Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 47½½½½23. November 2001 AA3077
S E I T E E I N S
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ine so deutliche Entscheidung war nicht zu erwarten gewesen. 17 der 24 anwesenden Mitglieder der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages sprachen sich gegen einen Import von menschlichen embryonalen Stamm- zellen zu Forschungszwecken aus.Auf ein Mehrheits- und Minder- heitsvotum verzichtete die Kommis- sion. Da es sich um eine Gewissens- frage handele, wolle sie den Bundes- tagsabgeordneten nicht raten, wie sie sich bei der wegen Termin- schwierigkeiten auf Januar verscho- benen Debatte entscheiden sollen, sagte die Vorsitzende der Kommissi- on, Margot von Renesse (SPD).
Ein Stopp-Signal ist der abwä- gende Bericht der Enquete-Kom-
mission jedoch allemal. Die 17 Im- port-Gegner meinen, dass der Bun- destag und die Bundesregierung al- le Möglichkeiten ausschöpfen soll- ten, um die Einfuhr von embryona- len Stammzell-Linien zu verhin- dern. Lediglich sieben Kommissi- onsmitglieder bezweifeln, dass ein vollständiges Import-Verbot ver- fassungs- und europarechtlich be- gründet werden kann. Sie plädieren dafür, den Import unter engen Vor- aussetzungen, beispielsweise unter Kontrolle einer staatlichen Behör- de, zu tolerieren. Einig ist sich die Kommission, dass das derzeitige Embryonenschutzgesetz beibehal- ten werden muss.
Ihre Entscheidung wollen einige Mitglieder der Enquete-Kommissi- on auch als Aufforderung an die
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) verstanden wissen, den Ab- stimmungstermin über den Antrag von Prof. Dr. med. Oliver Brüstle nochmals zu verschieben und die Debatte des Bundestages abzuwar- ten. Noch stehe der 7. Dezember als Termin, an dem sich der DFG- Hauptausschuss entscheiden wolle, erklärte eine Sprecherin der DFG.
Eine nochmalige Verschiebung sei zwar denkbar, aber ungewiss.
Definitiv noch Ende November will der vom Bundeskanzler einge- setzte Nationale Ethikrat seine Ent- scheidung vorlegen. Dessen Mitglie- der gelten mehrheitlich als Befür- worter des Stammzell-Imports. Doch auch der Rat will die Entscheidung der Enquete-Kommission berück- sichtigen. Dr. med. Eva A. Richter
Stammzellen-Import
Signal auf Stopp
Wirtschafts-Gutachten
Untergegangen G
lück für Ulla Schmidt: Als die fünf„Wirtschaftsweisen“ am 14. No- vember ihr Jahresgutachten an Ger- hard Schröder überreichten, nahm kaum jemand davon Notiz. Das Land hatte andere Sorgen. Das öffentliche Interesse galt der tags zuvor ange- kündigten Vertrauensfrage des Kanz- lers. Ein Blick in das Gutachten lohnt jedoch. Angesichts steigender Kran- kenkassenbeiträge rückt das Ge- sundheitswesen zunehmend wieder ins gesamtwirtschaftliche Interesse.
Der Sachverständigenrat kritisiert massiv die Politik der Bundesgesund- heitsministerin. Anstatt die Probleme an der Wurzel zu packen, habe sie wiederholt nur die Symptome behan- delt. Der Gesundheitspolitik fehle ei- ne klare Konzeption, infolgedessen werde der durchschnittliche Beitrags- satz zur Gesetzlichen Krankenversi- cherung im nächsten Jahr auf 14 Pro-
zent steigen. Besonders missfällt den Ökonomen, dass die Ministerin den Preisabschlag von vier Prozent bei nicht festbetragsgebundenen Arznei- mitteln wieder zurückgenommen hat, um im Gegenzug einmalig 400 Millio- nen DM von der pharmazeutischen Industrie zu kassieren. Ein allokativ nachteiliger Staatseingriff sei durch einen anderen ersetzt worden. Die Annahme des Geldes zeuge nicht von einem guten Politikstil und komme einem „Ablasshandel“ gleich.
„Unklar“ ist den Experten, warum ab 2003 ein Risikopool für teure Lei- stungsfälle eingeführt werde und zeit- gleich die Behandlungsprogramme für chronisch Kranke in den Risikostruk- turausgleich (RSA) integriert werden.
Da die chronischen Krankheiten ei- nen Großteil der voraussehbar teuren Behandlungsfälle abdeckten, sei die zusätzliche gesetzliche Verankerung
eines getrennt vom RSA operieren- den Finanzausgleichs überflüssig.
Den Übergang zum diagnoseba- sierten Vergütungssystem im Kran- kenhaus begrüßen die Professoren.
Die durch die Fallpauschalen indu- zierten Anreize dürften den hohen Verweildauern in deutschen Kran- kenhäusern entgegenwirken, meinen sie. Ein weiterer Vorteil des neuen Entgeltsystems liege in der verbes- serten Transparenz. Die Einführung eines flächendeckenden Fallpau- schalensystems enthalte aber auch Risiken. Sicherzustellen sei vor al- lem, dass es nicht zu Qualitätsminde- rungen komme. Zudem biete das durch mangelnde Verzahnung ge- kennzeichnete System den Kranken- häusern die Option, den ambulanten Bereich als „Verschiebebahnhof“ zu nutzen, indem Kosten und „Fälle“
dorthin verlagert würden. Jens Flintrop