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Archiv "Gerontologie: Der Gang verrät viel über den Gesundheitszustand im Alter" (31.10.2014)

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A 1906 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 44

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31. Oktober 2014

GERONTOLOGIE

Der Gang verrät viel über den Gesundheitszustand im Alter

Das Gehtempo, die Variabilität der Schritte und die Fähigkeit, beim Gehen zu sprechen oder zu rechnen, geben klare Hinweise auf die Muskelmasse und

die geistige Fitness. Die Fähigkeit zu „Multitasking“ kann auf jeden Fall trainiert werden.

M

it 90 Jahren klar im Kopf, gut zu Fuß und aktiv im so- zialen Leben mitmischen: Das wün- schen sich wohl die meisten Men- schen. Doch wie gelingt es, bis ins hohe Alter fit zu bleiben? Welche Einflüsse sind dafür entscheidend?

„Bislang gibt es nur wenige pro- spektive, randomisierte Interventi- onsstudien zum Thema gesundes Altern“, meint Prof. Dr. med. Reto Kressig, Universitäres Zentrum für Altersmedizin am Felix-Blattner- Spital, Basel. Seit 2012 läuft die eu- ropäische Do-Health-Studie (1), die bis 2017 untersucht, welche Rolle Vitamin D, Omega-3-Fettsäuren und einfache körperliche Trainings- programme für den Erhalt der kör- perlichen und kognitiven Gesund- heit im Alter spielen.

Unbestritten ist die Bedeutung von regelmäßiger körperlicher Be- wegung. Doch obwohl die positi- ven Effekte bekannt sind, gab in ei- ner europäischen Studie (2) mit cir- ca 2 000 Senioren nur knapp die Hälfte an, mehr als 3,5 Stunden pro Woche körperlich aktiv zu sein – al- so zum Beispiel Fahrrad zu fahren, im Garten zu arbeiten, zu schwim- men, zu tanzen oder zu walken. Als Hauptgrund für den eher passiven Lebensstil gaben die Befragten

„fehlendes Interesse“ an (3).

Progressives Krafttraining Zwei prägende Voraussetzungen für Unabhängigkeit im Alter sind die Gangsicherheit und die kognitive Fitness. Dass sich Muskeln selbst im hohen Alter noch trainieren las- sen, zeigt eine Studie mit 100 Pfle- geheimbewohnern im Alter von durchschnittlich 87 Jahren: Pro- gressives Krafttraining über zehn

Wochen führte zur Verdopplung der Muskelkraft, die Kombination mit Proteindrinks brachte sogar eine Steigerung um 130 Prozent (4).

„Das Krafttraining im Alter ver- besserte aber nicht die Gangsicher- heit und bewirkte auch keine Sturz- reduktion“, so Kressig. Zu diesem Ergebnis kommt ein Cochrane Re- view mit 120 Studien und 6 700 Probanden (5). Offenbar ba- siert sicheres Gehen nicht nur auf muskulären Aktivitäten, sondern auf dem Zusammenspiel verschie- dener Organsysteme.

Die Qualität der motorischen Kontrolle und die Gangsicherheit sind anhand des Gangbildes defi- nierbar. Dabei ist die Gangvariabili- tät wesentlich, also Veränderungen von Schritt zu Schritt. Ein sicherer Gang ist regelmäßig und hat einen sehr geringen Variations-Koeffi- zienten. „Dagegen führt bereits eine Variabilität von 1,7 cm zur Verdop- pelung des Sturzrisikos“, kommen- tiert Kressig (6).

Walk- and Talk-Test

Um mögliche Probleme früh behan- deln zu können, ist die Messung der funktionellen Reserven wichtig.

Dazu eignet sich das Dual-Tasking, das eine motorische mit einer ko- gnitiven Aufgabe verbindet, also et- wa beim Gehen leichte Rechenauf- gaben gelöst werden sollen. Be- kannt ist der „Walk- and Talk-Test“

(7): In diesem Modell zur Testung der Stressresistenz wurde nachge- wiesen, dass ältere Menschen, die während des Gehens beim Spre- chen stehen bleiben, in den kom- menden sechs Monaten ein massiv erhöhtes Sturzrisiko haben. Die Gangregelmäßigkeit gibt unter Dual-Task auch frühe Hinweise auf kognitive Probleme wie Mild Co- gnitive Impairment (MCI).

Die Fähigkeit zu „Multitasking“, – eine Exekutivfunktion – hat ihren Sitz im Frontalhirn und kann durch spezifische Interventionen trainiert werden. Ein Beispiel ist die Rhyth- mik nach Émile Jaques-Dalcroze, die sowohl die Motorik als auch die Kognition fordert. Sie besteht aus wechselnden Bewegungsfolgen, die den gesamten Körper involvieren, im Rhythmus von improvisierter Klaviermusik in der Gruppe ausge-

Foto: dpa

Typische Merk- male des Gangs in höherem Alter sind:

kürzere Schritt - länge, geringeres Abrollen des Fußes, vorgebeugter Rumpf.

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31. Oktober 2014 A 1907 führt werden und je nach Melodie

unerwartet wechseln können. „Das ist Multitasking par excellence“, sagte Prof. Kressig. „Eine Gruppe 80-jähriger Frauen, die seit über 40 Jahren Rhythmik nach Jaques- Dalcroze machen, schnitt im Dual- Tasking so gut ab wie 30-Jährige“, so Kressig weiter (8).

Unterschenkelumfang als Maß Ein häufiges Problem im Alter ist die Sarkopenie, die mit verminder- ter Muskelmasse, Funktion und Kraft einhergeht. Sie kann mehrere Ursachen haben, wie Kachexie, neurodegenerative Krankheiten, Immobilität oder Bewegungsman- gel. Zur Prüfung eignet sich die Handkraft, besser noch die Gehge- schwindigkeit. Können Personen weniger als einen Meter pro Sekun- de gehen, deutet dies auf eine Sar- kopenie hin (9). „Wer nur 80 Zenti- meter schafft, kommt an deutschen Ampeln während der Grünphase nicht über die Straße“, so Prof. Dr.

Cornel Sieber, Institut des Alterns an der Universität Erlangen-Nürn- berg. Neben der Gehgeschwindigkeit ist der Unterschenkelumfang an der breitesten Stelle der Wade ein gutes Maß für die Muskelmasse: Beträgt der Umfang weniger als 31 Zentime- ter, liegt eine Sarkopenie vor.

Viele ältere Menschen sind über- gewichtig und haben gleichzeitig eine Sarkopenie, weil die Muskel- masse durch Fett ersetzt ist. Typi- sches Erscheinungsbild dieser „sar- copenic obesity“ sind ältere Männer mit dickem Bauch und Bermuda- Shorts, aus denen spindeldürre Bei- ne ragen. „Der BMI ist folglich kein gutes Maß für eine Sarkope- nie, da das Gewicht trotz Muskel- abbau gleich bleiben kann“, betont Sieber. Generell gilt: Die Abnahme der Muskelmasse nach dem 40. Le- bensjahr ist ein physiologischer Prozess. Mit Ernährung und Bewe- gung lässt sich jedoch effektiv ge- gensteuern. „Man kann bis ins höchste Alter Muskulatur aufbauen, selbst im Pflegeheim“, so Sieber.

Wie trainierbar ein Mensch auch im Alter ist, zeigt das Modell der Master-Athleten. Diese Sportler nehmen oft bis in die achte oder neunte Lebensdekade an Wett-

kämpfen teil. „Man kann in jedem Alter mit Sport anfangen“, sagte Prof. Dr. med. Jörn Rittweger vom Institut für Luft- und Raumfahrtme- dizin in Köln. Die meisten Master- Athleten trainieren fünf bis zehn Stunden pro Woche.

Entgegen der allgemeinen Ver- mutung ist das Verletzungsrisiko beim Sport unabhängig vom Alter (10). Wahrscheinlich nimmt es mit dem Alter sogar ab.

Wie in der Normalbevölkerung sinkt auch bei Master-Athleten die Sprungleistung mit den Jahren.

Trainiert man jedoch bereits seit der Jugend, hat man in jedem Lebensal- ter eine höhere Sprungleistung.

Auch die Ausdauerfähigkeit nimmt mit dem Alter ab, ebenso wie die Knochenfestigkeit. In der Literatur wird immer betont, wie wichtig es für die Knochengesundheit sei, vor der Pubertät mit Sport zu beginnen.

Dass Training in jedem Lebens- alter wirkt (11) belegen Untersu- chungen an Radius und Humerus zwischen Tennisspielern, die vor und nach der Pubertät mit dem Sport begonnen haben. Es ergaben sich kaum Unterschiede. Auch der altersbedingte Abfall der Ausdauer- fähigkeit kann ausgeglichen wer- den. Hören (Master-)Athleten aller- dings auf zu trainieren, verschwin- den die positiven Effekte.

„Man muss davon ausgehen, dass alle Trainingseffekte irgend- wann ausgewaschen werden, und bei den metabolischen Effekten geht das zügig“, sagte Rittweger.

Das gilt vor allem für die Insulin - resistenz, die bereits nach zehn Ta- gen Trainingspause das Niveau der Normalbevölkerung erreicht. „Wer Diabetes durch Sport vorbeugen möchte, sollte mehrmals pro Woche trainieren“, empfiehlt Rittweger.

Mit den Jahren lässt nicht nur die Muskelmasse, sondern auch die kognitive Leistungsfähigkeit nach.

Das duale Grundmodell der Intelli- genz geht davon aus, dass sich die kognitive Leistungsfähigkeit aus der fluiden und der kristallisierten Intelligenz zusammensetzt. Die fluide Intelligenz ist angeboren und bestimmt beispielsweise das Tempo der Informationsverarbeitung. Die kristallisierte Intelligenz hingegen

ist das im Lauf des Lebens akkumu- lierte Wissen, also Schulwissen wie Sprachen oder mathematisch-phy- sikalische Zusammenhänge. Beide Fähigkeiten altern in unterschiedli- cher Weise. Die fluide Intelligenz erreicht ihren Höhepunkt etwa mit 30 Jahren und nimmt dann biolo- gisch determiniert ab. Die kristalli- sierte Intelligenz kann dagegen bis ins hohe Lebensalter zunehmen.

Das duale Modell lässt sich mit vielen Beispielen untermauern: Der amtierende Schachweltmeister ist Anfang 20, experimentelle Physi- ker sind in der Regel Anfang 30, wenn sie bahnbrechende Erkennt- nisse gewinnen. „Diese Aufgaben fordern vor allem die schnellen flui- den Informationsleistungen“, er- klärte Dr. Roland Rupprecht, Insti- tut für Psychogerontologie, Univer- sität Erlangen-Nürnberg.

Sport trainiert das Gehirn Auf der anderen Seite zeigen viele Studien, dass kognitive Leistungen auch durch körperliches Training verbessert werden können. Als Be- leg gilt die ACTIVE*-Studie mit 2 800 Personen (65 bis 94 Jahre), deren kognitive Leistungsfähigkeit mit unterschiedlichen Methoden trainiert wurde. Die Ergebnisse wa- ren deutlich besser, wenn körper - liches Training zum Programm gehörte (12). Eine Meta-Analyse belegt zudem die positiven Aus - wirkungen eines Ausdauer-Fitness - trainings auf die kognitive Leis- tungsfähigkeit (13).

Kognitive Aktivierung bewirkt einen verstärkten Transmitteraus- tausch an bestehenden Synapsen und die Neubildung von Synapsen auch im höheren Lebensalter. Kör- perliche Aktivierung unterstützt diese Prozesse durch eine bessere Durchblutung des Gehirns.

Dipl. oec. troph. Dorothee Hahne

*ACTIVE = Advanced Cognitive Training for Inde- pendent and Vital Elderly

Quelle: Workshop „Altern – kein Thema nur für Alte“ in Regensburg. Veranstalter: Institut Danone Ernährung für Gesundheit e.V. und das Institut für Biomedizin des Alterns der Universität Erlangen- Nürnberg.

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Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit4414 oder über QR-Code

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LITERATURVERZEICHNIS DÄ 44/2014, ZU:

GERONTOLOGIE

Der Gang verrät viel über den Gesundheitszustand im Alter

Das Gehtempo, die Variabilität der Schritte und die Fähigkeit, beim Gehen zu sprechen oder zu rechnen, geben klare Hinweise auf die Muskelmasse und

die geistige Fitness. Die Fähigkeit zu „Multitasking“ kann auf jeden Fall trainiert werden.

LITERATUR 1. http://do-health.eu

2. Alfonso C, et al.: Physical activity in Euro- pean seniors: Attitudes, beliefs and levels.

Journal of Nutrition Health & Aging 2001;

5: 226–9.

3. Crombie IK, et al.: Why older people do not participate in leisure time physical activity: a survey of activity levels, beliefs and deterrents. Age and Ageing 2004; 33:

287–92.

4. Fiatarone MA, et al.: Exercise training and nutritional supplementation for physical frailty in very elderly people. NEJM 1994:

1769–75.

5. Liu CJ, Latham NK: Progressive resistance strength training for improving physical function in older adults. Cochrane Databa- se Syst Rev 2009.

6. Maki BE: Gait changes in older adults:

Predictors of falling or indicators of fear?

J Am Geriatr Soc 1997;45: 313–20.

7. Lundin-Olsson L, et al.: “Stops walking when talking” as a predictor of falls in el- derly people. Lancet 1997; 349: 617.

8. Kressig RW, Allali G, Beauchet O: Long- term practice of Jaques-Dalcroze Eurhyth- mics prevents age-related increase of gait variability under dual-task. J Am Geriatr Soc 2005; 53: 728–9.

9. Cesari M, et al.: Skeletal muscle and mor- tality results from the InCHIANTI Study. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2009; 64:

377–84.

10. Ganse B, Degens H, Drey M, Korhonen MT, McPhee J, Müller K, Johannes BW, Rittweger J: Impact of age, performance and athletic event on injury rates of mas- ter athletics – First results from an on- going prospective study. J Musculoskelet Neuron Interact 2014; 14: 148–54.

11. Ireland A, Maden-Wilkinson T, Ganse B, Degens H, Rittweger J: Effects of age and starting age upon side asymmetry in the arms of veteran tennis players: a cross- sectional study. Osteoporos Int 2014; 25:

1389–400.

12. Ball K, et al.: Effects of Cognitive Training Interventions With Older Adults. A Rando- mized Controlled Trial, JAMA 2002; 288:

2271–81.

13. Colcombe S, Kramer AF: Fitness effects on the cognitive function of older adults: a meta-analytic study. Psychol Sci 2003;

14: 125–30.

Referenzen

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