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Archiv "Die Gliederung des psychiatrischen Krankenhauses: Behandlungsbereich und therapeutischer Wohnbereich" (10.04.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

ÜBERSICHTSAUFSATZ

Das Tauziehen zwischen Verwal- tung und Ärzten bei der Bestim- mung von „Behandlungs-" und

„Pflegefällen" ist Ausfluß des un- bestimmten Rechtsbegriffes Be- handlungs-/Pflegefall. Die Gliede- rung der psychiatrischen Groß- krankenhäuser in „Behandlungs- bereiche" und „therapeutische Wohnbereiche" für chronisch kranke Patienten ist derzeit ein aktuelles Thema der Kranken- hauspsychiatrie. Am Beispiel des Bezirkskrankenhauses Günzburg zeigt sich die bisherige Be-

nachteiligung chronisch Kranker.

D

ie Berücksichtigung der Kostenfaktoren im Gesund- heitswesen zwingt auch die Krankheitspsychiatrie dazu, nach kostendeckenden Gesichtspunk- ten zu arbeiten oder eine solche Arbeitsweise zumindest anzustre- ben. Wir Ärzte fürchten indes nichts mehr als den materiellen Druck auf die ärztliche Indikation.

Die Entscheidung zwischen Kran- ken mit guten und solchen mit ge- ringen Chancen läuft dem Grund- satz ärztlicher Ethik zuwider und wird uns dennoch tagtäglich ab- gezwungen.

Schon zu Beginn des vorigen Jahrhunderts bestand eine leb-

hafte Diskussion um die Einbezie- hung oder Ausgliederung der „un- heilbaren Irren", wie man damals sagte, beziehungsweise der lang- fristig Hospitalisierten, wie man heute sagt. Die zunächst leiden- schaftlich erkämpfte Trennung von Heil- und Pflegeanstalten befrie- digte auf die Dauer nicht alle Wün- sche. Schließlich wurde ein Kom- promiß gefunden, nämlich die „re- lativ verbundenen Heil- und Pflege- anstalten" (unter anderem Erlan- gen 1846). Bei der relativen Verbindung sei es leichter, die Patienten hin und her zu verlegen, es fände sich leichter Personal, wenn die Trennung der Unheilba- ren nicht vollständig sei usw., Argumente, die uns allen bis auf den heutigen Tag geläufig sind.

Die durch die Nazizeit und den Krieg verkommenen psychiatri- schen Anstalten waren in den Jah- ren des Aufbaus der Bundesrepu- blik ihren Versorgungsaufgaben nicht gewachsen und erhielten auch nicht die erforderliche Hilfe.

Besonders die Versorgung der langfristig hospitalisierten, chro- nisch psychisch Kranken ver- schlechterte sich zusehends (1).

Mit dem in Enquöte-Bericht (2) enthaltenen Satz, daß ein großer Anteil dieser langfristig unterge- brachten Personengruppe nicht krankenhausbedürftig sei, wurde der seit 150 Jahren mühsam hin- und hergewälzte Sachverhalt er- neut aktuell. Also sollten akut und chronisch Kranke wieder getrennt werden. Die chronisch Kranken wurden aus den Landeskranken- häusern zum Teil in weit entfernte Heime verlegt mit der durch nichts begründeten Hoffnung, daß es ihnen dort besser ergehen sol- le. Heute wissen wir, daß die Bet- tenreduktion der psychiatrischen Großkrankenhäuser zum größten Teil auf die alternative Versor- gung chronisch psychisch Kran- ker vorwiegend mit Psychosen aus dem schizophrenen Formen- kreis zurückzuführen ist. Es ist in diesem Punkte Lorenzen zuzu- stimmen, wenn er behauptet, daß es hier zu Fehlentwicklungen ge- kommen und die Behauptung si- cherlich nicht übertrieben ist, daß

eine Reihe von psychiatrischen Krankenhäusern sich in unverant- wortlicher Weise auf Kosten ihrer chronisch Kranken saniert haben, indem sie diese in weit entfernte, kaum kontrollierbare Heime ver- legt haben, mit denen clevere Ge- schäftsleute schnell das Geld ge- macht haben (3). Die unvermeid- liche Folge war und ist ein Tauzie- hen zwischen Verwaltung und Ärzten bei der Bestimmung von

„Behandlungs-" und „Pflegefäl- len". Mit bösem Willen auf beiden Seiten hat das nichts zu tun, son- dern ist Ausfluß des unbestimm- ten Rechtsbegriffes Behandlungs- /Pflegefall. Dieses Problem muß für die psychiatrischen Kranken- häuser gelöst werden, weil, wie ich glaube, viele dieser Kranken- häuser weiterhin mit der Hälfte der Langzeitpatienten leben müs- sen, die nicht in Heime oder

„komplementäre Dienste", wo es sie denn quantitativ und qualitativ in ausreichender Weise gibt, ver- legt werden können, einfach weil sie auch aus Gründen einer beste- henden Mehrfachbehinderung zur Gruppe der Schwerkranken gehören. Was aber keinesfalls weiterhin sein darf, ist, daß mit Hil- fe des gemeinsamen Pflegesatzes über die derzeit vielerorts noch ungenügend den speziellen Be- dürfnissen dieser Patientengrup- pe angepaßte Behandlung und ausgesprochen dürftige, also billi- ge Unterbringung eines allzu gro-

Die Gliederung des psychiatrischen Krankenhauses:

Behandlungsbereich

und therapeutischer Wohnbereich

Welcher chronisch

psychisch Kranke ist „krankenhausbedürftig"?

Reinhold Schüttler

Aus der Abteilung Psychiatrie II der Universität Ulm und der psychiatrischen Abteilung des Bezirkskrankenhauses Günzburg (Leitender Direktor: Professor Dr. med. Reinhold Schüttler)

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 15 vom 10. April 1985 (69) 1089

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ßen Teils chronisch kranker Pa- tienten die Akutbehandlung mit- finanziert wird.

Aus Gründen einer wünschens- werten größeren Transparenz hin- sichtlich des Geld- und Personal- bedarfs für die bestmögliche Be- handlung und Unterbringung der verschiedenen Patientengruppen sowie der stärkeren Einbindung der verschiedenen Kostenträger in die Verantwortung ist die er- neut aufgekommene, nicht lei- denschaftslos geführte Diskus- sion um die Frage zu begrüßen, welchen Patienten mit Mitteln des psychiatrischen Krankenhauses und welchen Patienten mit ande- ren Hilfen Heilung oder Linderung seiner Krankheit beziehungswei- se seiner Behinderung gebracht werden kann.

Eine in diese Richtung zielende Strukturierung unserer Großkran- kenhäuser in ein klar erkennbares und gegliedertes Krankenhaus („Behandlungs-Bereich") und in einen ebenso klar erkennbaren und gegliederten „therapeuti- schen Wohnbereich" ist auch aus Gründen der Gleichstellung des psychisch Kranken mit dem soge- nannten somatisch Kranken wün- schenswert. Der Eintritt potentiel- ler Patienten in ein überschauba- res psychiatrisches Krankenhaus wird erleichtert, Ängste, sich dem bleibenden Zugriff einer amor- phen „Anstalt" nicht mehr entzie- hen zu können, werden abgebaut.

Beispiel Günzburg

Im folgenden soll am Beispiel des bayerisch-schwäbischen Bezirks- krankenhauses Günzburg ver- sucht werden darzustellen, ob bei der näheren Betrachtung gewach- sener Strukturen innerhalb des Krankenhauses Kriterien zu fin- den sind, die bei der Festlegung

„Behandlungs- oder Pflegefall"

hilfreich sind oder nicht.

Günzburg hat sich in den letzten Jahren auf eine Spezialisierung und Differenzierung des Behand-

lungsangebotes hin entwickelt, nicht auf eine Sektorisierung.

Dies war angesichts des flächen- mäßig großen und vorwiegend ländlichen Einzugsgebietes eine richtige und zweckmäßige Ent- scheidung. Hinzu kommt, daß es in unserem Einzugsgebiet bisher außerhalb des Bezirkskranken- hauses selbst keine teilstationäre Einrichtung und nur wenige Be- handlungsplätze in speziellen Re- habilitationseinrichtungen gibt und dem Bedarf zahlenmäßig und qualitativ entsprechende Heime für eine Dauerunterbringung chronisch psychisch Kranker nicht zur Verfügung stehen.

Anfang 1983 hahon wir die Statio- nen für langfristig hospitalisierte chronisch psychisch Kranke im Bezirkskrankenhaus Günzburg dem Charakter der einzelnen Sta- tionen gemäß in einen „Langzeit- Behandlungsbereich" einerseits und in einen „therapeutischen Wohnbereich" andererseits aus- gewiesen. Ohne im einzelnen die individuellen Daten der Patienten und Verlaufsmerkmale ihrer Er- krankung detailliert zu kennen, ließen wir uns bei dieser Eintei- lung fast ausschließlich von der gewordenen Atmosphäre einzel- ner Stationen und dem gepfloge- nen therapeutischen und rehabili- Diagnosen-Verteilung A

Stationen Diagnosen

Schizophrenien Oligophrenien

C A

26 5

B

25 6

D 27

4 E 20

3 8

F

16 0

n 121 (71,2%)

18 (10,6%) 15 ( 8,8%) 7

0

Alkoholismus 0 1 0 1 3

organische

Psychosyndrome 1 2 1 6 0

Epilepsien 0 0 0 2 0

1 0

andere Diagnosen 2 0 0

33 34 10 41 33 19 170 (100%) Tabelle 1: Verteilung der psychiatrischen Hauptdiagnosen im therapeutischen Wohnbereich des Bezirkskrankenhauses Günzburg

Diagnosen-Verteilung B Stationen

Diagnosen A B C D E F G n

Schizophrenien 34 1 15 21 2 12 85 (41,3%)

Oligophrenien 2 13 3 17 12 47 (22,8%)

Alkoholismus 3 23 4 1 32 (15,5%)

Epilepsien 2 2 2 6 12 ( 5,8%)

organische

Psychosyndrome 5 3 2 12 ( 5,8%)

Zyklothymien 2 6 8 ( 3,9%)

andere

Diagnosen 2 4 1 3 10 ( 4,6%)

43 19 36 23 _ 29 20 36 206 (100%) Tabelle 2: Verteilung der psychiatrischen Hauptdiagnosen im Langzeitbereich des Bezirkskrankenhauses Günzburg

(3)

1 Bett 2 Betten

8 3,9%

48 28,2%

5 2,9%

9 4,7%

3-4 Betten 50 29,4% 57 27,7%

5-6 Betten 51 30,0% 75 36,4%

57 27,7%

7-10 Betten 14 8,2%

Zimmergrößen therapeutischer

Wohnbereich Langzeitbereich

166 80,6%

Langzeit- bereich

31 15,0%

9 4,4%

Sanitäre Einrichtungen fließendes

Wasser/WC

fließendes Wasser/kein WC

kein fließendes Wasser/kein WC therapeuth.

Wohnbereich

33 19,4%

12 7,1%

125 73,5%

häufig selten sehr selten keine Außenkontakte

F M F M F M F M

therapeut.

Wohnbereich

23 31 34,3% 30,9%

24 31 35,8% 30,1%

15 21 22,4% 20,4%

5 20 7,5% 19,4%

36 38 36,7% 35,2%

25 57 25,5% 52,8%

16 7 16,3% 6,5%

21 6

21,4% 5,6%

Langzeit- bereich

Tabelle 3: Bettenzahl pro Schlafzimmer pro Patient im therapeutischen Wohnbe- reich und Langzeitbereich des Bezirkskrankenhauses Günzburg

Tabelle 4: Sanitärstandard der Krankenzimmer pro Patient im therapeutischen Wohnbereich und Langzeitbereich des Bezirkskrankenhauses Günzburg

Tabelle 5: Außenkontakte der Patienten des therapeutischen Wohnbereiches und des Langzeitbereiches des Bezirkskrankenhauses Günzburg. Die Häufigkeit der Au- ßenkontakte von Patienten des Langzeitbereiches liegt geringfügig über der des the- rapeutischen Wohnbereiches

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Gliederung des psychiatrischen Krankenhauses

tativen Umgang mit den dort be- findlichen Patienten leiten. Wich- tig war in diesem Zusammenhang auch die Beratung und die Beur- teilung durch das Pflegepersonal und den Sozialdienst, die die Pa- tienten in den meisten Fällen schon viele Jahre intensiv kann- ten. Entscheidend war für die

Festlegung des „therapeutischen Wohnbereiches", daß die Patien- ten weitgehend stabile, offen- sichtlich weiter nicht beeinflußba- re Behinderungen aufwiesen, die Notwendigkeit einer nur im Kran- kenhaus möglichen ärztlichen In- anspruchnahme in den Hinter- grund getreten war und die Pa- tienten rehabilitativ gesehen inso- weit mit sozialen Fertigkeiten aus- gestattet sind, daß sie in lediglich beschützter Umgebung wohnen und möglichst auch arbeiten oder sich wenigstens beschäftigen können. Leiten ließen wir uns fer- ner von dem Grundsatz, daß prin- zipiell alle im „therapeutischen Wohnbereich" lebenden Patien- ten auch in spezielle Heime ver- legbar wären, wenn die Möglich- keiten der Heime den von uns an- gebotenen Möglichkeiten ent- sprächen oder sogar überträfen.

Bei der regional gegebenen Be- schränkung von entsprechenden Heimangeboten spielte auch noch eine Rolle, ob es Patienten zumut- bar sei, ein in Jahren und Jahr- zehnten erworbenes „Heimat- recht" in unserem Krankenhaus aufzugeben, und ob das dichte Freizeitangebot von gesellschaft- lichen über sportlichen bis hin zu kulturellen Veranstaltungen bei einer eventuellen Heimverlegung kompensiert sein würde. Wir ha- ben nun nach der mehr eindrucks- mäßigen Schaffung eines „thera- peutischen Wohnbereiches" und

„Langzeit-Behandlungsberei- ches" versucht, die Situation in beiden Bereichen auch zahlenmä- ßig genauer zu erfassen. Hierzu ha- ben wir einige Daten benutzt, die anläßlich der derzeitig vorge- nommenen „Patientenstruktur- analyse in den bayerischen Be- zirkskrankenhäusern" am Stichtag 15. 11. 1983 erfaßt wurden.

Im „therapeutischen Wohnbe- reich" hielten sich zum Stichtag 170 Patienten auf, davon 67 Frau- en (39,4 Prozent) und 103 Männer (60,6 Prozent). Im „Langzeitbe- reich" waren es 206 Patienten, da- von 98 Frauen (47,6 Prozent) und 108 Männer (52,4 Prozent). Von den weiblichen Patienten im „the- rapeutischen Wohnbereich" wa- ren 11 (16,4 Prozent) verheiratet, von den männlichen Patienten nur 5 (4,8 Prozent). 47 Frauen (70,1 Prozent) und 87 (84,5 Pro- zent waren ledig; geschieden oder verwitwet waren 12 Frauen

(17,9 Prozent) und 8 Männer (7,8 Prozent). Ganz ähnlich ist der Fa- milienstand der Patienten im

„Langzeitbereich". Hier waren 12 Frauen (12,2 Prozent) und 8 Män- ner (7,4 Prozent) verheiratet, 64 Frauen (65,3 Prozent) und 84 Män- ner (77,8 Prozent) waren ledig und 22 Frauen (22,4 Prozent) und 16 Männer (14,8 Prozent) waren ge- schieden oder verwitwet.

Die Tabellen 1 und 2 zeigen die Verteilung der psychiatrischen Hauptdiagnosen im „therapeuti- schen Wohnbereich" bzw. im Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 15 vom 10. April 1985 (75) 1093

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„Langzeitbereich". Hier zeigt sich, daß zwar in beiden Berei- chen Schizophrenien bei weitem überwiegen, die Häufigkeit im

„therapeutischen Wohnbereich"

mit 71,2 Prozent aber besonders hoch ist. Aus der Übersicht der Verteilung der psychiatrischen Hauptdiagnosen auf die einzelnen Stationen erkennt man, daß im

„Langzeitbereich" die diagnosti- sche Zuordnung eines Patienten und seine Behandlung auf einer bestimmten Station eine bei wei- tem größere Rolle spielt als im

„therapeutischen Wohnbereich" , wo offenbar weniger die diagno- stische Zuordnung als das Aus- maß der vorhandenen Behinde- rungen unabhängig von der noso- logischen Zuordnung in den Vor- dergrund tritt.

Bezüglich der Rechtsgrundlage der Unterbringung im „therapeu- tischen Wohnbereich" und im

„Langzeitbereich" überrascht die geringe Quote der auf freiwilliger Basis Untergebrachten. Diese Quote ist im Langzeitbereich mit 15,3 Prozent der Frauen und 11,1 Prozent der Männer zwar etwas höher, insgesamt unterscheiden sich in diesem Punkte „therapeu- tischer Wohnbereich" und „Lang- zeitbereich" erheblich vom Akut- Behandlungsbereich unseres Krankenhauses, in dem gegen- wärtig durchschnittlich 88 bis 90 Prozent aller Patienten freiwillig in Behandlung sind.

Wie zu erwarten, überwiegen die ausgewiesenen „Pflegefälle" im

„therapeutischen Wohnbereich"

mit 116 Patienten (68,2 Prozent).

Immerhin befinden sich aber auch 25 Patienten (14,7 Prozent) im

„therapeutischen Wohnbereich", deren Kostenträger die RVO-Kas- sen sind. Bei den restlichen 25 Pa- tienten werden die Kosten von der Sozialhilfeverwaltung getragen.

Im „Langzeitbereich" sind dage- gen bei erheblich mehr Patienten, nämlich 96 (46,6 Prozent), die RVO-Kassen Kostenträger. Der Anteil von ausgewiesenen „Pfle- gefällen" ist mit 54 Patienten (26,2 Prozent) hoch. Zusammen mit sol-

chen Patienten, deren Kosten von der Sozialhilfeverwaltung getra- gen werden, überwiegen auch im

„Langzeitbereich" diejenigen Pa- tienten, deren Behandlungs- und Aufenthaltskosten nicht von der gesetzlichen Krankenversiche- rung bezahlt werden. Den Haupt- anteil dieser Patienten stellen Oli- gophrene, die speziell auf zwei Stationen des Langzeitbereiches betreut werden. An dieser Stelle ist anzumerken, daß die langjähri- ge Betreuung geistig Behinderter nicht die Aufgabe eines psychia- trischen Krankenhauses sein soll- te, sondern diese Patienten in der Regel ihren Bedürfnissen ent- sprechend besser in gesonderten Einrichtungen unterzubringen sind. Der relativ hohe Anteil Oli- gophrener in Günzburg erklärt sich historisch durch die Übernah- me aus der vormaligen, jetzt auf- gelösten Anstalt Irsee bei Kauf- beu ren.

Wenn man die ausgewiesenen

„Pflegefälle" und die RVO-Kas- senpatienten in beiden Bereichen miteinander vergleicht, so fallen Unterschiede in zwei Punkten auf:

1. Die durchschnittliche Dauer des jetzigen Aufenthaltes im Bezirks- krankenhaus ist bei den RVO-Kas- senpatienten mit 3,9 bis 7,2 Jah- ren erheblich kürzer als die der ausgewiesenen „Pflegefälle" mit 14,9 bis 22,5 Jahren. 2. Das durch- schnittliche Lebensalter beträgt im „therapeutischen Wohnbe- reich" bei den männlichen Patien- ten 53,9 Jahre, bei den weiblichen Patienten 61,2 Jahre, während es im „Langzeitbereich" deutlich darunter liegt mit 47,0 und 51,8 Jahren. Dagegen ist die durch- schnittliche Erkrankungsdauer beziehungsweise die durch- schnittliche Dauer seit der ersten Behandlungsrelevanz der Stö- rung in beiden Bereichen nicht wesentlich unterschiedlich (23,6 und 29,5 Jahre im „therapeuti- schen Wohnbereich" und 24,9 und 24,4 Jahre im „Langzeitbe- reich").

Die Tabellen 3 und 4 informieren über den Wohn- und Sanitärstan-

dard im „therapeutischen Wohn- bereich" und im „Langzeitbe- reich". Die Konsequenz aus die- sen Übersichten: Der Wohnstan- dard besonders im „Langzeitbe- reich" ist miserabel, derjenige im

„therapeutischen Wohnbereich"

nur unbedeutend besser. Im Wis- sen darum, daß der Wohnstandard im Akutbehandlungsbereich des Bezirkskrankenhauses Günzburg durchweg gut bis sehr gut ist, zeigt dieser Befund, daß bisher auf Kosten der chronisch Kranken die Sanierung unserer Häuser vor- angetrieben wurde.

Die Tabelle 5 zeigt die Zahl der Außenkontakte unserer Patienten durch Besuche, Telefonate und Briefe. Die Häufigkeit der Außen- kontakte der Patienten des „Lang- zeitbereichs" liegt geringfügig über der Anzahl der Außenkontak- te der Patienten des „therapeuti- schen Wohnbereichs". Das über- rascht nicht sonderlich, wenn man an die hohe Zahl der Ledigen denkt und die hohe durchschnitt- liche Verweildauer.

Dieser Befund unterstreicht die Wichtigkeit der Aufgabe, die chro- nischen Kranken zu Kontakten in die Gemeinde zu bringen und die- se, zum Beispiel in Art der Laien- hilfe, ins Krankenhaus.

Schlußfolgerung

Das Ergebnis der Untersuchung ist, daß alle dargestellten Parame- ter, insbesondere auch die Dia- gnose, keine Hilfsmittel sind, die Entscheidung Behandlungs- oder Pflegefall herbeizuführen. Allen- falls sind das niedrigere Lebensal- ter und eine Verweildauer bis zu 5 Jahren im Einzelfall für die Beur- teilung heranzuziehende Ge- sichtspunkte.

Die Entscheidung Behandlungs- oder Pflegefall kann also keine nach pauschalen Kriterien vorge- gebene und administrativ zu ent- scheidende sein, sondern sie muß im Einzelfall sorgfältig vom Arzt getroffen werden. Verlaufsbeson-

(5)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Gliederung des psychiatrischen Krankenhauses

derheiten, insbesondere Fluktua- tion des Beschwerdebildes und Rezidivneigung, Intensität und va- riable Anpassung der erforder- lichen Medikation sowie auch, dies sogar vorrangig, die sehr kri- tische Würdigung etwaiger Alter- nativangebote in der Region we- nigstens hinsichtlich der Erhal- tung der im Krankenhaus erreich- ten Kompensation und Förderung stellen die wichtigsten Beurtei- lungskriterien dar. Es spricht alles dafür, nur diejenigen chronisch

Kranken, denen mit Mitteln des Krankenhauses geholfen werden kann, im Krankenhaus zu behal- ten. Es spricht aber auch vieles dafür, einen Teil der chronischen Kranken am Krankenhaus zu be- halten. Es muß nur endlich aufhö- ren, daß niemand für diese Grup- pe recht zuständig sein will.

Die Entwicklung in der letzten Zeit läßt leider befürchten, daß sich dieser unerträgliche Befund kei- neswegs verbessert.

Literatur

(1) Huber, G.: Wege zu einer Verbesserung der psychiatrischen Versorgung in Deutsch- land. öff. Gesundh.-Wesen 34 (1972), 9-26 — (2) Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland. Bundestags- drucksache 7/4200 (1975) — (3) Lorenzen, D.:

Chronisch psychisch Kranke, wo sind sie ge- blieben? Spektrum 1 (1984), 22-28.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. Reinhold Schüttler Bezirkskrankenhaus Günzburg Abteilung Psychiatrie II der Universität Ulm

8870 Günzburg

AUSSPRACHE

Grundlegende Voraussetzungen für die Durchführung einer Narkose

Zu dem Beitrag von

Professor Dr. med. Karl Bonhoeffer und Dr. med. Maria Imhoff in Heft 46/1984, Seite 3418 bis 3421 der Ausgabe A

Stellungnahme I

Es ist zu begrüßen, daß in der sonst allgemein gehaltenen Arbeit auf die Bedeutung des präoperati- ven Gesprächs ganz besonders und mit starken Worten hingewie- sen wurde. Leider wird ein wichti- ges Detail nicht erwähnt: Der Arzt, der die Narkose (ein-)leitet, sollte selbst mit dem Patienten gespro- chen haben! Das ganze in einem präoperativen Gespräch aufge- baute Vertrauen ist dahin, wenn sich am nächsten Morgen ein an- derer nach dem Dienstplan „zu- ständiger" Anästhesist vorstellt, den der Patient zuvor nie gesehen hat.

Auch für uns Chirurgen ist das persönliche präoperative Ge- spräch eine der wichtigsten ver- trauensbildenden Maßnahmen.

Nach meiner Erfahrung ist es schwer, Kollegen von der Anäs-

thesie von der Notwendigkeit die- ses Vorgehens zu überzeugen. In den „Instituten für Anästhesiolo- gie" sollte meines Erachtens mit Nachdruck an diese grundlegen- de Voraussetzung für die Durch- führung einer Narkose erinnert werden.

Professor Dr. med. Helmut Schott Chefarzt der

Chirurgischen Klinik Städtisches Krankenhaus Alter Weg 80

3340 Wolfenbüttel

Stellungnahme II

Bei der Lektüre des auch für den medizinischen Laien hochinteres- santen Beitrags bin ich über den Abschnitt „Das präoperative Ge- spräch" gewissermaßen von Be- rufs wegen gestolpert, da dieses ja auch die rechtlich geschuldete

Risikoaufklärung betrifft. Sie soll zwar aufrichtig gestaltet werden, aber was bedeutet es dann, wenn man von dem Patienten die Zu- stimmung zu der der eigenen Überlegung entsprechenden Be- handlung erlangen will, ohne ihm die Verantwortung für die Ent- scheidung aufzubürden? Die

„heute allgemein geübte und be- sonders von Juristen geforderte Aufklärungspraxis" lehnen die Verfasser als „tödlich" ab.

Handelt es sich hier wirklich nur um die Meinung von Juristen, oder nicht vielmehr um die Aussa- ge unserer geltenden freiheit- lichen Rechtsordnung? Haben diese die Richter des Bundesge- richtshofs, die es wissen müßten, wirklich ganz falsch interpretiert?

Und warum geht unser höchstes Gericht, das Bundesverfassungs- gericht, fast noch weiter? Warum schließlich herrschen diese Grundsätze nicht nur in der Bun- Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 15 vom 10. April 1985 (79) 1095

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