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Nach dem Militär – die Entwicklungspolitik? Fragen für eine realistische Entwicklungs- zusammenarbeit mit Afghanistan und anderen fragilen Staaten

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Nach dem Militär – die Entwicklungspolitik?

Fragen für eine realistische Entwicklungs- zusammenarbeit mit Afghanistan und anderen fragilen Staaten

Von Dr. Jörn Grävingholt, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

vom 16.08.2010

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Nach dem Militär – die Entwicklungspolitik? Fragen für eine realistische Ent- wicklungszusammenarbeit mit Afghanistan und anderen fragilen Staaten

Bonn, 16.08.2010. Die jüngste Afghanistan-Kon- ferenz in Kabul hat das Vorhaben bestätigt, dass ab 2011 die „Übergabe der Sicherheitsverantwor- tung“ in afghanische Hände konkrete Gestalt an- nehmen soll. Bis dahin sollen die Voraussetzungen dafür, das heißt ausreichende öffentliche Sicher- heit und ein Staatsapparat, der konstruktive Bei- träge dazu leistet, geschaffen werden. Dass dies gelingen wird, ist fraglich. Zuletzt hat die Gewalt, nicht nur gegenüber Ausländern, sondern auch gegenüber der einheimischen Bevölkerung, be- ständig zugenommen. Kurzfristige militärische Erfolge in der Aufstandsbekämpfung sind zwar möglich, doch der nachhaltige Aufbau eines Staa- tes, der seinen Bürgern einen Grundbestand an Sicherheit, funktionierenden Institutionen und öffentlicher Daseinsvorsorge gewährleistet und die dafür erforderliche Legitimität genießt, ist mit den Mitteln und in den Zeithorizonten des Militärs nicht zu bewerkstelligen. Dauerhaft wird die Ge- walt in Afghanistan nur zurückgehen, wenn ihre strukturellen Ursachen beseitigt werden.

Mit dem schrittweisen Rückzug der internationa- len Schutztruppe (ISAF) wird mehr denn je die Entwicklungszusammenarbeit gefordert sein, Beiträge zum Aufbau funktionierender Staatlich- keit zu leisten. Aber kann sie es auch? Bilaterale und multilaterale Geber sind zunehmend bemüht, aus ihren Engagements in so verschiedenen Län- dern wie Sudan, Somalia, Sierra Leone, Ruanda, Osttimor, Nepal, Haiti, Irak, Kosovo, Kambodscha, Kongo, Bosnien oder eben Afghanistan die richti- gen Lehren zu ziehen. Die Erfahrungen sind weni- ger deprimierend, als Fälle wie Afghanistan nahe legen. Aber sie machen auch deutlich, dass die Gefahr, trotz bester Absicht das Falsche zu tun, erheblich ist. Vor allem kommt es darauf an, sich die richtigen Fragen zu stellen. Diese gehören da- zu:

Auf welcher Basis können der Staat und das Verhält- nis von Staat und Gesellschaft neu gegründet wer- den? Staatsaufbau muss und kann nur aus einer betroffenen Gesellschaft selbst heraus gelingen.

Dazu ist es notwendig, sowohl die einflussreichen Eliten eines Landes als auch die Breite der Bevölke- rung ins Boot zu holen. Ausländische Hilfe kann wertvolle Unterstützung leisten, indem sie Hürden der Beteiligung senkt, Foren anbietet und Anreize

setzt. Sie riskiert jedoch, wichtige Akteure zu ent- fremden, wenn sie die Ziele selbst vorgibt. Der Ausschluss „der Taliban“ aus dem Neugründungs- prozess ab 2001 hat sich als Fehler erwiesen. Dass Präsident Karzai zunehmend den Brückenschlag zu den so genannten „gemäßigten Taliban“ sucht, ist nach Lage der Dinge alternativlos. Ob Karzai selbst auf Dauer die beste Verkörperung eines neuen afghanischen Staates sein wird, ist an den Afgha- nen selbst zu beurteilen. Bemühungen, den neuen Staat auf eine möglichst breite gesellschaftliche Basis zu stellen, verdienen jedenfalls die Unter- stützung von außen. Dazu kommt es darauf an, als externer Akteur über die relevanten Kenntnisse zu verfügen. Es geht darum, die politischen Pro- zesse einer Gesellschaft auch jenseits formaler Institutionen zu verstehen, um die Netzwerke und Legitimitätsquellen der entscheidenden Akteure zu wissen und die gesellschaftlichen Erwartungen an den Staat einschätzen zu können. Erst dann lässt sich ermessen, ob der Staatsaufbau hinrei- chend inklusiv gestaltet ist und langfristig Aus- sicht auf Erfolg hat.

Stimmen unsere Ziele mit denen des Staatsaufbaus überein? Hinter dieser Frage steckt die Nagelprobe für die Ernsthaftigkeit des internationalen Enga- gements. Trotz mancher anders lautender Beteue- rungen hat jahrelang das Sicherheitsinteresse des Auslands das Engagement in Afghanistan diktiert.

So legitim einige der Ziele für sich genommen sind (Eindämmung der Terrorgefahr, Rückgang des Drogenanbaus), so ernüchternd ist die Bilanz: Die Erfolge sind fragil (internationaler Terrorismus) oder fehlen vollkommen (Drogenanbau). Dafür haben die gewählten Methoden dem Staatsauf- bau zusätzliche Belastungen auferlegt. Sie haben das ausländische Engagement nicht populärer gemacht und haben fragwürdige militärische Alli- anzen entstehen lassen. Klugheit, nicht nur Altru- ismus, sollte in den kommenden Jahren eine Fo- kussierung auf das Ziel des Staatsaufbaus diktie- ren. Nur ein funktionierender, ausreichend in der Gesellschaft verankerter Staat kann auch nach außen verantwortlich Sicherheitsrisiken eindäm- men.

Stimmen die Rollen? Internationale Akteure haben die größten Aussichten, Staatsaufbau in Nach- kriegsgesellschaften erfolgreich zu unterstützen,

© Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne, 16.08.2010 www.die-gdi.de

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wenn sie als moderierende „dritte Kraft“ eingrei- fen, die eine Friedenslösung aushandeln und die Grundlagen für einen neuen Staat finden hilft. In Afghanistan fallen die meisten internationalen Akteure für diese Rolle vorerst aus, weil die ISAF faktisch Kriegspartei ist. Die Entwicklungspolitik muss in den nächsten Jahren versuchen, sich aus der damit verbundenen Mithaftung zu befreien und ihre Rolle neu zu definieren (auch wenn die Aufständischen derzeit demonstrieren, dass ihnen derlei subtile Rollendifferenzierungen gleichgültig sind). Zur Unparteilichkeit gehört, sich als externer Partner nicht an bestimmte Akteure, wie die herr- schende Regierung, und ihren politischen Erfolg zu ketten. Entscheidend ist, das eigene Engage- ment als Angebot einzubringen, das an grundsätz- liche Verhaltensbedingungen geknüpft ist – wobei der Maßstab nicht primär Wohlverhalten gegen- über der internationalen Gemeinschaft, sondern Loyalität für den innergesellschaftlichen Friedens- und Staatsaufbauprozess sein muss.

Gibt es eine umfassende entwicklungspolitische Stra- tegie? Treten externe Akteure bei der Unterstüt-

zung des Staatsaufbaus mit divergierenden Stra- tegien auf, ist die Gefahr groß, dass sich unter- schiedliche Einflussgruppen innerhalb einer Gesell- schaft Anreizen ausgesetzt sehen, sich aus einem einmal vereinbarten, unvermeidlich mit Kompro- missen verbundenen Grundkonsens wieder zu verabschieden. Die falschen Signale zu unterlassen und die richtigen zu setzen ist die wichtigste Auf- gabe internationaler Koordinierung.

Ist Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Staa- ten angesichts solcher Anforderungen überhaupt Erfolg versprechend? Die Antwort ist, es gibt keine Alternative. Gerade Armutsbekämpfung wird in den kommenden Jahrzehnten immer stärker in fragilen Staaten stattfinden müssen. Während nämlich eine Gruppe traditioneller „Entwicklungs- länder“ gute Aussichten hat, dem Teufelskreis aus Armut und Staatsschwäche dauerhaft zu ent- kommen, droht eine andere, immer tiefer in ihm zu versinken. Maximale Kontextkenntnis und ein besseres Wissensmanagement werden dabei im- mer mehr zu den entscheidenden Engpässen zu- künftiger Entwicklungszusammenarbeit.

Dr. Jörn Grävingholt Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

© Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne, 16.08.2010 www.die-gdi.de

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