch direkten Projektionen vermitteln eine potenzierte DA-Ausschüttung im NAc, eine lokale exzessive Stimulation der DA-D2-Rezeptoren auf medium spiny Neuronen und letztendlich eine Störung der PPI. Dass das PPI-Defizit durch eine systemische Applikation des D2/D1-Rezeptorantagonisten Haloperidol aufgehoben werden konnte, bestätigt die Theorie der subcortikalen dopaminergen Hyperfunktion [SWERDLOW ET AL., 1990; TABER ET AL., 1995; JAPHA & KOCH, 1999; CARR & SESACK, 2000].

Zudem hat die Reelin-Verarmung möglicherweise die DA-Transmission im mPFC beeinflusst. MATSUZAKI und Mitarbeiter zeigten in einer interessanten Studie zum einen, dass die Anzahl der DA-D1- und D2-Rezeptoren in Gehirnen von reeler-Mäusen reduziert ist und zum anderen, dass eine intraventrikulare Injektion des Reelin-Antikörpers CR-50 zu einer akuten Beeinflussung der dopaminergen Transmission führt [MATSUZAKI ET AL., 2007]. Dass sowohl eine mediale präfrontocortikale DA-Verarmung [BUBSER &KOCH,1994;KOCH &BUBSER,1994] und die Infusion selektiver D1- oder D2-Rezeptorantagonisten in den mPFC [ELLENBROEK

ET AL.,1996] als auch der D1/2-Rezeptoragonist Apomorphin [BROERSEN ET AL.,1999;

LACROIX ET AL.,2000B] ein PPI-Defizit induzierten, verdeutlicht die modulatorische Funktion von DA im mPFC in Bezug auf die PPI. Es ist eine durchaus plausible Annahme, dass lokale Störungen des Reelin-Signals über die dopaminerge Neurotransmission einen zusätzlichen Einfluss auf die PPI ausüben. Ob die DA-Rezeptoren ähnlich wie NMDA-DA-Rezeptoren direkt über den Reelin-Signalweg moduliert werden oder Interaktionen intrazellulärer Signalmoleküle wie DARPP-32 und Dab1 das DA-System kontrollieren, muss in weiteren Studien untersucht werden.

Neben diesen pharmakologischen Erklärungen basiert das PPI-Defizit möglicherweise auch auf anatomischen Anomalien, die aus der Reelin-Verarmung resultieren. DONG und Mitarbeiter berichteten, dass Reelin im postnatalen Organismus über Integrinrezeptoren als neurothropher Faktor agiert und so einen essentiellen Einfluss auf die Dendritenmorphologie ausübt [DONG ET AL., 2003].

Demnach führt eine Reelin-Verarmung im mPFC zu einer lokalen Abnahme der Dendritendichte. Tatsächlich ist eine interneuronale Reduktion des Neuropils im dlPFC eine prominente Begleiterscheinung der cortikalen Pathologie der Schizophrenie und repräsentiert ein anatomisches und funktionelles Substrat für die die Erkrankung begleitenden Symptome. So führt eine Veränderung der Dendritenmorphologie zu Störungen der prominenten thalamo-cortikalen, cortiko-cortikalen und meso-cortiko-cortikalen Konnektivitäten, welche letztendlich ein pathologisches Ungleichgewicht der lokalen Transmitterbalance bedingen [SELEMON

&GOLDMAN-RAKIC,1999;ROSOKLIJA ET AL.,2000;GLANTZ &LEWIS,2001;BLACK ET AL., 2004]. Eine Verringerung des Neuropilvolumens, als Folge von Reelin-antisense Injektionen während der für die neuronale Entwicklung sensiblen Periode der Pubertät, bietet demnach eine gute Erklärung für das beobachtete PPI-Defizit bei jung-adulten Tieren. Da in der adulten Behandlungsgruppe der akute Effekt der Reelin-Verarmung untersucht wurde, sollte das hier auftretende PPI-Defizit als Störung der lokalen cortiko-cortikalen Konnektivität bzw. als präfrontocortikale GABAerge/glutamaterge Dysbalance bzw. dopaminergen Hypofunktion verstanden werden.

Zusammengefasst zeigt sich, dass das hier gemessene PPI-Defizit möglicherweise (1.) über den auf GABAergen Interneuronen lokalisierten ApoE-Rezeptor 2 vermittelt wird, der einen funktionellen Komplex mit dem NMDA-Rezeptor bildet, und/oder (2.) durch ein Ungleichgewicht der dopaminergen

Transmitterbalance im mPFC und/oder (3.) durch eine präfrontocortikale Neuropilverarmung bedingt ist.

Die PPI der ASR ist durch eine hohe Validität im Tiermodell gekennzeichnet, d.h. sie ist ein endophänotypischer Marker für psychotische Störungen, der eine hohe Übereinstimmung bei Mensch und Tier zeigt [SWERDLOW ET AL.,1994;SWERDLOW ET AL.,2000;BRAFF ET AL.,2001;KOCH,2006]. Neben den bekannten und oft ausgiebig untersuchten Neurotransmittern und Hirnarealen im Kontext schizophrener Erkrankungen, sollten in zukünftigen Studien die Funktionen des Reelin-Moleküls – als pleiotroper Modulator der EZM – stärker hinterfragt werden.