Die B-Vitamine Folsäure, B und B in der Prävention 6 12 Die B-Vitamine Folsäure, B und B in der Prävention 6 12
Prof. Dr. Uwe Till
SCIENCE
2. Auflage
UNI-MED Verlag AG
Bremen - London - Boston
Die B-Vitamine
Folsäure, B 6 und B 12
in der Prävention
Prof. Dr. med. habil. Uwe Till Jakob-Kaiser-Ring 33 99087 Erfurt
Till, Uwe:
Die B-Vitamine Folsäure, B6und B12in der Prävention/Uwe Till.- 2. Auflage - Bremen: UNI-MED, 2013
ISBN 978-3-8374-5420-8 (UNI-MED SCIENCE)
© 2008, 2013 by UNI-MED Verlag AG, D-28323 Bremen, International Medical Publishers (London, Boston) Internet: www.uni-med.de, e-mail: info@uni-med.de Printed in Europe
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Die Erkenntnisse der Medizin unterliegen einem ständigen Wandel durch Forschung und klinische Er- fahrungen. Die Autoren dieses Werkes haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass die gemachten Anga- ben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Das entbindet den Benutzer aber nicht von der Ver- pflichtung, seine Diagnostik und Therapie in eigener Verantwortung zu bestimmen.
Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handele.
UNI-MED. Die beste Medizin.
In der Reihe UNI-MED SCIENCE werden aktuelle Forschungsergebnisse zur Diagnostik und Therapie wichtiger Erkrankungen "state of the art" dargestellt. Die Publikationen zeichnen sich durch höchste wis- senschaftliche Kompetenz und anspruchsvolle Präsentation aus. Die Autoren sind Meinungsbildner auf ihren Fachgebieten.
Vorwort und Danksagung
Die enge Verknüpfung der 3 B-Vitamine Folsäure, B6und B12im zellulären Stoffwechsel macht ihre ge- meinsame Besprechung notwendig. Sie ist so auch kürzer möglich als in Monografien über jedes dieser Vitamine.
Weiterer Grund sind ähnliche Wirkungen des Mangels auf Prävention und Erkrankungen. Trotzdem sind sie aber präventiv und therapeutisch nicht untereinander ersetzbar.
Ihr präventiver Einsatz ist Gegenstand dieser Abhandlung. Er ist erst in jüngeren Jahren deutlich gewor- den und betrifft überwiegend häufige Erkrankungsgruppen. Aus der noch immer zunehmenden Fülle von Informationen wird hier eine aktuelle Bestandsaufnahme gegeben. Sie ist für den praktisch tätigen Arzt gedacht um ihm fundiertes Handeln zu ermöglichen.
Um das Buch “hantierbar” zu halten, wurden die Kapitel möglichst kurz gehalten. Man kann an beliebiger Stelle einsteigen und wird durch Verweise weiter geführt. Entscheidende Aussagen sind hervorgehoben.
Mechanismen oder Befunde werden möglichst anschaulich dokumentiert: 64 farbige Abbildungen und 20 Tabellen.
Mein Dank gebührt dem Verlag, der in bewährter Weise alle Erfordernisse oder Wünsche kompetent und zügig umgesetzt hat.
Erfurt, im Juni 2013 Uwe Till
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung 9
2. Repetitorium der wichtigsten Funktionen der drei Vitamine 10
2.1. Folsäure . . . 10
2.1.1. Struktur . . . 10
2.1.2. Resorption, Transport und Aufnahme in die Zellen . . . 10
2.1.3. Stoffwechselfunktionen . . . 11
2.1.4. Bedarf . . . 11
2.1.5. Vorkommen. . . 13
2.1.6. Analytik . . . 13
2.1.7. Folsäurefortifikationsprogramme . . . 13
2.2. Vitamin B12– Cobalamin . . . 14
2.2.1. Struktur . . . 14
2.2.2. Resorption, Transport und Aufnahme in die Zellen . . . 15
2.2.3. Stoffwechselfunktionen . . . 16
2.2.4. Bedarf . . . 17
2.2.5. Vorkommen. . . 18
2.2.6. Analytik . . . 18
2.3. Vitamin B6– Pyridoxin . . . 18
2.3.1. Struktur . . . 18
2.3.2. Resorption, Transport und Aufnahme in die Zellen . . . 19
2.3.3. Stoffwechselfunktionen . . . 19
2.3.4. Bedarf . . . 20
2.3.5. Vorkommen. . . 20
2.3.6. Analytik . . . 23
2.4. Gehalte von Folsäure, Vitamin B12und B6in Nahrungsmitteln . . . 23
3. Enge metabolische Verknüpfung der drei Vitamine 24 4. Homocystein im Blutplasma als empfindlicher Indikator eines zellulären Mangels der drei Vitamine 25 4.1. Referenzbereiche, Richtwert für die Prävention . . . 28
4.2. Analytik . . . 31
5. Allgemeine Pathomechanismen 33 5.1. Unmittelbare Folgen des Vitaminmangels . . . 33
5.1.1. Folsäure . . . 33
5.1.2. Vitamin B12. . . 33
5.2. Mittelbare Folgen des Vitaminmangels . . . 33
5.2.1. Störung von Methylierungsreaktionen . . . 34
5.2.2. Hohe Reaktivität des Moleküls Homocystein – Zytotoxizität. . . 35
5.3. Homocystinurie – Kronzeuge für die Homocystein-Pathologie. . . 37
Inhaltsverzeichnis 5
6. Ursachen für Vitaminmangel und Hyperhomocysteinämie 39
6.1. Mangel an einem oder mehreren der Vitamine Folsäure, B12und B6. . . 39
6.2. Genetische Defekte oder Varianten im Homocysteinstoffwechsel. . . 41
6.2.1. Seltene genetische Defekte. . . 41
6.2.2. Häufige genetische Varianten – thermolabileMTHFR. . . 42
6.2.3. Praktisches Vorgehen bei Verdacht auf einen genetischen Defekt. . . . 43
6.3. Nierenfunktionseinschränkung. . . 43
6.4. Hypothyreose . . . 45
6.5. Autoimmunerkrankungen . . . 45
6.6. Zigarettenrauchen . . . 45
6.7. Hohe Proteinaufnahme . . . 46
6.8. Mangelnde Zufuhr von Betain oder Cholin. . . 46
6.9. Alkohol . . . 46
6.10. Kaffee . . . 46
6.11. Nebenwirkungen von Pharmaka . . . 48
7. Präventive oder therapeutische Optimierung der Versorgung mit Folsäure, Vitamin B12und B6 51 7.1. Effekte der Einzelvitamine oder der Kombination . . . 51
7.2. Ernährungsumstellung. . . 53
7.3. Nahrungsergänzungsmittel (Multivitamintabletten) . . . 53
7.4. Nahrungsergänzungsmittel plus Vermeidung ungünstiger Lebensstil-Faktoren . . . 54
7.5. Vitaminsupplementierung . . . 55
7.5.1. Dosierung. . . 55
7.5.2. Applikationsart. . . 57
7.5.3. Nebenwirkungen. . . 57
7.6. Therapie der Hyperhomocysteinämie bei Niereninsuffizienz. . . 58
8. Megaloblastische Anämien 59 8.1. Pathomechanismen. . . 59
8.2. Therapie und Prävention . . . 59
9. Maligne Tumoren 61 9.1. Folsäurespiegel und Tumormortalität . . . 61
9.2. Inzidenz einzelner Tumorarten in Abhängigkeit von den 3 B-Vitaminen. . . 62
9.3. Wirkung der Supplementierung mit Folsäure oder den 3 B-Vitaminen auf alle Tumortypen. 67 9.4. Fazit . . . 68
10. Atherosklerose und ihre Folgen – kardiale, zerebrale und periphere Ischämie 69 10.1. Pathomechanismen. . . 69
10.1.1. Übersicht über den Gesamtprozess der Atherogenese . . . 69
10.1.2. Initiale Endothelzellschädigung – verminderte NO-Bildung und -Wirkung. . . 71
6 Inhaltsverzeichnis
10.2. Epidemiologie . . . 75
10.2.1. Fall-Kontrollstudien und prospektive Studien . . . 75
10.2.2. Kombination mit anderen Risikofaktoren. . . 77
10.2.3. Prospektive Interventionsstudien . . . 78
10.3. Prävention. . . 86
11. Venöse Thrombose und Embolie 87 11.1. Pathomechanismen. . . 87
11.2. Epidemiologie . . . 87
11.3. Prävention. . . 88
12. Makuladegeneration 89 12.1. Pathomechanismen. . . 89
12.2. Epidemiologie . . . 89
12.3. Prävention. . . 90
13. Kognitive Einbußen und Demenz 91 13.1. Pathomechanismen. . . 92
13.2. Epidemiologie . . . 97
13.2.1. Fall-Kontrollstudien und prospektive Studien . . . 97
13.2.2. Interventionsstudien . . . 100
13.3. Prävention . . . 105
13.4. Demenz als Nebenwirkung der Pharmakotherapie. . . 105
13.4.1. Antiepileptika. . . 105
13.4.2. L-DOPA . . . 106
14. Depression 107 14.1. Pathomechanismen . . . 107
14.2. Epidemiologie . . . 109
14.2.1. Fall-Kontroll-Studien und prospektive Studien . . . 109
14.2.2. Interventionsstudien . . . 109
14.3. Prävention und Therapie. . . 112
15. Befindlichkeitsstörungen im Alter 113 16. Erhöhte Frakturrate im Alter 115 16.1. Pathomechanismen . . . 115
16.2. Epidemiologie . . . 115
16.3. Prävention und Therapie. . . 118
17. Schwangerschaftskomplikationen, Neuralrohrdefekte 119 17.1. Präeklampsie . . . 119
17.1.1. Pathomechanismen . . . 119
17.1.2. Epidemiologie . . . 119
17.2. Gesteigerte Abortrate. . . 119
17.2.1. Pathomechanismen . . . 119
17.2.2. Epidemiologie . . . 120
Inhaltsverzeichnis 7
17.3. Neuralrohrdefekte . . . 120
17.3.1. Pathomechanismen . . . 120
17.3.2. Epidemiologie . . . 121
17.4. Frühgeburt oder vermindertes Geburtsgewicht. . . 122
17.4.1. Pathomechanismen . . . 122
17.4.2. Epidemiologie . . . 122
17.5. Prävention . . . 122
18. Ausblick 123 18.1. Diabetes mellitus Typ 2 . . . 123
18.2. Alterungsprozess . . . 123
18.2.1. Verschiebungen im oxidativ/antioxidativen Potential . . . 124
18.2.2. Hirnalterung . . . 125
18.2.3. Sterblichkeit im Alter . . . 125
18.3. Infertilität . . . 126
18.4. Hörverlust . . . 126
18.5. Alkoholismus . . . 126
18.6. Pharmakologische Nutzung der Hypomethylierung . . . 126
Index 127
8 Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
Die B-Vitamine Folsäure, B6und B12sind in ihren biologischen Wirkformen im Zellstoffwechsel eng miteinander verknüpft. Ausreichende Zufuhr oder Mangel haben daher auch gleiche oder ähnliche Wirkungen auf Prävention bzw. Erkrankung.
Hierin liegt der Grund für ihre gemeinsame Be- sprechung.
Klassische präventive und therapeutische Anwen- dungsgebiete sind megaloblastische Anämien, die durch lang anhaltenden Mangel an Folsäure und/oder B12 verursacht werden. Sie sind heute eher selten und werden hier daher relativ kurz be- handelt.
Von wesentlich größerer Bedeutung sind Einsatz- gebiete der 3 Vitamine in der Prävention, die erst in den letzten Jahrzehnten oder Jahren erkannt wurden. Für diese Anwendungen wurde die Mo- nografie geschrieben. Sie soll angesichts einer Fülle von Publikationen eine aktuelle Bestandsaufnah- me gesicherter Informationen mit praxisrelevan- ten Konsequenzen sein. Im Wesentlichen betrifft das folgende Erkrankungsgruppen:
Schwangerschaftskomplikationen -Präeklampsie
-gesteigerte Abortrate -Frühgeburten
Neuralrohrdefekte u.a. Missbildungen
atherosklerotische Gefäßerkrankungen -Schlaganfall
-Myokardinfarkt -periphere Okklusion
venöse Thrombose
neuropsychiatrische Erkrankungen -Demenz
-Depression
geriatrische Erkrankungen
-Erschöpfungszustände und Befindlichkeits- störungen
-erhöhte Frakturrate
-altersbedingte exsudative Makuladegenera- tion
Wer die Liste aufmerksam liest, dem muss auffal- len, dass es sich dabei durchweg um häufige Erkrankungen handelt. Die letztgenannten vier Erkrankungsgruppen sind zudem in Industrielän- dern noch im Ansteigen, und auf der Basis der zu
erwartenden demografischen Entwicklung in Richtung hoher Altersgruppen ist mit starken Zu- nahmen zu rechnen.
Angesichts dieser Entwicklung und einer überwie- gend therapeutisch orientierten, kostenintensiven medizinischen Versorgung sollte es interessant sein, hierdurch ausreichende Zufuhr der drei was- serlöslichen Vitamine Folsäure, B12und B6ver- gleichsweise sicher, nebenwirkungsfrei und kos- tengünstig präventiv wirksam zu werden.
Es ist das Anliegen dieses Heftes, denpraktisch tä- tigen Arztklar und möglichst kurzgefasstdarüber zu informieren. Praktische Gesichtspunkte stehen daher im Vordergrund. Ebenso die Ergebnisse der zugrunde liegenden klinischen Studien, unter Be- schränkung auf Meta-Analysen, wo möglich und vertretbar. Die Studien sind durchweg mit der ent- sprechenden Literaturquelle belegt, für vertiefen- des Studium und Überprüfung der Schlussfolge- rungen. Bei der Darstellung von Pathomechanis- men des Vitaminmangels wurden aus der Fülle von Daten solche ausgewählt, die übergreifend für unterschiedliche Erkrankungsgruppen zutreffen und für das kausale Verständnis von Zusammen- hängen oder analytischen Problemen notwendig sind.
Das Buch ist in kleine, überschaubare Kapitel ge- gliedert. Der allgemeine Teil, bis Kap. 7, folgt einer gewissen Logik. Im zweiten Teil – Kap. 8 bis 18 – sind die einzelnen Erkrankungen nach Gruppen angeordnet. Da 3 Vitamine zu behandeln waren, ist das Buch relativ umfänglich geworden. Deshalb ein praktischer Rat:
Man muss nicht systematisch lesen. Der an einer bestimmten Erkrankung Interessierte kann pri- mär dieses Kapitel auswählen, findet dort das Notwendige und wird durch Kapitelverweise weitergeführt, um das Bild zu komplettieren.
9
2. Repetitorium der wichtigsten Funktionen der drei Vitamine
Wie in Kap. 1 ausgeführt, ist die Funktionseinheit der 3 Vitamine entscheidend für ihren präventiven und therapeutischen Einsatz. Die Besprechung der einzelnen Vitamine kann daher kurz gefasst wer- den im Sinne eines "Steckbriefes". Dieser be- schränkt sich auf die wichtigsten Daten zu Struk- tur, Resorption, Stoffwechselfunktionen, Bedarf und Vorkommen. An Mangelerscheinungen wer- den nur die (historischen) Extremmängel genannt. Alles Weitere ist GegenstandallerKapitel dieses Buches – Rolle dieser Vitamine in primärer und sekundärer Prävention. Die multiplen Inter- aktionen zwischen den 3 Vitaminen lassen ohne- hin meist einen Mangel nicht isolierteinemVita- min zuordnen
2.1. Folsäure
2.1.1. Struktur
Abb. 2.1. zeigt die Struktur der aus drei Kompo- nenten bestehenden Folsäure. Sie entspricht der stabilenReinsubstanz, die so nur als Synthesepro- dukt verfügbar ist, z.B. in Supplementen. Nach pe- roraler Aufnahme wird sie zu ca. 90 % resorbiert.
Abb. 2.1: Strukturformel der Folsäure (Grundskelett).
Die in der Nahrung vorkommendennatürlichen Formenhaben eine oder mehrere der folgenden Modifikationen:
An die Glutaminsäure können über-Carboxy- lierung weitere Glutaminsäurereste gebunden werden (bis zu 9 Reste).
Der Pteridinring ist zunehmend hydriert, maxi- mal als 5,6,7,8-Tetrahydrofolsäure (☞ Abb.
2.2).
Substitution an N5und/oder N10mit Molekül- gruppen des "C1-Stoffwechsels", identisch mit
den in Abb. 2.2 gezeigten Strukturen für die akti- ven Coenzyme.
2.1.2. Resorption, Transport und Auf- nahme in die Zellen
Die Polyglutamatformen der Nahrung sind so nicht resorbierbar. Durch-Glutamylcarboxypep- tidasenim Bürstensaum von Duodenum und obe- rem Anteil des Jejunums werden erst die weiteren Glutaminsäurereste abgespalten und die Folsäure dann dort resorbiert.
Es hängt demnach von der Verweildauer ab, wie- viel letztlich von den Polyglutamatformen aufge- nommen wird. Meist ist es deutlich weniger als vom Monoglutamat.
In den Mucosazellen wird die Folsäure zu 5,6,7,8- Tetrahydrofolsäure hydriert, gelangt über das Pfortaderblut in die Leber, in der durch Methylie- rung die 5-Methyl-Tetrahydrofolsäure entsteht (Strukturformeln:☞Abb. 2.2).
Im Gesamtblut ist 5-Methyl-Tetrahydrofolsäure die überwiegend transportierte Form, z.T. an Al- bumin,-Makroglobulin und Transferrin gebun- den.
Für den Transport vom Plasma bzw. Extrazellular- raum in die Körperzellen sind verschiedene Rezep- toren und Transportsysteme verantwortlich, die in verschiedenen Geweben unterschiedlich expri- miert sind und deren Expression darüber hinaus wechseln kann. So können z.B. proliferierende Zellen in bestimmten Phasen des Zellzyklus mehr Folsäure aufnehmen. Diese komplizierten Ver- hältnisse lassen sich für den konkreten Fall eines Probanden oder Patienten noch nicht analysieren.
Sie erlauben aber die Schlussfolgerung, dass der analytisch erfassbarePlasma-Spiegel an Folsäure kein sicheres Maß für die zelluläre Folsäurever- sorgungist (☞Kap. 2.1.6 und Kap. 4).
Intrazellulär wird Folsäure durch-Glutamatsyn- thasewieder in Polyglutamatformen überführt, die besser retiniert werden können. Die primär aufge- nommene 5-Methyl-Tetrahydrofolsäure ist dafür ein schlechtes Substrat und muss daher demethy- liert werden zu 5,6,7,8-Tetrahydrofolsäure. Diese von derMethioninsynthase katalysierte Reaktion
10 2. Repetitorium der wichtigsten Funktionen der drei Vitamine
N
N N
N
NH CO NH
34 5
6 9
7 10 1 8 2
CH2
OH
H N2
CH CH2 CH2 COO COO
Pteridin p-Amino-
benzoesäure
Glutaminsäure Pteroinsäure
PteroylglutamatFolsäure
ist essentiell Vitamin-B12-abhängig (☞Abb. 2.2).
Daraus folgt: ohne ausreichende Verfügbarkait von Vitamin B12kann Folsäure intrazellulär nur ungenügend retiniert werden, auch wenn genü- gend Nahrungsfolat angeboten wird (☞ Kap.
5.1.2). Dies ist ein erstes Beispiel für die multifak- torielle Verflechtung der 3 hier betrachteten Vita- mine.
Durch die Umwandlung in Polyglutamate sind die zellulären Konzentrationen an Gesamtfolsäure höher als die im Plasma (☞z.B. die Gehalte in Ery- throzyten und Plasma, Kap. 2.1.6).
Bei Entzug von Nahrungsfolat reicht dieser (über- wiegend von der Leber beigesteuerte) "Vorrat"
etwa 3-4 Wochen zur Aufrechterhaltung eines normalen Plasmaspiegels aus.
2.1.3. Stoffwechselfunktionen
Wie aus Abb. 2.2 hervorgeht, sind 5,6,7,8-Tetra- hydrofolsäure und ihre C1-Verbindungen ent- scheidend als Coenzyme für Transferreaktionen von Ein-Kohlenstoffverbindungen zur Synthese von Pyrimidin- und Purinbasenund damit zur DNA-Synthese bei Mitosen.
Eine Schlüsselreaktion ist die Übertragung der Methylgruppe aus 5-Methyl-THF auf Homocy- stein. Sie dient der Bereitstellung von Methionin als Ausgangssubstanz für zahlreiche Methylie- rungsreaktionen, z.B. von DNA, Proteinen,
Phospholipiden, Hormonen, Neurotransmittern u.a. (☞ausführliche Betrachtung in Kap. 4 und 5.2.1).
Aus Abb. 2.2 ergibt sich weiterhin die multifakto- rielle Verflechtung der 3 hier betrachteten Vitami- ne:Im intrazellulären Folsäurestoffwechsel ist je eine Reaktion ebenfalls abhängig von Vitamin B6
bzw. B12(☞ausführliche Betrachtung in Kap. 4).
2.1.4. Bedarf
Historisch orientierte sich die Bedarfsermittlung an der Minimaldosis, die zur Vermeidung einer klinisch in Erscheinung tretenden Mangelsympto- matik notwendig war. In aller Regel wurden dazu die Symptome einer makrozytären Anämie mit megaloblastischen Blutbildveränderungen heran- gezogen. Daraus ergab sich eine Minimalzufuhr von ca. 50 µg Folsäure/Tag.
Wie in Kap. 8 ausgeführt, entspricht eine makro- zytäre Anämie der Spätform eines Extremmangels, und ihr Auftreten hängt zudem von der Vitamin- B12-Versorgung ab.
Zur Vermeidung eines latenten Mangels, der Er- haltung von Gesundheit und Leistungsfähigkeit – und damit zur Prävention zahlreicher, in diesem Buch behandelter Krankheitsgruppen – sind weit- aus höhere Tagesdosen nötig.
Wie in den Kap. 2.1.1-2 ausgeführt, werden Nah- rungsfolate schlechter resorbiert als synthetische
2.1. Folsäure 11
CHO HN
HN CH
CH CH2
CH2
CH2
CH
CO
CO
CO CO
R
R
R R
OH OH
N N
N N
H N
H N N
H
N H
CH2 CH2
CH2 CH2
CH CH
N HN
CHO
5-Formyl-THF 10-Formyl-THF
Purinbasen H N2
NH
OH CO R N
N N H
CH2 CH2 CH
N HC N H N2
OH CO R N
N N H
CH2 CH2 CH
N CH2 N H N2
OH CO R N
N N H
CH2
CH2
CH CH3HN N H N2
NH3
H O2
H O2
Serin Glycin NADPH2
NADP
B6
B12
THF
NH3
5-Formimino-THF 5,10-Methenyl-THF 5,10-Methylen-THF
5-Methyl-THF Pyrimidinbasen
DHF
NADPH2
NADPH2
NADP
NADP Homocystein
Methylierungen Methionin
H N2 N
N H N N H N2
OH
CH2
N H N OH N H N2 N
Abb. 2.2: Intrazellulärer Stoffwechsel der 5,6,7,8-Tetrahydrofolsäure (= THF) und ihrer Ein-Kohlenstoff- verbindungen. Die vielschichtigen Reaktionen sind essentiell für die Synthese vonPyrimidin-undPurinbasenso-
wie fürMethylierungsreaktionen.Rin den Formeln sind Glutaminsäurereste (meist 4-7 pro Molekül),DHF= 5,6,-
Dihydrofolsäure. Vitamin-B6- und B12-abhängige Reaktionen sind entsprechend gekennzeichnet:B6,B12
Folsäure. Man hat deshalb für Nahrungsfolate den BegriffFolsäureäquivalenteingeführt und folgen- de Vereinbarung getroffen:
1 µg Folsäureäquivalent = 1 µg Nahrungsfolat =
0,5 µg Folsäure
Die Bedarfszahlen in Tab. 2.1 sind in Folsäure- äquivalenten angegeben. Zu ihrer Deckung über die Nahrung muss diese Menge erreicht werden.
Werden dagegen Supplemente zur Deckung her- angezogen, genügt die Hälfte.
Alter Folsäureäquivalent
µg/Tag 0-3 Monate
4-12 Monate 1-3 Jahre 4-9 Jahre ab 10 Jahre Schwangere Stillende
60 80 200 300 400 600 600
Tab. 2.1: Empfohlene tägliche Aufnahme von Nah-
rungsfolaten, alsDACH-Referenzwerte: von den Gesell-
schaften für Ernährung von Deutschland (D), Öster- reich (A) und der Schweiz (CH) gemeinsam herausge- geben. Sie entsprechen weitgehend den DRIs (Dietary ReferenceIntakes) der USA und Kanadas.
Frauen im gebärfähigen Alter mit Kinderwunsch und Schwangere im ersten Drittel der Schwanger- schaft sollten zusätzlich zu den angegebenen Nah- rungsfolaten noch 400 µg/Tag synthetische Fol- säure als Supplement aufnehmen, zur Prävention von Neuralrohrdefekten☞Kap. 17.5.
Auf Grund der Wechselwirkungen zwischen Folsäure, B12und B6wird sicherheitshalberzur Substitutionin präventiver Absichtimmer die Gabe aller 3 Vitamine empfohlen(☞Kap. 7.5).
Dabei müssen bestimmte Relationen eingehal- ten werden, und es wird von einer optimalen Wirkung ausgegangen. Die Tagesdosen sind dann oft höher, als die in Tab. 2.1 für das Ein- zelvitamin ausgewiesenen Empfehlungen.
DieBedarfsdeckung ist in westlichen Industrie- ländern unzureichend – häufigster Vitaminman- gel:
In Europa werden von Erwachsenen durchschnitt- lich 291 (Männer) bzw. 247 (Frauen) µg Folsäure- äquivalente pro Tag aufgenommen (Daten von 2002). In Deutschland sind es 238 (Männer) bzw.
228 (Frauen) µg Folsäureäquivalente pro Tag (Da- ten von 2004).
EineGauß'sche Normalverteilung angenommen, sollte bei diesen Mittelwerten ein hoher Prozent- satz der Bevölkerung weniger als die Hälfte der empfohlenen Menge aufnehmen. Unter diesen sind besondere Risikogruppen Jugendliche, junge Erwachsene und geriatrische Patienten. Mädchen und Frauen von 13-24 Jahren haben die niedrigs- ten Werte.
Verwendet man das Erythrozytenfolat als Maß der Ver- sorgung (☞Kap. 2.1.6) sind in Deutschland 87 % der Frauen im gebärfähigen Alter unterhalb von 906 nmol/l [Ernährungssurvey 1998], was bei Schwangerschaft mit erhöhtem Risiko für Neuralrohrdefekte verbunden ist (☞Kap. 17.3 und 17.5).
Mangelnde Folsäureaufnahme während der Schwangerschaft wird in westlichen Industrielän- dern bei 20-50 % gefunden. Gravierend ist die Situation in Deutschland, Österreich und der Schweiz: In einer Studie erreichten nur 6 % der Schwangeren die empfohlene Menge an Folsäu- reäquivalenten von 600 µg/Tag [Franke C et al.
Ann Nutr Metab 2008;53:167-74].
Hauptgrund der Mangelversorgung ist unzurei- chender Verzehr von Gemüse und Obst, als haupt- sächliche Folatquellen (☞Kap. 2.1.5): Der (ohne- hin kaum realisierbaren) Empfehlung von 600- 700 g/Tag stehen in Deutschland 250 g/Tag gegen- über – mit sinkender Tendenz.
Diese Situation hat in verschiedenen Ländern zu gesetzlich vorgegebener Anreicherung von Nah- rungsmitteln mit Folsäure geführt (☞Kap. 2.1.7).
Im Säuglingsalter sind Frühgeborene und die mit kommerziellen Milchpräparaten Ernährten deut- lich unterversorgt.
Krankheitsbedingte Unterversorgung kann ent- stehen durch:
verminderte Aufnahme oder Verlust, z.B. durch Hämodialyse (ca. 150 µg Folsäureverlust/Dialy- se, entsprechend einem Absinken des Folatspie- gels im Plasma um ca. 35 %),
verminderte Resorption, z.B. bei entzündlichen Darmerkrankungen und nach Magen- und Darmresektionen,
12 2. Repetitorium der wichtigsten Funktionen der drei Vitamine