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Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes an das Bundesverfassungsgericht zu den Vorlagebeschlüssen 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09

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Aktie "Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes an das Bundesverfassungsgericht zu den Vorlagebeschlüssen 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09"

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Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes

an das Bundesverfassungsgericht zu den Vorlagebeschlüssen

1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09

Regelsätze für Kinder im Hartz IV-System

Anhörung beim Bundesverfassungsgericht 20. Oktober 2009

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I. Sachverhalt

Dem Vorlagebeschluss zum Az. 1 BvL 1/09 liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Eltern beziehen mit ihrer gemeinsamen, am 12. März 1994 geborenen Tochter Leistungen nach dem SGB II, wobei die Tochter ein Sozialgeld i. H. v. 207,- € erhält, die Eltern jeweils Regelleistungen i. H. v. monatlich 311,- €.

Hinzu kommen die Kosten der Unterkunft. Gegen die Bewilligung der Leistungen nach dem SGB II wurde am 03.01.2005 Widerspruch eingelegt mit der Begründung, die Regelleistungen reichten für die Familie zur Sicherung ihres Existenzminimums nicht aus. Nach Zurückweisung des Widerspruchs wurde Klage beim Sozialgericht (SG) in Kassel erhoben. Auch dieses hielt die Regelleistungen für nicht zu beanstanden, auch nicht die Regelleistungen für die Tochter.

Bei den Verfahren 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09 geht es um die Höhe der Regelleistungen für Kinder unter 14 Jahre.

Im Verfahren 1 BvL 3/09 sind zwei dieser Kinder am 02.09.1991 geboren und ein weiteres am 15.11.1993. Die Kläger beziehen seit Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II.

Die Kläger im Verfahren 1 BvL 4/09 beziehen ebenfalls seit Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II; sie wurden geboren am 29.03.1997 und am 11.01.2000.

Alle Kinder leben mit ihren Eltern zusammen in einer Bedarfsgemeinschaft, wobei die Eltern teilweise Erwerbseinkommen aus abhängiger Beschäftigung beziehen und daher Aufstockungsleistungen erhalten.

Die Kläger aus dem Verfahren 1 BvL 1/09 machen im zugrunde liegenden Verfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) geltend, dass der gewährte Zahlbetrag ihr Existenzminimum als Familie nicht decke, insbesondere die hohen Bedarfe der damals 11-jährigen Klägerin würden nur ansatzweise gedeckt. Zugang zu sportlichen, kulturellen und anderen Freizeitaktivitäten seien der Tochter grundsätzlich verschlossen gewesen, sie habe an vielen schulischen Veranstaltungen nicht teilnehmen können. Grundsätzlich sei auch das Schulessen nicht vom Regelsatz zu finanzieren gewesen. Das besondere Interesse der Tochter an Fotografie und bildnerischer Gestaltung sowie die Kosten für gemeinsame Familienausflüge seien nicht zu finanzieren gewesen. Insgesamt gewährleisten die Regelungen der §§ 20, 28 SGB II kein angemessenes soziokulturelles Existenzminimum.

Auch die Kläger aus den Verfahren 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09 tragen vor, dass die Regelleistung für Kinder bis 14 Jahre nicht für das soziokulturelle Existenzminimum ausreicht.

Die vorlegenden Gerichte halten die Pauschalierung der Regelleistungen, die sich allein aus einer prozentualen Absenkung der Regelleistung für alleinstehende Erwachsene ableitet, für grundgesetzwidrig. Das Hessische LSG hält auch die Regelleistung für Familien für nicht ausreichend, um ein angemessenes Familienleben, das nach Art. 6 GG zu fördern ist, zu gewährleisten.

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Das vorlegende Hessische LSG zweifelt in dem Verfahren 1 BvL 1/09 an der Vereinbarkeit von § 20 Abs. 1 – 3 und

§ 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 des SGB II i. d. F. v. Art. 1 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v. 24.12.2003 mit dem Grundgesetz (GG), insbesondere mit Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG sowie Art. 20 Abs.1 und 3 GG, soweit Familien und Kinder unter 14 Jahre betroffen sind.

In den Verfahren 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09 zweifelt das Bundessozialgericht (BSG) an der Vereinbarkeit des

§ 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II mit Art. 3 GG i. V. m. Art. 1, Art. 6 Abs. 2, Art. 20 Abs. 1 GG, soweit dieser Leistungen für Kinder bis zum 14. Lebensjahr (Sozialgeld) pauschal i. H. v. 60 % der maßgeblichen Regelleistungen für Erwachsene vorsieht, ohne dass der spezifische Bedarf für Kinder durch den Gesetzgeber ermittelt wurde. Des Weiteren zweifelt es an der Vereinbarkeit mit Art. 3 GG, soweit das Sozialgeld für Kinder von Empfängern des Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II abschließend und bedarfsdeckend sein soll, während Kinder, deren Eltern Sozialhilfe nach § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII erhalten, abweichende Bedarfe geltend machen können.

Zweifelhaft sei auch die Vereinbarkeit von § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II mit Art. 3 Abs. 1 GG, nach dem die Höhe der Regelleistungen für alle Kinder und Jugendlichen bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres einheitlich mit 60 % des Regelsatzes für Erwachsene festgesetzt wird, ohne dabei weitere Abstufungen für andere Altersstufen vorzunehmen.

II. Bewertung

Ermittlung des Existenzminimums nach den Grundsätzen des Rechtsstaates

Der Gesetzgeber ist bei Erlass förmlicher Gesetze an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden, insoweit enthält Art. 20 Abs. 3 GG im Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und dementsprechend im weiteren Sinne ein Willkürverbot.

Äußere Machtäußerungen müssen messbar sein1. Um auf dieser Ebene Willkür zu verhindern, müssen die Findungsprozesse staatlicher Maßnahmen nachvollziehbar und soweit sie auf Tatsachen beruhen, nachprüfbar sein2. Je größer der Beurteilungsspielraum für die staatliche Machtausübung ist, umso bedeutsamer werden die Gesichtspunkte, die zur Entscheidung geführt haben. Bei staatlichen Leistungsgewährungen, die stark von Wertungen bestimmt sind, verlangt der Gesichtspunkt der Nachvollziehbarkeit, dass der Findungsprozess sachgerechten Kriterien zu folgen hat.

Demzufolge müssen gesetzgeberische Entscheidungen auf einer größtmöglichen Rationalität beruhen. Nur so kann den im GG verbürgten individuellen Freiheitsrechten i. S. d. Art. 2 Abs. 1 GG, gemessen an dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit des Art. 20 Abs. 3 GG, Rechnung getragen werden.

1 Herzog in Maunz/Dürig GG Kommentar, Stand: Febr. 2005, Art. 20, IV, RdNr. 16

2 Däubler, Transparenz auch für den Gesetzgeber? NJW 2004, S. 993 ff.

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Um diesen rechtsstaatlichen Anforderungen des Art. 20 Abs. 3 GG zu genügen, hätte der Gesetzgeber den Regelsatz des § 20 Abs. 1 SGB II mit der gebotenen Sorgfalt genau und vollständig ermitteln und in Anwendung eines für die Bestimmung des soziokulturellen Existenzminimums geeigneten Verfahrens festsetzen müssen. Dies wiederum bedeutet, dass das Verfahren methodisch konsistent und empirisch abgesichert hätte sein müssen. Bei staatlichen Leistungsgewährungen, die stark von Wertungen bestimmt sind, verlangt der Gesichtspunkt der Nachvollziehbarkeit, dass der Findungsprozess sachgerechten Kriterien zu folgen hat3. Insoweit weicht der DGB von der Meinung des BSG ab, wobei dieses die Ermittlung der Regelsätze grundsätzlich in den Ermessensspielraum des Gesetzgebers stellt.

Der DGB hält es daher für unabdingbar:

dass der Ausgangspunkt für die Festsetzung der Regelleistung für Kinder sowie der Regelleistung für Familien eine realitätsnahe Erhebung und Auswertung von Daten sein muss.

Dazu gehört, dass untersucht wird, welche konkreten Merkmale den Bedarf festlegen. Die danach festzulegende Höhe des Bedarfs muss methodisch korrekt und in ihrem Zustandekommen transparent ermittelt werden, und in einem Folgeschritt sind Kriterien zur Herstellung eines regelsatzrelevanten Verbrauchs festzulegen und diese dann auf die Datenlage anzuwenden. Für Kinder sind eigenständige Regelsätze zu ermitteln, nicht als prozentuale Ableitung vom Erwachsenenregelsatz. Denn Kinder haben andere Bedarfe als Erwachsene.

Trotz der Möglichkeit des Gesetzgebers zur Typisierung und Pauschalierung müssen notwendige Differenzierungen in den Bedarfslagen berücksichtigt werden, etwa durch die Schaffung einer Öffnungsklausel für atypische Bedarfe.

Diesen Anforderungen genügen Regelleistung und Regelsatz nicht.

a) Realitätsnahe Erhebung

Wie das Existenzminimum zu berechnen ist, wurde bisher von der Rechtsprechung nicht entschieden. Da die Gewährung zur Leistung zum Lebensunterhalt bei Bedürftigkeit keine staatliche Gnade ist, sondern die Verpflichtung des Staates besteht, ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, müssen die Leistungen nicht nur für die zum Überleben notwendige Nahrung, Kleidung und Wohnung reichen, sondern auch die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen. Dies hebt § 9 Satz 1 SGB I auch ausdrücklich hervor.

Die Ermittlung des Existenzminimums beruht auf Erhebungen der Einkommens- und Verbraucherstichprobe aus dem Jahr 1998. Die Höhe der Regelleistungen bestimmen daher Daten, die sieben Jahre vor der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhoben wurden.

3Berlitt, Anmerkungen zum Urteil des SG Schleswig vom 08.03.2005 – S 6 AS 70/05 ER in info also 2005, 178 ff

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Das ist schon bedenklich, denn innerhalb von sieben Jahren gehen erhebliche Veränderungen vor sich, wie konkret die Einführung des Euro oder die ab 2004 geltenden zusätzlichen Zuzahlungen im Gesundheitsbereich belegen.

Diese Bedenken werden auch nicht durch die Tatsache ausgeräumt, dass die Werte für die Ausgaben hochgerechnet wurden.

Im Gegenteil, die Hochrechnung vom Bezugsjahr 1998 (EVS-Auswertung) auf das Jahr 2005 erfolgte anhand der Entwicklung des Rentenwertes, nicht aber – was sachlich konsistent gewesen wäre – anhand der Preisentwicklung der regelsatzrelevanten Güter. Da die Preisentwicklung spätestens 2004 die Rentensteigerung übertraf, bestand systemimmanent schon 2005 eine Unterdeckung des Existenzminimums, die sich mit den Nullrunden bei der Rentenanpassung in den Folgejahren noch erheblich verschärfte. Dass die Preisentwicklung der regelsatzrelevanten Güter hinter der Rentenentwicklung zurückblieb, bestätigt auch ein Bericht des Bundesarbeitsministeriums4. Die Kopplung der Fortschreibung der Regelsätze an die Rentenentwicklung ist nicht sachgerecht zur Bestimmung des Existenzminimums, sondern politischen Opportunitätserwägungen geschuldet.

Wie das Hessische LSG in seiner Vorlage darlegt, sind die Stimmen in der Literatur zur Eignung der Regelleistungen nach dem SGB II bzw. nach § 28 AGB XII i. V. m. der Regelsatzverordnung zur Sicherstellung des soziokulturellen Existenzminimums kritisch. Die zugrunde liegende Methodik wurde in der Literatur vielfach bezweifelt. Diesen Zweifeln schließt sich der DGB an.

b) Korrekte Merkmale für den Bedarf

Nach § 2 Abs. 3 der VO zur Durchführung des § 28 SGB XII sollen die Verbrauchsausgaben der untersten 20 % der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Haushalte der Einkommens- und Verbraucherstichprobe nach der Herausnahme der Empfänger von Leistungen der Sozialhilfe, Grundlage für die Ermittlung des Bedarfs sein.

Diese selbst gesetzten „Vorgaben“ hat der Gesetzgeber nicht beachtet. Er hat sich bei dem Referenzeinkommen nicht an den unteren 20 % der Einkommensbezieher, sondern nur an der Gruppe alleinstehender Haushalte mit Nettoeinkommen von unter 1.800 DM orientiert. Er hätte von einem Haushalt mit einem Einkommen von 1.800 DM bis 2.499 DM ausgehen müssen5. Wird eine falsche Referenzgruppe zugrunde gelegt, lässt sich schon daraus ableiten, dass die Bedarfe für Familienhaushalte mit heranwachsenden Kindern eine andere Basis benötigen, weil Alleinstehende oder Paare andere Ausgaben haben.

Dass der Bedarf einer Familie sich aus der um 10 % im Vergleich zu Alleinstehenden abgesenkten Regelleistung für die Eltern und dem Sozialgeld für die Kinder, das sich wiederum aus einer lediglich prozentual abgesenkten Regelleistung zusammensetzt, überschreitet die Ermessenskompetenz des Gesetzgebers.

4 Bericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, 4.11.2007, S. 3. Danach hätte der Eckregelsatz zum 1.7.07 statt 347,- Euro dann 359,- Euro betragen müssen.

5 Frommann, Warum nicht 627 €?, NDV 2004, 246ff

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Es ist schlichtweg nicht nachvollziehbar, welche Erwägungen der Gesetzgeber angestellt hat, um einen bedarfsgerechten Regelsatz für Kinder, aber auch für Familien zu finden. Deswegen ist auch dem Vorbringen des LSG zu folgen, wonach sich die Gerichte nicht ihrer Aufgabe entziehen dürfen, zu kontrollieren, ob sich der Gesetzgeber an die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze zur Überprüfung empirisch-normativer Konstrukte gehalten hat. Diese Kontrolle kann je nach Intensität der Auswirkungen von einer Evidenzkontrolle bis zu einer intensivierten Kontrolle reichen.

c) Methodisch korrekte Höhe

Die Regelleistung muss den nach Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verbürgten Mindestbedarf decken, den der Staat einem mittellosen Bürger im Rahmen sozialstaatlicher Fürsorge durch Sozialleistungen zur Verfügung zu stellen hat, dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss zum Kindergeld zum Ausdruck gebracht6. Der Staat hat dafür zu sorgen, dass die materiellen Bedingungen für eine menschenwürdige Existenz gewährleistet sind7.

Nachdem eine bestimmte, mathematisch genaue Bestimmung des Regelsatzes nicht möglich ist und dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist, lässt sich die Frage der Verfassungskonformität nur daran messen, welches Instrumentarium zur Findung des soziokulturellen Existenzminimums eingesetzt und auf welchem Weg das Ergebnis gefunden wurde.

Die Ausgangsdatenlage der Einkommens- und Verbraucherstichprobe basiert, wie oben bereits erwähnt, auf Erhebungen aus dem Jahr 1998, die durch eine nicht sachgerechte Bezugnahme auf die Entwicklung des Rentenwertes auf das Jahr 2005 hochgerechnet und dann fortgeschrieben wurden.

Die Bezugnahme auf die unteren 20 % der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Haushalte der EVS nach Herausnahme der Sozialhilfeempfänger wurde in zweifacher Hinsicht fehlerhaft umgesetzt. Zum einen wurden nur die Haushalte von Alleinstehenden berücksichtigt, die bezogen auf die Gesamtbevölkerung ein überdurchschnittlich hohes Armutsrisiko aufweisen und damit die Referenzgruppe nach unten verzerren. Außerdem wurde versäumt, neben den Sozialhilfeempfängern auch die „verdeckt Armen“ aus der Referenzgruppe zur Vermeidung von Zirkelschlüssen herauszurechnen. Die Armutsforschung geht davon aus, dass bis zu 50 % der Berechtigten ihre Sozialhilfeansprüche nicht realisieren.

Zutreffend ist, dass sich die Zweifel an der Verfassungskonformität der Regelsätze insbesondere durch die Bemessung des Sozialgeldes für Kinder und Jugendliche darstellen lassen.

6 BVerfG Beschluss v. 20.05.1990 - 1 BvL 20/84

7 Herdegen in Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz, Stand: 2/2005, Art. I Abs 1 Rdnr. 114 m.w.N.; Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 20 Rdnr. 24

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Zutreffend führen sowohl das BSG als auch das LSG aus, dass der Gesetzgeber die Höhe des Sozialgeldes für Kinder, aber auch die Höhe des Bedarfs für die Familien (LSG) nicht annähernd realistisch und transparent ermittelt hat. Zutreffend legen die Kläger in dem Verfahren zu 1 BvL 1/09 dar, dass gemeinsame Aktivitäten, wie z. B.

Besuche im Zoo oder Familienausflüge, die den Familienverband fördern, nicht möglich und auch gar nicht in der Leistung vorgesehen sind.

Die konkrete Orientierung an einem kindgerechten Bedarf erfolgt nicht. Der Gesetzgeber berücksichtigte nicht, dass Kinder und Jugendliche zwangsläufig andere Bedarfe als Erwachsene haben, die sich wachstums- und entwicklungsmäßig bedingen. So haben Kinder in Wachstumsphasen einen höheren Kleidungsbedarf als erwachsene Kinder, aber auch einen erhöhten Nahrungsbedarf.

Da generell im Regelsatz keine Ausgaben für Bildung vorgesehen sind, ist in diesem weder ein Förderungsbedarf für die Kinder z. B. für den Besuch einer Musikschule, geschweige denn ein Bedarf für Hobbys oder Talentförderung enthalten.

Die Nachbesserung, die der Gesetzgeber durch den neuen § 24a SGB II vorgenommen hat8, belegt eindeutig, dass zusätzliche Bedarfe, die durch den Besuch der Schule notwendigerweise entstehen, bisher in den Regelleistungen nicht vorhanden waren. Der DGB bezweifelt zwar, dass diese einmaligen Leistungen, die jeweils zum 01. August gezahlt werden, wenn mindestens ein im Haushalt lebender Elternteil zu diesem Zeitpunkt Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hat, ausreichend sind, sieht aber durch die Einführung des § 24a SGB II einen ersten Schritt zum weiteren Handlungsbedarf.

Auch die Maßnahme des Gesetzgebers – die im Rahmen des Gesetzes zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland9 durch Art. 17 eingefügte Änderung der Regelsatzverordnung, nach der für die Zeit vom 01.07.2009 bis 31.12.2011 an Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres 60 % und ab Beginn des 7. bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 70 % und ab dem 15. Lebensjahr 80 % des Eckregelsatzes gezahlt werden, – zeigt, dass nunmehr auch er davon ausgeht, dass die Regelleistungen für jüngere Schulkinder zu niedrig sind.

Diese Maßnahme zeigt aber auch, dass wiederum keine ordnungsgemäße Ermittlung des Bedarfes vorgenommen worden ist, da der Gesetzgeber weiterhin keine transparente Auswertung der EVS vorgenommen hat. Diesmal wurde zwar die Bezugsgruppe geändert und statt auf Alleinstehende bei Kindern auf eine dreiköpfige Familie (zwei Erwachsene, ein Kind) abgestellt.

Eine Offenlegung des Verfahrens mit einer Begründung für die weiterhin vorgenommenen Abschläge hinsichtlich der einzelnen Verbrauchsabteilungen der EVS unterblieb aber wieder.

8Familienleistungsgesetz v. 22.12.2008, BGBl 2008 I S. 2955

9 BGBl 2009 I S. 416

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Eine pauschale Ableitung der Regelsätze mit Prozenten vom Regelsatz für alleinstehende Erwachsene kommt nicht nur zu einem nicht ausreichenden Bedarf, sondern macht auch Widersinnigkeiten deutlich.

Rechnet man die in den einzelnen Verbrauchsabteilungen der EVS vom Verordnungsgeber als regelsatzrelevant erkannten Güter konkret aus, dann stehen für den Schulbedarf monatlich 1,66 € für Schreibmaterial und 0,62 € für Sportartikel zur Verfügung. Weiterer Schulbedarf an Büchern, Stiften, Papier, Materialen zum Basteln sowie Kosten für Ausflüge, eintägige Klassenfahrten und Eintrittsgelder für z. B. Museen werden überhaupt nicht berücksichtigt.

Theoretisch ist aber ein Betrag für alkoholische Getränke oder Tabak vorgesehen. Dieser vermag aber den spezifischen Bedarf für Kinder nicht auszugleichen. Besonders gravierend ist, dass Kinder, deren Eltern Grundsicherung für Arbeitsuchende beziehen, auch von der Schulspeisung ausgeschlossen werden, da die Regelleistungen für Kinder für Nahrungsmittel lediglich 1,95 € täglich vorsehen und die Kosten für das Schulessen in der Regel diesen Betrag übersteigen.

Da keine Position für Bildung vorhanden ist – weder Nachhilfeunterricht noch Talentförderung wie z. B. das Erlernen eines Musikinstruments –, ist dies nicht aus dem Sozialgeld finanzierbar. Das fördert nicht die Bildung, sondern die Ausgrenzung der betroffenen Kinder.

d) Bestimmung des regelsatzrelevanten Verbrauchs

Nach den Ausführungen des BSG in seiner Entscheidung vom 23.11.200610 muss dem Gesichtspunkt des Lohnabstandsgebots maßgebliche Bedeutung zukommen. Danach wäre es gerechtfertigt, dass von den – nach Auffassung des DGB allerdings nicht korrekten – Ausgangsdaten auch noch Abschläge vorgenommen wurden.

Diese Auffassung teilt der DGB nicht. Tatsächlich wurden die durch die EVS ermittelten Daten für die Ermittlung des Regelsatzes/ der Regelleistung auch noch um rund 19 % gekürzt, indem als nicht notwendig eingestufte Faktoren erst gar nicht berücksichtigt wurden und Ausgaben – aus Gründen des Lohnabstandsgebotes? – nach einem nicht erkennbaren System gekürzt wurden. Die Kürzung der EVS-Ergebnisse um einen angeblich „nicht regelsatzrelevanten Verbrauchsanteil“ erfolgt in einer nicht nachvollziehbaren Weise durch die Ministerialbürokratie. Soweit dies der Wahrung des Lohnabstandsgebots dient, das allerdings im SGB II nicht normiert ist, ist anzumerken: Das Lohnabstandsgebot stößt auf verfassungsrechtliche Zweifel, insoweit teilt der DGB die Auffassung im Vorlagebeschluss des Hessischen LSG, da es bei einer negativen Lohnentwicklung dem Grundrecht auf Sicherstellung des soziokulturellen Existenzminimums zuwiderlaufen kann.

Mit der Festlegung des Existenzminimums trifft der Staat eine normative Grundentscheidung mit erheblicher Bindungswirkung, die über die Freistellung des Existenzminimums von der Besteuerung auch die Netto-Löhne betrifft.

10 BSG v. 23.11.2006 – B 11b AS 1/06 R

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Umgekehrt fehlt es an einer verfassungsrechtlichen Grundlage für eine „Rückwirkung“ der Lohnfindung auf die Regelsatzbemessung. Die Lohnfindung erfolgt nicht nach verfassungs- oder sozialpolitischen Notwendigkeiten. Aus diesen Gründen kann das Lohnabstandsgebot nicht zur Bestimmung des regelsatzrelevanten Verbrauchs herangezogen werden.

Nach Auffassung des DGB kann das Notwendige für ein menschenwürdiges Dasein unter Berücksichtigung des sozikulturellen Existenzminimums nicht dadurch ermittelt werden, dass ohne reale Ermittlung, was tatsächlich benötigt wird, auch noch Abschläge von einer ohnehin unzureichenden Basis nach Gutdünken gemacht werden.

Dabei wird nämlich nicht berücksichtigt, dass die Arbeitsmarktsituation zunehmend Menschen dazu zwingt, Arbeit zu einem Lohn anzunehmen, der weder für den eigenen Bedarf, geschweige denn für den Unterhalt der Familie ausreicht. Dies belegen auch die rund 1,3 Mio. Fälle, in denen Aufstockungs- oder Ergänzungsleistungen nach dem SGB II zum Arbeitseinkommen gezahlt werden, zu denen auch die Eltern der Kinder aus den Verfahren 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09 gehören.

Solange nicht ein Mindestlohn gezahlt werden muss, der zum Leben ausreicht, ist die Rechtmäßigkeit dieser Kürzung mehr als bedenklich, da diese Kürzungen von Einkommen vorgenommen werden, von denen zweifelhaft ist, dass sie mehr als das Existenzminimum sichern können.

e) Möglichkeit zur Typisierung und Pauschalierung

Wie bereits oben dargelegt, bestehen erhebliche Zweifel daran, dass die Regelleistung rechtsstaatsgemäß zustande gekommen ist.

Es stellt sich daher auch die Frage, ob die Pauschalierung im Widerspruch zu den Ergebnissen einer wissenschaftlichen Begleitung zur Pauschalierung von Sozialhilfeleistungen nach § 101a BSHG steht, die leider nicht veröffentlicht wurden.

Neben der Regelleistung sind keine Leistungen mehr für einmalige Beihilfen vorgesehen. Ausgaben für einmalige Bedarfe oder größere Anschaffungen sollen angespart werden, dafür wurde die Regelleistung um 16,45 % erhöht.

Die pauschale Erhöhung lässt ebenfalls keine Rückschlüsse darauf zu, ob diese auf einer erfahrungsbasierten Datenerhebung beruht und alle Sonderfälle berücksichtigt. Zwar soll der pauschalen Erhöhung der ehemaligen Leistungssätze nach dem BSHG ein Erfahrungswert aus der Verwaltungspraxis zugrunde liegen. Allerdings lassen die Angaben diese Rückschlüsse nicht zu. Es wurde nicht dargelegt, welche Einzelheiten berücksichtigt wurden, z. B. ob und wie ein kurzzeitiger Leistungsbezug berücksichtigt wurde. Bei einem kurzzeitigen Leistungsbezug werden in der Regel keine einmaligen Beihilfen bewilligt.

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Die Festsetzung der Höhe der Pauschale lässt auch nicht erkennen, warum von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Existenzminimum vom 25.09.1992 abgewichen wurde, nach der 20 % als berücksichtigungsfähige Höhe für einmalige Leistungen seit dem Jahr 1986 anerkannt wurden11. Hier wäre zumindest eine Begründung notwendig, warum von diesem Prozentsatz abgewichen wurde.

Darüber hinaus sind nur spezielle Einzelregelungen vorhanden, die einzelnen Personengruppen wie alleinstehenden Vätern oder Müttern zusätzliche Leistungen gewähren, die, wie auch das BSG ausführt, nicht allgemein eine Erweiterung der Leistungen über die Regelleistung bzw. das Sozialgeld hinaus zulassen. Der Gesetzgeber hat vielmehr in § 3 Abs. 3 Satz 2 SGB II ausdrücklich klargestellt, dass die Leistungen abschließend und bedarfsdeckend sind, ohne einen Nachweis im Einzelnen zu erbringen.

Die Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II, wonach ein Freibetrag für notwendige Anschaffungen i. H. v. 750,- € für jeden, der in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Hilfebedürftigen besteht, ist zumindest dann ohne Bedeutung, wenn vor Eintritt der Hilfebedürftigkeit keine entsprechende materielle Ausstattung vorliegt. Mit der pauschalen Erhöhung der Leistung um 16,45 % können die Kosten für größere Anschaffungen nicht ausgeglichen werden.

Insbesondere in Notsituationen, die dadurch entstehen, dass Einmalbedarfe gehäuft auftreten, kann dann das gebotene Existenzminimum nicht mehr als gesichert angesehen werden. Dies gilt insbesondere für Familien und Kinder, denn Anschaffungen wie z. B. Kinderspielzeug sind nur über den Pauschalbetrag berücksichtigt. Für ein Kinderfahrrad müsste das Kind von seiner Geburt an für diese Anschaffung sparen und könnte sich das Rad schließlich als Erwachsener kaufen.

Auch ist das in § 23 Abs. 1 SGB II vorgesehene Darlehen keine Lösung, da diese Regelung nur dann eingreift, wenn im Einzelfall ein von der Regelleistung umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts weder durch Rückgriff auf das Vermögen noch auf andere Weise gedeckt werden kann. Selbst wenn man voraussetzt, dass unter „unabweisbar“ jeder Bedarf zu verstehen ist, der sich aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m.

Art. 20 Abs. 1 GG ableiten lässt – also bewilligt werden müsste –, liegt das Problem in den Rechtsfolgen, da die Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB II nur als Darlehen gewährt und nach den Regelungen des § 43 SGB II dann mit den laufenden Leistungen aufgerechnet werden.

III. Abschließende Bewertung

Auf Grund der Darlegungen halten wir § 20 Abs. 1 – 3 und § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 weder mit Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG sowie mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3 GG für vereinbar.

Es ist nicht erkennbar, dass die Festsetzung des Existenzminimums für Familien und Kinder auf einer realitätsnahen Erhebung und Auswertung von Daten erfolgte.

11 BVerfG v. 25.09.1992 - 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91

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Es sind weder konkrete Merkmale ersichtlich, nach denen der Bedarf für diesen Personenkreis festgestellt wurde, noch überzeugt die konkrete Methode zur Berechnung der Höhe des Bedarfs. Die Methode des Abschlags zur Herstellung des Abstandsgebots ist verfassungsrechtlich bedenklich und ist jedenfalls solange fragwürdig, als von einem Einkommen ausgegangen wird, von dem nicht feststeht, dass dieses eine ausreichende Basis zum Lebensunterhalt bietet. In keinem Fall ist die Herausrechnung eines angeblich nicht regelsatzrelevanten Anteils aus dem Verbrauchsverhalten der gewählten EVS-Referenzgruppe ausreichend transparent und begründet.

Die Pauschalierung von Leistungen reicht nicht aus, um das soziokulturelle Existenzminimum für Familien mit Kindern zu decken. Die Regelleistung und das Sozialgeld sehen weder in ausreichendem Maße typische Leistungen für Familien und für Kinder vor sowie eine Härteregelung oder Öffnungsklausel entsprechend

§ 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII. Damit werden Familien sowie Kinder in eine Rolle gedrängt, die sie im Vergleich mit Sozialhilfeempfängern wegen der fehlenden Öffnungsklausel benachteiligen, als Außenseiter charakterisieren und die zur Ausgrenzung führt.

Die beigefügte Stellungnahme des DGB zu einer Bundestagsanhörung im Februar 2009 fasst die Position des DGB zur Regelsatzbestimmung von Kindern zusammen.

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Anlage zur Stellungnahme vom 13.07.2009 an das Bundesverfassungsgericht zu den Vorlagebeschlüssen 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09

Stellungnahme des DGB zur Bundestagsanhörung am 09.02.2009 zur Schaffung einer neuen Altersgruppe bei den Kinderregelsätzen (im Rahmen des II. Konjunkturpakets)

Zusätzliche Altersstufe für 6- bis 13-jährige Kinder im SGB II (Hartz IV) und in der Sozialhilfe in Höhe von 70 % des Eckregelsatzes (Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, Artikel 8 und 15 der BT-Drs. 16/11740).

Der Gesetzentwurf sieht die Schaffung einer zusätzlichen Altersstufe für 6- bis 13-jährige Kinder im SGB II (Hartz IV) und in der Sozialhilfe in Höhe von 70 % des Eckregelsatzes (bisher 60 %) vor. Der DGB begrüßt diese Änderung.

Sie kann aber nur ein erster Schritt in einer grundlegenden Überprüfung des gesamten Regelsatzsystems, insbesondere bei den Kindern sein. Bei der Bemessung der Regelsätze müssen insbesondere kinderspezifische Bedarfe in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Teilhabe am sozialen Leben stärker berücksichtigt werden Die seit langem bekannten verfassungsrechtlichen Zweifel am Zustandekommen der Regelsätze wurden erst am 27. Januar dieses Jahres bestätigt. Das Bundessozialgericht hat die Hartz IV-Kinderregelsätze für verfassungswidrig erklärt und dies u. a. mit einer nicht ausreichenden Begründung der Ableitung vom Erwachsenenregelsatz begründet.

Der DGB fordert bereits seit langem, eigenständige, nicht vom Erwachsenenregelsatz abgeleitete Kinderregelsätze.

Diese Forderung ist mit der jetzt erfolgten Einrichtung einer weiteren Altersgruppe nicht obsolet. Der DGB kritisiert Bemühungen der Bundesregierung, die vorgesehene geringfügige Anhebung des Regelsatzes für einen Teil der Kinder sowohl als politische Antwort auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu instrumentalisieren als auch zusätzlich noch zur Stützung der Konjunktur politisch zu „verkaufen“.

Die in der Begründung zur Änderung der Regelsatzverordnung gemachten Ausführungen zur Stützung der Konjunktur irritieren. Einerseits ist der Erhöhungsbetrag zu gering, um größere konjunkturelle Wirkung zu haben.

Vor allem aber spielen konjunkturelle Belange in der Bemessung des soziokulturellen Existenzminimums keine Rolle. Hier geht es um die Bestimmung des soziokulturellen Existenzminimums und nicht um wirtschaftspolitische Erwägungen.

Die in der Begründung genannte Sonderauswertung zur EVS 2003 liegt nicht öffentlich vor. Der DGB fordert eine Offenlegung, einschließlich der vom Bundessozialministerium getroffenen Annahmen zur Auswertung der statistischen Daten.

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Denn nur im Zusammenwirken von objektiven statistischen Befunden und den zugrunde gelegten Annahmen und normativen Entscheidungen ist eine hinreichende Transparenz bei der Regelsatzbemessung gegeben. So sind z. B.

Anzahl und Alter der stichprobenrelevanten Kinder für diese EVS-Auswertung nicht offengelegt.

Für besonders fehlerhaft an der derzeitigen Regelsatzbemessung hält es der DGB, dass die Ausgaben für Bildung überhaupt nicht in die Regelsatzbemessungen einfließen. Auch der Betreuungs- und Erziehungsbedarf muss bei der Bemessung des Existenzminimums berücksichtigt werden, wie das Bundesverfassungsgericht bereits 1998 festgestellt hat. Dies ist aber bisher keinesfalls in ausreichendem Maße geschehen. So werden etwa Ausgaben für Nachhilfe oder die stundenweise Fremdbetreuung, etwa für Zeiten von Bewerbungsbemühungen des betreuenden Elternteils wurden bisher nicht im Regelsatz und auch nicht durch einmalige Sonderzahlungen berücksichtigt.

Vorliegende Studien zeigen, dass Kinder aus einkommensschwächeren Haushalten von Entwicklungs- und Bildungschancen anderer Kinder zunehmend abgekoppelt werden. Die von der Hans-Böckler-Stiftung herausgegebene Studie („Konsumausgaben von Familien im unteren Einkommensbereich“, November 2007, verfasst von Irene Becker) zeigt, wie die derzeitige Praxis der Regelsatzbemessung dazu führt, dass bestehende schichtspezifische Unterschiede im Bildungsbereich sich noch verfestigen. So ist beispielsweise der Anteil der 14- bis 17-jährigen Schüler mit Nachhilfeunterricht im obersten Einkommensquintil mit 20 % fast viermal so hoch wie im untersten, eher bildungsfernen Quintil. Das heißt, die Entwicklungs- und Bildungschancen von Kindern sind trotz formal gleicher Zugangsmöglichkeiten direkt vom Einkommen der Eltern abhängig. Auch deshalb ist eine stärkere Berücksichtigung von Bildungsausgaben im Rahmen der Regelsatzbemessung unbedingt erforderlich.

Insgesamt hält der DGB die EVS für eine geeignete Basis der Regelsatzbemessung. Auf Grund der überragenden Bedeutung der Regelsatzbemessung für die Festsetzung von Sozialleistungen, aber auch für die steuerlichen Freibeträge fordert der DGB eine Entscheidung des Gesetzgebers. Diese Frage kann nicht wie bisher auf dem Verordnungswege über die Ministerialbürokratie entschieden werden. Zur Vorbereitung der gesetzgeberischen Entscheidung sollte eine unabhängige Expertenkommission eingerichtet werden, die sich mit der Frage der Parameter bei der Auswertung der EVS befasst und hierzu einen Entscheidungsvorschlag unterbreitet. Im Rahmen der Kommission soll auch geprüft werden, ob außer der EVS noch weitere geeignete statistische Auswertungen vorliegen, die zur Regelsatzbemessung heranzuziehen sind.

Der DGB hat bereits bei Einführung von Hartz IV im Jahr 2004 kritisiert, dass damit eine Absenkung der Regelsätze für die Altersgruppe der 7- bis 13-jährigen Kinder verbunden war.

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Erhielten sie im Bundessozialhilfegesetz noch einen Regelsatz in Höhe von 65 % des Haushaltsvorstands, so beläuft sich dieser seit Anfang 2005 nur noch auf 60 %. Für die 14- bis 17-jährigen Jugendlichen wurde sogar eine Absenkung von 90 % auf 80 % vorgenommen.

Das heißt, mit der Einführung von Hartz IV wurden die Regelsätze für die bis 6-Jährigen leicht angehoben, wohingegen die 7- bis 17-Jährigen zum Teil deutliche Verschlechterungen hinnehmen mussten. Insofern ist die jetzt beabsichtigte Anhebung des Regelsatzes für einen Teil der Kinder eher eine Wiederherstellung des Status Quo vor Einführung von Hartz IV denn eine wirkliche Verbesserung.

Der DGB widerspricht auch der in der Begründung zur Änderung der Regelsatzverordnung indirekt gemachten Aussage, dass der bisherige Regelsatz für die bis 6-Jährigen von 211,- € zu hoch sei. Der DGB schlägt zudem vor, die Einrichtung einer eigenen Altersstufe für die 18- bis 24-Jährigen zu prüfen. Es ist nicht ersichtlich, warum ein 24-Jähriger im Haushalt der Eltern lebender junger Erwachsener nicht einen höheren Bedarf hat als etwa ein 14- Jähriger.

Im Zusammenhang mit den politischen Schlussfolgerungen aus dem Urteil des Bundessozialgerichts erneuert der DGB auch seine Forderung nach der Möglichkeit einer Öffnung bei der Regelsatzbemessung in besonderen Fällen.

Dieses ist bisher nur im Sozialhilferecht möglich, was vom Bundessozialgericht als Verstoß gegen das Gleich- heitsprinzip im Grundgesetz gewertet wurde. Ein solcher Sonderbedarf ist etwa bei besonderen Ausgaben im Zusammenhang mit getrennt lebenden Elternteilen möglich.

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