• Keine Ergebnisse gefunden

Die Beschäftigung mit dem Mittelalter hat, besonders in der Würzburger Schule1, aber auch anderweitig allenthalben2, ganz entschieden Auftrieb bekommen

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Die Beschäftigung mit dem Mittelalter hat, besonders in der Würzburger Schule1, aber auch anderweitig allenthalben2, ganz entschieden Auftrieb bekommen"

Copied!
14
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Konnte man beim Erscheinen des ersten Bandes noch davon ausgehen, daß eine solche Textausgabe eher unzeitgemäß sei, so scheint dieser zweite Band heute nach verflossenen acht Jahren schon beinahe wieder ins Zentrum germanistischen Bemühens zu weisen. Die Beschäftigung mit dem Mittelalter hat, besonders in der Würzburger Schule1, aber auch anderweitig allenthalben2, ganz entschieden Auftrieb bekommen. Auf dem Programm stehen vor allem die spätmittelalterlichen Vokabularien und Glossare, deren Aufarbeitung der sprachgeschichtlichen Forschung neue Impulse geben soll3. Ohne Kenntnis des ,Summarium Heinrici' als erstem und frühestem Versuch, Schul- und Alltagswissen in systemati- scher Form im deutschen Sprachraum darzubieten, hinge die Beschäftigung mit diesen späteren Werken allerdings in der Luft.

Deshalb kann ich wohl davon ausgehen, daß dieser zweite und ab- schließende Textband des Summariums nicht länger auf sich hätte warten lassen dürfen, selbst auf die Gefahr hin, daß mir durch die Arbeit an der zeitraubenden Texterstellung und der endlichen Drucklegung der ein oder andere Anschluß an die aktuelle For- schungsdiskussion unterbunden worden sein sollte.

Ich beschränke mich deshalb auch bewußt auf eine interne Aus- einandersetzung mit den Stimmen, die zum ersten Band des Sum-

1 Spätmittelalterliche Prosaforschung, DFG-Forschergruppe-Programm am Se- minar für deutsche Philologie der Universität Würzburg, ausgearbeitet von Klaus Grubmüller, Peter Johanek, Konrad Kunze, Klaus Matzel, Kurt Ruh, Georg Steer. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik, Jahrgang 5 (1973), S. 156-187.

2 Z. B. in Freiburg mit dem Historischen Südwestdeutschen Sprachatlas von Wolfgang Kleiber, Konrad Kunze, Heinrich Löffler, Bern/München 1979.

- Vgl. dazu auch: Konrad Kunze, der Historische Südwestdeutsche Sprach- atlas, Quellenbasis, Anlage, Ausweitungs- und Auswertungsmöglichkeiten. In:

Zeitschr. für Dialektologie und Linguistik 47 (1980), S. 1—24.

3 Dazu die neue Reihe ,Texte und Textgeschichte', Würzburger Forschungen, herausgegeben von der Forschergruppe .Prosa des deutschen Mittelalters', Bd. 1 ff., Tübingen 1980ff. - In Kürze erscheint auch die in Marburg entstan- dene Textausgabe des ,Vocabularius optimus' von Ernst Bremer.

XI

(2)

mariums laut geworden sind, weil ich glaube, daß dies für die not- wendige Weiterarbeit ausschlaggebend ist und dem Leser zugleich einen raschen Zugang zur aktuellen Forschungsproblematik er- möglicht. Die durchweg wohlwollenden Kurzanzeigen4 wie auch die etwas umfangreicheren Besprechungen5 fußen mit dem Nach- weis kleinerer editorischer Schwächen, den Fragen um die Ver- fasserschaft, sowie der Problematisierung von Entstehungszeit und -ort in den meisten Fällen nicht unwesentlich auf dem um- fangreichen Beitrag von H. Tiefenbach6, der schon ein Jahr nach Erscheinen des ersten Bandes publiziert wurde. Tiefenbach konnte zunächst dem erfreulichen Umstand Rechnung tragen, daß das als verschollen geltende Fragment K (der Verlust war mir noch einmal schriftlich bestätigt worden!) in Heidelberg doch wieder vorhan- den ist. Er konnte dessen Textgestalt an Hand eines Mikrofilms mit meinem Editionstext vergleichen und teilt die Textvarianten mit. Er fand bestätigt, daß K textlich als Vorstufe ganz eng mit E zusammenhängt. Ferner: Der Aufweis von Divergenzen in der Schreibung einiger Glossen bei Steinmeyer und bei mir wird wohl großenteils durch die diesem Bande angefügte Liste von Stein- meyers Errata, aber auch meiner Korrigenda aufgeklärt. Nicht zu beheben war die bedauerte Vernachlässigung der gelegentlich vor- handenen Akzente. Abgesehen von den von mir im ersten Band geschilderten besonders problematischen Verhältnissen in der Hs.

A schienen mir die in wenigen anderen Hss. sporadisch auftreten- den Akzente so sehr den Charakter des Zufälligen und keinem er-

4 Hans Fromm in: Wissenschaftlicher Literaturanzeiger, Freiburg 1974, Heft 6;

— David A. Wells in: The Year's in Modern Language Studies 36 (1974), S. 596f.; — Gabriel Silagi in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittel- alters, Bd. 32 (1976), S. 264; - Ernst Hellgardt in: Germanistik 17 (1976), S. 758f.; — Wolfgang Kleiber in: Zeitschr. für Dialektologie und Linguistik 45 (1978), S. 108 f.

5 Werner Wegstein in: Zeitschr. für Deutsches Altertum und Deutsche Literatur 106 (1977), Anzeiger 88, S. 8—15; — Henning von Gadow in: Zeitschr. für deutsche Philologie 96 (1977), S. 448-451; - Heinz Mettke in: Deutsche Literaturzeitung 99 (1978), Spalte 361-363.

6 Heinrich Tiefenbach, Der Name der Wormser im Summarium Heinrici, Be- merkungen zur Neuedition des Glossars mit Beiträgen zu Lokalisierung, Da- tierung und Werktitel. In: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 10 (1975), S. 241-280.

XII

(3)

kennbaren Prinzip Folgenden zu haben, daß ich sie außer acht ließ. In diesem zweiten Band habe ich nun, Tiefenbachs Mahnung beherzigend, die Akzente, so weit es noch möglich war, berück- sichtigt und wiedergegeben. Eine tiefere Einsicht in den Sinn der Akzente hat sich mir aber dennoch dabei nicht erschlossen. Eben- so hätte ich es prinzipiell für verfehlt gehalten, wenn ich — schon Steinmeyer darin bewußt mißachtend — die gängigen Kürzel diplomatisch wiedergegeben hätte. Konsequenter- und absurder- weise hätte ich sie ja dann wohl auch im lateinischen Text berück- sichtigen müssen. Welche zusätzliche Belastung der Apparate hätte das ergeben! Und welchen Sinn hätte eine Beachtung dieser, jeweils spielerischer Freiheit des einzelnen Schreibers entspringen- den Schriftvariationen, sofern sie eindeutig aufgelöst werden konnten? Diesbezüglich gab es aber höchstens bei zwei Kürzeln Probleme: beim Nasalstrich, den ich nicht auflöste, wenn n oder m strittig sein konnte und bei der er-Kürzel, die bekanntlich manchmal auch als re aufgelöst werden muß (bei den deutschen Glossen freilich selten genug). Wer wie ich intensiv lateinische Texte mitbearbeiten mußte, der erkennt sehr schnell, daß die Schreiber beim Nebeneinander von Lateinisch und Deutsch keine Unterschiede in der Kürzelanwendung machen und sieht deshalb auch den einzigen Sinn nur darin, sie aufzulösen. Steinmeyers Strenge in der diplomatischen Wiedergabe in Ehren, bei den Nor- malbenutzern seiner Bände herrscht aber doch wohl meist Rat- losigkeit vor. Selbst ein so gewichtiger Rezensent wie H. von Gadow7 hat da noch seine Probleme, denn wie anders könnte man mazalf und b"chmanot wohl auflösen als mazaltra und brach- manot?

Mit Recht kritisiert Tiefenbach meine mißverständliche Recht- fertigung gelegentlicher Konjekturen bei mehrsilbigen Wörtern in Richtung auf eine im Lautstand konsequent althochdeutsche Form. Eine Annäherung an den Archetyp ist in der Tat durch ein solches Verfahren nicht zu erreichen, vielmehr war mir daran ge- legen, im Haupttext eine Form zu haben, die wenigstens nicht ganz moderner althochdeutscher lexikographischer Norm zu-

7 zitiert in Fußnote 5, dort S. 451.

XIII

(4)

widerläuft und gleichzeitig doch nicht gänzlich von den hand- schriftlichen Zeugnissen abweicht. Die Berechtigung schien mir besonders dann ableitbar zu sein, wenn die Hss. selbst so frei mit der Graphie umsprangen, daß sie an anderer, evtl. auch benach- barter Stelle das gleiche Lexem oder Morphem in eben der für den Haupttext bevorzugten Form darboten. Tiefenbachs beanstan- detes Beispiel8 spricht meines Erachtens eher gerade für dieses, zugestandenermaßen gewollt glättende Prinzip: warum sollte bei den Monatsnamen -manet nicht zu -manot konjiziert werden, wenn -manet in den Hss. AB insgesamt dreimal, -manot aber vier- zehnmal vorkommt? Ist das „,Normalalthochdeutsch' mancher Grammatiken und Wörterbücher" wirklich so suspekt, wie Tie- fenbach meint9, wenn doch immerhin in einer weit überwiegenden Zahl der Summariumbelege wenigstens eine, meist aber mehrere Hss. solch eine ,Normalform' vertreten?

Ich korrigiere und präzisiere mein .philologisches Prinzip' folg- lich in der Weise, daß ich im Regelfall die mindestens von einer, meist aber von mehreren Hss. vertretene, in der Graphie einem althochdeutschen Ideallautstand am nächsten kommende Glossen- form in den Text aufgenommen habe. Bei zusammengesetzten bzw. längeren Wörtern schienen jedoch bisweilen Konjekturen in die gleiche Richtung angebracht, weil keine Einzelform dafür re- präsentativ genug war und deshalb den Vorzug vor einer anderen hätte beanspruchen können. Die konjizierte Form ist deshalb eine Kompromißform, die sich aus Elementen der vorhandenen Formen zusammensetzt.

Ob der von Tiefenbach kritisierte Fall der Einsilblerkonjektur10 kämpf statt kanf / kanpf wirklich dialektale Besonderheiten ver- wischt, sei dahingestellt. Die Rechtfertigung zur Konjektur leitete ich in diesem Fall aus der Etymologie ab und meine, daß die Pla- zierung der n-Formen im Apparat durchaus kein Verwischen ist.

Dort gehören sie zunächst und so lange hin, bis meine weiteren Untersuchungsschritte zum Lautstand und zur Wortwahl der Ein-

8 zitiert in Fußnote 6, dort S. 253f.; dazu Summarium Heinrici Bd. 1, Buch II, Zeile 1115 ff.

9 zitiert in Fußnote 6, dort S. 254.

1 0 zitiert in Fußnote 6, dort S. 257.

XIV

(5)

zelhandschriften genaueren Aufschluß über ihre je eigene dialek- tale Einbettung ergeben haben.

Tiefenbachs weitere Ausführungen betreffen die Verfasserfrage im Zusammenhang mit einem neuen Lokalisierungsversuch. Ohne die im ersten Band erwogene Lorscher Provenienz rundweg ab- streiten zu wollen, scheinen ihm ähnlich tiefgreifende Aversionen gegen das Wormser Episkopat, wie die der Lorscher, auch bei den Würzburgern vorzuliegen. Heftiger Streit mit der Wormser Dom- schule ist dort vor allem für das St. Burkhard-Kloster nachweis- bar. Weitere wichtige Argumente für Würzburg sind für Tiefen- bach die weitgehend festzustellende p-Verschiebung und die Exi- stenz eines als bedeutende Persönlichkeit gekennzeichneten Bi- schofs Heinrich (995/96—1018), der die Abfassung des Summa- riums angeregt und gefördert haben könnte. Sehr stichhaltig ist bei der Häufigkeit dieses Namens dieses letztere Argument nicht, und auch die p-Verschiebung ist zwar für Würzburg unproblemati- scher als für Lorsch, aber Tiefenfach kann sie bei der derzeitigen Forschungslage für Lorsch durchaus nicht gänzlich ausschließen.

H. Mettke1 1 bringt zudem ein überzeugendes Gegenargument: in Würzburg müßte die Verschiebung von d > t eindeutig vollzogen sein. Aber viele Beispiele der wichtigsten Hss. zeigen diese Ver- schiebung gerade nicht und bleiben beim d. Insgesamt kann festge- stellt werden, daß Tiefenbachs Würzburg-Theorie bisher keine weiteren Befürworter gefunden und sich die Lorsch-Theorie, wenn auch mit anderer Datierung, eher wieder verfestigt hat1 2.

Bedenkenswert ist Tiefenbachs abschließende Modifizierung der Etymologie von luotrudin: aus zwei Belegen luot-, die zu einem ön-Verb luodön schwätzen* gehören könnten, das wieder- um eine Dentalerweiterung des jan-Verbs *hlö,Schreien des Esels, Kläffen des Hundes* sein könnte, ergäbe sich für luotrudin die Be- deutung ,Lästerhunde*. Diese Etymologie paßt allerdings beson- ders gut zur Würzburg-Theorie, deren Hintergrund die verbalen Auseinandersetzungen zweier sich befehdender Schulen bildete.

Bei der Lorschtheorie waren die ,Rottenhunde' dagegen die in

11 zitiert in Fußnote 5, dort Spalte 362 f.

12 s. unten über W. Wegsteins Dissertation.

X V

(6)

räuberischen Horden auftretenden Wormser Plünderer. N . Wag- ner13 gibt zum gleichen Bedeutungshintergrund noch eine erwei- terte und aus mehrfachen Belegen zu folgernde Etymologie von luot- an im Sinne von ,Raub und Brandstiftung'. Anders W. Weg- stein14, der nachzuweisen versucht, daß die ewsei-Endungen (Wor- matienses usw.) im Städtekatalog des Summariums nicht die Ein- wohner pauschal, sondern speziell die Abfolgereihe der einsitzen- den Bischöfe meint, so daß sich dann das Schimpfwort luotrudin sogar auf eine längere Dynastie verhaßter Bischöfe bezöge.

Einen zweiten wichtigen Beitrag hat N . Wagner geliefert15. Er versucht recht überzeugend nachzuweisen, daß mit den im Kapitel ,De Nationibus Gentium' (VIII, 1) zwischen den Bulgarii und den Sclavi genannten Flavi, dt. valwun, der turk-sprachige Volks- stamm der Kumanen gemeint ist, der in Eroberungszügen aus Mit- telasien nach Westen vorgedrungen war und frühestens im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts von einem deutschen Schreiber in die Reihe der östlichen Nachbarvölker eingeordnet worden sein konnte. Damit scheint die frühe Datierung des Summariums (um 1020) entscheidend ins Wanken geraten zu sein. Ein weiteres Ar- gument für die Spätdatierung sind solche Glossenerstbelege, deren Datierung um 1020 bisher teilweise schon auf ungläubiges Staunen gestoßen ist. Wagner nennt z. B. armbrust (X,5) einscilt riter und soldinir / scoldinar (VIII, 6)16, aber auch scahzabel (X, 10) würde z.B. hierhergehören.

W. Wegstein schließt sich in seiner Besprechung meines ersten Bandes17 Wagners Argumenten zur Spätdatierung an und erwartet weitere Aufschlüsse durch die künftige Forschung. Das in meinen Augen stichhaltigste Gegenargument für die Spätdatierung (die ich übrigens in anderem Zusammenhang als Möglichkeit nicht ganz ausschloß18), hat N. Wagner selbst gesehen und zu entkräften ver-

13 zitiert in Fußnote 15; dort S. 128, Fußnote 13.

14 Werner Wegstein in seiner demnächst erscheinenden Dissertation: Studien zum ,Summarium Heinrici' — Die Darmstädter Handschrift 6.

15 Norbert Wagner, Zur Datierung des .Summarium Heinrici'. In: Zeitschr. für Deutsches Altertum und Deutsche Literatur 104 (1975), S. 118-126.

16 S. 122, Fußnote 27.

17 zitiert in Fußnote 5.

18 Reiner Hildebrandt, Zu einer Textausgabe des ,Summarium Heinrici': Der

XVI

(7)

sucht: den älteren Vokalstand, den die Hss. vielfach bewahrt haben, einige freilich nicht konsequent, sondern in Vermischung mit jüngerem. Wagner folgert daraus: „Diese Inkonsistenz be- weist, daß der ältere Lautstand nicht mehr fester, selbstverständ- licher Besitz ist, daß man ihn vielmehr bereits hinter sich gelassen hat; was von ihm noch vorliegt, ist einer konservierenden Tradi- tion, der historisierenden Bewahrung älterer schriftlicher Fixie- rung zuzuschreiben. Zu einem Gutteil wird er aus älteren Vor- lagen — wohl Glossaren — herübergenommen sein, die ihrerseits zu historisierenden Schreibungen inspirieren konnten"1 9. So plausibel das zunächst klingen mag, so ist doch in meinen Augen damit das Bild eines bewußt gestaltenden und sprachlich enga- gierten Verfassers preisgegeben worden. Wenn er für die deutsch glossierten acht von zehn Büchern ausschließlich Isidor als Grund- lage hatte und ihm dabei bisher nur die Parallelbenutzung eines weiteren Werkes von W. Wegstein für die beiden Pflanzenkapitel 7 und 8 des VI. Buches nachgewiesen werden konnte2 0, für das aber keineswegs ohne weiteres etwa auch eigenständige deutsche Glossierungen anzunehmen sind, so ist doch sehr zweifelhaft, was das, abgesehen von den in Steinmeyers Sammlung verbuchten, für ältere Vorlagen / Glossare mit echt althochdeutschen Wör- tern sein könnten! Natürlich könnte er eine glossierte Isidorvor- lage benutzt haben, aber der Drang zu historisierenden Schreibun- gen dürfte dann sicherlich nicht auf einer Inspiration beruhen, sondern dazu müßte er eher ein weitabgewandter Sonderling ge- wesen sein, der bezüglich des wahren Interesses an den deutschen Glossen mit keinem der späteren Abschreiber seines Werkes auf eine Stufe zu stellen wäre. Denn das ist ja gerade das Charakteri- stische an diesen Abschreibern, daß sie jedes einzelne deutsche Wort einer eigenen Graphie unterwarfen! Für ihre Motivation kann es aber nur einen Grund dafür geben: den aktualisierend dia- lektgebundenen! Jedes vorgefundene Wort ist für den Abschreiber schon archaisch, es kann allenfalls belassen, besser aber dialektge-

Erlanger Codex (V). In: Zeitschr. für Deutsches Altertum und Deutsche Lite- ratur 101, S. 289-303; dort S. 299, Fußnote 47.

19 N. Wagner, zitiert in Fußnote 15; dort S. 125.

20 \ji/ Wegstein, zitiert in Fußnote 5; dort S. 15: Herbarius des Pseudo-Apuleius.

2 S u m m a r i u m Heinrici 2 XVII

(8)

rechter modernisiert werden, nicht umgekehrt. Ein solches, an einer Hs. unmittelbar erkennbare Verfahren habe ich an anderer Stelle beschrieben21.

Damit ergibt sich folgende Alternative: Entweder hat der Autor bereits vorhandene Glossen in sein Werk eingebracht, ohne sie auf den , aktuellen' Lautstand gebracht zu haben — damit würde das wissenschaftliche Bemühen um einen Archetyp mit einheitlicher Lautgebung'22 hinfällig, oder: auch am Ende des 11. Jahrhun- derts ist spätahd. Lautstand in der Glossographie noch nicht als ar- chaisch zu werten, sondern muß auf einem allgemeinen Konsens und relativ sicher gehandhabter Schreibtradition beruhen. Dazu könnten weitere Argumente aus diesem 2. Band beigebracht wer- den: Die Sechs-Bücher-Fassung ist zweifellos das Werk eines Re- daktors, und die Hs. D muß ein guter alter Textzeuge dafür sein, denn auch in ihr ist einerseits noch weitgehend spätahd. Lautstand erhalten, andererseits aber belegt sie ebenfalls armbrust (VI, 11), einsciltic riter und scoldiner (I, 8), scahzabel (VI, 14). Als Umar- beitung der ersten Fassung muß diese zweite Fassung in, wenn auch vielleicht kurzer zeitlicher Abfolge zu ihr entstanden sein und noch in die gleiche Spätphase des ahd. Schreibkonsenses ge- hören.

Noch bessere Argumente liefert das Buch XI (Langfassung):

Durch die angefügten Additamenta ist eine klare Scheidung von ursprünglichem Textbestand und späteren Zusätzen gewährleistet.

Am ausgiebigsten hat das Handschriftenpaar A B diesen Anhang ausgestaltet, und dabei ist deutlich zu erkennen, daß B den älteren Lautstand mit z.B. noch vollen Endvokalen, A aber den jüngeren mit e-Endungen hat. Damit liegt wohl klar auf der Hand, daß diese Gruppe als die von der Erstkonzeption am weitesten ablie- gende Redaktion doch ebenfalls noch Wortschatz auf alten Laut- stand beisteuern konnte, so daß auch evtl. sogar noch anfangs des 12. Jh.s die alte Schreibtradition galt. Die Frage erhebt sich dann allen Ernstes, ob es tatsächlich nur allein Schreibtradition war,

2 1 R. Hildebrandt, zitiert in Fußnote 18; dort S. 301 f.

2 2 Forderung Edward Schröders in: Zeitschr. für Deutsches Altertum und Deutsche Literatur 73 (1936), S. 103.

XVIII

(9)

oder nicht sogar konservativer Sprachgebrauch artistischer bzw.

monastischer Gelehrsamkeit? Dasselbe ergibt sich für die Gruppe c d e, die ebenfalls durchaus altertümliche Lautungen beisteuert.

Ich glaube also nicht an das von Wagner angenommene .histori- sierende Bewußtsein' einzelner Verfasser, die alte Lautungen nachzuahmen versuchen, sondern, wenn schon die Spätdatierung des Summariums sich erhärten sollte, viel eher an legitim gehand- habtes (d. h. auch gesprochenes) Spätalthochdeutsch in den Schreibstuben und Schulen bis zum Anfang des 12. Jahrhunderts, aber natürlich nicht in standardisierter Form, sondern mit ange- messener dialektaler Toleranzbreite. Erst eine zweite und dritte Generation von Kopisten, die für die uns erhaltenen Hss. verant- wortlich ist, dürfte dann im Laufe des 12. Jh.s und späterhin teil- weise ,historisierend' verfahren sein, indem sie die deutschen Glossen mit mehr oder weniger reflektierendem Abstand behan- delte und gegebenenfalls veränderte. Eine Stützung dieser Argu- mentation liefert m.E. wieder die Hs. V. Aus ihr geht nach meinen früheren Ausführungen23 klar hervor, daß der Schreiber Eigilo in Schönau um 1200 noch keine Veranlassung sah, alten Lautstand zu modernisieren, so wie es dann erst knapp 100 Jahre später der Kopist in Heilsbronn mit unterschiedlichem Engage- ment praktizierte. Wenn allerdings Eigilo es war, der luotrudin durch wormizera ersetzte24, dann hat immerhin Wagner für diesen einen Fall recht, ihn als einen Versuch einer historisierenden Schreibung zu erklären. Weitere Klarheit kann für die individuel- len Anteile der Schreiber an den Schreibungen erst eine genauere Analyse der zahlreichen Heteronyme liefern. Eine muß dabei immer die ältere Form sein, eine dagegen die jüngere.

In einer zweiten Abhandlung konnte sich N. Wagner25 des Notars Egilio im Kloster Schönau um 1200 als Gewährsmann für die Lösung der so lange strittigen Heimatfrage des Minnesängers Friedrich von Hausen versichern. Eigilo belegt als Schreiber der

2 3 wie Fußnote 21.

2 4 N. Wagner, zitiert in Fußnote 15; dort S. 125.

2 5 Norbert Wagner, Zum Wohnsitz des Friedrich von Hausen. In: Zeitschr. für Deutsches Altertum und Deutsche Literatur 104 (1975), S. 126-130.

X I X

(10)

Vorlage der Hs. V in einem Zusatz zum Text des Summariums (V, II)2 6 husen als Burg von Heinrichs Vater Walther, gelegen an der Neckarmündung in den Rhein, einer Zollburg, die späterhin unter dem Namen Rheinhausen bekannt war. Dem Historiker und Experten für die Geschichte des mittleren Rheingebietes Meinrad Schaab gebührt das Verdienst, mich als erster brieflich auf diesen Zusammenhang hingewiesen zu haben263. Wagner hat dankens- werterweise in seinem Beitrag viel historisches Detailwissen über die weiteren Zusammenhänge dieser Lokalisierung beigetragen. So kann dieses Problem als endgültig gelöst betrachtet werden.

Die zweifellos ergiebigste neuere Untersuchung zum Summa- rium im Anschluß an meinen 1. Band ist W. Wegsteins Disser- tation27, die demnächst im Druck erscheinen wird. Wegstein er- weist sich darin als rigorosester Verfechter einer Spätdatierung um 1150. Daß bei dieser Konzeption der Anachronismus des spät- ahd. Lautstandes noch viel stärker zum Problem werden muß, sei hier einmal dahingestellt, in der Beweisführung stützt sich Weg- stein jedenfalls auf eine außerordentlich wichtige Erkenntnis zum geistigen Hintergrund des Verfassers. Den Fingerzeig dazu hatte Steinmeyer noch selbst in einer Fußnote gegeben28, indem er bei dem auch für Wegstein unzweifelhaft originären Prosaprolog auf Abhängigkeit von Seneca hinwies. Aus Senecas 33. Brief ad Luci- lium hat der Verfasser so weitgehende wörtliche und inhaltliche Anklänge übernommen, wie sie nur die erst im 12. Jh. einsetzende Senecarezeption in Deutschland überhaupt möglich machte. Die neueren Forschungen auf diesem Gebiet scheinen so stichhaltig zu sein, daß man den Datierungsansatz, vielleicht nicht ganz so spät, wohl aber zwingend in die erste Hälfte des 12. Jh.s verlegen muß.

Für rheinfränkische und wiederum am ehesten Lorscher Prove- nienz spricht sich Wegstein weiterhin aus, und immerhin gab es

2 6 s. dazu R . Hildebrandt, zitiert in Fußnote 18; dort S. 296.

2 6 a Dazu vgl. M. Schaab in: Ministerialität im Pfälzer Raum, hsg. von Friedr.

Ludw. Wagner, Speyer 1975, S. 9 5 - 1 2 1 ; dort S. 111 ff.

2 7 s. Fußnote 14.

2 8 Die althochdeutschen Glossen, gesammelt und bearbeitet von Elias Steinmeyer und Eduard Sievers, 3. Band, 1895; unveränderter Neudruck Dublin/Zürich 1969, S. 62, Fußnote 14.

XX

(11)

dort von 1151 — 1167 bezeichnenderweise auch einen seiner be- deutenden Leistungen wegen gerühmten Abt Heinricus, der das, wie ich nun wiederum folgere, nicht erst entstehende, sondern be- reits fertige Werk nachhaltig publik gemacht haben könnte und dafür den sekundären Versprolog mit seinem Namen im Akro- Meso-Telestichon dediziert bekommen hätte.

Die Seneca-Abhängigkeit des Verfassers wird nach Wegstein noch ganz entscheidend erhärtet durch die Titelwahl selbst: ,Sum- marium' ist eine völlig singulare Wortprägung in Senecas 39. Brief, nirgends taucht sie anderweitig auf, außer bei Alexanders de Villa Dei Werk ,Summarium biblicum', das aber unserem Summarium zeitlich nachgeordnet ist und deshalb, wie ich meine, im Titel von ihm abhängig sein könnte. Das Hauptanliegen Wegsteins ist, wie schon der Titel seiner Untersuchung deutlich macht, die einge- hende Beschäftigung mit der Hs. H . Wegstein vertritt im Gegen- satz zu meiner Vermutung einer korrumpierten Vorlage (Bd. 1, S. XXXVIIIf.) die Auffassung, daß es sich um eine eigenständige redaktionelle Neufassung mit einer, wenn auch nicht mehr in allen Teilen klar ersichtlichen Konzeption handele. Als Entstehungsort entscheidet sich Wegstein nach eingehenden Sachstudien für Him- merod, wodurch die auch landschaftliche Sonderstellung der Hs.

noch einmal mehr erhärtet ist. Eine eingehende sprachliche Unter- suchung der Glossen, die diese Sonderstellung noch unterstreichen müßte, wird im Rahmen der Arbeit noch nicht geleistet, aber immerhin wird ein erster Problemfall exemplarisch an den Schluß der Arbeit gestellt: die zweimalige Glossierung von ,elephans' als alpant.

Mit Wegsteins ausdrücklicher Erlaubnis möchte ich hier auch seinen Versuch einer stemmatischen Verteilung der Handschriften zur ersten Summarium-Fassung aus seiner Dissertation mitteilen.

Sie steht weitgehend im Einklang mit vielen Einzelbeobachtungen, die ich bisher bei der Arbeit am Text gewonnen habe. Selbstver- ständlich erwarte ich von der weiteren Forschung, der meinen inbegriffen, durchaus noch Modifizierungen und Präzisierungen (Stemma auf der folgenden Seite).

X X I

(12)

Stemma zur Redaktion A des ,Summariums'

Eine weitere gewichtige Abhandlung über ein Teilproblem zum Summarium, die wechselvolle Geschichte einer Einzelhandschrift betreffend, hat jüngst L. Voetz vorgelegt29. Er hat die von mir im Band 1 vorgetragene Erkenntnis, daß drei heute getrennt aufbe- wahrte Fragmente (in Bern, Bonn und Zürich) Teilstücke nur eines Codex (P) sein müssen, aufgegriffen und überzeugend be- stätigen können. Meine Angabe im 1. Band (Seite XL) zur Hs. P3 der Universitätsbibliothek Bonn, sie sei 1834 aus dem Nachlaß des dänischen Philologen und Bibliothekars A. W. Cramer erworben worden, wird von Voetz dahingehend korrigiert, daß Cramer nicht Däne und nicht Philologe war, sondern Professor der Juris- prudenz in Kiel. Voetz hat mit ganz außerordentlicher Akribie dem Lebensweg Cramers nachgespürt und die Umstände, die ihn zum Besitzer dieses Bruchstückes machten, nachgezeichnet. Er fand heraus, daß Cramer 1816 in Bern weilte und die beiden Blät- ter in der Bibliothek offenbar zum Geschenk gemacht bekam.

Allerdings ist auch ein illegaler Besitzwechsel nicht auszuschlie- ßen. Die Provenienz aller drei Bruchstücke kann Voetz bis ins 16.

Jh. zurückverfolgen und zu diesem Zeitpunkt in der Schweiz loka- lisieren. Der Beitrag insgesamt, wie auch einige anregende ab-

2 9 Lothar Voetz, Summarium Heinrici Codex discissus P — Kodikologische und stemmatologische Vorarbeiten zur sprachlichen Auswertung einer althochdeut- schen Glossenhandschrift. In: Sprachwissenschaft 5 (1980), S. 364-414.

XXII

(13)

schließende Gedanken zur Filiation von P im Rahmen der eng zu- sammengehörigen Hss. A B F P machen deutlich, daß sich Voetz in die vorderste Reihe der Summarium-Experten eingegliedert hat.

Aus gänzlich unerwarteter geographischer Dimension ist letzt- endlich eine um so beachtenswertere Publikation zum Summarium aufgetaucht: Marina Bartoletti hat an der Universität Messina ein 197seitiges alphabetisches Glossar der deutschen Glossen des 1. Bandes zusammengestellt und publiziert30. Das sorgfältig gear- beitete Glossar führt die deutschen Glossen mit dem lat. Stichwort auf, es folgt die Belegstelle nach Buch, Kapitel und Zeile, sodann werden auch noch alle handschriftlichen Varianten aus dem Apparat aufgeführt. Unmittelbar anschließend werden die Belege dann auch noch einmal nach Steinmeyers Anordnung hinzugefügt, jedoch ohne Seiten- und Zeilenangabe. Recht häufig, jedoch ohne zwingende Konsequenz sind in Klammern auch noch etymolo- gische Entsprechungen beigegeben. Das Büchlein enthebt mich als Herausgeber des Textes mancher Sorge um die sinnvolle und konzentrierte Weiterarbeit, hat aber auch einen mit gleicher Arbeit betrauten Schüler in nicht geringe Verlegenheit gebracht.

Abschließend ist noch ein Hinweis auf eine von mir übersehene Publikation angebracht31, die näheren Aufschluß über Eigilos Briefsammlung im Anschluß an die ,Aurea gemma' des Heinricus Francigena bringt. Hatte ich in der Beschreibung der Erlanger Hs.

noch geschrieben32: „Was dann aber noch nach dem Explicit aurea gemma auf elf Seiten an Briefen und Urkunden folgt, ist auf jeden Fall allein dem Notarius Eigilo in Schönau zuzuschreiben", so muß ich aufgrund des mir erst jetzt bekanntgewordenen Auf- satzes von F.-J. Schmale33 nunmehr diese vermeintliche Origina-

3 0 Marina Bartoletti, Summarium Heinrici Glossario. Messina 1980.

3 1 den Hinweis verdanke ich gleichzeitig P. G. Schmidt, Marburg und W. Weg- stein, Würzburg, dessen Untersuchung (s. Fußnote 14) noch weitere Studien zu Eigilos Briefsammlung bringen wird. — Vgl. ferner auch Heinz-Jürgen Beyer, Die „Aurea Gemma". Ihr Verhältnis zu den frühen artes dictandi, Diss., Bochum 1973 und ders., Die Frühphase der ars dictandi, in: Studi medievali 18 (1977), S. 585-609.

3 2 R. Hildebrandt, zitiert in Fußnote 18; dort S. 298.

3 3 Franz-Josef Schmale, Der Briefsteller Bernhards von Meung. In: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 66 (1958), S. 1 - 2 8 .

XXIII

(14)

lität Eigilos widerrufen. Schmale hat nachgewiesen, daß Eigilo (den Namen kannte er freilich noch nicht!) hier, wenn auch wieder recht eigenwillig34, sich nur als Kopist des Briefstellers Bernhards von Meung betätigt hat, der in den achtziger Jahren des 12. Jh.s3 5 entstanden sein dürfte. Eigilo reiht sich dabei in einen Uberliefe- rungszweig ein, der die , Aurea gemma' des Heinricus Francigena integriert hatte.

3 4 S. 12f., Fußnote 45.

3 5 S. 16.

XXIV

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Liegt eine ED vor, ist auch immer daran zu denken, dass es sich dabei um einen wich- tigen Hinweis auf ein bisher nicht erkann- tes kardiovaskuläres Leiden oder eine

legungen greifbar wird. die Entscheidungen darüber treffen, ob Vertrauen als rationales Kalkül oder Emotion gelten solle oder ob etwas stalt Vertrauen besser

tung speziell beachtet werden, dass alle Pferde eine individuell angepasste.. Bedarfsdeckung,

Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder (DSK) spricht sich gegen eine Abschaffung oder Verwässerung der die Datenschutzgrundverordnung

menschliche, und genau das macht den Reiz unserer Organisation aus. Denn über die IAESTE treffen offene Menschen auf offene Menschen und man lernt nicht nur andere Städte

Einen Tag später kommentierte die Neue Zürcher Zeitung den Entscheid des Parla- ments: «Eine (wage-)mutige Strategie» sei es, eine Vorlage zur Abstimmung zu bringen, gegen welche

scheint, regional erheblich ausweitete. In Norddeutschland erschlofi die Hanse die Uberschufigebiete des deutschen Ostens und Polens und verband diesen Raum mit den

Um wie viele Zentimeter müsste der Thunersee gesenkt werden, um ein Hochwasser wie im August 2005, während fünf Tagen aufnehmen zu können, wenn der neue Stollen und die