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Archiv "Lilienwasser, Blutegel und sechs Punkte" (06.04.1978)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

GESCHICHTE DER MEDIZIN

Viel Ehre wurde Louis Braille wäh- rend seines kurzen Lebens nicht zu- teil. Den Siegeszug der Blinden- schrift, seiner Erfindung, rund um die Erde konnte er nicht miterleben.

Die Zeit mußte erst reif dafür werden und die Zeitgenossen einsichtig ge- nug. Jahre, Jahrzehnte vergingen, bis man erkannte, welch eine Stern- stunde es war, als Louis Braille (Ab- bildung 1) 1825 seine Blindenschrift entwickelte. Sein Punktschrifts- ystem — so schrieb später einmal Dr.

Pignier, der Direktor der Pariser „In- stitution pour les Jeunes Aveugles"

— sei eine der größten Wohltaten für den blinden Menschen überhaupt.

Und Hippolyte Coltat, sein erster Biograph, nannte ihn den „Johan- nes Gutenberg der Blinden".

Als Louis Braille am 4. Januar 1809 gegen 4 Uhr morgens in dem kleinen Dorf Coupvray zur Welt kam, war derlei natürlich nicht abzusehen.

Für seine Eltern, Monique und Si- mon-Renäe Braille, sollte dieses, ihr viertes Kind der „Compagnon ihres Alters" werden. Später einmal — so dachten sie— würde der Sohn den Vater in dessen Sattlerwerkstatt un- terstützen und mit ihm auch die Äk- ker und Weinberge der Familie be- stellen. Sattler und Bauer sollte der Junge werden in dieser Landschaft östlich von Paris, die wie der Käse heißt, für den sie berühmt ist: Brie.

Das Schicksal wollte es anders Doch es kam anders als erhofft:

Louis verletzte sich — gerade drei Jahre alt — mit einem Sattlermesser das Auge. Wann genau und wie dies geschah, ist nicht bekannt. Auch

nicht, was die Eltern und der Arzt des Dorfes unternahmen. Wie man aber üblicherweise damals vorging, das ist durchaus bekannt: Während der „Cur" bei „Vulnera oculi" wurde die Wunde gesäubert und mit kalten Umschlägen behandelt. Im Fall von Louis Braille soll eine weise Frau darauf gedrungen haben, daß man dabei Lilienwasser verwende. Au- ßerdem standen auf dem Programm:

„Magere Kost, Kühle und Dunkelheit des Zimmers, Blutegel, nötigenfalls wiederholt, an Schläfe, Wange und Stirn gesetzt, selbst Aderlaß, Ruhe des Körpers und des Geistes"

(Hirnly).

Louis Braille nutzte das alles nichts.

Es kam sogar noch schlimmer: Nach einiger Zeit wurde das zweite Auge in Mitleidenschaft gezogen, es trat eine sympathische Ophthalmie auf.

Diese gefährliche Erkrankung war

Abbildung 1: Louis Braille; Daguerreoty- pie aus dem Jahre 1852

damals zwar durchaus bekannt, aber man stand ihr recht hilflos ge- genüber. Zwei Jahre nach dem Un- fall war Louis Braille blind, blind wie heutzutage 70 000 Menschen in Deutschland.

Der dritte Koalitionskrieg brachte im Jahre 1814 mit dem Zusammen- bruch der napoleonischen Herr- schaft ausländische Soldaten auch ins Haus Braille. Der kleine Junge merkte das nur an der fremden Sprache und der ungewohnten Un- ruhe. Turbulente Zeiten waren das gewesen und kostspielige dazu: Zu- erst forderte Napoleon I. Tributzah- lungen, und später verschlangen — im wahren Sinn des Wortes — die Besatzungsmächte auch noch Vater Brailles einzige Kuh.

Louis hatte unterdessen das Schul- alter erreicht. Doch während seine Kameraden das Lesen und Schrei- ben übten, blieb ihm nur das Zuhö- ren. Kein Wunder, daß es da mit sei- ner Ausbildung nicht so recht vor- wärtsging: Im Jahre 1818 — also mit neun Jahren — wurde Louis noch immer als Schüler der ersten Klasse geführt. Das allerdings sollte sich bald ändern.

Braille bekommt einen Platz in der Pariser Blindenschule Am 15. Februar 1819 fuhr Simon- Renöe Braille mit seinem Jüngsten nach Paris: Louis hatte einen Platz an der „Institution royale des Jeunes Aveugles" erhalten. Ob dies ein Glücksfall war, der Beginn eines neuen Lebens, oder der Anfang vom Ende, ist schwer zu sagen. In Coup- vray wäre Louis Braille — wie viele Blinde in damaliger Zeit — ohne Aus- bildung geblieben, lebenslang ange- wiesen auf die Fürsorge seiner Mit- menschen. Die Blindenschrift hätte er dann bestimmt nicht erfunden, doch ebenso sicher wäre er wohl auch nicht mit 42 Jahren an Tuber- kulose gestorben.

Für die damalige Zeit war der Be- such einer solchen Schule keines- wegs selbstverständlich. Die Idee

Lilienwasser,

Blutegel und sechs Punkte

Louis Braille, Erfinder der Blindenschrift

Reinhard Kaden

852 Heft 14 vom 6. April 1978

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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LEITRES ET SIC.NES DE PONCTUATION•

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CHIFFRES ET SJONES MATHEMATIQUES

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Louis Braille

der Blindenbildung steckte noch in den Kinderschuhen, und Blinden- schulen gab es in ganz Europa gera- de eben ein gutes Dutzend. Das In- stitut in Paris nahm unter ihnen eine Sonderstellung ein: Es war das erste seiner Art; Valentin Haüy, ein Dol- metscher des Königs, hatte es 1784 mit Unterstützung einer gemeinnüt- zigen Gesellschaft, der „Sociöte Philanthropique", gegründet (Abbil- dung 2).

Wasser war knapp —

Hygiene wurde kleingeschrieben Fortschrittliche Ideen und unzuläng- liche Umstände lieferten sich da- mals einen ständigen Kampf: Ein Großteil der Schulgebäude in der Rue Saint Victor Nr. 68 waren über 200 Jahre alt. Es gab zwar ein Bade- zimmer, aber jeder Schüler durfte nur einmal im Monat in die Wanne

Abbildung 2: Valentin Haüy, der „Vater der Blindenbildung"

steigen. Dem ganzen Institut mit sei- nen rund 100 Bewohnern standen pro Tag nur dreieinhalb Kubikmeter Wasser — Wasser aus der Seine— zur Verfügung. „Das Haus", so schreibt Dr. Pignier, der Direktor und Arzt der Schule in einem Situationsbericht,

„liegt in einer schlechten Gegend, es ist schlecht belüftet und vielen mehr oder minder verpesteten Aus- dünstungen ausgesetzt. Das erste, was beim Anblick seiner bedauerns- werten Bewohner auffällt, ist der blasse Teint und das unterernährte Aussehen der meisten von ihnen.

Bei mehreren kann man annehmen, daß sie an Tuberkulose erkrankt sind."

Das Leben am Institut verlief streng nach Plan — in einer gleichsam klö- sterlichen Abgeschiedenheit. Den blinden Schülern wurde ein wahres Ausbildungspuzzle (Pierre Henri) geboten: Sie hatten Unterricht in Rethorik, Grammatik, Logik, Alge- bra, Musik, Handarbeit und engli- scher Literatur. „Es sind", so schrieb der spätere Schuldirektor Dufau, „Bettler mit Latein- und Geo- metriekenntnissen". Er plädierte da- mit für eine mehr den praktischen Erfordernissen entsprechende Aus- bildung. Für Louis Braille aber ist sie wohl so richtig gewesen: Sein Ver- stand wurde geschult, sein Erfin- dungsgeist angespornt.

Die Reliefschrift

überforderte den Tastsinn

Die Zöglinge der Blindenschulen lernten damals Lesen und Schreiben mit Hilfe der Reliefschrift, die aus erhabenen, also tastbaren Buchsta- ben bestand. Doch die Schüler hat- ten damit erhebliche Schwierigkei- ten: Ihr Tastsinn wurde bei diesen komplexen Zeichen überfordert.

Louis Braille war das Anlaß zu eige- nen Überlegungen. 1825 zeigte er seinen Freunden den ersten Entwurf einer speziellen Blindenschrift, und 1829 berichtete er darüber in einem 32 Seiten umfassenden Bändchen mit dem Titel „Ein Vorgehen, wie man Worte, Musik und Kirchenge- sang mit Hilfe von Punkten schrei- ben kann". Ihre endgültige Form er-

Abbildung 3: Louis Brailles Punktschrift.

Fügt man den Zeichen der ersten Reihe einen Punkt links unten zu, dann erge- ben sich die Zeichen der zweiten Reihe.

Mit je einem Punkt links und rechts unter den Zeichen der ersten Reihe werden die der dritten Reihe gebildet. Ein zusätzli- cher Punkt rechts unten dagegen ergibt die vierte Zeichenreihe. Sitzen die Zei- chen der ersten Reihe eine Stufe tiefer, dann stellen sie die Interpunktionssym- bole dar, und wenn das Ziffernzeichen •;

vorgeschaltet ist, dann resultieren die Zahlen 1 bis 0

hielt die Blindenschrift allerdings erst 1834, als auch die ursprünglich mitverwandten strichförmigen Ele- mente durch Punkte ersetzt wurden.

Jetzt waren sie komplett, die sechs Punkte des Louis Braille (vgl. Abbil- dung 3).

Die Idee, den Blinden eine eigene, von der üblichen völlig abweichende Schrift zu geben, stammt allerdings nicht von Louis Braille. Diesen Ein- fall hatte der italienische Jesuit Francesco Lana-Terzi, der von 1631-1687 lebte. Er widmete in sei- nem Buch „Prodromo o vero saggio di alcune inventioni nuove premesso all' arte maestra" ein ganzes Kapitel dem Thema „Auf welche Weise ein Blindgewordener nicht nur Schrei- ben lernen, sondern auch unter ei- ner Chiffre seine Geheimnisse ver- bergen und die Antwort in densel- ben Chiffren verstehen kann" (Ab-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 14 vom 6. April 1978

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Louis Braille

bildung 4). Diese nützlichen Vor- schläge sind jedoch — soweit man weiß — nie in die Praxis umgesetzt worden und damit in Vergessenheit geraten.

„Die Nachtschrift"

war fürs Militär gedacht

Erst viel später tauchte die Idee wie- der auf: Etwa um das Jahr 1819 er- fand der ehemalige Artillerieoffizier Nicolas-Marie-Charles Barbier de La Serre ein Schriftsystem, das er

„Nachtschrift" nannte, weil er damit erreichen wollte, daß zu Kriegszei- ten auch im Dunkeln während der Nacht militärische Nachrichten gele- sen werden können. Grundlage die- ser Schrift ist ein Quadrat (Abbil- dung 5) aus insgesamt 36 Lauten der französischen Sprache sowie ein tastbares Symbol, das aus zwei Rei- hen von maximal je sechs unterein- anderliegenden Punkten besteht.

Das Zeichen in Blindenschrift ergibt sich dabei jeweils aus der Lage, den der einzelne Klang innerhalb des Quadrates einnimmt: Die Zahl der Punkte in der ersten senkrechten Reihe gibt Auskunft darüber, in wel- cher Zeile sich der Laut befindet, und die Zahl der Punkte in der zwei- ten Reihe zeigt an, an welcher Posi- tion innerhalb dieser Zeile er liegt.

Das Wort „bon" würde also durch folgende Symbole dargestellt:

.. • . • •

• • • • • • • Die „Nacht- schrift" fand am

• Institut für ju- gendliche Blinde großes Interesse, doch nach einiger Zeit stellte sich heraus, daß sie erhebliche Nachteile hatte. „Diese Art zu schreiben", meinte der damalige Direktor Dr.

Pignier, „nimmt zu viel Platz ein. Au- ßerdem hat ihr Erfinder nur auf die Töne der Worte geachtet und in kei- ner Weise auf die Art, wie sie ge- schrieben werden. Auch gibt es kein Symbol für die Satzzeichen und kei- ne, um Zahlen oder Noten darzustel- len." Diese Mängel also und die Schwierigkeiten mit der linearen Re- liefschrift gaben Louis Braille den Ansporn, etwas Besseres zu finden.

Was bei seinen Grübeleien heraus-

Abbildung 4: Die Blindenschrift des Francesco Lana-Terzi besteht aus Punk- ten und Strichen. Das einzelne Zeichen ergibt sich aus der Lage des jeweiligen Buchstabens auf der Tafel. Das „S" ist der zweite Buchstabe des Feldes und wird deshalb durch zwei Punkte darge- stellt; es ist begrenzt durch je einen Strich oben, links und unten. Daraus er- gibt sich als Symbol und zum Bei- spiel für den Namen Lana -771 _11

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Abbildung 5: Um die „Ecriture nocturne"

des Charles Barbier zu verstehen, mußte man stets dieses Quadrat in Gedanken vor sich haben

kam, war — so Dr. Pignier — „nicht nur eine Verbesserung von Barbiers System", sondern „eine völlig neue Erfindung." Wie sehr er damit Erfolg hatte, kann man auch daran sehen, daß seine Schrift bis in unsere Tage Bestand hat und all das leisten kann, was in der jüngsten Gegenwart, zum Beispiel im Zusammenhang mit der elektronischen Datenverarbeitung, von ihr gefordert wird. Louis Brailles Punktschrift ist, um noch einmal Dr.

Pignier zu zitieren, nach wie vor „ei- ne der größten Wohltaten für den blinden Menschen überhaupt."

Brailles System

setzte sich nur langsam durch Trotz all seiner Vorzüge konnte sich das neue System nur sehr langsam durchsetzen, weil die meisten Schuldirektoren die Meinung des

„Blindenlehrer-Papstes" Johann Wilhelm Klein aus Wien teilten:

„. . suche man soviel als möglich mit den gewöhnlichen Hilfsmitteln, die für Sehende gebraucht werden, auszulangen, weil dadurch ein Hauptzweck der Bildung des Blin- den, nämlich die möglichste Gleich- stellung desselben mit den Sehen- den . . . am meisten gefördert wird."

So mußten — wie der blinde Blinden- lehrer Alphons Koechlin aus Ilzach zu sagen pflegte — die Armen ein großes Opfer für die Reichen brin- gen, mußten sich die Blinden noch eine geraume Weile mit der Schrift der Sehenden abplagen.

Am Institut in Paris wurde die Punkt- schrift erst 1844 während der Ein- weihungsfeierlichkeiten des neuen Schulgebäudes am Boulevard des Invalides öffentlich anerkannt — also fast 20 Jahre, nachdem sie erfunden worden war. Die Freude über diese Ehrung wurde allerdings durch die Sorge um den Gesundheitszustand getrübt: Louis Braille war während der langen Jahre, die er als Schüler und seit 1828 als Lehrer am Institut verbrachte, an Tuberkulose er- krankt. Kein Wunder; denn so man- cher seiner Mitbewohner hatte die- ses Leiden, und von Infektionspro- phylaxe hielt man damals wenig. Die Krankheit wurde in jenen Jahren als Schicksalsschlag angesehen.

Was an Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stand, schildert Rene Hyacinthe Laennec, der als Erfinder des Stethoskops Medizingeschichte gemacht hat: „Nahezu jeder Fach- mann, der sich auf dem neuesten Wissensstand hinsichtlich der pa- thologischen Anatomie befindet, meint, daß die Tuberkulose ebenso wie die Krebskrankheit absolut un- heilbar ist, weil ihr die Natur keine wirksamen Kräfte entgegengesetzt und auch die Medizin nur Unnützes zu bieten hat."

854 Heft 14 vom 6. April 1978 DEUTSCHES ARZ LEBLATT

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Abbildung 6: Ausschnitt aus einem Brief, den Louis Braille mit dem Raphigraphen an seine Mutter schrieb

Spektrum der Woche Aufsätze Notizen Louis Braille

Blutegel und Hustenmittel im Kampf gegen

die Tuberkulose

Was dann getan wurde, kann man sich denken: Es war das Zeitalter des Schröpfens. Also Blutegel und noch einmal Blutegel. Außerdem gab es verschiedene Hustenmittel:

Ipecacuanha, Kermes-Minerale und Brechweinstein. Manch einer richte- te sich auch nach der Empfehlung des Franzosen Raulin: „Man nehme einen alten Gockel. Nach dem Aus- nehmen fülle man ihn mit geschälter Gerste oder Reis, acht Flußkrebsen, gewaschen und zerstampft, zwölf Schnecken, gut gewaschen und ausgenommen in heißem Wasser, das Ganze kochen in vier Pinten, Wasser filtrieren. Die Dosis ist eine Tasse am Morgen und um 6.00 Uhr abends." Solch eine aufwendige Suppe konnte sich Louis Braille bei seinem kleinen Gehalt natürlich nicht leisten, doch selbst wenn er dazu in der Lage gewesen wäre, so fragt man sich, was sie ihm geholfen hätte. 1835 hatten sich die ersten Zeichen seines Lungenleidens be- merkbar gemacht. Um das Jahr 1840 setzte ihm die Krankheit so zu, daß er alle Fächer bis auf den Musik- unterricht aufgeben mußte.

Eine Blindenschreibmaschine wird entwickelt

Sein Erfindergeist allerdings hat nicht gelitten: 1839 knobelte er eine Methode aus, mit deren Hilfe Blinde auch normale Schrift schreiben konnten. Dies war deshalb notwen- dig, weil die meisten sehenden Briefpartner die Punktschrift nicht entziffern konnten. Die kleine Bro- schüre, in der Braille darüber be- richtete, trug den Titel: „Ein neues Vorgehen, um mit Hilfe von Punkten die Form von Buchstaben sowie geographische Karten, geometri- sche Figuren, Musikzeichen usw.

darzustellen." Das Neue an dieser Methode war, daß die Buchstaben nicht geschrieben, sondern ins Pa- pier gestichelt wurden. Zwei Jahre später gelang es, diese Schreibme-

thode zu vereinfachen: Louis Braille entwickelte zusammen mit seinem Freund Fran9ois-Pierre Foucault den Raphigraphen, eine Blinden- schreibmaschine, bei der mit zehn feinen Sticheln die Buchstaben der Normalschrift ins Papier eingestanzt werden konnten (Abbildung 6).

In den ersten Monaten des Jahres 1843 erlitt Louis Braille mehrere hef- tige Blutstürze; sie setzten seinen Kräften so sehr zu, daß ein längerer Erholungsaufenthalt in Coupvray notwendig wurde. Sein schlechter Gesundheitszustand hätte aller- dings anderer Mittel bedurft: Medi- kamente wie lsoniazid, Para-Amino- salizylsäure, Rifampicin wären not- wendig gewesen. Diese wirkungs- vollen Arzneien wurden aber be- kanntlich erst in den fünfziger Jah- ren des 20. Jahrhunderts entdeckt.

So nahm Louis Brailles verhängnis- volle Krankheit ihren Lauf. Mal fühl- te er sich besser, dann wieder weni- ger gut. Jeder stärkere Witterungs- wechsel machte ihm zu schaffen. In der Nacht vom 4. zum 5. Dezember 1851 erlitt Louis Braille einen schweren Blutsturz. Anfang des neuen Jahres sah es zwar so aus, als

ob sich sein Gesundheitszustand wieder bessern würde, doch der Schein trog: Am 6. Januar 1852, am Tag der Heiligen Drei Könige, schwanden seine Kräfte, und „ge- gen halb sieben Uhr legte Louis Braille seine Seele in die Hände Got- tes".

Viel Ehre wurde ihm — wie gesagt — während seines kurzen Lebens nicht zuteil. An der eigenen Blindenschule hat man sein Schriftsystem erst zwanzig Jahre, nachdem es erfun- den worden war, anerkannt. Das Va- terland erwies Louis Braille die wohlverdiente Referenz sogar erst hundert Jahre nach seinem Tode: Im Juni 1952 wurde er als einer der Gro- ßen Frankreichs im Panthöon zur letzten Ruhe gebettet. Louis Braille, dessen Punktschrift den Blinden auf der ganzen Erde neue Welten eröff- net hat.

Literatur beim Verfasser Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Reinhard Kaden Facharzt für Augenheilkunde Hauptstraße 73

6900 Heidelberg 1

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