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Archiv "Krankmeldung: Arbeitsmoral oder Arbeitsunfähigkeit?" (13.11.1975)

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Spektrum der Woche Aufsätze •Notizen

DEUTSCHES ARZTEBLATT

FORUM:

Krankmeldung:

Arbeitsmoral oder Arbeitsunfähigkeit?

Patient Lenin — ein Übermensch?

Effizienzmessung bei Influenza- schutzimpfung

BRIEFE

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Bundesärztekammer:

Seminar

„Film in der Medizin"

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PERSONALIA

FEUILLETON:

Zwanzig Jahre Wochenendgalerie eines Arztes

KUNSTMARKT

Wolfgang Kellner

Die kritischen Anmerkungen mei- nes Freundes Prof. Dr. med. Her- mann Arnold mit dem Titel „Effi- zienzmessungen im Gesundheits- wesen" im DEUTSCHEN ÄRZTE- BLATT, Heft 33/1975, Seite 2319 ff., dürfen nicht unwidersprochen blei- ben.

Dabei geht es mir ebensowenig wie ihm um den Wert der gezielten Grippeschutzimpfung. Es geht mir auch nicht wie ihm um die Prin- zipien der Kosten-Nutzen-Analy- se. Mein Anliegen ist es, einer ge- rade von ihm (aber nicht nur von ihm) vertretenen, durch nichts be- gründeten Meinung entgegenzutre- ten, die nicht dadurch wahrer wird, daß man sie ständig wiederholt.

Daß diese Behauptung die Ärzte- schaft beleidigt, mögen die Ärzte unter sich ausmachen. Daß sie aber unsere in erdrückender Mehr- zahl anständige Arbeiterschaft be- leidigt, kann nicht hingenommen werden, weil dadurch der soziale Konflikt ständig erneut angeheizt wird.

Die Beleidigung der Ärzteschaft liegt darin, daß Ärzten, die Arbeiter wegen Grippe arbeitsunfähig schreiben, unterstellt wird, sie tä- ten es entweder wider besseres Wissen oder ohne hinreichend sorgfältige Untersuchung. Daß dies

nicht wahr ist, habe ich 1967 in der Schrift „Der betriebliche Kranken- stand und seine soziologischen Ur- sachen" (Heft 15 der Schriftenreihe der Zeitschrift „Arbeitsmedizin/So- zialmedizin/Arbeitshygiene") im zweiten Abschnitt mit dem Titel

„Der patientenhungrige Arzt" dar- getan.

Zu wenige Mediziner beachten die Vorschrift der modernen Wissen- schaftslogik, daß derjenige, der eine Hypothese aufstellt, verpflich- tet ist, nach Tatsachen zu su- chen, die sie widerlegen. Fast alle Menschen (auch Wissenschaftler und eben auch Mediziner), die eine Vermutung aufstellen, suchen nach Tatsachen, die sie bestätigen. Die Hypothese, daß der betriebliche Krankenstand auf „patientenhung- rige Ärzte" zurückzuführen sei, wurde an der angegebenen Stelle meiner Schrift widerlegt.

Die Beleidigung der Arbeiterschaft liegt in der Behauptung Arnolds,

„Arbeitsunfähigkeit" sei ein kom- plexes, mehr psychosoziales als körperliches Ereignis, unterschied- liche Krankheitsdauer sei ein Er- gebnis unterschiedlicher Arbeits- disziplin, und der Unterschied zwi- schen dem Krankenstand nord- amerikanischer und deutscher Ar- beiter beruhe darauf, daß der Kran-

Krankmeldung: Arbeitsmoral oder Arbeitsunfähigkeit?

Kritische Anmerkungen zu dem Beitrag „Effizienzmessungen im Gesundheitswesen" in Heft 33/1975, Seite 2319 ff.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 46 vom 13. November 1975 3203

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Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen Krankmeldung

kenstand unserer Arbeiter als

„sozialer Besitzstand anerkannt"

sei.

Ganz gewiß hat der Krankenstand weitgehend psychosoziale Ursa- chen, aber er ist bei mindestens 96 Prozent der Erkrankten ein körper- liches Ereignis, also echt und nicht simuliert. Die gegenteilige Hypo- these habe ich nicht nur in meiner erwähnten Schrift im ersten Ab- schnitt mit dem Titel „Das Lohn- fortzahlungsgesetz" widerlegt, in- zwischen aber in unterschiedli- chem Zusammenhang in so vielen Zeitschriftenaufsätzen, daß es Her- mann Arnold nicht verborgen ge- blieben sein kann. Der neueste die- ser Aufsätze steht freilich in einer Zeitschrift, die ihm wahrscheinlich nicht zugänglich war („Der Be- trieb", 28, 1975, Heft 24, Seite 1124 ff.). Seit ich diesen Aufsatz schrieb, ist sozusagen noch ein Ex- perimentum crucis nachgeliefert worden:

Der Krankenstand war am 1. Fe- bruar 1975 um rund zwei Drittel hö- her als am 1. Januar 1975, obwohl in dieser Zeitspanne die Arbeits- losigkeit zunahm und nach der ver- breiteten Meinung, die auch Arnold vertritt, die vergrößerte Unsicher- heit des Arbeitsplatzes die „Ar- beitsdisziplin" hätte vergrößern und den Krankenstand sinken las- sen müssen. Aber gegen Ende Ja- nuar war der Winter hereingebro- chen, während vorher jeder Wetter- bericht mit dem Satz endete „für die Jahreszeit erheblich zu mild", und eben deshalb trat das körperli- che, nicht psychosoziale Ereignis Krankheit häufiger ein.

1965 habe ich die Diagnosen der Hausärzte von 487 Mitarbeitern ei- nes Großbetriebes (repräsentativer Querschnitt) durch einen Interni- sten nachprüfen lassen. 87,4 Pro- zent der Hausarztdiagnosen wur- den von dem Internisten als zutref- fend anerkannt. Bei den 12,6 Pro- zent Abweichungen war die Dia- gnose des Internisten in fast allen Fällen schwerer als die Diagnose des Hausarztes, z. B. stellte er ei- nen Krebs fest, wo der Hausarzt

nur eine Anämie gefunden hatte, und eine Epilepsie, wo der Haus- arzt nur Kopfschmerzen diagnosti- ziert hatte. In einem einzigen Fall (Hausarzt: Herz- und Kreislaufstö- rungen, Internist: Roemheld) könn- te man die Diagnose des Interni- sten für leichter halten. In einem drittel Prozent der Fälle hat der In- ternist festgestellt, daß der „Er- krankte" bloß „gefeiert" hat, und in einem weiteren drittel Prozent der Fälle hat der Internist festgestellt, daß der Erkrankte zwar wirklich, und zwar an der von dem Hausarzt diagnostizierten Krankheit, er- krankt war, aber die Zeitdauer des Krankheitsfalles unnötig verlängert hat. Also, wenn man will, waren zweidrittel Prozent der Erkrankten

„Simulanten".

Psychosoziale Ursachen

Wenn man ohne vorgefaßte Mei- nung an die Untersuchung des be- trieblichen Krankenstandes heran- tritt, kann man viele, gerade auch psychosoziale Ursachen finden, aber sie liegen nicht in der „Ar- beitsmoral" oder „Arbeitsdiszi- plin".

Sie liegen zuvörderst in einer falschen Zusammensetzung von Arbeitsgruppen, zweitens in der zu starken Zentralisierung von Kom- petenzen und Verantwortungen, drittens in der Angst davor, daß ein Kollege im Akkord zu viel schafft und daraufhin der Zeitneh- mer kommt und den Akkord über- prüft, viertens in der Tendenz man- cher Vorgesetzten, einzelne Mitar- beiter zu bevorzugen und andere zu benachteiligen, fünftens in der (oft berechtigten) Unzufriedenheit mit der Tätigkeit, z. B. in der Auf- splitterung eines Arbeitsvorganges in kleinste Arbeitspartikel, sech- stens in der (meist unberechtigten) Unzufriedenheit mit betrieblichen Gegebenheiten, letztlich im Verhal- ten höherer Vorgesetzter.

Die Unzufriedenheit mit einer nicht mehr menschenwürdigen Arbeit (z.

B. steckt eine Arbeiterin 5000mal am Tag ein Stückchen Isolierpa-

pier an eine bestimmte Stelle eines elektrischen Geräts) spielt eine zu- nehmend wichtige Rolle.

Das haben amerikanische Firmen eben fast zwei Jahrzehnte früher erkannt als die unseren, und es gibt dort eine reiche Literatur, wie man die Arbeit wieder menschenwürdig machen kann. Das kann den Unter- schied zwischen amerikanischen und deutschen Krankenstandszif- fern durchaus erklären, denn nach meinen eigenen Untersuchungen ist der Krankenstand derjenigen Arbeiter, die ihre Arbeit selber ein- teilen dürfen, nur die Hälfte bis ein Drittel desjenigen der übrigen.

Ferner sei angemerkt, daß Arnold den statistischen Fehler, den er den Autoren des Batelle-Instituts vorwirft, selber begeht. Auch das Krankengut, das er als Leiter eines Gesundheitsamtes und als Vertrau- ensarzt zu begutachten hat und aus dem er seine Meinung über die psychosozialen Faktoren des Kran- kenstandes ableitet, ist kein reprä- sentativer Querschnitt der Arbeiter- bevölkerung oder der Bevölkerung überhaupt.

Wenn die von ihm angegriffene Autorin des Batelle-Instituts als Alternative zu der von ihr gewähl- ten Methode serologische Untersu- chungen vorschlägt, so ist das durchaus vernünftig, weil eben die „Arbeitsunfähigkeit" im Gegen- satz zu der Meinung von Arnold nicht nur ein psycho-soziales, son- dern auch ein körperliches Ereig- nis darstellt. Vielleicht kann ihn da- von mein Buch über „Soziale Si- tuation und Krankheit" überzeu- gen, das im September dieses Jah- res erschienen ist.

Anschrift des Verfassers:

Dr. Dr. Wolfgang Kellner 6302 Lich 1

Heinrich-Neeb-Straße 1

3204 Heft 46 vom 13. November 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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