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EINLEITUNG ZUR ZWEITEN AUFLAGE und einige Bemerkungen über die globale Wirkung

Franz Kafkas

Die zweite erweiterte Auflage der ursprünglich 1982 (Primärliteratur) und 1987 (Sekundärliteratur) bei Francke publizierten internationalen Kafka-Bibliographien erscheint nunmehr im K.G. Saur Verlag, der diese Bände vom Berner Verlag 1991 übernommen hat. Der Beschluß, auch die Primärliteratur einzuschließen, ergab eine Ausgabe in drei Teilen: Band I enthält den Neudruck der ersten Auf- lage der Primärliteratur (Franz Kafkas Werke, 1982) und die neu hinzugekom- mene Literatur, die unmittelbar angefügt wird und den ursprünglichen Umfang verdoppelt; Band II besteht in einem ersten Teilband wiederum aus dem Neu- druck der 1. Auflage der Sekundärliteratur (1987), der auch wieder ungefähr ver- doppelt wurde durch die Neuaufnahmen, die sich in einem zweiten Teilband be- finden. Die hinzugekommene Sekundärliteratur in dieser zweiten Auflage erfaßt nicht nur die neue Literatur des Zeitraumes von 1981 bis ca. 1997 (Bibliographien, Sammelbände, Artikel, Bücher, usw.), sondern auch viele Titel, die zum Zeit- punkt des damaligen Redaktionsschlusses (1987) noch nicht zugänglich waren. In beiden Bänden befinden sich vollständig überarbeitete und auf den doppelten Umfang erweiterte Register. Die Sach-, Namen- und Werkregister im zweiten Teil des zweiten Bandes beziehen sich auf die gesamte Sekundärliteratur und verbinden damit beide Teilbände.

Die Inhaltsverzeichnisse und die Register beider Bände sowie die Einführung in den Aufbau der Gesamtbibliographie erscheinen in dieser neuen Ausgabe zweisprachig, so daß nun die wichtigsten Themen, Namen und Titel von Kafkas Werken auch in englischer Sprache nachgeschlagen werden können. Dem eng- lischsprachigen Benutzer wird mit dieser zweisprachig gehaltenen, erweiterten Bibliographie das Auffinden und Beschaffen der vorhandenen Zeitschriften- und Buchtitel zu den einzelnen Werken Kafkas ermöglicht. Ein großer Teil der ver- zeichneten Titel war im Original in englischer Sprache (im Unterschied zu den Übersetzungen, bei denen das Primat bei Spanisch liegt); der Rest vor allem auf Deutsch, dann folgen mit geringeren Anteilen andere Sprachen. Durch die Titel- übersetzungen von Artikeln in weniger bekannten Sprachen (Hebräisch, Unga- risch, Japanisch, Rumänisch etc.) erhält der Benutzer einen Hinweis auf deren Inhalt. So kann er seine Forschungsarbeit international ausrichten und gegebe- nenfalls Übersetzungsarbeiten im eigenen Land anregen.

Diese zweite Auflage wurde von der Germanistik und insbesondere der inter-

nationalen Kafka-Forschung nicht nur wegen der erwarteten Matierialfülle schon

lange vor ihrem Erscheinen als Desideratum bezeichnet, sondern auch, weil das

Werk, den Wünschen der internationalen Kafka-Forschung nachkommend, durch

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die oben erwähnten zweisprachigen (deutsch-englischen/englisch-deutschen) Re- gister auch auf das englisch sprechende Lesepublikum ausgerichtet ist. Eine wei- tere Bereicherung der Bibliographie stellen, auf vielfache Anregung hin, die erstmals englischen Übersetzungen aller im Gesamtwerk vorhandenen deutschen Buchkommentare in einem Anhang dar. Der Einschluß der englischen Buch- kommentare ergab zwar Verzögerungen bei der Publikation, ermöglichte es aber erstmals, die gegenwärtige globale Lage der Kafka-Rezeption weitgehend auf Englisch zugänglich zu machen.

Aufgrund der weitenden Kommentararbeit kann die vorliegende Bibliographie, dem Stand der Kafka-Forschung Rechnung tragend, gleichzeitig als Einführung in die Flut der Kafka-Literatur gelten: „Endlich ein Leitfaden durch das La- byrinth der Kafkaforschung", sagt Judith Ryan (Harvard University), und Franz R. Kempf reiht die erste Ausgabe der Sekundärbibliographie in seinem Forschungs- bericht zu den kleineren Werken Kafkas (Everyone's Darling: Kafka and the Critics ofhis Short Fiction, 1994) unter die Werke, die „left behind shining bits of thread on their way to the Minotaur" (S.7). Die 1987 erschienene kommentierte Bibliographie hat offensichtlich zu weiteren beschreibenden und wertenden Kom- mentarstudien inspiriert, wie die 2. Ausgabe der von L. Dietz 1990 bei Metzler herausgekommenen Kafka-Bibliographie, R. Robertsons Artikel „In Search of the Historical Kafka: A Selective Review of Research 1980-1992" (1994) und William J. Dodds Kafka: The Metamorphosis, The Triai and The Castle (1995).

Die Verfasser hoffen, daß die erweiterte Neuausgabe der Bibliographie nicht nur ein Standardwerk für die Bibliotheken bleiben wird. Durch die gezielte Aus- richtung auf das englische Sprachgebiet soll die zweite Ausgabe auch Studenten und Kafka-Lesern weltweit dienen und zu einer aktiven Auseinandersetzung mit Kafkas Werk und seiner Rezeption führen. Die zweisprachige Zugangsmöglich- keit stellt für eine Bibliographie über Autoren des 20. Jahrhunderts etwas Beson- deres dar. Die Bibliographie will zugleich als Einführungs- und Kommentarwerk zur Kafkaforschung eines halben Jahrhunderts verstanden werden, das auch einen guten Teil der vor 1955 erschienenen Sekundärliteratur in Neuauflagen und Sammelbänden einschließt. Die Autoren sehen sie als Begleitbände und Fortset- zung von Einführungswerken, wie Binders und Beickens Handbücher aus den siebziger Jahren (die noch immer nicht ins Englische übersetzt sind), denen sie detailliert erarbeitete Sachinhalte zur Seite stellt und die Suchenden spezifisch auf Sachgebiete hinweist. Schließlich will die nun auf Englisch zugängliche Bi- bliographie der Primär- und Sekundärliteratur zu Franz Kafka über ein schon ins Gewaltige gewachsenes Gebiet informieren und gleichzeitig die globale Wirkung Kafkas, dieser Ikone der Weltliteratur, eindringlich vor Augen stellen.

Die erste Ausgabe hatte außer den Büchern noch den Großteil der Zeitschriftenarti- kel kommentiert. Dies war für die von 1981 bis Anfang 1997 erschienenen und

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für die in Bd. II/2 neu hinzugekommenen Artikel nicht mehr möglich, da die Her- ausgabe der 2. Auflage wegen der vergriffenen 1. Auflage drängte. Das Einholen, Lesen und Kommentieren dieser neuen Artikel hätte noch Jahre in Anspruch ge- nommen und der Mithilfe anderer Wissenschaftler bedurft, um das in einem Dut- zend neu hinzugekommener Sprachen erschienene Material zu bewältigen. Das Lesen und Kommentieren für den 1. Band der 1987 erschienenen Sekundärlite- ratur hatte sich, mit Unterbrechungen, über gut ein Dutzend Jahre erstreckt. Die Buchkommentare wurden in der 2. Auflage jedoch weitgehend fortgesetzt und die englischen Übersetzungen auch in den englisch/deutschen Sach- und Werkregi- stern erfaßt.

Noch einige weitere Bemerkungen zur neuen Auflage: Format und Aufbau wurden, wie aus den Inhaltsverzeichnissen ersichtlich, beibehalten. Der Umfang des Werkes aber hat sich verdoppelt. Die Beschränkung der Aufnahme von Ad- aptierungen (Bühne und Film) und Zeitungsartikeln wurde aufrechterhalten. Die Kennzeichnung der nicht eingesehenen Titel durch Sternchen wurde weggelassen.

Im Bücherteil wurde nicht mehr auf etwaige Dissertationen zurückverwiesen. Die über eine längere Zeitspanne hin entstandenen Kommentare weisen in der 2. Auf- lage Längenunterschiede auf, was vor allem dem Zeitdruck zuzuschreiben ist. Die englischen Buchkommentare im Anhang wurden gekürzt. In manchen Sprachen, wie z.B. im Koreanischen mit seinen erstaunlich reichen Kafka-Übersetzungen und einer anderen Übersetzungstradition als im Westen, war eine Auswahl zu treffen. Koreanische Kafka-Forscher seien auf die große Bibliographie von Yi Choong Sup verwiesen, dem wir für wichtige Hinweise danken. Im Koreanischen beispielsweise, wie auch im Japanischen und Hebräischen, mußten verschiedene Personen zur Transkription und Transliteration bemüht werden, was zu kleinen Unterschieden führte (z.B. Tokyo und Tokio, die hebräische Zeitschrift Moz- nayim auch als Moznaim u.ä.). Die Transliterationssysteme des Russischen und Bulgarischen stimmen mit wenigen Ausnahmen mit denen des Duden Band I, Die Rechtschreibung, überein. Der Einfachheit halber wurde bei Neuauflagen oder Neuübersetzungen von Titeln, die schon in der ersten Auflage erscheinen, nur das Datum angeführt. Manche früher unvollständige Titel wurden mit zusätzlichen Daten neu aufgenommen. Die Computertechnologie hat zwar die Neuerfassung von Daten erleichtert, jedoch gewährleistet sie noch nicht ein verläßliches und reibungsloses Funktionieren; sogar 1998 war es trotz der Hilfe von Fachkräften noch nicht möglich, an alle Datenbanken und Nationalbibliographien heranzu- kommen. Die Resultate waren gemischt, da auch die neueren Computer nicht alle Schriftzeichen ausdrucken, manche auslassen oder mit anderen Buchstaben als im Original ersetzen.

Die internationale Zusammenarbeit mit den etwa vierzig angeschriebenen Na- tionalbibliotheken war meistens sehr gut, auch einige Verlage waren hilfreich.

Nicht genug kann - in fachlicher und menschlicher Hinsicht - der Beitrag der

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Deutschen Schillergesellschaft und des Deutschen Literaturarchivs in Marbach/

Neckar mit seinen Mitarbeitern sowie der in der Zeit von 1996 bis 1999 dort an- wesenden internationalen Kafka-Forscher hervorgehoben werden.

Vor allem sei dem K.G. Saur Verlag und seinen hilfsbereiten Mitarbeitern ge- dankt für die Betreuung, Weitsicht und Geduld angesichts der Verzögerungen aufgrund oben genannter Umstände.

Es ist nicht möglich, auf knappem Raum die Entwicklung der letzten zwei Jahr- zehnte im Detail zu schildern, aber es seien im folgenden doch einige wichtige For- schungsresultate auf verschiedenen Teilgebieten erwähnt.

Die Herausgeber haben das Gefühl, daß die größten Fortschritte durch syste-

matischeres Herangehen an die Fragenkomplexe um Kafkas Leben und Werk im

Zusammenhang mit seiner Zeit zu finden sind. Diese Erörterungen von Leben,

Werken und Themen erfolgten in einer Reihe von Symposien, Sammelbänden,

Monographien, Schul- und Studienausgaben zu vielen Werken, in Kafka-Zeit-

schriften, besonders im Anschluß an die nun fast vollendete Kritische Edition von

Kafkas Werken durch ein internationales Herausgeberteam an der Gesamthoch-

schule in Wuppertal, die seit 1982 im Gange ist und vom S. Fischer Verlag

publiziert wird. Während die Kommentare zur Kritischen Ausgabe und besonders

die neuen Übersetzungen erst anlaufen, z.B. die amerikanischen Übersetzungen

von Mark Harman (Das Schloß, 1998) und Breon Mitchell (Der Prozeß, 1998)

im Schocken Verlag, sowie die einzelnen Übersetzungen aus der Kritischen Aus-

gabe ins Französische, Englische, Spanische, Holländische, Italienische und

Tschechische u.a., die in ihrer Tragweite noch nicht voraussehbar sind, ist eine

totale Neuorientierung der Übersetzungs- und Rezeptionstätigkeit durch den Beginn

der Faksimileausgabe des Stroemfeld/ Roter Stern Verlags zu erwarten. Diese

war 1994 durch das Erlöschen der urheberrechtlichen Schutzfrist siebzig Jahre

nach Kafkas Tod möglich geworden, eine Tatsache, die eine internationale

Publikationswelle seiner Werke in vielen Sprachen zur Folge hatte. Die Stroemfeld-

Ausgabe, betreut von Reuss, Staengle, Leiner und K.D. Wolff, ist beim Prozeß

stehengeblieben. Die Kritik an der in vorbildlicher Weise von der deutschen Re-

gierung geförderten, im S. Fischer Verlag erscheinenden Kritischen Ausgabe mit

ihrem internationalen Herausgeberstab, stellt manches an der Arbeit wieder in

Frage. Es sei vielleicht auch hier auf den Verzicht auf Berater aus dem tsche-

chisch-österreichischen Raum hingewiesen. Nicht wenige Kritiker sprechen von

möglichen neuerlichen Mißverständnissen von Kafkas Orginaltexten, ohne das

Gesamtverdienst schmälern zu wollen. Die bisherigen Faksimileausgaben, be-

sonders die Prozeß-Publikation, haben eine neue Kontroverse entzündet. Als diese

letztere Ausgabe aufgrund der Schwierigkeiten, an die Originalmanuskripte in

der Bodleian Library heranzukommen, ins Stocken gekommen war, haben sich

internationale Kafka-Forscher mit eindringlichen Rufen an Malcolm Pasley und

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Kafkas Erben gewandt, damit die Faksimileeditionen fortgesetzt werden können.

Zur Jahrhundertwende müssen also nochmals die Ansichten zu Editionstechnik und Rezeptionsmethoden überdacht werden im Bemühen, auch textuell zum authentischen Kafka vorzudringen.

Es wird allgemein anerkannt, daß Kafka als „Ahnherr vieler Erben" ein Werk hinterließ, an dem sich nicht nur alle geistigen, kulturellen und politischen Strö- mungen des 20. Jahrhunderts erprobt haben, sondern auch die herkömmlichen Methoden der literarischen Rezeption. Manfred Schmeling spricht im Hinblick auf die Kafka-Rezeption in Frankreich von Werken, die „eher zu Mißverständ- nissen' und ,Verrat' Anlaß gegeben haben als manche/r/ andere" („Verraten und verkauft? Probleme literarischer Kafka-Rezeption in Frankreich", 1996), eine These, die als Grundlage der globalen Kafka-Rezeption gelten kann und die mit Max Brods Nichtbeachtung des literarischen Testaments seines Freundes beginnt.

Die Rezeptionslage sei nicht nur, wie in Frankreich, durch die „Dominanz einer Zielkultur" gezeichnet, sondern vor allem auch durch das unklare theoretische Terrain der Rezeption im allgemeinen und der verwendeten Begriffe aus den ver- schiedensten analytischen Kategorien. „Misreadings" haben aber kulturell außer- ordentlich inspirierend gewirkt und bei Kafka geradezu zu einem Paradefall von Verstrickung der verschiedenen Rezeptionsvorgänge bis hin zum Medienwechsel geführt und zeigen eine globale Wechselwirkung. So führte die Inanspruchnahme Kafkas durch französische Surrealisten, Existentialisten und Religionsphilosophen (ersichtlich auch z.B. in der Prozeß-Übersetzung eines Alexandre Vialatte, 1933) zu einem abstrakten Kafka-Bild, losgelöst von Biographie, Sprache, Ursprung und kulturellem Hintergrund. Erst durch Marthe Roberts Einsprüche und durch die neue ScWoß-Übersetzung von Bernard Lortholary (1983), unter anderen, wurde die mystifizierende Tendenz abgelöst. Die französische Kafka-Rezeption verlagert sich mit den Autoren des nouveau roman an die ästhetische Oberfläche.

Es ist erstaunlich zu sehen, daß der surrealistisch-existentialistische Kafka solch internationalen Erfolg hatte, daß er in dieser Form sogar in seine eigene Heimat importiert wurde, wo man ihn nicht mehr als Sohn Prags erkannte. Die Geschichte der Rezeption hat in der letzten Zeit Richtigstellungen hervorge- bracht, wie beispielsweise Josef Cermáks Beitrag über „Die Kafka-Rezeption in Böhmen 1913-1949" (Kaflca und Prag, herausgegeben von Kurt Krolop, 1992), der diese Situation für die dreißiger und vierziger Jahre in Kafkas Heimat bestä- tigt. Die früheste tschechische Nennung von Kafkas Namen und Werk ist durch Frantisek Langer in den Jahren 1913/14 dokumentiert, fast zur gleichen Zeit wie in Deutschland. Erst 1920 erscheint Milena Jesenskás erste und gleichzeitig vor- bildliche Vermittlungsarbeit mit der tschechischen //e/zer-Übersetzung, die noch dazu Kafkas Zustimmung fand, weil sie seine Sprache unverfälscht wiedergab;

daneben existieren andere (Milena Illová und Otto F. Babler) und geben der tschechischen Sprache das Primat auf dem Gebiet der Übersetzungen. Nach frü-

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hen linksgerichteten Deutungen schon in den Nekrologen in kommunistischen Publikationen (S. K. Neumann) kam es 1929 zu illustrierten Übersetzungen im Kreis um den katholischen Verleger Josef Florian in Mähren (Gustav Janouch, Ludvik Vräna und Frantisek Pastor mit den ersten Kafka-Illustratoren überhaupt, Otto Coester und Albert Schamoni); parallel dazu gab es kleine bibliophile Druk- ke durch Josef Portmann (1928) und die Landarzt-Übersetzung Vränas, illustriert von Schamoni (1931). Das fachliche tschechische Interesse an Kafka wird erst- mals durch die Arbeiten des deutsch und tschechisch schreibenden Publizisten und Übersetzers Pavel (Paul) Eisner gezeigt, während die tschechische akademische Germanistik um Otokar Fischer nicht einmal die sechsbändige Fischer Gesamt- ausgabe Kafkas erwähnte; auch Eisners Bemühungen, eine Prozeß-Übersetzung zu plazieren, scheitern zunächst und das Werk wird erst 1958 zugänglich. Aber Eisners Kafka-Interpretation etabliert sich sofort, von Cermäk die „Prager Inter- pretation der Werke" genannt, in denen er den dreifachen ethnischen Hintergrund des Dichters erwähnt; die erste tschechische S c Ü b e r s e t z u n g von 1935 stammt ebenfalls von Eisner. Auch die Prager deutschen Dichter sahen Kafka noch als einen Autor der Prager Altstadt. Ohne Echo beim Durchschnittsleser be- einflußte der Roman aber eine ganze Generation von Künstlern, deren Kafka- Verständnis unter dem Eindruck des Surrealismus und Bretons Anthologie de l'humour noir den Dichter auch in seiner engsten Heimat vollständig enthistori- sierte. Mit Ausnahme von Max Brods religiöser Vision beeinflußte diese Auffas- sung selbst Pavel Eisner und Hugo Siebenschein und dauert auch noch bis in die Gegenwart an. Es sollte diesem Kafka-Bild bald die französische existentialisti- sche Sicht Kafkas nach Sartre und Camus folgen und zur Polemik mit den sur- realistischen Deutern führen. Die ersten Nachkriegsjahre sehen eine vermehrte Rezeptions- und Übersetzertätigkeit (Ludvik Kundera und Karel Projsa) und 1947 den wahrscheinlich ersten Kafka gewidmeten Sammelband „Erinnerungen, Erwägungen und Dokumente. Franz Kafka und Prag" (Franz Kafka a Praha) mit Beiträgen von Hugo Siebenschein, Emil Utitz, Edwin Muir und Peter Demetz.

Hier verteidigte Pavel Eisner wieder als fast einziger die Prager Deutung Kafkas im Gegensatz zum jungen Dissertanten Peter Demetz und dessen existentialisti- scher Sicht. Der politische Umsturz im Februar 1948 und die neue ideologisierte Kulturpolitik verhinderten eine geplante tschechische Gesamtausgabe. Die Ent- wicklungen in den beiden Ländern sind als paradigmatisch für viele ähnliche Re- zeptionswege vor allem in der westlichen Welt zu sehen, während die kommuni- stischen Länder bis 1990 andere Wege gegangen sind.

Man könnte also von einer Verfeinerung und Konzentration der Forschung sprechen, die auf Umwegen, nach der ,,-ismen"-Sucht, die jedem seinen eigenen Kafka versprach, und nach den strukturalistischen und dekonstruktivistischen Ausflügen der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nun endlich auf eine Person und ein Werk, das doch in seiner Zeit tief verankert war, gerichtet ist, zu dem die

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neuen Werkausgaben auch neuen Zugang bieten. Es werden hier Beispiele von Studien angeführt, die uns zu Kafka, seiner Stadt und ihrer Atmosphäre zurück- führen. Eine Reihe von Bildbänden bringt uns die Stadt zur Zeit Kafkas, die heute verschwunden ist, lebendig vor Augen, so in Bedrich Rohans Kafka wohnte um die Ecke. Ein neuer Blick aufs alte Prag (1986), Marta Zeleznäs Kafka a Praha (1991), Klaus Wagenbachs Kafkas Prag. Ein Reiselesebuch (1993) mit zeitgenössischen Aufnahmen der Örtlichkeiten, Straßen, Kaffeehäuser und Wohnhäuser, in denen sich Kafka bewegte, sowie Hartmut Binders und Jan Pa- riks Kafka. Ein Leben in Prag (1993) und Binders Wo Kafka und seine Freunde zu Gast waren. Eine Typologie des Prager Kaffeehauses (1991), gefolgt von Sal- fellners Franz Kafka und Prag (1996). Den schriftstellerischen Bekanntenkreis Kafkas beleuchtet Binders Sammelband Prager Profile. Vergessene Autoren im Schatten Kafkas (1991). Binders umfangreiche Dokumenten- und Realiensamm- lungen lassen noch manchen Beitrag zur Kenntnis von Kafkas Leben und Umwelt erwarten und dadurch auch neues Interesse an den Prager deutschen Dichtern wecken, deren Spuren er bis Berlin verfolgt hat. Gesamtbiographien wurden, aus verschiedenen Gesichtspunkten und mit unterschiedlichem kritischen Echo, u.a.

von Hartmut Müller, Peter Mailloux, Claude David, Ernst Pawel und Frederick R. Karl erstellt. Neue Dokumente über das Berufsleben des Dichters erschienen in Franz Kafka. Amtliche Schriften, herausgegeben von Klaus Hermsdorf (1984 und 1991); wichtige biographische Ergänzungen geben Rotraut Hackermüllers Krankeitsberichte zu Kafkas letzten Lebensjahren (1984 und 1990) und Anthony Northeys Kafkas Mischpoche (1988). Die neue Publikation von Kafkas Briefen an die Eltern hat weitere Unklarheiten beseitigt.

Weiterhin hat Ulf Abraham u.a. Kafkas Auffassung und Anwendung von ge- setzlichen und rechtlichen Begriffen (1985) als Kritik der herkömmlichen gesell- schaftlich-wissenschaftlichen Gesetzestradition gesehen; Lida Kirchberger schließt aus Kafkas Werken auf einen auf dem westlichen römischen Recht basierenden Rechtsbegriff (1986), und Kafkas politische Ideen und Motive in außerliterari- schen und literarischen Schriften werden von Duäan GliSovic (1996) verfolgt.

Kafka wird aufgrund seiner Einsichten und seiner Kritik an der Bürokratie und der Beziehungen zu Max Webers Theorien (Hans-Ulrich Derlien und Axel Dor- nemann) aufs engste mit den modernen Tendenzen seiner Zeit verbunden. Die wissenschaftlichen Aspekte seiner Arbeiten, seine Beziehungen zur Technologie, zu Kommunikationstheorien und zur Soziologie stehen im Mittelpunkt der Unter- suchungen von Valerie D. Greenberg (1990), Klaus Hoffer (1986) und des Sammelbandes Franz Kafka: Schriftverkehr (1990), herausgegeben von Wolf Kittler und Gerhard Neumann. Kafka, einstmals der Dichter ohne Zeit, Raum und Zusammenhang, wird hier als Konzipist und Angestellter dargestellt, konfrontiert mit Informationsproblemen, Akten, Büromaschinen etc. Der Band wirft auch die Frage nach der Editionstechnik von Kafkas Texten auf und stellt ihn als Autor

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dar, der mit modernen Medientechniken seiner Zeit vertraut war und dessen Freund, Max Brod, wie ein moderner Vermittler und Werbefachmann anmutet.

Joseph Vogl sieht den Dichter auch als einen Experten der Macht (1990) und versucht, die ethische Dimension in seinem Werk festzustellen und konzentriert sich auf die vielen ,3ilder der Gewalt", die Verbindung zum Kriminalroman und zu den ökonomischen und kapitalistischen Ideen; Sylvelie Adamziks Studie Topo- graphie der Macht (1992) hingegen versteht Macht als topographisch erschei- nendes Grundmodell von Kafkas Prosa. Kafkas Verhältnis zu den Frauen und zur Sexualität wird von Reiner Stach beleuchtet, der Günter Meckes homoerotische Schlüsseltheorie kritisiert (1987), und durch feministisch/formalistisch/bio- graphische Studien wie z.B. von Elizabeth Boa (1996), die diese Aspekte mit den zeitgenössischen, politisch-kulturellen Ansichten verbindet, aber auch Möglich- keiten außerhalb des patriarchalischen Systems in einer neuen Freiheit sieht.

Claude David weist Kafka eine neue Rolle als gefährlicher „Don Juan" zu (1989), während Frank Möbus wiederum (1995) in Kafkas Schreibtätigkeit den Versuch sieht, die Sexualität zu überwinden.

Erhellung wurde auch im Hinblick auf Kafkas jüdische Zugehörigkeit ge- schaffen, beispielsweise im Symposiumband Kafka und Prag (1994), wo auch das Leben der Prager Juden der Generation Kafkas in Konfrontation mit Tschechen und Deutschen behandelt wird. Franz Kafkas Judentum und seine Geschichtlich- keit werden zuerst in Christoph Stölzls bahnbrechender Studie Kafkas böses Böhmen (1975 und 1989) untersucht, wo auch schon die Bedeutung des Antise- mitismus für Kafka beleuchtet wird. Seine und Giuliano Baionis grundlegende Arbeiten über Kafkas Judentum (z.B. die jiddischen Schauspieler als Selbstbe- stätigung) erfahren jetzt eine Weiterführung; Ritchie Robertsons „holistische Sicht" {Kafka, Judaism, Politics and Literature, 1985) präsentiert Kafka inner- halb der jüdisch-deutschen Tradition. Mark M. Andersons Sammlung Reading Kafka: Prague, Politics and Fin de Siècle (1989) und seine Studie Kafka's Clo- thes (1992) vertiefen das Wissen um Kafkas Verbindung zu den Theorien und Strömungen seiner Zeit und zum Judentum. Pavel Eisners „Prager Deutung" wird in diesen Studien bestätigt und fortgeführt: Kafkas Wirklichkeit innerhalb der jü- dischen Minderheit in Prag, umgeben von einer christlichen, slawischen Mehr- heit, in der jüdischen Kultur aufgewachsen mit jüdischen Freunden; seine Interes- sen an jüdischen und jiddischen Themen, Literatur, Religion und Philosophie waren identisch mit denen der Generation um ihn. Sander Gilmans Franz Kafka.

The Jewish Patient (1995) stellt auf sozialgeschichtlichem europäischem Hinter- grund Kafka und seine Werke als beispielhaft für einen internalisierten Antisemi- tismus dar, dessen Vorurteile die Lebensauffassung des Dichters prägten. 1987 galt dieses Gebiet noch als vernachlässigter Aspekt der Forschung und Karl Erich Grözingers Sammelband Franz Kafka und das Judentum (1987) versuchte, die- sen Fragenkomplex aus Kafkas Werk und Tagebüchern zu erschließen. In der

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Zwischenzeit wurde das Gebiet wesentlich erweitert: zu den oben Genannten soll noch auswahlsweise erwähnt werden: Jean Jofen, Stéphane Mosès, Guido Massi- no (Ostjudentum), M. Cavarocchi-Arbib, Huan-Dok Bäk und eine wichtige, unter Stanley Corngolds Leitung entstandene, in Publikation begriffene mehrbändige Dissertation von Iris Monika Bruce „Franz Kafka. The Reluctant Zionist", die einen Überblick über Kafkas Beziehung zum Judentum gibt und Kafkas Werk der jüdi- schen Erzähltradition zuordnet. Und schließlich gab Hans-Gerd Koch in der Be- mühung, den „authentischen" Kafka erscheinen zu lassen, 1995 eine Sammlung von Erinnerungen von Augenzeugen, Freunden und Bekannten Kafkas heraus.

Des weiteren wurden komparatistische Studien durchgeführt, die beispielsweise die Affinitäten des Dichters mit Dostojewski (Dodd), Kierkegaard, Nietzsche (Corngold), Dürrenmatt (Tantow), Borges und Philip Roth untersuchen. Frank Pilipps Sammelband bringt mit The Legacy of Kafka in Contemporary Austrian Literature 1997 erstmals Studien über Kafkas Einfluß auf österreichische Schrift- steller der Gegenwart, u.a. Canetti, Aichinger, Handke, Jelinek und Turrini heraus.

Der Prozeß erfuhr besondere Beachtung, als das Deutsche Literaturarchiv in Marbach 1990 den sensationellen Ankauf des Originalmanuskripts für drei Mil- lionen Mark vornahm, was durch eine Ausstellung und durch ein Symposium im gleichen Jahr gefeiert wurde. Philipp Reclam jun. brachte 1993 einen Kommentar- band zu dem Roman heraus, der auch seine Wirkungsgeschichte miteinschließt.

Es folgte 1995 ein Band der Oldenbourger Interpretationen, gedacht für Lehrer, Schüler und Studenten, interpretiert von Peter Beicken, und 1995 ein weiterer Reclam-Band der Interpretationen, Franz Kafka. Romane und Erzählungen.

Kafka-Gesellschaften haben in den letzten zwei Jahrzehnten eine Rolle ge- spielt. Die älteste, die Kafka Society of America, hat seit ihrer Gründung durch M. L. Caputo-Mayr 1975 auf den Jahrestagungen der Modem Language Asso- ciation of America ein Diskussionsforum für die nationale und internationale Kafka-Gemeinde geschaffen, deren Resultate in dem 1977 gegründeten Journal ofthe Kafka Society of America veröffentlicht werden. Diese Publikation hat über zweieinhalb Jahrzehnte lang thematisch wesentliche Teile des gesamten Kafka- Forschungsgebiets beleuchtet, gab neuen und renommierten Kafka-Forschern eine Möglichkeit zum Meinungsaustausch und auf diese Weise einen Einblick in die Forschungsbemühungen in Nordamerika. Gleichzeitig erschienen in der Zeit- schrift Informationen aus der bibliographischen Forschungsstelle an der Temple University in Philadelphia, wo auch die vorliegenden Bibliographien entstanden sind. Die Themen lassen eine Fülle von nordamerikanischen Forschungsinteres- sen erkennen, wenn sie auch ein wenig im Ansatz von den in Europa vorherrschen- den Strömungen abweichen. Unter den Diskussionsthemen seien hervorzuheben:

Kafka und der Realismus, die Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, die Frauen, der moderne (neue) Roman, die gegenwärtige Literatur, die Philosophie, Kafka im Spiegel seiner Biographie, Kafka und neue Richtungen der Psychoanalyse, Kafka

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im Zeitalter der mechanischen Reproduktion, Kafka und seine Übersetzungen, Kafka und die Bürokratie, Kafka und seine literarischen Zeitgenossen, Kafka, Theater und Film, Kafka in postmoderner Perspektive, Kafka als kulturelle,Jkone", Kafka und die Kultur, Kafkas „Territorium", Kafka als Literaturkritiker.

Es fällt auf, daß ein wichtiger Teil der amerikanischen Kafka-Forschung sich auch stark an französischen strukturalistischen und poststrukturalistischen Vor- bildern orientiert hat, in Anlehnung an Derrida, Deleuze und Guattari, und auch Paul de Man. Die bedeutendsten Ergebnisse brachten die langjährigen Kafka- Studien von u.a. Stanley Corngold, Charles Bernheimer, Clayton Koelb, Ruth Gross, Henry S. Sussman. Unter den älteren Literarhistorikern setzten prominente amerikanische Kafka-Spezialisten wie Walter H. Sokel ihre jahrzehntelangen Bemühungen um den Dichter mit Erfolg fort.

Bald nach Gründung der amerikanischen Kafka-Gesellschaft hat sich auch eine österreichische Kafka-Gesellschaft in Klosterneuburg bei Wien etabliert, von Wolfgang Kraus gegründet und Norbert Winkler verwaltet, die seit dem Ende der siebziger Jahre internationale Symposien abhält, deren Ergebnisse sie in einer bisher acht Bände umfassenden Schrifienreihe der Franz Kafka-Gesellschaft veröffentlichte, die folgende Themen erörtert: Kunst und Prophetie (1979/80);

Was bleibt von Franz Kafka ? Positionsbestimmungen (1985); Prager deutsch- sprachige Literatur zur Zeit Kafkas (1989); Kafka in der kommunistischen Welt (1991). Die Gesellschaft hat sich besonders seit dem Fall des „Eisernen Vor- hangs" um den Einschluß von Forschern aus der ehemaligen kommunistischen Welt bemüht und sich der Pflege des Sterbehauses von Kafka in Kierling ange- nommen. Sie publiziert auch ein Mitteilungsblatt.

Die holländische Kafka-Forschung hat sich um den von Niels Bokhove 1992 ins Leben gerufenen „Kafka Kring" versammelt und gibt vierteljährlich den Kafka- Katern in holländischer Sprache heraus. Diese Gesellschaft veranstaltet auch Symposien und Tagungen und veröffentlicht Informationen, Bibliographien, Re- zensionen und Artikel.

Ein wichtiges Zentrum entstand um den koreanischen Kafka-Forscher Huan- Dok Bäk in Seoul, wo auch eine Kafka-Gesellschaft ins Leben gerufen wurde.

Auch sie gibt Kafka-Studien heraus und hat sicher zur phänomenalen Verbrei- tung Kafkas durch vielfache koreanische Übersetzungen beigetragen. In diesem Zusammenhang sei zu erwähnen, daß die ostasiatische Rezeption (Korea, Japan) u.a. sich auch für die jüdischen Aspekte Kafkas zu interessieren scheint.

Die tschechische Franz Kafka-Gesellschaft unter der Leitung von Marta Zeleznä betreibt vor allem Kafka-Werbung, bringt einschlägige Publikationen und ein Infor- mationsblatt Die Verwandlung (tschechisch und englisch) heraus und veranstaltet auch Ausstellungen.

Die lange Reihe von Kafka-Symposien und Kafka-Veranstaltungen scheint nicht abzureißen: So fand etwa unter der Leitung von Karol Sauerland 1983 die

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erste internationale Kafka-Tagung in Polen statt; vom 2 4 . - 2 9 . Oktober 1999 wurde in Israel unter internationaler Beteiligung ein einwöchiges Symposium mit dem Titel „Ich bin Ende und Anfang": Franz Kafka, Zionism and Beyond abge- halten. In der mittelalterlichen norditalienischen Stadt Cividale del Friuli ver- wandelte George Tabori 1992 die ganze Stadt unter Mitwirkung internationaler Theater-, Musik-, Ballett- und Rezitationsgruppen sowie Film- und Orchesterauf- führungen in ein multimediales internationales Kafka-Land, das auch die frucht- bare slawische Rezeption des Dichters veranschaulichte. Dies als kleine Auswahl.

Film- und Theateradaptierungen reißen nicht ab: Von Orson Welles bis Michael Haneke zieht sich eine Kette von Spiel- und Dokumentarfilmen. Selbst in populären Fernsehsendungen wie Jeopardy taucht der Name Kafka auf, und das Internet zeigt eine Flut von Kafka-Webseiten, bibliographischen Angaben und auch Texte und Übersetzungen seiner Werke.

Den anfangs sehr langsam und später rasch wachsenden Weltruf Franz Kafkas erklären zu wollen, ist nicht gerade einfach. Trotz einiger gegenteiliger Behauptun- gen ist es erwiesen, daß Kafka bei seinem Tode 1924 nicht unbekannt war. Er hatte einen gewissen Ruf als Schriftsteller von Erzählungen, von denen manche schon zu seinen Lebzeiten, vor allem in Zeitungen, nachgedruckt wurden; so erschien Ein Hungerkünstler 1922 schon in zwei deutschsprachigen amerikanischen Zeitungen in New York und Chicago. Schon zwischen 1920 und 1924 erschienen Übersetzun- gen einiger Erzählungen in tschechischer, ungarischer, und, was wohl erstaunlich ist, auch in norwegischer und katalanischer Sprache. Literarische Vortragsabende, zu der Zeit von weit größerer Bedeutung als heute, trugen gleichfalls dazu bei, Kafka bekannt zu machen; Ludwig Hardt ist in diesem Zusammenhang zu erwäh- nen. Unter den frühen Rezensenten von Kafkas Büchern fallen schon Namen auf wie Otto Pick, Camill Hoffmann, Albert Ehrenstein, Felix Braun, Heinrich Eduard Jacob und Robert Musil. Nach Kafkas Tode erschienen Nachrufe nicht nur in Prag (deutsch und tschechisch), sondern auch in Berlin, Leipzig, Wien und Pressburg/ Bratislava (ungarisch); die Familie konnte die vielen Kondolenzbriefe nicht mehr persönlich beantworten. Gedächtnisfeiern wurden in Prag und Wien veranstaltet.

Es ist jedoch offensichtlich, daß die von Kafka selbst für den Druck vorberei- teten Werke - darunter kein einziger Roman - keinesfalls genügt hätten, seinen heutigen Weltruf zu begründen. Die langsam wachsende Anerkennung Kafkas war vor allem der äußerst schnellen Aufeinanderfolge der Herausgabe seiner drei Romanfragmente zwischen 1925 und 1927 zuzuschreiben, wofür Max Brod trotz Beruf und vieler anderweitiger Verpflichtungen allein verantwortlich war und die er - schon durchaus in der Absicht, Kafka berühmt zu machen - als ziemlich ab- geschlossene Romane mit Nachworten dem Lesepublikum vorlegte. Dazu kamen seine zahlreichen Erwähnungen und Artikel über Kafka, Teilveröffentlichungen aus dem Nachlaß und eine zum Teil fanatische Gefolgschaft von Lesern und

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Bekannten, angeführt von Brod, der übrigens als Nachlaßverwalter und Heraus- geber der Werke finanziell kaum profitierte. Es war für ihn „a labor of love".

Schon in den zwanziger Jahren waren bedeutende deutsche Schriftsteller, dar- unter Kurt Tucholsky, Hermann Hesse, Thomas Mann und Alfred Döblin von Kafka sehr positiv beeindruckt; unter den jüngeren Deutschböhmen ist Josef Mühlberger, der Herausgeber der Zeitschrift Witiko, zu nennen. Kafka wird in einigen Literaturgeschichten nicht bloß erwähnt, sondern auch besprochen, zu- weilen im Zusammenhang mit dem Expressionismus. Die Grundlagen für seine Anerkennung als emstzunehmender Schriftsteller waren also im deutschsprachigen Raum schon damals gelegt, wenn auch von Weltruf noch lange keine Rede war.

Ungefähr zur selben Zeit beginnt sich aber, zuerst in Süd- und Westeuropa, eine Entwicklung außerhalb des deutschsprachigen Raums anzubahnen, die für die zukünftige Weltgeltung Kafkas entscheidend war. Die Gründe, warum ausge- rechnet Kafka innerhalb weniger Jahre in mehrere Sprachen übersetzt wurde und solch ein Aufsehen erregte, sind von der Forschung noch nicht erschöpfend be- handelt worden. In Belgien erschienen 1925 fünf kurze Stücke in flämischer Übersetzung, und im gleichen Jahr veröffentlichte die renommierte Madrider Zeitschrift Revista de Occidente, von Ortega y Gasset herausgegeben, La meta- morfosis, vermutlich übersetzt von Jorge Luis Borges. Zwei Jahre später erschie- nen in derselben Zeitschrift Un artista del hambre und nicht lange darauf eine vier Seiten lange, zum Teil kritische Rezension des Schriftstellers Ramón María Tenreiro über Kafkas Prozeß und Schloß, also zu einer Zeit (1927), als es noch keine französischen oder englischen Übersetzungen gab. 1928 brachte die Mai- länder Zeitschrift II Convegno die ersten italienischen Übersetzungen von Er- zählungen heraus, und im selben Jahr erschien La Métamorphose in La Nouvelle Revue Française, übersetzt von Alexandre Vialatte, der zusammen mit den Sur- realisten in erster Linie für die Popularisierung Kafkas in Frankreich verantwort- lich war. Es ist vielleicht interessant zu bemerken, daß die Franzosen Kafka nicht als Repräsentanten der deutschen Literatur sahen; das war, nicht so lange nach den Leiden des ersten Weltkriegs, ein positiver Faktor für die Verbreitung seiner Werke. Noch heute schwankt bei verschiedenen Autoren und selbst in Nach- schlagewerken und Bibliothekskatalogen die ethnische Zuordnung Kafkas, der zuweilen als deutscher, österreichischer, jüdischer oder auch tschechischer Schrift- steller bezeichnet wurde. Bei manchen Autoren ist er einfach ein Prager Schrift- steller. 1928 ist auch das Jahr, in dem auf englisch The Sentence im Druck er- schien - spätere Übersetzungen tragen den heute weit bekannteren Titel The Judg- ment - und damit faßte Kafka auch in den USA Fuß, wo übrigens einige seiner entfernten Verwandten leben, darunter angeblich (in Wisconsin) eine Schriftstel- lerin namens (Francés) Kimberly Kafka. Es war jedoch in erster Linie die Über- setzungsgabe des schottischen Dichters Edwin Muir und seiner Frau Willa, die von 1930 an die anglo-amerikanische Welt für Kafka öffneten und eroberten und

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die, zusammen mit Max Brod, einen Hauptanteil an der Weltgeltung Kafkas für sich in Anspruch nehmen können. Das Geheimnis der Verbreitung von Kafkas Werken auch in anderen Sprachen liegt zu einem guten Teil bei den Übersetzern.

Viele von ihnen haben als Schriftsteller oder Wissenschaftler Herausragendes geleistet. Zu den bereits Genannten könnte man noch eine ganze Reihe von Namen nennen; zumindest seien hier Milena Jesenskä, Bruno Schulz, Marthe Robert, Georges-Arthur Goldschmidt und Sadeq Hedayat genannt. Was gute Übersetzer betrifft, hatte Kafka also großes Glück. Noch heutzutage werden in mehreren Sprachen neue Übersetzungen auf den Buchmarkt gebracht, einerseits wegen der neuen Texte der Kritischen Ausgabe, andererseits auch wegen des sich ändernden Sprachgebrauchs im 20. Jahrhundert. Nicht einmal alle Kafka-Übersetzungen sind Übersetzungen der deutschen Originaltexte; so gibt es spanische, die aus dem Französischen übersetzt wurden, eine französische, die auf der tschechischen Übersetzung basiert, und mehrere chinesische, die die englische Übersetzung als Vorlage hatten.

In Deutschland und für die deutschen Verlage - wegen der dort schwierigen wirtschaftlichen Lage mußte Brod Verlage wechseln (auf Die Schmiede folgte Kurt Wolff, nachher kam Kiepenheuer und schließlich Schocken) - war Kafka anfangs kein Erfolgsautor. Er war eher eine Art Geheimtip eines langsam wachsen- den Leserkreises. Das hat sich erst nach dem zweiten Weltkrieg radikal geändert.

Gemessen an den verhältnismäßig geringen Bevölkerungszahlen in den skan- dinavischen Ländern erstaunt die hohe Zahl der Kafka-Übersetzungen, ohne daß eine allgemein klare Tendenz seiner Popularität erkennbar wäre. Warum z.B. in den neunziger Jahren mehr Kafka-Ausgaben in Norwegen erschienen als in Schweden oder Dänemark, ist nicht ohne weiteres zu klären.

Auch interessante, nicht allgemein bekannte Fakten tauchen hier und da auf.

Es ist zumindest erwähnenswert, daß Kafkas Bücher nicht nur im faschistischen Italien erschienen sind, sondern noch 1934 und 1935 in Deutschland und selbst in Japan (1940), als es mit dem Dritten Reich verbündet war. Fast unerklärlich ist es, daß dänische und deutsche Publikationen während der deutschen Besetzung Dänemarks und der Niederlande erschienen, als die Zensur und sicher auch Papier- zuteilungen unter deutscher Kontrolle standen.

Die Verlagsgeschichte der Werke Kafkas verdient auch Erwähnung. In den meisten Fällen gehören die Verlage zu den besten der Branche. Seit 1946 ist im deutschen Sprachraum der S. Fischer Verlag bei weitem im Vordertreffen; die Auflagen der Erzählungen und des Prozeß-Romans haben im Fischer Taschen- buch Verlag schon lange die Millionengrenze überschritten. Auch wurden Lizenz- ausgaben des S. Fischer Verlages von einigen Buchgemeinschaften herausge- bracht. Erst in den letzten Jahren sind nach Erlöschen der urheberrechtlichen Schutzfrist verschiedene Kafka-Ausgaben bei anderen Verlagen erschienen (bei Reclam, Suhrkamp, Stroemfeld/Roter Stem, Ullstein, Diogenes, im Aufbau Ver-

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lag u.a.). In den USA standen schon immer Schocken Books, in Großbritannien Secker & Warburg und Penguin Books im Vordergrund; jetzt konkurrieren auch andere Verlage, darunter sehr bekannte wie Scribner/Macmillan, A.A. Knopf/

Random House, Simon & Schuster. In neuerer Zeit sind Prager Verlage mit deut- schen und englischen Ausgaben in den Konkurrenzkampf eingestiegen. Französi- sche, italienische, japanische, koreanische, niederländische, spanische und serbo- kroatische Gesamtausgaben gibt es schon seit Jahren, doch überrascht es, daß es noch immer keine vollständige englische Gesamtausgabe gibt. In Frankreich be- herrschten Gallimard und La Bibliothèque de la Pléiade das Feld, in Dänemark und Norwegen ist es Gyldendal, in den Niederlanden Querido, in Schweden hatte Wahlström &Widstrand eine Art Monopolstellung. Dagegen sehen wir in Italien ein weit offenes Feld, beherrscht von den Namen Mondadori, Rizzoli, Einaudi, Feltrinelli, Newton & Compton, Garzanti u.a. Auch in der spanischsprechenden Welt herrscht erwartungsgemäß Vielfalt: Emecé, Alianza, Edaf, Losada, Seix Barrai, Bruguera, Akal, Teorema, Planeta sind bekannte Verlagshäuser, vor allem in Barcelona, Madrid und Buenos Aires; es sind aber auch viele andere Städte vertreten, darunter selbst Fidel Castros Havana (1968). Die Mehrzahl der portu- giesischen Bücher erscheint nach wie vor in drei Städten: Säo Paulo, Rio de Janeiro und Lissabon, was auch auf Kafka zutrifft, der vor allem in den Verlagen Brasiliense, Clube do Livro, Tecnoprint, Europa-América betreut wurde. Die Bedeutung des Portugiesischen als Weltsprache auf drei Kontinenten wird gele- gentlich noch immer unterschätzt.

In den slawischen Ländern gab es Kafka-Übersetzungen vor dem Zweiten Weltkrieg nur in der Tschechoslowakei und in Polen. Nach 1945 mußten sich alle diese Länder mit den ziemlich strikten und einschneidenden Beschränkungen des sozialistischen Realismus auseinandersetzen; Jugoslawien bildet in gewissem Sinne eine Ausnahme. Nach dem Tode Stalins wurde innerhalb des marxistischen Lagers merkwürdigerweise Kafka zum Zankapfel der Bestrebungen, den starren sozialistischen Realismusbegriff zu erweitern. Es ging unter anderem um die Ab- grenzung und vielleicht auch Neudefinierung von Begriffen wie „Entfremdung",

„Modernismus" und „Realismus". Die Beschäftigung mit dem radikalen Indivi- dualisten Kafka, dem Symbol für „Entfremdung" und „Dekadenz", wurde als westlich inspirierter Revisionismus und gleichzeitig als Kritik an der kollektivi- stischen kommunistischen Ideologie gesehen. Einige Kafka-Forscher, wie Eduard Goldstücker und Stefan Kaszyñski sprechen von der Angst der kommunistischen Welt vor Kafka: In einigen Ländern konnte Kafka jahrelang weder besprochen noch publiziert werden. Die Anzahl der Kafka-Publikationen, der Artikel und Bücher über Kafka, einschließlich der ihn ablehnenden, konnte als ein Gradmes- ser der Entstalinisierung bzw. Liberalisierung angesehen werden, sowohl in der Sowjetunion als auch in den von ihr abhängigen Staaten. Doch die „Unterdrük- kung" Kafkas war nicht total. Schon ein Jahr nach der Niederschlagung des unga-

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rischen Aufstandes wurden Kafka-Übersetzungen in Ungarn und auch in Polen gedruckt (1957), kurz darauf auch in Prag. Besonders in Polen zeigt sich eine tolerantere Tendenz auf kulturellem Gebiet; dort erreichten bis zum Ende der Achzigerjahre die Neuauflagen des Prozeß weit über 300.000, auch Das Schloß wurde in 300.000 Exemplaren gedruckt, während die polnische Sekundärliteratur - meist Rezensionen und Kurzbeiträge - immerhin mehr als 200 Titel ausmachte.

Stefan Kaszynski zählt auch Theater in acht bedeutenden polnischen Städten auf, die häufig Bühnenfassungen von Kafkas Romanen, Erzählungen und selbst der Briefsammlungen aufführten. Noch weit mehr Publikumswirkung hatten mehrere Fernsehstücke im polnischen Fernsehen. Auch im theaterfreudigen Prag gab es eine ganze Reihe von Theateradaptionen der Werke Kafkas, die im Mai 1989 in einem zehntägigen Kafka-Festival gipfelten. Erst 1962 kam das erste Kafka-Buch in der Sowjetunion heraus, und zwar auf estnisch. Ukrainische und russische Übersetzungen folgten kurz darauf. Autoren und Herausgeber brauchten Zivil- courage und eine sehr genaue Einschätzung des Risikos am Rande des vielleicht gerade noch Möglichen. Die sechziger Jahre zeigen dann fast überall die Erstar- kung liberalerer Tendenzen („Prager Frühling"); auch die ersten bulgarischen und rumänischen Übersetzungen erscheinen ungefähr zur selben Zeit wie die russi- schen. Unter diesen Umständen ist es trotz allem ein kleines Wunder, daß auch in der Sowjetunion eine Kafka-Diskussion im Gange war, an der sich selbst Funk- tionäre der Kommunistischen Partei beteiligten und daß wertvolle Beiträge zu Kafka, vor allem von Dmitrij V. Zatonskij und Boris SuCkov veröffentlicht wurden.

Nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Sturz der kommunistischen Re- gierungen zeigt sich in manchen Ländern ein größeres Interesse an Kafka, vor allem in der Tschechischen Republik, während andererseits die Beschäftigung mit Kafka in der Slowakei eher geringer ausfallt; allerdings können die meisten Slowaken ohne Schwierigkeiten auch die tschechischen Übersetzungen und Werke über Kafka lesen, der außer seinem Sanatoriumsaufenthalt in Matliary wahrschein- lich keine Beziehung zu Slowaken hatte.

Die geringe Zahl der ukrainischen Übersetzungen sollte auch nicht über- raschen, denn die russische Sprache und russische Bücher sind überall in der Ukraine nach wie vor weit verbreitet. Nicht nur in Kafkas Heimat, auch in Ruß- land und Polen ist nach 1989 ein Nachholbedarf festzustellen. Bei der Durch- sicht, Aufarbeitung und Übersetzung des in Böhmen noch vorhandenen Archiv- materials haben sich in den letzten Jahren mehrere tschechische Wissenschaftler hervorgetan. Es ist auch erfreulich zu sehen, daß die tschechische Franz Kafka- Gesellschaft unter anderem von der tschechischen, deutschen und österreichi- schen Regierung unterstützt wurde. Die Herausgabe einer tschechischen Gesamt- ausgabe ist in Prag in vollem Gange.

Auch zahlenmäßig kleine Nationen, wie Finnland, haben große Teile der Werke Kafkas publiziert und nachgedruckt. Selbst Island mit einer Bevölkerung von

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etwa 270.000 Einwohnern hat einiges von Kafka übersetzt und publiziert. In Maze- donien (ab 1962) sowie in den anderen Ländern des damals größeren Jugoslawien, einschließlich Slowenien und Bosnien-Herzegowina, wurden zahlreiche Werke Kafkas gedruckt; in Belgrad und in Zagreb schon seit 1953. Bis zum Ende der sechziger Jahre waren fast alle Werke Kafkas in serbokroatischer Übersetzung erhältlich. In diesem Zusammenhang hebt Mirko Krivokapiö auch den Einfluß der Belgrader und Zagreber Germanisten hervor; nach 1969 gehörte Der Prozeß zur Pflichtlektüre an serbischen Gymnasien.

Unter den mohammedanischen Ländern steht die Türkei bei weitem an der Spit- ze. Doch hat ein Diplomat in Deutschland es sich zum Ziel gesetzt, alle Werke Kaf- kas ins Arabische zu übersetzen. Man sollte ihm Glück und Ausdauer wünschen.

Der erweiterte Teil des Primärliteraturbandes zeigt aufgrund der neu hinzu- gekommen Sprachen, in denen Franz Kafkas Literatur übersetzt wurde, bei chro- nologischer Betrachtung der Übersetzungs- und Rezeptionswellen eine interes- sante Kafka-Geographie: es wird klar, daß Kafka in anderen Kontinenten und Breitengraden ebenso zuhause ist wie in Europa und Nordamerika. Die Deutung einiger zunächst trocken erscheinender statistischer Zahlen führt zu überraschenden Aufschlüssen, von denen hier einige Beispiele geboten werden. Die Auflagenhöhen der gedruckten Kafka-Publikationen in Buchform, in Zeitschriften und Zeitungen auch nur annähernd abzuschätzen, ist unmöglich. Aber ein kurzer statistischer Überblick über die Anzahl der Kafka-Ausgaben in dieser Bibliographie, ein- schließlich der Neuauflagen und aufgeschlüsselt nach Sprachen, ergibt beispiels- weise folgendes Bild für die Kategorie „Vermischte Sammlungen":

Zahlenmäßig liegt Deutsch an der Spitze, dicht gefolgt von Spanisch, Englisch und Italienisch, und dann plazieren sich erst mit einigem Abstand Französisch und Portugiesisch. Diese Bibliographie enthält unter „Vermischte Sammlungen"

194 deutsche, 188 spanische, 100 italienische, 87 englische, 72 französische, 43 portugiesische, 39 japanische, 26 schwedische, 14 norwegische und 9 serbo- kroatische Publikationen. Zahlen und eine Reihenfolge, die man nicht unbedingt erwartet hätte. Beim Prozeß verhalten sich die Zahlen folgendermaßen: Deutsch 78, Englisch 61, Spanisch 43, Italienisch 35, Französisch 28, Portugiesisch 25, Serbo- kroatisch 24, Niederländisch 18, Schwedisch 17, Norwegisch 16 und Japanisch 9.

Die Zentren der Kafka-Wellen in Asien sind Japan und vor allem Korea. Es überrascht, wie schon oben erwähnt, die fast unglaubliche Zahl der koreanischen Übersetzungen, die detailliert bibliographisch erfaßt sind, doch hat auch Japan fast alles von Kafka übersetzt und hat darüber hinaus auch zur Forschung bei- getragen. Die ersten koreanischen Übersetzungen erschienen bereits im Juni 1955 in der Zeitschrift Munhak-Yeschul, nur zwei Jahre nach dem Waffenstillstand in Korea; vielleicht hat hier ähnlich wie in Europa nach 1945, auch eine skeptische Nachkriegsgeneration Kafka entdeckt. Die Kafka-Rezeption beginnt in der Volksrepublik China eigentlich 1979, also erst nach der Kulturrevolution und xxii

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hält sich in viel engeren Grenzen. Einige Übersetzungen basieren auf englischen Texten. Eine frühere chinesische Kafka-Übersetzung war nur einem Kreis von Parteimitgliedern zugänglich (Tingfang Ye in: Das Phänomen Franz Kafka). Die neunziger Jahre zeigen jedoch ein gewaltiges Ansteigen des Kafkainteresses in diesem Land. In Taiwan erschienen die ersten Übersetzungen von Erzählungen 1960. Jedoch stehen einige Länder Asiens westlichen literarischen Einflüssen noch immer skeptisch gegenüber. Afrikas politische und wirtschaftliche Krisen erschweren es wahrscheinlich, sich mit einem mitteleuropäischen Schriftsteller auseinanderzusetzen, aber Ausnahmen bestätigen die Regel, z.B. Camara Layes von Kafka beeinflußter Roman Le Regard du roi.

Auffällig ist dann beispielsweise auch, daß Norwegen im Herbst 1933 eine Prozeß-Übersetzung veröffentlichte, die in 29 „anonymen" Rezensionen ein Echo fand (Harry Järv).

In Rumänien druckte im Jahre 1964 die Zeitschrift Secolul 20 Übersetzungen einiger Erzählungen, und im dritten Band der Jassyer Beiträge zur Germanistik erschien eine rumänische Kafkabibliographie mit 102 Titeln Primär- und Sekundär- literatur. Sogar in der Provinz Kosovo gab es 1972 eine albanische Übersetzung des Prozeß, 1980 gefolgt vom Schloß-Roman.

Die erste katalanische Übersetzung von Ein Brudermord erfolgte schon 1924 in Spanien, doch die südamerikanischen Länder und Mexiko haben Kafka eine nie geahnte neue Heimat geboten. Der zweite, neue Teil der Primärbibliographie stellt dies umso anschaulicher z.B. in den Listen der „Vermischten Sammlungen"

dar. In der Spanisch sprechenden Welt haben Spanien und Lateinamerika unter- schiedliche Entwicklungen durchgemacht. Spanien zeigt ein frühes, doch nicht lange währendes Interesse an Kafka in den zwanziger Jahren, das sich später nach Argentinien verlagert, wo Buenos Aires von 1936 an das Zentrum einer regen Übersetzer- und Publikationstätigkeit wird. Bedeutende Schriftsteller, wie Edoardo Mallea und Jorge Luis Borges, und Übersetzer, vor allem David J. Vogelmann, widmen sich Kafka. Von Argentinien aus verbreitet sich Kafka in den fünfziger- und sechziger Jahren über die anderen lateinamerikanischen Länder. Erst Mitte der sechziger Jahre verlagert sich der Schwerpunkt der Kafkapublikationen zu- rück nach Spanien und erreicht in den folgenden zwei Dekaden ihren Höhepunkt, um in den neunziger Jahren rapide abzunehmen. Vielleicht könnte man hinzu- fügen, daß zur Zeit des Nationalsozialismus und Totalitarismus in Europa Kafka in spanischer Übersetzung begeisterte Leser gefunden hat.

Bis zum Ende der sechziger Jahre war Französisch nach Deutsch und Englisch die wichtigste „Kafkasprache", nachher haben die spanischen und italienischen Ausgaben die französischen überflügelt.

Neben diesem Beispiel einer unvermindert anhaltenden Kafkavereinnahmung sind andere interessante Rezeptionssituationen zu verbuchen, die vom Westen unbemerkt und bis zum Fall des Kommunismus unbekannt waren. Es gehören

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hierzu die Übersetzertätigkeiten der Tschechoslowakei, Bulgariens und Rumäni- ens, die eine bunte Palette von Kafkas kleinerer Prosa in Übersetzung in ver- schiedenen Zeitschriften und Sammelbänden herausbrachten. Erstaunlich war die Tätigkeit privater Bibliographen, wie im Falle des Arztes und Dichters Petr Sevòik aus Ostrava (früher auch Mährisch Ostrau), der seine maschinengeschrie- bene Sammlung von etwa 245 Seiten nach der Öffnung zum Westen großzügig für die gegenwärtige Bibliographie zur Verfügung stellte.

Die Entwicklung im deutschen Sprachraum konnte an die noch literarisch täti- gen Zeitgenossen Kafkas anknüpfen und zeigt ab 1946 eine ständig ansteigende Tendenz. Auch die junge Nachkriegsgeneration von Schriftstellern fand, auf der Suche nach neuen Vorbildern, ein Verständnis für Kafka und kam zu Wort. Die Statistik der letzten zwei Jahrzehnte wird auch durch die Herausgabe der Kriti- schen Ausgabe mit ihren zahlreichen Kommentar- und Apparatbänden beeinflußt.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die deutsche Literaturforschung Wesent- liches zum Thema Kafka und damit zur Literaturwissenschaft des 20. Jahrhunderts beigetragen hat. Mit deutschen Geldmitteln wurden wertvolle Manuskripte, z.B.

die des Prozeß oder Kafkas Bibliothek erworben. Kafka ist als moderner Klassiker vorrangig Forschungsobjekt geworden, dazu ein beliebtes Dissertationsthema und Schullektüre im Deutschunterricht. Die geistige Elite einer langen Epoche, Schriftsteller, Literaturhistoriker, Künstler, Philosophen, Denker und Intellektu- elle vieler Nationen sind von Kafka inspiriert worden. Übersetzungen in mehr als vierzig Sprachen sind ein bleibendes Denkmal für einen Großen der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts.

Sprechen wir von einer Bestandsaufnahme am Ende des 20. Jahrhunderts, so ist zu erwarten, daß auch die Textwirkung der Brodschen Ausgaben zu Ende geht. Das 21. Jahrhundert wird sich wohl oder übel mit den in den letzten zwei Jahrzehnten erarbeiteten kritischen Werkausgaben auseinandersetzen müssen.

Kafka ist, wie etwa Shakespeare, Dante und Molière, zum Gemeinbesitz der kul- tivierten Welt geworden. Die Bibliographie soll auch diesen Zustand ausdrücken, ebenso wie sie jenen Ländern und Sprachgebieten als Anregung dienen soll, die noch keine Kafka-Bibliographie erstellt haben. Die Autoren möchten zu guter Letzt wiederum ihren Familien für die Geduld danken, mit der sie auch die Arbeiten zur zweiten Auflage begleitet haben und widmen sie ihnen.

Maria Luise Caputo-Mayr Julius M. Herz New York Riegelsville, PA

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