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Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Fragen zum ISAF-Einsatz in Afghanistan

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Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Fragen zum ISAF-Einsatz in Afghanistan

- Ausarbeitung -

© 2006 Deutscher Bundestag WD 2 – 240/06

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Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages

Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Fragen zum ISAF-Einsatz in Afghanistan Ausarbeitung WD 2 - 240/06

Abschluss der Arbeit: 10.01.2007

Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Internationales Recht, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und

Entwicklung, Verteidigung,

Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag.

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1. Der ISAF-Einsatz der NATO in Afghanistan und seine völkerrechtli- chen und verfassungsrechtlichen Implikationen

1.1. Völkerrechtliche Ausgangslage

Zu den tragenden Grundsätzen der heutigen Völkerrechtsordnung zählt das umfas- sende Gewaltverbot nach Art. 2 Nr. 4 der Satzung der Vereinten Nationen (SVN), wel- ches die Anwendung militärischer Gewalt in den internationalen Beziehungen zwischen den Staaten untersagt. Erfasst sind von diesem Verbot nicht nur der koordinierte Einsatz von Streitkräften, sondern jegliche militärische Gewalt, also etwa auch bereits jede ge- waltsame Grenzverletzung.1 Das Gewaltverbot gilt neben seiner positivrechtlichen Normierung in Art. 2 Nr. 4 SVN auch als Regel des Völkergewohnheitsrechts.2 Die Satzung der Vereinten Nationen lässt vom Gewaltverbot nach Art. 2 Nr. 4 SVN nur zwei Ausnahmen zu: Das Recht eines Staates zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe gemäß Art. 51 SVN sowie durch den Sicherheitsrat legitimierte militärische Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der Sat- zung.3 Ob darüber hinaus auch die sog. „humanitäre Intervention“ Gewaltanwendung rechtfertigen kann, ist innerhalb der Staatenpraxis und Völkerrechtswissenschaft stark umstritten.4

Nach dem durch die Satzung der Vereinten Nationen statuierten System kollektiver Sicherheit ist der Sicherheitsrat dasjenige Organ der Vereinten Nationen, welches die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit trägt (Art. 24 SVN). Um dieser Verantwortung gerecht werden zu können, wurden dem Sicherheitsrat mit den Regelungen des Kapitels VII SVN verschiedene Handlungsoptionen zur Anordnung von Zwangsmaßnahmen zur Seite gestellt. Will der Sicherheitsrat von diesen Optionen Gebrauch machen, so muß er zunächst gemäß Art.

39 SVN feststellen,

„ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung“

vorliegt. Anschließend kann der Sicherheitsrat Empfehlungen abgeben oder beschlie- ßen, welche Maßnahmen auf Grund der Art. 41 und 42 SVN zu treffen sind, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen. Art.

41 SVN bildet die Rechtsgrundlage für wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen, während Art. 42 SVN die Anordnung von militärischen Zwangsmaßnahmen betrifft. Will der Sicherheitsrat auf Grundlage von Art. 42 SVN militärische Zwangsmaßnahmen anord-

1 Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rn 5.

2 Bothe in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 608.

3 Hobe/Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 312, 323; Menzel/Pierlings/Hoffmann, Völker- rechtsprechung, S. 816.

4 Siehe zu dieser Frage Lübbe/Soltau, Souveränitätsprinzip und Menschenrechte, WD 2-193/06.

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nen, so geschieht dies in der Regel durch die Formulierung, dass die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen dazu ermächtigt werden, „alle notwendigen Mittel“ einzusetzen, um die vom Sicherheitsrat vorgegebenen Ziele zu erreichen.5 Als Beispiele für diese Vorgehensweise des Sicherheitsrates können die Resolution 678 zur Befreiung des Staates Kuwait von irakischer Besatzung und die Resolution 794 zu Somalia („to use all necessary means“) angeführt werden.

1.2. Der ISAF-Einsatz in Afghanistan

Am 22. Dezember 2001 nahm die „International Security Assistance Force“ (ISAF) in Afghanistan ihre Arbeit auf. Die rechtlichen Grundlagen für denISAF-Einsatz stellen die Resolutionen 1386, 1413, 1444, 1510, 1563, 1623, 1659 und 1707 des Sicherheitsra- tes der Vereinten Nationen dar.6 Die Resolutionen wurden unter ausdrücklicher Bezug- nahme auf Kapitel VII der Satzung erlassen. Nach der Resolution 1386 vom 20.

Dezember 2001 ist es Ziel des ISAF-Einsatzes

„to assist the Afghan Interim Authority in the maintenance of security in Kabul and its surrounding areas, so that the Afghan Interim Authority as well as the personnel of the United Nations can operate in a secure environment”.

Um diese Aufgabe wahrzunehmen, wurden die ISAF-Staaten vom Sicherheitsrat er- mächtigt,

„to take all necessary measures to fulfil its mandate“.

Mit der Resolution 1510 wurde das Einsatzgebiet für den ISAF-Einsatz über die Haupt- stadt Kabul und deren Umgebung hinaus auf ganz Afghanistan erweitert. Tätig werdend unter Kapitel VII der Satzung traf der Sicherheitsrat folgende Anweisungen:

„… Authorizes expansion of the mandate of the International Security Assis- tance Force to allow it, as resources permit, to support the Afghan Transitional Authority and its successors in the maintenance of security in areas of Afghani- stan outside of Kabul and its environs, so that the Afghan Authorities as well as the personnel of the United Nations and other international civilian personnel engaged, in particular, in reconstruction and humanitarian efforts, can operate in a secure environment, and to provide security assistance for the performance of other tasks in support of the Bonn Agreement."

Wiederum ermächtigte der Sicherheitsrat die ISAF-Staaten, „to take all necessary measures to fulfil its mandate“.

5 Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn 862, 864.

6 Harsch, SWP-Dokumentation vom 8.Dezember 2006.

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Militärische Maßnahmen im Rahmen des ISAF-Mandates sind damit durch Resolutio- nen des Sicherheitsrates legitimiert worden, so dass ein Verstoß gegen das Gewaltver- bot nach Art. 2 Nr. 4 SVN ausscheidet. Auf die Fragen, ob eine humanitäre Intervention einen Bruch des Gewaltverbotes prinzipiell rechtfertigen kann und der ISAF-Einsatz die Voraussetzungen einer humanitären Intervention erfüllt, kommt es demnach nicht an.

1.3. „Subunternehmereinsatz“ und die Frage der verfassungsrechtlichen Zuläs- sigkeit nach Art. 24 Abs. 2 GG

Da den Vereinten Nationen keine eigenen Streitkräfte zur Durchsetzung ihrer nach Art.

42 SVN angeordneten militärischen Sanktionsmaßnahmen zur Verfügung stehen7, hat sich die Praxis des Sicherheitsrates entwickelt, einzelne Staaten bzw. Staatengruppen zur Ausübung militärischer Gewalt im Sinne der Resolutionen zu autorisieren, ohne dass die eingesetzten Truppen unter dem Kommando der Vereinten Nationen stehen.8 Im Falle des ISAF-Einsatzes kommt der NATO die Führungsrolle hinsichtlich der ope- rativen Ausführung zu.9 Der ISAF-Einsatz der NATO unterfällt damit einer Kategorie, die in der Literatur als „Subunternehmereinsatz“ bezeichnet wird und welcher dann vorliegt, wenn sich die Vereinten Nationen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben eines ande- ren Systems kollektiver Sicherheit wie bspw. der NATO bedienen.10

Für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer deutschen Beteiligung an einem der- artigen „Subunternehmereinsatz“ wird die Reichweite des einschlägigen Art. 24 Abs. 2 GG unterschiedlich beurteilt. Art. 24 Abs. 2 GG lautet:

„Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.“

Umstritten ist die Frage, ob der konkrete „Subunternehmereinsatz“ nicht nur den Vor- schriften des beauftragenden Systems (Vereinte Nationen), sondern zusätzlich auch den Vorschriften des beauftragten Systems (NATO) entsprechen muss, um die Beteiligung deutscher Soldaten an diesem Einsatz nach Art. 24 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich zu rechtfertigen.

Dafür, dass sich die Zulässigkeit einer Beteiligung deutscher Soldaten an einem „Sub- unternehmereinsatz“ nach Art. 24 Abs. 2 GG nur danach richtet, dass der Einsatz im Rahmen und nach den Vorschriften des beauftragenden Systems erfolgt, wird geltend

7 Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 60 Rn 18.

8 Ipsen, (Hrsg.), Völkerrecht, § 60 Rn 18.

9 Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 60 Rn 19.

10 Sigloch, Auslandseinsätze, S. 232 ff.; zu Beispielen für eine Zusammenarbeit zwischen VN und NATO siehe das NATO Handbook, S. 257 ff., abrufbar unter: http://www.nato.int/docu/handbook/2006/hb- en-2006.pdf

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gemacht, dass sich ein Handeln der NATO für die Vereinten Nationen nicht von einem Handeln der einzelnen Mitgliedstaaten für die Vereinten Nationen unterscheide. Im letz- teren Fall jedoch setze die Zulässigkeit nach Art. 24 Abs. 2 GG nur ein Handeln im Rahmen und nach den Regeln der Vereinten Nationen voraus.11

Dem wird entgegengehalten, dass die internationale Organisation, die als Subunterneh- mer tätig werde, keine Aufgaben übernehmen dürfe, die sie nicht zuvor von ihren Mit- gliedstaaten als Aufgabe übertragen bekommen habe. Der Grundsatz, dass ein Handeln einer Organisation mit ihren Statuten vereinbar sein müsse, könne von den Mitglied- staaten nicht dadurch umgangen werden, dass sie die Strukturen und die Mittel der Or- ganisation zur Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber einer anderen Organisation benut- ze.12 Dies führe dazu, dass ein Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen eines „Subunter- nehmereinsatzes“ nur dann über Art. 24 Abs. 2 GG gedeckt sei, wenn das System der ausführenden Organisation ein solches Handeln vorsehe.

Ein Einsatz der Truppen der Mitgliedstaaten der NATO ist nach Art. 5 NATO-Vertrag nur im Falle der Selbstverteidigung vorgesehen:

(1) „Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wie- derherzustellen und zu erhalten.

(2) Von jedem bewaffneten Angriff und allen daraufhin getroffenen Gegenmaß- nahmen ist unverzüglich dem Sicherheitsrat Mitteilung zu machen. Die Maß- nahmen sind einzustellen, sobald der Sicherheitsrat diejenigen Schritte unter- nommen hat, die notwendig sind, um den internationalen Frieden und die inter- nationale Sicherheit wiederherzustellen und zu erhalten.“

Über die Fälle der Selbstverteidigung hinaus ist ein Tätigwerden der NATO im neuen Strategischen Konzept vorgesehen, welches im Rahmen der Tagung des Nordatlantik-

11 Referierend Sigloch, Auslandseinsätze, S. 234; siehe auch Riedel, DÖV1995, S. 135, 137 ff. sowie Nolte, ZaöRV 1994, S. 94, 120.

12 Nolte, ZaöRV 1994, S. 652, 668; Wielandt, DVBl. 1991, S. 1174, 1181 ff.

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rates am 23. und 24. April 1999 in Washington verabschiedet wurde.13 Im Teil III unter der Überschrift „Konfliktverhütung und Krisenbewältigung“ heißt es:

„Im Zuge ihrer Politik der Friedenserhaltung, der Kriegsverhütung und der Stär- kung von Sicherheit und Stabilität und wie in den grundlegenden Sicherheits- aufgaben dargelegt, wird die NATO in Zusammenarbeit mit anderen Organisati- onen darum bemüht sein, Konflikte zu verhüten oder, sollte eine Krise auftreten, in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht zu deren wirksamer Bewältigung bei- tragen, einschließlich durch die Möglichkeit der Durchführung von nicht unter Artikel 5 fallenden Krisenreaktionseinsätzen. Die Bereitschaft des Bündnis- ses, solche Einsätze durchzuführen, unterstützt das übergeordnete Ziel der Stär- kung und Erweiterung von Stabilität und beinhaltet oft die Beteiligung der Part- ner der NATO. Die NATO erinnert an ihr 1994 in Brüssel gemachtes Angebot, von Fall zu Fall in Übereinstimmung mit ihren eigenen Verfahren friedenswah- rende und andere Operationen unter der Autorität des VN-Sicherheitsrats oder der Verantwortung der OSZE zu unterstützen, unter anderem auch durch die Bereitstellung von Ressourcen und Fachwissen der Allianz. In diesem Zu- sammenhang erinnert das Bündnis an seine späteren Beschlüsse in bezug auf Krisenreaktionseinsätze auf dem Balkan. Unter Berücksichtigung der Notwen- digkeit von Bündnissolidarität und -zusammenhalt bleibt die Beteiligung an ei- ner solchen Operation oder einem solchen Einsatz den Beschlüssen der Mit- gliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen Verfassungen vorbehalten.“

Nicht einheitlich wird innerhalb der Völkerrechtswissenschaft beurteilt, ob es sich bei dem Strategischen Konzept um einen eigenständigen völkerrechtlichen (Ände- rungs)vertrag14 oder um eine rechtlich unverbindliche politische Absichtserklärung han- delt15. Die Vertreter der letztgenannten Auffassung lassen dem neuen Strategischen Konzept jedoch eine „begrenzte Rechtswirkung“ im Verhältnis der NATO-Staaten un- tereinander zukommen, indem sie den Text als ein späteres Übereinkommen der Ver- tragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmun- gen i.S.v. Art. 31 Abs. 3 lit. a Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) und damit als privilegiertes Auslegungsmittel bei der Interpretation des NATO-Vertrags ansehen.16

13 http://www.nato.int/germany/docu/p99-065d.htm.

14 Hierfür Klein/Schmahl, RuP 1999, S. 198, 205.

15 Hierfür Zivier, RuP 1999, S. 210, 211 ff.

16 Zivier, RuP 1999, S. 210, 211.

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2. Aufgabenerweiterungen der NATO seit 1994 und die Frage nach der Erforderlichkeit eines Zustimmungsgesetzes nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG

2.1. Das neue Strategische Konzept von 1999

Die wesentlichste Aufgabenerweiterung17 erfuhr die NATO durch das bereits erwähnte neue Strategische Konzept von 1999.18 Die Kernpunkte des neuen Strategischen Kon- zepts von 1999 sind19:

Aufrechterhaltung und Stärkung der transatlantischen Bindung:

Eine möglichst enge transatlantische Bindung verknüpft die Sicherheit Europas und Nordamerikas. Sie ist Voraussetzung für ein stabiles euro-atlantisches Si- cherheitsumfeld und letztlich für eine gerechte und dauerhafte Friedensordnung.

Die Funktion der NATO als Forum für Konsultationen über alle wesentlichen si- cherheitspolitischen Fragen sowie als Forum zur Koordinierung gemeinsamen Handelns trägt wesentlich zu engen transatlantischen Bindungen bei.

Aufrechterhaltung und Entwicklung effektiver militärischer Fähigkeiten:

Damit soll sichergestellt werden, dass das Bündnis auf alle vorhersehbaren Risi- ken und Bedrohungen auch militärisch angemessen reagieren kann – durch Ab- schreckung, kollektive Verteidigung oder Krisenreaktionseinsätze.

17 Die Kommuniqués und Gipfelerklärungen der NATO der letzten 10 Jahre sind unter www.nato.int/docu/other/de/2005/pr2005de.htm abrufbar. Unter der Vielzahl von Erklärungen ragen im Hinblick auf das neue Strategische Konzept und den erweiterten Sicherheitsansatz insbesondere zwei Erklärungen heraus: So heißt es in der „Umfassenden politischen Leitlinie“, die anlässlich der Tagung des Nordatlantikrates am 28./29. November 2006 in Riga verabschiedet wurde, unter Nummer 4: „Das Bündnis wird den breit angelegten Ansatz zu Fragen der Sicherheit nach Maßgabe des Strategischen Konzepts aus dem Jahre 1999 weiterführen und die darin vorgegebenen sicherheitsrelevanten Kernaufga- ben erfüllen, d.h. Sicherheit, Konsultation, Abschreckung und Verteidigung, Krisen-Management und Partnerschaft.“ Unter Nummer 6 heißt es: „Das Bündnis wird weiter darauf eingestellt sein, einzelfallbe- zogen und im Konsens, zu wirksamer Konfliktprävention beizutragen und sich aktiv im Krisen- Management betätigen, unter anderem auch durch Nicht-Artikel-5-Krisenreaktionseinsätze nach Maßgabe des Strategischen Konzepts.“ Ähnlich schon die „Istanbuler Erklärung“ vom 28. Juni 2004: „Die kollektive Verteidigung besteht als Kernaufgabe des Bündnisses fort. Aber die Bedrohungen, mit denen die NATO konfrontiert ist, haben sich substantiell verändert. Wir sind weiterhin entschlossen, diese Be- drohungen energisch anzugehen und dabei zu berücksichtigen, dass sie ihren Ursprung in einem viel großflächigeren Gebiet haben als in der Vergangenheit. Zu ihnen zählen der Terrorismus und die Weiter- verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Nordamerika und Europa sehen sich diesen Bedrohungen gemeinsam ausgesetzt. Die NATO engagiert sich im Kampf gegen den Terrorismus, in der Festigung der Sicherheit und zum Aufbau von Stabilität in vielen Regionen der Welt. Die Einigkeit innerhalb der Alli- anz ist und bleibt von essentieller Wichtigkeit, und das Prinzip der Unteilbarkeit der Sicherheit der Bünd- nismitglieder ist unverändert von grundlegender Bedeutung. Wir wollen die Bedrohungen unserer Terri- torien, unser Streitkräfte und unserer Bevölkerungen wirksam angehen, wo immer sie ihren Ursprung haben.“

18 dazu Alamir, Blätter für deutsche und internationale Politik 2000, S. 436 ff.

19 http://www.nato.int/germany/.

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Unterstützung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik:

Damit sollen die europäischen Verbündeten in die Lage versetzt werden, militä- rische Krisenreaktionseinsätze unter Führung und Verantwortung der EU durch- zuführen, und zwar in Fällen, in denen sich das Bündnis als Ganzes nicht militä- risch engagieren will oder kann. Das Bündnis würde dann seine militärischen Mittel und Fähigkeiten für diese EU-geführten Operationen zur Verfügung stel- len. Daran Operationen können sich auch diejenigen europäischen Bündnispart- ner, die nicht der EU angehören, beteiligen. Die Unterstützung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) soll den europäischen Pfeiler des Bündnisses – dessen Mitglieder überwiegend auch der EU angehören – stärken und somit zu einer ausgewogeneren transatlantischen „Lastenteilung“ führen.

Konfliktverhütung und Krisenbewältigung:

Bis zur Auflösung des Warschauer Pakts und der Sowjetunion im Jahre 1991 war die sicherheitspolitische Lage in Europa aufgrund des bestehenden strategi- schen Gleichgewichts zwischen den beiden „Blöcken“ (Nordatlantisches Bünd- nis und Warschauer Pakt) weitgehend stabil. Die danach folgenden tiefgreifen- den politischen Veränderungen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa erzeugten je- doch ein Potenzial an Unsicherheit und Instabilität. Der Zerfall des ehemaligen Jugoslawien und die kriegerischen Auseinandersetzungen in Bosnien, im Koso- vo und in Mazedonien machten deutlich, dass auch von lokal begrenzten Krisen und Konflikten eine Gefährdung für die Sicherheit und Stabilität des gesamten euro-atlantischen Raums ausgehen kann. Das Bündnis beschloss daher, durch militärische Operationen in Bosnien, im Kosovo und in Mazedonien zur Krisen- bewältigung und Verhütung weiterer Konflikte beizutragen.

Partnerschaft, Zusammenarbeit und Dialog:

Dadurch umfassende An- und Einbindung aller Staaten im euro-atlantischen Raum sollen „Gemeinsamkeiten“ geschaffen werden. Partnerschaft, Zusammen- arbeit und Dialog sichern Frieden, Sicherheit und Stabilität und fördern Demo- kratie und Entwicklung. Hauptinstrumente hierfür sind der Euro-Atlantische Partnerschaftsrat, die Partnerschaft für den Frieden, der Nato-Russland-Rat, die NATO-Ukraine-Kommission sowie der NATO-Mittelmeerdialog.

Erweiterung:

Artikel 10 des Nordatlantikvertrags begründet die Offenheit des Bündnisses für neue Mitglieder. Er besagt, dass jeder europäische Staat, der in der Lage ist, die Grundsätze dieses Vertrags zu fördern und zur Sicherheit des nordatlantischen Gebiets beizutragen, zum Bündnisbeitritt eingeladen werden kann.

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Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung:

Die militärischen Mittel und Fähigkeiten sollen auf das niedrigste Niveau ge- bracht werden, das für die Gewährleistung von Sicherheit und Stabilität sowie für die Erfüllung der Aufgaben des Bündnisses erforderlich ist.

2.2. Das neue Strategische Konzept und die Frage des Zustimmungsgesetzes nach Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG

Zu der Frage, ob das neue Strategische Konzept der NATO eines Zustimmungsgesetzes nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bedurfte, nahm das Bundesverfassungsgericht durch Ur- teil vom 22. November 2001 Stellung.20 Zunächst stellt das Gericht fest, dass die Ein- ordnung der Bundesrepublik Deutschland in ein System gegenseitiger kollektiver Si- cherheit nach Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG der Zustimmung des Bun- desgesetzgebers in Form eines Bundesgesetzes bedarf. Diese Zustimmung des Bundes- tags und Bundesrats kann nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Regie- rung dazu ermächtigen, in den Organen und Institutionen des völkerrechtlichen Vertrags an einer Fortentwicklung des Vertrages auch ohne eine förmliche Vertragsänderung mitzuwirken.21 Dies gelte insbesondere, wenn der völkerrechtliche Vertrag auf Integra- tion angelegt sei, also auf ein „verstetigtes und die Staaten einander näher rückendes praktisches Zusammenwirken“ ausgerichtet sei.22 Allerdings erfasse die Ermächtigung des Bundestags nicht eine „wesentliche Fortentwicklung“ des Vertrages, die die Zu- stimmung des Parlaments gegenstandslos werden lasse. Werde ein Vertrag wesentlich fortentwickelt, so sei ein neues Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 GG erforder- lich.

Das Strategische Konzept der NATO von 1999 stellt nach Auffassung des Bundesver- fassungsgerichts weder einen förmlich oder konkludent zustande gekommenen völ- kerrechtlichen Vertrag noch eine wesentliche Fortentwicklung des NATO- Vertrages dar. Daher war die Bundesregierung nach Ansicht des Gerichts auch nicht verpflichtet, ein Zustimmungsverfahren nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG im Bundestag einzuleiten.23 Der Beschluss, mit dem das Strategische Konzept vom Nordatlantikrat verabschiedet wurde, lässt nach Meinung des Gerichts keinen Willen der Mitglieder erkennen, den bestehenden NATO-Vertrag förmlich oder konkludent abzuändern. Das Strategische Konzept wird als „ein Konsenspapier“ bezeichnet, in dem die „neuen Auf- gaben und Instrumente der NATO nur in allgemeiner Form beschrieben werden und die

20 BVerfGE 104, S. 151 ff.

21 BVerfGE 104, S. 151, 195.

22 BVerfGE 104, S. 151, 195.

23 BVerfGE 104, S. 151, 199.

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damit durch ein hohes Maß an Flexibilität und Interpretierbarkeit gekennzeichnet sind.“24

„Es handelt sich insbesondere bei der im Mittelpunkt des Organstreits stehenden Frage der Erweiterung des sicherheitspolitischen Ansatzes des Bündnisses auf Krisenreaktionseinsätze noch um eine Fortentwicklung des NATO-Vertrages, die sich jedenfalls nicht mit der für die Annahme eines konkludenten Vertrags- änderungswillens nötigen Gewissheit als Widerspruch zum bestehenden Ver- tragsinhalt oder dessen Erweiterung deuten lässt.“25

Der NATO-Vertrag wird vom Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Notwen- digkeit, das Bündnis seinen Zielen entsprechend leistungs- und anpassungsfähig zu hal- ten, als „entwicklungsoffen“ bezeichnet. Dieser Umstand sei bei der Auslegung von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zu berücksichtigen, weshalb

„… nicht bereits bei einer, wenn auch erheblichen, Fortentwicklung des Vertrags durch die Organe des Sicherheitssystems ein hinreichend deutlich erkennbarer Widerspruch zum Vertrag“ angenommen werde dürfe, „der auf einen konkludent zum Ausdruck gebrachten Vertragsänderungswillen schließen lasse.“ 26

Auch einer erweiternden Auslegung von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zur Begründung eines Zustimmungserfordernisses steht das Bundesverfassungsgericht ablehnend gegen- über.27 Die Konkretisierung eines völkerrechtlichen Vertrages unterhalb der Ebene der Vertragsänderung sieht das Gericht aus Gründen der Funktionsgerechtigkeit als Aufga- be der Exekutive an:

„Jedoch würde eine erweiternde Auslegung von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG auf die Beteiligung der Bundesregierung an nichtförmlichen Fortentwicklungen der Vertragsgrundlage eines Systems kollektiver Sicherheit nicht nur Rechtsunsi- cherheit hervorrufen und die Steuerungswirkung des Zustimmungsgesetzes in Frage stellen, sondern die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung ungerechtfertigt beschneiden und auf eine nicht funktions- gerechte Teilung der Staatsgewalt hinauslaufen.“28

Zwar sieht das Bundesverfassungsgericht die grundsätzliche Gefahr, dass durch rechts- erhebliches Handeln unterhalb der Schwelle zur förmlichen Vertragsänderung eine all- mähliche Inhaltsänderung des Vertrags eintritt, die von der ursprünglichen Zustimmung

24 BVerfGE 104, S. 151, 201.

25 BVerfGE 104, S. 151, 202 f.

26 BVerfGE 104, S. 151, 206.

27 Anders Daigeler, Parlamentarische Kontrollrechte, S. 67 ff., 213 ff. und Sauer, ZaöRV 2002, S. 317, 330 ff.

28 BVerfGE 104, S. 151, 207.

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des Bundesgesetzgebers nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht mehr gedeckt sei. Aller- dings schränkt das Gericht ein:

„Die Bundesregierung handelt nicht schon dann außerhalb des vom Zustim- mungsgesetz zum NATO-Vertrag gezogenen Ermächtigungsrahmens, wenn ge- gen einzelne Bestimmungen des NATO-Vertrags verstoßen wird. Das Bundes- verfassungsgericht kann auf Antrag des Bundestags eine Überschreitung des ge- setzlichen Ermächtigungsrahmens nur dann feststellen, wenn die konsensuale Fortentwicklung des NATO-Vertrags gegen wesentliche Strukturentscheidun- gen des Vertragswerkes verstößt.“29

Eine derartige Überschreitung des im Zustimmungsgesetz festgelegten Integrationspro- gramms des NATO-Vertrags durch das neue Strategische Konzept kann das Bundesver- fassungsgericht nicht feststellen.30 Dies sei erst dann anzunehmen, wenn der grundle- gende Auftrag zur Friedenssicherung in der Region durch die Fortentwicklung verfehlt werde, wovon beim neuen Strategischen Konzept nicht auszugehen sei:

„Die Konkretisierung sowohl der Artikel 5-Einsätze zur Verteidigung des Bünd- nisgebietes als auch der nicht unter Artikel 5 fallenden Einsätze (Krisenreakti- onseinsätze) lässt keine machtpolitisch oder gar aggressiv motivierte Friedens- störungsabsicht erkennen. Es geht im Gegenteil um die Erhaltung des Friedens angesichts der geänderten sicherheitspolitischen Lage nach Ende des Ost-West- Konflikts, aber auch im Hinblick auf neue Bedrohungslagen für den Frieden.“31

29 BVerfGE 104, S. 151, 210.

30 BVerfGE 104, S. 151, 210.

31 BVerfGE 104, S. 151, 213 f.

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Literaturverzeichnis

- Alamir, Fouzieh Melanie: Blaupause für das 21. Jahrhundert? Das strategische Konzept der NATO, in: Blätter für deutsche und internationale Politik : Monats- zeitschrift. - 45 (2000), 4 , S. 436 ff.

- Daigeler, Fabienne: Parlamentarische Kontrollrechte beim Abschluss völker- rechtlicher Verträge am Beispiel der Neubestimmung der Aufgaben der NATO und der Entwicklungen im Rahmen der OSZE, Hamburg 2005

- Harsch, Michael: SWP-Dokumentation zur Ausweitung des ISAF-Einsatzes in Afghanistan, Stand: 8.Dezember 2006, abrufbar unter: http://www.swp- berlin.org/de/produkte/diskussionspapier.php?&id=6665&page=0

- Herdegen, Matthias: Völkerrecht, 5. Auflage, München 2006

- Hobe, Stephan/Kimminich, Otto: Einführung in das Völkerrecht, 8. Auflage, Tübingen 2004

- Graf Vitzthum, Wolfgang (Hrsg.): Völkerrecht, 2. Auflage, New York Berlin 2001

- Ipsen, Knut (Hrsg.): Völkerrecht, 5. Auflage, München 2004

- Klein, Eckart/Schmahl, Stefanie: Die neue NATO-Strategie und ihre völker- rechtlichen und verfassungsrechtlichen Implikationen, in: RuP 1999, S. 198 ff.

- Lübbe, Katharina/Soltau, Christoff: Souveränitätsprinzip und Menschenrechte, Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags vom 10. November 2006, WD 2-193/06

- Menzel, Jörg/Pierlings, Tobias/Hoffmann, Jeannine (Hrsg.): Völkerrechtspre- chung, Tübingen 2005

- Nolte, Georg: Die „neuen“ Aufgaben von NATO und WEU: Völker- und ver- fassungsrechtliche Fragen, in: ZaöRV 1994, S. 95 ff.

- Nolte, Georg: Bundeswehreinsätze in kollektiven Sicherheitssystemen, in: Za- öRV 1994, S. 652 ff.

- Riedel, Norbert Karl: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeswehreinsatz im Rahmen der NATO-, WEU- bzw. UN-Militäraktionen, in: DÖV 1995, S. 135 ff.

(14)

- Sauer, Heiko: Die NATO und das Verfassungsrecht: neues Konzept – alte Fra- gen, in: ZaöRV 2002, S. 317 ff.

- Sigloch, Daniel: Auslandseinsätze der deutschen Bundeswehr, Verfassungs- rechtliche Möglichkeiten und Grenzen, Hamburg 2006

- Stein, Torsten/von Buttlar, Christian: Völkerrecht, 11. Auflage, Köln 2005 - Wielandt, Joachim: Verfassungsrechtliche Grundlagen und Grenzen für einen

Einsatz der Bundeswehr, in: DVBl. 1991, S. 1174 ff.

- Zivier, Ernst R.: Der Kosovo – Einsatz als Präzedenzfall? Zum strategischen Konzept der NATO vom 23./24. April 1999, in: RuP 1999, S. 210 ff.

Referenzen

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