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Mein Vater Gustav Fischer

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(1)

Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät

1902 - 2002

100 Jahre agrartechnische Lehre und Forschung in den

Berliner Agrarwissenschaften

1

Mein Vater Gustav Fischer

Waltraut Fischer

Berlin 1999

(2)

Herausgeber:

Humboldt-Universität zu Berlin

Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät Fachgebiet Technik in der Pflanzenproduktion Fachgebietsleiter Prof. Dr. Jürgen Hahn, VDI Philippstraße 13

D-10115 Berlin Tel. 030 / 2093 6400

E-Mail: j.hahn@agrar.hu-berlin.de Redaktion:

Prof. Dr. agr. habil. Manfred Müller, VDI 

Typografische Gestaltung:

Gerda Chemnitz Christine Braune

 1999 Humboldt-Universität zu Berlin Als Manuskript vervielfältigt

Nachdruck, auch auszugsweise Wiedergabe und Übersetzung nur mit Zustimmung des Herausgebers

Online-Fassung der Schrift (2014)

mit geringfügigen Korrekturen und Aktualisierungen

Redaktion:

Prof. Dr. rer. agr. habil. Annette Prochnow, Bornim/Berlin Prof. i.R. Dr. Jürgen Hahn, VDI

Layout:

Christine Braune

(3)

1902 - 2002

100 Jahre agrartechnische Lehre und Forschung in den Berliner Agrarwissenschaften

Schrift-

Nr. Titel Erscheinungs-

jahr

1 Mein Vater Gustav Fischer 1999

2 Gustav Fischer und das Institut für landwirtschaftliche Maschinenkunde 2002

3 Carl Heinrich Dencker und das Landmaschinen-Institut 1932 - 1945 2005

4 Heinrich Heyde und das Landmaschinen-Institut 1947 - 1968 2002

5 Die landtechnische Lehre und Forschung an der Technischen Hochschule

Berlin 1919 - 1999 2001

(4)
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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Mein Elternhaus, die Ausbildung und der Beruf 1

Gustav Fischer 

Die Eltern 1

Kindheitserinnerungen 3

Schule und Studium 4

Auf dem Weg zur Landtechnik 6

Als Hochschullehrer 7

Meine Frau 8

Erinnerungen an meinen Vater Waltraut Fischer

Verständnisvolle Autorität 9

Technik in der Familie 11

Die Bekennende Kirche 12

Deutsche Akademische Gemeinschaft 14

Freundschaft und Geselligkeit 16

Der Hochschullehrer 20

Als Emeritus 22

In der Buggestraße 25

Nachruf für Geheimrat Gustav Fischer

Helmut Meyer  28

Zum 100. Geburtstag von Prof. Dr. Gustav Fischer

Heinrich Heyde  33

Würdigungen 34

Daten zur Lebensgeschichte von Gustav Fischer

Waltraut Fischer und Manfred Müller 36

Der Nachlass von Gustav Fischer

Waltraut Fischer 40

(6)

Vorwort

100 Jahre Agrartechnik in der Berliner agrarwissenschaftlichen Lehre und Forschung, das ist zunächst einmal ein wissenschaftliches Thema. Mein Vater Gustav Fischer hat ab 1902 als Dozent, später als or- dentlicher Professor bis 1932 und nach dem Krieg bis 1948 wesentlich zu ihrer Entwicklung beigetragen.

Darüber wird von kompetenter Seite berichtet; denn wer über 100 Jahre Agrartechnik - in der Wirkungs- zeit meines Vaters Landmaschinenkunde und Landtechnik - nachdenkt und etwas lesen will, interessiert sich vor allem für die Wissenschaftler und ihre Ergebnisse. Die Persönlichkeiten werden meistens nur sehr kurz beschrieben. Daher habe ich das Angebot, mit einem Beitrag über unsere Familie an dem Vor- haben mitzuwirken, dankbar angenommen.

Gustav Fischer in seinem Elternhaus, in seiner Familie - das soll im Mittelpunkt des Beitrages stehen.

Was konnte seine Familie zu seinem anerkennenswerten Lebenswerk beitragen? Die Beantwortung dieser Frage gibt mir eine schöne Gelegenheit, unsere Familiengeschichte noch einmal in Erinnerung zu rufen, gedanklich zu ordnen und auch für mich selbst aufzuarbeiten.

Ich hatte eine von meinem Vater geprägte, unbeschwerte Kindheit, erinnere mich gern daran und an viele erzählenswerte Begebenheiten. Bei der Fertigstellung seiner Landmaschinenkunde ordnete ich 1928 die Stichwortzettel. An vielen Feierlichkeiten der Hochschule und des Instituts konnte ich teilnehmen. Es ist ein beglückendes Gefühl, über meinen Vater und unsere Familie schreiben zu können.

Zwei Schriftstücke sind uns besonders wertvoll:

Die Rede von Prof. Helmut Meyer auf der Gedenkveranstaltung in Würzburg 1963 hat uns tief bewegt.

Helmut Meyer war langjähriger Mitarbeiter meines Vaters. Familie Meyer wohnte viele Jahre in unserer Nachbarschaft und es bestanden freundschaftliche Bindungen.

Prof. Heinrich Heyde, zuerst sein Schüler, dann sein Nachfolger, erinnerte in einem Brief an meine Mut- ter anlässlich des 100. Geburtstages meines Vaters an ihn in Dankbarkeit und Verehrung.

Wer sich der Persönlichkeit Gustav Fischer zuwendet, der möchte auch etwas über sein Elternhaus, seine Kindheit, die Schule und die Menschen erfahren, die ihm in seiner Jugend wichtig waren und ihn form- ten. In seinen Familienerinnerungen hat er darüber berichtet. Damit soll die Schrift beginnen. Möge sie ein willkommener Beitrag zum Agrartechnik-Jubiläum im Jahre 2002 werden.

Berlin-Steglitz, im September 1999 Waltraut Fischer

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Gustav Fischer

Mein Elternhaus, die Ausbildung und der Beruf

1

Gustav Fischer

Kurzfassung: Im Mittelpunkt dieses Ausschnittes aus den Familienerinnerungen von Gustav Fischer ste- hen seine Lebensjahre von 1870 bis zu seiner Eheschließung 1905. Sie geben auch einen Einblick in seine Entscheidungen zum Studium und zur Berufswahl bis zur Berufung als Dozent für landwirtschaftliches Maschinenwesen an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin 1902.

Die Eltern

Mein Vater Otto Fischer wurde 1828 geboren und lebte etwa bis zu seinem 30. Lebensjahr in seiner Hei- matstadt Pyritz. Nach einer kaufmännischen Lehre wurde er mit einem Ladengeschäft selbstständig, das gut gedieh. Aber auf die Dauer fand er in der Kleinstadt nicht genug Gelegenheit für seinen Unterneh- mungsgeist. Er zog aber nicht, wie viele Pyritzer, in die Provinzhauptstadt Stettin, sondern wagte den Sprung nach Berlin. Das war in der ersten Hälfte der 1860er Jahre, als sich Berlin gewaltig ausdehnte und die Einwohnerzahl durch Zuwanderung noch stärker anwuchs.

Er betrieb hier kein Ladengeschäft, sondern übernahm Vertretungen für auswärtige Firmen. Da er ein tüchtiger Kaufmann und geschickt und wendig war, kam er wirtschaftlich vorwärts. Später legte er einen Teil des erworbenen Vermögens in Grundstücken an und baute z.B. mehrere Häuser in der Schillstraße zwischen dem Lützowplatz und der Kurfürstenstraße, wo jetzt das Hotel Berlin steht sowie zwei große Häuser in der Corneliusstraße.

In eines der Häuser in der Schillstraße zog er auch im Frühjahr 1876 zur Verwunderung seiner Freunde und Bekannten, die im Südosten wohnen blieben. Die Gegend hinter dem Lützowplatz lag damals noch ganz weit draußen. Man erreichte sie nur mit einem Omnibus, der vom Oranienplatz über die Kochstraße zum Lützowplatz fuhr. Vater erkannte frühzeitig die günstigen Aussichten, die dem Haus- und Grundbe- sitzer durch die Neigung der bessergestellten Berliner zum Zug nach dem Westen erwuchsen. Man mag gegen den Handel mit Grundstücken soziale Einwendungen haben und die inzwischen getroffenen Maß- nahmen durchaus billigen, aber man darf nicht verkennen, dass die Gewinne daraus nicht mühelos zu erzielen waren, sondern gewöhnlich ein kluges Abwägen der Entwicklungsbedingungen und das Ab- schätzen vieler wirtschaftlicher Einflüsse voraussetzten. Solche Grundstückskäufe in Außenbezirken be- deuteten immer ein Wagnis.

Die Regsamkeit, die mein Vater als Geschäftsmann besaß, führte ihn auch zu politischer Betätigung. Er hatte schon in der Köpenicker Straße kleinere städtische Ehrenämter bekleidet. In der neuen Heimat wur- de er im Potsdamertor-Bezirksverein, der Fortschrittspartei, d.h. der Liberalen, bald Vorstandsmitglied und nach einigen Jahren von da aus Stadtverordneter von Berlin. Auch bei den Wahlen zum Landtag und zum Reichstag arbeitete er eifrig für seine Partei.

Mit Bismarcks Politik war er, wie fast alle in freien Berufen tätigen Bürger, bei aller Anerkennung der Reichsgründung und Aufhebung der Kleinstaaterei nicht einverstanden.

1Waltraut Fischer stellte diesen Beitrag 1999 aus Familienerinnerungen zusammen, die Gustav Fischer in denJahren 1941 bis 1961 geschrieben hat.

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Gustav Fischer

Daraus ergab sich dann manchmal auch eine Kritik am Kaiser und seinem Haus und so bin ich keines- wegs zur Kaisertreue erzogen worden. Seltsamerweise vertrug sich mit dieser Einstellung eine stolze Freude über jede Gelegenheit, in die Nähe der Hofgesellschaft zu kommen, die sich für den Stadtverord- neten und seine Frau bot.

So freisinnig wie in der Politik urteilte mein Vater auch in kirchlichen Fragen. Während sein Vater in dem noch erhaltenen Brief an seine Braut schrieb, dass er fast jeden Sonntag in der Kirche zu finden sei, habe ich meinen Vater nur bei Einsegnungen und Trauungen in der Kirche gesehen. Meine Mutter war auch keine regelmäßige Kirchgängerin, hielt aber doch an der Religion fest, ist besonders nach Vaters Tod wieder häufiger zum Gottesdienst gegangen und hat Predigten gelesen.

Ob sie versucht hat, ihren Mann in kirchlicher Hinsicht zu beeinflussen, kann ich nicht sagen, zu meiner Zeit jedenfalls nicht mehr. Meine Mutter besaß sonst einen ziemlich großen Einfluss auf meinen Vater, der doch anderen gegenüber seine Meinung kräftig vertrat. Es gab auch zwischen den beiden Eheleuten manchmal Meinungsverschiedenheiten und mein Vater konnte dann in seiner Art sogar heftig werden.

Aber in allen wichtigeren Dingen tat er nichts ohne Mutters Zustimmung. Sogar in geschäftlichen Fragen musste sie ihre Meinung sagen und sie hat ihn mehrfach von Grundstückskäufen abgehalten, die sie zu gewagt fand. Nach Vaters Tod kam es Mutter zustatten, dass er sie genau über seine Geschäfte unterrich- tet hatte.

Er lebte zwar seit vielen Jahren als Rentner, hinterließ aber noch zwei Häuser, Schillstraße 17, wo er starb, und Corneliusstraße 10. Er hatte auch nach der Aufgabe seines Geschäftes immer noch einmal Ar- beiten übernommen. So erinnere ich mich, dass er in einem Sommer im Anfang der achtziger Jahre meh- rere Reisen im Auftrage einer Versicherungsgesellschaft unternahm, um Hagelschäden in der Landwirt- schaft abzuschätzen. Seine Herkunft aus dem Pyritzer Weizacker wurde von dem mit Vater gut bekannten Direktor der Gesellschaft wohl als genügender Beweis für seine Sachkenntnis angesehen. Wie er bei sei- ner schweren Kurzsichtigkeit auf dem freien Feld den Umfang eines Schadens übersehen konnte, ist schwer zu verstehen. Lesen konnte er nur, wenn er das Blatt dicht vor die Augen hielt und die Geldstücke unterschied er nach dem Gefühl. Er war aber nicht dazu zu bewegen, eine Brille zu tragen.

Er war überhaupt nicht gewohnt, sich krank zu fühlen. Seinem Körper konnte er viel zumuten, war abge- härtet, groß und stark. Sein Körpergewicht hielt sich immer gleichmäßig auf 205 Pfund, ohne dass er dick wirkte, weil er etwa 1,80 m groß war. Wenn ihm aber doch einmal etwas zustieß, war er ungeduldig und ließ kein Mittel unversucht. Als er einmal eine Handverletzung hatte, musste ich ein paarmal von den Schularbeiten weg in die Apotheke laufen. Er trug deshalb auch immer schwer an seiner Krankheit, die sich anfangs in Magenbeschwerden äußerte und nach einer Kur in Kissingen gebessert schien, endlich aber als Speiseröhrenkrebs erkannt wurde und nach langer Qual zum Tode führte. Er starb am 14. April 1886.

Meine Mutter Rudolfine, geb. Kern, stammt aus dem Dorf Brieskow im Oderbruch, wo sie 1831 geboren wurde. Ihr Vater hatte an den Befreiungskriegen teilgenommen und wurde nach seinem Abschied vom Militär durch Vermittlung eines seiner Vorgesetzten Steuereinnehmer an der Brieskower Schleuse des Friedrich-Wilhelm-Kanals, durch den der Große Kurfürst eine Verbindung zwischen Oder und Spree ge- schaffen hatte. Als Beamter, der die Schleusengebühren berechnete, erhob und verwaltete, war mein Großvater bei den Bauern und Kossäten sehr angesehen. Er war für sie der Herr Rendant.

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Gustav Fischer

Der Wasserweg war damals bedeutender als jetzt, da man als Verkehrsmittel sonst nur Fuhrwerke hatte, meistens die Postlinien.

Das Jahr 1886 hatte das Leben unserer Familie vollständig verändert. Es brachte den Tod unseres Vaters und die Hochzeiten meiner beiden Brüder.

Mit Vaters Tod verschwand das Behagen aus dem Leben meiner Mutter. Sie hatte zwar keine wirtschaft- lichen Sorgen, denn das Vermögen reichte mit seinen Zinsen für alles Nötige und etwas darüber, aber es war einsamer um sie geworden. Ich war zu jung, um ihr viel sein zu können und hatte als Junge auch zu wenig Verständnis für ihre Lage. Vielleicht war es Mutter auch nicht gegeben, sich mit einem Schicksal, das so viele Frauen trifft, mit einiger Entsagung abzufinden. Sie fühlte sich jetzt körperlich nicht wohl, ohne aber ein bestimmtes Leiden zu haben.

Trotz ihrer trüben Lebensauffassung hat mir meine Mutter meine Jugendjahre möglichst leicht gemacht.

Ich hatte im Herbst 1889 die Reifeprüfung bestanden, dann ein Jahr lang die vorgeschriebene Werk- stattausbildung erhalten und begann mit dem Studium der Maschinentechnik. Da entschloss sie sich, wohl besonders auf Veranlassung meines Bruders Paul, mich für zwei Semester nach München zu schicken.

Ich sollte nach den vier Jahren seit Vaters Tod, die ich allein mit Mutter verlebt hatte, Gelegenheit haben, mich freier zu bewegen und mit anderen Menschen in fremder Umgebung zusammen zu sein. Die Tren- nung und das Alleinsein sind ihr gewiss sehr schwer geworden. Während meiner folgenden Studienjahre in Berlin stellten sich nach und nach die ersten Anzeichen einer Arterienverkalkung ein. Im Winter 1897/98 wurden die Gedächtnisstörungen immer stärker und im folgenden Frühjahr musste sie in eine Krankenanstalt in Westend gebracht werden, wo sie, ohne ihren Zustand klar zu erkennen, noch einige Monate bis zu ihrem Tode am 25. Juli 1898 zubrachte.

Kindheitserinnerungen

In der Köpenicker Straße 138 wurde ich am 28. November 1870 geboren. Meine ersten Erinnerungen sind mit der Wohnung in der Köpenicker Straße und mit einer Reise nach Lohme auf Rügen verknüpft. Auf dem Holzplatz neben unserem Wohnhaus fand ich Spielgefährten, bei Tante Fritzchen, zu der ich nur über den hinteren Flur zu huschen brauchte, war ich täglich. Als drei- oder vierjährigen Jungen nahmen mich meine Eltern mit nach Lohme, aber mein Wunsch zu baden war bald gestillt, weil mir das Wasser zu kalt war. Als Sechsjähriger schloss ich in der Schillstraße Freundschaft mit Walter und Aline Bier- mann, deren Eltern mit uns zusammen in Vaters Haus zogen. Wir konnten noch jahrelang ungefährdet auf dem Damm der Schillstraße spielen oder über den Zaun in das gegenüberliegende Gelände klettern, wo ein Milchhändler zwei Kühe und ein paar Ziegen weiden ließ. Einmal sahen wir die kaiserliche Equipage durch die Schillstraße kommen, sprangen vom Zaun und grüßten stramm, was der alte Herr mit einem freundlichen, nur für uns bestimmten Dank quittierte.

Bald kamen Schulfreundschaften dazu und unser Gebiet wurde auf den Lützowplatz, den damals Holz- und Steinplätze füllten und über die Kurfürstenstraße hinaus auf das Feld ausgedehnt, das heute die Net- telbeckstraße und ihre Nachbarn trägt. In meinem zehnten Jahr war ich am liebsten auf dem Bau des Hau- ses in der Corneliusstraße, denn da gab es nicht nur prachtvolle Spielgelegenheiten, sondern auch Hand- werker, denen ich mit meinem technischen Sinn gern zusah.

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Gustav Fischer

In diesem Jahr habe ich aber auch zum ersten Mal den Tod eines lieben Menschen erfahren. Mein Bruder Max, der zehn Jahre älter als ich war und mir ebensoviel Liebe entgegenbrachte wie ich ihm, fiel seiner Lungenkrankheit zum Opfer, die ihn seit ein paar Jahren gequält hatte. Die Eltern hatten versucht, die Krankheit durch Kuren in Badenweiler und durch möglichst dauernden Aufenthalt im Freien im Beruf als Gärtner zu bekämpfen, aber damals war der Kampf noch aussichtslos. Da gerade die großen Ferien wa- ren, hatte man mir durch eine Reise nach Pyritz das Erleben der letzten Tage vor seinem Ende erspart, aber ich verwand den Verlust erst, als wir nach einigen Wochen in das neue Haus zogen. Hier kam die Zeit der Kriegsspiele und wir haben wahrscheinlich die sonst so stillen Straßen zwischen dem Kanal und dem Tiergarten oft genug durch unser Toben empfindlich gestört. Nach vier Jahren zogen wir zu Vaters großem Kummer zunächst wieder in ein Mietshaus eines fremden Besitzers, Schillstraße 12, weil in Va- ters Haus keine Wohnung frei war. Die Wohnung in der Corneliusstraße mit ihren 9 Zimmern war zu groß für uns, seitdem Paul sein Studium beendet hatte und zuerst nach Witten und dann nach Köln ge- kommen war. Als Vater nach etwa einem Jahr wieder ins eigene Haus ziehen konnte, war er schon ein schwer kranker Mann, dem nur noch einige Monate gegeben waren.

Meine Brüder Paul und Bruno, die 16 und 13 Jahre älter waren als ich, behaupteten, ich sei weniger streng erzogen worden als sie. Verzogen bin ich aber nicht. Wo es nötig war, hat mir mein Vater keine Strafe geschenkt. Aber es ist wohl richtig, dass mir meine Eltern mancherlei früher erlaubten als den Brü- dern. Ich wurde auf die Reisen der Eltern mitgenommen, die in meiner Kindheit auch häufiger waren als in der Zeit, als mehrere Kinder im Hause waren. Als einziges kleineres Kind durfte ich auch an den Fami- liengesellschaften immer teilnehmen und bis zu dem oft recht späten Schluss dabeibleiben, obwohl mir bei meiner nicht gerade kräftigen Körperbeschaffenheit die Nachtruhe dienlicher gewesen wäre. Natürlich halfen die großen Brüder meiner Erziehung nach, aber wenn ich dadurch auch einen ziemlichen Respekt vor ihnen bekam, sah ich in ihnen doch auch die guten Kameraden und meine Vorbilder. Bruno, der nach Absolvierung des Realgymnasiums noch, um Medizin zu studieren, Griechisch und andere Humaniora nachgearbeitet und auf dem humanistischen Gymnasium in Freienwalde a.O. die Reifeprüfung abgelegt hatte, nahm sich meiner Schularbeiten an, als ich in den Flegeljahren nicht viel Lust für die Schule auf- brachte. Zu Paul zog mich bald die gemeinsame Liebe für die Technik und die Naturwissenschaften Chemie und Physik. Paul verdanke ich in diesen Dingen manche Förderung und Bruno hat auf meine Allgemeinbildung eingewirkt, da er für Literatur mehr Interesse hatte als Paul.

Schule und Studium

Chemische und physikalische Versuche lösten in meiner Freizeit die Jungenspiele ab, oft genug auch auf Kosten der Schularbeiten. Ich fand damals die alten Sprachen, mit denen mich das Gymnasium plagte, für meinen künftigen Beruf recht unnötig. Erst viel später habe ich das Verständnis für die Schönheit dessen, was die Sprachen vermitteln, gefunden. Immerhin hatte ich bei den schriftlichen Arbeiten das Glück, kei- ne zu verderben und ein paar so zu schreiben, dass wohlwollende Lehrer sie gut fanden. So konnte ich im September 1889 ohne mündliche Prüfung unseren alten Bau des Wilhelmsgymnasiums auf dem großen Hinterland des Grundstücks Bellevuestraße 15 verlassen, voller Freude über die neue Freiheit.

Ehe ich die für mein Studium vorgeschriebene Arbeit in einer Maschinenwerkstatt begann, die körperlich ungewohnte Anstrengungen verlangte, sollte ich mich einige Monate erholen, da ich nicht sehr kräftig war. Ich fing deshalb erst am 10. November meine Ausbildung an der Anhalter Bahn in der Hauptwerk- statt Tempelhof, der damaligen Eisenbahndirektion Erfurt an.

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Gustav Fischer

Die Wintermonate machten mir wenig Freude, denn ich war der einzige Maschinenbau-Eleve und hätte mich doch in dem täglich zehnstündigen Dienst gern einmal mit meinesgleichen ausgesprochen. Am 1. April traten einige Kollegen ein und in den akademischen Ferien im August und September 1890 ge- sellten sich noch einige hinzu, so dass ein fröhlicher Kreis entstand, in dem neben den technischen Ge- sprächen auch der Humor sein Recht fand.

Im November 1890 begann ich in München das Studium der Maschinentechnik. Die Zeit dort wurde nicht nur deshalb so schön für mich, weil sie die ersten Studiensemester umfasste, sondern vor allem durch den Verkehr in einem Kreis von Freunden verschiedener Fakultäten. Es waren fast alle Wilhelmsgymnasias- ten, wenn auch z.T. erheblich ältere. München war damals für junge Studenten voller Reiz. Wir genossen die für uns so billigen Theatervorstellungen und die Kunstsammlungen, und wanderten an freien Tagen in die Umgegend, pflegten uns aber auch an dem guten Bier.

Neben dem Gewinn an Freundschaften, die uns durch unser ganzes Le- ben begleiteten, vor allem die Schulfreunde Hans Raphael und Oskar Hörich, verdanken wir den Münchner Semestern eine größere Selbstän- digkeit und Sicherheit im Verkehr mit anderen. Vielleicht wäre es für uns noch besser gewesen, wenn wir uns mehr unter Münchnern, wo- möglich in Münchner Familien bewegt hätten, weil wir dann gelernt hätten, dass man vieles anders machen kann als es in Berlin üblich ist.

Unser Kreis war aber so groß, dass wir weitere Bekanntschaften nicht suchten.

Ich verließ München sehr ungern und habe ihm immer meine Liebe bewahrt, aber auch die folgenden Studienjahre in Berlin waren noch schön. Zunächst benutzte ich die Ferien im Sommer 1891, um den letz- ten Monat meiner Werkstattpraxis abzutun, diesmal in der elektrischen Abteilung der Maschinenfabrik von Schwartzkopff im Norden Berlins.

Im Oktober begann ich das Studium an der Technischen Hochschule

Charlottenburg. Ich legte die Vorprüfung pünktlich nach dem vierten Studiensemester und die Bauführer- prüfung mit nicht zu großer Verspätung am Ende des neunten statt an seinem Anfang ab.

Vor Ostern 1895 wurde ich Regierungsbauführer, tat von Mitte Mai bis August Lokomotivdienst und arbeitete dann in den vorgeschriebenen Dienststellen der Eisenbahn. Da wir drei Vierteljahre in einem Werk der Industrie arbeiten und dafür bezahlt werden durften, nahm ich das Anerbieten eines älteren Hüt- tenbruders an, zu ihm in das Büro Genuader Abteilung für Bahnen und Bauten der Allgemeinen Elektri- zitätsgesellschaft zu kommen, in dem die Bahnen für Genua und Umgebung bearbeitet wurden. Im Au- gust 1897 hatte ich meine Ausbildungszeit beendet.

Bild 1: Gustav Fischer als Student in München 1891

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Gustav Fischer

Auf dem Weg zur Landtechnik

Nun hätte ich im normalen Gang meinen Dienst bei einer Eisenbahndirektion anfangen und in die Beam- tenlaufbahn einrücken können. Paul machte mich aber auf ein Stipendium aufmerksam, dass die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft für einen Maschineningenieur ausgeschrieben hatte, der Neigung hatte, in das damals noch sehr vernachlässigte Fach der Landmaschinen überzugehen. Ich bewarb mich mit Erfolg darum und wurde für ein Jahr vom 1. Dezember 1898 bis 1899 auf das Gut Münchenhof bei Quedlinburg geschickt, dessen Besitzer Dr. Julius Albert ein sehr tüchtiger Landwirt und guter Maschinenkenner war.

Eine bessere Lehrstelle hätte ich nicht finden können. Hier ging mir eine ganz neue Welt auf, denn als Großstadtkind ohne Verwandte auf dem Lande wusste ich vom Landleben wenig.

Dr. Albert und sein Inspektor Otto Zier gaben mir unermüdlich über alles Auskunft, was auf den Feldern wuchs oder umherlief und ich fühlte mich auf dem Lande so wohl, dass ich im Sommer wochenlang nicht in die nur 5 km entfernte Stadt fuhr.

Im zweiten Jahr wollte ich mich mit den Landmaschinen in Fabrik und Werkstatt beschäftigen und gleichzeitig eine Doktorarbeit anfangen. In Halle, das ich auf den Rat Dr. Alberts zuerst aufsuchte, fand ich für beides nicht die gewünschte Gelegenheit. Deshalb verhandelte ich in Berlin mit dem Direktor der damaligen Maschinenfabrik H. F. Eckert, der mich gern aufnahm und als das gesichert war, mit Professor Sering, dem Volkswirtschaftler, wegen einer Dissertation. Den akademischen Grad Dr.-Ing. gab es da- mals noch nicht; ich war also auf eine Universität angewiesen. Ende März 1900 kam ich nach Berlin zu- rück, mietete mir eine kleine Wohnung in Charlottenburg und lernte an beiden Arbeitsstellen die Land- maschinen von neuen Gesichtspunkten aus zu betrachten. Nach dem Ablauf des zweiten Stipendienjahres schrieb ich den größten Teil meiner Doktorarbeit.

Inzwischen hatte sich das Preußische Landwirtschaftsministerium auf Antrag der Deutschen Landwirt- schaftsgesellschaft (DLG) entschlossen, einen Sachverständigen zum Studium des Landmaschinenwesens in die Vereinigten Staaten zu schicken. Für diesen Posten wurde der frühere Geschäftsführer der Geräte- stelle der DLG Herr Brutschke ausgewählt, aber Ministerium und DLG ermöglichten mir durch einen Zuschuss zu den Reisekosten ebenfalls den Besuch der USA. Dies war die zweite Auslandsreise, die ich meinem Beruf verdankte, denn im Sommer 1900 hatte mich die Firma Eckert zur Weltausstellung nach Paris geschickt, wo sie mit eigenen Geräten und Maschinen vertreten war. Die Studienreise durch Nord- amerika führte zum größten Teil durch die östlichen Staaten bis Chicago, weil hier für deutsche Verhält- nisse am meisten zu lernen war. Ich fuhr dann aber auch an die Pazifische Küste, um in Kalifornien die Kultur und Verwertung des Obstes kennen zu lernen. Natürlich benutzte ich die Gelegenheit, auch die größten landschaftlichen Schönheiten des Landes zu besuchen, fuhr also durch den Yellowstonepark und das Yosemitetal. Von Kalifornien aus fuhr ich möglichst schnell nach New York zurück und unterbrach die Fahrt nur in Dakota, um die Maschinen bei der Weizenernte zu studieren.

Im August 1901 kam ich nach knapp 5 Monaten Abwesenheit wieder in Berlin an. Die Ausarbeitung des Reiseberichtes und der Abschluss der Dissertation, die mich den Winter hindurch beschäftigten, wurden bald eine lästige Pflicht, weil sie mich am Schreibtisch festhielten und zunächst kein Ergebnis sehen lie- ßen. Außerdem schien sich im Landmaschinenwesen auch keine Stellung für mich zu bieten, so dass ich entschlossen war, in den Eisenbahndienst, aus dem ich bis dahin nur beurlaubt war, zurückzutreten.

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Gustav Fischer

Da kam ganz unerwartet die Nachricht, dass an der Landwirtschaftlichen Hochschule eine Professur für Landmaschinenkunde geschaffen werden sollte, und dass die DLG mich dafür vorgeschlagen habe. Amt- lich hatte die DLG natürlich mit der Sache nichts zu tun, aber der Ministerialdirektor Thiel, dem die Hochschule unterstand, war im Vorstand der Gesellschaft tätig und so erfolgte die Vermittlung.

Als Hochschullehrer

Zum 1. April 1902 wurde mir die neue Stelle unter dem Titel eines kommissarischen Dozenten übertra- gen und ein Jahr später erhielt ich die Professur. Wissenschaftliche Verdienste, die das gerechtfertigt hät- ten, hatte ich noch nicht aufzuweisen. Vielmehr bekam ich mein Amt gewissermaßen auf Kredit, weil es nur wenige Ingenieure gab, die überhaupt in dem Sonderfach Landmaschinen Bescheid wussten, und weil ich unter den wenigen Ingenieuren mit landwirtschaftlichen Fachkenntnissen die beste akademische Aus- bildung hatte. Der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft verdanke ich nicht nur durch das Stipendium meine landwirtschaftliche Ausbildung, sondern mittelbar auch meine Lebensstellung. Ich habe mich des- halb mit ihr immer eng verbunden gefühlt und es war schmerzlich für mich, dass sie nach 1933 der neuen Zeit weichen musste. Solange sie bestand, habe ich an vielen ihrer Arbeiten auf technischem Gebiet, be- sonders an den meisten Prüfungen von Maschinen, teilgenommen. Dadurch bin ich immer mit der grünen Praxis in Berührung geblieben. Mit großer Freude habe ich 1947 die Neugründung der DLG begrüßt.

Von meiner Berufung an die Landwirtschaftliche Hochschule an verlief mein Leben in ruhigen Bahnen.

Im Frühjahr 1902 bestand ich die Doktorprüfung an der Philosophischen Fakultät Berlin mit einer na- tionalökonomischen Arbeit über Die sociale Bedeutung der Maschine in der Landwirtschaft. Über ein eigenes Hochschulinstitut verfügte ich damals noch nicht, weil der Staat die Mittel dazu noch nicht her- gab, hatte auch weder einen Assistenten noch einen Laboratoriumsgehilfen und baute erst nach und nach meine Vorlesungen auf. Anfänglich gab es auch noch einige Schwierigkeiten mit meinem älteren Kolle- gen, Geheimrat Schotte2, einem Zivilingenieur. Er vertrat vor mir und auch noch einige Zeit neben mir die Landmaschinenkunde und betrachtete die Landmaschinen überwiegend vom theoretischen Stand- punkt. Mit der Zeit kam ich aber mit ihm zu einem Verkehr voll gegenseitiger Rücksicht. Frei arbeiten konnte ich jedoch erst, als er 1906 seine Hochschultätigkeit beendete. Ostern 1903 wurde ich etatmäßiger Professor. Ich hatte keine Veranlassung, mich um eine Berufung an eine andere Hochschule zu bemühen.

Mit 60 Jahren spürte ich die ersten Herzbeschwerden, die sich trotz ärztlicher Behandlung so verschlim- merten, dass ich mich im Herbst 1932 emeritieren lassen musste. Wie die Ärzte vorausgesagt hatten, bes- serte sich meine Krankheit durch die Ruhe. Es war dennoch ein Wagnis, dass ich im Sommer 1945 mei- nen alten Lehrstuhl, der verwaist war, wieder übernahm. Mein Nachfolger, Prof. Dr.-Ing. C. H. Dencker, hatte ihn verlassen müssen, weil die russische Besatzung nach ihm fahndete. 1947 waren die Zustände an den Hochschulen wieder leidlich in Ordnung und es gelang, einen jüngeren Fachkollegen, Prof. Dr.-Ing.

H. Heyde, zu berufen.

2Prof. Friedrich Schotte, Geh. Rechn.-Rat, Zivilingenieur (1831-1912), lehrte von 1881 bis 1906 Landmaschinenkunde an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin.

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Gustav Fischer

Meine Frau

In den Sommerferien 1902 hatte ich eine Reise an den Rhein und an die Mosel unternommen, die teils der Erholung in der schönen Landschaft, teils der Besichtigung technischer Werke gewidmet war. In allen größeren Werken und Industrieorten hatte ich einen Hüttenbruder, der mir den Zutritt zu einer Fabrik er- möglichte, so dass ich viele neue Kenntnisse heimbrachte. Im nächsten Jahr folgte eine Reise durch Nor- wegen. Aber am denkwürdigsten ist die Reise des folgenden Jahres 1904. Ich wollte wieder einmal Mün- chen besuchen und von dort aus weiter nach Tirol fahren und es fand sich, dass auch mein Bruder Paul und seine Frau Lena einen ähnlichen Reiseplan hatten. Mit denen hatten sich auch Katharina und Elisa- beth Schönemann verabredet, mit denen Lena verwandt war. Sie waren sehr überrascht, als ich ebenfalls zu der Vorbesprechung über den Reiseplan erschien. Wir verstanden uns aber nachher sehr gut, waren heiter und manchmal übermütig. Der Abschied in Bozen wurde uns nicht leicht. Aber es wurde kein Ab- schied auf lange Zeit. Nach meiner Rückkehr aus Tirol erschien ich zum ersten Mal am 27. August 1904 bei Schönemanns mit einem Blumenstrauß und einen Monat später holte ich mir das Jawort meiner lieben Frau. Damit waren die Wanderjahre zu Ende und in meiner Familie habe ich das schönste Glück meines Lebens gefunden.

Bild 2: Dr. Gustav Fischer und Käthe Schönemann 1904

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Waltraut Fischer

Erinnerungen an meinen Vater

Waltraut Fischer, Berlin3

Kurzfassung: Er war der Mittelpunkt der Familie, bestimmte mit liebevoller Geradlinigkeit unser Leben, das durch sein großes Wissen, sein vielseitiges Können, vor allem auf technischem Gebiet immer wieder bereichert wurde. Das von ihm gegründete Institut für landwirtschaftliche Maschinenkunde wurde durch zwei Außenstellen in Dahlem und Bornim erweitert. Auch nach seiner krankheitsbedingten vorzeitigen Emeritierung 1932 behielt er stets Kontakt zur Landtechnik. 1945 musste er sein verwaistes Institut noch einmal für zwei Jahre übernehmen. So fortschrittlich er in technischen Dingen dachte, so konservativ war seine politische Einstellung, auch in kirchlichen Fragen. Frühzeitig wurde er Mitglied der Bekennenden Kirche.

Verständnisvolle Autorität

In der Familie war mein Vater selbstverständliche Autorität. Er bestimmte in allem unser Leben, aber in einer Art, die das Wort autoritär für uns zeitlebens ein Fremdwort bleiben ließ. Er wirkte durch sein Vor- bild. In gewisser Weise war alles bei ihm und um ihn selbstverständlich, so auch das Verhältnis unserer

Mutter zu ihm. Es war derart problemlos, dass ich erst jetzt anfing, über- haupt darüber nachzudenken, als mir beim Schreiben dieser Erinnerungen klar wurde, wie wichtig dabei auch die Frau an seiner Seite war. Sie hatte durchaus ihre eigene Meinung, die sich aber wohl meist mit seiner deckte.

War dies einmal nicht der Fall, so bestand für sie nie ein Zweifel daran, dass seine die richtige war, aber ohne eine Spur von Resignation und Duckmäuserei.

Mit Wünschen und Bitten gingen wir Kinder zunächst zu ihr. Es gab drei Möglichkeiten: 1. Erlaubnis, 2. frag' Vater. oder 3. nein. Dann konnte man überlegen, ob es zweckmäßig sei, sich noch an ihn zu wenden. Hast du Mutti schon gefragt? - Ja. - Was hat sie gesagt? - Nein. - Na also. Dabei war er aber durchaus nicht übermäßig streng mit Verboten. Des Öfteren war es für meine Mitschülerinnen ein hilfreiches Argument bei ihren Eltern: Waltrauts Vater hat es auch erlaubt. Als meine Schwestern, 1905 und 1907 geboren, erwachsen wurden, war das Rauchen für Frauen gesellschaftsfähig geworden.

Vater erhob keine Einwände dagegen mit dem Ergebnis, dass sie es nie angefangen haben, weil sie es ja durften, wie sie sagten. Der Reiz des Heimlichen und Verbotenen fehlte also. Vater hatte früher Zigarren geraucht, musste aber - zu einer Zeit, an die ich mich nicht mehr erinnern kann - wegen einer langwieri- gen Erkältung eine Weile damit aussetzen und nutzte die Gelegenheit, gleich ganz aufzuhören.

3Waltraut Fischer (1917) ist die jüngste der drei Töchter von Prof. Gustav Fischer. Nach dem Besuch der realgymnasialen Studienanstalt der staatlichen Gertraudenschule in Berlin-Dahlem erlernte sie den Beruf der medizinisch-technischen Assisten- tin. Sie war in Gesundheitsämtern, anderen medizinischen Einrichtungen und als Sachbearbeiterin in wissenschaftlichen Insti- tuten tätig.

Altensteinstraße 57

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Waltraut Fischer

Ich glaube, es ist nicht übertrieben, wenn man bei ihm von einem Universalwissen spricht. Natur und Technik sowieso, aber auch auf den Gebieten der Kultur und der Geisteswissenschaften besaß er profun- de Kenntnisse. Das Schöne war, dass dieses Wissen nie einschüchterte, sondern man ihn immer fragen konnte. Er freute sich dann sowohl an der Interessiertheit des Fragenden als auch an seiner Möglichkeit, eine Wissenslücke zu füllen. Fragt mal Euren Vater, der weiß doch alles, bekamen wir oft zu hören. Gut gelaunt meinte er, dass alle Zitate entweder aus der Bibel, dem Faust oder von Wilhelm Busch stammten.

Den schätzte er sehr. Dessen Humor kam in etwa dem seinen gleich: geistvoll, manchmal etwas hinter- gründig.

Vor allem bereitete es ihm großes Vergnügen, wenn er uns dadurch zu einer unerwarteten Freude verhel- fen konnte, mitunter auch durch scheinbar doppeldeutige Angaben. So wollte er uns bei einer Ge- birgswanderung auf einer unserer Sommerreisen in Tirol zu dem letzten Wegstück ermuntern: Um 16 Uhr sind wir oben. Es war kurz nach 15 Uhr, und da bei der Exaktheit meines Vaters eine Fehlschätzung aus- geschlossen werden konnte, richteten wir unsere Kräfte auf noch ca. 1 Stunde ein. Wie erstaunt waren wir, als wir schon bald nach 15.30 Uhr unser Ziel erreicht hatten.

Aber Du hast doch gesagt, um 16 Uhr ...? - Na, wo sind wir denn um 16 Uhr? Etwa nicht hier oben? kam mit verschmitztem Lächeln die Antwort. Er freute sich über die gelungene Überraschung. Ähnliches durf- ten wir öfter von ihm erleben.

Aber er wusste nicht nur alles, sondern er konnte auch fast alles: großartig zeichnen, natürlich alle techni- schen Dinge, wunderschöne Gelegenheitsgedichte haben wir von ihm und Ziege melken konnte er auch!

Meine Eltern hatten nach dem ersten Weltkrieg eine Ziege angeschafft, um uns Kinder mit Milch zu ver- sorgen. Als es im Frühjahr 1919 ein größeres Familienfest gab, wurde das Hausmädchen, das natürlich vom Lande stammte und melken konnte, zur Bewirtung der Gäste gebraucht. Aber darauf konnte die Zie- ge keine Rücksicht nehmen. Also machte sich mein Vater im Frack ans Werk.

Gründlich und exakt, logisch und korrekt, das gehörte zu seinem Wesen wie zu seinem Technikerberuf.

Es bedingte sich wohl gegenseitig. Auch beim Sprechen verlangte er Logik: Lange Jahre waren ihm ein Graus, weil damit ja nicht Schaltjahre zum Unterschied zu normalen Jahren gemeint waren. Jahre sind immer gleich lang.

Bild 3: Die Autorin Waltraut Fischer 1997 (Aufn. Schreiber)

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Waltraut Fischer

Ebenso beanstandete er Schlaf schön! Man kann nur gut oder schlecht schlafen, aber nicht schön oder hässlich! Die heute so beliebte überwiegende Mehrheit war damals zum Glück noch recht un- terentwickelt. Seine Genauigkeit trieb manchmal auch seltsame Blüten. Meine Eltern pflegten abends immer pünktlich nach den 22-Uhr-Nachrichten ins Bett zu gehen. Bei der Umstellung auf Sommer- oder Winterzeit verteilten sie die eine Stunde auf je 1/2 Stunde abends und morgens. So gründlich und wohl- durchdacht war er auch bei der Bearbeitung unseres Gartens. Es gab viel Nutzgarten; nach dem ersten Weltkrieg wurde Gemüse angebaut, nachher Obst, natürlich auch Blumen, aber kein Zierrasen. Mein ers- tes Geld habe ich mir damit verdient, dass ich auf unserer Straße in einem ausgebeulten Kochtopf Pferde- äpfel aufgesammelt habe, mit denen der Garten gedüngt wurde. Für einen vollen Topf bekam ich einen Sechser. Eine schwere Enttäuschung musste er im Garten auch erleben: Unser Nussbaum musste wegen Überalterung ersetzt werden. Also nahm er Gartenbuch, Zollstock, vorgeschriebene Erdmischung u.ä. und versenkte eine besonders schöne Nuss genau nach Anweisung. Aber nichts tat sich. Plötzlich spross an einer ganz anderen Stelle ein munteres Nusspflänzchen aus der Erde - vermutlich einem vergesslichen Eichhörnchen zu verdanken. Das hat ihn in seinem Wissenschaftlerherzen tief getroffen, mehr als wir erwartet hatten. Im Allgemeinen war er sehr beherrscht, aber nicht nur nach außen. Es war einfach Selbstdisziplin. Die bewahrte er auch Menschen gegenüber, die er nicht besonders schätzte. Etwaigen Unmut äußerte er nur in der Familie.

Gründlich und genau wurden auch unsere Reisen vorbereitet. Es war etwas schwierig mit den abweichen- den Terminen der Schul- und Hochschulferien. Ich bekam immer wieder einmal Nachferien, sodass sich Familienreisen ermöglichen ließen. Sie führten stets in die Berge: nach Thüringen, in den Schwarzwald, nach Tirol, jedes Mal in ländliche Gegenden. Ich habe dabei viel gelernt, z.B. auch die Getreidearten.

Sehr stolz war ich, dass ich als Großstadtkind den Weizen von der Gerste unterscheiden konnte: Gerste mit den langen Grannen. Natürlich kannte ich Heuwender, Bindemäher, Mähdrescher und andere Ma- schinen.

Als Kaufmannssohn war ihm Sparsamkeit selbstverständlich. So wurde selten etwas weggeworfen, zumal er als Techniker ohnehin für vieles immer irgendwie eine Verwendung fand. Bindfäden wurden immer aufgeknüppert, keiner von uns hat je einen aufgeschnitten. Nicht nur das Sparsame, auch das Anspruchs- lose lag in seiner Natur. In einem Brief an meine Mutter schrieb er: Du weißt, dass ich Plebejer eine Schmalzstulle einem Festessen vorziehe.

Technik in der Familie

Es verstand sich von selbst, dass in unserem Haushalt mehr Technik Einzug hielt, als in dieser Zeit üb- lich. Teils waren es erprobte Hilfsmittel wie z.B. ein Küchenmotor, teils Maschinen und Geräte, deren Eignung erst noch festgestellt werden sollte. Meine Mutter war eine gute Testerin, gründlich, sachlich, kritisch, mit nüchternem Verstand. Sie war immer interessiert, auch wenn sie in dem Prüfobjekt keinerlei Erleichterung erkennen konnte, wie z.B. bei einer Kartoffelschälmaschine. Stets war sie für Neues aufge- schlossen und bereit, wenn sie es gut und praktisch fand. Mein Vater holte nicht nur Technik ins Haus, sondern er zeigte uns auch, mit Handwerkzeug umzugehen. Noch heute höre ich, sobald ich eine Säge oder ein Messer in die Hand nehme: Ziehen, nicht drücken!

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Waltraut Fischer

Eine kleine Episode muss ich noch erwähnen, die mir immer als besonders bemerkenswert und bezeich- nend für meinen Vater erschienen ist: Um das Jahr 1930 herum brachte die Firma AGFA einen Fotoappa- rat auf den Markt, eine Box, die man für vier Markstücke, jeweils mit einem der Prägebuchstaben A, G, F, A erwerben konnte. Natürlich wollte ich eine haben und natürlich war er strikt gegen diese Schmal- spurtechnik. Einer seiner Assistenten, Hans von der Decken, der einige Zeit in Amerika gelebt hatte und von dorther wusste, dass nicht alles Billige auch schlecht sein muss, versprach in Gegenwart meines Va- ters, mir einen solchen Apparat zu schenken. Da besaß mein Vater den Mut zur Inkonsequenz und erhob keinen Einspruch. Er verkannte später auch nicht, dass der Apparat recht passable Fotos lieferte.

Den ersten Rundfunkapparat gab es bei uns schon 1925. Als mein Vater in seinen letzten Jahren öfter einmal einen Ruhetag im Bett verbrachte, wurde für das Schlafzimmer ein zweiter Lautsprecher ange- schafft. Dann wurden, wie es im Familienjargon hieß, ihm die Nachrichten durchgedreht

.

An politischen Fragen blieb er bis zuletzt interessiert. Politisch aktiv oder in einer Partei war er nie. Zwar dachte er in technischen Dingen stets fortschrittlich, in politischer Hinsicht war er konservativ.

Die Bekennende Kirche

Er war getauft, konfirmiert und kirchlich getraut. Sein Denken und Handeln war stets von christlicher Verantwortung geprägt, aber ein nach außen religiöser Mensch war er nicht. An Feiertagen waren Kir- chenbesuche selbstverständlich, im sonstigen Jahresverlauf aber nicht üblich. Dass er dann doch anfing Anteil am kirchlichen Leben zu nehmen, hatte familiäre, aber auch überwiegend politische Gründe: Ich war Ostern 1933 in Dahlem von Pastor Niemöller konfirmiert worden (Bild 4).

Dadurch war unsere Familie ohnehin stärker an die Kirchengemeinde gebunden. In diese Zeit fiel nun der Beginn der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen. Eine schnell größer werdende Gruppierung evan- gelischer Pfarrer hatte sich den Nationalsozialisten angeschlossen und versuchte, als Deutsche Christen den Nationalsozialismus und den evangelischen Glauben auf einen Nenner zu bringen.

Bild 4: St. Annenkirche in Dahlem

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Waltraut Fischer

Dazu gehörte u.a. auch die Suspendierung der nichtarischen Pfarrer Berlins. Dies führte zur Bildung des Pfarrernotbundes

,

deren Mitinitiator und führender Kopf Martin Niemöller war.

Dahlem entwickelte sich zu einem der Zentren des Kirchenkampfes. Als im September 1933 die Natio- nalsynode den Pfarrer Ludwig Müller zum Reichsbischof wählte, wuchs in den konservativen kirchlichen Kreisen der Widerstand ganz erheblich. Es entstand die Bekennende Kirche, die Pfarrer und Laien im Kampf für das Festhalten in den evangelischen Bekenntnisschriften vereinte. Sie fand vor allem in Dah- lem breiteste Zustimmung. Nicht nur, dass die Bevölkerung von der Zusammensetzung her gar nicht an- ders als konservativ sein konnte, die Haupttriebkraft war Pfarrer Niemöller, der die kirchliche Meinung der Gemeinde prägte. Bei seinen 14-tägig stattfindenden Offenen Abenden war der große Gemeindesaal jedes Mal überfüllt. Das Interesse an der kirchenpolitischen Entwicklung war ebenso groß wie das Be-

dürfnis nach dem Festhalten an alten Werten. So war es auch für unsere Familie eine Selbstverständlichkeit, in die Bekennende Kirche einzutreten. Mein Vater erhielt die Mit- gliedsnummer 14 (Bild 5).

Als weitblickender und illusionsfreier Mensch erkannte er frühzeitig die Gefahren des Nationalsozialismus. Es war sein Ausdruck einer Protesthaltung.

In einem Brief4 vom 22.12.1955 an seinen früheren Mitar- beiter Oberingenieur Theodor Stroppel, mit dem er bis zu seinem Tode freundschaftlich verbunden war und im Brief- wechsel stand, schrieb er:

... Ich sehe, dass Sie unter Kollegen und anderen Menschen, mit denen Sie verkehren, nicht viel Verständnis finden, wenn Sie sich zur Religion und zum Christentum bekennen. Dass der technische Fortschritt daran ernstlich schuld sein soll, glaube ich aber nicht so recht. Denn einerseits drängen sich auch heute noch viele Menschen zur Kirche und die Gottes- dienste sind stärker besucht als vor 40, 50 Jahren und an- dererseits hat es auch vor dem technischen Zeitalter immer einmal Perioden gegeben, in denen der Mensch von seinen eigenen Kräften Hilfe in allen Lebenslagen erwartete. Das war nicht bloß in der Zeit der Aufklärung so, sondern auch schon in der vorchristlichen Zeit in den antiken Religionen.

Was viele moderne Menschen von der Kirche fernhält, ist wohl der Dogmatismus, den manche Pfarrer als das Wesentliche ansehen und mit dem sie sich die christliche Lehre so bequem machen. Ich glaube, dass es viele Christen gibt, die in der Predigt das vermissen, was sie ansprechen könnte. Vielleicht hat B. Graham darum solchen Zulauf gehabt. Dass außerdem einige Pfarrer in der Art ihres Verkehrs mit den Amtsbrüdern derselben Gemeinde durch ihre Schroffheit oder Selbstsucht ihren Lehren widerspre- chen, kommt leider oft vor und untergräbt natürlich das Ansehen der Kirche.

4Briefwechsel meines Vaters mit Obering. Theodor Stroppel von 1947 bis 1963. Herrn Prof. Dr.-Ing. Alfred Stroppel, Dettin- gen/Teck, sei für die Bereitstellung einiger Kopien dieser Briefe herzlich gedankt.

Bild 5: Der von Pfarrer Martin Niemöller unterschriebene Mitgliedsausweis

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Oberingenieur Theodor Stroppel, der sich als ausgezeichneter Landtechniker und Schriftleiter der Zeit- schrift Grundlagen der Landtechnik einen Namen erworben hat, schrieb 1970 aus Anlass des 100. Ge- burtstages meines Vaters an meine Mutter2

Mit großem Dank denke ich an Ihren hochverehrten Gatten, der mir - vor allem nach dem Kriege - durch seine lieben Briefe und seine große Glaubenskraft zum überragenden Vorbild für Beruf und das nahende Alter geworden ist.

Seine Gesinnung zeigte sich stets unauffällig und an konkreten Beispielen, z.B. war er von 1930 bis 1943 Testamentsvollstrecker für einen jüdischen Freund und unterstützte seine Familie.

Deutsche Akademische Gemeinschaft

In den zwanziger Jahren gab es ein reges geselliges Leben in der Studentenschaft an der Landwirtschaftli- chen Hochschule Berlin. Die Vielfalt zeigte sich zunächst in der Anzahl der Studentenverbindungen, z.B.

die Landsmannschaften wie Saxonen, Cimbria oder die Agraren. Mit ihren unterschiedlichen Festklei- dungen (Wichs), Mützen und Bändern boten die Korpsstudenten bei allen festlichen Veranstaltungen ein buntes Bild. Weitaus bedeutender war der Verein der Deutschen Studentenschaften (VDSt) an der Tier- ärztlichen und Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin.

Die Deutsche Akademische Gemeinschaft unterschied sich von den übrigen studentischen Verbindungen.

Nach dem ersten Weltkrieg hatten sich viele junge Männer zum Studium der Landwirtschaft ent- schlossen. Da sie älter als die meisten Studenten und durch Kriegserlebnisse gereift waren, mochten sie sich nicht den üblichen studentischen Verbindungen anschließen. Sie fanden sich 1919 zu einer eigenen Gemeinschaft zusammen. Der Geist der DAG war der ehemaliger Frontsoldaten, die fußend auf dem Al- ten, sich hineingestellt hatten in die Mitarbeit an den Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben.

Zum zehnjährigen Stiftungsfest 1929 formulierten die Professoren J. Hansen und G. Fischer rückblickend und vorausschauend noch einmal Wesen und Ziele der Gemeinschaft5:

Gemeinsame Kriegserlebnisse führten die Gründer der Deutschen Akademischen Gemeinschaft an der Landwirtschaftlichen Hochschule zusammen. Sie wollten trotz Zusammenbruch und Revolution ihre alten Ideale weiter pflegen und gemeinsam neue Ziele verfolgen. Ernstes wissenschaftliches Streben hat neben der Pflege der Geselligkeit die Mitglieder beseelt. Die Gründer stehen heute im Leben als Alte Herren, aber ihr Geist findet sich noch in der heutigen Aktivitas. Möge es so bleiben! Dienst am deutschen Vater- lande durch ehrliche Arbeit und Pflege edlen Gemeinsinns mögen auch ferner der Deutschen Akademi- schen Gemeinschaft Ziel und Richtung geben (J. Hansen).

Deutsche Akademische Gemeinschaft, ein Name, der glücklich gewählt ist, weil jedes der drei Worte denen, die sich zu dieser Gemeinschaft bekennen, hohe Pflichten auferlegt.

Deutsch sein heißt: den Sinn der Dinge suchen, nach der Wesen Tiefe trachten. Gebt also nichts vom al- ten, im Kern als gut erkannten Besitz an Kulturwerten auf, weil Euch heute auf allen Gassen Neues in blendender Hülle geboten wird. Prüft aber das Neue auf seinen Gehalt und nehmt es an, wenn es Gutes

5Festschrift der Deutschen Akademischen Gemeinschaft an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin, 1919-1929, zehnjäh- riges Stiftungsfest am 27. Januar 1929.

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enthält. Forscht auch im eignen Innern nach dem Sinn und der Aufgabe Eures Lebens und stellt, wenn sie Euch klar wird, Eure Gaben in den Dienst des Gemeinwohls.

Akademiker sein heißt: aus der Enge des Berufs in Höhen und Tiefen streben. Dies ist der Unterschied zwischen Studium und Lehre, dass der Lehrling überlieferte Erfahrung aufnimmt, der Student sich aber den Zugang zur Wissenschaft erarbeiten soll. Er strebt zu ihren Wurzeln hinunter und indem er den Lauf ihrer Säfte aufsucht, findet er auch den Weg zur Höhe, von der er zu anderen Berufen hinüber schauen und die Ordnung des Ganzen erkennen kann.

Gemeinschaft verlangt Hingabe. Sie begnügt sich nicht mit einem äußerlichen Zusammenschluss, soll vielmehr ihre Glieder innerlich verbinden. Jeder opfert ein Teil seiner selbst, um dem anderen zu helfen, daraus erwächst die Stärke der Gemeinschaft. Dass dies aus freiem Willen geschieht, gibt der Gemein- schaft ihren Wert. Tragt Ihr diese Gesinnung von der Hochschule ins Leben hinaus, so kann Großes dar- aus wachsen. Gemeinsinn, Verzicht auf die Selbstsucht, Opfermut zugunsten des Gemeinwohls: das braucht Deutschland, wenn es wieder aufstehen soll. Folgt dem Vorbild der Gründer der Deutschen Aka- demischen Gemeinschaft, dann seid Ihr auf dem rechten Wege! (G. Fischer).

Das waren auch die Grundüberzeugungen meines Vaters. Er hat sie an keiner anderen Stelle seiner Veröf- fentlichungen so klar formuliert.

Mein Vater und Geheimrat Hansen waren Ehrenmitglieder. Meine Schwester Irmgard, die in der Chaus- seestraße in der Hochschulbuchhandlung Maass und Plank arbeitete sowie Lotte Eggert, die Tochter von Vaters Kollegen, wurden wegen ihrer rührenden Fürsorge für die Gemeinschaft zu außerordentlichen Mitgliedern ernannt. In vielem erwiesen sie sich als die guten Geister, ganz besonders wurde ihre Hilfe bei der Vorbereitung von Festen geschätzt, denn Feste feiern konnte die D.A.G. auch. Zu den jährlichen Weihnachtsfeiern gab es eine umfangreiche Festzeitung. Dazu kamen Sommerfeste, Wintertanzabende und Stiftungsfeste. Das zehnjährige Stiftungsfest beging man im Hotel Kaiserhof, vormittags mit einer Festsitzung, abends mit einem Festball.

Zu den gesellschaftlichen und festlichen Höhepunkten der Hochschule wurde in jedem Jahr der Rekto- ratskommers. Alle studentischen Vereinigungen beteiligten sich daran. Er galt als Dank der Studenten- schaft an den jeweils scheidenden Rektor und fand regelmäßig im Marmorsaal des Zoologischen Gartens statt. Begonnen wurde mit einem studentischen Kommers, dem sich ein Ball in sämtlichen über drei Eta- gen erstreckenden Räumen anschloss. Meine Eltern begnügten sich mit der Teilnahme an dem feierlichen Kommers, aber für meine Schwestern gehörte der jährliche Festball zu den schönsten und wichtigsten gesellschaftlichen Erlebnissen. Noch viele Jahre später erzählten sie begeistert von der so besonders fest- lichen Atmosphäre.

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Waltraut Fischer

Aber nicht nur in der damaligen Zeit pflegte die D.A.G. eine rege Geselligkeit. Ihre Gemeinschaft erwies sich als so stark, dass sie sich in den 60er Jahren wieder sammelte und zunächst jährlich traf. 1969 wurde das 50-jährige Jubiläum im Gründungsort Berlin feierlich begangen. Allmählich wurde der Kreis immer kleiner, bis er sich schließlich von selbst auflöste.

Freundschaft und Geselligkeit

Die in den Erinnerungen meines Vaters erwähnten Freunde Hans Raphael und Oskar Hörich blieben mit ihren Familien unsere Freunde fürs Leben. Hans Raphael heiratete die beste Freundin meiner Mutter.

Beide waren bei meiner Schwester Irmgard Pate, sie haben sich bei der Taufe kennen gelernt. Heute, nach über 100 Jahren, setzen wir Kinder diese Freundschaften unvermindert fort.

Große Festivitäten liebte mein Vater nicht so sehr. Es entsprach nicht seinem Wesen. Aber immer hatte er Freude an guter Geselligkeit und meine Eltern hatten ein gastliches Haus. In den zwanziger Jahren gab es bei uns in jedem Winter zwei Tanzfeste, zu denen Assistenten, Doktoranden und Studenten eingeladen wurden (Bild 6).

Bild 6: Ein Tanzfest bei Familie Fischer 1927 mit bekannten Landtechnikern

Untere Reihe, 3. v. l.: Willi Kloth, Mitarbeiter des Instituts für Landmaschinenkunde Berlin, ab 1932 als Priv.-Doz. und ab 1937 a.o. Prof. an der TH Berlin-Charlottenburg bis 1945, gründete das Institut für Landmaschinenbau an der TH Berlin.

Ab 1947 Direktor des Instituts für Landtechnische Grundlagenforschung der Forschungsanstalt für Landwirtschaft Braun- schweig-Völkenrode.

Untere Reihe, 5. v. l.: Dr. Ludwig Engelbrecht, RKTL.

Obere Reihe, 2. v. l. (Bildmitte): Dr. Pollitz, Mitarbeiter des Instituts für Landmaschinenkunde Berlin

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Die weibliche Ergänzung waren Freundinnen meiner Schwestern und Töchter von Vaters Kollegen. Ganz besonders denke ich da an Lotte Eggert, die altersmäßig genau zwischen meinen Schwestern war und mit ihnen zusammen an vielen Hochschulfesten teilnahm. Die Freundschaft mit ihr setzte sich - abgesehen von kriegsbedingter Unterbrechung - bis zum Tode meiner Schwestern und danach mit mir bis zu ihrem Tode fort.

Unser Gästebuch zeugt von vielen fröhlichen und unbeschwerten Abenden. Zum 60. Geburtstag meines Vaters bedankte sich die Deutsche Akademische Gemeinschaft an der landwirtschaftlichen Hochschule Berlin bei ihm dafür, ... dass Ihr gastfreies Haus nun schon einer ganzen Reihe von Generationen der Gemeinschaft offen steht ... und ... für die so überaus vielen frohen Stunden ...

So fröhlich wie bei den Zusammenkünften der Deutschen Akademischen Gemeinschaft ging es zwar nicht mit allen Gästen zu, aber man kam gern zu uns. Es war bestimmt die wohltuend gelöste Atmosphä- re, die auch bei den Jüngeren keine Scheu vor dem Chef oder vor dem Herrn Geheimrat aufkommen ließ.

Und viele dieser Gäste gehören zu meinen Erinnerungen an meinen Vater, wie z.B. zu seinem 86. Ge- burtstag (Bild 7).

Bild 7: Ausschnitte aus dem Gästebuch zum 86. Geburtstag am 28.11.1956 Prof. Dr.-Ing. C. H. Dencker, Bonn

Prof. Dr.-Ing. K. Marks, TH Berlin-Charlottenburg Obering. Theodor Stroppel, Braunschweig-Völkenrode Dr. P. Friedheim, Berlin

Dr. K. Ebertz, DLG

Dr. agr. habil. J. Krüger, Humb.-Univ., Berlin Prof. Dr.-Ing. H. Heyde, Humb.-Univ., Berlin Dr. Ludwig Engelbrecht, ehem. RKTL Prof. Dr. S. Rosegger, Potsdam-Bornim

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Zugegeben, Gästebücher sind nicht sehr beliebt. Wenn ich aber heute über unsere Gäste, insbesondere der Landtechnik schreiben will, leisten sie mir unschätzbare Dienste. Nachzulesen sind in den etwa 50 Jahren die Eintragungen zahlreicher Gratulanten mit vielen guten Wünschen zu Geburtstagen und Jubiläen, bei denen man spürt, dass sie von Herzen kommen und auch den Dank für das, was mein Vater ihnen war und gegeben hat. Ihr Dank galt stets auch der Hausfrau, die mit leiblichen Genüssen zum guten Gelingen der Abende beitrug.

Es ist ein buntes Bild der Landtechniker: Doktoranden, Assistenten, Hochschullehrer-Kollegen, Fabrikan- ten u.a., eine umfangreiche Liste. Viele bekannte Namen finden sich darunter. Sie in ein geordnetes Schema zu bringen ist unmöglich.

Es gab frohe Stunden, aber auch besinnliche, wie am 20. Oktober 1932, als die engeren Mitarbeiter mei- nes Vaters aus Anlass seiner vorzeitigen Emeritierung unsere Gäste waren. Dr. Hans Baier fasste die Ge- danken in Reime:

Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, ergreifen wir jetzt dieses Buch.

Wir schreiben wohl mit sehr viel Liebe und trotzdem fällt's uns schwer genug.

Die Bornimer Zeitung stimmte uns heiter, denn damals ging der Dienst noch weiter.

Da fanden wir mit frohem Lachen, die Reime auf die tollsten Sachen.

Doch heute fehlt der Verse Leim, auf Abschiedsabend gibt's keinen Reim.

Dies ungereimte Ding zeigt eben, dass alles hat ein End' im Leben.

Ja, heute ist es nicht so leicht, weil Herr Geheimrat uns entweicht.

Und solchen Chef, sagt selbst Herr Schmidt, bringt keine neue Ära mit.

Doch sei der Chef heut' nicht beweint. Wir hoffen, dass noch lang als Freund er möge uns stets zur Seite stehen und wir noch oft zusammengehen.

Deshalb mit ungebroch'nem Mut die Gläser hoch für's Institut.

Besonders freundschaftlich gestaltete sich das Verhältnis zu Helmut Meyer und seiner Familie. Sie wohn- ten auch in der Altensteinstraße, das ergab manche nachbarliche Gemeinsamkeit. In den Ferien haben sie bei uns eingehütet. Als sie eine Wohnung auf der anderen Straßenseite bezogen, haben meine Schwestern und ich ein ganzes Wochenende beim fröhlichen Umziehen geholfen. Der Kontakt zu ihnen riss nie ab, auch nach meines Vaters Tod nicht. Noch 1987 habe ich Meyers in Miesbach besucht.

Eine ähnliche familienbezogene Freundschaft erwuchs aus der Nachkriegs-Hochschultätigkeit meines Vaters mit seinem Doktoranden Joachim Krüger. Er wohnte nicht weit von uns in Lichterfelde und war nicht nur oft unser Gast, sondern auch hilfreich zur Stelle, wann immer es nötig war. Sei es beim Möbel- schleppen, wenn zwecks Renovierung die Zimmer aus- und wieder eingeräumt werden mussten, sei es beim Äpfelpflücken, nachdem er meinen Vater davon überzeugt hatte, dass er mit 80 nicht mehr in den Apfelbaum klettern müsste. Auch nach Vaters Tod bestand die enge freundschaftliche Beziehung unver- ändert weiter, ebenso als gern gesehener Gast wie als Mann für alle Fälle. Sie blieb es bis zu seinem Tod im November 1981.

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Waltraut Fischer

Bild 8: Sommerfest des Instituts für Landmaschinenkunde der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin in der Außenstelle Schlepperprüffeld Bornim 1931

Legende von Prof. Dr.-Ing. A. Stroppel 1998 zur Verfügung gestellt

1 Herr Stroppel, 8 Helmut Meyer jr. 15 Herr Brecht 22 Herr Krey 29 Herr Vogel 2 Frau Drange 9 Frau Baier 16 Herr Kliefoth 23 Frau Fischer 30 Herr Pollitz 3 Herr Ebertz 10 Herr Lischke 17 Geheimrat Fischer 24 Herr Schwenn 31 Herr Wendt 4 Herr Baier 11 Frau Meyer 18 Herr Borrmeister 25 Irmgard Fischer

5 Herr Drange 12 Frau Lischke 19 Herta Fischer 26 Herr Kloth 6 Herr Ücker 13 Herr Küntzel 20 Herr Pape 27 Waltraut Fischer 7 Herr Meyer 14 Frau Küntzel 21 Herr Schleu 28 Frau Kloth Legende zu Bild 8

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Waltraut Fischer

Der Hochschullehrer

Die in der Anlage zu diesem Beitrag chronologisch aufgeführten Daten und Ereignisse lassen einiges von dem inhaltsreichen Lehrer- und Forscherleben meines Vaters erkennen. Wegen seiner schwächlichen Konstitution wurde er nicht zum Kriegsdienst eingezogen. So konnte er 30 Jahre lang kontinuierlich an der Hochschule wirken. Gern nahm er dabei die auswärtigen Aufgaben wahr, z.B. die Maschinenprüfun- gen auf den märkischen Gütern. Diese waren meist nur schwer erreichbar, deshalb wurde 1928 ein Auto angeschafft. Auch meine Schwestern erwarben den Führerschein, nachdem sie bei Herrn Pollitz fahren gelernt hatten.

Gute Kontakte entwickelten sich im Laufe der Jahre zu einigen Landmaschinenfabriken und deren Besit- zern. So hat Familie Fahr, Gottmadingen, in den Jahren 1918 und 1919 meine Schwestern in den Ferien eingeladen, um sie etwas aufzufüttern. Claas, Harsewinkel, hatte für den Bindemäher einen Knoter entwi- ckelt, den mein Vater als Prüfender für gut befunden hatte. Er verhalf der Firma zu einem größeren Auf- schwung. Als lustiges Knotermännchen wurde er seitdem zum Markenzeichen. Obwohl mein Vater nur festgestellt hatte, dass in Harsewinkel etwas Gutes entwickelt worden war, bewiesen August Claas und seine Frau ihm eine dankbare Anhänglichkeit.

Durch die Einrichtung der Außenstellen in Dahlem und später in Bornim vergrößerte sich der Radius sei- nes Wirkens arbeitsmäßig und räumlich. Mit dem Auto war auch Bornim leicht erreichbar. In jedem Sommer gab es dort ein großes Institutsfest. Alle Mitarbeiter aus der Invalidenstraße, von der Techni- schen Hochschule und aus Dahlem fanden sich mit ihren Angehörigen auf dem Schlepperprüffeld ein (Bild 8). Die Festzeitung sowie viele Fotos geben Zeugnis von der ungezwungenen Fröhlichkeit und der guten Laune aller Beteiligten.

In der Festzeitung liest man noch heute von dem guten Miteinander der Generationen im Institut. Die meist älteren Handwerker und die wesentlich jüngeren Assistenten gehörten eben zusammen und ergaben eine recht gelungene Mischung. Überdies bestanden zwischen den einzelnen Dienststellen und ihren Mit- arbeitern stets ein gutes Einvernehmen und eine selbstverständliche Zusammenarbeit in einem freund- schaftlichen Klima. Aus mancher beruflichen Kollegialität ist eine lebenslange Verbundenheit geworden.

Auch zu meinem Vater behielten viele Institutsangehörige stets Verbindung, nicht nur nach seinem Aus- scheiden aus der Hochschule, sondern über den Krieg hinaus bis zu seinem Tode. Sie besuchten ihn, wann immer der Weg sie nach Berlin führte. Unser Gästebuch ist dafür ein eindrucksvoller Beleg.

Ebenso sind es die Briefe, die ihm seine ehemaligen Mitarbeiter schrieben und in denen immer wieder das zum Ausdruck kommt, was wohl viele von Vaters Assistenten und Schülern oft empfunden haben: Eine große Dankbarkeit für sein beispielhaftes Wirken und seine Menschlichkeit, die ihn zum überragenden Vorbild werden ließen. Gerade weil in der immer technischer und materieller werdenden Welt auf uns Ingenieuren eine besondere Verantwortung lastet auch Dankbarkeit dafür, diese Verantwortung aufge- zeigt und mitgetragen zu haben, wie es in einem dieser Briefe heißt und das Versprechen, sein Lebens- werk zu hüten, zu mehren und weiterzugeben.

Immer war es ihm wichtig, die Fühlung zum landtechnischen Geschehen zu behalten. Nie hatte er jedoch gedacht, dass ihm dies noch einmal für sein altes Institut nützlich sein könnte.

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Waltraut Fischer

Der Wunsch nach weiterhin enger Verbindung mit dem Institut, den 1932 Dr. Baier in seinem Ab- schiedsgedicht zum Ausdruck gebracht hatte, sollte bereits kurz nach dem Kriegsende auf unerwartete Weise erfüllt werden. Als 1945 die Universität ihren Betrieb wieder aufnahm und sich herausstellte, dass Prof. Dencker aus politischen Gründen nicht zurückkehren konnte, trat man an meinen Vater mit der Bitte heran, seinen Lehrstuhl noch einmal zu übernehmen. Er erklärte sich sofort dazu bereit, ohne Rücksicht auf die Schwierigkeiten, die ihn erwarten würden. Bereits am 1. Juni 1945 nahm er seine Tätigkeit an der Fakultät wieder auf und kümmerte sich um den Fortbestand seines Landmaschineninstitutes. Der Dekan der Landwirtschaftlichen Fakultät, Prof. Kappert und der Rektor der Universität Berlin, Prof. Stroux be- scheinigten ihm für seine Wiedereinstellung:

Prof. Fischer hat sich um die Entwicklung des Landmaschinenbaus und den Einsatz der Maschinen in der Landwirtschaft verdient gemacht ... Die politische Einstellung von Prof. Fischer war nicht nationalsozia- listisch.

Bereits am 20. Juni 1945 legte er sein Programm für Vorlesungen und Übungen vor. Der Weg zum Insti- tut war damals beschwerlich. In Berlin gab es nur wenige Verkehrsmittel. So fuhr er mit der S-Bahn bis zur Nähe des Potsdamer Platzes und wanderte von dort aus durch die zerstörte Stadt zur Invalidenstraße.

Manche materiellen und personellen Engpässe mussten überwunden werden. Es gelang ihm, sein altes Institut wieder in geordnete Bahnen zu lenken.

Der Präsident der Deutschen Verwaltung für Volksbildung in der sowjetisch besetzten Zone bestätigte ihn am 29.01.1946 als ordentlichen Professor mit Lehrstuhl für landwirtschaftliches Maschinenwesen in der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Berlin, zum zweiten Mal in seinem Leben für dieses Wis- sensgebiet in Berlin. 1946 begann offiziell der Universitätsbetrieb wieder. Im Wintersemester 1946/47 hielt er Vorlesungen der Landmaschinenkunde. Einer seiner ersten Assistenten war Dipl.-Landw. Joachim Krüger, der im März 1947 bei ihm und Prof. Opitz promovierte.

Durch den Krieg waren die Kontakte zu früheren Mitarbeitern unterbrochen worden. Als sich dann das Leben allmählich normalisierte, wurden sie mit einem oft regen Briefwechsel wieder aufgenommen. In einem Brief an Theodor Stroppel schreibt mein Vater 1947 über einige seiner Sorgen als Institutsdirek- tor2:

Sehr zu bedauern ist für unser Fach die völlige Zweiteilung Deutschlands, wie sie augenblicklich vorliegt.

Auf jeder Seite ein KTL, bald wohl auch auf jeder Seite eine DLG, keine freie Reisemöglichkeit, unglaub- liche Schwierigkeiten bei der Versendung einer Maschine in eine andere Zone und was nicht noch alles.

Wir haben uns seit dem Winter vergebens bemüht, eine Kohlpflanzmaschine aus Dithmarschen herzube- kommen, aber alle Wege sind verstopft. Selbst innerhalb Berlins sind die Schwierigkeiten manchmal un- überwindlich. Ein Beispiel: Das KTL wünscht einen leichten Drehpflug für Kuhanspannung. Die russi- sche Behörde hat großes Interesse daran und unterstützt die Arbeit. Die Deutschen Industriewerke bauen eine neue, sehr zweckmäßige Type. Sie wollen für die Entwicklungsarbeiten 300 kg Stahl haben, aber die Russen bewilligen ihn nicht, weil die Fabrik im englischen Sektor liegt und die Briten nicht, weil der Pflug in die Provinz, also in die russische Zone gehen wird. Und nun muss man doch darauf gefasst sein, dass sich die vier überhaupt nicht einigen, und dass die Trennung zum Dauerzustand werden wird. Ha- ben wir das wirklich verdient?

Am 1. April 1947 nahm sein Nachfolger, Prof. Dr.-Ing. Heinrich Heyde, seine Tätigkeit auf. Über ihn schreibt mein Vater im Mai 1947 einem Freund2:

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