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Gericht. Entscheidungsdatum. Geschäftszahl. Spruch. Text BVwG W W /8E W /8E

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Gericht BVwG

Entscheidungsdatum 22.05.2017

Geschäftszahl W185 2152707-1

Spruch

W185 2152713-1/8E

W185 2152707-1/8E

W185 2152712-1/8E

W185 2152711-1/8E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard PRÜNSTER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1) XXXX , geb. XXXX , 2) XXXX , geb. XXXX , 3) XXXX , geb. XXXX und 4) XXXX , geb. XXXX , die beiden minderjährigen Beschwerdeführer gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , sämtliche StA. Iran, alle vertreten durch RA Mag. Nadja Lorenz, Burggasse 116/17-19, 1070 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2017, Zlen 1129637908/161254469 (1), 1129638001/161254485 (2), 1129637603/161254493 (3) und 1129637701/161254507 (4), beschlossen:

A) Den Beschwerden wird gemäß § 21 Abs. 3 2.Satz BFA-VG idgF stattgegeben und die bekämpften Bescheide werden behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Ehegatten; die Dritt- und Viertbeschwerdeführer sind deren gemeinsame minderjährige Kinder. Am 14.09.2016 brachten die Beschwerdeführer die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz in Österreich ein.

EURODAC-Abfragen ergaben keine Treffermeldungen. Eine Abfrage der VIS-Datenbank ergab, dass die Beschwerdeführer in Besitz von italienischen Schengenvisa mit einer Gültigkeit vom 16.08.2016 bis 12.09.2016 waren.

Im Zuge der Erstbefragung vom 14.09.2016 gab der Erstbeschwerdeführer vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zusammengefasst an, gemeinsam mit seiner Gattin und den beiden mj Kindern nach Österreich gereist zu sein. Ein – namentlich genannter - Bruder des Erstbeschwerdeführers sei in Wien wohnhaft; dieser sei ca 45 Jahre alt. Nähere Angaben hiezu könne er nicht machen. Ihr Zielland wäre eigentlich Kanada gewesen; sie seien vom Schlepper jedoch in Österreich "abgesetzt" und nicht weiter gebracht worden.

Die Beschwerdeführer hätten die Heimat mittels Flugzeug verlassen und seien in ein ihnen unbekanntes Land gelangt. Dort hätten sie weder Behördenkontakt gehabt, noch wären sie dort erkennungsdienstlich behandelt

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worden. Am 14.09.2016 seien die Beschwerdeführer in einer 6 bis 7-stündigen Autofahrt nach Österreich gekommen. Über den Aufenthalt in dem unbekannten Land könne der Erstbeschwerdeführer nichts angeben. Die Beschwerdeführer hätten außer in Österreich nirgendwo sonst um Asyl angesucht. Den Erhalt eines Visums verneinte der Erstbeschwerdeführer anfangs, gab jedoch dann zu, ein Visum erhalten zu haben. Ob die Beschwerdeführer in Italien gewesen seien, könne er nicht sagen. Er habe "das Land nicht erkannt". Die Zweitbeschwerdeführerin erklärte, die Einvernahme ohne gesundheitliche Probleme absolvieren zu können; sie müsse keine Medikamente einnehmen und sei nicht schwanger. Zum Reiseweg erstattete sie idente Angaben wie der Erstbeschwerdeführer. In dem ihr unbekannten Land, in welchem die Beschwerdeführer nach ihrer Abreise aus dem Iran gelandet seien, hätten sich die Beschwerdeführer ca 2 Wochen in einem Haus aufgehalten und wären dann mit einem PKW nach Österreich gelangt. Zu einem Visum könne sie keine Angaben machen; ihr Ehegatte habe sich um alles gekümmert. Die Zweitbeschwerdeführerin stellte für die beiden mj Kinder Asylanträge.

Am 26.09.2016 langte eine Vollmachtsbekanntgabe für RA Mag. Nadja Lorenz, Burggasse 116/17-19, 1070 Wien, beim Bundesamt ein.

Am 22.11.2016 richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auf Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr.

604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (infolge kurz: Dublin III-VO) gestützte Aufnahmeersuchen an Italien; dies unter Bekanntgabe des Vorliegens italienischer Schengen-Visa.

Mit Schreiben vom 25.01.2017 teilte die österreichische Dublin-Behörde Italien mit, dass auf Grund der nicht fristgerecht erfolgten Antwort gemäß Artikel 22 Absatz 7 der Dublin III-VO Verfristung eingetreten und Italien beginnend mit 22.01.2017 zuständig für die Durchführung der gegenständlichen Asylverfahren sei.

Am 14.02.2017 erstatteten die Beschwerdeführer durch deren rechtsfreundliche Vertreterin eine Stellungnahme, worin im Wesentlichen vorgebracht wurde, dass die Beschwerdeführer als Familie mit zwei minderjährigen Kindern als besonders vulnerabel anzusehen seien. Der mj Viertbeschwerdeführer leide an gravierenden psychischen Problemen. Er nässe jede Nacht ein. Er sei "abwesend", spreche sehr wenig und spiele nicht mit anderen Kindern. Er könne sich auch noch nicht alleine anziehen. Aufgrund mangelnder Nahrungsaufnahme sei er auch untergewichtig. Er benötige ständige Betreuung. Aus einem Schreiben der Volksschule, welche der Viertbeschwerdeführer besuche, gehe hervor, dass dieser "stark traumatisiert wirke". Es liege auch bereits die Diagnose: F43.1, PTSD, vor und sei ein dringender Bedarf an regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung festgestellt worden. Der Bruder des Erstbeschwerdeführers sei österreichischer Staatsbürger und lebe mit seiner Familie in Wien. Es lägen ein intensives Verhältnis und ein beständiger Kontakt zwischen den Beschwerdeführern und deren Verwandten vor. Es fänden so oft wie möglich Besuche statt. Der Bruder des Erstbeschwerdeführers unterstütze die Beschwerdeführer auch finanziell (Fahrt- und Anwaltskosten, Kleidung, Schuhe und Essen). Besonders der mj Viertbeschwerdeführer habe ein sehr enges Verhältnis zu seinen in Österreich lebenden Angehörigen und sei psychisch von deren Unterstützung abhängig. Es liege ein iSd Art 8 EMRK schützenswertes Familienleben vor. In Italien bestünden nach den Berichten bei der Gewährleistung der psychologischen und psychiatrischen Versorgung sehr große Defizite. Eine stationäre Behandlung sei aufgrund fehlender Plätze und fehlender Sprachkenntnisse kaum je möglich. Insbesondere in den CAS sei auch keine Behandlung von Fällen mit psychischen Problemen vorgesehen. Die (adäquate) Unterbringung von Familien sei generell ein Problem im italienischen Asylwesen. Den Beschwerdeführern würde sohin bei einer Abschiebung nach Italien die Verletzung ihrer Rechte nach Art 3 und Art 8 EMRK drohen. Der Stellungnahme angeschlossen waren eine Reihe von Fotos, ein Unterstützungsschreiben, Urkunden zur Integration der Beschwerdeführer in Österreich sowie das Schreiben einer Psychotherapeutin vom 13.02.2017, worin diese als Diagnose F43.1 anführte und als Therapie dringend eine regelmäßige psychotherapeutische Behandlung anregte. Der Viertbeschwerdeführer leide noch massiv unter den traumatischen Erlebnissen. Weitere Termine würden vereinbart werden (AS 231 des Aktes der Zweitbeschwerdeführerin).

Am 20.02.2017 wurde der Erstbeschwerdeführer – in Anwesenheit einer Rechtsberaterin und nach durchgeführter Rechtsberatung - vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Hinsichtlich seines Gesundheitszustandes befragt, erklärte der Erstbeschwerdeführer, dass es ihm gut gehe und er der Einvernahme ohne Probleme folgen könne. Er habe jedoch "viel Stress". Er habe bisher im Verfahren immer die Wahrheit gesagt. Sein Bruder lebe seit nunmehr 16 Jahren in Wien und sei bereits österreichischer Staatsbürger.

Sie würden sich häufig wechselseitig besuchen. Zuvor hätten sie lediglich alle 3 bis 4 Wochen telefoniert. Die Beschwerdeführer würden von dem genannten Bruder finanziell und auch sonst unterstützt. So bringe dieser die Kinder zum Arzt und kaufe den Kindern auch immer wieder etwas. Wenn er Unterstützung brauche, bekomme er diese von seinem Bruder. Nach Vorhalt der Zuständigkeit Italiens gab der Erstbeschwerdeführer an, die Unterstützung seines Bruders zu benötigen. In Italien hätten die Beschwerdeführer hingegen keine Unterstützung. In Italien hätten sich die Beschwerdeführer glaublich dreieinhalb Wochen aufgehalten. Vorfälle gegen die Beschwerdeführer hätte es dort nicht gegeben; sie hätten das Haus nicht verlassen dürfen. In Italien hätten die Beschwerdeführer nicht um Asyl angesucht; ihr Zielland wäre Kanada gewesen. Da Kanada keine

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Botschaft im Iran hätte, wäre es unmöglich gewesen, Visa für Kanada zu bekommen. Er habe grundsätzlich nicht nach Österreich kommen wollen; er hätte seinen älteren Bruder "nicht belästigen" wollen. Die Beschwerdeführer würden weder in den Iran noch nach Italien zurückkehren wollen. In Italien hätten die Beschwerdeführer keine Verwandten; wenn dem Erstbeschwerdeführer etwas passieren sollte, könnte sich dessen Bruder um seine Familie kümmern. Er mache sich jedenfalls auch Sorgen um seine Kinder.

Mit Schriftsatz vom 21.02.2017 wurde erneut auf die besonders enge familiäre Beziehung der Beschwerdeführer zu ihren in Österreich lebenden Angehörigen hingewiesen und betont, dass sohin ein schützenswertes Familienleben iSd Art 8 EMRK vorliege. Zum Beweis dafür werde beantragt, die Angehörigen der Beschwerdeführer zeugenschaftlich einzuvernehmen. Vorgelegt wurden Schreiben des Bruders und des Neffen des Erstbeschwerdeführers.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Zuge ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt im Wesentlichen an, dass es ihr gut gehe und sie der Einvernahme folgen könne. Ihre Angaben würden auch für die mj Beschwerdeführer gelten. Der Drittbeschwerdeführer sei gesund. Der Viertbeschwerdeführer hingegen leide, seit sie in Österreich seien, an Depressionen. Im Iran und in Italien hätten sich die Symptome (noch) nicht gezeigt. Der Viertbeschwerdeführer sei bereits bei einer Psychotherapeutin gewesen und auch in der Betreuungsstelle von Ärzten untersucht worden. Befunde lägen noch nicht vor. Ein weiterer Termin bei der Psychologin sei für nächsten Monat fixiert. Ein stationärer Krankenhausaufenthalt sei bisher nicht erforderlich gewesen. Der Bruder des Erstbeschwerdeführers, ihr Schwager, würde in Wien wohnen und sei bereits österreichischer Staatsbürger.

Es würden häufig gegenseitige Besuche stattfinden. Der Genannte kaufe sowohl den Kindern als auch den erwachsenen Beschwerdeführern Kleidung und gebe ihnen auch Geld. In Italien hingegen hätten die Beschwerdeführer weder Familienangehörige noch sonstige Verwandte. Der Viertbeschwerdeführer sei krank und sei von seinem Onkel abhängig. Der Erstbeschwerdeführer sei viel älter als sie und sie könne nicht allein mit den Kindern leben. Sie wolle – nur wegen der Kinder – in Österreich bleiben.

Mit den angefochtenen Bescheiden wurden I. die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 12 Abs. 4 iVm Art 22 Abs 7 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Prüfung der Anträge zuständig sei, sowie II. gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl.

I Nr. 100/2005 (FPG) idgF die Außerlandesbringung der Beschwerdeführer angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gem. § 61 Abs. 2 FPG deren Abschiebung nach Italien zulässig sei.

Zusammengefasst wurde festgehalten, dass die Beschwerdeführer nicht an lebensbedrohenden Krankheiten leiden würden. Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und der minderjährige Drittbeschwerdeführer seien gesund. Der minderjährige Viertbeschwerdeführer leide an einer Posttraumatischen Belastungsstörung; es lägen jedoch keine lebensbedrohenden oder überstellungshinderlichen Krankheiten vor.

Die PTSD sei jedoch "nicht schwer genug" für eine stationäre Behandlung gewesen. Es seien auch keinerlei Medikamente verschrieben, sondern lediglich ein weiterer Termin in einem Monat fixiert worden. Es bestünde kein längerfristiger Pflege- oder Rehabilitationsbedarf. Als Dublin-Rückkehrer könnten die Beschwerdeführer, da sie in Italien noch nicht um Asyl angesucht hätten, dort wie jeder andere auch um Asyl ansuchen. Dann stünde ihnen auch das Recht auf Unterbringung und Versorgung zu und hätten diese auch kostenlosen Zugang zum italienischen Gesundheitssystem. In Italien sei auch das Non-Refoulement-Prinzip gut etabliert. Hinsichtlich der ins Treffen geführten familiären Anknüpfungspunkte in Österreich wurde festgehalten, dass zu den genannten Verwandten (ein volljähriger Bruder des Erstbeschwerdeführers und zwei Neffen) kein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bestünde, da sich die Beschwerdeführer in der Grundversorgung befänden. Eine allfällige finanzielle Unterstützung sei auch nach Italien möglich. Es liege ein Familienbezug zu einem österreichischen Staatsbürger vor. Es deute jedoch nichts darauf hin, dass die Beschwerdeführer im Speziellen von dem genannten Bruder abhängig wären. Ein Pflegebedarf bestehe nicht. Es liege kein gemeinsamer Haushalt vor und seien die genannten Angehörigen 16 Jahre getrennt gewesen. Um zu gewährleisten, dass Familien mit minderjährigen Kindern im konkreten Einzelfall einen SPRAR-Unterbringungsplatz zugewiesen bekämen, würden seitens des Bundesamtes spezifische Maßnahmen getroffen. So kündige das Bundesamt Dublin- Überstellungen mindestens 15 Tage vor dem geplanten Überstellungstermin den italienischen Behörden an. Bei Übernahme der Familie sei ein österreichischer Verbindungsbeamter vor Ort. Für das Bundesamt bestünden somit keine Zweifel, dass die Beschwerdeführer in Italien gemeinsam und adäquat untergebracht würden. In casu könnten sich Vater und Mutter um die mj Beschwerdeführer kümmern und lägen keine schweren Krankheiten vor. Ein relevanter Bezug zu den Entscheidungen des VfGH vom 30.6.2016, E 449-450/2016-13 und E 703-704/2016-14, könne nicht erkannt werden, zumal die Beschwerdeführer weder an lebensbedrohlichen physischen noch an psychischen Krankheiten leiden würden. Ein dauerhafter stationärer Aufenthalt in einem Krankenhaus sei nicht erforderlich (gewesen). Eine besondere Vulnerabilität sei nicht hervorgekommen. Es sei davon auszugehen, dass die Anordnung der Außerlandesbringung nicht zu einer Verletzung der Dublin-III-VO sowie von Art. 7 GRC bzw. Art. 8 EMRK führe und die Zurückweisungsentscheidungen daher unter diesen

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Aspekten zulässig seien. Die Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG treffe zu; ein zwingender Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts habe sich nicht ergeben.

Gegen diese Bescheide wurden am 06.04.2017 fristgerecht gleichlautende Beschwerden eingebracht. Darin wird dargelegt, dass die Beschwerdeführe unter Verwendung eines italienischen Visums über Italien nach Österreich eingereist seien. Ein Bruder des Erstbeschwerdeführers lebe mit Frau und 2 Kindern seit geraumer Zeit in Österreich und sei bereist österreichischer Staatsbürger. Es habe zwischen den Genannten ständig reger telefonischer Kontakt geherrscht; seit dem Aufenthalt der Beschwerdeführer in Österreich würden häufig wechselseitige Besuche stattfinden. Der Bruder würde die Beschwerdeführer sowohl finanziell als auch in jeder sonstigen Weise unterstützen. Der siebenjährige Viertbeschwerdeführer leide unter gravierenden psychischen Problemen. Er benötige ständig Betreuung. Im Rahmen einer psychotherapeutischen Abklärung das Vorliegen von PTSD diagnostiziert und ein dringender Bedarf an regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung festgestellt. Seit dem 03.04.2017 befinde sich der Viertbeschwerdeführer stationär in einem Klinikum. Vorgelegt werde die entsprechende Aufenthaltsbestätigung. Der Kontakt zu seinen Verwandten sei eine große Stütze für die positive Entwicklung des Viertbeschwerdeführers. Bei den Beschwerdeführern handle es sich um eine vulnerable Personengruppe. Die Behörde habe in der Folge aber die höchstgerichtliche Judikatur (VfGH 30.6.2016, E 449 ua/2016) nicht berücksichtigt. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall habe ein mj Beschwerdeführer an PTSD gelitten und sei deswegen in psychotherapeutischer Behandlung gestanden. Befunde hätten vor einer Retraumatisierung und Destabilisierung bei einer Überstellung gewarnt. Dieser Aspekt wäre vom BVwG zu beachten gewesen, zumal sich die bereits aufgrund der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers bestehende besondere Verletzlichkeit wegen dessen gesundheitlichen Zustandes noch erhöhe, was im Einzelfall einen noch strengeren Maßstab an die Zusicherung der italienischen Behörden erfordern würde. Das Kindeswohl sei nach Ansicht der Beschwerdeführer gegenständlich zu wenig beachtet worden. Es sei nicht auszuschließen, dass es nach Überstellung in Italien zu einer Trennung der Familie komme; eine solche wäre für die Stabilisierung des Viertbeschwerdeführers jedoch hinderlich. Auch der in Österreich aufhältige Bruder des Erstbeschwerdeführers und dessen Familie sei eine große Stütze für den psychisch angeschlagenen Viertbeschwerdeführer. Dieser habe ein besonders enges Verhältnis zu seinem in Österreich lebenden Cousin.

Unter einem wurden (erneut) der Statusbericht einer Psychotherapeutin vom 13.02.2017 sowie (erstmals) eine Aufenthaltsbestätigung eines Klinikums vom 03.04.2017 vorgelegt. In dieser wird der stationäre Aufenthalt des Viertbeschwerdeführers vom 03.04.2017 bis 07.04.2017 bestätigt.

Mit Eingabe vom 11.04.2017, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 12.04.2017, wurden ein Klinisch- psychologischer Befund betreffend den Viertbeschwerdeführer vom 07.04.2017 sowie ein Kurzarztbrief eines Klinikums in Vorlage gebracht. Im Klinisch-psychologischen Befund wird folgende Diagnose gestellt: PTSD, Essstörung, Schlafstörung, Enuresis. Wichtig für den Viertbeschwerdeführer seien ein strukturierter Alltag, der diesem Sicherheit und Halt gebe; er benötige stabile Beziehungen, regelmäßige Abläufe und möglichst wenig Veränderungen. Eine muttersprachliche Psychotherapie werde ebenso empfohlen, wie die Unterstützung auch durch die Familie des Bruders des Erstbeschwerdeführers. Aus dem Kurzarztbrief ergibt sich, dass keine Medikamente verordnet wurden.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.04.2017 wurde den Beschwerden gem. § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Mit Schriftsatz vom 18.04.2017, beim BVwG eingelangt am 20.04.2017, wurde ein elektroencephalografischer Befund betreffend den Viertbeschwerdeführer vom 11.04.2017 vorgelegt. Zusammenfassung:

"Diffus dysrhythmisches EEG am Rande der Norm. Einstreuung von monophasischen Elementen in wechselnder Lokalisation. In Hyperventilation Akzentuierung der Ruheaktivität". Eine deutlich erhöhte Frequenzlabilität des Grundrhythmus finde man häufig bei cerebralen Reifestörungen organischer Genese. Konstante Herdzeichen oder Paroxysmen würden fehlen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführer, Staatsangehörige aus dem Iran, reisten mit italienischen Schengen-Visa über Italien in das Gebiet der Mitgliedstaaten ein. In weiterer Folge begaben sich die Beschwerdeführer nach Österreich und brachten hier am 14.09.2016 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz ein.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete Aufnahmeersuchen gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO an Italien. Aufgrund von Verfristung trat die Zuständigkeit Italiens zur Durchführung der Verfahren ein und wurden die italienischen Behörden mit Schreiben vom 25.01.2017 darüber in Kenntnis gesetzt.

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Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und der mj Drittbeschwerdeführer leiden an keinen schweren, lebensbedrohlichen Krankheiten. Sie sind gesund.

Der mj Viertbeschwerdeführer leidet laut einem vorliegenden klinisch-psychologischen Befund an einer posttraumatischen Belastungsstörung, an einer Essstörung, an Schlafstörungen sowie Enuresis (Anm:

Bettnässen). Ein durchgeführtes EEG war "am Rande der Norm". Vom 03.04.2017 bis 07.04.2017 befand sich der Viertbeschwerdeführer in stationärer Behandlung in einem Klinikum.

Es liegt keine abschließende Beurteilung des Gesundheitszustandes des mj Viertbeschwerdeführers vor.

Die Beschwerdeführer haben in Österreich familiäre Anknüpfungspunkte in Form eines erwachsenen Bruders des Erstbeschwerdeführers samt Familie (Frau und 2 Kinder). Mit den genannten Personen besteht weder ein gemeinsamer Haushalt noch liegen finanzielle oder sonstige Abhängigkeiten vor.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Reiseweg der Beschwerdeführer ergeben sich aus deren Angaben, insbesondere aber aus dem Ergebnis einer Abfrage der Visadatenbank.

Die Feststellung hinsichtlich der Aufnahmeersuchen seitens der österreichischen Dublin-Behörde und dem Übergang der Zuständigkeit auf Italien durch Verfristung beruht auf dem – im Verwaltungsakt dokumentierten – durchgeführten Konsultationsverfahren.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführer ergeben sich aus der Aktenlage bzw. den vorgelegten ärztlichen Schreiben hinsichtlich des Viertbeschwerdeführers.

Die festgestellten, persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführer ergeben sich aus den eigenen Angaben und der damit im Einklang stehenden Aktenlage.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl.

I 2013/33 idF BGBl I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBl I 25/2016 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. In Asylverfahren tritt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an die Stelle des Bundesasylamtes (vgl § 75 Abs 18 AsylG 2005 idF BGBl I 2013/144).

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass

§§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Zu A) Stattgabe der Beschwerden:

(6)

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idgF lauten:

§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2) ..

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

2. die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

2. die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist;

(7)

3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind".

§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:

§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine

Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

§ 21 (3) BFA-VG lautet: Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

(8)

§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF lautet:

§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2. (2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) lauten:

Art. 3 Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt.

Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–

Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

Art. 7 Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von

(9)

Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

Artikel 12 Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa

(1) Besitzt der Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(2) Besitzt der Antragsteller ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung gemäß Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft erteilt wurde. In diesem Fall ist der vertretene Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(3) Besitzt der Antragsteller mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in folgender Reihenfolge zuständig:

a) der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat;

b) der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichartige Visa handelt;

c) bei nicht gleichartigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat.

(4) Besitzt der Antragsteller nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.

Besitzt der Antragsteller einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

(5) Der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, hindert nicht daran, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen.

Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat, ist nicht zuständig, wenn nachgewiesen werden kann, dass nach Ausstellung des Titels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde.

Art. 16 Abhängige Personen

(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.

(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des

(10)

Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.

(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.

(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Art. 17 Ermessensklauseln

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.

Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.

Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

Artikel 22 Antwort auf ein Aufnahmegesuch

(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers innerhalb von zwei Monaten, nach Erhalt des Gesuchs.

..

(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw. der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die

(11)

Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

Gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG ist der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Nach der Rechtsprechung des VwGH (jüngst Ra 2016/19/0208-8 vom 5.10.2016) hat eine Entscheidung nach § 21 Abs 3

2. Satz BFA-VG gemäß § 31 Abs 1 VwGVG in Form eines (nicht bloß verfahrensleitenden) Beschluss zu ergehen.

Zwar ist hinsichtlich der Frage der Unzuständigkeit Österreichs für die Durchführung der gegenständlichen Asylverfahren dem Bundesamt beizupflichten, dass sich aus dem fest-gestellten Sachverhalt grundsätzlich die Zuständigkeit Italiens ergibt. Dies folgt aus den Regelungen des Art. 12 iVm Art 22 Abs 7 der Dublin III- Verordnung.

Dennoch geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt eine Überstellung der Beschwerdeführer nach Italien nicht zulässig ist, da in casu die gegenständliche Entscheidung des Bundesamtes auf Basis eines insgesamt qualifiziert mangelhaften Verfahrens ergangen ist. Dies aus folgenden Erwägungen:

Hinsichtlich des Vorbringens der Beschwerdeführer zum Gesundheitszustand des minderjährigen Viertbeschwerdeführers ist auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 3 EMRK im Zusammenhang mit der Abschiebung von Kranken zu verweisen. Demnach haben im Allgemeinen Fremde kein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn sie an einer schweren Krankheit leiden oder selbstmordgefährdet sind. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver sei, sei unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gebe. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führe die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche lägen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben. Bei der Ausweisung und Abschiebung Fremder in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union werde auch zu berücksichtigen sein, dass dieser zur Umsetzung der Aufnahmerichtlinie verpflichtet sei. Gemäß Art. 15 dieser Richtlinie haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass Asylwerber die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst bzw. dass Asylwerber mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe erlangen. Dennoch könnte der Transport vorübergehend oder dauernd eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, etwa bei fortgeschrittener Schwangerschaft oder der Erforderlichkeit eines ununterbrochenen stationären Aufenthalts (EGMR 22.06.2010, 50068/08, Al-Zawatia;

EGMR Große Kammer, 27.05.2008, 26565/05, N./Vereinigtes Königreich, Rn. 42ff; EGMR 03.05.2007, 31246/06, Goncharova & Alekseytsev; 07.11.2006, 4701/05, Ayegh; 04.07.2006, 24171/05, Karim; 10.11.2005, 14492/03, Paramsothy; VfGH 21.09.2009, U 591/09; 06.03.2008, B 2400/07; VwGH 31.03.2010, 2008/01/0312;

23.09.2009, 2007/01/0515).

In seiner rezenten Entscheidung im Fall "Paposhvili vs. Belgium" (EGMR, Große Kammer, 13.12.2016, 41738/10) hat der EGMR das Vorliegen von "ganz außergewöhnlichen Fällen" näher präzisiert. Demnach ist der Gerichtshof der Ansicht, dass die Abschiebung eines schwer kranken Menschen auch dann vom nach Art. 3 EMRK geschützten Bereich umfasst sein könnte - auch wenn dieser sich nicht in unmittelbarer Lebensgefahr befindet - wenn wegen des Fehlens einer geeigneten Heilbehandlung im Zielstaat oder wegen des mangelnden Zugangs zu einer solchen Heilbehandlung eine ernste, schnelle und irreversible Verschlechterung des Gesundheitszustands, die ein starkes Leid zur Folge hätte, oder diese Person eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zu erfahren hätte, einer realen Gefahr ausgesetzt wäre (RN 183). Weiters stellt der Gerichtshof fest, dass es hier um die negative Verpflichtung, Personen nicht der Gefahr einer durch Art. 3 EMRK verbotenen Behandlung auszusetzen, handelt (RN 188). Was die zu berücksichtigten Faktoren betrifft, müssen die Behörden des abschiebenden Staates im Einzelfall prüfen, ob die im Zielstaat allgemein verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten in der Praxis ausreichend und geeignet für die Behandlung der Krankheit des Betroffenen sind, um zu verhindern, dass dieser einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wird. Dabei gehe es jedoch nicht darum, zu ermitteln, ob die Heilbehandlung im Zielstaat gleichwertig oder schlechter wäre als die durch das Gesundheitswesen des abschiebenden Staates zur Verfügung gestellte Heilbehandlung (RN 189). Jedenfalls muss der abschiebende Staat, wenn nach Prüfung der relevanten Informationen ernsthafte Zweifel über die Auswirkungen der Abschiebung der betreffenden Person bestehen bleiben, sei es wegen der allgemeinen Lage im Zielstaat oder wegen der individuellen Situation der Betroffenen, als Vorbedingung der Abschiebung, vom Zielstaat eine individuelle und ausreichende Zusicherung einholen, das

(12)

eine geeignete medizinische Versorgung für die betroffene Person verfügbar und zugänglich sein wird, sodass sie sich nicht in einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Situation befindet (RN 191).

Der minderjährige Viertbeschwerdeführer leidet nach den vorgelegten Unterlagen (Statusbericht einer Psychotherapeutin vom 13.02.2017 und eines klinisch-psychologischen Befundes vom 07.04.2017) neben einer posttraumatischen Belastungsstörung PTSD F 43.1, auch an Schlafstörungen, an einer Essstörung sowie an Enuresis (Bettnässen). Es wurde dringend eine regelmäßige muttersprachlich psychotherapeutische Behandlung angeraten. Nach dem klinisch-psychologischen Befund benötige der Viertbeschwerdeführer einen strukturierten Alltag, welcher ihm Sicherheit und Halt gebe. Er benötige stabile Beziehungen, regelmäßige Abläufe und möglichst wenig Veränderungen. Neue Verunsicherungen seien zu vermeiden. Die Unterstützung durch die Familie des Bruders des Erstbeschwerdeführers wurde hiezu als sehr hilfreiche Ressource genannt. Vom 03.04.2017 bis 07.04.2017 befand sich der Viertbeschwerdeführer in stationärer Behandlung. Aus einem am 11.04.2017 durchgeführten EEG ergab sich, dass dieses "am Rande der Norm" gewesen sei.

Gegenüber dem Zeitpunkt der Bescheiderlassung hat sich die Situation insofern geändert, als zwischenzeitig offensichtlich eine stationäre Aufnahme des Viertbeschwerdeführers als erforderlich erachtet wurde, welche neben dem Vorliegen einer PTSD auch die o.e. weiteren Krankheitssymptome erbrachte und zu den o.a.

Empfehlungen aus ärztlicher Sicht geführt haben. Aus dem vorgelegten EEG-Befund ergeben sich für das Gericht keine nachvollziehbaren Erkenntnisse. Dem Bundesverwaltungsgericht fehlen nach dem Gesagten zum nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt belastbare Feststellungen zum aktuellen (psychischen) Gesundheitszustand bzw zur Transportfähigkeit des Viertbeschwerdeführers. Die Behörde wird den aktuellen Gesundheitszustand des Viertbeschwerdeführers zu ermitteln und hiezu sowie zu der bestehenden bzw erforderlichen Therapie, Feststellungen zu treffen haben. Dies auch in Hinblick auf die Auswirkungen einer Überstellung nach Italien und des sich daraus ergebenden Maßstabes der Zusicherung seitens Italiens hinsichtlich der dortigen (tatsächlich zugänglich) psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten.

In seiner Entscheidung vom 30.6.2016, E 449/2016 ua, hat der Verfassungsgerichtshof in einem vergleichbaren Fall (Anm: mj Kind, PTSD, psychotherapeutische Behandlung, Gefahr einer Destabilisierung bei einer Abschiebung nach Italien) nämlich festgehalten, dass dieser Aspekt im Hinblick auf die im Tarakhel-Urteil geforderte individuelle Zusicherung durch Italien zu beachten gewesen wäre, zumal sich die bereits aufgrund der Minderjährigkeit des Viertbeschwerdeführers bestehende besondere Verletzlichkeit seiner Person wegen seines gesundheitlichen Zustandes noch erhöht habe; dies hätte im konkreten Einzelfall einen noch strengeren Maßstab an die Zusicherung Italiens erfordert.

Somit bedarf es aktueller Feststellungen zum psychischen Gesundheitszustand des minderjährigen Viertbeschwerdeführers, um eine Grundlage für eine Entscheidung zu schaffen, ob eine Überstellungsfähigkeit der Beschwerdeführer nach Italien gegeben ist und um eine Gefährdung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen ausschließen zu können. Dem Bundesverwaltungsgericht ist es – wie bereits dargelegt - zum Entscheidungszeitpunkt nicht möglich, aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen zu beurteilen, ob außergewöhnliche Umstände vorliegen, die bei einer Überstellung der Beschwerdeführer zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen könnten.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist – angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes – nicht ersichtlich.

Da der maßgebliche Sachverhalt zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt nicht mit hinreichender Sicherheit feststeht, waren nach den dargestellten Erwägungen die angefochtenen Bescheide nach § 21 Abs 3

2. Satz BFA-VG zu beheben und die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt zurückzuverweisen.

Nach § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG idgF konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung

(13)

von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung;

weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im vorliegenden Fall liegen die tragenden Elemente der Entscheidung allein in der Bewertung der Asyl- und Aufnahmesituation im Mitgliedsstaat, die auf den umfassenden und aktuellen Feststellungen der Behörde über die Lage im Vertragsstaat beruht, sowie in der Bewertung der Intensität des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführer und demgemäß in Tatbestandsfragen.

Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte und des EGMR bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den rechtlichen Erwägungen wiedergegeben.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2017:W185.2152707.1.01

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