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P. W. Schmidt, S. V. D., Der Ursprung der Qottes-
idee. Eine historisch-kritische und positive Studie.
I. Historisch-kritischer Teil. Zweite, stark vermehrte
Auflage. Münster i. Westf., Verlag der Aschendorff¬
scben Verlagsbuchhandlung. Gr. 8°. XL u. 832 S.
22,50, geb. 25,—.
Die erste, seit Jahren bereits vergriffene Auflage dieses
Werkes ist 1912 (nicht, wie der Verf. in der Vorrede zur zweiten
S. XI schreibt, 1913) erschienen. Wer sie gelesen, d. h. so
gelesen, daß er sich ihr Gedankengut zu eigen gemacht hat.
der kann sich jetzt, wenn er S. 230—235 (Der heutige Stand
der Frage nach den Anfängen der gesellschaftlichen Entwick¬
lung), S. 510—514 (J. G. Fsazeb) und S. 563—567 (R. Kakutz)
herauspickt, die Lektüre bis S. 577 schenken und gleich mit
S. 578 beginnen. Von da ab bis zum Ende des eigentlichen
Textes (S. 803) — was dahinter steht, sind Register und eine
Karte von Südostaustralien — ist alles Neuanbau. Von 510
auf 832 Seiten angeschwollen, bezeichnet die neue Auflage
sich mit Fug als stark vermehrte. War schon die erste ein
Schlachtfeld, dessen Erde dampfte vom Blute der Erschlagenen,
der von P. W. Schmidt, S. V. D., Erschlagenen, so gilt das von
dieser zweiten Auflage, in der er — Pardon wird nicht ge¬
geben ! — sein grimmes Kämpfen weiterführt, noch sehr viel
mehr. Der Wiener Professor, ganz und gar nicht angekränkelt
von Wiener Gemütlichkeit, ist mittlerweile anderthalb Jahr¬
zehnt älter, aber in dieser Zeit auch nicht um eine Nuance
weicher und milder geworden. Auch längst zum ewigen Frieden
Eingegangenen gegenüber nicht. Er bringt es noch 1926 fertig.
S. 116 f. Anm. 3 unverändert wieder drucken zu lassen, was
er 1912 — schon da nicht recht schön — gegen W. Bousset
in Hitze des Gefechts geschrieben. Und die neue gegen den
Toten gerichtete Auslassung S. 81, Anm. 1 — kleineren Ein¬
schaltungen begegnet man doch da und dort in dem sonst
unverändert wieder übernommenen Texte der ersten Auflage,
siehe z. B. S. 189 ff. oder die Polemik gegen Wobbeemin —,
im Buche eines christlichen Theologen stehend, das von Anfang
bis zum Ende vom Höchsten guten Wesen redet, das, selber
gut, auch von den Menschen will, daß sie gut und gütig seien,
muß einen anders Veranlagten geradezu erschrecken. Führt
das Autorenregister der ersten Auflage 250 Namen auf, so
das der zweiten Auflage die doppelte Zahl. Die wenigsten
von ihren Trägern — so z. B. ganz gewiß nicht Ed. Eekes —
werden sich groß beglückt fühlen, von P. Schmidt berück¬
sichtigt worden zu sein. Sein Werk, zu wohl bekannt, als
daß es noch erst des Vorgestelltwerdens bedürfte, hat schon
bisher vielen von uns gute Dienste getan. Es ist als ein un¬
gemein kenntnisreicher kritischer Forschungsbericht allgemein
anerkannt. Die Neuauflage aber ist zur Genüge charakteri¬
siert, wenn ich sage: dieser Forschungsbericht ist in ihr up
to day gebracht. Wer die erste Auflage studiert hat, wird
hiernach wissen, daß er die zweite um des ihr neu zugewachsenen
Stoffes willen — es ist ein sehr erheblicher Zuwachs — nicht über¬
sehen darf. Täte er's, er täte sich's zum Schaden. H. Haas
Geoeg Steindoeef, Die Kunst der Ägypter. Bauten, Plastik,
Kunstgewerbe, mit 17 Ahhildungen im Text und 200
Bildtafeln. Insel-Verlag zu Leipzig 1928.
Ein neues Buch über die Kunst der Ägjrpter bedarf heute
fast einer Rechtfertigung, denn kaum irgend ein Land und
Volk des Altertums findet so viel kundige Schilderer und
begeisterte Verkünder seiner Geschichte, seiner Art, seiner
Leistungen wie gerade Ägypten, und selbst nüchtern-kritische
Beurteiler wie Woeeingee helfen doch Ägyptens Ruhm zn
verbreiten, auch er im Grande nicht so widerstrebend wie es
70 Anzeigen
zunächst erscheinen mag. Vieles rührt dem heutigen Menschen
an die Seele oder ist seiner Weise zu sehen und zu bilden
gemäß ; so fühlt er sich den Ägyptern näher als den Griechen
und kann gar nicht genug von ihnen sehen oder hören. Über¬
dies haben gerade die Ägyptologen sich erfolgreich bemüht,
dieser Neigung entgegen zu kommen, und haben dem gebildeten
Leser viele und gute Bücher geschenkt. Fast dürfte man
sagen: zu viel, wenn man bedenkt, daß gleichzeitig mit der
Vorliebe für Ägypten eigentlich überall die Lust an der Ge¬
schichte erlischt und vieUeicht schon in naher Zeit nur noch
einige Fachleute und ein kleiner Freundeskreis sich solchen
Dingen offen halten werden. Um so mehr kommt es jetzt
darauf an, das Unvergängliche — und das ist eben die ägyp¬
tische Kunst — als ein Gegenwärtiges zu zeigen und über
allen Wandel der Zeitströmungen hinweg lebendig zu erhalten.
Das neue Buch bringt wirklich etwas Besonderes und
Eignes, nämlich abgesehen von seiner schönen Ausstattung in
Text und Bildern, von seiner wohltätigen Kürze und seinem
erschwinglichen Preise die Einfachheit. Es enthält keine Kunst¬
geschichte und keine Kunsttheorie, unterscheidet sich also sehr
deutlich von H. Schäfee's Schriften, zuletzt seiner Kunst¬
geschichte im Propyläen-Verlage. Steendoeff teilt nach den
Kunstwerken ein in Bauten, Plastik und Kunstgewerbe, nach
einem Gesichtspunkte, der weder aus der Geschichte, noch aus
einer Kunsttheorie herstammt, sondern rein der Handlichkeit
für den Leser entspricht. Daß er innerhalb der Gruppen die
Zeitfolge einzuhalten sich bemüht, versteht sich beinahe von
selbst, und so fehlt es natürlicherweise nicht an kunstgeschicht¬
lichen Linien, die eine Zeittafel 100 ff. noch verstärkt. Aber
in der Hauptsache begleitet der Text doch die ebenso schönen
wie gut gewählten Bilder als ein klarer und schlichter Dol¬
metscher dessen, was sie dem Laien nicht ohne weiteres sagen.
Mit Recht hat der Verfasser seinem Buche ein Wort Goethes
vorangestellt, das eindringlich mahnt, erst den Buchstaben zu
verstehen, bevor man „auf Geist und Empfindung" dringe.
Dazu will er seinen Lesern, die vor allem Schauer sein sollen,
mit einer leicht faßlich geschriebenen Belehrung helfen, denn
vor allem anderen müssen sie erst einmal wissen, was sie vor
sich sehen. Der gebildete Laie, der ägyptische Kunstwerke
in einem Museum oder womöglich in Ägypten selbst betrachten
will, hat kaum jemals die Zeit, sich in Geschichte und Philo¬
sophie der Kunst zu vertiefen; soll er darum des Führers
entbehren? Wer aber die Werke der Ägypter gesehen hat
und seine Erinnerung befestigend vertiefen will, wird dankbar
sein, wenn diese Bilder und dieser Text ihm ohne Umstände
dazu verhelfen. Einzelnes herauszugreifen hat keinen Sinn,
wenn das Ganze in jeder Beziehung so leicht zugänglich ist
wie hier; der Kundige schlägt von selbst das auf, was Ägyptens
Größe und Schönheit ausmacht, sei es der Felsentempel der
Hatschepsut in Der el bahri (120/21) oder ein hockender Ibis
aus Bronce (309), und den Unkundigen möchte ich nicht mit
Namen oder preisenden Worten abspeisen, sondern zum Sehen
und Lesen einladen. Gesagt sei nur, daß auch die neuesten
Entdeckungen nicht fehlen, weder die Schätze Tutanchamuns
noch die anmutigen Wunderbauten des alten Imhotep um die
Stufenpyramide von Sakkära, die immer deutlicher machen,
was die dritte Dynastie, man wagt zu sagen, was der kühne
Geist jenes Imhotep für die Entfaltung der ägyptischen Kunst
bedeutet.
Möge Steindoeff's Buch vielen ein Wegweiser zu der
überraschend hellen Erkenntnis werden, die schon Herder ge¬
wonnen hatte, der doch fast nichts kannte; möge es dazu an¬
leiten, die Ägypter „nach ihrer eigenen Natur und Art" zu
beurteilen. W. Schubart
De Vries, Levie, Een hypermodern geluid in de wereld
van den Isläm. — Leiden, E. J. Brill, 1926. VIII u. 85 S.
Die Abschaffung des Chalifates durch die türkische National¬
versammlung im März 1924 hatte im Orient eine lebhafte
Diskussion über die Chalifatsfrage zur Folge. Es sei nur an,
den Cairener Chalifatskongreß vom Mai 1926 und an die weit¬
verbreiteten Bücher von Barakatullah und Sanhoury erinnert.
Ganz besonderes Aufsehen hat aber begreiflicherweise in musli- ,
72 Aozeigen
mischen Kreisen eine kleine arabische Schrift des Richters und
Professors an der Azhar, 'Abd ar-Räzik, hervorgerufen, die
1925 unter dem Titel al-Isläm wa-'ufül al-hukm „Der Islam
und die Grundlagen der Regierungsgewalt" in Cairo erschien.
Sie hat Aufsehen erregt, weil ihr Verfasser zu dem fiir den
orthodoxen Islam überraschenden Ergebnis kam, daß die Auf¬
gabe Muhammeds eine rein religiöse gewesen und das Chalifat
in der Lehre des Islam nicht begründet sei.
Es ist sehr verdienstlich, daß der Inhalt dieser kleinen
Schrift, die für den Verfasser die Amtsentsetzung und Ver¬
urteilung durch den „großen Rat der Schriftgelehrten" zur
Folge hatte, von L. de Veies in dem vorliegenden Buch aus¬
führlich mitgeteilt und besprochen wird.
Nach einer Einleitung, die die erwähnten nackten Tat¬
sachen berichtet (S. 1—3), folgt ein längeres sehr gut orien¬
tierendes Kapitel über die Geschichte des Chalifates (S. 4—37),
wie sie uns heute, besonders dank den grundlegenden Arbeiten
von Snouck Huegeonje, verständlich geworden ist. Hier werden
auch die — wesentlich negativen — Ergebnisse des Chalifats-
kongresses, sowie die der eingangs genannten beiden Bücher
mitgeteilt. Dann kommt als Hauptteil der Arbeit eine Analyse
und Kritik der Schrift von 'Abd ar-Räzik (S. 38—83) und
ein kurzer Schluß, der die vom Rat der Schriftgelehrten be¬
anstandeten Thesen und 'Abd ar-Räzik's Antworten enthält.
Die beiden wichtigsten Punkte, die in der Analyse ein¬
gehend erörtert sind, sind die folgenden zwei Thesen: 1. 'Abd
ar-Räzik besjreitet, daß die Einrichtung des Chalifates zu den
gesetzlichen Pfiichten der Gemeinde gehöre; und 2. er be¬
hauptet, daß Muhammed nur Leiter der religiösen Einheit der
Muslime gewesen sei, nicht aber Stifter eines eigentlichen
Staates.
Wir verbinden die Beurteilung der Frage, ob und inwie¬
weit ihm der Beweis für diese seine Thesen geglückt ist, am
besten mit der Kritik des Verfassers. De Veies glaubt nach¬
weisen zu können, daß der Beweis in keinem der beiden Punkte
gelungen sei. Der zweite Punkt ist natürlich eine rein histo¬
rische Frage. Es ist de Veies zweifellos geglückt, eine ganze
1 4
Reilie von schwachen Punkten in 'Abd ar-Räzik's Ausführungen
nachzuweisen. Und im Grunde dürfte de Vkies' Auffassung
der historischen Vorgänge im Wesentlichen richtig sein. Er
selbst betont an mehr als einer Stelle, daß die Maßnahmen
Muhammeds auf religiösen Gründen beruhten, auch wo sie
politischer Art waren. Aber seine polemische Stellung bedingt
gewisse Formulierungen, die mir kaum weniger schief zu sein
scheinen als — nach seinen Ausführungen — die des arabi¬
schen Scheichs. So z. B. S. 78 Mitte, wo er die Tatsache,
daß die Personen, denen die Ausführung der gesetzlichen Be¬
stimmungen oblag, zugleich religiöse Aufgaben hatten, damit
begründet, daß der durch Muhammed gegründete Staat theo¬
kratischen Charakter gehabt habe. In unserem Zusammenhang
wäre es m. E. richtiger, zu sagen, daß die kirchlichen und
staatlichen Funktionen in einer Hand vereinigt waren, weil
die durch Muhammed gestiftete Kirche, durch die Verhältnisse
gezwungen, die Form eines Staates annahm. Auch daß die
sog. Gemeindeordnung von Medina eine politische, nicht eine
kirchliche Gemeinde voraussetzt, kann m. E. nicht dagegen
sprechen; auch hier ist Muliammed seine politische Tätigkeit
Mittel zu seiner religiösen Aufgabe. Der Unterschied der An¬
schauung ist, wie man sieht, gering. Aber hier, in der Polemik,
gewinnt die Nuance Bedeutung. Ich freue mich feststellen
zu können, daß auch de Veies dem religiösen Moment das
Prius vor dem politischen zuerkennt (nicht bloß in zeitlichem,
sondern auch in prinzipiellem Sinn). Aber mir scheint, der
polemische Standpunkt von de Veies verhindert ihn zu er¬
kennen, daß der Unterschied zwischen seiner und 'Abd ar-
Räzik's Auffassung gar nicht sehr groß ist. Man darf auch
nicht vergessen, daß 'Abd ar-Räzik's Schrift nicht eine neutrale
historische Untersuchung ist, sondern eine praktisch-politische
Tendenzschrift. Seine Ausdrucksweise ist oftmals anfechtbar;
aber in der Richtung, die er verfolgt, dürfte er den Tatsachen
doch wohl näher kommen, als seine Gegner aus dem altgläubigen
Lager, mag er auch in seinen Schlüssen bisweilen zu weit
gehen. Wenn de Veies die Frage, ob die Stiftung eines Staates
zu Muhammeds „missie" (Sendung) gehörte, ruhig bejaht, so
74 Aozeigen
scheint mir ihre Formulierung schon vom historischen zum
weltanschaulichen Standpunkt hinüberzuführen ; ich würde sie
als Nichtmuslim so lieber weder stellen noch beantworten.
Noch entschieden stärker fällt die Stellungnahme von
DE Veies gegenüber der ersten These 'Abd ar-Räzik's auf.
Nach dem m. E. richtigen Urteil, das de Veies S. 28 über
das Chalifat fällt, daß der Islam als solcher durch seine Ab¬
schaffung keinerlei Schaden leide, würde man vermuten, daß
er dem Versuch eines Muslim, zu zeigen, daß das Chalifat für
den Islam nicht unentbehrlich sei, warmes Verständnis ent¬
gegenbringen werde. Er bestreitet aber die These 'Abd ar-
Räzik's ganz entschieden. Seine Erklärung, daß die Einrich¬
tung des Chalifats im 'idschmä' begründet sei, ist nun freilich
ganz richtig. Aber 'Abd ar-Räzik lehnt ja gerade den 'idschmä'
ab (S. 45 unten). Trotzdem kann sich de Veies nicht vom
'idschmä' trennen. Wie völlig er auf dem alten orthodoxen
Standpunkt steht, zeigt S. 50, wo er sagt: „Verwirft man in
diesem Fall den Consensus, so wird man die Kraft dieses Lehr¬
stücks auch auf anderem Gebiet ablehnen müssen; ja dann
stellt man die ganze Praxis des muslimischen Gesetzes auf
ein unsicheres Fundament"^). Vermutlich gründet sich auf
diese Position von 'Abd ar-Räzik die Charakterisierung seiner
These als „hypermodern".
Ja, ist denn die Ablehnung des 'idschmä' etwas so völlig
Neues? Ganz zu schweigen davon, daß die Hanbaliten sich
immer dagegen zur Wehr setzten, haben doch längst die
indischen sog. Neu-Mu'taziliten ihn in weitem Umfang abgelehnt,
aber auch ein so maßvoller Mann wie Muhammed 'Abduh und
seine einflußreiche Schule. Schon vor dem politischen Umschwung
in der Türkei konnte Alimed Muhiddin feststellen, daß dort
unter den verschiedenen religiösen Richtungen die alt-orthodoxe,
die das islamische Gesetz für unabänderlich bindend erachtete,
keine wesentliche Bedeutung mehr habe. Moslem World schätzt
1) jVerwerpt meu iu dit geval deu consensus, dan zal meu niet
kuunen nalaten de kracht van dat leerstuk ook op ander gebied te ont- kennen, ja, dan plaatst men de geheele practijk der Muhammedaansche wot op een wankelbaar voetstuk . .
die Zahl der „modernen" Muslime auf 6—10 Millionen (H.
Lammens, L'Islam, S. 245). Angesichts dieser Tatsachen ver¬
mag ich die Stellungnahme des ägyptischen Scheich im Rahmen
der heute in der Welt des Islam lebenden Ideen schlechter¬
dings nicht hypermodern zu finden. Er zieht vielleicht zum
erstenmal auf einem gewissen Punkt die Konsequenzen aus Grund¬
sätzen, die auf anderen Gebieten doch längst von vielen und
angesehenen Muslimen angenommen sind. Ja, in vielen Einzel¬
heiten scheinen mir seine Argumente den Stempel des isla¬
mischen Modernismus von Gestern zu tragen. Ist doch heute
der Standpunkt einer wirklich historischen Auffassung keines¬
wegs unerhört, die auch vor Gesetzesbestimmungen nicht halt¬
macht, die nicht auf den 'idschmä', sondern sicher auf den
Propheten selbst zurückgehen, indem sie sie als zeitgeschicht¬
lich bedingt ansieht.
Die Geister sind heute in der Welt des Islam rege ge¬
worden. Der Modernismus hat die unverkennbare Tendenz
auf eine Säkularisierung des Lebens, auf eine Heraushebung
des Religiösen aus den übrigen Sphären des menschlichen Lebens.
'Abd ar-Räzik's Schrift paßt vollkommen in diesen Rahmen
hinein. Es ist ein interessantes und ergreifendes Schauspiel,
zu sehen, wie ernst heute Männer, die sich als gute und ortho¬
doxe Muslime fühlen, aber von der Notwendigkeit modernen
Fortschritts überzeugt sind, mit den schweren Problemen ringen,
vor die sie die Geschichte der islamischen Welt gestellt hat.
Wir sind L. de Vries dankbar, daß er uns das an einem so
akuten Beispiel deutlich gezeigt hat. Aber unverständlich
bleibt mir, wie ein Abendländer, der doch in der Erscheinung
des Protestantismus, zumal des modernen Liberalismus eine
in manchem zweifellos zutreffende Parallele zum islamischen
Modernismus kennen sollte, sich bei dessen Beurteilung so aus¬
schließlich auf den Standpunkt der alten Orthodoxie stellen
kann. Es handelt sich hier um Kämpfe, die die Welt des
Islam innerhalb ihrer Grenzen ausfechten muß. Und es ist
m. E. nicht unsere Sache uns hier einzumischen. Was wir
können und dürfen, das ist, mit innerer Anteilnahme den Kampf
verfolgen, der, wenn nicht alles trügt, trotz des Cairoer Ketzer-
1 h *
76 Anzeigen
gerichts im Grundsatz doch schon jetzt zur Anerkennung
des Modernismus als auch berechtigt in der islamischen Gro߬
kirche geführt hat.
Heidelberg. R. Habtmann
Tritton, A. S., The Rise of the Imams of Sanaa. London,
H. Milford, Oxford Univ. Press, 1925. VI u. 141 S.
Über die Geschichte des zaiditischen Fürstentums der
neueren Zeit in Jemen, das auch in der türkischen Politik
des 19. und 20. Jahrh. und noch im Weltkrieg eine nicht
unbeträchtliche Rolle gespielt hat, ist von abendländischer
Seite verhältnismäßig wenig gearbeitet worden. Zwar liegt
in Rutgees' Historia Jemanae sub Hasano Pascha (Leiden
1838) eine sehr gute Bearbeitung einer arabischen Haupt¬
quelle vor; aber sie behandelt nur den kurzen Zeitraum 988
bis 993 (1580—1585). Dann hat der unermüdliche Wüsten¬
feld in verschiedenen Arbeiten die hierher gehörigen Bio¬
graphien des 11. Jahrh. aus Muhibbi mitgeteilt. Zusammen¬
fassend ist über die Geschichte der osmanischen Besetzung des
Jemen und seiner Befreiung durch die zaiditischen Imame
eigentlich nur von türkischer Seite gearbeitet worden. Vor
allem ist hier das — auch in anderer Hinsicht wichtige —
Buch Ta'richi Jemen we-San'a von Ahmed Eäschid (Stambul
1291) zu nennen, das — aus zahlreichen arabischen Quellen
schöpfend — wohl auch für diese Periode noch immer die
Grundlage weiterer Untersuchungen zu bilden hat. Die jüngere
Arbeit von 'Ätif Pascha, Jemen Ta'richi (I, Stambul 1326)
ist sehr viel kürzer.
Die vorliegende Arbeit von Tritton beruht im Wesent¬
lichen auf einer jungen Handschrift im Besitz der Universität
Edinburgh, die, wie Verf. aus einem Zitat in British Museum
3329 feststellen konnte, das Werk eines Ahmed b. Muhammed
b. §aläh asch-Scharafi ist. Daneben hat Verf. auch drei Hand¬
schriften des British Museum verglichen, vcn denen die wich¬
tigste wohl das — vom türkischen Standpunkt geschriebene
— Rauh ar-Rüh (s. Beockelmann II, 402) ist, das anch Ahmed
1 * *
Eäschid neben anderen benützt hat. Auch die abendländischen
Arbeiten sind von Tbitton gewissenhaft verglichen ; dagegen
scheint ihm die türkische Literatur unzugänglich geblieben
zu sein.
Das Buch scheint im Wesentlichen — leider äußert sich
Tbitton über seine Methode selbst nicht deutlich genug —
eine auszugsweise Wiedergabe des Inhalts der Edinburgher
Handschrift zu sein. Und die anderen Quellen scheinen in der
Tat nur, wie er sich in der Introduction ausdrückt, zur Kon¬
trolle beigezogen zu sein. Es gibt uns ein überaus reiches
Material zur Kriegsgeschichte der zaiditischen Aufstandsbe¬
wegung vom Auftreten des Imams al-Qäsim bis zum Ende der
türkischen Herrschaft (etwa 1005—1045 H.). Insofern ist
das Buch sehr erfreulich. Leider aber scheint mir die Methode
der Bearbeitung nicht ganz glücklich, sofern der Leser erst
selbst herausfinden muß, wo die arabische Chronik, wo Tbitton
spricht. Das gelingt wohl meist, wenn man einmal eingelesen
ist; aber es kostet erhebliche Mühe, und im Anfang weiß
man nicht recht, wie das Buch zu verstehen ist. Weiter
sind die einzelnen Notizen über die Kämpfe anscheinend
einfach in derselben Weise nebeneinander gestellt, wie sie
in der Handschrift stehen. Die Folge ist, daß der Leser
zunächst vor einem überwältigenden Chaos von Personen-
und Ortsnamen steht, mit denen er nichts anzufangen weiß;
und Tbitton verzichtet leider darauf, ihm hier ausreichend
Hilfe zu gewähren. Gewiß dürfte es nicht leicht sein, die
zahllosen Kampfhandlungen des Guerilla-Krieges auf einer so
ausgedehnten Fläche in einen klaren inneren Zusammenhang
zu bringen. Er ist wohl auch tatsächlich nicht immer vor¬
handen ; das bringt die Natur des Landes und der Charakter
seiner Bevölkerung mit sich. Aber schließlich gehört es doch
zum Wesen einer Bearbeitung, wenigstens den Versuch zu
machen, aus den Einzelnotizen ein Gesamtbild zu gewinnen
oder doch wenigstens sie zu gewissen Hauptlinien zu ordnen;
etwas mehr Übersichtlichkeit wäre zweifellos auch trotz der
Sprödigkeit des Gegenstandes leicht zu erreichen gewesen.
Wünschenswert wäre in hohem Maß die Beigabe einer Karte ;
78 Anzeigen
aber selbst wenn das nicht möglich war, ja dann erst recht,
mußte und konnte dem Leser die Aufgabe merklich erleichtert
werden. So wie das Buch vorliegt bietet es wertvolle Materi¬
alien zu einer Geschichte des Aufkommens der Zaiditenmacht,
nicht diese Geschichte selbst. Im Übrigen scheint die Arbeit
recht gewissenhaft ausgeführt. Auch das neunte Kapitel, das
etwas aus dem Rahmen herausfällt, das man aber nicht missen
möchte, mit seinen Notizen zum „Religions and social Life",
der Anhang über die Sprache der Handschrift, über Maße und
Münzen und der Orts- und Stammnamen-Index bestärken diesen
Eindruck. Wenn das Buch also auch nicht das ist, was man
nach dem Titel erwarten würde, ist es doch recht dankens¬
wert und nützlich.
Heidelberg. R. Habtmann
Wreszinski, Walter: Bericht über die photographische
Erpedition von Kairo bis Wadi [lalfa zwecks Abschluß
der Materialsammlung für meinen Atlas zur altägyptischen
Kulturgeschichte. 105 S. 77 Taf. 4". = Schriften der
Königsberger Gelehrten Gesellschaft. Geistesw. Kl. IV. H. 2.
Die trefifliche Denkmälerpublikation, die Wr. in seinem Atlas
zur altä;gyptischen Kulturgeschichte geboten hat, wies trotz aller
Reichhaltigkeit eine empfindliche Lücke auf, indem sie in ihrem
ersten Bande ihr Material im wesentlichen den Gräbern der theba¬
nischeu Nekropole entnahm. Der zweite Band, der die ausgezeichneten Aufnahmen des Photographen der Berliner ,Fremdvölker-Expedition"
Friedrich Koch verarbeitete, vermochte diesen Mangel nicht auszu¬
gleichen, da die Stofi'auswahl durch die besonderen Zwecke dieses
Unternehmens bestimmt war. So bedurfte das Wr. vorliegende
Material einer umfassenden Ergänzung. Sie zu schaflfen hat Wr.
mit Unterstützung der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft
eine photographische Expedition unternommen, die ihn bis Wadi
Haifa führte. Der vorliegende Bericht gibt in Tagebuchform einen
Überblick über Ablauf und Arbeiten der Expedition. Auch an
Schilderung kleinerer Erlebnisse, die hier und da geeignet sind, das
moderne wirtschaftliche und politische Leben des Landes in seinen
mancherlei Spannungen zu beleuchten, fehlt es nicht. Für das
archäologische Interesse ist die Beschreibung des jetzigen Zustandes
der einzelnen Denkmälergruppen von Wert. Im übrigen übt Wr.
in der wissenschaftlichen Auswertung seines Materiales Zurückhaltung.
Ein im einzelnen vielfach anfechtbarer Exkurs über das Osireion
und die Frühgeschichte Ägyptens sei nur eben angemerkt, da Wr.
eine baldige ausführliche Darlegung dieses Fragenkomplexes in Aus¬
sicht stellt. Die beigegebenen Bildproben bezeugen die auch unter
schwierigen Verhältnissen nicht versagende Meisterschaft Wr. und
lassen eine baldige VeröfiFentlichung des gesamten Materiales erhoflfen.
Leipzig. Hans Bonnet
Luigi Suali : Der Erleuchtete [L'Illuminato]. Das Leben
des Buddha. {Berecht. Übertr. von Dora Mitzky). —
Frankfurt a. M.: Kütten & Loening 1928 [Ende 1927].
XIII, 330 S. Mk. 5.—, geb. 7.—.
Eine umfassende Sammlung von Buddha-Geschichten wird hier
in freier Nacherzählung und in sehr ansprechender Form dargeboten.
S. folgt im allgemeinen der Nidänakathä und dem Mahäparinibbäna¬
sutta, dazwischen fügt er aus dem Päli-Kanon wie ans den Päli-
Kommentaren, gelegentlich auch aus Werken anderer Sprache, eine
bedenklich bunte Fülle von Legenden von recht verschiedenem Wert.
Man wird an die Fioretti erinnert, und das sogar in der Diktion,
wenn gelegentlich vom ,säßen Meister', vom .heiligen Blut"^), von Engeln, von den .Pforten der Ewigkeit" die Rede ist, wenn Buddha
die Mönche .meine Kinder", .meine Söhne" anredet. Nach des
Erhabenen Hingang geschieht kein Erdbeben (Digh. 16,6,10), sondern:
.Stille stieg wie ein Gebet von der Erde empor". Wundergeschichten,
worin Buddha oder Moggalläna in der Luft wandeln u. dgl., sind
nicht verschmäht, wohl aber öfters die Götterscharen, die z. B. in
der sehr knappen Erzählung der Geburt wie beim Verscheiden nicht
auftreten; warum diese einseitige Kargheit? Aber grundsätzlich
muß man fragen, ob es überhaupt richtig ist, einem weiteren Leser¬
kreis eine Sammlung so ungleichartiger und ungleichwertiger Ge¬
schichten vorzusetzen und die schlichte alte Legende mit so späten
und grellen Zutaten aufzuputzen. Was würde S. zu einer Evangelien¬
harmonie mit eingestreuten Stücken aus den Apokryphen und der
Legenda Aurea sagen ? — Es ist klar, daß bei so entschieden aufs
Erzählen gerichteter Absicht die Lehre des Erhabenen nur ganz
knapp und gelegentlich gestreift werden konnte. Dafür mag der
unvertraute Leser auf ein bei weitem nicht genug bekanntes Buch
von Hermann Oldenberg hingewiesen werden, auf seine Auswahl
der „Reden des Buddha'' mit ausführlicher Einleitung (München :
Kurt Wolfif).
Halle. Wilhelm Printz
1) S. 297. Dies kommt aber auf Rechnung der Übersetzerin, bei
Suali steht nur ,t/ sangue'W — In der Vorbemerkung lies Cerebrale
statt Palatale!
80 Anzeigen
Suzuki, Daisetz Teitaro: Essays in Zen Buddhism (first
series). — London, Luzac & Co., 1927, 423 S.
Zu dem knappen , schwerwiegenden Kompendium „Zen , der
lebendige Buddhismus in Japan", in dem der designierte Patriarch
der Zen-Sekte , ScHUKJ Öhasama und Dr. A. Faust (Heidelberg)
den esoterischen Kern reiner Meditationstechnik und Innerlichkeit in
klassischen Texten der originalen Zenüberlieferung vermittelt haben,
tritt Suzuki's Buch als breitere, leichtere Ergänzung. Es sammelt
7 Essays über Zen, die S. in seiner (bei uns leider zu wenig ver¬
breiteten) Zeitschrift ,The Eastern Buddhist" veröffentlicht hat, und
fügt ein 8. Kapitel „History of Zen Buddhism from Bodhidharma
to Hui-neng (Ye-no)' (520 A. D. — 713) hinzu. Rudolf Otto's
Autorität hat wiederholt (z. B. „Logos" Band XIII) auf Grund
dieser Darstellungen SuzuKl's auf den ungemeinen religions- und
geistesgeschichtlichen Wert gerade des Zen hingewiesn, speziell aber
auch für die Indologie ist diese räumige Essaysatamlung von be¬
sonderer Bedeutung: sie gibt ein Bild des lebendigen reinen Dhyäna- Buddhismus, der die Dominante der Seelenführung altbuddhistischer
Lehre rein von aller Vermengung mit puranischer und tantrischer
Religiosität zu bieten vermag, — indische ürtendenzen vom japa¬
nischen Spiegel zurückgeworfen. Wertvoller Quellgehalt, bemerkens¬
wertes Detail werden etwas breit im anglo-amerikanischen Popular-
stil geboten der, dem Zeitschriftenessay angemessen, die Buchform
auftreibt. Ein Anhang von 42 Seiten, der wichtige termini in chi¬
nesischer Originalschrift bringt, sichert samt dem Index dem Werke
seinen Rang als unentbehrliches Spezialhandbuch.
Heidelberg. Heinrioh Zimmer
W. Y. EvANS-WENTZ:!/'Äe Tibetan Book of the Dead or The
After-Death Experiences on the Bardo Plane, according
to Läma Kazi Dawa-Samdup's English Rendering. Oxford
University Press. London 1927. xiiv, 248 S. 8». Geb. 16/—.
Der bekannte Tantraforscher Sir John Woodroffe (Arthur
.\vaLON) bietet ein orientierendes Vorwort. In umfangreicher Ein¬
leitung erläutert der Autor die tantrisch-buddbistische Lehre vom
Tod, seinem Folgezustand und der Wiedergeburt nach ihrer theo¬
retischen und praktischen Seite hin ; als Basis dient hierzu die Quell¬
schrift Bardo Thödol (Bar do t'os-hgrol „Liberation by the Hearing
of the After-Death Plane"). Das benutzte Manuskript soll 150 bis
200 Jahre alt sein, entstammt der rot(mützig)en Sekte des Lamaismus
und wird nach der Tradition durch ein Dutzend Jahrhunderte mit
dem berühmten Padmasambhava in Verbindung gebracht. Der
Hauptteil des Buches — die Übersetzung — geht auf den ange¬
führten, verstorbenen tibetischen Gelehrten (Zla-ba-bsam-hgrub)
zurück. Addenda und gute Abbildungen dienen zur Aufhellung des schwierigen Themas und seines literarischen Niederschlages wie seiner
okkulten Eigenschaften. Gewissenhafter Index.
Chemnitz. Reinhold P. G. Müller
„Orientalische Bibliographie"
Die Fortführung der „Orientalischen Bibliographie' ist nunmehr gesichert, nachdem die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft die
Unterstützung des altbekannten Unternehmens zugesagt hat. Sie wird im
früheren Verlage (Reuther & Reichard, Berlin) und unter der früheren Leitung (L. Scherman, München) erscheinen. Als Hauptmitarbeiter stehen der Bedaktion der Semitist Dr. Figulla, Berlin und der Indogermanist Dr. Wüst, München, zur Seite; von ausländischen Berichterstattem haben
Prof. W. Bartholo, Leningrad, Prof. F. W. Thomas, Oxford uiid Prof.
EnoEHTON, Cambridge, U.S.A. ihre Förderung zugesagt. Die Bericht¬
erstattung wird mit dem Jahre 1926 einsetzen; die Redaktion hofFt, den ersteu Teil des Bandes schon dem diesjährigen Orientalisten-Kongreß in Oxford vorlegen zu können.
Zeitsohrift d. D. M. G., Neue Folge Bd. VII (Bd. 82). 6
Totenschau
J. Estlio Carpenter, Religionshistoriker (A. T.; Indien), f 63jährig 2. Juni 1927.
Hirsch Perez Chajes, Oberrabbiner in Wien, 1902—12 Dozent in
Florenz, f 51 jährig 13. Dez. 1927 in Wien.
Louis Cheikho S. J., Direktor der Bibl. Orientale, Univ. St. Joseph, t 7. Dez. 1927 in Beirut.
Kudolf Otto Franke, emer. ord. Prof. für Sanskrit, f 66jährig
5. Febr. 1928 in Königsberg i/Pr.
Thomas Friedrich, ord. Prof. f. altoriental. Altertumskunde an
der Univ. Innsbruck, f Nov. 1927.
Sir Walter H i 11 i e r , Sinologe, f 78 jährig 1927 in Brackneil, Berkshire.
David Gr. Hogarth, Archäologe, Präsident d. R. Geogr. Society, t 5. Nov. 1927 in Oxford.
Bunju Nanjio, Indologe, f 79 jährig 9. Nov. 1927 in Tokyo.
Ja'küb Sarrüf, Herausgeber der Zeitschrift Muktataf, f 10. Juli
1927 in Kairo.
Ernesto Schiaparelli, Direktor des ägypt. Museums in Turin,
t Febr. 1928 in Turin.
William Ernest Taylor, Suaheli-Forscher, f 2. Okt. 1927 in Bath.
W. P.