Supraleitung - Ginzburg-Landau-Theorie
Stefan Nagel 11.05.2006
Zusammenfassung
Die Ginzburg-Landau-Theorie zur Beschreibung der Supraleitung ist eine phänomenologische Theorie, welche die makroskopischen Eigenschaf- ten von Supraleitern erklärt. Ausgangspunkt ist die Landau Theorie der Phasenübergänge (Ordnungsparameter). Sie gilt nahe des kritischen Punk- tes und ist besonders für ein Verständnis von Typ-I und Typ-II Supralei- tern geeignet.
1 Einführung
1.1 Geschichte
• 1908: Heliumverüssigung durch H. K. Onnes (Leiden)
• 1911: Entdeckung der Supraleitung (H.K. Onnes; Leiden) {1913 Nobel- preis}
• 1933: Meissner-Ochsenfeld-Eekt (B= 0 im SL)
• 1935: London-Theorie (phänomenologisch)
• 1937-1950: Ginzburg-Landau-Theorie (phänomenologisch) {2003 Nobel- preis, Ginzburg}
• 1957: BCS-Theorie nach Bardeen, Cooper und Schrieer (mikroskopisch) {Nobelpreis 1972}
• 1986: Hochtemperatur-Supraleiter (z.B. 133 K inHgBa2Ca2Cu3O8) {No- belpreis 1987}
• 2005: Erster Generator mit Hochtemperatur-Supraleiter in Betrieb genom- men. (4 MVA Leistung)
1.2 Theorien der Supraleitung
Ginzburg-Landau-Theorie
• phänomenologisch
• Grundlage ist Landau-Theorie der Phasenübergänge
• berücksichtigt Quanteneekte
BCS-Theorie
• mikroskopisch
• Grundlage ist Elektronen-Phononen Wechselwirkung
• Ladungsträger sind sog. Cooper-Paare
2 Ginzburg-Landau-Theorie (GLT)
2.1 Allgemeines
2.1.1 Annahmen der GLT
1. Eine WellenfunktionΨ(~r, t)beschreibt die Gesamtheit der supraleitenden Ladungsträger (kohärenter Zustand)
2. Ψist der (komplexe) Ordnungsparamter der supraleitenden Phase 3. |Ψ|2=nsist die Dichte der supraleitenden Ladungsträger
4. Die GLT gilt nahe des kritischen Punktes (kleineΨ)
2.2 Ordnungsparameter
1. Dient zur quantitativen Charakterisierung beim Durchgang eines Phasen- überganges
2. Unterhalb des kritischen Punktes:|Ψ| 6= 0 3. Oberhalb des kritischen Punktes: |Ψ|= 0
Wenn ein Körper durch einen Phasenübergang zweiter Art geht, gehtΨkonti- nuierlich gegen Null. Die GL-Theorie erlaubt die räumliche Variation vonnS.
2.3 Einfachster Fall: homogener Supraleiter ohne mag. Feld
OrdnungsparamterΨist unabhängig von~r .
(Taylor-) Entwicklung der freien Energiedichte in Ordnungen von |Ψ|2 um den kritischen PunktTc
Fs0=Fn+α|Ψ|2+1
2β|Ψ|4+... (1) Genügend nahe beiTc ist|Ψ|2 klein→Entwicklung kann (in guter Näherung) nach dem Term|Ψ|4abgebrochen werden. Ungerade Terme treten nicht auf, da die Funktion analytisch sein muss. Für
|Ψ0|2=−α
β (2)
wirdFs0minimal (im supraleitenden Bereich). (Fs0=Fn−α2β2)
β >0, ansonsten wäre die Freie Energie bei beliebig groÿen Werten von|Ψ|2 minimal
2.3.1 Temperaturabhängigkeit vonα undβ
• α(T):
aus|Ψ0|2=−αβ
⇒ |Ψ0|2= 0fürT =Tc ⇒ α= 0bei T =Tc
⇒ |Ψ0|2>0fürT < Tc ⇒ α <0bei T < Tc⇒in 1. Ordnungα∝(T−Tc)
• β(T):
aus|Ψ0|2=−αβ undα <0bei T < Tc ⇒ β >0bei T < Tc
aus der Forderung, dass |Ψ0|2 minimal bei T = Tc und Fs0 > Fn bei T > Tc folgt α >0,β >0fürT > Tc ⇒in 1. Ordnungβ =const.
→Setze
α(T) =α0(T
Tc −1); α0>0 (3)
und
β =β0=const. (4)
(s. Abb. 1)
Abbildung 1: Ginzburg-Landau Freie Energie Funktion fürT > Tc(α >0) und fürT < Tc(α <0). Die Markierungen zeigen die Gleichgewichtspositionen. Hier istΨder Einfachheithalber als reel angenommen.
2.3.2 Temperaturabhängigkeit des Ordnungsparameters Setzt man die Gleichungen (3) und (4) in (2) ein so sieht man:
|Ψ|2∝ µ
1− T Tc
¶
(5) naheTc. In Abb. 2 ist ein typischer Verlauf des Ordnungsparameters gezeigt.
Abbildung 2: Typische Änderung eines Ordnungsparameters mit der Tempera- tur
2.4 Allgemeiner Fall: inhomogener Supraleiter im Magnet- feld
Erweiterung der phänomenologischen Beschreibung durch den Ansatz für die Gibbs-Funktion des SL unter der Berücksichtung einer möglichen räumlichen Variation vonΨ.
• inhomogener SL→Ψ(~r)
• externes MagnetfeldH0
• Gibbs'sche freie EnergiedichteG=F−B ~~H0
Dadurch erhält man neue Terme:
• kinetische Energie der supraleitenden Ladungsträger→Einuss des Gra- dienten∇Ψ
p2 2m → 1
2ms
|~ i∇Ψ|2
• Einuss von Magnetfeldern 1. Gradiententerm
→ 1 2ms
|(~
i∇ −qsA)Ψ|~ 2
berücksichtigt mögliche räumliche Variation der Dichte der supralei- tenden Ladungsträger und des Magnetfeldes im Inneren des Supra- leiters.
2. Feldverdrängung im Supraleiter
→ 1 2µ0
|B~0−B~i|2; B~ =rot ~A
erfasst Energie, die nötig ist um das Magnetfeld von B0 (auÿerhalb des SL) aufBi zu ändern (in Meissner-PhaseBi= 0)
Gesamt ergibt sich:
⇒Gs = Gn+α|Ψ|2+1
2β|Ψ|4+ 1 2µ0
|B~0−B~i|2+ + 1
2ms|(−i~∇ −qsA)Ψ|~ 2−B ~~H0 (6)
2.5 Problemstellung
• Es werden Dierentialgleichungen für Ψ(~r) und A(~r)~ gesucht, die die Gibbs'sche Freie EnergieG=R
GdV minimieren
• α, β mit meÿbaren Gröÿen identizieren
2.6 GL-Gleichungen
Minimierung von G durch Variationsprinzip δG = 0, Variation nach Ψ∗ liefert die 1. und Variation nach A~ die 2. Ginzburg-Landau-Gleichung.
• Variation nachΨ∗ liefert
αΨ +β|Ψ|2Ψ + 1
2ms(−i~∇ −qsA)~ 2Ψ = 0 (7)
• Variation nachA~ liefert
~js= iqs~
2ms(Ψ∗∇Ψ−Ψ∇Ψ∗)− q2s
ms|Ψ|2A~ (8) Die Lösung der GL-Gleichungen ermöglicht die Bestimmung der Stromvertei- lung und der Magnetfeldverteilung für spezielle Fälle.
2.7 Normierung
Für die Durchführung von Rechnungen verwendet man üblicherweise die nor- mierte Wellenfunktion:
dimensionslose Wellenfunktionψ(~r) = Ψ(~Ψr)
0 mitΨ20=ns= |α|β mit den formalen Denitionen
ξ2 = ~2
2ms|α| (9)
λ2 = ms
nsqs2µ0
= msβ
µ0qs2|α| (10)
folgen die normierten GL-Gleichungen
−ψ+|ψ|2ψ+ξ2(i∇+ 2π Φ0
A)~ 2ψ (11)
und
j~s= iΦ0
4πµ0(ψ∗∇ψ−ψ∇ψ∗)− 1
µ0λ2|ψ|2A~ (12)
2.8 Charakteristische Längen
Physikalische Bedeutung von ξundλ 2.8.1 ξ2=2m~2
s|α|
Ist die Abklinglänge des Ordnungsparameters (s. Abb. 3) . Unter Verwendung vonα=α0(TT
c −1)erhält man ξGL =
s
~2
2ms|α| = ξGL,0
q 1−TT
c
2.8.2 λ2L =µmsβ
0q2s|α|
Entspricht der Abklinglänge für Magnetfelder (s. Abb. 3) im SL (vgl. London- sche Eindringtiefe) und hat die selbe Temperaturabhängigkeit wieξ.
Abbildung 3: Charakteristische Längenξundλ
2.9 Ginzburg-Landau-Parameter
Das Verhältnis der beiden charakteristischen Längen ist deniert als der Ginzburg- Landau-Parameter
κ= λL
ξGL (13)
Der Wertκ= √1 trennt Supraleiter 1. und 2. Art.
2.9.1 Typ I - Supraleiter
• κ < √12
• Meiÿner-Ochsenfeld-Eekt: Supraleiter ist idealer Diamagnet (χ=−1) Magnetfeld wird vollständig aus dem Inneren des SL verdrängt EindringtiefeλL in den Supraleiter
wird wieder normalleitend, wenn das Magnetfeld oder die Stromdich- te einen kritischen Wert übersteigt
2.9.2 Typ II - Supraleiter
• κ > √12
• Zwei bestimmende Magnetfeldstärken (Hc,1< Hc,2) (es existiert Hystere- se)
unterhalb vonHc,1ähnlich Typ I - SL
Hc,1< H < Hc,2(Hc,1→Hc,2): Magnetischer Fluÿ dringt in die Pro- be ein und es bilden sich Fluÿschläuche im SL . Man spricht hier von der Shubnikov-Phase, die Flussschläuche bilden ein sog. Abrikosov- Gitter (Dreiecksgitter, s. Abb. 4)
H > Hc,2: Probe wird normalleitend
Hc,1< H < Hc,2(Hc,2→Hc,1): Oberächensupraleitung
Abbildung 4: Dreiecksgitter der Flusslinien, die durch die Deckäche eines supra- leitenden Zylinders treten. Die Austrittspunkte der Flusslinien sind mit kleinen ferromagnetischen Teilchen markiert (Eisenkolloid, ØT eilchen≈0,22µm)(s. Lit.
[10])
3 Kritische Exponenten
Um die Divergenzen zu charakterisieren, die bei kontinuierlichen Phasenüber- gängen auftauchen, deniert man sog. kritische Exponenten. (s. 1. Vortrag).
Zusätzlich zu den vier kritischen Exponenten α, β, γ, δ der Landau-Theorie kommen bei der Ginzburg-Landau-Theorie nochνundηals kritische Exponen- ten dazu. Mit zwei kritischen Exponenten kann man über die Skalenrelationen (s. 1. Vortrag) alle anderen kritischen Exponenten bestimmen.
Für die WärmekapazitätcV gilt:
cv ∝ |T−Tc|α (14)
Fürαerhält man somit:
α= 0 Für den Ordnungsparameter gilt:
|Ψ| ∝(Tc−T)β Nach Gleichung (5) gilt:
β= 1
2 (15)
Der kritische Exponent bei der Korrelationslänge ist ν. In unserem Fall ergibt sich aus
ξGL∝(1− T
Tc)−1/2 (16)
Der kritische Exponentν zu
ν=−1 2
Der kritische Exponentγfür die magnetische Suszeptibilität ist:
γ= 1 Für den kritischen Exponentenδergibt sich:
δ= 3
Und für den letzten kritischen Exponentenη erhält man η= 0
Die kritischen Exponenten hängen nur ab von:
1. der Dimension des Systems
2. der Reichweite der Teilchen-Wechselwirkung 3. der Spindimensionalität
Literatur
[1] J.C. Tolédano, P. Tolédano; The Landau Theory of Phase Transitions;
World Scientic Publishing
[2] J. Berger, J. Rubinstein; Connectivity and Superconductivity; Springer Ver- lag
[3] W. Nolting; Grundkurs Theoretische Physik 6 - Statistische Physik; Sprin- ger Verlag
[4] L.D. Landau, E.M. Lifschitz; Statistische Physik - Teil 1 ; Akademie Verlag [5] L.D. Landau, E. M. Lifschitz; Statistische Physik - Teil 2 ; Akademie Verlag [6] F. Schwabl; Statistische Mechanik; Springer Verlag
[7] M. Tinkham; Introduction to Superconductivity; McGraw-Hill
[8] K.H. Homann, Q. Tang; Ginzburg-Landau Phase Transition Theory and Superconductivity; Birkhäuser Verlag
[9] D. R. Tilley, J. Tilley; Superuidity and Superconductivity; Van Nostrand Reinhold Company
[10] Ch. Kittel; Einführung in die Festkörperphysik; Oldenbourg Verlag