Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF Bundesamt für Landwirtschaft BLW
072.10-00003 \ COO.2101.101.5.1518858 Februar 2016
Faktenblatt zur Ernährungssicherheit
Nr. 9: Grenzschutz: Handlungsspielraum im Rahmen der WTO
1 Facts & Figures
Der Grenzschutz für Agrarprodukte setzt sich in der Schweiz aus folgenden Instrumenten zusammen:
o Die Schweiz unterscheidet in der Systematik des Zollschutzes zwischen nicht verarbeiteten Agrarprodukten, verarbeiteten Agrarprodukten (mit einem Agrar- und Industrieschutzelement versehen) und Futtermitteln (s. Abbildung unten)
o 28 bei der Welthandelsorganisation WTO notifizierte Zollkontingente mit relativ tiefen
Kontingentszollansätzen (KZA) und meist prohibitiv hohen Ausserkontingentszollansätzen (AKZA) o Produkte, die über einen Einzoll (einheitliches Zollniveau ohne Kontingente) geschützt werden o Produkte, die einen Einzoll aufweisen, aber einem Schwellenpreissystem unterliegen und damit
einen im Zeitablauf schwankenden Zoll aufweisen.
Die Schweiz gehört innerhalb der WTO zu den Ländern mit dem höchsten Grenzschutz (OECD, 2015).
Im Jahr 2014 gab es insgesamt 2‘466 landwirtschaftliche Tariflinien. Der Unterschied zwischen den angewandten und den notifizierten Zöllen ist bei den 532 Futtermittel-Linien am grössten. So entspricht der angewandte Zoll bei diesen Tariflinien im Durchschnitt nur 18% des konsolidierten Zollansatzes. Bei den 345 verarbeiteten Agrarprodukten beträgt der angewandte Zoll im Durchschnitt 65% des konsolidierten Zollansatzes. Es gilt zu beachten, dass diese Ansätze in Abhängigkeit der Weltmarktpreise schwanken. Bei den nicht verarbeiteten Agrarprodukten (übrige 1‘589 Positionen)
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beläuft sich der mittlere Zollansatz auf 85% des konsolidierten Ansatzes, Kontingents- und Ausserkontingentszollansätze gemischt (s. Abbildung unten).
Unter den Produkten die einen Einzoll aufweisen, aber dem Schwellenpreissystem unterliegen, gibt es einige mit zeitweise sehr tiefem Zollschutz (z.B. im Januar 2014 Soja zu Futterzwecken: gebundener Zoll 39 CHF/100 kg; angewandter Zoll 0 CHF/100 kg). Auch im Einzollsystem gibt es einige Produkte, bei denen der angewandte Zoll deutlich unter dem gebundenen Niveau liegt (z.B. Samen von Klee, zur Aussaat: gebundener Zoll 26 CHF/100 kg; angewandter Zoll 0 CHF/100 kg).
Das angewandte Zollniveau bei den AKZA-Tariflinien beträgt im Durchschnitt 89% des bei der WTO gebundenen Niveaus. Von den 314 AKZA-Tariflinien weisen 85 Linien einen tieferen Zollansatz auf als bei der WTO gebunden ist (z.B. Weissrüben: gebundener Zoll 536 CHF/100 kg; angewandter Zoll 150 CHF/100 kg).
Das angewandte Zollniveau innerhalb der Zollkontingente liegt im Durchschnitt bei 83% des
gebundenen Niveaus. Von den 316 KZA-Tariflinien weisen 93 einen tieferen Zollansatz auf als bei der WTO gebunden ist (z.B. Hartweizen: gebundener Zoll 14 CHF/100 kg; angewandter Zoll
1 CHF/100 kg). Gegenüber verschiedenen Handelspartnern wurde im Rahmen von
Freihandelsabkommen (EU, Drittstaaten, Europäische Freihandelszone) eine weitere Reduktion der Zölle gewährt.
Betreffend die bei der WTO notifizierten Zollkontingente könnte eine strikte Anwendung des bei der WTO notifizierten Schutzniveaus einen Verzicht auf die aktuelle autonome Praxis der Schweiz mit sich bringen, auf Antrag der Branchenorganisationen höhere Kontingentsmengen anzuwenden werden als bei der WTO notifiziert sind. Dies stellt heute bei den meisten der 28 WTO-Kontingente eine gängige Praxis dar (u.a. Rindfleisch, Schaffleisch, s. Abbildung unten).
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2 Folgerungen
Die Schweiz verfügt theoretisch über einen Handlungsspielraum, die Zollsätze über das aktuell angewandte Niveau hinaus anzuheben. Eine Erhöhung des Grenzschutzes auf das bei der WTO gebundene Niveau hätte einen Anstieg der Konsumentenpreise und letztendlich Marktanteilsverluste (u.a. Einkaufstourismus, tiefere Gesamtnachfrage, Substitution) zur Folge. Bei verschiedenen Produkten (z.B. Futtermittel) würde die Ausweitung des Grenzschutzes die Schweizer Produktion deutlich verteuern, da der angewandte Zoll heute nahezu Null beträgt. Ausserdem würde die Kohärenz der Schweizer Handelspolitik in Bezug auf die Agrarprodukte in Frage gestellt (z.B. Schwellenpreissystem).
Die Schweiz wendet auf Antrag der Branchenorganisationen autonom für viele Produkte höhere Zollkontingentsmengen an als bei der WTO notifiziert sind. Eine Reduktion der Kontingentsmenge auf das bei der WTO notifizierte Niveau hätte einen deutlichen Anstieg der Konsumentenpreise zur Folge, da das Angebot gegenüber der Nachfrage reduziert und dadurch eine künstliche Verknappung der verfügbaren Menge herbeigeführt würde.
Eine Erhöhung der Zollansätze und Reduktion der Zollkontingentsmengen hätte volkswirtschaftliche Verluste für die Schweiz zur Folge.
3 Quellen
- Eidgenössische Zollverwaltung EZV (2016): Swissimpex (verschiedene Jahrgänge) - OECD (2015) : Politiques agricoles: suivi et évaluation
- Schweizerische Eidgenossenschaft (2013): Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (SR 0.632.20)
- Schweizerische Eidgenossenschaft (2010): Verordnung über die Industrieschutzelemente und die beweglichen Teilbeträge bei der Einfuhr von Erzeugnissen aus Landwirtschaftsprodukten (SR 632.111.722)