A 386 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 8|
24. Februar 2012A
lles begann vor knapp acht Jahren mit der Richtlinie 2004/113/EG der Europäischen Union (EU). Darin heißt es: „Die Mitglied- staaten tragen dafür Sorge, dass spä- testens bei den nach dem 21. De- zember 2007 neu abgeschlosse- nen Verträgen die Berück- sichtigung des Faktors Ge- schlecht bei der Berech- nung von Prämien und Leistungen im Bereich des Versicherungswesens nicht zu unterschiedlichen Prä- mien und Leistungen führt.“ Dass dennoch bis 2007 keine Unisex-Tarife in der privaten Kranken- versicherung (PKV) ein- geführt wurden, lag dar - an, dass diese Vorgabe in derselben Richtlinie wie- der aufgehoben wurde.
Denn an anderer Stelle hieß es, die Tarife müssten nicht vereinheitlicht wer- den, „wenn die Berück- sichtigung des Geschlechts bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathemati- schen und statistischen Daten beru- henden Risikobewertung ein bestim- mender Faktor ist“.
Mit dieser Einschränkung war der Europäische Gerichtshof (EuGH) je- doch nicht einverstanden. Denn die- se Ausnahmeregelung passe nicht zu dem „Grundprinzip der strik- ten Gleichbehandlung“, der in der Richtlinie zum Ausdruck kom- me. Zudem sei der Gleichbehand- lungsgrundsatz in der Charta der Grundrechte der EU verbürgt. Und so erklärte der EuGH diesen Pas- sus zum 21. Dezember 2012 für un gültig.
Seit diesem Urteil wird bei den privaten Krankenversicherungen ge- rechnet. Welche Auswirkungen hät-
te ein solcher Unisex-Tarif auf die Prämien? Bislang zahlen junge Frau- en höhere Prämien, wenn sie ei- nen Neuvertrag mit einem privaten Krankenversicherer abschließen; jun- ge Männer zahlen weniger. Das liegt daran, dass die Ausgaben für junge Frauen im jährlichen Durch- schnitt höher liegen. Genau dies wurde vom EuGH verboten.
Unisex-Tarife führen zu Jojo-Effekt in der PKV
Wenn nun die Prämien für Frauen und Männer gleich hoch sein müs- sen, wäre zu erwarten, dass die Prä- mien für junge Frauen sinken. Doch so einfach ist es nicht. Denn die PKV steckt in einem Dilemma:
„Nach dem Versicherungsaufsichts- gesetz dürfen Neukunden keine niedrigeren Prämien bezahlen als Bestandskunden“, erklärte Roland Weber vom Vorstand der Debeka- Versicherungen auf dem MCC-Kas- sengipfel 2012 Anfang Februar in Berlin. „Also können Bestandskun- den in den günstigeren Tarif wech- seln.“ Wenn aber viele Bestands- kunden in die günstigeren Unisex- Tarife wechselten, seien diese unter- kalkuliert, und die Prämien müssten angehoben werden. Auch dies ver- biete jedoch das Versicherungsauf- sichtsgesetz. Denn dort heißt es, ei- ne Prämienerhöhung sei unzulässig, wenn ein Tarif unzureichend kalku- liert worden sei „und ein ordentli- cher und gewissenhafter Aktuar dies hätte erkennen müssen“. Also müsse der Wechsel junger Versicherter in die Unisex-Tarife von vornherein einkalkuliert werden, sagte Weber.
Dadurch lägen die Prämien jedoch praktisch auf dem heutigen Frauen- niveau. „Wenn nun die Bestands- kundinnen keinen finanziellen Vor- teil von einem Tarifwechsel hätten, würde der Wechsel in den Unisex-
Tarif ausbleiben, die Tarife wären zu hoch kalkuliert und müssten gesenkt werden“, erklärt Weber. Diese nied- rigen Tarife würden dann doch zu einem Bestandswechsel führen und die Prämien müssten wieder deut- lich erhöht werden. „Dieser Jojo-Ef- fekt wäre nur zu verhindern, wenn das Tarifwechselrecht zumindest für eine befristete Zeit ausgesetzt oder verändert würde“, sagt der Debeka- Vorstand. Doch dazu sei der Gesetz- geber wohl nicht bereit.
Um aus dem Dilemma zu ent- kommen, hat die Deutsche Aktuar- vereinigung zusammen mit der Bun- desanstalt für Finanzdienstleistungs- aufsicht einen Grundsatz zur Erstkal- kulation der Unisex-Prämien erstellt.
Demnach werden ein minimaler und ein maximaler Ansatz für die Tarife ermittelt. Zwischen diesen werden die Wechselströme simuliert und auf diese Weise der Jojo-Effekt antizi- piert. „Aus aktuarieller Sicht ist dann das höhere, weil sichere Prämienni- veau anzusetzen“, so Weber.
Neue Tarife gelten nicht bei Prämienanpassungen
Die neuen Unisex-Tarife kommen immer dann zum Tragen, wenn nach dem 21. Dezember 2012 ein Vertrag abgeschlossen wird, wenn ein Ange- bot vor diesem Datum abgegeben, aber erst danach angenommen wur- de, und wenn PKV und Versicherter nach diesem Datum vertraglich ver- einbaren, einen vorher geschlossenen Vertrag, der ansonsten abgelaufen wäre, zu verlängern. Bei Änderun- gen bestehender Verträge gilt die Unisex-Kalkulation immer dann, wenn sie die Zustimmung beider Parteien erfordert. Bei Prämienan- passungen oder bei einem Abschluss von Zusatz- oder Anschlussversiche- rungen gilt sie hingegen nicht.
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Falk Osterloh
UNISEX-TARIFE
Kaum Einsparungen
Der Europäische Gerichtshof hat entschieden: Alle privaten Krankenversicherer müssen bis zum Jahresende Tarife anbieten, die für Frauen und Männer gleich teuer sind. Die Versicherer stellt das vor Probleme.
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