Gilgamesch und Alexander Von Wilhelm Printz
Herrn Geheimrat Prof. Dr. Theodor Zachabiab
zum 80. Geburtstag 3. Februar 1931
„Ich will eröffnen, GilgameS, verborgene Kunde, / und ein Kraut des Lebens will ich dir sagen I / Selbiges Kraut ist wie ein Stechdorn, /
Sein Dorn wie die Rose durchbohrt deine Hand, / wenn jenes Kraut
deine Hände erreichen, . .." / Als GilgameS dies hörte, / öfEnete er. .., /
band schwere Steine an seine Füße. / Sie zogen ihn zum Ozean hin¬
ab .../ Er nahm das Kraut, es durchbohrte seine Hand. / Er schnitt
die schweren Steine ab ... / dann legte er es auf seine . . . / Gilgames
spricht zu ihm, zu UrSanabi, dem Schiffer: / „UrSanabi, dieses Kraut
ist ein Kraut . .., / wodurch der Mensch seinen Lebenshauch ge¬
winnt. / Ich will es bringen nach dem umfriedeten Uruk. / Ich will es
essen lassen .. ., das Kraut will ich abschneiden. Sein Name ist ,Als
Greis wird der Mensch wieder jung'. / Ich will davon essen und wieder jung werden." / Nach 20 Doppelstunden aßen sie einen Bissen; / nach
30 Doppelstunden hielten sie Nachtruhe. / Da sah Gilgame^ eine
Grube, deren Wasser kalt waren, / er stieg hinab und badet sich mit
dem Wasser. / Eine Schlange roch den Duft des Krautes, / . . . stieg
empor und nahm das Kraut fort. / Als sie es "fortholte, warf sie die
Schuppenhaut ab. / Da setzte sich Gilgames und weint, / über seine
Wangen fließen seine Tränen. /»)
Pyrophilus lapis est preciosissimus ut narrat scriptura Esculapij
philo.sophi ad Octavianum missa. videlicet enim quod cor hominis
ueneno perempti non potest comburi igne. quod si ipsum cor in igne
novem annis continuis servetur vertitur in lapide qui dicto nomine
nuncupatur. Miram ut dictum habet potentiam. Protegit enim gestau¬
tem contra fulmina et tonitros. Reges et duces facit victoriosos in
bellis et contra venenum securos. Hunc Alexander fertur portasse in
subligari purpureo. Cumque redisset ab India et Eufraten fluvium
transisset deposuit vestes ut se lavaret in flumine. Interim autem
venit serpens et subligar morsu praecidit cum lapide et in Eufraten
1) Nach Erich Ebeling's Übersetzung in: Altoriental. Texte zum
A.T., hrsg. von Hdgo Gressmann. 2. Aufl. Berlin 1926, S. 182-183.
Klammern und Fragezeichen sind weggelassen.
W. Printz, Gilgamesch und Alexander 197
expuit. Hoc scripsit Aristoteles in libro de serpentibus. Creditur idem
esse lapis quem vulgo humanum vocant ab homine; de quo fertur
quod hominem a subitanea morte defendit. Nec exspirare posse
animam quamdiu genus istius lapidis portat in manu. Non tamen
protegit hominem ab infirmitate vel pena sicut scribitur de terra
viventium nominata triualle. et hoc tantum facit ut semper duret in
pena et non possit spiritum exalare. Est autem Lapis iste coloris
aliquantulum cerulei candorem ammixtum habensi).
In epistola etiam Aesculapij quidam Philosophi ad Octauianum
Augustum ferunt, quod aliquod venenum est tantae frigiditatis, quod
cor hominis interempti veneno conseruat ab igne. Et si cor illud in
igne ponatur tandiu, quod in lapidem foptesi conuertitur, lapis ille
vocatur fprofilis ab igne, vocatur humanus a materia, jpraeconsus
[prcciosus] esse dicitur, eo quod victores facit et a veneno conseruat.
Narratur autem, licet fabulae ait simile, quod Alexander Macedonius hoc lapide sub cingulo suo in praelio vtebatur: cumque reuerteretur
ab India, et vellet lauari in Euphrate, deposito subcingio, morsu
serpens casu praecidit lapidem, et euomuit cum in Euphrate: et de
hoc mentionem dicitur Aristoteles fecisse in libro de natura serpentum, qui liber ad nos non peruenit. Colore autem ruhet hie lapis candorem habens admixtum^).
Piropholos mag leutstain haizen. wan, sam der maister Euscu-
lapius schreibt dem kaiser Octaviano Augusto, der stain ist gar edel
und wirt auz ains menschen herz, daz mit vergift ist getoett, wan daz
herz mag in feur niht verprinnen. ist daz man daz herz in feur behelt neun jär an underläz, so wirt der stain dar auz, der gar wundergroz
kraft hat. wan, sam der selb maister spricht, der stain beschermt
seinen tragicr vor himelplatzen und vor donr und macht die herren
sighaft in streiten und sichert si vor vergift. den stain truog Alexander,
sam man spricht, in ainer purpureinen undergürteln, und do er wider-
kom von dem land India und über daz wazzer kom Eufraten, do
zoch er seine klaider ab, daz er patt in dem wazzer; in des köm ain
slang und paiz den undergurt ab mit dem stain und hez in vallen in
daz wazzer. daz hat Aristotiles geschriben in aincm puoch von den
slangen. nu w.Tnent die maister, daz der stain und der leutstain ain
stain sei, der von der gemain lapis humanus haizt. von dem spricht
1) Thomas CANTiJirRATENSis: De naturis rerum, 1. XIV de lapidibus
preciosis. Text der Handschrift membr. II, 143 (Anf. XIV. Jahrh.) der
Herzogl. Bibl. in Gotha, Bl. 190 verso; verglichen mit der ill. Hs.
Rhedig. 174 der Stadtbibl. in Breslau, Bl. 178. Letztere hat für mich
Willi Goeiier eingesehen.
2) Alberti Maoni Operum t. 2, reeogn. per Petrum Jammy, Lug-
duni 1651. Dc mineralibus traetatus II : de lapidibus nominatis et eorum virtutibus cap. XIV: de incipientibus a 14. litcra quae est P. Der Text
der alten Ausgaben wimmelt bekanntlich von Fehlern.
14*
2 I
198 W. Printz, Gilgamesch und Alexander
man, daz er den menschen behüet vor dem goehen end und daz er
niht ersterben müg, die weil er den stain hab in seiner hend. iedoch
beschermt er den menschen niht vor siehtum und vor smerzen und
lengt doch daz leben in dem leiden, sam man auch schreibt von dem
land der lebentigen, da niemant inn ersterben mag, daz dialle haizt
oder drivallis. der stain ist etswie vil rot und hat ain weizen dar zuo gemischt'^).
Aus vorstehenden Berichten ergibt sich folgendes gemein¬
sames Erzählungsmotiv: der Held kehrt aus märchenhafter
Ferne mit einem Talisman zurück. Er legt ihn am Ufer
eines Wassers nieder um zu baden. Eine Schlange raubt den
Talisman. Der Held gerät in Unglück.
Es ist wohl notwendig, an dieser Stelle nachdrücklich
zu betonen , daß ich P. Jensen's bekanntem Buch ablehnend
gegenüberstehe. Walter Anderson's Kritik in DLZ. 51,
1C30, Sp. 1887—90, zeigt am besten, wie fern Jensen dem
streng analytischen Verfahren der heutigen Folkloristen steht.
Wenn Anderson in einer zweiten Veröffentlichung^) Jensen's
Mängel in breiter, derb satirischer Darstellung bloßgelegt hat,
so mag man es wohl, menschlich bedauern, daß der verdiente
Keilschriftforscher dermaßen verspottet wird. Sachlich aber
ist Anderson durchaus im Recht. — Bruno Meissner's
Schrift') sei erwähnt; für unser Motiv kommt sie nicht in
Betracht.
Der Aufgabe, außer der Feststellung der Motiv-Gleichheit
auch die Motiv-Wanderung restlos aufzuzeigen, fühle ich mich
nicht gewachsen, immerhin kann ich einiges Material hierzu
darbieten.
Wer etwa die große Zeitspanne zwischen den beiden
Erzählungen beanstanden will, der sei zunächst auf die kürzlich
erschienene Abhandlung von FrantiSek Lexa*) hingewiesen,
1) KoNRAD VON Megenbero: Das Buch der Natur. Hrsg. von Franz
Pfeiffer. Stuttgart 1861. S. 456.
2) Über P. Je.vsen's Methode der vergleichenden Sagenforschung.
Dorpat 1930 (in Komm, bei Markert & Pettcrs, Leipzig). 48 S. (SA.:
Acta et Commentationes Universitatis Tartuensis. Ser. B, 21. s).
3) Alexander und Gilgamos. Leipzig 1894 (Habilitationsschrift).
4) Note conceruant Torigine d'un coute du livre arabe des 1001 nuits Archiv Orientälni (Prag) 2, 1930, S. 441.
\V. Pbintz, Gilgamesch und Alexander 199
der den Zusammenhang zwischen einem Märchen eines demo¬
tischen Papyrus (Mythus vom Sonnenauge) und einer Fabel
aus 1001 Nacht darlegt. Überlegt man ferner, daß ja die
Gilgamesch-Sage noch bei Berossos im 3. Jahrh. v. Chr. fort¬
lebt *), daß andrerseits die mittelalterlichen Enzyklopädisten
massenhaft antikes Gedankengut überliefern, so verschwindet
der zeitliche Abstand, und die Motivübertragung vom meso¬
potamischen auf den makedonischen Helden kann danach nicht
mehr wunderlich erscheinen (s. ferner S. 206).
Albert's Bericht ist nicht mehr unbekannt. Wilhelm
Hebtz^) hat ihn mit anderen mittelalterlichen Berichten
zusammengestellt. Da ist zunächst Vincentius Bellevacensis»)
zu nennen:
Legitur quod Alexander lapidem quendam secum gestabat quem
qui gestaret invenerari non poterat. erat autem insutus in bracili
eins, sed ab insidiatoribus nocte illa qua venenum sumpsit subreptus est ei.
Hier ist also nur vom Talisman die Rede, und sein Verlust
wird auf andere, nicht sehr glücklich gewählte Weise erzählt.
Offenbar berichtet Vincentius hier aus eigener, ziemlich ge¬
trübter Erinnerung an die Sage, die er vielleicht bei Thomas
kennen gelernt hatte.
Ebenso getrübt ist die Überlieferung bei Volmar (um
1250)*) Vers 525—536:
Victres ein stein ist trüebe gar, / getan als ein binden här. / der ist der beste sigestein / dan der ander dehein / die ich hän genennet / und die ir erkennet. / und wil iu me sagen da von : / ein künic was von Machedön, / der vuorte ze allen ziten / den stein mit im ze strite / und
nam allez oberhant / über sine viende al sant. / eines tages geschah
1) Paül Schnabel: Berossos. Leipzig 1923, S. 28.
2) Aristoteles in den Alexanderdichtungen des Mittelalters. Ab-
handlgBTf-bayr. Akad , phil. Cl., Bd. 19 (= Denkschriften 64), 1890 (1892)
S. 69. Man^-elhaft bei 0. Schell: Magische Steine. Zs. des Vereins f.
rhein. u. weStfäl. Volkskunde, 22, 1925, S. 31.
3) Speculuiäa historiale. Augsburg 1474, liber 4, cap. 44. IIebtz
zitiert nach ungenannter Ausgabe [= Venedig 1494], IV, 65.
4) Das Steinbueh. Ein altdeutsches Gedicht von Volmab. Hrsg.
von Hans Lambel. Heilbronn 1877. Im Anhang bringt L. das St. Flo-
riancr Steinbuch, als dessen Hauptquelle er Thomas nennt; der Pyrophilus fehlt hierin.
200 Pbintz, Gilgamesch und Alexander
daz, / daz er des steines vergaz, / dö er riten Wolde / stritea als er
solde : / dö wart er sigelös. sin volc er allez verlos / und wart selbe
gevangen: / daz wa)re in wol vergangen, / hajt er des steines gedaht /
daz er waer ze strite bräht. /
An anderer Stelle schimmert vielleicht ein Rest unseres Motivs,
da es Vers 469—473 von dem Krötenstein heißt:
der in möht erwerben, / der enkünde niht verderben / keine wis an
dem guote, / und bedarf ouch guoter huote, / daz man in ze bade iht
trage. /
Auf ähnliche Angaben der mittelalterlichen Steinbücher,
wobei aber Alexander nicht erwähnt wird, ist hier nicht ein¬
zugehen. Ich möchte nur daran erinnern, daß noch der viel¬
belesene Geimmelshausen») von den Wunderkräften der Edel¬
steine gewußt hat: „so man mit jemand zancket, machet es,
daß man sieget, wie der Sardus". Und noch in Zedlee's
Universal-Lexicon heißt es vom Jaspis (14. I, 1735, Sp. 273f.):
„Der grüne mit weissen Streifen, sonderlich wenn sie sich
kreutzen, soll dem Gifft und der Wassers-Gefahr wehren".
Von den Alexanderdichtern hat Uleich von Eschenbach*)
unser Motiv übernommen. Als seine Quelle bezeichnet er
ausdrücklich „bischof Albreht von Köln" (was ja nicht exakt
ist). Den Wunderstein nennt er aber prassidis; das ist der
Prasius, der bei Albert wie ^Thomas unmittelbar vorangeht.
Sonderbarerweise haben weder Toischer noch Hertz dies
Versehen erkannt. Es rührt einfach daher, daß bei Albert
die Abschnitte sonst immer mit dem Namen des Edelsteins
beginnen, bei unserem aber nicht, so daß seine Beschreibung
als dem Prasius zugehörig erscheinen kann. Wahrscheinlich
wollte Albert diese fabula nur anhangsweise mitteilen. Auch
ist der Name des Steins von den Abschreibern und Druckern
fürchterlich verstümmelt worden. Jammy's Ausgabe (s. oben)
hat profilis, Büschinü') gar prosilis. In der Krakauer Hand-
1) Der abenteuerliche Simplicissimus, Buch 3, Kap. 13.
2) Alexander von U. v. E. hrsg. von Wendelin Toischer. Tübingen 1888 (Bibl. des Litter. Vereins in Stuttgart. 183). Vers 26159ff. — Vgl.
W. Toischer, Sitzungsber. d. philos. hist. Cl. d. Kais. Akad. d. Wiss., Wien, Bd. 97, 1880, S. 391-393.
3) Museum f. Altdeutsche Literatur u. Kunstr, 2, 1811, 140.
W. Printz, Gilgamesch und Alexander
201
Schrift des Thomas steht De porophilo^), in der Breslauer
ebenso, im Index aber Puophilus (Tf. 21 bei Ferckel [s. unten,
Anm. 5]). Konrad von Megenberg liest piropholos, Jacob van
Maerlant pirofilus. Daraus läßt sich wohl zunächst pijrophilus
erschließen, aber die sinnwidrige Bedeutung „Feuerfreund"
zeigt, daß dies nicht die ursprüngliche Form sein kann, die
wohl pyrophoros gelautet haben dürfte und von des Griechischen
Unkundigen zunächst durch Dissimilation zu pyropholus und
weiterhin analogisch zu pyrophilus umgebildet worden sein
mag. Mehr als diese Vermutung kann ich nicht geben, da
ich den Wunderstein nirgends weiter verzeichnet gefunden
habe. Die gesamte Gruppe der Lapidarien, die sich wesent¬
lich an Marbod") anschließt, einschl. der Enzyklopädien des
Bartholomaeus Anglicus') und Arnoldus Saxo*) erwähnt ihn
nicht!
Über das Verhältnis der Dominikaner Thomas und Albert
ist viel geschrieben worden. Es scheint, daß Thomas, der
jüngere von beiden. Albert's Schüler gewesen ist. Aber
Feeckel*) hat gezeigt, daß De naturis rerum vor 1240 ab¬
geschlossen ist, während Pelstee«), im Anschluß an frühere,
nachweist, daß Albert De mineralihus nicht vor 1248 verfaßt
1) Christoph Gottlieb v. Murr: Journal zur Kunstgesch. u. zur allg.
Litt., 10, 1781, S. 255.
2) Marbodi Liber lapidum seu de gemmis, ill. a Iohanne Beckmanno.
Gottingae 1799. — Leopold Pannier: Les Lapidaires framjais du m. a.
Paris 1882 (Bibl. de l'Ecole des Hautes Etudes. 52). — Paul Stlder
and JoAN Evans: Anglo-Norman lapidaries. Paris: Champion 1924.
Die dürftige Diss, von IIuGO König: Die Steine in der altfranzös. Lite¬
ratur (Ausz. gedr. in: Jahrbuch der Phil. Fakultät Göttingeu, 1922,
Hälfte 2, 26—29) kommt nicht in Betracht.
3) Vgl. Edmü.n-d Voigt in: Engl. Studien, 41, 1910, 337—359.
4) Die Eucyclopiidie des A. S. , hrsg. von Emil Stange. Erfurt,
Gymn. Progr. 1905, 1906, 1907. — Vgl. Valentin Rose, Zs. f. dt. Alter¬
tum, 18, 1875, 321—455; Otto Schcmann in: Verfasserlexikon d. dt.
Mittelalters I, 1931, 138-140.
5) Christ. Ferckel: Die Gvniikolofjie des Thomas v. Brabant.
München 1912. (Alte Meister der Medizin u. Naturkunde. 5.) S. 34.
6i Franz Pelster S. J. : Krit. Studien zum Leben u. zu den Schriften Alberts des Großen. Freiburg/Br. 1920 (Erg'heft zu d. Stimmen der Zeit.
Reihe 2, H. 4). S. 137.
2 fl •
202 W. Pbintz, Gilgamesch und Alexander
haben kann. Endees») hat wahrscheinlich gemacht, „daß
Albert um die Mitte der fünfziger Jahre des 13. Jahrh. mit
der Hauptarbeit seiner kommentatorischen Tätigkeit zu den
Schriften des Aristoteles fertig war". Stadlee, der verdiente
Herausgeber des Tierbuchs''), hat einst die u. a. von Caeus')
behauptete Abhängigkeit Albert's von Thomas rundweg be¬
stritten*), jedoch im 2. Band seiner Ausgabe (S. V) sein Urteil
etwas eingeschränkt. Hier muß eben weitere Forschung ein¬
setzen und vor allem bedarf es kritischer Textausgaben für
beide Autoren; ist doch Thomas' Werk außer den von Hilka*)
und Feeckel herausgegebenen Abschnitten bislang noch un¬
gedruckt! Wahrscheinlich muß das Abhängigkeitsverhältnis
von Buch zu Buch einzeln untersucht werden ; Stadlee hatte
ja zunächst nur das Tierbuch im Auge.
1) Joseph Anton Endbes: Chronol. Untersuchungen zu den philos.
Kommentaren Alberts d. Gr. (in : Abhandlungen aus d. Gebiete d. Philos.
u. ihrer Geschichte. Eine Festgabe zum 70. Geb. Geobg Frhn. v. Hebt-
linq gewidmet. Freiburg/Br. 1913). S. 108. Vgl. auch Histor.-polit.
Blätter, 149, 1912, 829—836. — Pelsteb S. 175 ist fur späteren Ansatz.
Claudios Franz Mayeb (in: Kyklos. Jahrbuch d. Instituts f Gesch. d.
Medizin an d. Univ. Leipzig, 2, 1929) S. 196 f. wiederholt nur die von
Endbes widerlegten Irrtümer.
2) Albertus Magnus : De Animalibus libri XXVI nach der Cölner
Urschrift. Hrsg. von Hermann Stadler. Münster 1916—20 (Beiträge z.
Gesch. d. Philos. des Mittelalters. 15/16).
3) Julius Viktor Cabus: Gesch. d. Zoologie. München 1872 (Gesch.
der Wissenschaften in Deutschland. 22). S. 222.
4) ,Es gab damals eine Anzahl von naturgesch. Büchern, die unter
dem Namen liber rerum, liber de naturis rerum, experimentator usw. um¬
liefen und vielleicht in großen Bibliotheken (Paris) noch aufzufinden sind.
— Es benützt weder Albertus den Thomas noch umgekehrt Thomas deu
Albertus; es benützt weder Vinzenz den Thomas noch den Albertus (...), noch ist der interpolierte Thomas aus Albertus oder Vinzenz interpoliert, sondern alle diese Deckungen und die oft wortwörtlichen Übereinstim¬
mungen gehen eben auf die Benützung der obenbezeichneten gemein¬
samen Quellen zurück (vgl. das Verhältnis Dioskorides Plinius)', Natur u. Kultur (München), Jg. 4, 1906, S. 86—90. — Dagegen behauptet Ferckel S. 5, ,daß das von Vinzenz zitierte Buch de naturis rerum kein anderes als das des Thomas von Cantimprd ist".
5) Alfons Hii.ka: Liber de monstruosis hominibus Orientis, aus
Thomas v. Cantimprd: De natura rerum. In: Festschrift zur Jahrhundert¬
feier d. Univ. Breslau 1911, hrsg. vom Schles. Philologenverein (Breslau 1911).
2 0 •
W. Pbintz, Gilgamesch und Alexander 203
In unserem Fall aber wird das Problem der Abhängigkeit
Albert's von Thomas noch durch folgenden Umstand kompli¬
ziert. Febckel hat a. a. 0. S. 14 die Handschriften von De
naturis rerum in drei Gruppen eingeteilt: die ursprüngliche
Redaktion in 19 Büchern, eine zweite in 20 Büchern mit viel¬
fachen Zusätzen und eine dritte, die stark überarbeitet ist
und deren 20 Bücher in der Reihenfolge umgestellt sind. Nun
ergibt sich, daß der Pyrophilus in der 1. Redaktion fehlt, so¬
wohl in der Berliner wie in der Stuttgarter Handschrift
und erst in den Handschriften der 2. Gruppe erscheint, zu
denen die Gothaer und die Breslauer (s. S. 197, Anm. 1) ge¬
hören. Diese 2. Redaktion ist freilich sehr früh , sie gehört
noch dem 13. Jahrhundert an, denn sie bildete die Vorlage
für Jacob van Maerlant; auch stammt nach Feeckel S. 11
eine der Brügger Handschriften aus dem 13. Jahrhundert. Darf
man annehmen, daß die 2. Redaktion vielleicht noch von Tho¬
mas selber herrührt? oder soll man die Behauptung wagen, an
unserer Stelle habe der Redaktor der 2. Fassung den Pyro¬
philus aus Albert übernommen? Das letztere dünkt mir un¬
wahrscheinlich; es ist kaum denkbar, daß aus den kritisch
vorsichtigen Bemerkungen Albert's die sorglose Darstellung
von Thomas 2 geflossen sein soll; eher doch umgekehrt! Und
wenn man erwägt, daß z. B. Vincentius Bellovacensis in seinem
Speculum historiale die Darstellung mit 1253 abschließt, aber
bereits einen Auszug aus des Johannes de Piano Carpini
Historia Mongalorum mitteilt, d. h. aus dem Bericht der
1245— 4G unternommenen Reise, so wird man, zumal es sich
um Ordensbrüdei- handelt, die Zeitspanne zwischen rund 1240
(Abschluß der 1. Fassung des Thomas) und rund 1255 (Endres'
Ansatz für Albert) als reichlich lang beurteilen, um darin
auch noch den Abschluß der 2. Fassung unterzubringen. Eine
weitere Möglichkeit besteht im Ansatz einer gemeinsamen un¬
bekannten Quelle für alle Zeugen: Thomas 2, Albert, Vincentius,
Volmar; vgl. Stadlee's in Anm. 4, S. 202 zitierte Ansicht.
1) Berlin: Hamilton 114 (1295), vgl. Febckel, Tafel 20; Stuttgart:
med. et phys. f. 30 (15. Jahrh.). Letztere hat Pfeiffeb in den Anm. zu
Konrad von Megenberg angeführt.
204 W. Pbintz, Gilgamesch und Alexander
Thomas ist sehr früh in Vergessenheit geraten i). Die
Handschriften von De naturis rerum sind anonym, manchen
ist später Albert's Name beigeschrieben worden. Schon sein
niederländischer Übersetzer Jacob van Maerlant") (f ca. 1300)
hat das Buch Albert zugeschrieben. Ebensowenig hat der
deutsche Bearbeiter Konrad von Megenberg (1309—74)3) den
Namen gekannt; als Vorlage hat er schon eine Handschrift
der dritten, beträchtlich umgestalteten Rezension (Ferckel,
a. a. 0. 15, Anm. 2) gehabt.
Die Verknüpfung der Namen Alexander und Aristotele;
mit Edelsteinen ist wohlbekannt. Im Pseudo-Kallisthenes ist
ja von manchen wunderbaren indischen Steinen die Rede. Als
mittelalterlicher Zeuge sei Wolfram von Eschenbach angeführt,
der im Parzival 773, 23 den „Kriechen Alexander" als Edel¬
steinkenner rühmt. In seiner Ausgabe des pseudo-aristotelischen
arabischen Lapidars hat Ruska*) ausführlich (S. 6—23) „Die
Wundersteine der Alexandersage" nach arabischen Schriften
behandelt; indes fehlt auch hier der Pyrophilus. Ein dem
Aristoteles zugeschriebenes Schlangenbuch ist, soviel ich sehe,
bislang nicht ermittelt worden; woher Thomas seine Kenntnis
hat, ist auch mit dem reichen von Rose (s. S. 201, Anm. 4 u.
S. 205, Anm. 2) dargebotenen Material nicht auszumachen.
Man darf aber wohl annehmen, daß seine Quelle mittelbar
ein arabischer Text gewesen ist. Offenbar gehört De serpen¬
tibus eng zusammen mit der pseudo-aristotelischen Schrift
;«
1) Vgl. LfeoroLD Delisle in: Hist. litt, de la France, T. 30, 180,8,
365—384. — Alexander Kaufmann : Thomas von Chantimpr(5. [Unvoll¬
endet aus d. Nachlaß hrsg. v. Hermann Cakdauns.] Köln 1899 (Görres-
Gesellschaft 1899. 1).
2) J. V. M.'s Naturen bloeme, uitg. d. Eelco Verwijs. Dl. 1—2.
Groningen 1878 (Bibliotheek van middelnederl. letterkuude. 9—10). Ver¬
faßt ca. 1270—80. In seinem 1256 entstandenen Alexanderbucb hat er
unser Motiv noch nicht benutzt.
3) Neuhochdeutsche Ubers, von Hugo Schulz, Greifswald 1897. —
Vgl. auch Otto Mattiiaei : Kourads von Megeuberg Deutsche Sphaera
und die Übersetzungstechnik seiner beiden deutschen Prosawerke. Berlin, phil. Diss. 1912.
4) Das Steinbuch des Aristoteles, hrsg. u. übers, von Julius Ruska.
Heidelberg 1912.
W. Pbixtz, Gilgamesch und Alexander 205
Jlsoi ^uviiaöCcov cr/.ovöpc'iTcov (De viirabiUbus auscultationibus),
jener wunderlichen farrago, wie sich Westeemanx i) treffend
ausdrückt, in der übrigens der mehrfach überlieferte absonder¬
liche Bericht von den Schlangen am (oder: im) Euphrat steht^):
jtfpi Tov EvcfQchr,v y.ai rovg dvccravopavovg tüv ^lev Zvqcji>
fn) dcr/.vs,()>, tüv d' 'Elhjvcov fii) ccrexea&cd..
Der Aberglaube, daß das Herz eines vergifteten Menschen
unverbrennbar sei, wird von Plinius (Hist. nat. XI, 71) wie
von Suetonius (Caligula 1) im Bericht vom Tod des Germa-
nicus erwähnt (aber nicht von Tacitus, Ann. II, 73). Eine ein¬
leuchtende Erklärung für die Entstehung dieses Aberglaubens
(von der Vergiftung abgesehen) gibt Anatole Feance'):
„En ces sortes de supplices, la combustion des chairs etait
rarement complete. Dans les cendres eteintes, le coeur et les
entrailles se retrouvörent intacts". Dazu vergleiche man den
Bericht von Thuanus*) über Zwingiis Tod:
,,i;^se rmnglius in primis ordinibus fortiter pugnans occubuit.
rölligioru tributum a Tigurinis & qui cum illis stabant, quod cadauere
flamrai's ,ab hostibus tradito cor exuri non potuerit; cum tamen con-
stet, in quibusdam corporis humani partem esse quandam, in quam
nihil ignis possit . . . adeo turbatis odio aut amore animis, ut fit iu
relligionis dissensionibus, pro se quisque omnia superstitiose inter-
pretatur."
Über Schlange und Wunderkraut vergleiche man die Nach¬
weisungen von Wünsche^). Ferner überliefert Aelianus so-
1) UaQccöo^oyQacfoi. Scriptores rerum mirabilium graeci. Ed. An-
Toxiüs Westermann. Braunschweig 1839.
2) Valentin Rose: Aristoteles pseudepigraphus. Leipzig 1863.
S. 349 f. — Vgl. Plinius Hist. nat. 8, 59, wo von anffjies .Wasserschlangen"
die Rede ist; Apollonios c. 12; Aelianus 9,29; Alexander ab Alexandre
2, 17; ähnlich auch Antigonos c. 16.
3) Vie de Jeanne d'Arc. Paris: Calmann-Levy (1908), t. 2, S. 396.
Den Hinweis auf Fra.sce verdanke ich Erich Ebstein (f 17. Apr. 1931).
4) lac. Augusti Thuani, Historiarum sui temporis libri CXXV.
Lutetiae: apud Hieron. Drouart 1609. Liber I, S. 71. — Suetonius und
Thuanus werden allein angeführt von Locis Lewin: Die Gifte in der
Weltgeschichte. Berlin 1920, S. 39.
5) August Wünsche: Die Sagen vom Lebensbaum und Lebens-
veasser. Altorientalische Mythen (in: Ex Oriente Lux. Bd. 1, Leipzig
1905). S. 14ff.
206 W. Pbintz, GilgameBch und Alezander
wohl wie ein Scholiast aus Sophokles' verlorener Komödie
Kcofpol Zätvqoi'^) den Mythos vom tpaQnaxov ayriQueCag, das
eine Schlange raubt. Was eigentlich bei Sophokles gestanden
hat, läßt sich aus dieser mythographischen Tradition schwer¬
lich entnehmen'^), gleichviel, der Bericht zeigt, wenn auch in
anderer Verknüpfung, noch zwei wesentliche Elemente unserer
Erzählung.
Die vorstehenden Ausführungen sollen die Philologen des
klassischen Altertums wie des mittelalterlichen Schrifttums
und auch die Arabisten auf ein paar interessante Probleme
aufmerksam machen. Ich schließe mit einem Wort von Julius
Zacheb^) :
„Diese Nachweisungen, welche das Vorkommen der Sage
noch nicht erschöpfen, reichen vollkommen hin, um sie als
eine jener uralten aus unbekannter Zeit stammenden Wunder¬
sagen erkennen zu lassen, die seit frühen Jahrhunderten
zwischen Orient und Occident fluten."
1) Aug. Nacck: Tragicorunn graecorum fragmenta. Ed. 2. Leipzig
1889. S. 209, Nr. 335.
2) Außer einer Erwähnung bei 0. Cbusius (in: Aufsätze . . . Ebnst Kühn zum 70. Geb., Breslau 1916, S. 394) ist mir keine Behandlung dieser Stelle bekannt.
3) Pseudocallisthenes. Halle 1867, S. 149 (über das Seemanns¬
märchen vom Walfisch als Insel).
Bücherbesprechungen
Vincent A. Smith: "A History of Fine Art in India and
Ceylon" second edition, revised by K. de B. Codeington.
Oxford at the Clarendon Press 1930, XVI und 258 Seiten.
Es ist eine schwierige und eher undankbare Aufgabe, ein
Werk, das vor zwanzig Jahren erschienen ist, auf neu zu
bearbeiten, wenn es in einer Wissenschaft steht, die sich in
so ungewöhnlichem Tempo auswächst wie die indische Archäo¬
logie. K. de B. Codeington hat es unternommen, V. A. Smith'
Pionierwerk von 1911 "A History of Fine Art in India and
Ceylon" zu erneuern. Beim raschen Anwachsen der StofE-
massen und dem vorläufigen Mangel an systematisch-soliden
Zusammenfassungen großer Teilgebiete erscheint ihm eine
solche auf Übersicht zielende Darstellung ein notwendiges
Instrument, sich einigermaßen des weiten Gegenstandes zu
versichern, — "at the moment a consecutive account, rather
than a detailed account is wanted". Dem SMiTH'schen Buche
den Charakter des "consecutive account" zu belassen, ja
schärfer herauszuarbeiten war C.'s Absicht. So hat er bewußt
Abstand genommen, den Text mit neuen Theorien und stoff¬
lichen Nachweisen anreichernd „zu überlasten". Ja, wo es
nach bald zwanzig Jahren Forschung nahe gelegen hätte, den
alten Rahmen durch zugewachsenen StofE zu sprengen, sucht
C. dem Buche seine Lebensfähigkeit zu erhalten, indem er
seinen Leib einer zeitgemäßen Abmagerungskur unterzieht.
Sie hat den Umfang von 516 auf 238 Seiten heruntergebracht.
Es ließ sich einiger Raum einsparen, indem die bislang ge¬
trennt geführten Berichte über Geschichte der Architektur
und der Skulptur, die ohne Wiederholungen nicht auskamen.