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Archiv "Von Funktionär zu Funktionär!" (03.06.1976)

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Bericht und Meinung

S

ehr geehrter Herr Bundes- kanzler,

mein Herz als einfacher Kassen- arzt schlug höher, als ich in der Zeitung die Überschrift las

„Schmidt stellt sich vor die Ärz- te". Dabei war es weniger die Versicherung, ihre Partei denke nicht im Traum an die Verstaat- lichung des Gesundheitswe- sens; was mich freute, war Ihre Erklärung, die SPD ließe sich auch nicht mit denjenigen iden- tifizieren, die die Ärzteschaft pauschal diffamieren.

Doch der Freude war nur kurze Zeit vergönnt. Beim Weiterlesen stieß ich allzubald auf Ihre Aus- sage, es sei nicht gut, daß die überwiegend doch sehr einsich- tige und sehr vernünftige Ärzte- schaft den Eindruck zuließe, als ob sie sich in die Arme einiger Scharfmacher begeben hätten.

Ärzte, Patienten und Versicherte hätten keinen Grund zuzulas- sen, daß von Funktionären Fron- ten aufgerichtet würden, die zwischen Arzt und Patient in Wirklichkeit gar nicht bestün- den.

Hier fühlte ich mich natürlich als Funktionär angesprochen.

Die Formulierung — zumindest in der Presse-Wiedergabe — läßt allerdings die hoffnungsvol- le Vermutung offen, daß Sie gleichermaßen die Funktionäre der Ärzte wie die der Kranken- versicherung gerügt haben. Das wäre immerhin ein Fortschritt.

Denn bisher waren es aus dem Munde Ihrer Parteifreunde im- mer nur die Ärztefunktionäre, welche attackiert wurden.

Aber wenn Sie, Herr Bundes- kanzler, generell so hart über Funktionäre urteilen, dann wird man natürlich nachdenklich. Mir fiel zum Beispiel ein, daß in der Kreisstadt, in der ich seit nahe- zu 30 Jahren wohne, Anhänger der SPD, der FDP, der CSU und möglicherweise auch einige

„Radikale" von links und rechts recht friedlich nebeneinander leben. Auch in meiner eigenen

Arztpraxis hatte ich noch nie den Eindruck, daß das Wissen um unterschiedliche Parteizuge- hörigkeiten gutes menschliches Klima und Vertrauen auch nur im entferntesten gestört hätte.

Gestritten wird immer nur in den oberen Etagen. Und wer sitzt denn dort? Doch niemand anderer als die Parteifunktionä- re. Ich schließe daraus in Fort- setzung Ihrer eigenen Überle- gungen, daß wir einfachen Bür- ger und Wähler untereinander überhaupt keinen Streit haben

Von

Funktionär zu

Funktionär!

würden, wenn es in den Partei- en nicht diese Scharfmacher von Funktionären gäbe.

Unter meinen Patienten und sonstigen mir Bekannten befin- den sich auch brave Setzer und Drucker. Ich bin überzeugt, daß sie nie auf den Gedanken ge- kommen wären, einen Streik vom Zaune zu brechen. Schuld an diesem Zeitungsstreik, infol- gedessen wir tagelang auf die Lektüre der politischen Aussa- gen unseres Bundeskanzlers verzichten mußten, waren kei- neswegs die Setzer und Druk- ker, sondern wiederum die Scharfmacher und Funktionäre, in diesem Fall die Gewerk- schaftsfunktionäre mit ihrem Gewerkschaftsvorsitzenden, al- so dem Hauptfunktionär, an der Spitze. Wie friedlich könnte es also sein in der Arbeitswelt, wenn es keine Gewerkschafts- funktionäre mehr gäbe. Dabei dürfte natürlich keinesfalls über- sehen werden, auch den Ober- funktionär Schleyer und seine Mitfunktionäre von der Arbeitge- berseite in die Wüste zu schik- ken.

Wenn ich mir nun diesen „Ideal- zustand" so ausmale — eine Welt völlig ohne Funktionäre —, dann bliebe uns Funktionären, also sowohl Ihnen, Herr Bun- deskanzler, wie auch mir oder denen von der Gewerkschaft und den Arbeitgebern, immer noch der erlernte Beruf, dem wir sicher voll gerecht würden.

Unsere Funktionärsseelen aller- dings hätten nur die Chance, in eine Art „Funktionärshimmel"

aufgenommen zu werden. Die dazu notwendigen Beziehungen zum lieben Petrus könnten viel- leicht die Funktionäre der CDU/

CSU herstellen.

Wetten, Herr Bundeskanzler, es würde gar nicht sehr lange friedlich bleiben bei unseren Mitbürgern. Schon nach kurzer Zeit würden sie unruhig werden und fragen, wer denn nun ei- gentlich ihre Interessen vertritt.

Rasch entschlossen, wie wir alle Sie kennen, würde dann Ihre Funktionärsseele sicher nicht zögern, die Rückkehr zur Erde anzutreten, bevor die da unten auf den Gedanken kommen könnten, sich neue Funktionäre zu wählen.

Wäre dies nicht der Augenblick, einmal darüber nachzudenken, ob in unserer Gesellschaft nicht jede Gruppe ein Recht auf Inter- essenvertretung, also auf ihre Funktionäre, hat und auf sie an- gewiesen ist? Wer selbst Funk- tionär ist — das trifft doch mit Sicherheit auch auf den Stell- vertretenden Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei zu

—, dem sollte, wenn er andere Funktionäre als Scharfmacher abqualifiziert, immer bewußt sein, daß es unklug ist, mit Stei- nen zu werfen, wenn man selbst im Glashaus sitzt. Die Splitter könnten leicht ins eigene Auge gehen.

Mit einem freundlichen Gruß von Funktionär zu Funktionär verbleibe ich als

Ihr

Professor Sewering

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 23 vom 3.Juni 1976 1533

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