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Rudolf Riha „Sechzehn Polen auf einem Fleck ...“ Skizze zur Tätigkeit des ehemaligen Bürgermeisters von Wagram Johann Fischer im Distrikt Radom

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Rudolf Riha

„Sechzehn Polen auf einem Fleck ...“

Skizze zur Tätigkeit des ehemaligen

Bürgermeisters von Wagram Johann Fischer im Distrikt Radom

Bei der Abfassung einer Monographie über den Nationalsozialismus im unteren Traisental1 war ich auf Johann Fischer gestoßen, einen fanatischen National­

sozialisten, SS­Angehörigen und Gestapo­Beamten. Mit dem Pseudonym „Karl Frank“ anonymisiert hatte ich den Fall akribisch genau analysiert und beschrie­

ben. Eines Tages entdeckte ich eine „Johann­Fischer­Gasse“ in Wagram. Ich brachte die Sache dem Bürgermeister von Traismauer zur Kenntnis, urgierte eine Umbenennung und stieß damit eine lebhafte Diskussion in Gemeinde und lokalen Medien an. Gegner und Befürworter meldeten sich zu Wort.2

Während meiner Recherchen zur oben genannten Monographie hatte ein Zeitzeuge beiläufig erwähnt, dass Johann Fischer nie als Soldat gekämpft hät­

te, sondern hinter der Front in Polen „eingerückt“ gewesen sei – „bei Juden­

aushebungen“3. Im Österreichischen Staatsarchiv fand ich heraus, dass Johann Fischer in Radom, Generalgouvernement, stationiert gewesen war. Um fang­

reiches Quellenmaterial machte die Recherche – im Österreichischen Staats­

archiv/Archiv der Republik (AdR), Deutschen Bundesarchiv (DBA), Landes­

gericht für Strafsachen Wien (LG Wien), Instytut Pamięci Narodowej – bis in Detailbereiche hinein möglich.

Johann Fischer wurde am 13. Mai 1908 in Wagram ob der Traisen gebo­

ren.4 Nach der achtklassigen Volksschule arbeitete er in der elterlichen Land­

1 Rudolf Riha, Wegbereiten – Mitmachen – Vergessen. Nationalsozialismus im unteren Traisental [= Studien und Forschungen aus dem NÖ Institut für Landeskunde 44, hrsg. v.

Willibald Rosner et al.], St. Pölten 2007.

2 Siehe z. B. NÖN Herzogenburg, Nr. 44, 30. 10. 2012; NÖN Herzogenburg, Nr. 45, 6. 11. 2012; NÖN, 18. 3. 2014. Interview des Autors mit Johann Wilthan, 10. 2. 1998.

Siehe auch: http://www.erinnern.at/bundeslaender/niederoesterreich/institutionen­projekte/

diskus sion­um­umbenennung­einer­strasse [25. 8.2015].

3 Interview des Autors mit Johann Wilthan, 10. 2. 1998

4 DBA, RS Johann Fischer, 13. 5. 1908, prov. Mitgliedskarte und Mitgliedsbuch der NSDAP.

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wirtschaft.5 Sein gleichnamiger Vater war deutsch­national eingestellt und Bür­

germeister von Wagram.6

1924 wurde der „Deutsche Turnverein­Hollenburg und Wagram“ gegrün­

det, in dem Johann Fischer bereits in jungen Jahren als Funktionär tätig war.

Am 1. April 1929 erfolgte die Gründung einer „Ortsgruppe der NSDAP (Hitlerbewegung)“ durch „15 unerschrockene und begeisterte junge Leute“, un ter ihnen Johann Fischer.7

Die (gerundeten) Wahlergebnisse dokumentieren den rasanten Aufstieg der NSDAP: 22% der Stimmen für die NSDAP bei der Gemeinderatswahl 1929, 30% bei der Nationalratswahl 1930 (gegenüber 3% in ganz Österreich) und bei der Landtagswahl 1932 – der letzten demokratischen Wahl in Österreich vor 1945 – die absolute Mehrheit mit 54%.8

Nach dem Verbot der NSDAP in Österreich im Juni 1933 wurden die Par teiaktivitäten der Ortsgruppe Wagram geheim im Rahmen des Deutschen Turnvereins weitergeführt; im August 1934 wurde der Turnverein behördlich aufgelöst.9

Johann Fischer war weiterhin für die nun verbotene NSDAP aktiv. Zweimal nahm er am Reichsparteitag in Nürnberg teil. Beim SA­Sturm 17 in Krems stieg er bis zum Truppführer auf und trat schließlich der SS bei.10 1935 war er 14 Tage wegen „Geheimbündelei“ im Kreisgericht St. Pölten inhaftiert.

Bereits vor dem „Anschluss“ war in Wagram die Herrschaft de facto in die Hände der örtlichen Nationalsozialisten übergegangen. Trotz dieser erfolgrei­

chen Betätigung wurde die Ortsgruppe Wagram bei der Parteistrukturreform am 1. April 1939 zur Parteizelle herabgestuft und der Ortsgruppe Traismauer ein­

gegliedert – ausgerechnet beim Fest zum zehnjährigen Jubiläum der Gründung der Ortsgruppe. Johann Fischer wurde Zellenleiter.

Ab Kriegsbeginn absolvierte Fischer eine Ausbildung bei der 4. SS­Toten­

kopfstandarte „Ostmark“ in der SS­Kaserne in Linz­Ebelsberg, der heutigen Hiller­Kaserne. Ab Jänner 1939 waren dort Angehörige der Allgemeinen SS der Geburtsjahrgänge 1903 bis 1913 zu Kräften der „Polizei­Verstärkung“ mi­

5 DBA, RS Johann Fischer, 13. 5. 1908, Lebenslauf.

6 Chronik von Wagram, hrsg.v. R. Wurst, Traismauer 1986, S. 84, 154.

7 St. Pöltner Zeitung, 15. 4. 1939; Interview des Autors mit Karl Steindl, 1. 5. 2000.

8 Chronik von Wagram, S. 79; Ergebnis der Nationalratswahl vom 9. November 1930, hrsg. v. d. N.Ö. Landesamtsdirektion, Wien 1930; Ergebnis der Landtagswahlen vom 24. Ap ril 1932, hrsg. v. d. N.Ö. Landesamtsdirektion, Wien 1932.

9 Riha, Wegbereiten, S. 73 f.

10 ÖStA/AdR, Gauakten, Personalfragebogen der NSDAP 95/584.

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litärisch ausgebildet worden, um für Wachaufgaben in den KZ Mauthausen und Gusen eingesetzt zu werden.

Im November 1939 wurde Fischer nach Radom im Generalgouvernement überstellt, wo die 11. SS­Totenkopfstandarte aufgestellt werden sollte. Nach einer Verzögerung bezeichnete sich der 31­jährige SS­Mann Fischer im März 1940 als Angehöriger der 11. Totenkopfstandarte. In einem Schreiben an das Rasse­ und Siedlungs­Hauptamt vom 15. Mai 1940 gab er als Wohnsitz

„3./11. SS­To tenkopf­Standarte“ und „Radom, Polen“ an11. Im Jänner 1940 wur de er zum Sturmmann und im April zum Rottenführer befördert. Damit stand er an der Schwelle zum Unteroffiziersrang.12

Der Distrikt Radom umfasste rund 24.000 km² mit Anfang 1939 knapp 2,7 Millionen EinwohnerInnen – darunter 380.000 Jüdinnen und Juden.13 Bei Terrormaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung kam auch Johann Fischers 11. SS­Totenkopfstandarte zum Einsatz: Dörfer wurden durchkämmt und nie­

dergebrannt, Massaker, Verhaftungen und Zerstörungen folgten.14

„Am 1. Juni 1940 ging das ganze Regiment [die 3/11 SS­Totenkopf­Stan­

darte] nach Holland ab“, gab Fischer nach dem Krieg bei der Gendarmerie zu Protokoll.15 Eine Postkarte ging am 26. Juni von Breda in den Niederlanden ab, wo der Stab der Standarte Quartier genommen hatte.16 Im Spätsommer 1940 wurde die gesamte SS­Standarte zum Küstenschutz beordert und in ei­

ner Kaserne in Arnhem untergebracht. Im Herbst 1940 war Johann Fischer zu Hause in Wagram, um zu heiraten. Die Familie zog anschließend nach Hollen­

burg. Am 24. November 1940 befand er sich in Deutschland in der Nähe von Halle an der Saale und acht Tage später wieder in Radom. Ab diesem Zeitpunkt scheint er in den Quellen als Angehöriger der Gestapo mit der Dienststelle

„Kommandantur der Sicherheitspolizei Radom“ auf.17 Er wurde im Gestapo­

Referat IV B4 – zuständig für „Judenangelegenheiten“ – beschäftigt.18 Sein unmittelbarer Vorgesetzter war Untersturmführer Richard Schöggl.

Bereits 1940 wurden Tausende Radomer Juden und Jüdinnen in Zwangs­

arbeitslager verschleppt, viele von ihnen ermordet. 1941/42 kam es zu zahl­

11 DBA, RuS Fragebogen Johann Fischer, 13. 5. 1908.

12 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 17 u. ON 7.

13 Robert Seidel, Deutsche Besatzungspolitik in Polen: Der Distrikt Radom 1939–1945, Pader­

born 2006, S. 29, 31, 33.

14 Siehe zu den Massakern und Brandschatzungen: Seidel, Besatzungspolitik, hier S. 190 f.

15 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 17.

16 DBA, RS Johann Fischer, 13. 5. 1908, zwei Postkarten.

17 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 17.

18 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 27b; Seidel, Besatzungspolitik, S. 72.

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reichen organisierten Erschießungen von Juden im Distrikt Radom durch die Sipo.19 Im Sommer 1942 begannen die Massendeportationen der jüdischen Be völkerung des Distrikts in die Vernichtungslager. Daran beteiligt war auch das „Sonderkommando Feucht“, das aus Angehörigen der Dienststelle des KdS und SD Radom zusammengestellt wurde. Es wurde nach seinem Kom­

mandanten Adolf Feucht benannt, dem Leiter des Judenreferats bei der Kom­

mandantur der Sicherheitspolizei, in dem auch Johann Fischer eingesetzt war.

Bei Ghettoauflösungsaktionen oder der „Befriedung“ polnischer Dörfer wur­

den Angehörige aller Dienststellen – auch der Verwaltung – eingesetzt, wie einer Zeugenaussage eines Mitglieds des Kommandos zu entnehmen ist.20

Am 19. Juli 1942 gab Heinrich Himmler den Befehl: „Ich ordne an, dass die Umsiedlung der gesamten jüdischen Bevölkerung des Generalgouvernements bis 31. Dezember 1942 durchgeführt und beendet ist.“21

Betroffen waren auch rund 25.000 Juden und Jüdinnen allein im großen Ghetto Radom, rund 8.000 im Ghetto Radom­Glinice. Beide im April 1941 er­

richteten Ghet tos wurden im August 1942 geräumt: 24.000 Menschen wurden im Vernich tungslager Treblinka ermordet, auch von den wenigen zur Zwangs­

arbeit ein gesetzten überlebten nur ein paar Hundert die Lager oder das Leben im Ver borgenen und in den Partisaneneinheiten.22

Nach Abschluss der großen Vernichtungsaktionen kam es zu personel len Umschichtungen in der Sipo Radom. Im Juni 1943 wurde Fischer zum Ober­

scharführer ernannt,23 in der zweiten Jahreshälfte 1943 wurde er dem Refe­

rat IV A und IV N mit Zuständigkeit für politische Parteien, Widerstand und Nachrichtendienst zugeteilt.24 Johann Fischer wurde von dieser Dienst­

stelle „auch zu Festnahmeaktionen herangezogen“, wie einer seiner ehema­

ligen Kollegen nach dem Krieg in Polen aussagte.25 Darunter sind Geisel­

erschießungen, Ermordung von Zivilisten und Abbrennen von Dörfern zu verstehen. Auch die nichtjüdische Bevölkerung im Distrikt Radom wurde schwer drangsaliert: Mehr als 83.000 Personen wurden verhaftet, über 70.000 in Konzentrationslager eingeliefert, 113.000 ermordet.26

19 Seidel, Besatzungspolitik, S. 301 ff.

20 IPN GK 105/306, S. 38.

21 Seidel, Besatzungspolitik, S. 296.

22 Seidel, Besatzungspolitik, S. 310–312; http://www.yadvashem.org/yv/he/research/ghettos_

encyclopedia/ghetto_details.asp?cid=1010 [1. 1. 2014].

23 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 17.

24 IPN, GK 164/5248; Seidel, Besatzungspolitik, S. 71.

25 IPN, GK 164/5248.

26 Seidel, Besatzungspolitik, S. 211 ff.

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Anfang 1945 floh Johann Fischer vor der vorrückenden Roten Armee nach Wien,27 wo er Wachdienst vor dem Gestapo­Hauptquartier am Morzinplatz versah, das am 12. März nach Bombenangriffen ausbrannte. Über das Weitere berichtete Fischer später: „Am 9. April 1945 bin ich per Rad von Wien nach Hollenburg gefahren, von wo aus ich mich am 15. April 1945 bei der Tabakfa­

brik Stein a.d.D., wo sich unterdessen der Beamtenstab der Gestapo hinbege­

ben hat, bzw. übersiedelte, zum Dienstantritt meldete [sic!].“28.

Unbeantwortet muss zur Zeit die Frage bleiben, ob Johann Fischer bei einem der Massaker in der Häftlingsanstalt Stein an der Donau am 6. und 15. Ap ril beteiligt war. Es wäre nicht auszuschließen, dass Johann Fischer „an den Erschießungen teilgenommen hat, da während dieser kritischen Zeit eine große Anzahl aus verschiedenen Orten zusammengezogene SS, SD, Gestapo, SA und Polizei anwesend waren […]“.29

Am 1. Mai 1945 sollte Johann Fischer mit einem SS­Kommando nach Maria Taferl gehen. Er hätte „dies … abgelehnt, weil [er] schon kampfmü­

de …“ gewesen wäre. Also sei er angeblich desertiert und nach Hause gegan­

gen. Dort versuchte er im Volkssturm Hollenburg tätig zu werden. „Wie die Situation immer kritischer wurde und die Russen im Herannahen begriffen wa­

ren, […] [war er] […] mit einem Privatauto nach Freistadt gekommen, von wo aus […] [er] […] beim Bauern Josef Plöchl in Unterzeiß Nr. 18 seit 5. Mai 1945 als landwirtschaftlicher Arbeiter Stellung gefunden“ hatte.30 Johann Fischer selbst fasste sein Untertauchen rückblickend folgendermaßen zusammen: „Seit Kriegsbeginn Soldat und 1940 geheiratet, dauernd in der Fremde, daher eine Ehegemeinschaft mit meiner Frau gar nicht kennend, erreichte ich im Mai 1945 meine Heimat. Zu Hause alles zerstört, ohne Wohnung, zog ich den Weg vieler und fand Arbeit als Landarbeiter.“31

Von seinem oberösterreichischen Domizil aus besuchte Johann Fischer

„seine Familie ab und zu im Geheimen und es erfuhr der hiesige Gendarmerie­

posten erst dies, wenn Fischer wieder verreist war“. Im Jänner 1947 kam dem Hilfsgendarmen Gustav Schreferl zu Ohren, dass die Gendarmen „zu Weih­

nachten hätten einen schönen Fang machen können […] dass sich zu dieser Zeit der Beschuldigte heimlich bei seiner Frau in Hollenburg aufgehalten hätte, weil damals im Haus Fischer alle Türen versperrt gewesen seien“.32

27 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 17.

28 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 17.

29 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 7.

30 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 17.

31 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 3h.

32 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 5.

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Johann Fischer ignorierte die gesetzliche Registrierungspflicht als Natio nal­

sozialist und nahm so widerrechtlich auch an der Nationalratswahl im No vember 1945 teil. Er meldete sich erst am 11. März 1947 in Neumarkt im Mühlviertel als ehemaliges NSDAP­Mitglied und blieb vorerst unbehelligt. Am 11. April 1947 versuchte er, „mit einem Auto, auf welchem er die Möbel seiner Gattin mit noch einigen Männern verladen hatte, […] zu entkommen“. Er verlangte „vom hiesigen Posten die Herausgabe der seiner Gattin abgenommenen Sachen wie Kleider und Wäsche, welche Eigentum des Johann Fischer sind. […]“ Darauf­

hin wurde er von Revier­Inspektor Michael Sollinger wegen Verabredungs­

und Fluchtgefahr verhaftet. Er könnte „auf eine die Wahrheit hindern de Art auf Zeugen oder Mitbeschuldigte einzuwirken“ suchen. Vorgeworfen wurden ihm Verbrechen nach dem Verbots­ und Kriegsverbrechergesetz, Fischer wurde von Sollinger ins kreisgerichtliche Gefangenhaus Krems eingeliefert.33

Hilfsgendarm Josef Schreferl hatte ab Herbst 1946 Nachforschungen über Johann Fischers Radomer Tätigkeit angestellt. Auch Revier­Inspektor Michael Sollinger konnte einiges in Erfahrung bringen, sodass mittlerweile eine ganze Reihe von Zeugenaussagen vorlagen. Diese sind im Nationale an die Kremser Staatsanwaltschaft vom 18. April 1947 dokumentiert. In der Einvernahme durch den Untersuchungsrichter bestritten manche ZeugInnen jedoch ihre früheren Aussagen: „Ich bleibe dabei, dass ich nichts davon weiß […]“. „Ich habe die in der Gendarmerie­Anzeige mir zugeschobenen Aussagen nie gemacht […]“.

Oder: „Ich habe derartige Angaben niemals bei der Gendarmerie gemacht.“34 Bei den Erhebungen zuvor hatten sich die ZeugInnen noch erinnert, Johann Fischer habe eine Menge Kleider, Wäsche u.a. im Generalgouvernement zusammenge­

rafft und der Gattin zur Bahnstation Stein oder Traismauer geschickt oder die Sendung mittels Ochsenfuhrwerk nach Hause bringen lassen.35 Schon während des Krieges gab es in der Heimat Informationen zu Fischers Tätigkeit. Laut einem Zeugen im Gendarmerie­Protokoll von 1947 hat Fischer sich gerühmt,

„einen Juden vom Gerüst herunter geschossen zu haben“. Eine Zeugin sagte aus:

„Ich glaube, es war im Jahre 1942 oder 1943 beim Maisauslösen, als sich die Gattin des Johann Fischer namens Rosa Fischer in meiner Gegenwart geäußert hat, dass ihr Mann des Öfteren an Judenverfolgungen im Generalgouvernement teilgenommen hatte.“36 In Hollenburg soll er sich gerühmt haben, „16 Polen auf einem Fleck in seiner Funktion als Gestapo­Beamter erschossen zu ha­

33 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 7.

34 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 5 Zeugenvernehmung KG Krems, 8. 6. 1947 u. 23. 6. 1947.

35 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 7.

36 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 7.

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ben“37. ZeugInnen aus Polen wurden, vermutlich angesichts der in vielerlei Hinsicht schwierigen Nachkriegssituation, nicht beigebracht, ZeugInnen in der Heimat konnten bestenfalls Hörensagen wiedergeben. Die ZeugInnen hatten zudem alle Beziehungen zu Rosa Fischer. Drei von ihnen scheinen als Bürgen der Gattin im Formular „zur Übersendung der Vordrucke zum Verlobungs­ und Heiratsgesuch“ an das Rasse­ und Siedlungshauptamt der SS in Berlin vom 8. Juni 1939 auf.38 Der Vierte ist ihr Bruder.39

Das Volksgericht Wien verurteilte Fischer am 10. Dezember 1947 aufgrund seiner Betätigung für die verbotene NSDAP vor 1938 – er war zudem Träger zahlreicher NSDAP­Auszeichnungen – wegen Hochverrats nach § 11 des Ver­

botsgesetzes. Er erhielt ein Jahr schweren Kerkers verschärft durch ein hartes Lager vierteljährig. Nach Anrechnung der Untersuchungshaft wurde er vier Mo nate später entlassen.40

Die im Volksgerichtsverfahren von Johann Fischer gemachten Angaben über seine Tätigkeit in Radom reichen von Ausbildner über Wachdienst und Kanzleikraft bis zu „Laufbursche“. Wiederholt beteuerte er seine Unschuld:

„Ich erwähne nochmals, dass ich weder bei Erschießungen in Krems bzw. in Stein a.d.D. (Strafanstalt) oder bei den Totenkopfstandarten, oder sonstigen Gräueltaten mitgewirkt habe, oder überhaupt jemals herangezogen worden wäre.“

Mit zunehmendem zeitlichen Abstand entfernten sich die Be haup tungen mehr und mehr von der Wahrheit. 1949 besorgte sich Johann Fischer von sei­

nem ehemaligen Vorgesetzten bei der Gestapo in Radom, Richard Schöggl, ein Entlastungsschreiben, das ihm bescheinigte, „durch und durch österrei­

chisch eingestellt“ gewesen zu sein. Er hätte sich „gegenüber den deutschen Vorgesetzten sehr reserviert“ verhalten, „ob seiner mannhaften Haltung allge­

meine Achtung“ erworben und die Methoden des Naziregimes „insbesonde­

re in der Judenfrage und in der Behandlung anderer Nationen“ abgelehnt.41 Im Gnadengesuch an den Bundespräsidenten vom Jänner 1949 stilisierte sich Fischer schließlich zum Opfer: „Ich habe meine Zugehörigkeit zur NSDAP schon oft bereut. Die Nachteile, die mir durch diese Zugehörigkeit entstanden sind, kann nur der verstehen, der sie selbst zu tragen hatte.“42

37 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 7.

38 DBA, RS Johann Fischer, 13. 5. 1908, Schreiben an den Reichsführer­SS 9. 6. 1939.

39 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 7.

40 LG Wien, Vg 11 Vr 2779/47 p.104 u. ON22 u. ON31.

41 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 27, S. 121, eidesstattliche Erklärung.

42 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 27, S. 125.

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Verblüffend ist, dass auch politische Gegner Johann Fischer ein gutes Zeugnis ausstellten. Für sein Ansuchen um Nachsicht des Vermögensverfalls brauchte er Bestätigungen, seine Zugehörigkeit zur NSDAP nie missbraucht zu haben. Auch der wieder für die ÖVP im Amt befindliche Bürgermeister Franz Lederleitner, den Johann Fischer in der Zeit des Ständestaates einmal niedergeschlagen haben soll, fertigte einen der damals schon berüchtigten

„Persilscheine“ aus, dass Johann Fischer „sich politisch Andersgesinnten ge­

genüber nie gehässig gezeigt“ hätte.43

Nach der Haftentlassung fand Fischer zunächst bei der Firma Grundmann in Herzogenburg Beschäftigung, später übernahm er die elterliche Landwirt­

schaft in Wagram. Er trat der SPÖ bei und wurde 1955 zum Bürger meister von Wagram gewählt.

Der Gemeinde verkaufte er ein Grundstück um einen symbolischen Schil­

ling zum Zwecke der Errichtung eines Kindergartens. Alle Gemeindeakten sei­

ner Amtsperiode als Bürgermeister sind verschwunden und können daher nicht herangezogen werden.44

Das Bürgermeisteramt hatte Johann Fischer eine Amtsperiode inne; bei der darauf folgenden Wahl wurde ein neuer Bürgermeister gewählt, der Letzte der selbstständigen Gemeinde Wagram vor der Eingemeindung in Traismauer.

Anfang Juli 1996 wurden bei einer Sitzung des Gemeinderats von Trais­

mauer mehrere neue Straßennamen ohne Debatte einstimmig beschlossen. Un­

ter diesen befand sich auch die „Johann­Fischer­Gasse“.45

Die BefürworterInnen dieser Namengebung ziehen sich darauf zurück, dass Fischer wegen seiner Tätigkeit in Radom nie gerichtlich verurteilt worden war. Tatsächlich ist Fischer nachweislich ein gerichtlich verurteilter National­

sozialist gewesen. Vor allem aber geht es hier nicht einfach um die strafrecht li che Beweislage, sondern um die Frage: Wer ist des öffentlichen Gedenkens würdig?

Es ist kaum glaublich, dass im Jahr 2015 eine Straße nach einem fanatischen Nationalsozialisten der ersten Stunde, einem SS­Mann und Gestapo­Beamten während des Holocaust und der Besatzung in Polen benannt ist. Aufgrund ihrer Massenverbrechen wurden Gestapo, SS und SD nach 1945 als verbrecherische Organisationen eingestuft, eine alleinige Zugehörigkeit ist bereits Beleg für die Mitverantwortung an Gräueltaten. Aktiv hat Johann Fischer schon in der jun­

43 WStLA, LG Wien Vg 11 Vr 2779/4 Hv 1614/47 Ur 488/47, ON 27, S.123, Erklärung.

44 Im Gemeindearchiv Traismauer liegen Akten zu Wagram erst ab 1960 auf.

45 Stadtamt Traismauer, Protokoll zur Sitzung des Gemeinderates Traismauer vom 3. 7. 1996.

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gen Republik Österreich (erfolgreich) mitgeholfen, Demokratie, Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs zu stürzen. Das ist keiner Ehrung wert.

Straßentafel – Johann-Fischer-Gasse Foto: Rudolf Riha

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