• Keine Ergebnisse gefunden

P.REIN. I 56 ( = W.CHREST. 419):

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2021

Aktie "P.REIN. I 56 ( = W.CHREST. 419): "

Copied!
11
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

87

P.REIN. I 56 ( = W.CHREST. 419):

DIE ßI.AßOTAI UND DAS PROBLEM DER ADÄRATION

Die Adäration, d. h. die Ersetzung von Naturalleistungen durch Geldzahlungen, gehört bekanntlich zu den bevorzugt behandelten Themen innerhalb der spät- antiken Wirtschafts- und Sozialgeschichte, woran Santo Mazzarino massgebli- chen Anteil hat. Denn im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der Arbeit von G.Mickwitz1 ) entwirft Mazzarino 2) das Bild einer spätrömischen Gesell- schaft, die vor allem von sozialen Konflikten geprägt war, für welche wiederum die Adäration ausgesprochen bedeutsam gewesen sei. Staatliche Beamte hätten nämlich - so Mazzarino - grundsätzlich die Umwandlung von Naturalleistungen in Geld zu einem möglichst hohen Tarif angestrebt, um dann auf dem Wege des Zwangskaufes ("coemptio") zu sehr niedrigen Tarifen einen erheblichen Profit zu erzielen, indem sie den Differenzbetrag ("interpretium") ihrer Privat- schatulle hätten zukommen lassen. Leidtragende seien die einfachen Steuer- zahler gewesen, in deren Interesse daher eine Naturalbesteuerung gelegen hätte.

Mazzarino hat die Bedeutung des Adärationsproblems jedoch zweifelsohne überschätzt. So kann A.Cerati nachweisen, dass die zunehmende Durchsetzung der Adäration im 4. Jh.n.Chr. mit der allgemeinen Tendenz zu einem primär auf Geld beruhenden Steuer- und Versorgungssystem zu erklären ist und dass im übrigen mit der Adäration keinesfalls prinzipiell Nachteile für den Steuer- zahler verbunden waren. 3) Uberdies vermögen auch zwei von Mazzarino als "testi fondamentali" betrachtete Abschnitte in der Historia Augusta 4 ) und dem Ano- nymus De rebus bellicis5 ) seine Interpretation nicht zu stützen. 6 ) Letzteres liegt nicht zuletzt darin begründet, dass der italienische Gelehrte zwischen

1) G.Mickwitz, Geld und Wirtschaft im römischen Reich des 4. Jh.n.Chr., Helsinki 1932; dazu und zum folgenden s. bes. F.Kolb, Finanzprobleme und soziale Konflikte aus der Sicht zweier spätantiker Autoren (Scriptores Histo- riae Augustae und Anonymus De rebus bellicis), in: Studien zur antiken Sozial- geschichte. Festschrift Friedrich Vittinghoff, Köln 1980, 497ff.; ders., Die Adäration als Korruptionsproblem in der Spätantike, in: W.Schuller (Hg.), Korruption im Altertum, München/Wien 1982, 163ff.

2) S.Mazzarino, Aspetti sociali del quarto secolo, Rom 1951.

3) A.Cerati, Caractere annonaire et assiette de l'impot foncier au Bas- Empire, Paris 1975, bes. 153ff.; s. auch Kalb, Adäration (o.A. 1), 166; K.L.

Noethlichs, Spätantike Wirtschaftspolitik und Adaeratio, Historia 34,1985, 102ff., der freilich (108. 115) zu Unrecht vom "prinzipiellen Festhalten" an Naturalbesoldung und -besteuerung spricht; richtig dagegen auch C.Vogler, La remuneration annonaire dans le Code Theodosien, Ktema 4,1979, 293ff., bes. 310.

4) SHA Claud. 14, 2-15.

5) Anonymus De rebus bellicis (ed. E.A.Thompson, Oxford 1952), Kap. IV.

6) Zu den SHA s. Kalb, Finanzprobleme (o.A. 1), 499ff.; ders., Adäration (o.A. 1), 164ff.; zum Anonymus De rebus bellicis s. demnächst Verf., Unter- suchungen zu den Reformvorschlägen des Anonymus 'De rebus bellicis' (Diss.

Kiel 1986).

https://doi.org/10.20378/irbo-51981

(2)

den zwei Formen der Adäration nicht sorgfältig genug differenziert: der Steueradär.ation (Geldzahlung statt Naturalienabgabe seitens der Steuerzahler) und der Verteilungsadäration (Besoldung der Beamten und Militärs in Form von Geld statt in Naturalien).?)

Neben den beiden genannten Quellen hat Mazzarino 8) noch ein drittes 'grund- legendes Zeugnis' herangezogen, um seine Argumentation zu untermauern. Es handelt sich dabei um einen Papyrus aus dem 4. Jh.n.Chr. (P.Rein. I 56 W.Chrest. 419): 9)

'AXLAAEUC IlLvou•CwvL

6.öeA.~

X.O.(PELV.

Ka.awc

~ypa.~ac

µoL nept

•oü TIEµ<l)8Ev•oc ßpe- 5 ouCou öno •oü xa.8oA.L-

xoü TIEPL avvwvLxWV

Et5~v,

cnouoa.cov noLncaL

~µ~c

6voµa- c8iivm 5La.56•ac 10 oCvou n XPEWC tnt

•6nwv T\ µ6v [nJ c 'Av•Lv6ou, rva µ(vw- µev tv •otc toCoLc xat µn tnt EEvnc· ou &E- 15 A.oµEv y(jp dx.upov, µn-

nwc µTi ).. nµc.p{}lj xat avayxac&'.3µ€\1

•nv •Lµnv

oLaypa~aL,

wc xat tylVE•o tnt CLA- 20 ßavoü. Tov ÖE orvov

•ov tv •lj •Epµoü TIOAL T\ xat 'AV•LVÖOU 8EAO].J.EV T\ •o xpeac,

µ6va .a ouo 8€>..o-

25 ].J.EV. MT)OEV COL xat XPL8i;c. Dux n8e)..nca 5E avaßiivm , µf}nwc anav•ncw

ÖnnPET~

XO.L XO.oO.CX.EßW, a)..)..a TIOL- 30 DCÖV µou •o np6cwnov,

~~~~~~~~~~~~~-

7) Nach der Terminologie von Kolb, Adäration (o.A. 1), 163~ s. auch Noethlichs (o.A. 3), 105.

8) Mazzarino (o.A. 2), 136ff.

9) Textfassung nach W.Chrest. 419.

(3)

tlbersetzung:

P.Rein. I 56 ( W.Chrest. 419)

~c•'

dv

Aaß~c

•o tntc•aA-

µa wc xat ÜAAo•E.

(2.H.) 'Epp6ic5a.t CE EuxoµaL.

89

"Achilleus grüsst seinen Bruder Pinution. Da Du mir schriebst von dem 'breve',lO) welches von dem 'rationalis 111 ) bezüglich der 'species annona- riae' geschickt worden ist, so bemühe Dich, dafür zu sorgen, dass wir als Verteiler (5ia.66•ai) für Wein oder Fleisch in unserem Heimatbezirk 12 l oder nur in Antinoopolis ernannt13) werden, damit wir in unserer Gegend bleiben und nicht in fremde Gebiete (reisen müssen). Denn wir wollen nicht die Spreu

(übernehmen), damit nicht die Gefahr besteht, dass sie nicht genommen wird und wir gezwungen sind, den Geldbetrag zu entrichten, wie es im Falle von Silvanus14 l passierte. Wir wollen Wein in Hermopolis oder Antinoopolis oder Fleisch (übernehmen), nur dies beides wollen wir. Und auf keinen Fall über- nimm Gerste. Ich wollte nicht heraufkommen, damit ich nicht dem Ratsdiener begegne und zurückgehalten werde, sondern vertritt mich wie auch sonst, bis Du das Schreiben bekommst.

(2.H.) Lebe wohl."

Bevor ich näher auf die Interpretation dieses Zeugnisses durch Mazzarino und die sich anschliessende Forschungsdiskussion eingehen kann, müssen zu- nächst einige erklärende Bemerkungen zur Erhebung und Verteilung der "annona"

sowie zu den oLaö6•ai erfolgen, denn die kontroverse Deutung des Papyrus be- ruht, wie wir sehen werden, nicht zuletzt auf ungenauen Vorstellungen von dem Ablauf des Steuer- und Besoldungsverfahrens sowie den dabei beteiligten Funk- tionsträgern.

10) Das "breve" (oder "brevis") ist hier die Anordnung zur Erhebung und Verteilung der "annona", vgl. O.Seeck, Art. 'Brevis', RE III, 1899, 832.

11) Es handelt sich dabei wohl nicht um den "rationalis rerum privatarum", wie M.Gelzer (Studien zur byzantinischen Verwaltung Ägyptens, ND v. 1909, Aalen 1974, Addendum zu p.41) und U.Wilcken (bei Gelzer, ebd.) meinen, sondern eher um den "rationalis summarum", s. J.Lallemand, L'administration civile de l'Egypte de l'avenement de Diocletien a la creation du diocese

(284-382), Brüssel 1965, 85 mit A. 2.

12) Hermopolis, s. Gelzer (o.A. 11), 50.

13) Zu 6voµaCEiv/6voµacta als 'terminus technicus' der Verwaltungssprache s. A.K.Bowman, The Town Councils of Roman Egypt (Amer.Stud.Pap. XI), Toronto 1971, 103; N.Lewis, The Compulsory Public Services of Roman Egypt (Pap.Flor.

XI), Florenz 1982, 62.

14) Mazzarino (o.A. 2), 138, und Cerati (o.A. 3), 162 A. 32, begreifen tnt CiA.ßavoü als Zeitangabe ("zu Zeiten des Silvanus") und sehen darin einen An- haltspunkt für die Datierung des Papyrus, da sie mit H.Hübner (Der Praefectus Aegypti von Diokletian bis zum Ende der römischen Herrschaft, München 1952, 109) in dem genannten Silvanus einen ihrer Meinung nach vor 324 amtierenden praef. Aeg. Silvanus vermuten. Letzteren, der von Hübner (ebd.) aus dem frag- mentarisch erhaltenen P.Amh. II 82 nur erschlossen worden ist, dürfte es hin- gegen kaum qegeben haben, s. C.Vandersleyen, Chronologie des prefets d'Egypte de 284 a 395, Brüssel 1962, 70f.; Lallemand (o.A. 11), 237f.

Im übrigen könnte nach der hier gewählten Obersetzung ("im Falle von Sil-

vanus") letzterer ein Bekannter des Achilleus gewesen sein, der selbst ein-

mal als oia.66•nc amtiert hat (freundlicher Hinweis von D.Hagedorn).

(4)

Den Ausgangspunkt für den Brief des Achilleus bilden die von den staatli- chen Behörden ergangenen Anordnungen bezüglich der "annona militaris". Letzte- re bezeichnet grundsätzlich die Besoldung und Versorgung von Militärs und Zivilbeamten15 l mit Naturalien, in erster Linie Brotgetreide, Wein, Fleisch und Spreu (als Brennstoff sowie als Futter für die Tiere der Soldaten), also mit den in unserem Papyrus genannten Lebensmitteln. 16 ) Dieser Naturalver- sorgung, die sich spätestens im 3. Jh.n.Chr. in dieser Form durchgesetzt hatte, 17 ) entsprach auf der anderen Seite die Steuererhebung "in specie". Im Laufe des 4. Jhs.n.Chr. nun verstärkte sich, wie bereits gesagt, die Tendenz sowohl zur Steuer- als auch zur Verteilungsadäration, ohne dass jedoch das vorherige System gänzlich abgeschafft worden wäre. Die Form der Steuerzahlung

sowie der Besoldung hing vielmehr, wie vor allem Cerati gezeigt hat, 18 ) auch von lokalen Besonderheiten und aktuellen Gegebenheiten ab, wobei die Adäration

sowohl im Interesse des Fiskus wie des Steuerzahlers liegen konnte. So diente sie etwa im Rahmen der Besoldung zur Vermeidung von hohen Transportkosten oder erleichterte die Steuerentrichtung im Fall von Missernten und Lebens- mittelknappheit.

Herrscht hinsichtlich dieser grossen Entwicklungslinien weitgehend Klar- heit, so stellt sich die Steuer- und Versorgungsorganisation im einzelnen bisweilen noch recht undeutlich dar, zumal in (dem uns hier vornehmlich in- teressierenden) Ägypten, welches sich in dieser Hinsicht von den übrigen Reichsregionen zum Teil beträchtlich unterscheidet. 19 l In Ägypten oblag die Aufgabe der Erhebung und Verteilung der "annona" den Kurien der Städte, an welche die Aufforderung zur Steuerzahlung und -weiterleitung erging. Die Kurien ihrerseits bestimmten dann einzelne Liturgen, die etwa als EnLµEÄni:a(

sowie önoötxi:aL oder

~noötxi:aL

die Steuern (in Naturalien oder in Geld) ein- zogen. 20) Für die Verteilung (oLooocLc, "erogatio") der eingeforderten Güter

15) Auch diese gehören zur "militia", s. K.L.Noethlichs, Beamtentum und Dienstvergehen, Wiesbaden 1981, 20ff.

16) S. etwa CTh VII 4, 4. 6; Val. III., Nov. XIII 3f.; vgl. A.H.M.Jones, The Later Roman Empire 284-602, Oxford 1964, I 628. III 191f. A. 44; J.Kara- yannopulos, Das Finanzwesen des frühbyzantinischen Staates, München 1958,

99ff.; A.C.Johnson/L.C.West, Byzantine Egypt: Economic Studies, Princeton 1949, 220; Noethlichs, Adaeratio (o.A. 3), 104f.

17) Noethlichs, Adaeratio (o.A. 3), 105f.; zu weiteren Bestandteilen der

"annona militaris" s. Johnson/West (o.A. 16), 220.

18) S.o. A. 3.

19) So Jones (o.A. 16), I 456ff. III 124 A. 116; Cerati (o.A. 3), 117ff.;

zu Ägypten nenne ich daneben nur Gelzer (o.A. 11); Lallemand (o.A. 11); A.K.

Bowman, The Military Occupation of Upper Egypt in the Reign of Diocletian, BASP 15,1978,25ff.; J.-M.Carrie, L'Egypte au IVe siecle: fiscalite, economie, societe, in: Proceed. xvith Int. Congr. Papyrol., Chicago 1981, 431ff.

20) Jones (o.A. 16), I 456ff.; Gelzer (o.A. 11), 42ff.; Lallemand (o.A.

11), 205-219; Cerati (o.A. 3), 114ff.; A.Deleage, La capitation au Bas-Empire, Macon 1945,120ff. Zu weiteren an der Steuererhebung beteiligten Personen

(~no.Li:ni:o.C

und "exactores") s. Gelzer (o.A. 11), 54ff. und Lallemand (o.A. 11),

208ff.

(5)

P.Rein. I 56 ( W.Chrest. 419) 91

an Soldaten und Beamte wählten sie ebenfalls einzelne Buleuten aus, 21 ) und zum Teil treffen wir im Zusammenhang dieses im einzelnen recht undurchsich- tigen Verfahrens 22 ) beispielsweise auf die eben erwähnten tn~µgAD<a(, die selbst auch den Transport der Lebensmittel übernehmen und diese direkt den Bestimmungspersonen aushändigen, 23 ) daneben aber begegnen in letztgenannter Funktion die sogenannten 5~a56•aL.

24

l

Hauptaufgabe des OLaOOLTJC war, wie bereits aus der (von 5La5L56vaL/"ero- gare" abgeleiteten) Amtsbezeichnung selbst hervorgeht, die Verteilung der von den Steuerpflichtigen erhobenen Güter beziehungsweise des monetären Gegen- wertes. 251 Er war als Liturgiepflichtiger zu seinem meist in einem Kollegium versehenen Arnt261 zwangsweise bestimmt (P.Rein. I 56; P.Giss. 54) und war, wie ebenfalls aus P.Rein. I 56 hervorgeht, für einen festgelegten Versorgungs-

zweig zuständig. Seine Amtsausübung galt nur für einen begrenzten Zeitraum - möglicherweise für ein Indiktionsjahr27 ) - und erstreckte sich auf eine be-

stimmte Region, wie etwa P.Rein. I 56 zeigt.

Während diese Merkmale der

5La56•a~

eindeutig zu ermitteln sind, herrschen in anderen Punkten, insbesondere bezüglich der Frage nach dem erstmaligen Auf- tauchen dieses "munus" sowie des genauen Aufgabenbereichs der

5~ao6•aL,

unter- schiedliche Auffassungen.

Laut A.Deleage sind 5La56•aL ab dem zweiten Drittel des 4. Jhs.n.Chr. be- zeugt,28) J.Karayannopulos ermittelt sie gar erst "seit dem Ende des 4.

Jhs.

11,

29 ) und nach J.Lallemand amtieren sie spätestens seit dem beginnenden 21) Johnson/West (o.A. 16), 219; Bowman, Military Occupation (o.A. 19), 35.

22) Jones (o.A. 16), I 458: "The machinery whereby the distribution of the 'annona' was carried out was cornplicated and its detailed working is obscure."

23) S. etwa P.Oxy. I 43; P.Beatty Panop. 1, bes. 276-331; P.S.I. VIII 886;

vgl. Lallernand (o.A. 11), 216; Gelzer (o.A. 11), 49.

24) Zum

5~ao6•nc

s. F.Preisigke, Fachwörter des öffentlichen Verwaltungs- dienstes Ägyptens, Göttingen 1915, 51f.; N.Hohlwein, L'Egypte romaine,

Brüssel 1912, 191f.; U.Wilcken, Grundzüge und Chrestomathie der Papyruskunde I 1, Stuttgart 1911, 362; P.M.Meyer, Einl. zu P.Giss. 54 (BBf.); L.Mitteis, Einl. zu P.Lips. 97 (286f.); F.Oertel, Die Liturgie: Studien zur ptolemäischen und kaiserlichen Verwaltung Ägyptens (ND v. 1917), Aalen 1965, 221f.; Deleage

(o.A. 20), 123ff.; Johnson/West (o.A. 16), 218ff. 328; Karayannopulos (o.A.

16), 102f.; Jones (o.A. 16), I 458f. III 124 A. 116; Lallemand (o.A. 11), 216-f.; N.Lewis, Inventory of Compulsory Services in Ptolemaic and Roman Egypt

(Arner. Stud. Pap. III), New York

2

1975, s.v. 6L6.6ocLc; ders., Compulsory Public Services (o.A. 13), 22; Cerati (o.A. 3), 118; Bowman, Military Occu- pation (o.A. 19), 36f.; M.Kaimo, Einl. zu CPR VII 19 (88f.); D.Hagedorn, Einl. zu P.Köln III 139 (69).

25) Dass oLao6•aL auch für die Verteilungsadäration zuständig waren - was Oertel (o.A. 24), 221, mit Bezug auf P.Rein. I 56 nur vermuten mochte-, zeigt m.E. eindeutig P.Vindob. Tandem 19,16 (mit Kommentar S.132).

26) BGU III 974 W.Chrest. 423; P.Lond. III 1245 (p.228) u.ö. (s.u. A.35).

27) BGU III 974 W.Chrest. 423; P.Lond. III 1245 (p.228); vgl. Lallemand (o.A. 11), 216.

28) Deleage (o.A. 20), 123f.; s. auch Cerati (o.A. 3), 118.

29) Karayannopulos (o.A. 16), 102.

(6)

4. Jh. 30) Dagegen ist darauf hinzuweisen, dass durch P.Beatty Panop. 1 und neuerdings durch P.Lond. III 959 die Existenz von 5La56caL bereits am Ende des ,3. Jhs.n.Chr. unzweideutig dokumentiert wird; der letzte Beleg stammt aus dem 6. oder 7. Jh.n.Chr. (P.Grenf. II 95J. 31 l

Von weit grösserer Bedeutung als die chronologischen Probleme ist im vor- liegenden Rahmen freilich die Frage nach den Funktionen, die der ÖLa56cnc .ausübte. Während nämlich an der Tatsache, dass die "erogatio" seine Hauptauf-

gabe darstellte, niemand zweifelt, haben manche Forscher darüber hinaus auch eine Beteiligung des ÖLa56cnc an der Erhebung der "annona" erwogen. Oertel etwa hielt es für unsicher, ob die 5La66caL "bei der Beschaffung der annona Funktion hatten 11 , 32 ) und Mitteis mochte nicht ausschliessen, "dass die Tätig- keit dieser Beamten auch die Eintreibung mitumfasst. 1133 ) In jüngerer Zeit rechnen beispielsweise A.H.M.Jones und A.Cerati mit einer Tätigkeit der 6La- 66caL auch bei der Einziehung der "annona

11 •

34 )

Eine Prüfung der für die 6La56caL verfügbaren Belege legt jedoch den Schluss nahe, dass diese zumindest zwischen dem 3. und 6./7. Jh.n.Chr.

nichts mit der Erhebung der "annona" zu tun hatten. Denn in den Zeugnissen dieses Zeitraums begegnen sie ausschliesslich als Liturgen, die mit dem Weiter- transport und der Verteilung von bereits eingesammelten Gütern befasst waren. 35 )

30) Lallemand (o.A. 11), 217.

31) Vgl. D.Hagedorn (o.A. 24), 69. Zu P.Lond. III 959 (297 n.Chr.) s.

jetzt J.D.Thomas, P.Lond. III 959 Descr.: A Receipt for Wine for the 'annona militaris', BASP 22,1985,349ff. ·

32) Oertel (o.A. 24), 221.

33) Mitteis (o.A. 24), 286.

34) Cerati (o.A. 3), 162, dazu s.u. s. 7ff. Inkonsequent verfährt Jones (o.A. 16): Einmal (III 192 A. 46) spricht er mit Bezug auf P.Rein. I 56 von den 6La56i:aL als "curial collectors of chaff in Egypt", an anderer Stelle

(III 124 A.116) bezeichnet er sie als "distributors of 'annona'."

35) Eine Zusammenstellung der Quellen, die auch die nicht im Wörterbuch der griechischen Papyrusurkunden (Bd. III, hrsg. v. F.Preisigke/E.Kiessling, Berlin 1931, s.v. 6La66i:nc; Suppl. 1, hrsg. v. E.Kiessling, Amsterdam 1971, s.v.

6La66cnc) enthaltenen Zeugnisse erfasst, fehlt bisher; die ausführlichsten Angaben bietet noch Lallemand (o.A. 11), 216f. Die anschliessende Liste um- fasst alle von mir ermittelten Belege, in denen unzweideutig von 6La66caL die Rede ist. Dokumente, in denen es nur allgemein um die 6oa6ocLc geht, finden keine Berücksichtigung, da diese, wie gesagt (o.S. 5 und A. 23), zum Teil auch von anderen Funktionsträgern wahrgenommen wurde. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass selbst eine Einbeziehung derjenigen Dokumente, die möglicher- weise von 6La66i:aL handeln, ohne diese explizit zu nennen - etwa CPR VII 19;

P.Oxy. VIII 1115; weitere Grenzfälle bei Lallemand (o.A. 11), 217 A. 2 -, nichts an dem genannten Ergebnis ändert. Belege für 6oa66caL: P.Lond. III 959

= BASP 22,1985,351 (297); P.Beatty Panop. 1 (298). 2 (300); P.Erl. 52 (314).

106 (4. Jh.); P.Fuad.Univ. 15 (4. Jh.); P.Lond. III 1245 p. 228 (357); P.Rein.

I 56 = W.Chrest. 419 (4. Jh.); P.Giss. 54 = W.Chrest. 420 (4./5. Jh.); BGU III 974 = W.Chrest. 423 (380); BGU IV 1025 XV. XVI= W.Chrest. 422 (beide 4. Jh.); P.Lips. 97 (4. Jh.); P.Köln III 139 (387); SB XIV 11574 (406);

O.Strassb. 512. 513. 516 (4./5. Jh.); O.Bodl. II 2102. 2104. 2105. 2109- 2112. 2114 (alle 4./5. Jh.); P.Vindob.Tandem 19 (5./6. Jh.); P.Cair.Masp. II 67139 (6. Jh.); P.Grenf. II 95 (6./7. Jh.); s. auch O.Strassb. 514 (dazu Be- richtigungsliste der griechischen Papyrusurkunden aus Ägypten Bd. VII, Leiden 1986, 294); O.Leiden 348. 349. 582 (alle 4. Jh.); P.Mich. inv. 4650b (4. Jh.) und dazu P.J.Sijpesteijn, BASP 22,1985,325f.

Im CTh tauchen "diadotae" nur einmal auf: CTh VII 4, 28 (406).

(7)

P.Rein. I 56 ( W. Chrest. 419) 93

In welcher Weise dies im einzelnen geschah, lässt sich nur annähernd fest- stellen. So nahm der ÖLaö6i:nc bisweilen die Naturalien direkt von dem btL- p.r::A.ni:nc in Empfang, 36 ) um dann deren Weitertransport zu regeln und sie etwa, wie Auslieferungsquittungen belegen, bei Garnisonen abzuliefern. 37 l Daneben scheinen die öLaö6i:aL für die Beförderung und Auslieferung der Lebensmittel aber auch andere Personen (Privatleute, Händler ?) herangezogen zu haben. 38 )

Für eine Beteiligung der ÖLa.ö6i:a.L an der Erhebung der "annona" existiert hingegen nur ein einziger Beleg, und zwar erst aus dem 6./7. Jh.n.Chr. (P.

Grenf. II 95): Hier bescheinigt der öLa.56i:nc direkt der Kirche von Apollino- polis, die "annona" für eine in einem Kloster einquartierte Truppeneinheit entrichtet zu haben. Angesichts dieses sehr späten und überdies singulären Zeugnisses müssen wir davon ausgehen, dass die öLaö6i:a.L sich prinzipiell nicht an der Steuererhebung selbst beteiligten, und mit diesem Ergebnis wenden wir uns wieder P.Rein. I 56 und der durch Mazzarino ausgelösten Diskussion zu.

Mazzarino 39 ) sieht in dem Brief des Achilleus einen geradezu idealen Beleg für seine oben40) skizzierte Theorie, nach welcher die Steuerzahler stets durch die Adäration übervorteilt worden wären und daher eine Naturalsteuer vorgezogen hätten: Achilleus "terne d'esser costretto all'aderazione", also:

"La lettera di Achilleus e verarnente la diretta espressione - rnigliore, certo, non potrernmo cercarne - degli interessi dei contribuenti."

Dieser Interpretation hat Cerati41 ) widersprochen und darauf hingewiesen, dass Achilleus nicht etwa als Steuerzahler, sondern als liturgiepflichtiger 5La.ö6i:nc Schwierigkeiten (besonders mit der Spreu) befürchte; offensichtlich sei ein derartig.es Problem auch kein Einzelfall gewesen. 42 ) Die Schwierigkeiten könnten nach Cerati in dreierlei Hinsicht bestanden haben: Denkbar wäre

erstens, dass der öLa.ö6i:nc nicht die angeordnete Menge an Lebensmitteln habe einfordern können, zweitens, dass er die Güter nicht komplett vorn lnLµEA.ni:nc erhalten habe, und drittens, dass die Militdrsdie Annahme der (vielleicht mangelhaften) Naturalien verweigert hätten; in jedem dieser drei Fälle hätte der öLaö6i:nc für den entstandenen Schaden aufkommen müssen. Cerati will daher P.Rein. I 56 gar nicht in Zusammenhang mit der Adärationsproblernatik gebracht wissen: "Ce n'est pas tellernent l'adaeratio elle-rnerne qu'il (sc. Achilleus)

36) BGU III 974 = W.Chrest. 423; BGU IV 1025 XV. XVI = W.Chrest. 422; s.

auch P.Beatty Panop. 1, bes. 276-331.

37) P.Lips. 97.

38) P.Köln III 139: Der nicht näher bezeichnete Dioskoros, der laut Quit- tung des 5La.ö6i:nc Weizen und Gerste an ein Fort geliefert hat, könnte laut D.Hagedorn (Einl. zu P.Köln III 139, S. 69) "ein Privatmann" gewesen sein;

vgl. auch P.Lond. III 1245 (p.228). An wen sich die zahlreichen Ausgabean- weisungen von öLaö6i:a.L (O.Bodl. II, s.o. A. 35) richten, ist nicht recht klar.

39) Mazzarino (o.A. 2), 137f.

40) S.o. S. 1.

41) Cerati (o.A. 3), 162f.

42) P.Rein. I 56 W.Chrest. 419, Z. 19.

(8)

craignait pour ses administres, mais la fonction operee sur son patrimoine personnel. En fait, il ne nous parait pas qu'on puisse faire rapporter le texte au probleme de l'adaeratio proprement fiscale. 1143 )

. d ' h A . d. 44 ) d . . t' t Gegen diese Auslegung wie erum wendets1c .Giar ina un ins1s ier auf der Position Mazzarinos, indem er gegen Cerati die prinzipielle Vergleichbar-

keit von Steuerzahler und 6La66-tnc konstatiert: "Achilleus tuttavia - pur essendo un 'diad6tes' e svolgendo quindi funzioni liturgiche - nel momento stesso in cui trattava con le autorita, ehe potevano rifiutare la paglia e obbligarlo alla prestazione aderata, si trovava nella condizione di un semplice contribuente. 1145 ) Darüber hinaus - so Giardina - zeige sich in dieser Furcht der Kurialen vor der Adäration die Krise der unter drückenden Lasten leidenden städtischen Führungsschichten in der Spätantike.

Dieser Stand der Diskussion lässt weitere Uberlegungen zu dem umstrittenen Papyrus Rein. I 56 dringend geboten erscheinen, denn keine der vorgestellten Theorien vermag zu überzeugen.

Sowohl Mazzarino wie Giardina verkennen, dass es in dem Brief des Achilleus keineswegs um eine Steuer-, sondern ausschliesslich um eine Verteilungsadära- tion geht. Somit kann der Papyrus nicht als Beleg für die Abneigung der "col- latores" gegen eine Steueradäration gelten, und dies um so weniger, als das mit der Steueradäration verbundene Korruptionspotential gänzlich anderer Natur war als die mit der Verteilungsadäration verbundenen Missbräuche. 46 )

Letztere freilich können, wie wir sehen werden, den Schlüssel zur Erklärung für die Haltung des Achilleus liefern, und dies ist neben den beiden italieni- schen Gelehrten auch Cerati entgangen: Die erste der drei von Cerati präsen- tierten Deutungsvarianten erledigt sich von selbst, denn sie beruht auf der oben als falsch erwiesenen Annahme, der ÖLa66•nc habe auch als Steuerein- nehmer fungiert. 47 ) Die zweite Hypothese stellt eine reine Spekulation dar und passt überdies gar nicht zu dem Inhalt des vorliegenden Briefes, denn Achilleus befürchtet nicht etwa Probleme mit dem tnLUEAT1•nc, sondern allein mit der anderen Seite, der Empfängerpartei. Letzteres berücksichtigt schliess-

lich die dritte Erklärungsvariante Ceratis: Die Militärs könnten bisweilen die Annahme der (möglicherweise mangelhaften) Naturalien verweigert haben.

Doch statt diesen prinzipiell richtigen Ansatz weiter zu verfolgen, leugnet Cerati vielmehr einen Zusammenhang mit dem Adärationsproblem und meint, in

43) Cerati (o.A. 3), 163.

44) A.Giardina, Aspetti del fiscalismo tardoantico, StudStor 18,1977,157.

Er hält im übrigen bis heute unverändert an den von Mazzarino zur Adäration entwickelten Theorien fest, s. etwa A.Giardina, L'impero e il tributo (gli

'Hermeneumata' di Sponheim e altri testi), RFIC 113, 1985, 319ff.

45) Giardina, Aspetti (o.A. 44), 157.

46) Diese Unterschiede hat vor allem Kalb, Adäration (o.A. 1), bes. 166ff., herausgearbeitet.

47) Cerati (o.A. 3), 162 mit A. 34.

(9)

P.Rein. I S6 ( W.Chrest. 419) 9S

diesem (dritten) Falle hätten die 6La.66i:a.L eben nur selbst "la difference"

(zwischen welchen Beträgen, wird nicht klar) zahlen müssen. 48 ) Dagegen muss ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass Achilleus nur die (offenbar bei Spreu und auch Gerste drohende) Adäration selbst fürchtet, nicht etwa die Zahlung irgendeines, von ihm auch gar nicht erwähnten Differenzbetrages, denn er schreibt (Z. 14-18): ou ÖEAOµEv yap axupov, µnnwc µn

Anµ~öfj HO.~

avayxa.c'3WµEV i:nv l:Lµnv

6La.ypa~a.L.

Augenscheinlich möchte Achilleus die Adära- tion überhaupt vermeiden, wobei die Beschaffenheit der Güter gar keine Rolle spielt. Demnach schreckt ihn nicht die Aussicht, dass die Empfänger die Natu- ralien wegen vielleicht fehlender Qualität ablehnen, sondern er fürchtet von vornherein die Verteilungsadäration und die mit dieser anscheinend unmittelbar verbundenen Nachteile!

Diese prinzipielle Aversion der als 6La.66i:a.L/"erogatores" tätigen Liturgen gegen die Adäration lässt sich durch Heranziehen der entsprechenden Gesetze und einer Rede des Libanios plausibel erklären. 49 l

Aus den in CTh VII 4 ("De erogatione militaris annonae") gesammelten Be- st!_mmungen geht nämlich klar hervor, auf welche Weise die Verteilungsadäration besonders von höheren Militärs und Beamten zu persönlicher Bereicherung be- nutzt wurde: Sie neigten dazu, die für sie vorgesehenen Naturalien in den

"horrea" zu belassen und stattdessen Geld zu verlangen (besonders in Zeiten von Missernten und daher hohen Marktpreisen), woraufhin dann die Lebensmittel in den Speichern verdarben.SO) Zu wessen Lasten diese Verteilungsadäration vornehmlich ging, formuliert am deutlichsten ein Gesetz Konstantins aus dem Jahr 32S n.Chr.:S 1 )

"Tribunos sive praepositos, qui milites nostros curant, annonas per dies singulos scribtionis indicio sibi debitas in horreis derelinquere non oportet, ut procuratores seu susceptores vel praepositi pagorum et horreorum eam con- parent."

Der (von den Versorgungsempfängern erzwungene) Kauf der zur Verteilung vor- gesehenen Naturalien durch die genannten Beamten bezeichnet exakt den Vorgang der Verteilungsadäration, und es dürfte genau diese Form der Belastung sein, welche ·auch der 6La.66i:nc Achilleus vermeiden möchte. Uberdies drängt sich der Vergleich zwischen den in der konstantinischen Bestimmung aufgeführten Funk- tionsträgern und den kurialen 6La.66i:a.L auch deshalb auf, weil die "praepositi pagorum et horreorum" von den Kurialen gestellt wurden.s 2 ) Und schliesslich dokumentiert auch ein Passus aus der Rede des Libanios gegen den "consularis Syriae" Severus, dass gerade die liturgiepflichtigen Mitglieder der munizipa-

48) Ebd.

I

163.

49) Zum folgenden s. bes. Kolb, Adäration (o.A. 1 ), 168ff.

SO) CTh VII 4, 1 (325). 18 (393). 20 (393).

S1) CTh VII 4, 1.

S2) Kolb, Adäration (o.A. 1), 172; Jones (o.A. 16), I 4S9.

(10)

len Führungsschichten durch die Verteilungsadäration Nachteile erleiden konnten. Der Redner beschreibt nämlich, wie Severus die kurialen ano6Ex•aL zwang, sein in Form von Naturalien bereitgehaltenes Salär zu kaufen, wodurch er gute Geschäfte gemacht habe. So habe die Armut (der Kurialen) dazu dienen müssen, den Statthalter reich zu machen: ~ nEvCa TIAOÜLOV nvayxa6E•o TIOLECv. 53) Auch wenn gewisse Vorbehalte gegenüber der Schilderung des Libanios geboten sind, 54 ) so darf dennoch an der Existenz der durch die Verteilungsadäration ermöglichten Korruption nicht gezweifelt werden.

Angesichts dieser Situation kann es also kaum verwundern, dass der 5La66•nc Achilleus wenig Neigung zeigt, die von ihm zu verteilende "annona" zu adärie- ren. Auffällig und erklärungsbedürftig ist freilich die Tatsache, dass er bei Wein und Fleisch offenbar nicht mit einer Adäration wie im Fall der Spreu rechnen muss. 55 )

Einen Anhaltspunkt zur Lösung dieses Problems bieten die Zeilen 20-25 un- seres Papyrus. Achilleus schreibt: Tov OE oivov •ÖV lv

·~

'Epµoü TIOAL n

xat 'Av•LVOOU 3EAOµEv n LO xptac, µ6va •a 6uo 3EAOµEV. Offensichtlich hängt der Wunsch des Achilleus, nur als 6La66•nc für Wein und Fleisch zu fungieren, mit seinem zu erwartenden Tätigkeitsbezirk zusammen, zumal er schon vorher

(Z. 13f.) seine Absicht kundgetan hatte, lv •oCc l5LoLc xat µn Ent Etvnc zu amtieren. Achilleus hatte also offenbar Anlass zu der Vermutung, als Ver- teiler für Spreu mit der Lieferung zu entfernt gelegenen Orten belastet zu werden. 56 ) Ein Blick auf die anderen einschlägigen Papyri zeigt, dass in der Tat 6La66•aL teilweise für sehr entlegene Gebiete zuständig waren. So finden wir etwa Buleuten aus dem im äussersten Norden der Thebais gelegenen Hermopolis als 5La66•aL im mehrere hundert Kilometer entfernt befindlichen Syene. 57 )

Achilleus hatte also Grund zu der Annahme, möglicherweise ein ähnliches Schick- sal zu erleiden, und dies hätte nicht nur hohe Transportkosten nach sich ge- zogen, sondern auch - und darin besteht der Zusammenhang mit dem Adärations- problem - für ihn die Gefahr einer Adäration verstärkt, denn je länger die Transportwege für die nur begrenzt haltbaren Naturalien waren, desto eher bot sich (für die Empfänger) eine Adäration an, die nur für ihn als 6La66•nc nicht wünschenswert war.

Ob Achilleus darüber hinaus weitere Gründe hatte, um gerade bei Spreu (und vielleicht auch Gerste) eine Adäration einkalkulieren zu müssen, muss dahin- gestellt bleiben. Denkbar wäre etwa, dass diese Güter damals besonders knapp

53) Lib. or. LVII 51; vgl. Kolb, ebd.

54) S. u. A. 60. 61.

55) Dies ist nur Mazzarino (o.A. 2), 394f. A. 1, aufgefallen, der aller- dings keine plausible Erklärung findet.

56) So interpretiert offenbar auch Jones (o.A. 16), I 459, der freilich auf den Zusammenhang mit der Adäration nicht eingeht.

57) P.Giss. 54 = W.Chrest. 420; BGU IV 1025 XVI = W.Chrest. 422; s. auch

P . Land • III 1 2 4 5 ( p . 2 2 8 ) .

(11)

P.Rein. I 56 ( W.Chrest. 419) 97

waren und den Verteilern infolge hoher Marktpreise eine besonders ungünstige Adäration drohte, aber aus dem Text des Briefes ergeben sich keine entspre- chenden Hinweise.

Als Ergebnis unserer Uberlegungen können wir daher festhalten, dass P.Rein.

I 56, im Gegensatz zu den Auffassungen Mazzarinos und Giardinas, keinen Beleg für eine permanente Ubervorteilung des Steuerzahlers infolge der Adäration darstellt und damit auch der dritte 'testo fondamentale' Mazzarinos sich als nicht geeignet erweist, seine Theorie zu stützen. Dagegen dokumentiert der Papyrus durchaus - und dies wiederum ist Cerati entgangen - einen spezifischen, mit der Verteilungsadäration einhergehenden Missstand des spätrömischen Ver- sorgungssystems.

Dass dennoch von P.Rein. I 56 nicht grundsätzlich auf die missliche Lage von 6La66•aL geschlossen werden darf, lehrt etwa ein Blick auf P.Giss. 54

( = W.Chrest. 420), in welchem (Z. 12f.) von einem Gewinn (usp6oc) die Rede ist, den die 6Lao6•aL erzielen. 58 ) Augenscheinlich bedeutete das "munus" der Verteilung von Lebensmitteln nicht nur eine Last, sondern eröffnete bisweilen auch Profitmöglichkeiten. Pauschalurteile über die Situation der 6La66•aL sind demnach unangebracht, und dies gilt im übrigen nicht nur für diese Liturgen, sondern überhaupt hinsichtlich der Lage der Kurialen. Denn P.Rein.

I 56 zeugt auch keinesfalls, wie Giardina meint, 59 ) von den generell zu hohen Belastungen der Kurialen in der Spätantike. So bietet bereits ein Blick auf die spätrömischen Gesetze, in denen die "vexandorum provincialium potestas"

kurialer "exactores" angeprangert wird, 60) Anlass zu einer etwas differen- zierteren Betrachtung, und die Invektiven eines Salvian gegen die Praktiken kurialer "tyranni" zeigen noch deutlicher, dass in dem Lamento des Libanios über das Elend der Kurien eben nur ein Teil der Wahrheit steckt. 61 )

Tübingen Hartwin Brandt

58) Vgl dazu Meyer (o.A. 24), 89 mit A. 6.

59) Giardina, Aspetti (o.A. 44), 157.

60) CTh XII 6, 22(386); s. auch CTh XI 7, 21.

61) Salv. gub. V 17f. 28; vgl. C.Lepelley, 'Quot curiales, tot tyranni.'

L'image du decurion oppresseur au Bas-Empire, in: E.Frezouls (Hg.), Crise et

redressement dans les provinces europeennes de l'Empire, Strassburg 1983,

143ff.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Es könnte aber auch sein - aus dieser Vermutung wird sich unsere These entwickeln - daß eine rein sozialpsychologisch ausgerichtete Analyse sich er- gänzen ließe durch

Es kann dahin stehen, ob auf diese Weise der Verfahrensfehler geheilt wurde, denn der Senat hat ungeachtet dessen selbst zu entscheiden, weil das Landgericht in

Enthält Ihr Bescheid Informationen zur Auswahlgrenze im Hauptverfahren, so werden Ihnen für das 

rückzuführen. Einmal kann die Anpassungsrechnung nur mit unterschiedlicher Genauigkeit für die beiden Darstellungen durchgeführt werden: dies zeigt sich z. an der

tionsbestimmung für Aufzüge die Technik der Zukunft entwickelt, für die es vor allem im baulich boomen- den China einen riesigen Markt gibt und die auch zum Beispiel im Nach- folger

Grund für die ganztägige Sper- rung ist eine Jubiläumstour von Ferrari-Enthusiasten, die sich mit insgesamt 80 Fahrzeu- gen von Frankfurt am Main auf den Weg ins italienische

Grund für die ganztägige Sper- rung ist eine Jubiläumstour von Ferrari-Enthusiasten, die sich mit insgesamt 80 Fahrzeu- gen von Frankfurt am Main auf den Weg ins italienische

Über 60 Betriebe haben sich für die Tischmesse angemeldet, die nicht nur mit ihrer unterneh- merischen Vielfalt, sondern auch mit einem abwechslungs- reichen und originellen