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Ausweisung türkischer Arbeitnehmer

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Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen

...

B-OVG310 - 03.01

OVG: 1 B 244/04 (VG: 4 V 455/04) Bt

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy am 23.08.2004 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen - 4. Kammer - vom 02.08.2004 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung aufgehoben.

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verfügung des Stadtamts Bremen vom 21.07.2003 i.d.F. des Widerspruchs- bescheids des Senators für Inneres und Kultur vom 27.10.2003 sowie des Widerspruchs gegen die Verfügung des Stadtamts Bremen vom 16.02.2004 wird wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00 Euro fest- gesetzt.

G r ü n d e

In einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht das Interesse des Antragstellers an einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs gegen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehung abzuwägen. Dabei hat sich das Oberverwaltungsgericht in einem Beschwerdeverfahren auf die Prüfung der vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe zu beschränken (§ 146 Abs. 4 S. 6 VwGO).

Diese Interessenabwägung fällt hier zu Gunsten des Antragstellers aus.

Der Antragsteller ist mit Urteil des Landgerichts Bremen vom 19.06.2001 wegen unerlaubten Besitzes und Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (6,7 kg Heroingemisch) zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt worden. Wegen dieser Straftat hat die Antragsgeg- nerin seine Ausweisung verfügt (Bescheid des Stadtamts Bremen vom 21.07.2003 i.d.F. des Widerspruchsbescheids des Senators für Inneres und Kultur vom 27.10.2003). Sie hat sich dabei auf § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG gestützt, der bei strafgerichtlichen Verurteilungen von min- destens 3 Jahren zwingend die Ausweisung vorschreibt. Ein Ausweisungsermessen besteht nach dieser Vorschrift nicht.

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Die Anwendbarkeit von § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG könnte im Falle des Antragstellers aber fraglich sein. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Grundsatzurteil vom 03.08.2004 (1 C 29.02) entschieden, dass türkische Arbeitnehmer, die ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziations- recht zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei haben, nur noch unter einge- schränkten Voraussetzungen aus Deutschland ausgewiesen werden dürfen. Eine Ausweisung ist danach - ebenso wie bei freizügigkeitsberechtigten EU-Bürgern - nur nach einer individuel- len Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde zulässig. Zwingende Ausweisungen und Regelausweisungen, wie sie § 47 AuslG bei schweren Straftaten vorsieht, dürfen gegen türki- sche Arbeitnehmer, die sich auf das Assoziationsrecht berufen können, nicht mehr verfügt werden. Außerdem müssen die Ausländerbehörden und Gerichte künftig neue Tatsachen, die nach der Ausweisungsverfügung entstanden sind, berücksichtigen. Das schließt ein, dass eine aktuelle Prognose über die von dem Ausländer ausgehende Gefahr getroffen wird.

In den bei den Verwaltungsgerichten zur Zeit anhängigen Ausweisungsverfahren von assozia- tionsberechtigten türkischen Staatsangehörigen ist nach dieser Entscheidung des Bundes- verwaltungsgerichts zunächst eine aktuelle Gefahrenprognose anzustellen. Stellt das Gericht fest, dass von dem Ausländer auch derzeit noch die Gefahr schwerwiegender Rechtsverstöße ausgeht, die zur Ausweisung berechtigt, muss es der Ausländerbehörde Gelegenheit geben, die individuelle Ermessensentscheidung über die Ausweisung nachzuholen. Dem Oberver- waltungsgericht liegt zwar bislang nur eine Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts zu diesem Grundsatzurteil vor (Nr. 48/2004, vgl. auch Pressemitteilung Nr. 47/2004), da der Antragsteller sich in Abschiebehaft befindet und die Angelegenheit eilbedürftig ist, nimmt das Oberverwaltungsgericht im vorliegenden Verfahren auf diese Mitteilung Bezug.

Voraussetzung für die Anwendung des neuen rechtlichen Maßstabs ist, dass dem betreffen- den Ausländer ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsrecht zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei zusteht. Im Falle des Antragstellers könnte ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 in Betracht kommen. Hierfür spricht, dass er bis Februar 2000 offenbar über längere Zeit hinweg als Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigt war. Im Einzel- nen läßt sich der Beschäftigungsverlauf aus der Ausländerakte aber nicht rekonstruieren. Aus diesem Grund läßt sich auch derzeit nicht beurteilen, ob Arbeitgeberwechsel vorgelegen ha- ben, die im Hinblick auf eine Rechtsposition nach Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 an- spruchsschädlich sein könnten (vgl. dazu das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesver- waltungsgerichts an den EUGH vom 18.03.2003 - 1 C 2/02). Weiterhin läßt sich derzeit nicht überblicken, ob aufgrund der offenbar im Februar 2000 eingetretenen Arbeitslosigkeit etwaige zuvor erworbene Ansprüche erloschen sind. Schließlich muss in Erwägung gezogen werden, dass der Antragsteller ein bis dahin bestehendes Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 durch die verbüßte Strafhaft verloren haben könnte (vgl. dazu die Vorabentscheidungsersuchen des BVerwG an den EUGH vom 03.08.2004 - 1 C 26.02 und 1 C 27.02; Vorabentscheidungsersu- chen des ÖstVGH vom 04.03.2003 - Z 1.2000/21/0 134-11).

Das Bestehen eines Aufenthaltsrechts nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 muss demnach derzeit als offen angesehen werden. Insoweit werden sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hin- sicht Fragen aufgeworfen, die sich im Rahmen eines Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht beantworten lassen. Bereits dieser Gesichtspunkt führt dazu, dass das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung des Suspensiveffekts seiner gegen die Ausweisung gerichteten Klage überwiegt.

Für das weitere Ausweisungsverfahren könnte es insbesondere mit Rücksicht auf die offenen assoziationsrechtlichen Rechtsfragen naheliegen zu unterstellen, dass der Antragsteller ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 besitzt. Unter dieser Prämisse wäre zunächst eine aktuelle Gefahrenprognose vorzunehmen, die die seit Erlass des Widerspruchsbescheids eingetretene Entwicklung berücksichtigt. Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss eine aktuelle, im Ergebnis für den Antragsteller ungünstige Prognose angestellt, in

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die es die Stellungnahme der JVA vom 04.03.2004, das Gutachten des Prof. Dr. H. vom 06.06.2004 sowie den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 25.06.2004 einbezogen hat. Zutreffend ist es dabei im rechtlichen Ansatz davon ausgegangen, dass auch ein einmali- ges Rauschgiftdelikt, namentlich die Beteiligung am illegalen Heroinhandel, im Hinblick auf den spezialpräventiven Ausweisungszweck einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund darstellen kann (BVerfG, B. v. 25.09.1986 - 2 BvR 744/86 - NVwZ 1987, S. 403 sowie B. v. 01.03.2000 - 2 BvR 2120/99 - InfAuslR 2001, S. 113; BVerwG, U. v. 11.06.1996 - 1 C 24/94 - InfAuslR 1997, S. 8 sowie U. v. 28.01.1997 - 1 C 17/94 - InfAuslR 1997, S. 296; vgl. zuletzt auch EGMR, U. v.

17.04.2003 - 52853/93 - NJW 2004, S. 2147). Von einer abschließenden Bewertung der Aus- führungen des Verwaltungsgerichts und der dagegen gerichteten Angriffe der Beschwerde sieht das Oberverwaltungsgericht im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens aber ab.

Denn ausschlaggebend ist, dass bei Bejahung einer Gefahr erneuter schwerwiegender Rechtsverstöße zusätzlich noch eine individuelle Ermessensentscheidung der Ausländerbe- hörde über die Ausweisung zu treffen wäre, an der es bislang fehlt. Das laufende Beschwer- deverfahren ist nicht der geeignete Rahmen, um der Ausländerbehörde Gelegenheit zu der in diesem Fall gebotenen individuellen Ermessensentscheidung zu geben. Auch unter diesem Gesichtspunkt überwiegt deshalb das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.

Damit fehlt auch für die Abschiebungsregelung ein überwiegendes Vollzugsinteresse.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung auf §§ 52 Abs. 3, 53 Abs. 3 GKG n. F.

gez. Stauch gez. Göbel gez. Alexy

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