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Archiv "Kriminalromane: Morden im hohen Norden" (16.10.1998)

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K

aum zu glauben, doch die Suche nach ei- nem packenden Thriller kann sich als schwer erwei- sen. Zu viel Schund füllt die Buchhandlungen. Ein neuer Boom auf dem deutschen Literaturmarkt sorgt da für Abhilfe: Kriminalromane aus Skandinavien. Der versierte Krimileser denkt sofort an die Schweden Maj Sjöwall und Per Wahlöö, die mit ihrem zehnbändigen „Roman über ein Verbrechen“ die skandinavischen und deut- schen Kulturschaffenden in den siebziger Jahren zu Lo- beshymnen hingerissen ha- ben.

In Sjöwalls/Wahlöös Kri- mitradition steht der Schwe- de Henning Mankell. In „Die fünfte Frau“ (Zsolnay, 1998) gibt er eine eindrucksvolle Kostprobe davon, wie das Er- be des Autorenehepaares ei- ne Fortführung und gleichzei- tig eine Erweiterung erfährt.

Der nachdenkliche Kommis- sar Wallander reflektiert dar- über, ob die zunehmende Ge- walt auf die Veränderungen der Gesellschaft zur materiel- len und sozialen „Wegwerfge- sellschaft“ zurückzuführen sei. Doch als alleinige Er- klärung für die grausamen Morde reicht ihm dieser An- satz nicht aus. Drei Hinrich- tungen an zunächst harmlos erscheinenden Bürgern wur- den vollstreckt – einen Mann findet man in einer Pfahlgru- be aufgespießt, ein anderer hängt halbverhungert an ei- nem Baum, der dritte wurde langsam ertränkt.

Wer begeht diese Grau- samkeiten? Kommissar Wal- landers Team betrachtet mit Unverständnis die einzelnen Puzzleteile, nur langsam wird das Motiv sichtbar: Rache für die Mißhandlung von Frauen.

Mit „Die fünfte Frau“ ist dem Romancier ein Meisterwerk der Krimigattung gelungen, bis zuletzt fesselt der span- nende Roman.

Håkan Nesser Zugleich mit Mankells

„Die fünfte Frau“ erschien in Schweden „Die Frau mit dem

Muttermal“ von Håkan Nes- ser (btb, Oktober 1998). 1996 scheint das Jahr der Rache- engel gewesen zu sein, denn auch in diesem Krimi geht es um Vergel-

tung, um ei- ne Frau, die den Miß- brauch ihrer Mutter mit Schüssen in den Unter- leib heimzahlt.

Obwohl sich der Hand- lungsablauf gleicht, so sind die bei- den Romane

„Krimilicht- jahre“ von- einander ent- fernt. Die Frau mit dem Mut- termal ist im

Niemandsland angesiedelt, Nesser zeichnet weder ein Gesellschaftsbild, noch liefert er eine Milieubeschreibung.

Auch von Charakterstudien hält er sich fern, die Personen bleiben blaß und unnahbar.

Im Mittelpunkt steht allein die Verbrechensaufklärung.

Diese wird zwar mit ordent- lichem Krimihandwerk vor- genommen, doch das zu einfach gestaltete Ursache- Wirkungs-Prinzip läßt den Le- ser die Auflösung viel zu früh erahnen. Ein mediokres Buch – gelesen und vergessen.

Sisters in Crime Wie gut, daß die Domi- nanz der Autoren langsam ein Ende hat. Da in Norwegen schon 30 Prozent der Krimi- schriftsteller Frauen sind, wird die Auswahl an „Crimeladies“

auch hierzulande endlich größer – eine Bereicherung nicht nur für Leserinnen.

Kim Småge war die erste Norwegerin, die sich mit Er- folg unter die Männer des Verbrechens mischte. Ihr

folgte Anfang der Neunziger Anne Holt. Wie Småge in „Ta- petenwechsel“ (Argument, 1997) hat Holt eine starke Frauenfigur geschaffen. Die Serienheldin Hanne Wil- helmsen ist eine „Bilder- buchpolizi- stin“: tüchtig, mit gesundem Menschen- verstand aus- gestattet und allseits be- liebt. Trotz- dem weiß keiner, daß Hanne eine Frau liebt.

Auch wenn sie ihr Com- ing-out in den ersten beiden Ro- manen – „Blinde Göttin“

(btb, 1997) und „Selig sind die Dürstenden“ (btb, 1998) – noch nicht gewagt hat, macht gerade dieser Mangel an Mut die Kommissarin sympa- thisch.

Holt schuf mit Hanne ein vielschichtiges, literarisches Nicht-Mainstream-Rollen- vorbild ganz nach amerikani- scher Provenienz. Amerika- nisch ist auch ihre Blutrün- stigkeit. In „Selig sind die Dürstenden“ weisen all- wöchentlich Spuren des roten Lebenssaftes auf ein weiteres Gewaltverbrechen in Oslo hin, doch vorerst fehlen die Opfer. Nach und nach tau- chen die Leichen auf, und ei- ne Regelmäßigkeit wird er- kennbar: Immer sind es al- leinstehende, asylsuchende Frauen. Als eines Tages dann eine Norwegerin offensicht- lich vom selben Täter verge- waltigt wird, muß die Polizei von vorn beginnen. Höchstes Thriller-Niveau kann diesem Roman attestiert werden.

Doch für die Realisten unter den Krimilesern ist er weni-

ger empfehlenswert, denn zu- mindest der Ausgang der Ge- schichte ist nicht sehr glaub- würdig.

Politthriller und Frauen- krimis – der skandinavische Kriminalroman hat noch an- deres auf Lager. Seit Anfang der achtziger Jahre drängt der Krimi immer mehr ins Milieu der „hohen Literatur“.

Roy Jacobsen Auch Roy Jacobsen ver- suchte mit „Schweigen am See“ (btb, 1998) eine Grenz- überschreitung; doch beson- ders gelungen ist ihm diese nicht. Zwar wird eine Frau tot aus dem See gefischt, auch ein Kriminalbeamter stellt auf der nordnorwegischen Insel Nachforschungen an, doch ei- gentlich geht es überhaupt nicht um die Aufklärung des Mordes. Aufgeklärt wird er auch nicht. Es geht vielmehr um den psychisch gestörten Jon, der Veränderungen haßt.

Weder soll die Kinderfreund- schaft mit Lisa andere For- men annehmen, noch soll die Einzug haltende Technik das Leben auf der Insel beeinflus- sen. Doch die Dinge ändern sich, und der Einzelgänger wird zur Anpassung gezwun- gen. Jacobsen gewährt Ein- blicke in die gemarterte Seele eines verstörten jungen Man- nes. Obwohl die Handlung zäh dahinfließt, ist diese stringente Charakterstudie äußerst faszinierend. Ver- wundert fragt man sich nur, warum sich der Autor zuerst so manche Krimispielregeln auferlegt hat, um sie dann wieder zu brechen.

Høeg sei gedankt. Ob- wohl die Sympathien für Sjöwalls/Wahlöös Thrillerzy- klus groß waren, bedurfte es eines Fräuleins Smilla, um die deutschen Literaturagenten auf die Buchmärkte Skandi- naviens aufmerksam zu ma- chen. Sie haben dabei eine Kriminalliteratur entdeckt, die es in sich hat – ob für Rea- listen, Intellektuelle, Blutrün- stige oder Feministinnen, für jeden ist ein Mord dabei.

Marion Kohler, Berlin

A-2596 (16) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 42, 16. Oktober 1998

S P E K T R U M BÜCHER

Kriminalromane

Morden im hohen Norden

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