Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 4325. Oktober 2002 AA2809
S E I T E E I N S
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undesgesundheitsministerin Ulla Schmidt will die rasant steigenden Verwaltungskosten der gesetzlichen Krankenkassen ab dem nächsten Jahr offenbar gesetzlich begrenzen. Dies solle Bestandteil eines Vorschaltge- setzes zu einer späteren Gesundheits- reform sein, hieß es aus dem Bundes- gesundheitsministerium (BMG). Ein überfälliger staatlicher Eingriff: Im vergangenen Jahr erreichten die Net- to-Verwaltungskosten der Kranken- kassen mit 7,6 Milliarden Euro ein neues Rekordniveau. Dies geht aus dem Statistischen Taschenbuch Ge- sundheit 2002 hervor, das das BMG soeben herausgegeben hat. „Wenn alle im Gesundheitswesen weiterhin konsequent sparen müssen, dann können die Verwaltungskosten der Krankenkassen nicht länger außen vor bleiben“, kommentierte Dr. Man- fred Richter-Reichhelm,Vorsitzenderder Kassenärztlichen Bundesvereini- gung, die Pläne, auch an den Verwal- tungskosten der Krankenkassen den Sparhebel anzusetzen.
Der BMG-Statistik zufolge stie- gen die Verwaltungskosten der Kran- kenkassen bundesweit seit 1991 um mehr als 60 Prozent. Der Anteil der Verwaltungskosten an den gesamten Leistungsausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung beträgt mitt- lerweile 5,9 Prozent. Im Jahr 2001 kletterten die Verwaltungskosten um 4,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr (2000: 7,3 Milliarden Euro). Zum Vergleich: Die Ausgaben für ambu- lante ärztliche Behandlung ohneMe- dikamente und Hilfsmittel erhöhten sich um 2,3 Prozent. Für das laufende Jahr ist zudem mit einem weiteren Anstieg der Verwaltungskosten bei den Kassen zu rechnen. Nach An- gaben der Ministerin stiegen die Ver-
waltungsausgaben im ersten Halb- jahr 2002 um 4 Prozent gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeit- raum.
Zu der Frage, wie streng und nach welchen Kriterien die Verwaltungs- kosten von AOK und Co. in Zukunft begrenzt werden sollen, äußerte sich das BMG bislang nicht. Pressebe- richte, wonach die Verwaltungsaus- gaben ab 2003 nicht stärker steigen sollen als Löhne und Gehälter, wie es § 71 SGB V zur Beitragssatzstabi- lität streng genommen bereits vor- schreibt, hat Ulla Schmidt weder be- stätigt noch dementiert. Wenn man bedenkt, dass im Internetzeitalter immer mehr Krankenkassen ihre Kunden nur noch „virtuell“ betreu- en – was deutlich weniger Personal erfordert –, sollte die Ministerin auch rigidere Budgetierungsmaßnahmen in Erwägung ziehen. Jens Flintrop
Krankenkassen
Budgetierung überfällig
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as Spiel mit Beitragssätzen, Beitragsbemessungsgrenzen und Versicherungspflichtgrenzen in der Sozialversicherung ist kompliziert und kaum durchschaubar. Im rot- grünen Koalitionsvertrag stehen da- zu zwei Sätze:„Zur Stärkung der Solidarität und der Finanzgrundlagen der Gesetzli- chen Krankenversicherung werden wir die Versicherungspflichtgrenze für neue Versicherungsverhältnisse auf das Niveau der Renten- und Arbeitslosenversicherung anheben.
Bei der Beitragsbemessungsgrenze gibt es keine Änderungen.“
Satz 1 betrifft die private Kran- kenversicherung. Ihr soll der Nach- wuchs abgeschnitten werden. Nur ein Berufsanfänger, der mehr als 5 100 Euro im Monat (West; Ost:
4 250) verdient, soll sich künftig noch privat versichern dürfen.
Satz 2 klingt eindeutig, ist es aber nicht. Bisher richtet sich die Beitrags- bemessung in der Gesetzlichen Kran- kenversicherung an der Rentenversi- cherung aus: Die GKV-Grenze liegt derzeit bei 75 Prozent der Beitrags- bemessungsgrenze in der gesetzli- chen Rentenversicherung. Letztere aber soll gemäß einer Absprache der Koalition von 4 500 auf 5 100 Euro (West) beziehungsweise von 3 750 auf 4 250 Euro (Ost) steigen. Das würde bedeuten, dass die Beitragsbe- messungsgrenze in der Krankenver- sicherung im Westen auf 3 825 Euro ansteigt, wenn es, wie im Koalitions- vertrag festgeschrieben, „keine Än- derungen“ in der Gesetzeslage gibt.
Anders wäre es, wenn die Koalition
die Beitragsbemessungsgrenze für die Krankenversicherung beibehielte (zurzeit 3 375 Euro), dann müsste sie aber die Gesetzesgrundlage ändern.
Was die Koalitionäre nun wirklich wollen, ist zurzeit offen, es gibt Inter- pretationen in jede Richtung. Der
„Charme“, es stillschweigend bei der geltenden Gesetzeslage zu belassen, besteht darin, dass Erhöhungen der Krankenversicherungsbeiträge auf diese Weise ziemlich unauffällig über die Bühne gehen können. Viel- leicht ließe sich dann sogar die er- wartete Steigerung des Beitragssat- zes optisch reduzieren. Es gäbe eine blande Steigerung des Beitragssat- zes – und dennoch wäre mehr Geld in der Kasse. Ein solches Verfahren hätte freilich einen unangenehmen Beigeschmack. Norbert Jachertz